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Bericht des

Bandesrates an die Bundesversammlung über die antidemokratische Tätigkeit von Schweizern und Ausländern im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen 1939--1945 (Motion Boerlin).

Zweiter Teil.

(Vom 17. Mai 1946.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Der zweite Teil des Berichtes zur Motion Boerlin handelt von den faschistischen Umtrieben. Er enthält '·-- das sei vorausgeschickt -- keine besondern Ausführungen über die faschistische Doktrin. Dass diese eine antidemokratische war und dass demgemäss die italienischen faschistischen Organisationen, die bis 1943 in der Schweiz existierten, als antidemokratische Organisationen im Sinne der Motion Boerlin zu betrachten sind, dafür bedarf es in einem Bericht an die eidgenössischen Räte keiner weitern Begründung. Wir beschränken uns daher darauf, über die beobachteten Vorgänge in diesen Organisationen und über festgestellte faschistische Umtriebe zu berichten.

Im grossen und ganzen gesehen bedeutete der italienische Faschismus für unser Land während des vergangenen Krieges nicht die gleich grosse Gefährdung wie der deutsche Nationalsozialismus. Die italienisch-faschistische Spionage hat sich nicht in wesentlichem Masse für unsere militärischen Einrichtungen interessiert. Ihre Tätigkeit war nach den Feststellungen, die auf unserer Seite gemacht werden konnten, nicht so intensiv und so ausgedehnt, dass man auf Angriffsabsichten schliessen musste, wie dies beim deutschen militärischen Nachrichtendienst der Fall war. Es sind während des Krieges von der schweizerischen Polizei auch keine Fälle festgestellt worden, wo italienische Faschisten versucht hätten, in ähnlicher Weise wie nationalsozialistische Agenten (Fälle Ashton, Gröbl etc.) schweizerische rechtsextreme Kreisenden Zielen Italiens dienstbar zu machen. Ferner ist nichts bekannt, dass in Italien selbst Pläne

172 bearbeitet worden wären, wie sie im ersten Teil unseres Berichtes vom eidgenössischen Untersuchungsrichter in bezug auf das nationalsozialistische Deutschland zur Darstellung gebracht wurden. Der vorliegende Bericht über die Faschisten ist deshalb weniger umfangreich als derjenige über die Nationalsozialisten, in welchem die Ausführungen über die soeben erwähnten Umtriebe einen grossen Platz einnahmenv Anderseits war es aber so, dass gegenüber der Aktivität der italienischen faschistischen Organisationen grundsätzlich die gleichen Kautelen und einschränkenden Massnahmen ergriffen werden mussten und ergriffen wurden wie gegenüber den nationalsozialistischen Vereinigungen. Über diese Massnahmen und die rechtlichen Grundlagen, auf denen sie fussten, ist im ersten 'Teil unseres Berichtes ausführlich gesprochen worden. Wir haben daher darauf verzichtet, dies hier nochmals zu tun. In einigen der folgenden Abschnitte wird ausdrücklich auf bestimmte Ausführungen des ersten Teiles verwiesen.

Aber auch sonst ist der vorliegende Bericht als Bestandteil des Gesamtberichtes zu betrachten. Wir haben z. B. davon abgesehen, auf Einzelheiten betreffend die schweizerischen faschistischen Organisationen, die während der Kriegszeit 1939--1945 keine Eolle mehr spielten, zurückzukommen, da von diesen Gruppen bereits im ersten Teil, im Bericht über die schweizerischen Eechtsextremisten, die Eede war. Auch über schweizerisch-italienische Pressefragen wird nachstehend nur weniges gesagt. Die notwendige Ergänzung soll hier der vorgesehene Bericht über die schweizerische Pressepolitik im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen 1989--1945 bringen.

Über die italienischen faschistischen Organisationen und über faschistische Umtriebe ist seit 1923 in den eidgenössischen Eäten wiederholt gesprochen worden. Bei der Beantwortung von Interpellationen und bei der Behandlung der bundesrätlichen Geschäftsberichte hatte der Bundesrat oft Gelegenheit, sein Urteil über jeweils aktuelle Fragen bekanntzugeben. Dieser Bericht gibt eine Zusammenfassung. In bezug auf die Vorkriegszeit hielten wir es dabei für richtig, nicht bloss die unmittelbaren Vorkriegsjahre zu berühren.

Gewisse Eeaktionen der Bevölkerung, speziell derjenigen im Tessin, gegenüber ehemals militanten Faschisten am Ende des Krieges lassen sich nur richtig beurteilen,
wenn man etwas weiter zurückblickt. Wir haben daher bis auf die ersten Anfänge der faschistischen Organisierung in der Schweiz zurückgegriffen, dafür den Bericht in bezug auf Einzelheiten weniger ausgebaut.

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Zweiter Teil.

Die italienischen Faschisten in der Schweiz.

Vorkriegsjahre.

I. Die Anfänge der italienischen faschistischen Organisierung in der Schweiz.

Die ersten Anfänge der italienischen faschistischen Organisierung in der Schweiz gehen auf die Zeit von 1920 und 1921 zurück. Die faschistische Bewegung hatte schon damals, als der Kampf der Faschisten um die Macht in Italien noch in vollem Gange war, unter den in unserem Lande lebenden Italienern ihre Anhänger gefunden, zunächst in Lugano. Dort war es insbesondere der italienische Staatsangehörige Kenzo Ferrata, der die faschistischen Ideen in die italienische Kolonie brachte. Er war häufig in Mailand, stand mit Mussolini in Verbindung und hielt seine Gesinnungsfreunde in der Schweiz über die Entwicklung der faschistischen Partei auf dem laufenden.

Im April 1921 bildete sich aus diesem Kreis als erste faschistische Organisation auf Schweizerboden der Fascio Lugano. Es war dies der erste italienische Fascio im Ausland überhaupt.

Nach dem «Marsch auf Köm» wurde Ferrata vom Sekretär der faschistischen Partei, Giuseppe Bastianini, zum Delegierten der Fasci für die Schweiz ernannt. Sein Stellvertreter, Orazio Laorca, hatte gleichzeitig die Direktion der im Januar 1923 erstmals erschienenen faschistischen Zeitung,« Squilla Italica» inné. Weiteres Mitglied der «Delegation» und Redaktor der «Squilla Italica» war Maraia Francesco.

Der Machtübernahme in Italien durch den Faschismus folgten weitere Gründungen faschistischer Organisationen auf Schweizergebiet. Im Laufe der letzten Monate 1922 und während des Jahres 1923 entstanden Fasci, d. h.

Sektionen der faschistischen Partei, in den italienischen Kolonien von Neuenburg, Bellinzona, Zürich, Lausanne, St. Gallen, Vevey, Chiasso, Locamo, Bern, Mendrisio, Montreux, Genf und Luzern.

Diese ersten Fasci, deren Zahl im Laufe der folgenden Jahre langsam aber ständig zunahm, wählten sich ihren Chef (segretario) und ihren Vorstand (direttorio) zunächst noch selbst. Im Auftrage des Generalsekretärs der faschistischen Partei hatte sich jedoch bereits im Jahre 1923 in Lugano eine Zentral» stelle für die Organisation und Leitung der Fasci in der Schweiz konstituiert (Delegazione centrale per l'organizzazione e la direzione dei Fasci in Isvizzera).

Die Gründung neuer Fasci wurde von der Parteileitung nur anerkannt, wenn bei der Gründungsversammlung ein Vertrauensmann dieser Zentralstelle an-

174 wesend war. Die Werbung neuer Parteimitglieder in der Schweiz sollte nach den Parteiweisungen nur mit Ermächtigung dieser Zentralstelle in Lugano erfolgen. Die Zentralstelle selbst war dem Delegierten und Generalsekretär der Fasci in der Schweiz, Ferrata, unterstellt.

Über die Bedingungen, unter denen die Aufnahme neuer Mitglieder in die Fasci erfolgte, war man in der schweizerischen Öffentlichkeit aus Publikationen der «Squilla Italica» orientiert. Jeder Kandidat hatte im Aufnahmegesuch zu erklären, dass er bereit sei, allen Vorschriften der Partei zu gehorchen, und zu schwören, dass er sich ganz und für immer für das Wohl Italiens einsetzen werde. ( « . . . dichiarandomi pronto a ubbidire a tutte le leggi che il Partito impone e giurando, nel nome di Dio e dell' Italia, nel nome di tutti i caduti per la grandezza della Patria, di consacrarmi tutto e per sempre al bene d'Italia.») Den Mitgliedern der Fasci war es nicht gestattet, FreimaurerOrganisationen anzugehören. Fasciomitglieder in leitender Stellung hatten auch in dieser Hinsicht ein Gelöbnis abzulegen. Alle eingeschriebenen Angehörigen der Fasci waren verpflichtet, das Presseorgan «Squilla Italica» zu halten.

Mit der zunehmenden Durchorganisierung der faschistischen Diktatur in Italien wurden auch die Fasci im Ausland straffer in die Parteiorganisation eingespannt. Eine organisatorische Änderung von Bedeutung aus dem Jahre 1927, die offensichtlich diesen Zweck verfolgte, war die, dass nunmehr nach dem Führerprinzip die Zentralstelle in Lugano die Chefs der einzelnen Fasci in der Schweiz ernannte und diese ihrerseits selbst ihre Mitarbeiter im Vorstand auswählten und in ihre Funktionen einsetzten. Den Mitgliederversammlungen blieben die Befugnis, sich darüber auszusprechen, ob der Chef ihr Vertrauen gemesse, und das Eecht, die Geschäfts- und Eassaführung zu kontrollieren.

Im gleichen Zeitpunkt wurde auch die Kategorie der sogenannten Sympathisanten (simpatizanti) abgeschafft.

Eine nochmalige Änderung im Aufbau der faschistischen Auslandsorgänisationen brachten die von Mussolini persönlich unterzeichneten «Statuten der Fasci ini Ausland» vom 29. Februar 1928. Da diese die Grundlage für die ganze weitere Entwicklung der italienischen faschistischen Gruppen auch in unserm Lande waren, werden sie nachstehend im Wortlaut (Übersetzung) wiedergegeben: ' .

.

: ' Statuten der Fasci im Ausland.

Art. 1.

Die «Pasci im Ausland» sind die Organisation der im Ausland wohnenden Italiener, die den Gehorsam gegenüber dem Duoe und dem Gesetz des Faschismus zur Bichtschnur für ihr privates und staatsbürgerliches Leben gewählt haben und die das Ziel haben, die Kolonien der im Ausland lebenden Italiener um das Zeichen des «Liktoren-Bündels» zu sammeln.

Die Befehle, die der Duce für das tägliche Leben der Faschisten im Ausland erteilt hat, sind die folgenden: 1. Die Faschisten, die sich im Ausland aufhalten, haben sich den Gesetzen des Gastlandes zu unterziehen. Sie haben täglich Beispiele dieses Gehorsams gegenüber .

175 den Gesetzen zu geben und sollen, wenn nötig, den Bürgern des Gastlandes selbst in dieser Hinsicht ein Beispiel sein.

2. Sie .sollen sich an der internen Politik des Gastlandes nicht beteiligen.

3. Sie sollen keine Zwistigkeiten in den italienischen Kolonien heraufbeschwören, sondern solche vielmehr im Sinne des Liktoren-Bündels zu schlichten suchen.

4. Sie haben ein Beispiel der Rechtschaffenheit im öffentlichen und privaten Leben zu geben.

5. Die Vertreter Italiens im Ausland sind zu respektieren, und ihren Anweisungen und Vorschriften ist Folge zu leisten.

, 6. Die Italianität ist zu verteidigen, sowohl in bezug auf die Vergangenheit als auch in bezug auf die Gegenwart: .7. Italienern, die sich in Not befinden, ist beizustehen.

8. Die Faschisten im Ausland haben Disziplin zu wahren, so wie ich verlange und durchsetze, dass die Italiener im Inland Disziplin zeigen.

' · Art. 2.

Die Organe ;der Fasci im Ausland sind: 1. Das Generalsekretariat mit :Sitz in Born.

, ; 2. Die Fasci im Ausland.

. Art. 3.

In jedem Fascio sind eine Sektion Avanguardisten, eine Sektion Ballila und eine Frauensektion zu bilden. · .

Die Fasci im Ausland unterstehen direkt dem Generalsekretär.

Der Generalsekretär kann, wenn nötig, die Fasci des gleichen Konsularkreises in .eine Gruppe (Zone) zusammenfassen. In diesem Fall ist der Sekretär des Fascio am Hauptort des Konsularkreises in der Regel auch Zonensekretär.

Art. 4.

Der Zonensekretär wird direkt vom Generalsekretär ernannt.

: ; Art. 5.

" : · An der Spitze der Leitung des Fascio steht der direkt vom Generalsekretär ernannte Fasciosekretär.

. , · ' · ' Art, 6 .

'; · Die Hauptaufgabe der Fasci ist die Unterstützung der Landsleute im Ausland.

Bei der Erfüllung dieser Aufgabe ist der Fasciosekretär dem Vertreter des faschistischen Staates (Generalkonsul, Konsul, Vizekonsul) unterstellt. Er hilft diesem bei der täglichen Arbeit und dadurch, dass er ihm seine Vorschläge unterbreitet.

. . ' . , . . · ' . .

Art- 7 Der Fasciosekretär ist für die Geschäftsführung des Fascio direkt, verantwortlich.

Auf Jahresende haben die Fasci dem Generalsekretär auf direktem Wege einen Bericht über die Geschäftsführung einzureichen.

, : .: , ' · Art. 8.

Die Mitgliederkarten für die Fasci im Ausland werden jährlich im Auftrage des Generalsekretärs der faschistischen Partei vom Generalsekretariat der Fasci im Ausland abgegeben. Die Karten werden vom Verwaltungssekretariat der faschistischen Partei geliefert.

;.

Das Generalaekretariat behält sich vor, von Jahr zu Jahr Vorschriften über die Abgabe der Mitgliederkarten zu erlassen.

· .

176 Art. 9.

: Ein Fascio kann durch Besohluss des Generalsekretärs aufgelöst werden.

Art. 10.

Disziplinarstrafen sind: 1. Verweis.

2. Suspendierung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit.

3. Ausschluss.

, Es darf keine Strafe verhängt werden, ohne dass dem Betreffenden vorher der Grund bekanntgegeben und seine Verteidigung gewürdigt worden ist. Der von einer Strafe Betroffene hat das Recht, innert 15 Tagen seit Bekanntgabe derselben dagegen zu rekurrieren. Jede Strafe muss dem Generalsekretär mitgeteilt werden, und sie darf erst nach Bestätigung durch denselben vollzogen werden.

Art. 11.

Dem Generalsekretär der Fasci im Ausland bleibt jedoch die Befugnis vorbehalten, ohne weiteres die verschiedenen Disziplinarstrafen solchen leitenden und andern Mitgliedern der Fasci aufzuerlegen, die-schuldig befunden worden sind: a. im Kreise der Fasci und der italienischen Kolonien Unfrieden zu stiften; ö. gegen die Konsularbehörden zu arbeiten oder deren Ansehen bei den Landsleuten und Ausländern herabzumindern.

Art. 12.

Das Generalsekretariat ist ermächtigt, die nötigen Vorschriften für das interne Funktionieren der Organisation zu erlassen.

