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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zu den beiden Initiativen des Kantons Genf betreffend die Revision der Militärversicherung.

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(Vom 18. Oktober 1946.).

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Herr Präsident!

Sehr geehrte Herren!

Der Staatsrat des Kantons Genf hatte uns am 7. Mai 1946 zuhanden der eidgenössischen Eäte 2 Beschlüsse des Genfer Grossen Eates vorn 16. März 1946 zugestellt. In einem Beschluss wird der Staatsrat des Kantons Genf eingeladen, den eidgenössischen Bäten gestützt auf Art. 93, Abs. 2, der Bundesverfassung das Begehren zu unterbreiten: Der Bundesrat sei einzuladen, .den beiden Bäten bis zum 31. Dezember 1946 einen Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Militärversicherung vorzulegen, welches das geltende Gesetz ersetzen soll. Dabei Verden in 8 genau umschriebenen Punkten Direktiven gegeben, die berücksichtigt werden.sollen. Im andern Beschluss wird gestützt auf die Art. 85, 93, 118 und -121 der Bundesverfassung eine Teilrevision der Bundesverfassung verlangt in dem Sinne, dass Abs. 2 des Art. 18 der Bundesverfassung aufgehoben und durch einen neuen Art. 18Ws folgenden Inhaltes ersetzt werde: .

Art. .Z#Ms. Der Bund versichert die Militärpersonen und ihre Familien gegen die wirtschaftlichen Folgen von Unfällen und Krankheiten, die im Dienst vorkommen, sowie von Krankheiten, die während des Dienstes sich verschlimmern oder durch den Dienst verschlimmert werden, Kriegszeit inbegriffen.

Wir haben die Ehre, Ihnen mit diesem Bericht die Stellungnahme des Bundesrates zu diesen beiden Begehren des Kantons Genf zu unterbreiten, die durch die Beschlüsse des Nationalrates vom 3. Juni und des Ständerates vom 5. Juni 1946 einverlangt wurde.

1. Beim «Arrêté législatif concernant la réforme de l'assurance militaire» handelt es sich um eine Gesetzesinitiative im Sinne von Art. 93, Abs. 2, der Bundesverfassung, der den Kantonen auf dem Korrespondenzweg das gleiche

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Vorschlagsrecht gibt wie den Mitgliedern der beiden eidgenössischen Bäte.

Diese Initiative ist inhaltlich eine Motion und muss daher als solche behandelt werden. Eine Verpflichtung des Bundesrates zur Ausarbeitung eines Entwurfes entsteht nicht schon mit der Einreichung einer solchen Initiative, sondern erst durch die zustimmenden Beschlüsse beider Eäte. Nach Art. 49 des Geschäftsreglementes :des Nationalrates vom 4. April 1946 (in Übereinstimmung mit demjenigen des Ständerates Art. 85) werden Vorschläge der Kantone erst nach Eingang eines Berichtes des Bundesrates behandelt. Der Bundesrat hat sich daher, da kein formulierter Gesetzesvorschlag vorliegt, vorläufig nur zur Frage der Erheblicherklärung der Motion zu äussern.

