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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die eidgenössische Gewährleistung einer Partialrevision der Verfassung des Kantons Unterwaiden nid dem Wald, vom 13. Oktober 1895.

(Vom 20. März 1896.)

Tit.

Mit Schreiben vom 22. November 1895 haben Landammann und Regierungsrat von Unterwaiden nid dem Wald dem Bundesrate die von der außerordentlichen Landesgemeinde dieses Kantons zu Wyl an der Aa am 13. Oktober 1895 nach dem Beschlussesantrage dos Verfassungsrates angenommene Abänderung der Artikel 15 und 86 der Kantonsverfassung vom 2. April 1877 zur Kenntnis gebracht und den Bundosrat ersucht, diese Revision der h. Bundesversammlung zur Genehmigung zu unterbreiten.

Wir teilen den Inhalt der beiden Artikel im Anhange mit,, wobei der neue Text dem bisherigen gegenübergestellt wird.

Schon bevor die nidwaldensche Kantonsregierung ihre Eingabe an den Bundesrat gerichtet hatte, war mit Zuschrift d. d. Stans 13. November 1895, von den Herren Alfred Jann, C. Flühlor und Dr. Robert Durrer im Namen des ,,Prozeßkomitecs" einer zur Anfechtung des neuen Artikels 15 gebildeten Streitgenossenschaft an den Bundesrat das Gesuch gerichtet worden, dio Behandlung der Frage der Gewährleistung dieses Artikels, soweit derselbe die schon bestehenden Grundschulden und Hypotheken betrifft, so lange zu verschieben, bis die obwaltenden Anstände hierüber b u n d e s g e r i c h t l i c h entschieden sein werden.

546 Die erwähnte Streitgenossenschaft umfaßt eine größere Anzahl, cirka 360, Gültenbesitzer ; das von ihr mit der Wahrung ihrer Interessen und Einleitung der nötigen rechtlichen Vorkehrungen betraute Komitee besteht aus den Herren Alt-Reg.-Rat Alfred Jann in Stans, Alt-Ständerat Jos. Amstad in Beckenried, Ratsherr Robert Wagner in Stans, Kaufmann Jos. Fuchs in Buochs, Major C. Flühlor in Stans und Dr. Robert Durrer in Stans (als Aktuar).

Zur Unterstützung seines Verschiebungsgesuches führte das ,,Prozeßkomitee^ an : 1. Bundosrechtlich genehmigt ist der alte Artikel 15 der Kantonsverfassung, der den Inhalt der gesetzlich errichteten G-ülten {bezüglich der Verzinsung im Sinne des Gesetzes von 1751) und der kanzleiischen Versicherungen gewährleistet.

2. Im Gegensatz zu dieser Gewährleistung werden durch den neuen Artikel 15 die Rechte der Gülteninhaber durch Herabsetzung des Zinsfußes und Veränderung der Ablösungsart der Pfundgülton sehr bedeutend geschmälert.

3. Dieses Vorgehen steht auch im Widerspruch mit Artikel 13 der Kantonsverfassung, der die Unverletzlichkeit des Eigentums und der Rechtsamen gewährleistet und dem Staate bloß ein Expropriationsrecht gegen volle Entschädigung zuerkennt.

4. Art. 43 der Kantonsverfassung bestimmt überdies : ,,Sofern sich jemand durch einen Beschluß der Landesgemeindo in seinen Privatrechten verletzt glaubt, kann der gesetzliche Richter angerufen werden.a Der Bundcsrat hat unterm 27. November 1895 die Eingabe der ,,Streitgenossenschaft" der Regierung von Nidwaiden zur Vernehmlassung übermittelt.

Die h. Kantonsregierung stellte uns mit Rückäußerung vom 10. Dezember 1895 die Vornehmlassung des Verfassungsrates darüber zu, wobei sie bemerkte, sie erachte gemäß Landesgemeindebeschluß vom 13. Oktober 1895 den Verfassungsrat als die zur Antworterteilung auf die Vorkehrungen des ,,Prozeßkomitees"1 zuständige Behörde.

In seiner Vernehmlassung vom 9. Dezember 1895 spricht sich der Verfassungsrat dahin aus, daß die Bundesgarantie einer kantonalen Verfassung nichts anderes in sich schließe, als die Beglaubigung, daß diese den Rechten des Bundes nicht zuwiderlaufe und mit den Bestimmungen der Bundesverfassung nicht im Widerspruche stehe, und fügt bei :

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Bekanntlich können die kantonalen Verfassungen schon vor der Bundesgenehmigung in Kraft treten und in Vollzug gesetzt werden. Das Verschiebungsgesuch des .,,Prozeßkomitees"' ist daher haltlos, zumal es si eh auf ausschließlich p r i v a t r e c h t l i c h e Einspruchsgründe stützt.

Wenn der alte Art. 15, bemerkt der Verfassungsrat weiter, die eidgenössische Gewährleistung erhalten hat, so geschah dies nach Art. 6, litt, c, der Bundesverfassung, welcher festsetzt, daß jede kantonale Verfassungsbestimmung jederzeit soll revidiert worden können, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt. Und wenn die Mitglieder der Streitgenossenschaft sich in ihren Privatrechten gekränkt und verletzt glauben und auf Art. 13 der Kantonsverfassung verweisen , der das Eigentum für unverletzlich erklärt, so übersehen sie, daß, wie die bundesgerichtliche Judikatur längst festgestellt hat, die Privatrechte, insbesondere das Eigentum, überall von der objektiven Rechtsordnung normiert sind und mitunter im öffentlichen Interesse sehr einschneidend beschränkt werden. Diese Beschränkungen müssen sich den Zeitbedürfnissen anpassen ; die Gesetzgebung, welche die Privatrechte normiert, ist daher notwendig Wandelungen unterworfen.