Rom, den 29. Januar 1928. VI.

sig. Benito Mussolini.

· Vier Punkte dieser Statuten verdienen spezielle Beachtung: In Eom war ein Generalsekretariat der Fasci im Ausland mit einem Generalsekretär an der Spitze geschaffen worden. Die Sekretäre der einzelnen Fasci in der Schweiz wurden jetzt direkt von diesem Generalsekretär ernannt.

Für einen Delegierten der Fasci in der Schweiz war damit kein Platz mehr.

Dieser Posten wurde daher aufgehoben.

Faschistische Jugend- und Frauengruppen waren schon vor 1928 in einigen italienischen Kolonien in der Schweiz gegründet worden. Die neuen Statuten machten es nun den einzelnen Fasci zur Pflicht, derartige Untergruppen zu bilden. Deren Zahl nahm in der Folge denn auch zu. Organisatorisch wurden die Leiter der Jugend- und Frauensektionen dem Fasciosekretär unterstellt.

Von Bedeutung waren die Bestimmungen der neuen Statuten über das Verhältnis der Fasciosekretäre, wie auch der Faschisten im Ausland überhaupt, zu den italienischen Konsularbehörden. Bis ungefähr zum Jahre 1924 hatten sich die italienischen Konsuln in der Schweiz von der Gründung und der Weiterentwicklung der italienischen faschistischen Gruppen ferngehalten.

Die Bildung der ersten Fasci unseres Landes erfolgte auf private Initiative aus dem Kreis der italienischen Kolonie. Es bestand entsprechend keine Abhängigkeit dieser ersten Fasci von den italienischen Auslandsvertretungen, Dies

177 änderte sich später vollständig. Die faschistische Gleichschaltung der italienischen Verwaltung erfasste auch den diplomatischen Dienst und die Konsularbehörden. Sämtliche Posten wurden mit regimetreuen Leuten besetzt. Darüber hinaus sollten die italienischen Auslandvertretungen, speziell die Konsularbehörden, nach faschistischer Auffassung zu den eigentlichen vorgesetzten Stellen der faschistischen Auslandsorganisationen werden. Im Wortlaut der Statuten der Fasci im Ausland vom 29. Januar 1928 kommt dies bereits klar zum Ausdruck, indem Art. 6 den Fasciosekretär dem «Vertreter des faschistischen Staates (Generalkonsul, Konsul, Vizekonsul)» unterstellte. Bei dieser Begelung blieb es auch später. Im Jahre 1928 reorganisierte Italien zugleich sein Konsularrietz im Ausland. Die italienischen Honorarkonsuln nichtitalienischer Nationalität verschwanden. Die Zahl der Konsularvertretungen wurde ver. mehrt.

Art. l der Statuten besagt, dass es das Ziel der Fascioangehörigen sei, die Kolonien der im Ausland lebenden Italiener um das Zeichen des «Liktoren Bündels» zu sammeln. Die in dieser Eichtung laufende Aktivität der Faschisten machte sich in den italienischen Kolonien unseres Landes sofort bemerkbar.

In diesen Kolonien gab es -- zum Teil seit langer Zeit -- eine ganze Anzahl unpolitischer Vereinigungen verschiedenster Art. Zur Hauptsache handelte es sich um solche wohltätigen Charakters, z.B. die Vereinigung « Mutuo Soccorso», und diej enigen der Kriegsveteranen und der Kriegsverstümmelten aus dem ersten Weltkrieg. Seit der Gründung der ersten Fasci in der Schweiz war es das Bestreben der Faschisten, diese italienischen Vereine in die Hand zu bekommen. Der Erfolg ihrer Bemühungen war zuerst gering, da zunächst nur eine kleine Zahl der Italiener in der Schweiz mit einer langen Lebensdauer des Faschismus rechnete, und die Fasci die Unterstützung der italienischen Konsularbehörden noch nicht genossen. Die Erfolge nahmen zu, als mit der Konsolidierung des Eegimes in Italien die faschistische Anhängerschaft unter den italienischen Staatsangehörigen in der Schweiz und damit die, Stärke des faschistischen Elementes auch, in diesen Vereinigungen wuchs. Faschisten stellten sich bereitwilligst für neu zu besetzende Ämter der sozialen Einrichtungen und Vereine zur Verfügung, wurden mit den Stimmen der
faschistischen Mitglieder gewählt und gaben nachher die faschistische Führung ^icht mehr aus den Händen. Einen massgeblichen Einfluss auf diese Entwicklung übten schliesslich die gleichgeschalteten italienischen Konsularbehörden aus. Entsprechend der totalitären Erfassung der Staatsbürger in Italien musste es nach faschistischer Ansicht ihr Ziel sein, ebenfalls im Ausland möglichst alle Italiener in faschistisch geleiteten Organisationen zu sammeln. In ihrer Eigenschaft als offizielle Vertreter des Heimatlandes hatten sie in verschiedenster Weise Gelegenheit, in diesem Sinne auf ihre Landsleute einzuwirken. Von dieser Gleichschaltung wurden daher im Laufe der Jahre sehr viele italienische Vereine erfasst. Andere wurden hingegen zu eigentlichen Sammelbecken der Gegner des Eegimes.

178 II. Auswirkungen des politischen Kampfes zwischen Faschisten und Antifaschisten auf Schweizerboden.

Das Aufkommen des Faschismus in Italien und das Eindringen der faschistischen Ideen in der italienischen Kolonie im Ausland hatten ihre Auswirkungen auch im öffentlichen Leben der Schweiz. Diese zeigten sich am ausgeprägtesten im Kanton Tessin.

Infolge der geographischen, kulturellen und blutmässigen Verbundenheit der Südschweiz mit Italien und der sehr grossen Zahl der im Tessin wohnhaften italienischen Staatsangehörigen haben die politischen Vorgänge in Italien von jeher ihre Wellen in unsern südlichen Grenzkanton geworfen. Diese Erscheinung zeigte sich erneut, als Mussolini die faschistische Partei ins Leben rief. Die erbitterten politischen Kämpfe zwischen den sich in Italien gegenüberstehenden Gruppen machten vor unserer Grenze nicht halt. Die Freunde und Gegner der faschistischen Partei und -- nach dem Marsch auf Born -- des neuen Eegimes standen sich ebenfalls im Kreise der italienischen Kolonie auf Tessinerboden gegenüber. Politisch indifferente Leute unter den bei uns ansässigen Italienern wurden in diese mit südlichem Temperament geführten Auseinandersetzungen hineingezogen. Angesichts der politischen Intoleranz der Faschisten und deren Bestrebungen, alle italienischen Vereine in die Hand zu bekommen, standen auch sie -schliesslich vor der Alternative, für oder gegen den Faschis mus Stellung zu nehmen. Dazu kam, dass schweizerische politische Gruppen dieser Fehde nicht fern blieben. Im Tessin war es auf der einen Seite die Zahlenmassig allerdings bedeutungslose kleine Gruppe um die «Adula», die jedem Erfolg der Faschisten in- und ausserhalb Italiens zujubelte. Davon wird noch die Eede sein. Auf der andern Seite fanden die italienischen Antifaschisten und ihre aus Italien geflüchteten Exponenten bei ihren schweizerischen Freunden gleicher politischer Bichtung, d. h. vor allem' bei den Sozialdemokraten un'd Kommunisten, einen Eückhalt und auch Unterstützung in der Weiterführung des politischen Kampfes. Aus dieser Situation heraus kam es zu Pressepolemiken zwischen italienischen Blättern sowie der «Squilla Italica» einerseits und der «Libera1 Stampa» anderseits. Es kam zu Wirtshausstreitigkeiten, zu Eeibereien auf der Strasse und zu einzelnen Zusammenstössen ernsthafterer Natur unter
Italienern und zwischen. Italienern und Schweizern der beiden politischen Lager (Vorfälle in Mendrisio und Lugano vom Jahre 1923). -- Die Leidenschaft, mit der man diese politischen Auseinandersetzungen führte, wurde noch verstärkt durch gewisse Massnahmen des neuen faschistischen Eegimes an der schweizerisch-italienischen Grenze. Wegen der vielfältigen persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die zwischen dein Tessin und den angrenzenden Gebieten Oberitaliens bestanden, war ein Teil der Tessiner Bevölkerung gewohnt, häufig die Grenze zu überschreiten. Es wurden jenseits der Grenze Einkäufe gemacht und andere Geschäfte abgewickelt. Das gleiche war auch bei den Bewohnern der italienischen Grenzgegenden Übung. Es gab auch nicht wenige Fälle, wo Leute auf der einen Seite der Grenze wohnten

179 und auf der andern Seite arbeiteten. Nach der Übernahme der Macht ging nun das faschistische Eegime allmählich dazu über, solchen Schweizern und in der Schweiz wohnenden Italienern, die dem Faschismus feindlich gesinnt waren, den Übertritt nach Italien zu verweigern. Für die von dieser Sperre Betroffenen, insbesondere für solche^ die im unmittelbaren Grenzgebiet wohnten, hatte dies eine sehr spürbare Einschränkung in der Bewegungsfreiheit zur Folge, bei einzelnen auch eine wirtschaftliche Schädigung. Das Verhältnis zwischen Faschisten dies- und jenseits der Grenze und ihren politischen Gegnern auf Schweizerboden wurde dadurch noch mehr vergiftet.

Eine ähnliche Situation wie im Tessin bestand im italienisch sprechenden Teil Graubündens. -- Das gleiche kann hingegen nicht ohne weiteres gesagt werden von der übrigen Schweiz. Wohl waren hier die erwähnten Ausstrahlungen der Vorgänge in Italien ebenfalls spürbar, kam es ebenfalls hier ah einzelnen Orten zu Zwischenfällen (Vorfall von Plainpalais/Genf vom Jahre 1926).

Ferner unterstützte auch die schweizerische Linkspresse deutscher und französischer Zunge ihre Gesinnungsgenossen im politischen Kampf in Italien. Im grossen und ganzen blieb jedoch --· schon aus sprachlichen Gründen -- in der deutschen und welschen Schweiz die Fehde zwischen Faschisten und Antifaschisten mehr auf die italienische Kolonie beschränkt. Was nordwärts der Alpen mehr Staub aufwirbelte, waren bestimmte Massnahmen des faschistischen Regimes, wie die Ausweisung nicht genehmer schweizerischer Journalisten und gewisse gegen ausländische Arbeitskräfte gerichtete Vorkehren in Italien, die auch Auslandschweizer zu spüren bekamen.

III. Die ersten Massnahmen des Bundesrates.

Angesichts der Gründung zahlreicher italienischer Fasci auf Schweizerboden hatte sich der Bundesrat bereits im Jahre 1923 mit der Frage befasst, welche Haltung von Seiten der schweizerischen Behörden gegenüber diesen neuen Organisationen einzunehmen sei. Bei der Behandlung der bundesrätlichen Geschäftsberichte in den eidgenössischen Bäten und bei der Beantwortung von Interpellationen hatten Vertreter des Bundesrates mehrmals Gelegenheit, sich darüber auszusprechen.

Was die grundsätzliche Frage der Duldung oder Nichtduldung der Fasci anbelangte, war der Bundesrat zu der Auffassung gelangt, dass die Gründung und Betätigung von Sektionen der italienischen faschistischen Partei in der italienischen Kolonie unseres Landes im Eahmen der verfassungsmässig gewährleisteten Vereinsfreiheit als zulässig betrachtet werden müsse. Die Fasci hatten jedoch wie andere Ausländerorganisationen die Pflicht, sich jeder Einmischung in die schweizerische Politik zu enthalten und alles zu unterlassen, was den zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien schaden könnte. Im übrigen zeigten sich gewisse Sondermassnahmen gegenüber den italienischen Faschisten als notwendig in bezug auf deren Auftreten in der Öffentlichkeit. Als erste solche Massnahme erliess die Landesregierung im

180 Frühjahr 1928 ein Verbot für das Tragen des Schwarz-Hemdes der Faschisten auf Schweizergebiet. Der Bundesrat war der Auffassung, dass dieses SchwarzHemd, das von der faschistischen Miliz in Italien getragen wurde, als ausländische militärische Uniform zu betrachten sei, die auf Schweizerboden nicht geduldet werden könne. Es hatte sich ferner gezeigt, dass das Auftreten ganzer Gruppen uniformierter Faschisten --· teilweise kamen solche Gruppen zu faschistischen Anlässen aus Italien in den Tessin -- wenig geeignet war, die ohnehin in mancher Hinsicht fehlende Bescheidenheit dieser Leute zu fördern.

Die «Camicia nera» wurde in der Schweiz, in der man an solche Parteiuniformen nicht gewöhnt war, von den politischen Gegnern als Provokation empfunden, \vas u. a. eine der Hauptursachen der ersten Zusammenstösse im Tessin war.

Noch im gleichen Jahre (1923) musste das Verbot noch dahingehend präzisiert werden, dass es auch untersagt sei, das Schwarz-Hemd versteckt, z. B. unter dem Mantel, zu tragen. Den Fasci wurde ferner Zurückhaltung empfohlen in bezug auf das Hissen ihrer faschistischen Fahnen und Wimpel (gagliardetti).

Diese sollten nicht bei jeder Gelegenheit, sondern nur bei wichtigen Anlässen in der Öffentlichkeit verwendet werden. Es stellte sich die Frage, ob ebenfalls das Tragen- von faschistischen Abzeichen auf der Kleidung zu untersagen sei. Von einem solchen Verbot wurde jedoch Abstand genommen, da derartige Abzeichen ebenfalls von andern politischen Gruppen in der Schweiz getragen wurden.

Der Bundesrat hielt es anderseits für richtig, auch den zahlreichen italienischen Antifaschisten, die auf Schweizerboden Asyl gesucht und gefunden hatten, Zurückhaltung aufzuerlegen. Das Thema kam in den eidgenössischen Eäten wiederholt zur Sprache. Zwei Meinungen über die Bechte und Pflichten dieser politischen Flüchtlinge standen sich hier gegenüber. Vertreter der Linksparteien verfochten den Standpunkt, in der Asylgewährung sei inbegriffen, dass den Flüchtlingen das Becht zugestanden werde, auch auf Schweizerboden ihre gegen das faschistische Begime gerichtete politische Tätigkeit weiterzuverfolgen. Demgegenüber war der Bundesrat und mit ihm die Mehrheit der eidgenössischen Bäte der Auffassung, dass diesen italienischen antifaschistischen Politikern wohl Asyl zu gewähren sei, dass für sie aber die
Pflicht bestehe, sich jeder politischen Aktivität zu enthalten, die die Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien stören könnte. Der Bundesrat behielt sich vor, bei Zuwiderhandlung gegen diese Pflicht Sanktionen zu ergreifen. Es wurden denn auch in der Folge gegen einzelne dieser «Fuorusciti» Verwarnungen ausgesprochen und schliesslich Ausweisungen verfügt. Praktisch ging es hauptsächlich um die Frage der politischen Mitarbeit an schweizerischen Presseorganen.

Die Landesregierung war bestrebt, trotz der ideologischen Gegensätze zwischen der schweizerisch-demokratischen und der italienisch-faschistischen Staatsauffassung mit Italien gute nachbarliche Beziehungen zu unterhalten.

