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Ablauf der Referendumsfrist: 10. April 1963

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Bundesbeschluss über

die in der Schweiz befindlichen Vermögen rassisch, religiös oder politisch verfolgter Ausländer oder Staatenloser (Vom 20. Dezember 1962)

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der Schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , gestützt auf Artikel 64 und 64bis der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 4. Mai 19621), beschliesst :

Art. l In der Schweiz befindliche Vermögenswerte irgendwelcher Art, deren letztbekannte Eigentümer ausländische Staatsangehörige oder Staatenlose "sind, von denen seit dem 9.Mai 1945 zuverlässige Nachrichten fehlen und von denen man weiss oder vermutet, dass sie Opfer rassischer, religiöser oder politischer Verfolgung wurden, sind innert sechs Monaten nach Inkrafttreten dieses Beschlusses einer vom Bundesrat zu bestimmenden Stelle (Meldestelle) unter Angabe aller seit dem Verschwinden oder der nacbrichtenlosen Abwesenheit des Eigentümers eingetretenen Veränderungen anzumelden.

2 Schrankfächer, in denen sich anmeldepflichtige Vermögenswerte oder deren Feststellung dienende Papiere befinden können, sind zu öffnen.

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Art. 2 Vermögenswerte im Sinne des Artikels l sind insbesondere: a. Guthaben in schweizerischer und ausländischer Währung, Forderungen, Banknoten und andere Zahlungsmittel, Gold und andere Edelmetalle, *) BEI 1962, I, 933.

24 Wertgegenstände, Wertpapiere, Waren und Warenlager, Fahrhabe, Sammlungen, auch wenn sich die Vermögenswerte in offenen oder geschlossenen Depots oder in Schrankfächern befinden ; fe. Beteiligungen aller Art, Immobilien, Patentrechte, Markenrechte, Urheberrechte, Konzessionen, Eenten, Pensionen, fällige Versicherungsansprüche.

Versicherungsansprüche, die erst später fällig werden, sind innert sechs Monaten nach Fälligkeit anzumelden ; c. irgendwelche Eechte oder wirtschaftliche Interessen an solchen Vermögenswerten oder aus Verträgen über solche Vermögenswerte, wie zum Beispiel Nutzniessungsrechte und sonstige Dienstbarkeiten, Pfandrechte, Vorund Eückkaufsrechte, Optionen.

Art. 3 1

Zur Anmeldung sind verpflichtet : a. natürliche und juristische Personen, Handelsgesellschaften und Personengemeinschaften, die derartige Vermögenswerte verwalten oder besitzen, in Gewahrsam haben oder beaufsichtigen; è. Behörden, die von solchen Werten Kenntnis haben ; c. Schuldner von Forderungen, die einer der in Artikel l genannten Personen zustehen.

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Bei der Anmeldung der Vermögenswerte hat der Meldepflichtige alle ihm bekannten Tatsachen anzugeben, die dazu dienen könnten, die Identität, den Wohnsitz oder Aufenthalt und das Schicksal des Eigentümers sowie seiner Eechtsnachfolger oder Vertreter festzustellen.

Art. 4 a 1 Bestehen Zweifel über die Meldepflicht, so ist der Fall der Meldestelle zum Entscheid zu unterbreiten.

2 Hinderung oder Stillstand der Verjährung einer Forderung ist auch dann eingetreten, wenn der Gläubiger diese wegen höherer Gewalt, insbesondere wegen rassischer, politischer oder religiöser Verfolgung, nicht rechtzeitig geltend machen konnte.

Art. 5 1 Die Meldestelle nimmt ein Verzeichnis der angemeldeten Vermögenswerte auf und beantragt für diese bei der Vormundschaftsbehörde des Ortes, wo das Hauptvermögen liegt, die Bestellung eines Verwaltungsbeistandes. Als solcher kann durch die Vormundschaftsbehörde ein vom Bundesrat bestimmter Generalbeistand ernannt werden.