Der Verfassungsrat von Nidwaiden verlangte aus den angeführten Gründen, daß auf das Verschiebungsgesuch des ,,Prozeßkomitees" nicht eingetreten und den neuen Artikeln 15 und 86 der Nidwaldner Verfassung ohne weiteres die Bundesgarantie erteilt werde.

Am 22. Januar 1896 hat das B u n d e s g e r i c h t in Sachen von Alfred Jann in Stans und Konsorten, vertreten durch Professor Dr. A. Zeerleder und Fürsprecher E. Wyß in Bern, erkannt: .,,Auf den Rekurs wird, soweit Verletzung der Bundcsverfassung behauptet wird, wegen Inkompetenz, soweit dagegen Verletzung der Kantonsverfassung behauptet wird, zur Zeit nicht eingetreten. "· Ein gleiches Erkenntnis fällte das Gericht am 29. Januar 1896 in einer von Alt-Ständerat Nicolaus Lussy in Stans und Konsorten anhängig gemachten Rekurssache betreffend den neuen Art. 15 der Kantonsverfassung.

Hierauf haben die Herren Professor Dr. A. Zeerledcr und Fürsprecher E. Wyß in Bern namens des ,,Prozeßkomitees1'- unterm 5. Februar 1896 dem Bundesrate ein Memorial eingereicht, in welchem sie zunächst mitteilen, sie hätten, der Natur der Sache und der behaupteten Rechtsverletzung entsprechend, in erster Linie

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einen staatsrechtlichen Rekurs beim Bundesgericht erhoben, von der Ansicht geleitet, daß diese Behörde auf Grund des Art. 113, Ziffer 3, der Bundesverfassung und der Artikel 175, Ziffer 3, und 178 des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege zur Beurteilung von Verfassungsverletzungen durch kantonale Erlasse zuständig sei. Durch sein Erkenntnis vom 22. Januar 1896 habe jedoch das Bundesgericht erklärt, daß es die Prüfung der Frage, ob Art. 15 der Nidwaldner Verfassung mit den durch die Bundesverfassung gewährleisteten Rechten der Bürger verträglich sei, der Bundesversammlung überlassen müsse, ,,dies wahrscheinlich deshalba -- fügen die Herren Zeerleder und Wyß bei -- ,,weil jene Bestimmung nicht in einem Gesetz, wohin sie eigentlich gehört, sondern in einem Verfassungsartikel formuliert ist".

Bei dieser Sachlage erheben die Vertreter der Nidwaldner Gültinteressenten nun beim Bundesrat zu Handon der Bundesversammlung P r o t e s t d a g e g e n , ,, d a ß d e m n e u e n A r t . 15 der Nidwaldner Verfassung in seinem vollen Umfange die eidgenössische Gewährleistung e r t e i l t w e r d ect.

Zur Begründung des Protestes berufen sie sich auf ihre dem Bundesgerichte eingegebene Beschwerdeschrift, deren Ausführungen sie als integrierenden Bestandteil ihrer Eingabe an die Bundesversammlung bezeichnen, sowie auf das dem Bundesgerichte unterbreitote umfangreiche Urkundenmaterial, das den Beweis für ihre Behauptungen erstelle.

Die Beschwerdeschrift, welche unterm 7. Dezember 1895 namens der Herren Alfred Jann, Robert Wagner, J. Amstad, Jos. Fuchs und Kaspar Flühler, dem Bundesgerichte zugeleitet worden war, kommt nach einer einläßlichen, rechtsgeschichtlichen und verfassungsrechtlichen, Sachdarstellung und Begründung zu folgenden Schlüssen : ,,I. Den Besitzern von Pfundgülten, welche vor dem 9. Mai 1751 errichtet sind, wird durch den angefochtenen Landesgemeindcbeschluß ein Kapitalverlust von zwei Fünfteln des Nominalbetrages der Gült auferlegt und dieser Verlust zu einer Bereicherung der Schuldner verwendet, ohne daß dem Gläubiger ein entsprechendes Äquivalent geboten würde.

,,II. Den Besitzern von ein- und zweirückigen Gülten, welche nach dem 9. Mai 1751 errichtet worden sind, wird durch den angefochtenen Beschluß ebenfalls ein Verlust auferlegt, indem die in diesen Gülten vereinbarte Ablösungsart zu gunsten der Schuldner

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außer Kraft gesetzt und den letztem gestattet wird, dieselben mit barem Gelde abzulösen, während sie zu diesem Ende bis jetzt ältere Pfundgülten anzubieten verpflichtet waren.

,,III. Die Herabsetzung des Zinsfußes der bestehenden Gülten auf vier Prozent involviert ebenfalls einen den Gläubigern zugefügten Nachteil ; insbesondere würde derselbe die Inhaber von vor dem 9. Mai 1751 errichteten Gülten in unverantwortlicher Weise treffen, wenn -- wie dies die Absicht des angefochtenen Artikels zu sein scheint -- die Berechnung des Kapitals dieser Gülten auf Grund einer Kapitalisierung des bisherigen Zinses à 5 °/o, also im zwanzigfachen Betrage des Zinses, stattfinden sollte, da diese Gülten bereits im Jahr 1751 eine Reduktion des Zinsfusses von fünf auf drei Prozent erlitten haben.