In bezug auf die politischen Auseinandersetzungen zwischen italienischen Faschisten und Antifaschisten schweizerischer Nationalität suchte sie daher auf beide Lager mässigend einzuwirken. «Den Sozialisten gegenüber dürfen

181 ·wir wohl, soweit es unsere eigenen Angehörigen, Schweizerbürger, sind, dea Wunsch aussprechen, dass auch sie; uns unsere Aufgabe erleichtern, dass auch sie lieber durch Zurückhaltung im Kampfe der Meinungen sich auszeichnen als durch das Gegenteil», äusserte sich der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Pölizeidepartements am 26. September 1923 bei der Beantwortung einer Interpellation Zeli. Im gleichen Sinne wurde, u. a. auf diplomatischem Wege, auch auf die Faschisten eingewirkt. Das eidgenössische Politische Departementbemühte sich ferner, in Fällen, wo Schweizern die erwähnten Schwierigkeiten beim italienischen Grenzverkehr gemacht wurden, die Gründe der italienischen. Massnahmen abzuklären und, wenn die Verhältnisse dies rechtfertigten, die Aufhebung der Massnahmen zu erwirken.

IV. Faschistische Übergriffe an der Grenze und das faschistische Spitzelwesen bis zum Erlass des «Spitzelgesetzes».

Während an der politischen Auseinandersetzung zwischen Faschisten und Antifaschisten nur ein bestimmter Kreis der schweizerischen Bevölkerung direkt beteiligt war, zeigten sich im Tessin und später auch andernorts in der Schweiz allmählich Erscheinungen faschistischer Umtriebe, die auch weitere Kreise aufhorchen Hessen, und i gegen die in zunehmendem Masse die gesamte Tessiner Bevölkerung und schliesslich das ganze Schweizervolk geschlossen Stellung nahm : Faschistische Übergriffe an der Grenze und das faschistische Spitzelwesen.

. - , . · ! .

. ' . ' · · ' Das Bestreben des italienischen Diktaturregimes, sich auf jede erdenkliche Weise gegen seine politischen Gegner zu schützen, führte zu Praktiken an der schweizerisch-italienischen Grenze, an die man sich vorher nicht gewöhnt war.

Die Grenzsperre, die auf italienischer Seite gegen tatsächliche o der .angebliche Feinde des faschistischen Eegimes verhängt wurde^ ist erwähnt worden. Damit verbunden war eine äusserst strenge Kontrolle des Grenz Verkehrs. Es gab unerklärliche Durchsuchungen an der Grenze und Überwachungen von Beisen^ den während des Aufenthaltes in Italien. Es folgten Fälle, wo Schweizer auä geringfügigen, formalen, für schweizerische Begriffe unverständlichen Gründen jenseits der Grenze verhaftet wurden. Schliesslich kam es auch zu eigentlichen Übergriffen faschistischer Polizei- und Grenzorgane auf schweizerisches Terri-,
torium, z. B. zur Vornahme von iVerhaftungen auf Schweizerboden. Aus den, diplomatischen Verhandlungen mit Italien, zu welchen solche Vorkommnisse jeweils führten, erhielt der Bundesrat den Eindruck, dass diese Grenzzwischenfälle vor allem auf Übereifer und Ungeschicklichkeiten einzelner italienischer Grenzkommandanten und anderer italienischer Grenzorgane zurückzuführen waren. Sie standen aber zweifellos im Zusammenhang mit dem ganzen Geist, der im faschistischen Italien herrschte. Durch den überspitzen Nationalismus, den der Faschismus züchtete, schien gewissen Grenzorganen, mit denen die Grenze auf italienischer Seite überbesetzt war, jede Eücksicht auf die territorialen Souveränitätsr'echte des Nachbarlandes abhanden gekommen zu sein. Diese: Bundeablatt. 98. Jahrg. Bd. II.

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Grenzzwischenfälle waren naturgemäss im Innern unseres Landes weniger spürbar als in den unmittelbaren Grenzgegenden, Dort verursachten sie Verbitterung und ein wachsendes Misstrauen gegenüber den italienischen faschistischen Grenzorganen. Ein Pali völkerrechtswidriger Verletzung der schweizerischen territorialen Souveränitätsrechte, der wegen seiner Schwere in, der ganzen Schweiz Aufsehen und Empörung hervorrief, war die Angelegenheit des italienischen Verbannten und Flüchtlings Cesare Eossi, der im August 1928 von einem faschistischen Agenten im Einverständnis mit der italienischen Polizei aus Lugano über die Grenze gelockt und so den italienischen Behörden, die seiner habhaft werden wollten, in die Hände gespielt wurde. Der Notenwechsel zwischen der schweizerischen und der italienischen Eegierung, den diese Affäre zur Folge hatte, ist seinerzeit vom Bundesrat veröffentlicht worden.

Der Fall kam,in der September-Session 1928 und anlässlich der Debatte über den bundesrätlichen Geschäftsbericht im Sommer 1929 auch in den eidgenössischen Bäten zur Sprache.

Die italienischen faschistischen Behörden begnügten sich indessen nicht damit, die Grenze zu überwachen. Sie streckten ihre Fühler auch darüber hinaus, um über ihre politischen Gegner und deren Tun unterrichtet zu werden.

Mit Denunziationen unter italienischen Staatsangehörigen und gegen Schweizer fing es an. Diese führten auf der einen Seite dazu -- vor allem nach der erfolgten Gleichschaltung der italienischen Konsularbehörden --, dass die eidgenössischen und kantonalen Behörden, insbesondere die Tessiner Polizeibehörden, ständig mit Anzeigen über gegen Italien gerichtete Umtriebe, Attentatspläne gegen Mussolini oder italienische Konsularbeamte etc. befasst wurden, Anzeigen, die Sich bei der Untersuchung in der Grosszahl der Fälle als unzutreffend oder übertrieben herausstellten. Auf der andern Seite fanden derartige Denunziationen ihren Weg zweifellos auch nach Italien. Als an der Grenze von Seiten des faschistischen Regimes die erwähnten Massnahmen (Grenzsperren etc.) ergriffen wurden, die nicht nur Italiener, sondern auch Schweizer betrafen, und die teilweise auf einer genauen Kenntnis gewisser Vorgänge auf Schweizerboden fussen mussten, da wuchs bei der schweizerischen Grenzbevölkerung allmählich die Gewissheit, dass hier ein eigentliches
faschistisches Spitzeltum an der Arbeit war. Die Folge war eine Atmosphäre der Verdächtigung und der Gereiztheit, die im Tessin und in andern Grenzgebieten unseres Landes mit der Zeit als unerträglich empfunden wurde.

Während längerer Zeit war es der schweizerischen Polizei nicht möglich, Fäden faschistischer Spitzelorganisationen aufzudecken. Im Jahre 1926 gelangten die Tessiner Behörden im Verlaufe polizeilicher Erhebungen in den Besitz einer «Schwarzen Liste», die von einem naturalisierten Tessinerbürger namens Mario Sanvitto erstellt worden war. Sanvitto behauptete selbst, diese Liste, ein Verzeichnis von «Gegnern Italiens», im Auftrage faschistischer Persönlichkeiten angefertigt zu haben. Durch die nachfolgende Untersuchung der Angelegenheit, über die im November 1926 im Tessiner Grossen Bat Aufschluss gegeben worden ist, wurden jedoch diese Aussagen des Sanvitto nicht

183 bestätigt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass italienische Behörden, italienische Organisationen oder auch nur einzelne Italiener an der Sache beteiligt waren.

Ein anderes Resultat ergaben Erhebungen der Tessiner Polizei, die zeitlich zusammenfielen mit der Untersuchung über den Fall Eossi. Sie brachten den Beweis, dass der italienische Staatsangehörige Santore Vezzäri, der als Inseratenacquisiteur für die Zeitung «Squilla Italica» arbeitete, sowie ein weiterer im Tessin wohnhafter Italiener, Angelo Vernizzi, im Auftrage italienischer faschistischer Poüzeiorgane Informationen über in der Schweiz wohnende Personen eingezogen und abgeliefert hatten. Ihre Aufträge bezogen sich hauptsächlich auf Italiener, politische Flüchtlinge oder Anhänger kommunistischer Parteigruppen in der Schweiz, aber auch auf Schweizerbürger.

Der Informationsdienst arbeitete mit bezahlten Unteragenten, Decknamen, Deckadressen und andern Vorsichtsmassnahmen. Die Fäden liefen dabei hauptsächlich beim damaligen Ghef des Bureaus für Passwesen der italienischen Gesandtschaft in Bern, Giovanni Signori, zusammen. --- Die Ausländer Vezzari und Vernizzi wurden in der Folge vom Bundesrat ausgewiesen.

Zwei andere Personen, die in die Spitzelaffäre verwickelt1 waren, sind unter Androhung der Ausweisung verwarnt worden. Ferner wurde auf diplomatischem Wege die Entfernung Signoris aus der Schweiz veranlasst.

Eine Ausweisungsverfügung vom Jahre 1929 betraf die beiden Italiener Buffoni Umberto und.Rizzoli Arturo. Durch Noten der italienischen Gesandtschaft waren die schweizerischen Behörden auf ein angeblich von Paris und Lausanne aus gegen den Chef der italienischen Regierung gerichtetes Komplott aufmerksam gemacht worden. Die Untersuchung ergab, dass die diesen Meldungen zugrunde liegenden Angaben von Buffoni, der im Aufträge des italienischen Konsuls in Lausanne, Zappoli, Informationen über das politische Tun in der Schweiz wohnender italienischer Staatsangehöriger eingezogen hatte, zu einem grossen Teil erfunden worden waren. Eizzoli spielte in der gleichen Sache eine äusserst zweideutige Rolle als Spitzel, der sich bald als Paschist, bald als Antifaschist ausgab, und sich auf diese Weise sowohl in faschistischen wie antifaschistischen Kreisen Eingang verschaffen wollte. Durch die polizeilichen Erhebungen stand jedenfalls
fest, dass auch Rizzoli in unzulässiger Weise Informationen politisch-polizeilicher Natur einzuziehen suchte.

Im Jahre 1930 musste der Bundesrat zu weitern Ausweisungen schreiten gegenüber Italienern, die an einem organisierten politischen Nachrichtendienst im Interesse des faschistischen Italien beteiligt waren. Es handelte sich um zwei im Tessin und in St. Gallen aufgedeckte Fälle politischer Spitzelei, wobei die Tatbestände bis in das Jahr 1928 zurückgingen. -- Im Tessin waren italienische faschistische Agenten, die speziell zu diesem Zweck in die Schweiz einreisten, die Auftraggeber. Die von ihnen angeworbenen, im Tessin wohnhaften Unteragenten hatten an Hand in Italien erstellter Listen über zahlreiche Personen Erkundigungen einzuziehen. Zum Teil handelte es sich auch hier bei den beobachteten Leuten wieder um solche, von denen man in Italien

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wissen wollte^ dass.sie Attentatspläne'gegen das faschistische Regime hegteni Es wurden ferner. Namen von Anhängern der sozialistischen Partei vermittelt, Namen von Italienern, die als' Freimaurer bekannt waren, Namen von « Gegnern des Faschismus». Die'Agenten .erhielten für ihre Dienste Bezahlung. Die Übermittlung der Nachrichten erfolgte mündlich oder schriftlich. -- In St.Galleii hatte sich der italienische i Vizekonsul Giacomo Ungarelli teilweise durch italienische Staatsangehörige, zur Hauptsache aber durch den Inhaber eines Informationsbureaus . über Personen und allerlei Vorgänge Nachrichten beschafft, die zum Grossteil ausgesprochen politisch-polizailicher Natur waren.

Es konnten nach schweizerischer Auffassung keine Zweifel bestehen, dass das Organisieren und Betreiben eines so gearteten Informationsdienstes nicht in den Bereich der einem ausländischen Konsularvertreter zustehenden Tätigkeit fiel, sondern eine unzulässige Überschreitung der konsularischen Amtsbefugnisse darstellte.--Diese beiden neuen Fälle faschistischer Spitzelei auf Schweizerboden gaben dem Bundesrat Anlass, sich gestützt auf ein Gutachten des Bundesanwaltes mit der Frage der strafrechtlichen Ahndung eines solchen politischen Nachrichtendienstes zu befassen. Die Situation war so, dass die Anklagekammer des Bundesgerichtes vor Jahren die Anklage gegen einen ausländischen Polizeispitzel, der sich in durchaus ähnlicher Weise wie die faschistischen Agenten in der Schweiz betätigte, nicht zugelassen hatte, weil sie der Auffassung war, dass diese Tätigkeit sich unter keinen Artikel des eidgenössischen Strafrechtes subsumieren las.se (Fall des österreichischen Spitzels Contini aus .dem Jahre 1854), Seither waren alle derartigen Fälle administrativ',; d. h. 'durch Ausweisungsverfügungen etc., erledigt worden. Es1 stellte sich die Frage, ob auch die beiden neuen Fälle so behandelt werden sollten oder ob durch, die Einleitung einer Straf Untersuchung eine neue bundesgerichtliche Überprüfung der erwähnten Eechtsfrage zu veranlassen sei. Der Bundesrat, entschied sich für das erstere, vor allem deshalb, weil sich, abgesehen vom Vizekonsul Ungarelli, nur die letzten Glieder der Spitzelorganisationen in den Händen der schweizerischen Polizei befanden, nicht aber die Hauptagenten.

Durch Beschluss vom März 1930. verfügte die
Landesregierung gestützt auf Art. 70 der Bundesverfassung die Ausweisung folgender, an den beiden Spitzelaffären beteiligter Italiener: Guidone Luca, Saltamerenda Saverio, Pradella: Erminia alias Reginetti Irma, Bazzi Giovanni, Scala Pietro, Valt Candido, Panella Giuseppe, Broggi Éduardo. Drei weitere Ausländer, worunter zwei Italiener und ein Deutscher, wurden i verwarnt. Die Angelegenheit hatte, ferner ein diplomatisches Nachspiel. Bereits wegen der Affären Signori, Ver-; nizzi, Vezzari sowie Buffoni und Rizzoli war der Bundesrat bei der italienischen Regierung vorstellig geworden, ohne dass dies jedoch, wie die neuen Aufdeckungen .zeigten, die gewünschte Wirkung, ein Verschwinden des faschistischen Spitzeltums, zur Folge gehabt hätte. Gestützt auf das Beweismateriäl.

der neuen Fälle forderte der Bundesrat nunmehr die Entfernung der Konsularbeamten und -angestellten, die als Auftraggeber von Spitzem aufgetreten, waren. Es betraf dies : den, bereits .genannten Vizekonsul, Ungarelli und;dessen

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Sekretär Achille Zen, femer déni damaligen italienischen Honorar-Vizekonsul in Lausanne, Giovanni'Marucci,. der inzwischen von. der Waadtländer Polizei ebenfalls; des politischen Nachrichtendienstes -r- der Tatbestand war ähnh'ch wie derjenige von St. Gallen -- überführt worden war.' Die faschistischen italienischen Behörden zeigten zuerst wenig Neigung, diesem Verlangen zu entsprechen. Sie suchten die politische Informationstätigkeit der fraglichen Konsularbeämten zu rechtfertigen1 mit dem Hinweis auf die starke antifaschistische Tätigkeit in der Schweiz und auf die für Italien bestehende Notwendigkeit, sich gegen die von allen Seiten geführten Angriffe zu schützen.