Wie wir Ihnen in unseren Geschäftsberichten zu den Jahren 1944 und 1945 schon mitgeteilt haben, sind die Vorarbeiten für die Totalrevision des Militärversicherungsgesetzes 1901 vom eidgenössischen Militärdepartement schon lange an die Hand genommen worden. Die Ende 1944 ernannte Expertenkommission hat ihre Arbeit kürzlich mit der Erstattung eines Schlussberichtes zum Abschluss gebracht. Nachdem auf Anregung dieser Expertenkommission durch den Vollmachtenbeschluss vom 27. April 1945 betreffend die Teilrevision des Militärversicherungsrechtes den dringlichsten Postulaten Eechnung getragen worden war, hatte diese Kommission davon abgesehen, einen Entwurf für ein neues Militärversicherungsgqsetz auszuarbeiten: sie hatte sich vielmehr darauf beschränkt, die grundsätzlichen Fragen und die mannigfaltigen Begehren, die- gestellt worden waren, durchzuberaten und ihre Vorschläge zu machen, die nach ihrer Meinung in einem neuen Militärversicherungsgesetz berücksichtigt werden sollten. Der Bundesrat wird auf Grund :des Schlussberichtes der Expertenkommission nunmehr die allgemeinen Eichtlinien festlegen, auf denen der neue Gesetzesentwurf aufgebaut werden soll. Mit der Eedaktion des Entwurfes soll alsdann unverzüglich begonnen werden. Die Forderungen, die an ein neues Gesetz von allen Seiten gestellt werden, sind so zahlreich und zum Teil so verschieden, dass mit Eücksicht auf die grosse Bedeutung der Vorlage ein gründliches Abwägen nötig ist und die Ausarbeitung des Entwurfes ihre Zeit erfordert. Es ist daher ganz ausgeschlossen, dass der Bundesrat bis 31. Dezember 1946 den eidgenössischen
Eäten schon seinen Entwurf vorlegen kann. Was die 8 Punkte anbetrifft, welche das; Genfer Begehren berücksichtigt haben möchte, so werden sie zum Teil ihre Berücksichtigung finden, zum andern Teil aber nicht, weil sie nach unserer Auffassung zu weit gehen. Es wird dann Sache der Vertreter des Kantons Genf in den eidgenössischen Eäten sein, bei Behandlung der Gesetzesvorlage gegebenenfalls auf die Wünsche ihres Kantons zurückzukommen. Es ist unser Bestreben, die Vorlage eines neuen Gesetzesentwurfes nach Möglichkeit zu fördern und darin von den gestellten Begehren zu berücksichtigen, was wir nach den von uns aufgestellten Grundsätzen und Eichtlinien glauben verantworten zu können.

· . ..

Bei dieser Sachlage beehren wir uns, Ihnen die Ablehnung dieser Initiative des Kantons Genf zu beantragen.

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2. Beim «Arrêté législatif demandant aux Chambres fédérales la suppression du 2e alinéa de l'article 18 de la constitution fédérale et son remplacement par un article 18Ms» handelt es sich um einen formulierten Vorschlag betreffend die Eevision der Bundesverfassung. Ein solcher Vorschlag kann gemäss Art. .98 der Bundesverfassung von jedem Eat und von jedem Eatsmitglied sowie von jedem Kanton1 gemacht werden. Nach Art. 121, Abs. l, der Bundesverfassung kann eine Partialrevision der Bundesverfassung auf dem Wege der Bundesgesetzgebung vorgenommen werden. Die vom Kanton Genf im Sinne von Art. 93 der Bundesverfassung ergriffene Initiative kann daher auch eine Partialrevision der Bundesverfassung zum Gegenstand haben. Es erhebt sich aber die Frage, ob für die Einführung weitergehender Leistungen des Bundes an die Versicherten, als Art. 18, AI. 2, der Bundesverfassung sie vorschreibt, eine Eevision der Verfassung überhaupt nötig sei. Hierzu stellen wir folgendes fest : : · Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung lautet: «Wehrmänner, welche infolge des eidgenössischen Militärdienstes ihr Leben verlieren oder dauernd Schaden an ihrer Gesundheit erleiden, haben für sich oder ihre Familien im Falle des Bedürfnisses Anspruch auf Unterstützung des Bundes.» Wie aus diesem Wortlaut unzweideutig hervorgeht, will diese Bestimmung dem Wehrmann einen Anspruch nur «im Falle des Bedürfnisses» geben. Sie beschränkt die Leistungen des Bundes auch auf die Fälle von Tod eines Wehrmannes oder von Invalidität. Nur in diesem Eahmen verpflichtet sie den Bund zum. Erlass gesetzlicher Vorschriften. Ein Militärversicherungsgesetz, das seine Leistungen nicht von der Bedürftigkeit des Ansprechers abhängig macht, und das neben Invaliden- und Hinterlassenenpensionen auch die Übernahme der Behandlungskosten und Verdienstausfallentschädigung während der Behandlungszeit vorsieht, wird durch diese Bestimmung des Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung nicht gedeckt. Schon das Militärversicherungsgesetz vom 28. Juni 1901. wie dasjenige vom 23. Dezember 1914 gingen also über diesen Eahmen hinaus.