,,IV. Die durch mehrangeführte Neuerungen für die Gültgläubiger herbeigeführten vermögensrechtlichen Nachteile stehen im Widerspruch nicht nur mit den Garantien, welche die Nidwaldner Kantonsverfassung für das Privateigentum aufgestellt hat, sondern auch mit der in Art. 4 der Bundesverfassung allen Bürgern garantierten Rechtsgleichheit. Denn es ist mit diesem Prinzip nicht vereinbar, daß auf privatrechtlichem Gebiete nur e i n e m T e i l der Bürger Opfer an ihren wohlerworbenen Vermögensrechten auferlegt werden, welche direkt zur finanziellen Erleichterung, also zur Bereicherung anderer Bürger dienen sollen.a Es entspricht dem bundesgerichtlichen Erkenntnisse vom 22./29. Januar 1896 sowohl, als der Meinung der protestierenden Gültbesitzer, wenn der Bundesrat von vorneherein feststellt, daß die höchste politische Behörde der Eidgenossenschaft zu einer Prüfung der geltend gemachten Beschwerdepunkte nur insoweit veranlaßt und befugt ist, als eine Verletzung des durch Art. 4 der Bundesverfassung ausgesprochenen Grundsatzes der Rechtsgleichheit der Bürger behauptet wird.

Beschwerden, die auf Art. 4 der Bundesverfassung gegründet werden, sind sonst seit 1874 der Rechtsprechung des Buiidesgerichts unterstellt. Wenn im vorliegenden Falle das Bundesgericht die Urteilsfällung abgelehnt hat, so liegt das Motiv, wie das Gericht in den Erwägungen zu seinen Erkenntnissen vom 22. und 29. Januar ausführt, darin, daß die Bundesversammlung bei Anlaß der Gewährleistung einer Kantonsverfassung zu prüfen hat, ob diese nichts den Vorschriften
der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalte (Art. 6 der Bundesverfassung), ein Prüfungsrecht, neben welchem nicht noch ein solches des Bundesgerichts Platz finden kann. Dem Art. 113

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der Bundesverfassung, der die Kompetenzen des Bundesgerichts aufstellt und speciell bei Ziffer 3 die Kompetenz zur Beurteilung von Beschwerden betreffend Verletzung verfassungsmäßiger Rechte der Bürger dem Bundesgerichte zuweist, wird durch die Specialnorm der Artikel 5, 6 und 85, Ziffer 7, derselben Verfassung, die von der Gewährleistung der Kantonsverfassungen durch den Bund handeln, derogiert.

Wenn nun aber von der Bundesversammlung in einem solchen Falle die Frage zu beantworten ist, ob einer kantonalen Verfassungsbestimmung unter dem Gesichtspunkte der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze die Bundesgarantie erteilt werden könne, so wird zwar der obersten politischen Behörde der Eidgenossenschaft das Eecht selbständiger Überlegung und freier Entscheidung zuerkannt werden müssen ; es liegt jedoch auf der Hand, daß sie im Interesse der Festigkeit und Sicherheit der Rechtsordnung und der Rechtsbegriffe sich nicht ohne zwingende Gründe von demjenigen Begriffe der Rechtsgleichheit entfernen wird, den das Bundesgericht, die zum Schutz dieses Grundrechtes der Bürger verfassungsgemäß berufene Bundesbehörde, in langjähriger Praxis festgestellt und in das eidgenössische Recht eingeführt hat.

Der Bundesrat hält nun dafür, daß der bundesgerichtlichen Feststellung auch im vorliegenden Falle beizupflichten sei. Danach könnte, im Gegensatz zu der früheren, von den politischen Rekursbehörden ausgegangenen, Judikatur, es nicht .mehr als genügend erachtet werden, im Hinblick auf Art. 4 der Bundesverfassung bloß zu verlangen, ,,daß jeder Bürger unter gleichen Voraussetzungen gleich behandelt werde'*. Es steht namentlich seit dem grundlegenden bundesgerichtlichen Urteile vom 2. April 1880 in Sachen Alois Jäggi (Bundesgerichtliche Entscheidungen Vt, 171) fest, daß das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetze gleiche Behandlung der Bürger nicht nur bei absolut gleichen thatsächlichen Verhältnissen, vielmehr schon unter der Voraussetzung der Gleichheit aller e r h e b l i c h e n thatsächlichen Verhältnisse fordert. In neueren Urteilen legt das Gericht, übrigens von demselben Gedankengango geleitet, auf das Moment der W i l l k ü r l i c h k e i t das Hauptgewicht, indem es zumeist in der o b j e k t i v e n B e g r ü n d u n g einer Bestimmung oder Maßnahme deren Zulässigkeit und Rechtsbeständigkeit unter dem
Gesichtspunkte des Art. 4 der Bundesverfassung erkennt.

Schon im Jahre 1864 hat R u t t i m a n n als Berichterstatter der ständerätlichen Rekurskommission in Sachen Chevalier und Streitgenossen gegen die Kantonalbank von Waadt darauf hin-

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gewiesen, daß die Formel ,,gleiches Recht unter gleichen thatsächlichen Voraussetzungena nicht befriedigen könne, indem z. B.

nicht an zufällige faktische Verschiedenheiten eine ungleiche rechtliche Stellung der Personen geknüpft werden dürfe ; er hat aber andererseits auch betont, daß es Ausnahmen von der in Artikel 4 der Bundesverfassung aufgestellten Regel geben müsse, und hervorgehoben, daß dieselben auch auf dem Gebiete des Privatreehtes zu finden seien, indem Artikel 4 den Bürgern keineswegs ein gleiches Maß von erworbenen Rechten, sondern bloß die gleiche Rechtsfähigkeit im öffentlichen Rechte und im Privatrechte zusichere. (Bundesbl.

