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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines dringlichen Bundesbeschlusses über die Versorgung des Landes mit elektrischer Energie (Vom 4. März 1963)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren!

Der Verbrauch elektrischer Energie nimmt andauernd zu. In der Schweiz hat er sich seit 1950 verdoppelt. Durchschnittlich erhöht er sich um 5,8 Prozent im Jahr. Mengenmässig hat sich somit auch die jährliche Zunahme seit 1950 verdoppelt. Zurzeit erhöht sich der Bedarf an elektrischer Energie pro Jahr um ungefähr 1,2 Milliarden Kilowattstunden (kWh).

Die Elektrizitätsunternehmungen machen grosse Anstrengungen, um dem Bedürfnis nach elektrischem Strom genügen zu können. So wurden die jährlichen Investitionen für den Bau neuer Kraftwerke und den Ausbau des Übertragungsund Verteilnetzes von 1950 bis 1961 von 280 auf 980 Millionen Franken gesteigert. Trotz diesem Mehreinsatz von finanziellen Mitteln vermag aber die Erzeugung der einheimischen Werke seit ungefähr 1949/50 den Bedarf im Winterhalbjahr nur zu decken, wenn die hydrologischen Verhältnisse wenigstens den langjährigen Durchschnitt erreichen. Bei ungenügender Produktion der Werke muss die Differenz zwischen der zur Verfügung stehenden und der benötigten Energiemenge durch Bezüge aus dem Ausland gedeckt werden. Die nachfolgende Aufstellung der Fehlbeträge und Überschüsse an elektrischer Energie in den Winterhalbjahren 1949/50 bis 1962/68 zeigt deutlich die andauernde Disharmonie zwischen der Produktion, wie sie sich aus den im Betrieb stehenden Werken und den Zuflüssen ergibt, auf der einen Seite und dem Verbrauch auf der andern Seite. Letzterer ist mit dem Bedarf identisch, da der Verbrauch in der Schweiz (mit Ausnahme des Monats März 1956) keinen Beschränkungen unterliegt. Im Sommerhalbjahr ist die Produktion dagegen regelmässig wesentlich grösser als der Bedarf.

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Fehlbeträge und Überschüsse an elektrischer Energie in dm Winterhalbjahren 1949/50 bis 1962/63 Einfuhrüberschuss1) Ausfuhrüberschusss) Einfuhrüberschuss*) Äusfuhrüberschuss2; in Millionen kWh in Prozenten des Landesverbrauchs

1949/50 1950/51 1951/52 1952/58 1953/54 1954/55 1955/56 1956/57 1957/58 1958/59 1959/60 1960/61 1961/62 1962/68

118 39 121

2,7 0,7 2,1

41 543

0,7 8,9

119

1,8

11,0 6,3 10,3

756 467 783 422 959 864 238 rund 1400 für fünf Monate März 100-500

5,2

11,2 9,3 2,5 rund 15,5 für fünf Monate März ...

Am I.Oktober 1962 waren die Aussichten für das Winterhalbjahr 1962/63 normal. Der Bedarf während der sechs Wintermonate konnte auf 10 bis 10,6 Milliarden kWh geschätzt werden. Die Eeserven in den Speicherbecken, die für die Zeit bis zum 31.März verfügbar waren, betrugen 4,3 Milliarden kWh. Aus den natürlichen Zuflüssen, die stark vom Wetter abhängen, war eine Produktion von 4,5 bis 7,5 Milliarden kWh zu erwarten. Unter Einbezug einer eigenen thermischen Erzeugung von rund 0,2 Milliarden kWh war für den Winter im günstigsten Fall mit einem Energieüberschuss von 1,9 Milliarden kWh und im Falle ausserordentlich schlechter hydrologischer Verhältnisse und einer sehr starken Konsumzunahme mit einem Energiemanko von höchstens 1,6 Milliarden kWh zu rechnen. Von allen denkbaren Fällen ist nun der schlimmste eingetreten. Der Verbrauch, der im Vergleich zum Vorwinter um 9 bis 10 (ja während einiger Wochen um 20) Prozent zugenommen hat, hat das in Eechnung gestellte Maximum erreicht. Anderseits ist die Produktion auf Grund der natürlichen Zuflüsse unter das Niveau gefallen, das gestützt auf die ausserordentlich trockenen Winter 1920/21 und 1948/49 als ein Minimum angesehen wurde. (Für die Zeit von Oktober 1962 bis Februar 1963 hat der Wasserstand des Eheins bei Eheinfelden nur 50 Prozent des langjährigen Mittels betragen gegenüber 60 Prozent in den entsprechenden Monaten der Winter 1920/21 und 1948/49.)

Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland, die ihren Bedarf zu 50 resp. 90 Prozent durch thermische Kraftwerke decken, haben uns soweit als irgendwie möglich ausgeholfen. Diese Länder sahen sich jedoch selbst x ) 2

D. h. Einfuhr abzüglich Ausfuhr.

) D. h. Ausfuhr abzüglich Einfuhr.

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einer Steigerung des Konsums gegenüber, die bis zu 20 Prozent betrug. Überdies, war wegen -des starken Frostes die Versorgung der thermischen Werke mit Brennstoff sowohl auf dem Wasser- wie auf dem Schienenweg stark behindert.

Bis Ende Februar 1963 haben uns die genannten Länder zirka l,4 Milliarden kWh geliefert.

Im März und in dem bereits zum Sommerhalbjahr zählenden Monat April kann sich die Lage rasch bessern, sofern die hydrologischen Verhältnisse sich normalisieren. Wenn diese jedoch weiterhin ungünstig bleiben, kann die Produktion im März bis 0,5 und im April bis 0,4 Milliarden kWh unter dem Bedarf liegen. Es würden uns somit 16 Millionen kWh durchschnittlich im Tag mangeln, um die gesamte Nachfrage zu befriedigen.

Gegenwärtig, d.h. Ende Februar/anfangs März, erhalten wir von unsern ausländischen Lieferanten 20 Millionen kWh täglich. Wenn die Lieferungen in diesem Ausmass aufrecht erhalten werden können, bildet die Übergangszeit zum Somrnerhalbjahr kein unüberwindliches Problem. Leider kann unsere Versorgung aber durch allfällige Störungen im Ausland wie Streiks im Elektrizitäts-, Kohle- oder Transportsektor, Maschinen- oder Leitungsdefekte ernsthaft beeinträchtigt werden. Würde ein grosser Teil der Einfuhren plötzlich ausfallen, müssten die Speicherwerke Energiemengen liefern, die in keinem Verhältnis zum gegenwärtigen Inhalt ihrer Stauseen stehen. Diese würden sich daher vorzeitig entleeren. Die täglichen Bedarfsspitzen könnten alsdann nicht mehr gedeckt werden, und man müsste zu sehr einschneidenden Stromsperren Zuflucht nehmen, um die Netzspannung aufrecht erhalten zu können.

Um eine solche Situation zu verhindern, müssen Massnahmen vorbereitet werden, die es ermöglichen, den Verbrauch so rasch als möglich einzuschränken, falls die Einfuhren einen Unterbruch erleiden sollten. Wir erachten es als unerlässlich, einer zentralen Instanz die Kompetenz zu übertragen, einen Ausgleich zwischen Nachfrage und Angebot in der Stromversorgung herbeizuführen.

Artikel 24bls, letzter Absatz der Bundesverfassung erlaubt es dem Bund, Vorschriften über die Abgabe von elektrischer Energie zu erlassen. Er bildet damit die verfassungsmässige Grundlage für die vorgeschlagene Massnahme.

Er lautet : «Der Bund ist befugt, gesetzliche Bestimmungen über die Fortleitung und die Abgabe der elektrischen Energie
zu erlassen.» Auf Grund dieser Bestimmung wurden bereits in den Jahren 1921,1925 und 1955 analoge dringliche BundesbeschlüSse gefasst.