Darüber kann kein Zweifel bestehen (vgl. Burckhardt, Kommentar. S. 140; Eoullet, Eeferat im Schweiz. Juristenverein ZschwE 1942, S. 239 ff.). Ein neues Militärversicherungsgesetz wird in seinen Leistungen nicht hinter den Gesetzen von 1901 und 1914
zurückstehen können. Es muss daher als feststehend angenommen werden, dass Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung in seiner heutigen Fassung als verfassungsmässige Grundlage für ein solches Gesetz allein nicht genügt. Wir müssen auch den Gedanken ablehnen, dass durch die Militärversicherungsgesetze 1901 und 1914 und die übrigen auf dem Gesetzgebungsverfahren abgewickelten Eevisionen ein Gewohnheitsrecht geschaffen worden sei, das als verfassungsmässige Grundlage eines neuen Militärversioherungsgesetzes gelten könnte. Im Verfassungsrecht ist für Gewohnheitsrecht nur Eaum zur Ergänzung, nie aber zur: Abänderung gesetzten Kechtes.

Es kann aber andererseits auch nicht gesagt werden, dass Art. 18, Abs. 2, dem Bund die Ausrichtung von Leistungen, die nicht von der Bedürftigkeit abhängig sind, verbiete. Schon der Verfassungstext selbst spricht gegen ein solches Verbot. Es wird darin lediglich den bedürftigen Wehrmännern unter

885 gewissen Voraussetzungen ein Anspruch auf Unterstützung des Bundes zugesichert. Den nicht Bedürftigen wird zwar nichts zugesichert; es wird aber auch nicht gesagt, dass der Bund ihnen nichts zusichern dürfe.

Von der Voraussetzung, dass Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung die Einführung von eigentlichen Versicherungsleistungen, bei denen nicht die Bedürftigkeit entscheidet, nicht verbiete, sind schon die Gesetze von 1901 und 1914 ausgegangen, die derartige Leistungen vorgesehen haben. In : der Botschaft zu letzterem hat denn auch der Bundesrat erklärt: ,«Wir halten keineswegs dafür, dass diese Vorschrift (gemeint ist Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung) in dem Sinne bindend sei, dass überhaupt keine Invalidenrenten ausgerichtet werden dürfen, ohne dass ein Bedürfnis vorliegen würde. Es ist ja ganz ausser Zweifel, dass der Invalide selbst und seine Witwe und Kinder in allen Fällen, ohne jede Eücksicht auf das Bedürfnis, rentenberechtigt sind.

Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung bestimmt nur das, auf was der Wehrmann und seine Hinterlassenen ein garantiertes Recht haben, aber deswegen kann der Gesetzgebung kein Zwang auferlegt werden, in der Ausgestaltung dieser Rechte in keinem Falle weiterzugehen» (Bundesbl. 1912 ~V 188). Auch in den beiden Räten hat man keinen Zweifel darüber gelassen, dass Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung dem Bund nicht verbiete, Leistungen ohne Rücksicht auf die Bedürftigkeit zu machen. So hat im Nationalrat namentlich Scherrer-Fülleniann als Berichterstatter erklärt, die Annahme, dass solche Leistungen der genannten Verfassungsbestimmung widersprechen, wäre irrtümlich. Diese Bestimmung besage nur, dass, wenn die dort genannten Voraussetzungen zutreffen, der Bund unter allen Umständen eine Entschädigung zu leisten habe (Sten. Bull. NR 1914, S. 235). Im gleichen Sinne sprach Peter als Referent in französischer Sprache (S, 240). Im Ständerat hat Usteri als Referent demselben Gedanken Ausdruck gegeben (Sten. Bull. StR 1913, S. 171).