1865, I, 12 ff.) Und in seinem 1872 erschienenen Werke ,,Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht verglichen mit den politischen Einrichtungen der Schweiza sagt derselbe verdienstvolle Staatsmann und Rechtsgelehrte (in § 479} über die Bedeutung des Artikels 4 : ,,Es ist (allerdings) richtig, daß erworbene Rechte immer durch einen bestimmten Thatbestand bedingt sind; aber auf erworbene Rechte kann die Garantie des Artikels 4 sich unmöglich beziehen. Denn mit Beziehung auf das Maß der erworbenen, subjektiven Rechte^ die jeder besitzt, hat ja von jeher die größte Ungleichheit bestanden, und ohne Aufhebung des Privatvermögons und Einführung eines kommunistischen Systems läßt sich hierin gar nichts ändern.a Aus dem Gesagten ergiebt sich uns die Rechtsregel : Ungleiche Behandlung der Bürger bei Gleichheit aller erheblichen thatsächlichen Verhältnisse widerstreitet dem Artikel 4 der Bundesverfassung.

Als besonderer Fall der Nichtanwendbarkeit des Artikels 4 aber erscheint die Ungleichheit, welche erworbene Rechte in der Stellung der Bürger zu einander hervortreten lassen.

Wenn nun der neue Artikel 15 der Nidwaldncr Verfassungan der Hand dieser Rechtsregel auf seine Übereinstimmung mit dem Grundsatze der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze geprüft wird, so ist vor allem festzustellen, daß der Inhalt der vorliegenden Bestimmung, an und für sich genommen, und keineswegs etwa dieser Inhalt im Zusammenhang oder in Vergleichung mit dem Inhalte des frühern, nun aufgehobenen, Artikel 15 den Gegenstand der Untersuchung bildet. Der bisherige Artikel 15 gewährleistete den Inhalt der gesetzlich errichteten Gülten (bezüglich der Verzinsung im Sinne des Gesetzes von 1751)
und der kanzleiischen Versicherungen mit einem (hier nicht in Betracht fallenden) Vorbehalte ; er gewährleistete somit den Bestand eines privatrechtlichon Institutes nach gewissen geltenden Rechtsnormen. Der neue Artikel 15 beseitigt diese Gewährleistung und überweist die Regelung des Hypothokarwesens der staatlichen Gesetzgebung mit

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gleichzeitiger Festsetzung einiger für das Recht der Gülten und der kanzleiischen Versicherungen maßgebenden Normen bezüglich der Verzinsung, der Ablösung und der Aufkttndung, wobei die bestehenden und die neu zu errichtenden Gülten und Versicherungen einander völlig gleichgestellt werden.

Die alte Bestimmung (Gewährleistung der Gülten und Versicherungen) ist vom Bunde nicht beanstandet, sondern mit dem 'übrigen Inhalt der Verfassung des Kantons Nidwaiden vom 2. April 1877 durch Bundosbeschluß vom 17. Dezember 1877 unter Bundesgarantie gestellt worden. Allein es ist selbstverständlich, daß damit der Bund nicht etwa eine Garantie des Fortbestandes, der Unabänderlichkeit jener kantonalen Gewährleistung übernahm, sondern bloß erklärte, daß der Inhalt derselben bundesrechtlich unanfechtbar .sei. Und er konnte dies erklären, weil die Gültonbesitzer ihre Rechte, durch die sie sich von den Nichtgültenbesitzern nicht wenig unterscheiden, rechtmäßig erworben haben und deswegen die Verschiedenheit zwischen den beiden Klassen von Bürgern der objektiven Begründung nicht entbehrt, vielmehr auf der Ungleichheit sehr erheblicher rechtlicher und thatsächlicher Verhältnisse beruht. Das Recht aber, die Gewährleistung des Artikels 15 jederzeit aufzuheben oder zu modifizieren, wollte und konnte der Bund im Jahre 1877 dem Kanton Nidwaiden in keiner Weise entziehen oder schmälern ; setzt doch Art. 6, litt, c, der Bundesverfassung geradezu als Bedingung der eidgenössischen Gewährleistung einer kantonalen Verfassung, daß sie revidiert werden kann, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt.

Die Vertreter der Gültenbesitzer bestreiten auch nicht, daß durch das Mittel der Verfassungsrevision die konstitutionellen Schranken gegen Eingriffe in die Privatrechte der Gültgläubiger zu beseitigen .,,formell möglich seia ; .,,aber sie glauben, daß materielle Rechtswidrigkeiten durch keinen neuen Verfassungsartikel geheiligt werden können, und hoffen deshalb zuversichtlich, die bundesrechtliche Garantie der Rechtsgleichheit werde dem materiellen Recht, gegenüber dem Mißbrauch der Souveränitätsrechte auf privatrechtlichem Gebiete, zur Herrschaft verhelfen".

Dieser in der Beschwerdeschrift an das Bundesgericht enthaltene Satz kann und will, an die Bundesversammlung gerichtet, offenbar nicht bezwecken, gegen die Gewährleistung
des Verfassungsartikels deswegen Einspruch zu erheben, weil ein früherer, von ihm aufgehobener, Artikel einen ändern, mehr oder weniger abweichenden Inhalt hatte. Wie bereits betont wurde, beschränkt sich die Untersuchung der Behörde, welche die Voraussetzungen der Bundes-

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garantie zu prüfen hat, auf den Inhalt der ihr vorgelegten Bestimmungen ; diese und nur diese hat sie auf ihre Übereinstimmung mit dem Bundesrecht zu prüfen, und sie ist ganz machtlos, materiell irgendwie etwas daran zu ändern, solange die Kantone die souveräne Gewalt besitzen, sich ihre Verfassung selbst zu geben.

Etwas anderes wäre es, wenn die Verfassungsmässigkeit des Zustandekommens einerVerfassungsbestimmungg bestritten würde.

Das wäre eine vor dem materiellen Eintreten auf die Sache zu entscheidende Vorfrage. Eine solche ist jedoch von dennidwalden-schcnGültenbesitzernn nicht aufgeworfen.