Nach wiederholten diplomatischen Schritten in Bern und Rom, wobei man von' Seiten der Schweiz den Entzug des Exequaturs in Aussiebt stellte, wurde den schweizerischen Begehren jedoch schliesslich entsprochen, Ungarelli, Zen .und Marucci von ihren Posten entfernt. 1931 wurde ferner auch der italienische Konsul in Lausanne, Italo Zappoli, der in die Angelegenheit; Buffoni und Eizzoli verwickelt war und über dessen Auftreten und Tätigkeit auch sonst wiederholt Klagen eingegangen waren, aus der Schweiz abberufen.

Trotz den von der Schweiz ergriffenen Sanktionen liess die, faschistische italienische Polizei nicht davon ab, Agenten mit Spitzelauftragen auf Schweizerboden einzusetzen. Erhebungen der Tessiner Polizei führten im Jahre 1932 zur Aufdeckung eines neuen, schwerwiegenden Falles politischen Nachrichtenj dienstes, der nach Auffassung des Bundesrates nun allé Voraussetzungen für eine strafrechtliche Behandlung erfüllte. Bei einer der verhafteten Personen, dem Italiener Firstermacher Alberto, handelte es sich um einen eigentlichen Funktionär, einen Detektiv der italienischen Polizei, speziell der 0VEA (Opera Vigilanza Eepressione Antifascista). Dieser hielt sich seit März 1932 an verschiedenen Orten der Schweiz auf, wobei er unter falschem Namen, mit zwei Pässen versehen, in die Sahweiz einreiste. Zuerst hatte er die Aufgabe, in Basel Erhebungen über Anarchisten zu machen und während der Anwesenheit des italienischen Ministers Grandi an einer Konferenz in Lausanne die dortigen sowie die genferischen Lokale der Anarchisten und Antifaschisten zu beobachten.

Später war der Auftrag, italienische antifaschistische Flüchtlinge im Tessin zu,
überwachen. Firstermacher gab zu, von seinen vorgesetzten Stellen in !ßom mit dieser Mission betraut worden zu sein. Bei Firstermacher wurde ein Koffer mit Sprengstoffen und Zündschnüren beschlagnahmt. Nach seinen eigenen Aussagen wäre dieses Material dazu bestimmt gewesen, bei italienischen politischen Flüchtlingen im Tessin untergebracht zu werden, um diesen die Anschuldigung zuzuziehen, Sprengstoffattentate gegen das faschistische Eegime EU planen. Neben Firstermacher wurden weitere Agenten verhaftet, deren Aufträge von faschistischen Funktionären in Varese ( Quästor Francesco Diaz) und Mailand stammten. Auch hier bestand die Aufgabe der Spitzel darin, in der Schweiz wohnende Personen, u. a. auch Schweizerbürger, zu beobachten. -- Am S. November 1932 beschloss der Bundesrat die Einleitung eines gerichtr liehen Strafverfahrens gegen Firstermacher und Mitbeteiligte wegen Verletzung ;Von Art. 39 des Bundesstrafrechtes sowie wegen Sprengstoffvergehens

186 und Gebrauch eines falschen Passes. Die Untersuchung wegen Sprengstoffvergehens musste in der Bolge eingestellt werden, weil kein Tatbestand des Sprengstoffgesetzes vorlag. Aber auch die Anklage wegen Verletzung von Art. 89 des Bundesstrafrechtes wurde von der Anklagekammer des Bundesgerichtes nicht zugelassen, hauptsächlich deshalb nicht, weil die Angeschuldigten nicht eine in die ausschliessliche Zuständigkeit schweizerischer Behörden fallende Amtshandlung ausgeübt hätten und weil kein vom Völkerrecht allgemein anerkannter Grundsatz verletzt worden sei. Es kam daher einzig zu einer Verurteilung Firstermachers wegen Gebrauchs des falschen Passes zu 14 Tagen Gefängnis. Durch Beschluss vom 13. Dezember 1932 verfügte der Bundesrat anschliessend die Ausweisung von sechs in die Polizeispitzelaffäre verwickelten Ausländern. Es betraf dies: Firstermacher Alberto, Corona Eodriguez Luisa, Sertorio Giovanni, Alabiso Luigi, Eoda Graziella, Zamböni Assunto. Ferner wurde das Politische Departement beauftragt, neue diplomatische Schritte bei der italienischen Eegierung zu unternehmen.

Die Sanktionen, die im Falle Firstermacher und Mitbeteiligte nach geltendem Eecht gegen die überführten Polizeispitzel ergriffen werden konnten, waren, wie der bundesrätliche Geschäftsbericht über das Jahr 1932 feststellte, unbefriedigend. ' Eine Ergänzung der einschlägigen strafrechtlichen Bestimmungen drängte sich gebieterisch auf. Eine erste diesbezügliche Vorlage enthielt der bundesrätliche Entwurf vom Mai 1933 zu einem Bundesgesetz über den Schutz der öffentlichen Ordnung (Ordnungsgesetz). Als das Schweizervolk dieses in der Abstimmung vom März 1934 verwarf, kam es im Oktober gleichen Jahres zur Einreichung einer Verfassungsinitiative zum Schutz der Armee und gegen ausländische Spitzel, die u. a. den gegen das Spitzelwesen gerichteten Artikel der verworfenen Vorlage wieder aufnahm. Der Kanton Tessin hatte inzwischen seinerseits die im Ordnungsgesetz vorgesehenen Strafbestimmungen mit geringen Abänderungen in ein kantonales Spezialgesetz aufgenommen. Im März 1935 legte auch der Eegierungsrat des Kantons Basel-Stadt den Entwurf zu einem Gesetz betreffend Ergänzung des kantonalen Strafrechtes durch Aufnahme von Strafnormen gegen den Nachrichtendienst für einen fremden Staat und unbefugte Amtshandlungen für das Ausland
vor. Im Grossen Bat des Kantons Schaffhausen wurde ebenfalls eine die Schaffung solcher Strafbestimmungen verlangende Motion eingereicht.

Es war verständlich, dass sich gerade die Grenzkantone gegen solche Übergriffe -- zu den faschistischen hatten sich inzwischen die nationalsozialistischen gesellt -- schützen wollten. Da sich die fraglichen Vergehen oft auf das Gebiet mehrerer Kantone erstreckten und letzten Endes einen Angriff auf die Gebietshoheit der Schweiz bedeuteten, erschien jedoch eine bundesrechtliche Regelung nach wie vor als geboten. Sie erfolgte schliesslich im Bundesbeschluss vom 21. Juni 1935 betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft («Spitzelgesetz», A. S. 51, 482). Der neue Erlass brachte gleichzeitig die rechtlichen Grundlagen für die Schaffung eines eigenen Polizeidienstes der Bundesanwaltschaft; eine Neuerung, die sich u. a< gerade auch :für die polizeiliche Bekämpfung des ausländischen Spitzelwesens als notwendig erwiesen hatte.

187 V. Die Aktionskomitees für die Universalität von Rom.

Im Oktober 1988 kam in der Schweiz die erste Nummer des «Schweizer Fascist» heraus. Das neue Blatt war das Organ der von Arthur Fonjallaz ins Leben gerufenen «Schweizerischen fascistischen Bewegung», die in der von Nino Rezzonico gebildeten «Federazione Fascista della Repubblica dèi Cantorie Ticino» auch einen Ableger im Tessin hatte. In der zweiten Hälfte 1934 folgte die Gründung des «Parti fasciste suisse». Von diesen schweizerischen Gruppen faschistischer Prägung war im ersten Teil des Berichtes zur Motion Boerlin, im Kapitel über die schweizerischen Rechtsextremisten, bereits die Rede. Da sie während des Krieges 1939 bis 1945 keine Rolle mehr ', spielten, erübrigt es sich, auf Einzelheiten ihrer Organisation und ihrer Tätigkeit zurückzukommen.

Hingegen soll hier noch an eine Organisation italienisch-faschistischen Ursprungs erinnert werden, an der die schweizerischen Faschisten mitarbeiteten, an die sogenannten «Aktionskomitees für die Universalität von Rom» (Comitati d'azione per la universalità di Roma; C. A. U. R.).

; Die «Aktionskomitees für die Universalität von Rom» hatten ihren Hauptsitz in Rom und Verzweigungen im übrigen Italien und im Ausland. Die in der ersten Nummer des «Schweizer Fascist» veröffentlichten Statuten enthielten über das Ziel dieser «propagandistischen und kulturellen Organisation» folgende Bestimmungen: «Die ,,Aktionskomitees für die Universalität von Rom" setzen sich das Ziel, die universelle Sendung des Römertums zu verkünden und in freiwilligmilitantem Geiste das lebendig förderliche Organ für die fortschreitende Wirkung und Festsetzung der Universalität von Mussolinis Gedankenwelt zu sein.

Sie betrachten das Mussolinische Römertum als die beseelende Idee Europas und den Duce als den Erbauer und Verkünder einer neuen Weltwahrheit.

Die Organisation wird ohne Unterlass den Stolz und das Bewusstsein der Abstammung pflegen sowie den Kult Roms und des Römertums, im Sinne einer überragenden Norm des Friedens, der Gerechtigkeit und Billigkeit füf alle Länder und: alle Völker.» Nach dem übrigen Wortlaut der Statuten waren die «Komitees für die Universalität von Rom» 1933 noch vor allem für Italiener bestimmt. Immerhin konnten auch schon damals solche Ausländer beitreten, «die ihre gefühlsmässige und ideelle
Einstellung zur moralischen und geistigen Kraft des Römertums und zum universellen Begriff und Wert eindeutig begriffen haben, den die Lehre des Duce nunmehr in der Welt darstellt ; jene, die auf Grund dieser Lehre den wahren europäischen Frieden und die Rettung der abendländischen Zivilisation verwirklichen wollen». Für die Ausländer waren «besondere Vorschriften in einem eigenen Reglement» vorgesehen. --· Später gelangte die BundesanwahV Schaft in den Besitz von Statuten aus dem Jahre 1935. Auch sie sahen vor, dass der Vorsitzende der Organisation immer ein Italiener sein müsse. Hingegen waren nun die «Komitees» nach diesen neuern Statuten in erster Linie als Organisation für Nichtitaliener gedacht mit dem Zweck, für die faschistischen

188 Ideen auch ausserhalb Italiens zu werben und eine Verbindung zwischen den faschistischen Organisationen der verschiedenen Staaten herzustellen.

Wie schon angedeutet wurde, haben sich der «Schweizer Fascist» und die hinter ihm stehende Organisation Fonjallaz von Anfang an zu den Zielen der .«Aktionskomitees für die Universalität von Born» bekannt. Die in der ersten Nummer publizierten Statuten waren von Fonjallaz «im Namen des schwelgerischen Aktionskomitees für die Universalität von Born» unterzeichnet. In der schweizerischen Öffentlichkeit wurde man,auf die Organisation insbesondere aufmerksam, als im Dezember 1934 in Montreux '·-- ohne dass die Bundesbehörden vorher davon in Kenntnis gesetzt worden wären -- unter dem Vorsitz des italienischen Deputierten Eugenio Goselchi ,ein Kongress der «Komitees für die Universalität von Born» abgehalten wurde, an welchem Vertreter faschistischer Organisationen aus 14 verschiedenen Staaten teilnahmen.

Den schweizerischen politischen Gruppen faschistischer Observanz war kein langes Leben beschieden. Die- Tessiner wurden bereits im Jahre 1935 .damit fertig. Die letzte Nummer des «Schweizer Fascist» erschien im Januar 1936. Die von Schweizern gebildeten rechtsextremen Organisationen, mit denen sich die Behörden in den unmittelbaren Vorkriegsjahren zu befassen hatten, richteten ihr Auge mehr nach dem nationalsozialistischen Deutschland als nach dem faschistischen Italien. Damit waren offenbar auch die Voraussetzungen für die Tätigkeit eines schweizerischen «Aktionskomitees für die Universalität von Born» dahingefalìen. Jedenfalls ist polizeilich ein solches später nicht mehr in Erscheinung getreten.

VI. Die Entwicklung der italienischen faschistischen Organisationen in den dreissiger Jahren.

Mit Kreisschreiben vom Februar 1936 ersuchte die Bundesanwaltschaft die obersten Polizeibehörden der Kantone um Berichterstattung über die Tätigkeit der in der Schweiz existierenden politischen Vereinigungen von Ausländern. Wie im ersten Teil des Berichtes zur Motion Boerlin erwähnt wurde, gaben vor allem die deutschen Nationalsozialisten Anlass zu dieser Umfrage.

Die kantonalen Berichte bezogen sich aber auch auf die italienischen faschistischen Organisationen und vermittelten einen Überblick über deren Aktivität. Es ergab sich folgendes Bild : Die italienischen
Faschisten waren nach wie vor bemüht, ihre Organisationen weiter auszubauen. Immer wieder gab es da und dort faschistische Neugründungen, sei es von Fasci oder von Nebengebilden derselben (Dopolavoro etc.), andererseits allerdings auch vereinzelte Bückschläge, indem gewisse örtliche Organisationen sich nicht als lebensfähig erwiesen. Ein auffallender Unterschied gegenüber den ersten Jahren der faschistischen Tätigkeit in der Schweiz bestand darin, dass sich die faschistische Werbetätigkeit nicht mehr so «geräuschvoll» abwickelte wie früher. Die Faschisten waren dazu übergegangen, vor allem dadurch zu werben, dass sie den Angehörigen der Fasci

189 und der übrigen von ihnen geleiteten Vereinigungen mit staatlicher italienische^ Hilfe mancherlei Annehmlichkeiten und Vorteile zu bieten suchten, Die Organisation «Dopolavoro», die mit der Zeit an allen bedeutenderen Standorten italienischer Kolonien entstanden war, bot ihren Mitgliedern vielfache Möglich^ keiten, die Freizeit nutzbringend oder angenehm zu verbringen. Es wurden «italienische Häuser» (case d'Italia) eingerichtet, teilweise mit finanzieller; Unterstützung Italiens neu gebaut, Häuser und Lokale, wo die verschiedenen faschistischen Vereinigungen ihre Sitzungen und Anlässe abhielten und in denen sich die italienischen Staatsangehörigen auch sonst treffen konnten. Die Kinder der italienischen Kolonien in der deutschen und französischen Schweiz erhielten Gratisunterricht in der italienischen Sprache. Für Kinder wurden ausserdem mehrwöchige Ferienaufenthalte in Italien vermittelt. Auch für die Erwachsenen gab es allerlei Vergünstigungen. Faschistische Eeisegesellschaften konnten z.B. unter bestimmten Bedingungen die italienischen Bahnen unentgeltlich benützen. Schliesslich lag auch das ganze Wohlfahrtswesen für die Italiener im Ausland, soweit es vom italienischen Staat abhing, nunmehr in faschistischen Händen. Es war begreiflich, dass angesichts dieser Sachlage die faschistische Werbung und Propaganda in der italienischen Kolonie immer wieder ihre Erfolge zeitigten. Diese bestanden vor allem auch darin, dass ein Grossteil der italienischen Staatsangehörigen in der Schweiz in den italienischen Kolonien mitmachte, obschon dieselben nun seit Jahren von den faschistischen Auslandsvertretungen betraut wurden.

j Die Tätigkeit der Fasci und deren Nebengebilde war von Ort zu Ort verschieden intensiv. Sie schien weitgehend von der mehr oder weniger grossen Initiative der italienischen Konsularvertreter und der Fasciosekretäre abhängig zu sein. Die Polizeidirektion des Kantons Schaffhausen teilte z. B. mit, dass sich nach einem Personenwechsel :auf dem Konsulat sofort eine regere Werbetätigkeit des örtlichen Fascio bemerkbar machte. Der Kanton Tessin meldete als übermässig eifrigen Faschisten den damaligen italienischen Konsularagenten in Bellinzona, Carlo Pedrazzini ; während in den übrigen Zentren des Kantons die Tätigkeit der italienischen faschistischen Organisationen eine beschränkte sei,
vergehe keine Woche, ohne dass Pedrazzini in- und ausserhalb Bellinzonas irgend etwas organisiere, was in der Bevölkerung nachgerade Anstoss errege.