2 Der Beistand untersucht unter Mitwirkung der Meldestelle, was bereits zur Feststellung des Aufenthaltes oder des Schicksals des Vermögenseigentümers sowie seiner Eechtsnachfolger oder Vertreter vorgekehrt wurde, und

25 trifft oder veranlasst nötigenfalls neue Massnahmen, insbesondere Bekanntmachungen. Letztere sind jedoch zu unterlassen, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass dadurch den gesuchten Personen Unannehmlichkeiten entstehen würden. Die Bekanntmachungen dürfen unter keinen Umständen Angaben irgendwelcher Art über die angemeldeten oder sonstwie festgestellten Vermögenswerte enthalten.

Art. 6 Jedermann ist verpflichtet, der Meldestelle, der Vormundschaftsbehörde und dem Beistand die zur Abklärung der Vermögensverhältnisse des verschwundenen oder abwesenden Eigentümers erforderlichen Auskünfte zu erteilen.

Art. 7 1

Die Pflicht -zur Anmeldung bei der Meldestelle und zur Auskunfterteilung geht jeder Geheimhaltungspflicht, insbesondere der Banken, Versicherungsgesellschaften, Treuhandgesellschaften, Bechtsanwälte, Notare, Rechtskonsulenten, vor.

2 Die Meldestelle, der Beistand und die Vormundschaftsbehörde dürfen Auskünfte über die Verhältnisse des verschwundenen Eigentümers nur seinen Bechtsnachfolgern oder deren Bevollmächtigten erteilen. Aus besonderen Gründen können Privatpersonen summarische Auskünfte über das Vorhandensein von Vermögenswerten gemacht werden, wenn diese Privatpersonen ihre Erbberechtigung glaubhaft machen.

Art. 8 Sind zwei Jahre nach Bestellung des Beistandes weder der ursprüngliche Eigentümer noch dessen Bechtsnachfolger aufgefunden, so ist, ungeachtet allfälliger weiterer Massnahmen im Sinne von Artikel 5, ohne Verzug das Verfahren zur Verschollenerklärung des Eigentümers mit Wirkung auf das in der Schweiz befindliche Vermögen einzuleiten. Das Gesuch hiefür ist von der Vormundschaftsbehörde, die den Beistand bestellte, oder von Personen, die aus dem Tode des Verschwundenen oder Abwesenden Rechte ableiten, beim Richter des Ortes, wo die Beistandschaft errichtet wurde, zu stellen.

2 War der Eigentümer in der Schweiz wohnhaft, so ist der Antrag zur Verschollenerklärung beim Richter seines letzten schweizerischen Wohnsitzes zu stellen.

3 Das Verschollenheitsverfahren ist nicht durchzuführen, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass den gesuchten Personen dadurch Unannehmlichkeiten entstehen.

Art. 9 Steht der Tod des Vermögenseigentümers fest oder wurde dieser von einer zuständigen Behörde verschollen oder tot erklärt, so ist am Ort, wo die Bei1

26 standschaft für sein Vermögen errichtet wurde, der Erbgang zu eröffnen. Dieser beschränkt sich auf die in der Schweiz befindlichen Vermögenswerte.

Art. 10 Können Ansprecher ihre Erbberechtigung nur glaubhaft machen, weil die zum sichern Beweis erforderlichen Urkunden infolge des Krieges oder von Gewaltakten vernichtet wurden oder verlorengingen oder weil zuverlässige Ausweise infolge politischer Verhältnisse nicht erhältlich sind, so ist die Erbschaft nur auf Grund eines Beschlusses der dem Beistand vorgesetzten Vormundschaftsbehörde oder, wenn ein Kanton mit zwei vormundschaftlichen Aufsichtsinstanzen es so anordnet, nach Beschluss der Aufsichtsbehörde erster Instanz auszuhändigen. Der Beschluss kann an die höheren vormundschaftlichen Behörden weitergezogen werden.

Art. 11 Leistungen gemäss diesem Beschluss erfolgen für den Meldepflichtigen mit befreiender Wirkung.

2 Der Bund haftet dem Meldepflichtigen und einem sich unverschuldet später meldenden Besserberechtigten gegenüber für einen aus diesen Leistungen entstehenden Schaden. Dabei findet zunächst das in Artikel 12, Absatz l, genannte Fondszehntel Verwendung.