Nachdem wir so die Aufgabe der Bundesversammlung genau umschrieben haben, wenden wir uns der Betrachtung des Inhaltes der zur Gewährleistung vorgelegten Verfassungsbestimmung (Art. 15) zu.

Der Eingangssatz des Artikels, der die staatliche Gesetzgebung anweist, das Hypothekarwesen des Kantons zu regeln, ist nicht angefochten und kann nicht angefochten werden, nachdem einmal feststeht, daß die Kantone über das Immobiliarsachenrecht, speciell über grundversicherte Darlehen, Gesetze zu erlassen befugt sind.

Angefochten wird dagegen der zweite Satz : ,,Der Zinsfuß für alle bestehenden und neu zu errichtenden Gülten und kanzleiischen Vorsicherungen innert der jeweiligen amtlichen Würdigung des Pfandobjektes darf 4 °/o in keinerlei Form übersteigen.

Daß die Kantone belugt sind, ein Zinsmaximum für grundversicherte Forderungen aufzustellen, ist zwar allseitig zugegeben, aber die Einspruch erhebenden nidwaldenschen Gültenbesitzer erblicken in der Festsetzung eines Maximalzinsfuss von 4 °/o eine Beeinträchtigung v e r t r a g s m ä ß i g erworbener Rechte der Gültgläubiger z u m Vorteil d e r Gültenschuldner, eine Bereicherung Betrag, der, nur zzwanzigfacheneri Betrag kapitalisiert, den fünften Teil der Kapitalforderung ausmacht; besonders empfindlich trifft dieser Nachteil nach der Behauptung der Beschwerdeführer die Inhaber von Gülten, die vor dem 9. Mai 1751 errichtet worden sind, an welchem Tage dLandesgemeindende beschlossen hat, es sollen bei der Berechnung der vom Schuldner zur Entrichtung d G ü l t - ü l t z i n s e s angebotenen Münzsorten 2 0 Pfund = 2 Thaler o 4 1/2'/L> Luzerner Gulden gerechnet worden. Damit ist, wie in der sche schwerdeschrift des n ä d a r g e t h a n e t h a u wird, der Wert des
Pfundes für die Verzinsung der vor 1751 e r r i c h t e t ü l t e n i l t e 2 / 5 m 2/s herabgesetzt (von 15 Schilling auf 9,. d a L u z e r n e r e r n o r Gulden = 40 Schilling Bundesblatt. 48. Jahrg. Bd. II.

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war), und es trugen demzufolge diese Gülten in Wirklichkeit nur 3 anstatt 5 vom Hundert Zins. Nun sollen sie noch einmal mit einer Zinsreduktion getroffen werden.

Die Vertreter der Herren Jann und Konsorten finden in Absatz 2 des neuen Art. 15 eine verfassungswidrige Ungleichheit der Behandlung von Gläubiger und Schuldner, und sie fügen bei, daß der dem erstem zugefügte Nachteil nicht aufgewogen werde durch das ihm in Absatz 3 gewährte, aber von ihm keineswegs begehrte Kündigungsrecht.

Die in dieser Gestalt zur Erörterung gestellte Frage ist sowohl unter einem allgemeinen Gesichtspunkte, als mit besonderer Bezugnahme auf die Gültinhaber ins Auge zu fassen.

In allgemeinem Sinne muß gesagt \verden, daß Gläubiger und Schuldner zwei Kategorien von Personen sind, bei denen eine sehr wesentliche und erhebliche Ungleichheit der Rechtsstellung notwendig vorhanden ist : der eine hat zu fordern, der andere hat zu geben. Wenn nun vom Gesetze das Maß der Leistung des zweiten irgendwie vermindert wird, so muß der erste dies als einen Nachteil empfinden. Gläubiger und Schuldner sind zwei ungleichnamige Größen, die in einem solchen Gegensätze zu einander stehen, daß es schlechterdings unmöglich ist, beide durch eine und dieselbe Bestimmung oder Verfügung betreffend das Maß der Schuldforderung zu begünstigen.

Das Prinzip der Rechtsgleichheit kann daher im allgemeinen in dem von den Beschwerdeführern vertretenen Sinne hier nicht zur Geltung gebracht werden.

Diese Schlußfolgerung trifft ebenso genau für das Verhältnis von Gültinhabern zu ihren Schuldnern zu. Wenn die Schuldner infolge der Aufstellung eines Zinsmaximums von 4 °/o vom 11. November 1895 an den Gläubigern weniger Zins als bisher zu entrichten haben, so muß dies unvermeidlich den ersteren zum Vorteil, den letzteren zum Nachteil gereichen. Eine verfassungswidrige ungleiche Behandlung in gleicher Stellung befindlicher Personen aber liegt nicht vor.

Eine andere Frage ist es, ob die gesetzgebende Gewalt gut daran thue, dem Schuldner einen Vorteil zuzuwenden, ohne gleichzeitig dem Gläubiger ein entsprechendes Äquivalent zu gewähren.

Das ist aber eine von der Gesetzgebungspolitik zu lösende Frage, die uns hier nicht beschäftigen kann. Die Revisionsfreunde in Nidwaiden behaupten, daß durch die Einführung der Aufkündbarkeit dem Gläubiger voller Ersatz für die etwaige Zinseinbuße geboten werde ; die Revisionsgegner verneinen dies.

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Nach dem Gesagten steht fest, daß eine ungleiche Behandlung von Gläubiger und Schuldner, wie sie die Beschwerdeführer signalisieren , nicht als Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze aufgefaßt werden kann.

Dagegen müßte ein solcher Verstoß dann als vorhanden angenommen werden, wenn das Gesetz, in casu Art. 15 der Nidwaldner Verfassung, Bürger, die der gleichen Privatrechtskategorie angehören, Gläubiger oder Schuldner, ohne objektive Begründung, hei Gleichheit aller erheblichen thatsächlichen Verhältnisse ungleich behandeln würde.