Bei diesen beiden Meldungen handelt es sich indessen um die einzigen, die von einer vermehrten Tätigkeit der italienischen Faschisten berichteten. Im grossen und ganzen war es um die Fasci in der Schweiz stiller geworden. Das Leben der italienischen faschistischen Organisationen spielte sich fast ausschliess^ lieh in geschlossenem Kreise, vor allem in den «Case d'Italia» ab.

Am 26. September 1935 waren vom eidgenössischen Justiz- und Polizeiv département Eichtlinien betreffend die politischen Vereinigungen von AUST ländern in der Schweiz erlassen worden (BB11935 II457). Auf die Anfrage der Bundesanwaltschaft, ob Zuwiderhandlungen gegen diese Bichtlinien festgestellt worden seien, antworteten die Kantone in bezug auf die italienischen faschistischen, Organisationen negativ.

190 Hingegen ging aus verschiedenen Angaben hervor, dass der Gesellschaft «Dante Alighieri» spezielle Aufruerksaüikeit zu schenken war. Der zusammenfassende Bericht der Bundesanwaltschäft an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vom 23. September 1936 sprach sich darüber wie folgt aus: «Besondere Beachtung verdienen heute noch die Gesellschaft Dante Alighieri, ihre Schulen und Wanderredner. In verschiedenen. Kantonen ist festgestellt worden, dass auch Schweizerkinder die Schulen der Dante Alighieri besuchten und Ferienreisen nach Italien mitmachten. So hat die Schulkommission Ölten den Kindern schweizerischer Nationalität den Besuch der Italienischkurse der Dante-Alighieri-Gesellschaf t untersagt, ausser aus schultechnischen Gründen u. a. auch deshalb, weil die genannte Gesellschaft mit der Sprachvermittlung in erster Linie nationalistische Ziele verfolgt. Dieselbe Frage stellte sich auch in Herisau! -- Im Kanton Graubünden z. B. gibt es auch italienische Vollschulen, deren Besucher Gratisferien in Italien gemessen. Die Erziehungsbehörden befassen sich zur Zeit mit dieser Angelegenheit. -- Wir erwähnen diese Verhältnisse im Hinblick auf die Zusammenhänge zwischen der Dante Alighieri und der irrèdentistischen Propaganda. Die Polizeidirektion Tessin macht ganz besonders auf die kulturpolitische Arbeit der Dante Alighieri im Kanton Tessin aufmerksam und bemerkt, dass. diese irredentistische Vereinigung verschwinden sollte.» Von faschistischer Spitzelei und Angeberei war noch in einigen kantonalen Berichten die Eede. Aus Grenchen wurde auf die enge Verbindung zwischen der dortigen «Dante Alighieri» und dem italienischen Konsulat in Bern hingewiesen und beigefügt, dass das letztere vermutlich über sämtliche Vorkommnisse in- und ausserhalb der «legalen» Vereinigungen auf dem laufenden gehalten werde. Die Polizeidirektion des Kantons Aargau berichtete aus Brugg, die dem Fascio nicht angehörenden Italiener hätten das Gefühl, sie würden von den Faschisten ausgehorcht und bei den italienischen Konsulaten denunziert. Die Tessiner Polizeibehörden äusserten ihrerseits die Auffassung, dass das italienische Vizekonsulat in Locamo und die Konsularagenturen in Chiasso und Bellinzona neben dem italienischen Konsulat in Lugano keine Existenz-r berechtigung hätten; die Zahl der amtlichen oder halbamtlichen
Konsularagenten sei übertrieben gross und erwecke im Tessin den Eindruck, dass man von italienischer Seite kontrolliert werde. Fälle nachgewiesener faschistischer Spitzeltätigkeit, bei denen die Voraussetzungen für die Einleitung eines Strafverfahrens vorgelegen hätten, wurden hingegen von den Kantonen keine gemeldet.

VII. Der italienisch-schweizerische Irredentismus in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.

Ein Überblick über die faschistische Tätigkeit auf Schweizerboden in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wäre unvollständig, wenn nicht ein Thema noch kurz berührt würde, das in der schweizerischen Öffentlichkeit bei Diskussionen über faschistische Umtriebe immer wieder zur Sprache kam,'

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das .Thema des italienisch-schweizerischen Irredentismus. Es kann sich allerdings nicht darum handeln, über dieses Kapitel hier erschöpfend zu berichten. Was folgt, sind einige zusammenfassende Angaben, die in den Rahmen der übrigen Ausführungen des Berichtes zur Motion Boerlin gehören.

Wer vom italienischen, gegen den Tessin gerichteten Irredentismus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg spricht, muss auch von der Zeitschrift «Adula» reden, die im Tessin selbst in einem kleinen Kreis von Personen den irredentistischen Gedanken geweckt und ihn; auch über die Grenze getragen hat. Einige Bemerkungen über die «Adula» und die Adulaner seien daher vorausgeschickt.

Die «Adula» wurde im Somrnpr 1912 in Bellinzpna von Teresa Bontempi und Bosetta Colombi gegründet. Nach den Feststellungen des Untersuchungsrichters, der die Adulaaffäre der Jahre 1935/36 bearbeitete, stammte allerdings die Idee, ein schweizerisches Organ für italienische Kultur -- so lautete der ursprüngliche Untertitel der Zeitschrift -- zu schaffen, vor allem vom Vater der Teresa, Giacomo Bontempi und von Carlo Salvioni, Professor an der Akademie in Mailand. Die beiden genannten Frauen hatten jedoch die Leitung des Blattes inné, vorerst geineinsam, bis Eósetta Colombi 1920 den Italiener Parini, den spätem Generalsekretär der italienischen Fasci im Ausland, heiratete. Von dieser Zeit hinweg trat dann Emilio Colombi, der Vater der Eósetta, besonders hervor. Neben ihm hatte die Zeitschrift eine Eeihe anderer, meist anonymer Mitarbeiter.' Sie und die übrigen Sympathisanten der «Adula» bildeten den Kreis der Adulaner.

. Bis zum Ende des ersten Weltkrieges hatte die «Adula» noch nicht einen ausgesprochen irredentistischen Charakter. Die Verteidigung der italienischen Kultur des Tessins gegenüber allem Artfremden stand im Vordergrund.

Dabei vertrat das Blatt allerdings einen kompromiss^isen Föderalismus, der häufig zu einer überbordenden Kritik der Bundesbehörden führte. Während des Krieges betraf diese Kritik der «Adula», die uneingeschränkt für die Kriegspartei Italiens Stellung bezog, vor allem .die schweizerische Neutralitätspolitik: Ganz allgemein sah die «Adula» indessen schon damals an der Eidgenossenschaft wenig Gutes. Sie lenkte ihre Blicke lieber über die Grenze in das benachbarte Oberitalien, mit dem sie sich mehr verbunden fühlte als
mit den eidgenössischen Kantonen jenseits der Alpen.

, ; Als Italien als Siegerstaat aus dem ersten Weltkrieg hervorging und sich im Begno aus dem durch den Krieg aufgepeitschten Nationalismus die neuen, alle Gebiete italienischer Zunge betreffenden irredentistischen Strömungen entwickelten, da schwenkte auch die «Adula» eindeutig in das irredentistische Fahrwasser ein. In diese Zeit fällt die Affäre Carmine/D'Annunzio, der eigentliche Anfang des gegen die Schweiz. gerichteten italienischen Nachkriegsirredentismus. Der Tessiner Adolfo Carminé, der sich während des Krieges iu Amerika ein Vermögen gemacht hatte und der, in die Heimat zurückgekehrt, auch auf politischem Boden Lorbeeren ernten wollte, überbrachte im November 1920 Gabriele d'Annunzio nach dem von dessen Legionären besetzten Fiume zwei

192 Sympathieadressen aus dem Tessin. D'Annunzio antwortete mit der bekannten, irredentistische Anspielungen enthaltenden Proklamation «An die jungen Tessiner». Diese «jungen Tessiner» (Giovani ticinesi), die den Cannine als willkommenes Werkzeug benutzt hatten, waren niemand anderes als eine Handvoll Leute aus dem Adulakreis. Im Juni 1921 folgte die Bede, die Mussolini als Deputierter in der italienischen Kammer hielt und in der er den Gotthard, .«die natürliche und sichere Grenze Italiens», als italienische Aspiration («aspirazione di avanguardia») bezeichnete. Sie gab der nach dem Tessin trachtenden irr.edentistischen Pressekampagne in Italien, die bereits durch die Proklamation d'Annunzios entfacht worden war, neuen Auftrieb. Die «Giovani ticinesi» taten ihr möglichstes, das Feuer über die Grenze zu schüren. Aus ihrem Kreis stammte das im Jahre 1924 erschienene, in Piume gedruckte, anonyme Buch «Là Questione ticinese», das wegen seines irredentistischen Inhalts von den schweizerischen Behörden beschlagnahmt wurde.

Die irredentistischen Hoffnungen der «Adula» gingen indessen nicht in Erfüllung. Die antiirrederitistische Eeaktion im Tessin war eindeutig, sogar 'so heftig, dass das Blatt eine Zeitlang sein Erscheinen einstellen musste. Dazu kam, dass Mussolini als Regierungschef nach der Machtergreifung von den gegen die Schweiz gerichteten irredentistischen Zielen, von denen er als Parteimann gesprochen hatte, deutlich abrückte. Wohl oder übel musste sich auch die «Adula» diesen veränderten Verhältnissen anpassen. Sie kehrte wieder etwas mehr auf ihre ursprüngliche Linie zurück und leugnete mit der Zeit irredentistische Ziele ausdrücklich ab.

Im allgemeinen wurde die Zeitschrift in der Öffentlichkeit jedoch auch in dieser spätem Zeit als irredentistisches Organ betrachtet. Ihre Schreibweise gab auch allen Grund dazu. Alles, was aus dem faschistischen Italien stammte und dort vorging, wurde von der «Adula» vorbehaltlos gefeiert und gelobt.

Alles, was schweizerisch war, bedeutete ihr Unheil. Der Faschismus wurde verherrlicht, die Demokratie verdammt. Von jeher hatte es die «Adula» als ihre Hauptaufgabe betrachtet, ihren schweizerischen und italienischen Lesern das Schreckgespenst der angeblich in alarmierender Weise bereits bestehenden und immer noch zunehmenden Verdeutschung des Tessins an die
Wand zu malen. Es blieb dies auch jetzt ihr Steckenpferd. Dass es notwendig war, alles zu tun, um dem Tessin seine kulturelle Eigenart zu wahren, und dass es da und dort in dieser Hinsicht noch vermehrter Anstrengungen bedurfte, darüber war man sich in;allen Kreisen des südlichen Grenzkantons einig. Der Grossteil der Tessiner Bevölkerung --- von der übrigen Schweiz gar nicht zu sprechen -- stimmte jedoch auch darin überein, dass die «Adula», die ständig und immer wieder das Tessin als ein in hoffnungslose Bedingungen zurückgefallenes, in voller Dekadenz befindliches Gebiet, die Tessiner als ein vom Deutschtum unterdrücktes und verbastardisiertes Volk schilderte, masslos übertrieb und ein völlig verzerrtes Bild der Verhältnisse vermittelte. Das Ziel, das die Zeitschrift mit dieser Schwarzmalerei verfolgte, war offensichtlich.

Es ging ihr immer nur darum, das faschistische Italien mit der «Tessiner Frage»

193 zu befassen, es von der Gefahr, die seiner Sicherheit aus der angeblichen Verdeutschung des Tessins erwachse, zu überzeugen, die Tessiner Frage :zu einem internationalen Problem zu machen. Das Blatt bewegte sich dabei ständig am Bande dessen, was nach Eecht und Gesetz noch zulässig war. Es wurde daher von den eidgenössischen und den Tessiner Behörden aufmerksam beobachtet. Als die «Adula» 1931 den «Almanacco della Svizzera Italiana» herausgab, der wegen des irredentistischen Charakters verschiedener darin enthaltener Aufsätze weitherum im Tessin Empörung hervorrief, enthob die Tessiner Regierung Teresa Bontempi ihres Amtes als kantonale Inspektorin der Kleinkinderschulen. 1935 folgte schliesslich die Strafuntersuchung gegen Emilio Colombi, Teresa Bontempi und Mitbeteiligte, von der bereits im ersten Teil des Berichtes zur Motion Boerlin die Rede war. Angesichts des veralteten, in bezug auf die Verfolgung irredentistischer Unitriebe lückenhaften Bundesstrafrechtes von 1853 kam es nicht zu einer Verurteilung, ^sondern zu einer Aufhebung der Untersuchung unter teilweiser Überbindung der Kosten an die beiden genannten Hauptangeschuldigten. Die Tatsache, dass die Tätigkeit des Colombi und der Bontempi geeignet war, die Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden, ging aber aus der Untersuchung klar hervor. Das Verbot der «Adula», das vom Bundesrat bereits im August 1935 beschlossen worden war, blieb daher aufrechterhalten. Die gemachten Erfahrungen führten ferner zur notwendigen Ergänzung des Bundesstrafrechts durch das Bundesgesetz vom 8. Oktober 1936 betreffend Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (A. S. 53, 37).

' .

.'

; Welche Haltung nahm der italienische Faschismus nach der Machtergreifung gegenüber, dem italienisch-schweizerischen Irredentismus ein ? Es fällt nicht leicht, einzig gestützt auf die von1 den schweizerischen Behörden gemachten Feststellungen darüber ein abschliessendes Urteil abzugeben. Auf der einen Seite hatte Mussolini schon bald nach der Übernahme der Regierung als Ministerpräsident das Wort geprägt, dass für .die italienische Regierung keine Tessiner Frage existiere. Daran hielt die faschistische Regierung in der ganzen Zwischenkriegszeit fest, und sie hat -- das muss der Wahrheit zuliebe anerkannt werden -- dieses Wort oft auch in die Tat umgesetzt'. Auf
der andern Seite stehen aber die zahlreichen Fälle, wo die Schweiz feststellen mussté, dass der nach dem Tessin gerichtete irredentistische Geist im faschistischen Italien keineswegs erloschen warv sondern in gewissen Kreisen weitergepflegt wurde, teils versteckt; teils aber auch offen. Einige Daten;mögen das Bild veranschaulichen: 1924: Abschluss des schweizerisch-italienischen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren. Nachdem kurz vorher Mussolini gegenüber schweizerischen Journalisten die Erklärung bestätigt hätte, dass für die italienische Regierung eine Tessiner Frage nicht existiere («Posso assicurarvi che una questione del Ticino non esiste per il governo italiano»), wird das Zustandekommen des Schieds-

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Vertrages in den eidgenössischen Bäten als eine Verneinung irgendwelcher irredentistischer Ziele der italienischen faschistischen Eegierung gewürdigt.