Art. 12 1

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Hinterlässt der Eigentümer eines angemeldeten Vermögens keinen gesetzlichen Privaterben und hat er auch keine Verfügung von Todes wegen getroffen, so fällt seine Erbschaft an einen vom Bundesrat zu schaffenden Fonds. Die Verwendung dieses Fonds wird durch einen der Herkunft der ihm einverleibten Gelder Kechnung tragenden einfachen Bundesbeschluss geregelt. Ein Zehntel des Fonds dient der Befriedigung nachträglicher Eückerstattungsansprüche.

2 Meldet sich der verschollen oder tot Erklärte oder sein Eechtsnachfolger oder Vertreter innert fünf Jahren, nachdem das Vermögen dem Fonds überwiesen wurde, so ist der überwiesene Betrag ungeachtet der Geltungsdauer des vorliegenden Bundesbeschlusses dem Ansprecher zinslos zurückzuerstatten.

Dabei ist Artikel 10 sinngemäss anzuwenden.

Art. 13 Wer die nach diesem Erlass bestehende Anmeldepflicht nicht oder nicht vollständig erfüllt, wer falsche Angaben macht, wer die zur Durchführung dieses Erlasses getroffenen Massnahmen durch Auskunftsverweigerung oder durch Erteilung falscher oder unvollständiger Auskünfte oder sonstwie hindert oder zu hindern versucht, wird mit Busse bis zu 10 000 Franken oder Haft bestraft.

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27 2 Versuch oder Gehilfenschaft sind strafbar. Die Strafverfolgung verjährt in fünf Jahren.

3 Werden die Widerhandlungen im Geschäftsbetrieb einer juristischen Person, einer Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft oder einer Einzelfirma begangen, so finden die Strafbestimmungen auf die Personen Anwendung, die für sie gehandelt haben oder hätten handeln sollen, jedoch unter solidarischer Mithaftung der juristischen Person, der Gesellschaft oder des Inhabers der Einzelfirma für Busse und Kosten, sofern die verantwortliche Geschäftsleitung nicht nachweist, dass sie alle erforderliche Sorgfalt angewendet hat, um die Einhaltung der Vorschriften durch die genannten Personen zu bewirken.

4 Die Strafverfolgung auf Grund der besondern Bestimmungen des Schweizerischen Strafgesetzbuches bleibt vorbehalten.

Art. 14 Die Verfolgung und die Beurteilung der Widerhandlungen gegen diesen Beschluss liegen den kantonalen Behörden ob.

Art. 15 Soweit nicht Staatsverträge besondere Bestimmungen enthalten, findet ,bei der Durchführung dieses Bundesbeschlusses das interne schweizerische Eecht Anwendung.

Art. 16 Der Bundesrat erlässt die erforderlichen Ausführungsbestimmungen.

2 Dieser Beschluss ist gemäss Artikel 3 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse zu veröffentlichen.

3 Der Bundesrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesbeschlusses, dessen Geltungsdauer, unter Vorbehalt von Artikel 12, Absatz 2, auf zehn Jahre befristet ist.

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Also beschlossen vom Nationalrat, Bern, den 20.Dezember 1962.

Der Präsident : André Guinand Der Protokollführer: Ch. Oser

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Also beschlossen vom Ständerat, Bern, den 20.Dezember 1962.

Der Präsident : F. Fauquex Der Protokollführer: F.Weber

Der Schweizerische B u n d e s r a t

beschliesst:

Der vorstehende Bundesbeschluss ist gemäss Artikel 89, Absatz 2 der Bundesverfassung und Artikel 8 des Bundesgesetzes vom 17.Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse zu veröffentlichen.

Bern, den 20.Dezember 1962.

Im Auftrag des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundeskanzler : Ch. Oser 6342

Datum der Veröffentlichung: 10. Januar 1963 Ablauf der Referendumsfrist : 10. April 1963

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesbeschluss über die in der Schweiz befindlichen Vermögen rassisch, religiös oder politisch verfolgter Ausländer oder Staatenloser (Vom 20. Dezember 1962)

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1963

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10.01.1963

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