Ist dies der Fall? -- Die Zinsbeschränkung des zweiten Absatzes von Art. 15 trifft nicht a l l e Gläubiger, sondern nur die Inhaber von solchen Gülten und kanzleiischen Versicherungen, die innert der jeweiligen amtlichen Würdigung des Pfandobjektes stehen.

Eine Ungleichheit in der Behandlung der Gläubiger und der Schuldner, je nachdem die Forderung den Charakter der Gült hat, beziehungsweise grundversichert ist, oder aber sich auf eine gewöhnliche Schuldverpflichtung stutzt, ist im Privatrechtssystom aller Staaten und so auch im eidgenössischen und kantonalen positiven Privatrechto anerkannt; sie ist thatsächlich wohlbegründet; denn sie hängt mit dem Immobiliarkredit, mit der staatlichen Sorge für Erhaltung bäuerlicher Heimwesen und Hebung dos landwirtschaftlichen Kreditwesens aui's engste zusammen. Der staatsrechtliche Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze wird dadurch nicht beeinträchtigt.

Daß aber die /insbeschränkung in Kidwaiden nur für die Gläubiger und Schuldner von solchen Gülten und kanzleiischen Versicherungen gelten soll, die innert der jeweiligen amtlichen Würdigung des Pfandobjektes stehen, rechtfertigt sich hinlänglich durch die größere Sicherheit, welche das Grundpfand in diesem Falle der Forderung des Gläubigers bietet.

Nun stellt aber der neue Verfassungsartikol die Xinsbeschränkung für a l l e Inhaber von Gülten und hypothekarischen Versicherungen, gleichviel ob sie vor oder nach 1751 errichtete Titel besitzen, ob sie bisher gemäß Vertrag mehr oder weniger als 4 °/o zu fordern hatten, auf. Er behandelt die ({laubiger ohne Rücksichtnahme auf die bisherige Ungleichheit ihrer Rechtsstellung gleich. Darin sehen die Beschwerdeführer wiederum einen Einbruch in den Verfassungsgrundsatz der Rechtsgleichheit der Bürger.

Allein ihr Standpunkt ist nicht als ein richtiger anzuerkennen.

Die Nidwaldner Verfassungsnovelle nivelliert, was bisher uneben war, sie legt sich dabei rückwirkende Kraft bei, indem sie auch die bereits bestehenden Gülten und Hypotheken (Versicherungen) erfaßt, sie schreitet über vorhandene Ungleichheiten hinweg -Mir Aufstellung einer und derselben Zinshöhe. Damit sündigt sie offenbar nicht gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit, sondern, wenn ihr ein Vorwurf gemacht werden kann -- was wir nicht zu untersuchen haben --, so ist es der, daß sie wohlbegründete, mit Art. 4 der Bundesverfassung verträgliche Ungleichheiten einfach beseitige, sogenannte wohlerworbene Rechte (jura quaesita) nicht berücksichtige. Kann sie das, ohne gegen Art. 4 der Bundesverfassung zu verstoßen?

So muß die Frage an die politische Bundesbehörde gestellt werden, wenn nicht ein fremdes Element in die Diskussion hineingetragen werden soll. Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein.

Wir haben bereits oben festgestellt, daß Art. 4 die Entstehung und den Bestand von Ungleichheiten, die sich als sogenannte wohlerworbene Rechte darstellen, nicht hindert. Ebensowenig aber, das ist die notwendige Folge, steht er, in negativer Richtung, der Beseitigung solcher Ungleichheiten entgegen. Die Nidwaldner Novelle ist ein Gesetz, kraft dessen, wie die Beschwerdeführer sagen, bestehende Privatrechte eine Einbuße an Vermögenswert erleiden. Wenn die Inhaber derselben auf Rechtsschutz Anspruch haben, so möge er ihnen zu teil werden. Allein es liegt, zumal in einem Föderativstaat, wie der unsrige, nicht in der Kompetenz und nicht in der Aufgabe der politischen Centralgewalt, dem kantonalen Gesetzgeber in einem solchen Falle in den Arm zu fallen.

Nach den vorstehenden Ausführungen wird es uns verstattet sein, in Bezug auf den übrigen von den Beschwerdeführern angefochtene Teil der Verfassungsnovelle uns kürzer zu fassen.

Der dritte Absatz des Art. 15 lautet: ,,Alle genannten (d. h.

die bestehenden und neu zu errichtenden, innerhalb der amtlichen Würdigung dos Pfandobjektes stehenden) Gülten und Versicherungen sind in ihrem Nennwerte gegen bar (Pfunde im Werte von 7 Pfund zu 3 Franken) vom Schuldner ablösbar und vom Gläubiger aufkündbar. a Gegen diese Bestimmungen werden die nämlichen grundsätzlichen Einwendungen aus dem Gesichtspunkte des Art. 4 der Bundesverfassung erhoben, wie gegen Absatz 2.