Übrigens wurde dies als selbstverständlich vorausgesetzt, als man in die Militärorganisation vom Jahre 1907 den Art. 21 aufnahm, welcher folgenden Wortlaut hat: «Der Bund versichert die Militärpersonen gegen die wirtschaftlichen Folgen von Krankheiten, und Unfällen.» «Die Ausführung dieses Grundsatzes erfolgt durch das Gesetz über die
Militärversicherung.» Wir halten somit dafür, dass Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung als Grundlage für das' in Aussicht genommene Gesetz zwar nicht genügen würde, dass er aber anderseits dem Erlass eines solchen Gesetzes nicht im WTege steht.

Es fragt sich deshalb, ob die Bundesverfassung eine andere Unterlage bietet. Wie sich aus Art. 3 der Bundesverfassung ergibt, stehen .dem Bund nur diejenigen Gesetzgebungskompetenzen zu, die ihm in der Verfassung zugewiesen sind. Im Zweifel sind also die Kantone zuständig; der Bund kann nur legiferieren, soweit ihm die Bundesverfassung eine Kompetenz besonders eingeräumt hat., Das gilt auch für das in Aussicht genommene Gesetz. Ist nun eine Derartige Bestimmung in der Bundesverfassung enthalten ?

Das Gesetz vom Jahre 1901 stützte sich neben Art. 18, Abs. 2, auf Artikel 34bis, welcher dem Bund die Kompetenz gibt, auf dem Wege der Gesetzgebung

die Kranken- und Unfallversicherung einzurichten. Nun ist man aber ziemlich einig darin, dass das Militärversicherungsgesetz überhaupt nicht ein Versicherungsgesetz ist. Denn es handelt sich nicht darum, dass gegen Leistung von Prämien eine Versicherungsleistung gemacht und damit die Eisiken unter den Versicherten verteilt werden (vgl. in diesem Sinne Guisan in ZBJV 1981, S. 525; Eoullet, S. 240 a,1 und Botschaft in Bundesbl. 1912 V 188). Dies gilt auch dann, wenn dem Wehrmann unter gewissen Voraussetzungen ein Eechtsanspruch auf die Leistungen gewährt wird. Jedenfalls kann das Militärversicherungsgesetz nicht als ein Kranken- und Unfallversicherungsgesetz im Sinne von Art. 34Ms der Bundesverfassung angesehen werden. Die Berufung auf diese Verfassungsbestimmung ist denn auch nur ein Überbleibsel aus dem Entwurf zum Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, welches die Militärversicherung einbeziehen wollte.

, Das Gesetz vom Jahre 1914 hat dann diese Bestimmung fallen gelassen und sich dafür auf Art. 21 der Militärorganisation berufen. Aber auch diese Bestimmung genügt nicht, da für ein Bundesgesetz eine Grundlage in der Bundesverfassung selbst gegeben sein muss.

; Dagegen bestimmt Art. 20 der Bundesverfassung in Absatz l : «Die Gesetzgebung über das Heerwesen ist Sache des Bundes.» Damit ist dem Bund auf militärischem Gebiet eine sehr weitgehende Zuständigkeit eingeräumt. Diese bezieht sich auch auf die gesetzliche Eegelung der Sozialfürsorge für die Wehrmänner, und zwar ohne dass dabei die Leistungen von der Bedürftigkeit abhängig gemacht werden. Bei den Beratungen des Entwurfes vom Jahre 1912 hat der Berichterstatter im Nationalrat, Scherrer-Füllemann, dies klar zum Ausdruck gebracht. Es sei, führte er aus, im Jahre 1874 bei der Verfassungsrevision gar nicht nötig gewesen, hierüber einen besondern Artikel aufzunehmen, weil in Art. 20. Abs. l, die Gesetzgebung über das Heerwesen ohne jeglichen Vorbehalt als Sache des Bundes erklärt worden sei. Deshalb habe man ohne Verfassungsverletzung ein Militärversicherungsgesetz schaffen können und bedürfe für das neue Gesetz keiner weitern Grundlage (Sten. Bull. NE 1914, S. 235). Auch Burckhardt erklärt in seinem Kommentar (S. 140, N. 2), es bedürfe keiner Ausführung, dass eine solche Eegelung nicht verfassungswidrig sei. Die gegenteilige Meinung wird von
Zingg (Die eidgenössische .Militärversicherung, ihre Verbesserung 1944, S. 8) vertreten, der, wie die Genfer Initiative, eine Abänderung des Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung vorschlägt. Wir schliessen uns aber der herrschenden Auffassung an.