' 1928: Mussolini gibt am 6. Juni 1928 im italienischen Senat Erklärungen über die auswärtige Politik Italiens ab. Nach einem Hinweis auf die vorhandenen freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien führt er aus : «Italien hat ein fundamentales Interesse an der Existenz einer freien, unabhängigen neutralen Schweiz, und was den Kanton Tessin betrifft, der nach Sprache, Stamm und Sitten italienisch ist, so ist das fundamentale Interesse Italiens, dass er im Bahmen der Helvetischen Eidgenossenschaft als integrierender und nicht wegzudenkender Bestandteil (elemento integrante e integratore) verbleibe. Die wenigen, die diesseits oder jenseits des Gotthard immer noch die auch uns nicht unbekannte Gewohnheit haben, in flüchtigen Schatten greifbare Wesen zu erblicken, mögen von dieser deutlichen, feierlichen und endgültigen Erklärung Kenntnis nehmen.

1934: Verlängerung des schweizerisch-italienischen Schiedsvertrages. Anlässlich der Unterzeichnung der Protokolle richtete der italienische Regierungschef an den schweizerischen Bundespräsidenten ein Telegramm mit folgendem Wortlaut : « Im Augenblick, wo wir an die Unterzeichnung des Schiedsvertrages herangehen, durch den éventuelle Streitigkeiten zwischen Italien und der Schweiz in friedlicher und freundschaftlicher Weise beigelegt werden sollen, liegt mir daran, Ihnen meine lebhafteste Freude über diese vollständige und vorbehaltlose Bestätigung der zwischen den beiden Ländern bestehenden unzerstörbaren Freundschaft . zum Ausdruck zu bringen in der Gewissheit, dass der abgeschlossene Vertrag die immer umfassendere und engere Zusammenarbeit zwischen .' den beiden Ländern fördern wird.» 1936: In einer außenpolitischen Bede Mussolinis in Mailand vom 1. November . , 1936 fallen folgende Worte: «Eines der an Italien grenzenden Länder, .

mit welchem unsere Beziehungen immer äusserst freundschaftlich waren, sind und sein werden, ist die Schweiz --, ein kleines Land, aber von grösster Bedeutung in Europa wegen seines ethnischen Aufbaues und . seiner geographischen Lage.» : .

Die andere Seite der Bilanz: 1925: In Italien wird für die jungen Faschisten ein «Catechismo dei Balilla» herausgegeben, der u. a. folgende, die Schweiz betreffende Stelle enthält : «Frage: Ist die ganze Fläche Italiens in unserm Besitz? Antwort: Nein.

Von Frankreich müssen wir noch Korsika und Nizza zurückhaben; von der Schweiz den Kanton Tessin und einen Teil von Graubünden ;...» Im Herbst 1925 wird in der Lombardei die «Società Palatina» gegründet. Als Zweck gibt Art. 2 ihrer Statuten an: «Die Verbreitung der italienischen Sprache und Kultur im Ausland und die Verteidigung der einen und andern da, ,wo sie in ihrer natürlichen und freien Ausbreitung bedroht sein könnten. Vor allem wird die Gesellschaft ihre Tatkraft

195 in den italienischen Gebieten entfalten, die noch (!) fremden Eegierungen unterstehen, besonders in der italienischen Schweiz. » Das irredentistische Ziel der Vereinigung geht daraus deutlich hervor. In der Folge wird die fragliche Statutenbestimmung abgeändert. Sie spricht jetzt bloss von der Förderung der «geschichtlichen Forschung betreffend die italienische Schweiz, den Alto Adige und die Adriagebiete». Der Verdacht, dass die Änderung eine blosse Tarnung bedeutet, bleibt.

1926: Unter der Leitung von Prof. Arrigo Solmi, dessen nationalistische Einstellung bekannt ist, wird von der «Società Palatina » die Zeitschrift «Archivio storico della Svizzera italiana» ins Leben gerufen. Angesichts der bekannten Methode der Irredentisten, über die Kulturpropagandä dem politischen Ziel zuzustreben, drängt sich unwillkürlich ein Vergleich auf mit dem «Archivio per l'Alto Adige», das in der italienisch-österreichischen Irredenta eine grosse Bulle spielte. Hatte doch auch kurz vorher (1925) die Mailänder Zeitschrift «La Fiaccola» mit verblüffender Offenheit die Verteidigung der Italianität als die Vorstufe des politischen Irredentismus bezeichnet. Gewisse Artikel des «Archivio storico della Svizzera italiana», die in der Folge erscheinen, sind denn auch wenig geeignet, das Misstrauen auf Seiten der Schweiz zu beheben: 1931 : Zum «Archivio storico della Svizzera italiana» gesellt sich die italienische Zeitschrift «Baetia», die sich in gleicher Weise wie i die erstgenannte mit Italienisch- und Bomanischbünden befasst.

1935/36: Strafuntersuchung gegen Colombi und Mitbeteiligte. Die Finanzquellen der «Adula» können nicht vollständig abgeklärt werden, u. a.

deshalb, weil die Zeitschrift eine zweite Administration in Italien (Parma) hat. Es wird immerhin mit Sicherheit festgestellt, dass das Blatt von der Gesellschaft «Dante Alighieri» in Born Gelder erhielt. Aus der Untersuchung geht hervor, dass auch noch weitere italienische Kreise, die nicht genau festgestellt werden können, die «Adula» finanziell unterstützt haben müssen.

1922--1939: Schliesslich sind die Artikel der italienisch-faschistischen Presse mit ausgesprochen irredentistischem Inhalt oder zum mindesten mit deutlichen Anspielungen auf die italienischen Interessen an der « Tessiner, Frage» Legion. Es ist anzuerkennen, dass Mussolini die anfängliche,
zügellose, gegen den Tessin gerichtete irredentistische Pressekampagne, die er als Parteimann zum Teil selbst hervorgerufen hatte, als Ministerpräsident abstellte. Sie kam aber später in gewissen faschistischen Blättern in dieser oder jener Form immer wieder zum Aufflackern.

In spezieller Erinnerung blieb der Artikel des «Popolo d'Italia» vom 22. Juni 1934, den Gerüchte sogar Mussolini selbst zuschrieben und der in direkt drohender Weise von einem Interesse Italiens an der Erhaltung der Italianität des Kantons Tessin sprach.

196 Die Schlùssfolgerungen, die sich ergeben, können etwa wie folgt umsehrieben werden Es erscheint, gestützt auf die von der Schweiz gemachten Feststellungen, nicht berechtigt, in bezug auf unser Land die Formel zu prägen : Italienischer Faschismus: gleich Irredentismus. Die offiziellen Äusserungen der Eegierung Mussolinis und auch Handlungen derselben lassen diese Formulierung nicht zu. -- Anderseits kann aber kein Zweifel bestehen, dass es faschistische Kreise in Italien ' gab, und zwar bis hinauf in die obersten Behörden (Verbindung Parini-Rosetta Colombi-«Adula»), die den gegen die Schweiz gerichteten irredentistischen Geist nach wie vor weiterpflegten, und die wohl ,nur darauf warteten, dass Italien seine Politik gegenüber der Schweiz ändern werde. Es trat dies insbesondere zutage in der finanziellen und moralischen Unterstützung, die der «Adula» in Italien zuteil wurde. -- Bei gewissen faschistischen Unternehmungen auf kulturellem Gebiet lässt sich schwer sagen, ob sie letzten Endes auf irre dentistische Ziele gerichtet waren oder nicht. Jedenfalls erschienen sie in dieser Hinsicht mehr als verdächtig. -- Die Tatsache, dass die unentwegten italienisch-schweizerischen Irredentisten in der dirigierten faschistischen Presse in bestimmten Momenten immer wieder zu Worte kamen, lässt endlich darauf schliessen, dass das faschistische Eegime jedenfalls nicht alles tat, um diesen Leuten das Handwerk zu legen. Die Frage, ob dies deshalb geschah, weil man bewusst die Irredentisten als Figuren auf dem Schachbrett der italienischschweizerischen Politik belassen wollte oder aus andern Gründen, mag dabei offenbleiben.

Kriegsjahre.

I. Die italienischen faschistischen Organisationen der Kriegszeit.

Die hauptsächlichsten Partei- und Vereinsgebilde der italienischen Faschisten auf Schweizerboden sind im Kapitel über die Vorkriegsjahre bereits genannt worden. Die nachstehenden Angaben geben einige Einzelheiten und vermitteln einen Überblick über die Gesamtorganisation.

Die eigentliche politische Organisation der Faschisten, der Verband der eingeschriebenen Mitglieder der Partei, war der Fascio. Die Statuten der Fasci all' Estero aus dem Jahre 1928 wurden in wörtlicher Übersetzung wiedergegeben. Die darin enthaltenen Bestimmungen über Zweck und Tätigkeit der faschistischen Partei-Ausländsorganisation sind im wesentlichen bis zum Sturz des Faschismus in Geltung geblieben. Eingetretene Änderungen betrafen bloss formale Einzelheiten. -- Im Bericht über die Tätigkeit der deutschen Nationalsozialisten ist die «Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Landesgruppe Schweiz» mit ihren Ortsgruppen als die Trägerin des nationalsozialistischen Gedankengutes bezeichnet worden. Das gleiche ist in beztig auf die faschistische Doktrin vom Fascio zu sagen. Trotzdem wäre es, was den Cha-

197 rakter der Organisation anbelangt, nielli ganz richtig, die örtlichen Pasci und die Ortsgruppen der NSDAP unseres Landes einfach auf die'gleiche Stufe zu stellen. Die NSDAP ist bis zuletzt grundsätzlich eine politische Auslese geblieben, die Kerntruppe der Nationalsozialisten,. die entsprechend überall nur einen sehr kleinen Bruchteil aller nationalsozialistisch orientierten Deutschen unseres Landes urnfasste. Das kann vom Fascio nicht gesagt werden. Auf faschistischer Seite waren die italienischen Konsuln und die leitenden Leute der örtlichen Fasci ini Gegenteil bestrebt -- zum mindesten in gewissen Zeiten --, möglichst viele ihrer Landsleute dem Fascio zuzuführen. Sie hatten nach den Parteiweisungen ebenfalls ;eine gewisse Siebung der Kandidaten vorzunehmen. Freimaurern und Befraktären aus dem ersten'Weltkrieg war z. B.

der Beitritt zum Fascio verwehrt., Um eine Auslese der politisch Eifrigsten und Einsatzbereitesten handelt es sich aber nicht. Die! Fasci zählten entsprechend bedeutend mehr Mitglieder als die NSDAP. An gewissen Orten, z. B. im Tessinj konnte der Fascio geradezu als Dachorganisation der faschistisch orientierten Italiener betrachtet werden. In andern Kautonen hatten die Bemühungen der faschistischen Chefs, den Fascio zu vergrössern, weniger Erfolg, indem nur ein gewisser Bruchteil der italienischen Kolonie der Parteiorganisation selbst beitrat. Auch hier galt jedoch im grossen und ganzen das über die Auslese Gesagte.

Chef des. örtlichen Fascio war der Sekretär (segretario). Ihm zur Seite 'stand,das Direktorium (direttorio fascista). In dieses letztere wurden vor allem Leute berufen, die in der italienischen Kolonie Ansehen genossen. Zumeist handelte' es sich dabei uni besonders eifrige Faschisten. Nach gemachten Beobachtungen ist es aber auch vorgekommen, dass gewissen Leuten eine Charge im Direktorium mehr oder weniger aufgedrängt iwurde, weil die betreffenden Persönlichkeiten dem Fasciosekretär wertvoll schienen. Die praktische Bedeutung des Direktoriums war in den verschiedenen Fasci eine unterschiedliche. Am einen Ort hatten seine Mitglieder wirklich etwas zu sagen; in andern Fasci traf der Fasciosekretär seine Verfügungen, ohne sich viel um die Ansichten der Mitglieder dés Direktoriums zu kümmern. --: Ein weiteres Organ des Fascio war der aus 4--5 Mitgliedern zusammengesetzte
«Consiglio di disciplina». Ihm war die Aufgabe übertragen, «fehlbare» Landsleute zur Ordnung zu rufen und gegebenenfalls zuhanden der vorgesetzten Stellen Vorschläge für die Verhängung von Strafen zu unterbreiten.

In manchen Fasci waren der Hauptsektion noch Untersektionen aus der Umgebung angeschlossen. Diese Untersektionen wurden von einem «Fiduciario» geleitet, der im Direktorium des Fascio sass und direkt dem Fasciosekretär unterstand.

: : , Die, eingeschriebenen weiblichen Parteimitglieder bildeten den «Fascio femminile», ' dessen Leiterin ebenfalls direkt dem Fasciosekretär untergeordnet war. Der Fascio femminile betätigte sich nach den für den Fascio geltenden Eichtlinien auf allen Gebieten, welche die ; Frau interessieren : Bundesblatt. 98. Jahrg. Bd. II.

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Hauswirtschaft, Krankenpflege,- etc. Es wurden z. B. auch Näh- und Strickkurse durchgeführt. In erster Linie hatte der Eascio femminile aber die Aufgabe, bei der «opera assistenziale» des Fascio mitzuwirken.

Im Jahre 1941 und 1942 wurden von Born aus Bestrebungen unternommen, im Kreise der Easci unseres Landes Auslandsgruppen der faschistischen Miliz (Milizia volontaria per la sicurezza nazionale) zu bilden. Man scheint damit auf italienischer Seite vor allem den Zweck verfolgt zu haben, denjenigen Faschisten, die für eine Einberufung zum Kriegsdienst noch in Frage kamen, in Milizgruppen auch im Ausland durch sportliche Betätigung und theoretischen Unterricht eine vormilitärische Ausbildung zu geben. Nach den von den schweizerischen Behörden gemachten Beobachtungen kamen indessen diese Organisationsversuche überall, wo sich überhaupt Ansätze dazu zeigten (Tessin, Zürich, Genf, Basel), aus den Anfängen nicht heraus. Am weitesten war die Organisation im Tessin fortgeschritten. Geniäss Bericht der Tessiner Behörden hatte sich im Tessin ein Grossteil der nach ihrem Alter in Frage kommenden jungen Italiener in der Miliz eingeschrieben. Es fanden regelmässig Zusammenkünfte statt. Die Tätigkeit der Miliz war hier eine turnerisch-sportliche. Zürich meldete eine Gruppe von 20--40 Mitgliedern, die einen «besonderen Unterricht» genossen. In Genf wurden zwei Versammlungen von Eascioangehörigen festgestellt, die sich mit der Gründung einer Milizgruppe befassten. Eine solche kam auch zustande. Sie entwickelte jedoch keine weitere Tätigkeit. Ähnlich wie in Genf waren die Verhältnisse in Basel. .