Die Ungleichheit
-- so sagen die Verfasser der Beschwerdeschrift -- tritt zu Tage einmal im Verhältnis dos Gläubigers zum Schuldner : dem erstem werden Rechte -- ohne entsprechenden Ersatz -- genommen, dem letztern Vorteile zugeschöpft. Nach dem

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bisherigen, durch Art. 15 der 1877er Kantonsverfassung ausdrücklich gewährleisteten Recht konnte eine Gült nur in der in ihrem Kontexte bedungenen Art, d. h. nur nach den vertragsmäßigen Bedingungen, abgelöst werden ; z. ß. bei Pfundbargeldgülton (deren Ablösung auf einmal und in bar bewirkt werden soll) mußton, wenn sie vor 1751 errichtet worden, für 1000 Pfund nach der althergebrachten Währung Fr. 714. 28 bezahlt werden (l Pfund = 15 Schilling; 40 Schilling [l Luzerner Gulden] = Fr. 1. 90; L Schilling = 4,75 Rappen n. W.; daher l Pfund = 71,25 Rappen und 7 Pfund = rund Fr. 5). Wenn nun aber gemäß der Verfassungsnovelle für die Kapitalablösung 7 Pfund zu li Franken berechnet werden sollen, nach dem Verhältnis, das ini Jahre 1715 für die V e r z i n s u n g festgesetzt wurde (20 Pfund = 4Va Luzerner Gulden = [4»/z X 40] 180 Schilling [statt 20 Pfund = 7 Va Luzerner Gulden = [7^ X 40] 300 Schilling]) oder 7 Pfund = rund 3 Franken (statt 7 Pfund = rund 5 Franken), so erleiden die Gültinhaber eine Einbuße von 2/s ihres Kapitals ; diese 2/5 gewinnt der Schuldner.

Sodann weisen die Beschwerdeführer hin auf das Verhältnis der Gläubiger unter einander.

Denjenigen, welche keine Gülten besitzen, wird nichts von ihrer Kapitalforderung weggenommen -- man ist beinahe vorsucht zu sagen : beati non possidentes ! --, den Gültinhabern aber wird eine Einbuße von 2/s zugemutet.

Unter den Gultenbesitzern selbst sind diejenigen, deren Titel auf eine Summe in neuer Schweizerwährung lautot (sogenannte ,,Frankengülten"), keinem Kapitalverlust ausgesetzt ; die Pfundgülteninhaber aber sollen eine Minderung ihres Kapitals um 2/5 sich gefallen lassen.

Eine fernere Ungleichheit /.wischen den Gültgläubigcrn, wiederum zum einseitigen Vorteil der Schuldner, wird dadurch herbeigeführt, daß nun alle Gülten g e g e n b a r ablösbar sein sollen, während vor und nach 1751 Gülten ,,bekannt1'- (errichtet) wurden, deren Ablösung zufolge der Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner in anderer Weise zu erfolgen hatte, namentlich ,,oinrüekige"1 Gülten, die mit einer Pfundbargeldgiilt -- in einem Kuck -- abzulösen waren, und ,,zwoirückigea Gülten, zu deren Ablösung es zweier Rucke bedurfte, indem dazu eine oinriiekige Gült verwendet werden mußte. Der Gläubiger hatte mithin das Recht, statt bares Geld ältere Gülten an /ahlungsstatt zu verlangen, die, namentlich ihrer beschränkten Ablösbarkeit wegen, einen hohen Kurswert hatten. Dieses Recht wird ihm nun genommen, d. h.

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sein Vertragsrecht wird gebrochen, während es gegenüber anderen, versicherten und unversicherten, Gläubigern anerkannt bleibt.

Man sieht, die Beschwerdeführer stellen sich auch gegenüber den Festsetzungen des dritten Absatzes von Art. 15 auf den Standpunkt der wohlerworbenen Rechte. Was sie ,,ungleiche Behandlung" von Gläubiger und Schuldner und eines Gläubigers im Vergleich zu einem ändern nennen, ist in Wirklichkeit die Herstellung einer absoluten Gleichheit der Gläubiger und der Schuldner in Bezug auf die Ablösbarkeit von Gülten ; man kann sagen : es wird durch den neuen Gültenartikel alles über einen Leisten geschlagen, ohne Rücksichtnahme auf bisheriges Recht, das in mehrfacher Beziehung Verschiedenheiten anerkannt hatte, und auf abweichende Vertragsverhältnisse. Es läßt sich gar nicht in Abrede stellen, daß durch solche Bestimmungen in das bestehende Civilrecht eingegriffen wird, wie ja überhaupt das ganze Gültenrecht civilrechtlicher Natur ist, und daß für einzelne Personen vermögensrechtliche Nachteile daraus resultieren können. Aber das Civilrocht teilt mit allen übrigen menschlichen Einrichtungen die Eigenschaft der Wandelbarkeit, und das geltende Civilrecht ist gegen Veränderungen, wie der Vorgang der Nidwaldner Revision vom 13. Oktober 1895 besonders scharf beweist, auch dann nicht gefeit, wenn ein Verfassungsartikel seinen Bestand gewährleistet. Denn auch das Verfassungsrecht ist wandelbar.

So sind denn in betreff der Einwände gegen Absatz 3 der Novelle ganz die nämlichen Bemerkungen und Berichtigungen anzubringen, wie in Bezug auf die Angriffe gegen Absatz 2.

Die politischen Behörden der Eidgenossenschaft müssen, wir wiederholen es, dahingestellt sein lassen, ob und inwiefern die zum Schütze von Art. 13 der Nidwaldner Verfassung (Unverletzlichkeit des Eigentums und der Rochtsamen) berufene Bundesbehörde oder der nach Art. 43 dieser Verfassung zum Schütze verletzter Privatrechte zuständige Richter in anderer Form vorzubringende Rechtsbogehren der Beschwerdeführer gegenüber dem neuen Art. 15 gutheißen werden.

Der vierte Absatz von Art. 15 hat keine verfassungsrechtliche Beanstandung erfahren. Derselbe bestätigt bisheriges Recht in Ansehung der a u ß e r der amtlichen Schätzung errichteten Gülten und Versicherungen, bei denen, ihrer geringern Sicherheit wegen, das Zinsmaximum von 4 %
nicht Anwendung finden soll und der Zinsfuß bis 5 °/o steigen darf, und die vom Schuldner abgelöst, aber vom Gläubiger nicht aufgekündet werden können. Es ist zu bemerken, daß der Verfassungsrat in offizieller Kundgebung

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(Antwort auf die Botschaft des Landrates) vom 9. Oktober 1895 erklärt hat, Absatz 4 wolle keineswegs etwa (wie der Wortlaut allerdings könnte vermuten lassen !) den Zinsfuß von 5 °/o für die außer der amtlichen Würdigung stehenden Hypotheken unabänderlich vorschreiben, sondern gleichfalls nur ein Zinsmaximum aufstellen.