Damit gelangen wir zum Ergebnis, dass Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung für sich allein nicht ausreicht zur Begründung der Kompetenz des Bundes für den Erlass des in Aussicht genommenen Militärversicherungsgesetzes, soweit dieses Leistungen vorsieht, die nicht an die Voraussetzung der Bedürftigkeit der Ansprecher geknüpft sind. Wohl aber bildet diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 20 der Bundesverfassung hiefür eine genügende Grundlage. Einer Verfassungsänderung bedarf es somit nicht.

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Weil aber ein Vorschlag des Genfer Grossen Eates auf Aufhebung des Art. 18, Abs. 2, der Bundesverfassung mit formuliertem Vorschlag eines neuen Art. 18Ws der Bundesverfassung vorliegt, muss der Bundesrat sich materiell dazu noch äussern.

Nach i diesem Vorschlag würde der Bund für alle Unfälle und Krankheiten haften, die im Dienst vorkommen (survenus), wie auch für Krankheiten, die während des Dienstes sich verschlimmern oder durch den Dienst verschlimmert werden; -Diese weitgehende Haftung des Bundes soll auch für die Kriegszeit durch eine.Verfassungsbestimmxmg festgelegt und garantiert werden. · : : Man muss diesen Vorschlag prüfen in Verbindung mit den vom Kanton Genf für ein neues Militärversicherungsgesetz aufgestellten Direktiven. Nach Ziff. l--8 dieser Direktiven sollen alle in Dienst getretenen Wehrmänner für die im Dienst vorgekommenen Krankheiten und Unfälle versichert sein. Es soll bei Diensteintritt oder vorher eine gründliche sanitarische Untersuchung stattfinden. Jeder Soldat, der diensttauglich befunden wird und in den Dienst eintritt, soll als versichert anerkannt werden:und für die wirtschaftlichen Folgen von Krankheiten und Unfällen, die während des Dienstes vorkommen, sowie von Krankheiten, die sich im Dienst verschlimmern oder durch den Dienst verschlimmert worden sind, versichert sein. Diese Direktiven verlangen also, dass der Bund alle beim Eintritt in den Dienst nicht konstatierten, aber bestehenden vordienstlichen Krankheiten übernehmen müsse, und zwar ohne Eücksicht darauf, ob der Dienst eine Verschlimmerung herbeigeführt habe oder nicht. In gleicher Weise müssten auch die sogenannten konstitutionellen Leiden von der Haftung des Bundes erfasst sein. Diese Forderungen sind in der vorgeschlagenen Verfassungsänderung vollständig verwirklicht. Es muss nun aber sicher als Grundsatz eines Militärversicherungsgesetzes betrachtet werden, dass es nur die durch den Militärdienst verursachten Schäden zu decken hat und der Bund nicht einfach für alle im Dienst in Erscheinung tretenden Schäden^ aufzukommen hat. Wenn nach dem heutigen Militärversicherungsgesetz die Versicherung sich erstreckt auf Krankheiten und Unfälle, von welchen der Versicherte während der Dauer des Dienstes betroffen wird, so liegt dieser Anerkennung die Vermutung zugrunde, dass die Gesundheitsschädigung durch den
Dienst verursacht worden sei. Die gleiche Vermutung gilt auch für die innert S Wochen nach der Dienstentlassung festgestellten Gesundheitsschädigungen. Die durch Gerichtsentscheide festgelegte Praxis hat aber den Gegenbeweis dafür zugelassen, dass ein Leiden nach seiner Natur nicht durch den Dienst verursacht sein kann und auch ohne Dienst schicksalsmässig früher oder später aufgetreten wäre (sog. konstitutionelles Leiden), oder dass eine Krankheit vordienstlich bereits bestanden hat. In diesen Fällen wurde die Militärversicherung von der Haftung ganz oder teilweise entbunden, weil das Einstehen der Militärversicherung doch an die Bedingung eines der Entstehung des Leidens zum mindesten fördernden Einflusses durch den Militärdienst geknüpft sein muss. Für nachdienstliche Anmeldungen, welche nicht innert 3 Wochen nach Dienstentlassung konstatiert werden, verlangt auch das