Auch bei dieser faschistischen Auslandsmiliz drängt sich ein Vergleich mit einer deutschen Organisation, mit den nationalsozialistischen Sportgruppen, auf. Wir haben berichtet, dass in erster Linie an diese nationalsozialistischen Sportgruppen zu denken war, wenn Massnahmen gegen eine allfällige deutsche Fünfte Kolonne getroffen wurden. Entsprechend bestand im Tessin, wo die Tätigkeit der faschistischen Miliz am' weitesten gediehen war, der Verdacht, dass man es vor allem bei deren Angehörigen mit der italienischen Fünften Kolonne zu tun hätte, wenn die Schweiz von der Achse angegriffen würde.

Gegenüber der faschistischen Miliz von Genf ist der Vorwurf erhoben worden, es seien ihr ausdrücklich Aufgaben der Fünften
Kolonne übertragen gewesen.

Die in Genf gemachten polizeilichen Erhebungen erbrachten jedoch keine Beweise, die die Begründetheit dieser konkreten Anschuldigung bestätigt hätten. Zutreffend ist hingegen, dass man dort, wo eine Miliz gebildet wurde, und sei es auch nur auf dem Papier, mit guten Gründen von einer Auslese unter den Faschisten in bezug auf politische Einsatzbereitschaft sprechen kann.

Die Mitgliederausweise der Miliz, die auch in der Schweiz verwendet wurden, enthielten einen «Dekalog für Legionäre» (Decalogo del Legionario), der u. a.

folgende Bestimmungen enthielt: «Der Feind des Faschismus ist auch Dein Feind:-Gib ihm kein Quartier»; «Der gewollte und totale Gehorsam ist die Tugend des Legionärs»; «Die faschistische Eevolution zählte früher und zählt auch heute auf die Bajonette seiner Legionäre»; «Mussolini hat immer Recht»

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(II nemico del Fascismo è il tuo nemico ; non dargli quartiere. -- L'obbedienza consapevole e totale è la virtù del legionario. -- La Rivoluzione Fascista ha contato e conta sulle baionette dei suoi legionari. -- Mussolini ha sempre ragione). Allerdings waren -- das muss auch gesagt werden -- nicht alle Personen, deren Zugehörigkeit zur Miliz festgestellt wurde, genau gleich zu beurteilen. Die polizeiliche Untersuchung ergab, dass gewisse Einschreibungen in die Miliz von Amtes wegen und ohne vorherige Befragung der Betreffenden erfolgten, weil die Leute z. B. den Abessinienfeldzug mitgemacht oder sich : während des zweiten Weltkrieges als Kriegsfreiwillige gemeldet hatten.

Die: f a s c h i s t i s c h e n J u g e n d o r g a n i s a t i o n e n in Italien hatten im Laufe der Zwanziger- xmd Dreissigerjahre verschiedene Entwicklungsphasen durchlaufen. 1939 wurden die Gruppen des sogenannten Balilla-Werkes (Opera Nazionale Ballila) und, der Jungfaschisten (Fasci Giovanili) schliesslich in der «Gioventù Italiana del Littorio» zusammengefasst. Diese war wie folgt untergliedert : Kinder der Wölfin (Knaben und Mädchen bis zu 8 Jahren), Balilla (Knaben von 8--14 .Jahren), kleine Italienerinnen (Mädchen von 8--14 Jahren), Avanguardisten (Knaben von 14--18 Jahren), Jungitalienerinnen (Mädchen von 14--18 Jahren), Jungfaschisten und Jungfaschistinnen (18--21 Jahre). Die entsprechende Organisation im Ausland, die je nach den örtlichen Verhältnissen analoge Unterabteilungen aufwies, trug den Namen «Gioventù italiana del Littorio ali' Estero» (GILÈ). Das faschistische Eegime in Italien hat bekanntlich grosse Anstrengungen unternommen und keine Auslagen gescheut, um die Jugend im faschistischen Geiste heranzuziehen. Entsprechend wurde auch im Ausland der Tätigkeit der faschistischen Jugendorganisationen grösste Bedeutung beigemessen. Auf den unentgeltlichen Unterricht, in der italienischen Sprache, den die italienische Jugend der deutschen und französischen Schweiz gemessen konnte, ist :schon hingewiesen worden.i Im Tessin wurden den Kindern italienischer Eltern in der Vorkriegszeit andere Sonderkurse zuteil. Im Jahre 1941 gingen die Faschisten im Tessin sogar dazu über, eigene Elementar-, Sekundär- und Gewerbeschulen für die italienische Jugend zu führen. Auf diesen Punkt wird noch ; zurückgekommen.

Neben dieser
intellektuellen Ausbildung trieb man in den faschistischen Jugendorganisationen vor allem auch Sport, während der Kriegszeit teilweise zusammen mit der Hitlerjugend; es haben einige gemeinsame Sportanlässe dieser beiden Jugendorganisationen der Achse stattgefunden. Schliesslich hatten die Kinder, die in der «Gioventù italiana del Littorio ali' Estero» mitmachten, wie ihre Altersgenossen in der Heimat, die Möglichkeit, Gratisferien in speziellen Meer- und Bergstationen Italiens zu verbringen. Dass bei dieser ganzen Tätigkeit der Jugendorganisationen die politische Erziehung und Schulung eine grosse Eolle zu spielen hatte; war nach faschistischer Auffassung selbstverständlich. Man fing damit .bei | den Kleinsten an, die schon mit den ersten Sätzen, die sie lesen lernten, faschistisches Gedankengut vorgesetzt: erhielten.

Unter dem Wahlspruch «Glauben --- Gehorchen --· Kämpfen» wurde in diesem Sinne von Stufe zu Stufe der Jugendorganisation .weitergearbeitet, um der

200 Partei immer wieder neue überzeugte Faschisten zuzuführen. Der Leiter der Jugendorganisation war im Fascio ebenfalls Mitglied des Direktoriums.

In Lugano und Chiasso sowie an einzelnen schweizerischen .Universitätsstädten hatten sich schon vor dem Krieg faschistische Studentengruppen (GUF) gebildet mit dem Zweck, durch die Veranstaltung von Zusammenkünften, Vortragen und Anlässen die italienischen Studenten faschistischer Gesinnung zusammenzuführen und zusammenzuhalten. Zahlenmässig waren diese Universitätsgruppen nur von geringer Bedeutung.

' Die Organisation D o p o l a v o r o befasste sich mit der Freizeitgestaltung der italienischen Staatsangehörigen. In grösseren Fasci wurde in ihrem Eahmen in verschiedenen Untersektionen gearbeitet. Fussballsektionen, Turnsektionen, Radfahrersektionen, Fechtsektionen, Schwimmsektionen, Skisektionen etc. betätigten sich auf sportlichem Gebiet. Es gab Dopolavoro-Liebhaberbühnen und Dopolavoro-Orchester. Ein weiteres Tätigkeitsgebiet war die berufliche Weiterbildung. Die Organisation Dopolavoro war häufig auch die Veranstalterin von Theater- und Filmvorführungen, von Wanderungen und, allerlei Vergnügungsanlässen, an denen die gesamte italienische Kolonie teilnehmen konnte.

Sie befasste sich ferner mit der sozialen und gesundheitlichen Fürsorge. Durch ihre Vermittlung war es den italienischen Staatsangehörigen z. B. möglich, mit geringen Kosten, Ferien in Italien zu verbringen oder wenigstens in Reisegesellschaften die Heimat zu besuchen. Es ist anzuerkennen -- das darf an dieser Stelle gesagt werden --, dass der Dopolavoro in der Schweiz für die italienischen Staatsangehörigen viel Nützliches geleistet hat. Auf der andern Seite war er allerdings das Instrument, mit welchem die Faschisten auch solche Landsleute erfassen konnten, die dem Fascio selbst nicht beitreten wollten.

Von den zahlreichen übrigen italienischen Vereinen unseres Landes sei schliesslich der Bedeutung wegen noch die « A s s o c i a z i o n e nazionale combattenti», der italienische Frontkämpferverband, angeführt. Es handelt sich um eine patriotische Vereinigung, die schon vor der faschistischen Aera bestanden hatte. Nach Errichtung der faschistischen Diktatur in Italien war jedoch die Leitung auch in den Sektionen auf Schweizerboden in faschistische Hände übergegangen,, und die
antifaschistischen Mitglieder hatten sich aus dem Verband zurückgezogen. Die Combattenti in der Schweiz waren in der .«Federazione Elvetica dell' Associazione nazionale Combattenti italiani» zusammengeschlossen.

Von der Gesellschaft «Dante Alighieri», der Nichtitaliener angehören konnten und auch angehörten, wird später die Rede sein.

Was nun den Aufbau der Gesamtorganisation anbelangt, bestand ein wesentlicher Unterschied zwischen den italienischen faschistischen Parteiund Vereinsgebilden und denjenigen der deutschen Nationalsozialisten darin, dass bei den ersteren kein zentraler politischer Verband existierte, der sich über die ganze Schweiz erstreckte. Es gab keinen Fascio Schweiz, sondern bloss die örtlichen Fasci, um die sich die übrigen faschistisch geleiteten Vereine

201 seharten und die organisatorisch direkt der Zentraldirektion und dem General-: Sekretariat im italienischen Ministerium für Auswärtiges unterstanden. Eine gewisse Zentralleitung der Fasci unseres Landes ergab sich praktisch : daraus, da,ss die Fasciosekretäre gehalten waren, in engem Einvernehmen mit den: italienischen diplomatischen und: konsularischen Auslandvertretungen zu 'ar-i beiten und deren Weisungen zu .befolgen. Aus diesem Grunde behielten die: italienischen Konsuln die ruassgebende Eolie im Leben der Fasci;ihres Kon: sularkreises während der Kriegszeit bei.

; Die faschistischen Organisationen unseres Landes haben ferner, im grossen: und ganzen gesehen, die italienischen Staatsangehörigen auch nicht so restlos in ihrem Tun und Lassen erfasst wie dies bei den nationalsozialistischen Organisationen der Fall war. Bei den Faschisten gab es keine Zellen und Blocks mit Zellen- und Blockwart und etwas! weniger Parteifunktionäre. Die Verhältnisse waren allerdings von Fascio zu Fascio verschieden. Es gab Fasciosekretäre und Konsuln, welche die ihnen unterstellten Landsleute fest in der Hand hielten, die Beteiligung ' an den Anlässen durch Appell etc. streng, kontrollierten und, auch Druckmethoden zur Anwendung brachten, wenn ihren Geboten nicht Folge geleistet wurde. Solche Fascio«diktatoren* amteten insbesondere an einzelnen Orten des Tessins. In andern Fasci war jedoch das Eegime bedeutend weniger streng und die Disziplin entsprechend weniger gross. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass den italienischen Staatsangehörigen unseres Landes die Begriffe Organisation und Gehorsam gegenüber Organisationsleitern offenbar weniger bedeuteten als den deutschen Nationalsozialisten. Es wirkte sich dies, vom schweizerischen Gesichtspunkt gesehen, eher günstig aus.

Über die Mitgliederbestände der einzelnen faschistischen Organisationen während der Kriegszeit besitzt die Bundesanwaltschaft keine. genauen Zahlen aus allen Kantonen. Grosse Veränderungen gegenüber der unmittelbaren Vorkriegszeit dürften nicht eingetreten sein. In der Tätigkeit der Fasci und ihrer Nebengebilde brachte der Krieg : gewisse Neuerungen, wie die Durchführung von Sammlungen, die Kriegspropaganda im Kreise der italienischen Kolonie etc.

Ferner nahmen die Faschisten teilweise an den deutschen nationalsozialistischen Veranstaltungen
teil und umgekehrt. Eine derart grosse Steigerung der Aktivität, wie sie bei den deutschen Organisationen unseres Landes besonders in den ersten Kriegsjahren beobachtet wurde, war aber bei den faschistischen : Organisationen nicht festzustellen.

II. Faschistische Umtriebe.

In der Einleitung zum vorliegenden Bericht ist gesagt worden, dass der Faschismus für unser Land während des vergangenen Krieges nicht die gleich, grosse Gefährdung bedeutete wie der Nationalsozialismus. Wenn diese allgemeine Bemerkung vorauszuschicken war, weil eine andere Darstellung den Tatsachen nicht entsprechen würde, so soll sie anderseits keineswegs eine Be-i schönigung sein für die Umtriebe, die sich einzelne Faschisten auf Schweizer-

202 boden tatsächlich zuschulden kommen Hessen. Es lag nicht an diesen fraglichen Leuten, wenn von einer weniger grossen Gefährdung gesprochen werden kann.

Bei ihnen herrschte vielmehr teilweise durchaus die gleiche Überheblichkeit gegenüber den schweizerischen demokratischen Einrichtungen und der gleiche feindselige Geist gegen die neutrale Schweiz, wie dies in Kreisen der Nationalsozialisten der Fall war. Diese Mentalität kam auch entsprechend zum Ausdruck.

Zahlreich waren die Fälle, dass sich Faschisten abschätzig über die Schweiz und ihre demokratischen Einrichtungen äusserten. Zum Teil handelt es sich sogar um leitende Personen der Fasci, die sich nicht scheuten, in Eeden dem Gastlande gegenüber Ausdrücke wie «ekelhafte Demokratie» («democrazia schifosa») zu verwenden. Im Tessin wurden in aller Öffentlichkeit auf der Strasse oder in der Wirtschaft derartige Redensarten geführt. Es bedeutete dies eine Verletzung der elementarsten Pflicht, deren Erfüllung von einem Ausländer erwartet werden kann, der Pflicht, dem Gastland ein Minimum an Achtung entgegenzubringen.

Es blieb nicht nur bei Kritik und Herabwürdigung. Besonders in der Zeit der militärischen Siege der Achse wurde auch mit offenen oder versteckten Drohungen gegen die Schweiz und gegen Schweizer nicht zurückgehalten. Das Wort von der Aufteilung unseres Landes ging ebenfalls in faschistischen Kreisen um. Im Tessin handelte es sich vor allem um irredentistische Anspielungen oder Drohungen.

Im Widerspruch zum demokratischen Empfinden der schweizerischen Bevölkerung standen auch gewisse Methoden von faschistischen Parteifunktionären und faschistischen Konsulatsbeamten, italienische Staatsangehörige mit Druckmitteln der Partei gefügig zu machen. Es war dies nicht eine neue Erscheinung der Kriegszeit. Die Praxis,' wirklichen oder angeblichen Gegnern des Eegimes im Ausland die Ausstellung des Passes oder die Erteilung von Visa für die Einreise nach Italien zu verweigern, ist von den Faschisten schon bald nach der Machtergreifung eingeführt worden. Auch sonst haben es Fasciosekretäre verstanden, im Interesse des Fascio ihren Einfluss bei der Erledigung von Konsulatsgeschäften italienischer Staatsangehöriger geltend zu machen.

Während des Krieges zeigten sich erneut derartige Erscheinungen. Die italienischen Massnahmen gegen Leute, die einem
Aufgebot zum Kriegsdienst nicht Folge leisteten, sollen hier nicht zur Sprache gebracht werden, da Sanktionen eines kriegführenden Staates gegen Eefraktäre einigermassen verständlich sind.