Das Post- und Eisenbahndepartement, welches sich mit den Fragen betreffend die Wasser- und Energie Wirtschaft zu befassen hat, wäre zu ermächtigen, die notwendigen Massnahmen anzuordnen. Die Durchführung könnte an das Amt für Energiewirtschaft oder - wenn sich solche Einschränkungen nur für gewisse Gegenden aufdrängen - an die betreffenden Elektrizitätswerke delegiert werden.

Der Bundesbeschluss wäre bis zum 31. Mai 1963 zu befristen.

405 Wir beantragen Ihnen, den angefügten Entwurf eines Bundesbeschlusses zu genehmigen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 4.März 1963.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Spühler Der Bundeskanzler : Ch. Oser

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(Entwurf)

Bundesbeschluss über

die Versorgung des Landes mit elektrischer Energie im Falle von Knappheit

Die Bundesversammlung der Schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , gestützt auf Artikel 24bis, Absatz 9 der Bundesverfassung, in Anwendung von Artikel 89bls, Absatz l der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 4. März 1963, beschliesst :

Art. l Das Post- und Eisenbahndepartement wird ermächtigt, alle erforderlichen Anordnungen zu treffen, die geeignet sind, den Verbrauch elektrischer Energie der verfügbaren Menge anzupassen, sofern die auf hydraulischem und kalorischem Wege erzeugbare und die eingeführte Energie zur Deckung des Bedarfes nicht mehr ausreichen.

Es kann insbesondere auch Elektrizitätswerke zu Energielieferungen an Dritte, zu gegenseitigen Aushilfslieferungen, zum Transit sowie zum Abtausch von elektrischer Energie verpflichten.

Art. 2 Die Verbrauchseinschränkungen sind so durchzuführen, dass eine die allgemeinen Interessen des Landes möglichst wahrende Verteilung der elektrischen Energie gesichert bleibt.

Art. 3 Werden auf Grund dieses Beschlusses Einschränkungen durchgeführt, so haben die Werke Minimalgarantien, Pauschalbeträge oder Staffeltarife im Verhältnis von Zeit und Umfang der Einschränkungen herabzusetzen.

Im Streitfall entscheidet der ordentliche Eichter.

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Art. 4 Widerhandlungen gegen die auf Grund dieses Bundesbeschlusses getroffenen Anordnungen werden mit Busse bis 20 000 Franken bestraft. Strafbar ist auch die fahrlässige Begehung.

Die Beurteilung und Verfolgung der Übertretungen liegt den Kantonen ob.

Unabhängig vom Strafverfahren kann der Widerhandelnde ganz oder teilweise von der Belieferung mit elektrischer Energie ausgeschlossen werden.

Art. 5 Werden die Widerhandlungen im Geschäftsbetrieb einer juristischen Person, einer Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft oder einer Einzelfirma begangen, so finden die Strafbestimmungen auf diejenigen Personen Anwendung, die für sie gehandelt haben oder hätten handeln sollen, jedoch unter solidarischer Mithaftung der juristischen Person, der Gesellschaft oder des Inhabers der Einzelfirma für Busse und Kosten, sofern die verantwortliche Geschäftsleitung nicht nachweist, dass sie alle erforderliche Sorgfalt angewendet hat, um die Einhaltung der Vorschriften durch die genannten Personen zu bewirken. Das gilt sinngemäss auch für Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Eechts.

Art. 6 Das Post- und Eisenbahndepartement kann mit dem Vollzug der von ihm erlassenen Vorschriften das Amt für Energiewirtschaft oder die Elektrizitätswerke beauftragen.

Die Kantone und die zuständigen Organisationen der Wirtschaft können zur Mitarbeit herangezogen werden.

Art. 7 Dieser Bundesbeschluss wird als dringlich erklärt. Er tritt am in Kraft und gilt bis 31.Mai 1963.

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1968

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

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07.03.1963

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