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heutige Gesetz für deren Berücksichtigung, dass der ursächliche Zusammenhang mit dem Dienst sicher oder sehr wahrscheinlich sei.

Auch ein neues Militärversicherungsgesetz -wird das Haftungsprinzip so regeln müssen, dass die Leistungen des Bundes dem Grundsatz nach von der Verursachung .oder mindestens nachteiligen Beeinflussung einer Gesundheitsschädigung durch den Militärdienst abhängig gemacht -werden. Wollte man, ·wie die Genfer Initiative dies tut, auf diesen Grundsatz verzichten, dann müsste der Bund auch für Krankheiten aufkommen, die mit der Militärdienstleistung in keinem Zusammenhang stehen. Dafür würden allerdings die Art. 18, AI. 2, und Art. 20 der Bundesverfassung keine Grundlagen geben. Die Übernahme solcher Krankheitsfälle muss durch eine allgemeine Krankenversicherung und nicht durch die .Militärversicherung erfolgen. Die Militärversicherung ist keine allgemeine Krankenversicherung. Der Bundesrat könnte sich daher mit dem vorgeschlagenen Inhalt eines neuen Verfassungsartikels nicht einverstanden erklären. Dazu kommt nun aber noch, dass es sich bei diesem Vorschlag, der das Haftungssystem der Militärversicherung verfassungsrechtlich festlegen, will, nur. um eine Teilfrage des Militärversicherungsrechtes handelt, deren Eegelung nicht in der Bundesverfassung zu erfolgen hat; sondern der Gesetzgebung vorbehalten bleiben muss. Die Verfassung soll nur ganz allgemein den Grundsatz enthalten, dass dem Bund die Gesetzgebung über die Militärversicherung zusteht.

Wir kommen daher zusammenfassend zu folgendem Schluss: Für den Erlass eines neuen Militärversicherungsgesetzes ist eine Revision der Bundesverfassung nicht nötig. Die heutigen Art. 18, Abs. 2, und Art. 20 geben,die verfassungsmässigen Grundlagen. Der, Vorschlag des Kantons Genf für einen neuen Art. 18bls der Bundesverfassung geht über den Eahmen der Militärversicherung hinaus und, behandelt eine Teilfrage des MilitärversicherungSr rechtes, die durch die Gesetzgebung ihre Begelung finden muss.

Wir beehren uns daher, Ihnen auch die Ablehnung des Vorschlages des Kantons Genf auf Aufhebung des Art. 18, Abs. 2, der. Bundesverfassung und dessen Ersetzung durch den formulierten Art. 18Ms zu beantragen und benützen den Anlass, Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 18. Oktober 1946.

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Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Kobelt.

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Der Bundeskanzler:

Leimgrnber.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zu den beiden Initiativen des Kantons Genf betreffend die Revision der Militärversicherung.(Vom 18. Oktober 1946.)

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24.10.1946

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