Gegen die Übergangsbestimmung, gemäß welcher die neue Bestimmung mit dem 11. November 1895 in Kraft getreten, ist vom bundesrechtlichen Standpunkte aus nichts zu erinnern ; ebensowenig hinsichtlich der Prozeßvollmacht des Verfassungsrates für den Fall gerichtlicher Anfechtung des Revisionsbeschlusses.

Die zweite am 13. Oktober 1895 von der Nidwaldner Landesgemeinde angenommenen Verfassungsnovelle beschlägt Art. 86 der Kantonsverfassung. Die Revision besteht hier darin, daß das Volksbegehren einer Total- oder Partialrevision der Verfassung künftig von 400 stimmfähigen Kantonseinwohnern gestellt werden kann, während es bisher hierzu einer Eingabe von 800 stimmfähigen Kantonseinwohnern bedurfte. Die Ausübung des Volksrechtes ist also erheblich erleichtert worden. Dagegen ist selbstverständlich von Bundes wegen nichts einzuwenden.

Im Anschluß an die vorstehenden Erörterungen beehren wir uns, Ihnen, Tit., die Fassung des hiernach im Entwurfe vorgelegten Beschlusses zu beantragen, wodurch der Partialrevision der Verfassung des Kantons Nidwaiden vom 13. Oktober 1895 die Bundesgarantie erteilt werden soll.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 20. März 1896.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

A. Lachenal.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Riugier.

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Anhang.

Nidwaldner Verfassung vom 2. April 1877.

Art. 15.

Der Inhalt der gesetzlich errichteten Güllen (bezüglich der Verziosung im Sinne des Gesetzes von 1751) und der kanzleiischen Versicherungen ist mit Vorbehalt des Art, 50, Ziff. 17, gewährleistet. *)

*) Art. 00, Ziff. 17 : Er (der Kegiernngsrat) erteilt die Bewilligung für Land an statisch bezüglich Hypothekarverhältnisse.

Revision vom 13. Oktober 1895.

Art. 15.

Das Hypothekarwesen des Kantons wird durch die staatliche Gesetzgebung geregelt.

Der Zinsfuß für alle bestehenden und neu zu errichtenden Gülten und kanzleiischen Versicherungen innert der jeweiligen amtlichen Würdigung des Pfandobjektes darf 4 % in keinerlei Form übersteigen.

Alle genannten Gülten und Versicherungen sind in ihrem Nennwerte gegen bar (Pfunde im Werte von 7 Pfd. zu 3 Fr.) vom Schuldner ablösbar und vom Gläubiger aufkündbar.

Der Zinsfuß für die außer der jeweiligen amtlichen Schätzung errichteten Gülten und Versicherungen beträgt, wie bisher, 5 °/o ; diese Gülten können, wie bisher, vom Schuldner abgelöst, aber vom Gläubiger nicht aufgekündet werden.

Übergangsbestimmung (zu Art. 15).

Dieser Artikel tritt mit dem 11. November 1895 in Kraft.

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Sollte derselbe nach seiner Annahme durch die Landesgemeinde von irgend einer Seite rechtlich angefochten werden, so wird der jetzige Verfassungsrat mit der bezüglichen Prozeßführung beauftragt.

Art. 86.

Wenn der Landrat, oder wenn 800 stimmfähige Kantonseinwohner unter Beobachtung der in Art. 41 enthaltenen Vorschriften das Verlangen einer Total- oder Partialrevision stellen, so ist das Revisionsbegehren der nächsten ordentlichen Landesgemeinde zum Entscheide vorzulegen.

Beim Verlangen einer Partialrevision sind die zu revidierenden -Artikel genau zu bezeichnen.

Art. 86.

Wenn der Landrat; oder wenn 400 stimmfähige Kantonseinwohner unter Beobachtung der in Art. 41 enthaltenen Vorschriften das Verlangen einer Total- oder Partialrevision stellen, so ist das Revisionsbegehren der nächsten ordentlichen Landesgemeinde zum Entscheide vorzulegen Beim Verlangen einer Partialrevision sind die zu revidierenden Artikel genau zu bezeichnen.

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(Entwurf.)

Bnndesbeschluß betreffend

die Gewährleistung der Partialrevision der Verfassung des Kantons Unterwaiden nid dem Wald vom 13. Oktober 1895 (Art. 15 und 86 der Verfassung vom 2. April 1877).

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft und des Antrages des ßundesrates vom 20. März 1896, in Betracht: daß die neuen Bestimmungen der Verfassung des Kantons Unterwaiden nid dem Wald, Art. 15 (Hypothekargesetzgebung und Gültenrecht) und Art. 86 (Volksrecht betreffend das Verlangen einer Total- oder Partialrevision der Kantonsverfassung), nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten ; daß sie in der Volksabstimmung an der außerordentlichen Landesgemeinde vom 13. Oktober 1895 von der absoluten Mehrheit der stimmenden Bürger angenommen worden sind ; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschließt: 1. Den erwähnten Verfassungsbestimmungen wird die Bundesgarantie erteilt.

2. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die eidgenössische Gewährleistung einer Partialrevision der Verfassung des Kantons Unterwalden nid dem Wald, vom 13. Oktober 1895. (Vom 20. März 1896.)

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1896

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13

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25.03.1896

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