Es gab aber andere Fälle. Einzelne Kantone wissen zu berichten, dass italienische Staatsangehörige mit Druckmethoden zum Beitritt in den Fascio oder wenigstens zum Mitmachen in der faschistisch geleiteten Kolonie veranlasst wurden. Im Tessin wurde auf italienische Eltern ein Druck ausgeübt, ihre Kinder nicht in die schweizerischen, sondern in die 1941 gegründeten italienischen Schulen zu schicken.

Im Zusammenhang mit der faschistischen Miliz ist von der faschistischen Fünften Kolonne gesprochen worden. Der Verdacht, der in dieser Hinsicht speziell im Tessin gegenüber den Milizgruppen bestand, war nicht einfach aus der Luft gegriffen. Er rührte nicht zuletzt von Äusserungen von Milizleuten

203 selbst her, die ihre Organisation z. B. mit der SS verglichen und davon sprachen, dass sie im gegebenen Moment in Funktion treten könnte. Ob das nur Prahlerei war oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Kein Zweifel kann jedenfalls bestehen,: dass es bei uns auch Faschisten gab, denen nach ihrer ganzen Einstellung zur Schweiz und bei ihrem politischen Fanatismus zugemutet werden konnte, dass sie im Falle eines Angriffes der Achse gegen;unser Land zu Aktionen der Fünften Kolonne fähig gewesen wären. Solchen Leuten gegenüber wurden selbstverständlich die gleichen Vorsichtsmassnahmen getroffen wie bei andern verdächtigen Ausländern und Schweizern (vgl. BEI. 1946 I 40). -- Anderseits darf hier nicht verallgemeinert werden. Das Gesagte betrifft einzelne Faschisten, nicht aber den Grossteil der italienischen Kolonie unseres Landes. Wir verweisen auch auf die folgenden Ausführungen über das geringe Ausmass der von Italien gegen die Schweiz gerichteten militärischen Spionage.

Man kann mit guten Gründen annehmen, dass die Gefahr einer italienischen Fünften Kolonne bei uns bei weitem nicht so gross war wie diejenige, welche vom andern Achsenpartner drohte.

Ins Kapitel faschistische Umtriebe gehört schliesslich vor' allem die faschistische Spitzelei und Angeberei. Diese Begleiterscheinung des autoritären Eegimes in Italien ist in der Schweiz eigentlich nie vollständig zum Verschwinden gekommen. Sie war polizeilich selten greifbar, in den Auswirkungen aber immer wieder zu-spüren. Das Zusammengehen des faschistischen Italien mit dem nationalsozialistischen Deutschland und der Eintritt Italiens in den Krieg brachte alles andere als eine Besserung. So gab es während des Krieges speziell im Tessiti faschistische Konsularbeamte sowie Leiter von Fasci und Untersektionen, die ihre Leute direkt dazu anhielten, es ihnen sogar zur Pflicht machten, jede kleinste Feststellung über Äusserungen oder Handlungen der Bevölkerung, die sich gegen den Faschismus oder das faschistische Italien richteten, zu melden. Entsprechend wurden von eifrigen : Faschisten die geringfügigsten Vorfälle, die sie beobachteten oder die ihnen zu Ohren kamen, rapportiert, von den Parteifunktionären und Konsulaten gesammelt und nachher zum Gegenstand von Beschwerden bei den Polizeibehörden gemacht.

Die Untersuchung der Fälle, die von schweizerischer
Seite jeweils in korrekter Weise durchgeführt wurde, ergab dabei ständig, wie schon in früherer Zeit, dass es sich bei der Grosszahl dieser Anzeigen um äusserst bedeutungslose Angelegenheiten handelte, die von den Denunzianten aufgebauscht worden waren, z. B. um Handlungen eines Betrunkenen, um kleine Dispute oder Streitereien, welche zudem oft von den Faschisten selbst verursacht worden waren, etc. Es kam auch vor, dass es sich gar um erfundene Tatbestände handelte.

Es ist faschistischen Denunzianten gegenüber oft allgemein der Ausdruck «Agenten der OVBA» verwendet worden. Dem Sinne nach war dies berechtigt, da Spitzelei und Angeberei auch Aufgaben der OVE A waren. In der Grosszahl der Fälle hat es sich hier aber wohl kaum um eigentliche Arbeit der OVEA (Opera Vigilanza Eepressione Antifascista) gehandelt. Diese faschistische politische Polizei, die mit der nationalsozialistischen Gestapo verglichen werden

204 kann, war zweifellos auf Schweizerboden ebenfalls tätig. Es sei z. B. an den geschilderten Fall Firstermacher aus der Vorkriegszeit erinnert. Sehr viel Positives ergab jedoch die gegen sie gerichtete polizeiliche Fahndung während der Kriegszeit nicht. Verschiedene Faschisten standen, gestützt auf gewichtige Indizien, in dringendem Verdacht, für die OVEA tätig zu sein. Sichere Beweise, welche die Grundlage für die Durchführung eines Strafverfahrens hätten bieten können, lagen jedoch nicht vor. Es kann immerhin gesagt werden, dass die OVBÀ-Agenten im Tessin vor allem direkt mit Stellen in Italien in Verbindung standen und zusammen arbeiteten. Ihre Meldungen gelangten dann aus Italien zur Überprüfung des Sachverhaltes an die Konsulate im Ausland, die ihrerseits eigene Vertrauensleute mit dieser Aufgabe betrauten.

La der Schweiz war während des Krieges ebenfalls die Tätigkeit des faschistischen italienischen Militärnachrichtendienstes (Servizio informazioni militari, SIM) feststellbar. 'Unter den zahlreichen Urteilen schweizerischer Militärgerichte wegen Militärspionage gegen die Schweiz handelte es sich indessen nur bei vieren um Tatbestände, wo die Agenten für den südlichen Nachbarstaat arbeiteten. Diese waren ausserdem nicht von sehr grossér Bedeutung und gaben keine Anhaltspunkte dafür, dass Italien dem militärischen Nachrichtendienst gegen die Schweiz eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Abgesehen von diesen vier Fällen wurde eine kleinere Anzahl Italiener in der Schweiz verurteilt, weil sie im Dienste der deutschen Spionage gegen unser Land gearbeitet hatten. Dazu kamen schliesslich die von schweizerischen Gerichten abgeurteilten Fälle, in denen sich die Tätigkeit der SIM auf Schweizerboden gegen dritte Staaten richtete (vgl. die Bemerkung BB1. 1946 I 104).

Zugunsten der italienischen Kolonien in der deutschen und f r a n z ö sischen Schweiz ist zu sagen -- es besteht ein Literesse, dies ausdrücklich festzustellen --, dass bei ihnen Umtriebe der vorerwähnten Art nicht die Eegel, sondern die Ausnahme waren. Die bei den Nationalsozialisten beobachtete Tendenz, den von den schweizerischen Behörden festgelegten Bahmen der Betätigung immer wieder zu überschreiten, war hier nicht vorhanden. An zahlreichen Orten traten die Faschisten kaum gegen aussen in Erscheinung.

Das Verhältnis der
italienischen faschistischen Kolonien zur schweizerischen1 Bevölkerung war nicht derart gespannt, wie dies vielerorts bei den nationalsozialistischen Organisationen der Fall gewesen ist. In der deutschen und französischen Schweiz ist daher richtigerweise von Einzelfällen faschistischer Umtriebe zu sprechen, die auf das Konto einer kleinen Minderheit militanter fanatischer Faschisten gingen.

Eine andere Situation bestand im Kanton Tessin. In der dortigen zahlenmässig starken italienischen Kolonie war auch die Zahl der Faschisten sehr gross. Es brachte dies mit sich, dass viele derselben sich im Tessin ein freches Auftreten gegenüber der schweizerischen Bevölkerung und anders gesinnten Landsleuten erlaubten, wie es an andern Orten, wo die Faschisten eine kleine Minderheit bildeten, undenkbar gewesen wäre. Es gab Leute, die

205 jede Gelegenheit wahrnahmen, in: aller Öffentlichkeit und möglichst provokatorisch den Faschismus zu verherrlichen und zu propagieren. Vielen schien das Bewusstsein abhanden gekommen zu sein, dass sie als Gäste in einem demokratischen Staate lebten. Dabei zeigten die gleichen, Leute in eigenen Belangen eine übertriebene Empfindlichkeit, wenn Schweizer auf ihr Benehmen entsprechend reagierten. Im Tessin trugen ferner bestimmte Fasciosekretäre und Leiter von Untersektionen sowie faschistische Konsularbeamte ein äusserst arrogantes Benehmen zur Schau.; In deren Wirkungskreis war es, wo die italienischen Staatsangehörigen am meisten Zwang und Einschüchterung zu spüren hatten. Dazu kamen die faschistische Schnüffelei lind Angeberei im Tessin. «Die Agenten der OVB.A haben in unserem Kanton zahlreiche und tiefe Spuren ihrer hassenswerten und verhassten Tätigkeit hinterlassen. Auch viele unserer Mitbürger mussten während der faschistischen Ära als Folge dieser Tätigkeit schwerwiegende Konsequenzen auf sich nehmen (Verhaftungen, Durchsuchungen, Verhöre, Visaverweigerungen, etc.)», berichtet die' Polizeidirektion des südlichen Grenzkantons. «Kein Verständnis von Seiten der Konsuln, kein Friedenswille. Man erhielt den bestimmten Eindruck, dass die Konsulate Weisung hatten, eine möglichst grosse Zahl von Klatschangelegenheiten zu sammeln und aus ihnen Zwischenfälle zu gestalten mit dem Zweck, in ,Eom wissen zu lassen, dass das Leben für die Italiener im Tessin unmöglich sei», heisst es an einer andern Stelle. Im Tessin kann man daher von einem eigentlichen Druck sprechen, der nach dem-Sturz des Faschismus in Italien von der Bevölkerung gewichen ist.

m. Die italienisch-faschistische Propaganda.

Die M i t t e l , die das faschistische' Italien während des i Krieges für seine Propaganda in der Schweiz einsetzte, waren im wesentlichen die gleichen wie bei den übrigen Staaten, die bei uns propagandistisch arbeiteten. Die italienische Presse, das italienische Buch, der italienische Film, das italienische Eadio standen im Dienste der Propaganda. Die Veranstaltungen der faschistisch geleiteten italienischen Auslandsorganisationen hatten von jeher neben andern .auch propagandistische Zwecke. In der Kriegszeit traf dies noch mehr zu.

Eine Spezialität des faschistischen Italien waren die italienischen Schulen im
Ausland. Während es zu weit ginge, in bezug auf die italienische «Doposcuola» der Vorkriegszeit von einer ausgesprochenen Propagandaeinrichtung zu sprechen, kann dies mit guten Gründen von den italienischen Elementarschulen gesagt werden, die während des Krieges im Kanton Tessin eröffnet wurden.

Auf sie werden wir noch zu sprechen kommen.

In bezug auf Ziel und Inhalt entsprach die faschistische Propaganda der Kriegszeit weitgehend der deutschen nationalsozialistischen. Man kann da in mancher Umsicht von 'einer Gleichschaltung, von einer gemeinsamen «Achsenpropaganda» reden. Das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland waren seit Juni 1940 militärisch verbündet. Sie hatten daher gemeinsame Ziele der militärischen Propaganda. Es gab selbst-

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verständlich auch hier gewisse Unterschiede. Es wirkte sich z. B. in der Propaganda aus, dass die italienische Armee schon vor dem Winter 1942/43 grössere Bückschläge zu verzeichnen hatte als die deutsche Wehrmacht. Italien konnte sich daher weniger auf die blosse Erfolgspropaganda beschränken. Ferner bedeuteten die Kriegsschauplätze des Mittelmeeres für Italien mehr als für Deutschland, was in der Propaganda ebenfalls zum Ausdruck kam. Auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Boden arbeiteten die Propagandastellen beider Achsenpartner an der Verwirklichung des «Neuen Europa».

Endlich stand auch hinter der italienisch-faschistischen Propaganda ein autoritäres, antidemokratisches Eegime. Es ist im ersten Teil unseres Berichtes darauf hingewiesen worden,- dass die deutsche nationalsozialistische Propaganda für die Schweiz deshalb besonders gefährlich war, weil sich ihr politischer Gehalt gleichzeitig direkt oder indirekt immer auch gegen die schweizerische demokratische Staatsauffassung richtete. Das gleiche ist auch von 'der faschistischen Propaganda zu sagen.

Hingegen war die italienische Kriegspropaganda in der Schweiz mit der deutschen nicht zu vergleichen in bezug auf das A u s m a s s der eingesetzten Mittel. In dieser Hinsicht bestand ein gewaltiger Unterschied. Auf dem Gebiet der Presse betrug die Anzahl der eingeführten Exemplare italienischer Zeitungen während des Krieges bis zum Sturz des Faschismus ungefähr die Hälfte der deutschen. Bücher und Schriften propagandistischen Inhalts sind ab und zu auch von den italienischen Konsulaten an Privatpersonen schweizerischer Nationalität versandt worden. Es geschah dies jedoch nur in geringem Umfange. Feststellungen, dass die italienischen Auslandsvertretungen in der Schweiz ganze Massensendungen von Propagandamaterial importiert hätten, wurden nicht gemacht. Es gelangten auch viel weniger italienische Propagandafilme in die Schweiz. Gemessen an den Anstrengungen, die zur propagandistischen. Bearbeitung der schweizerischen Bevölkerung unternommen wurden, war daher die Gefahr, welche die italienisch-faschistische Propaganda für unser Land bedeutete, wesentlich kleiner als diejenige, die von der nationalsozialistischen drohte. Dazu kam noch der Faktor Sprache. Italien hat bei rais auch, aber mir in verhältnismässig kleinem Umfange, in
andern Sprachen als der italienischen Propaganda getrieben.

Über die M a s s n a h m e n , die von Seiten der Schweiz während des Krieges zur Abwehr der ausländischen Propaganda ergriffen wurden, über die behördlichen Erlasse, auf die sich diese Massnahmen stützten, und über die militärischen und zivilen Stellen, die sie handhabten, sind im ersten Teil des Berichtes nähere Ausführungen gemacht worden. Um Wiederholungen zu vermeiden, sei hier auf diese Angaben verwiesen (BEI. 1946 I 42--44). In bezug auf Italien ist nichts Besonderes beizufügen.

.Welches war die Wirkung der italienischen Propaganda?

Ihre Haupttätigkeit entwickelte sie im Kreise der eigenen Landsleute.

Obschon auch in dieser Hinsicht der Aufwand Italiens nicht so gross war wie

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derjenige des nationalsozialistischen Deutschlands, hatte die Propaganda hier zweifellos ihre Wirkung. Dafür sprach z. B. das ganze Geharen, das zahlreiche Faschisten, speziell im Tessiti, an den Tag legten. Viele derselben lasen kaum schweizerische Zeitungen, weil diese, wie man ihnen sagte, angeblich nicht wahrheitsgemäss berichteten. -- Dass sich hingegen der Grossteil des Schweizervolkes durch die ausländische Propaganda, also auch durch die italienisch faschistische, nicht beeinflussen liess, ist bereits an anderer Stelle erwähnt worden. Die faschistische Propaganda hatte während des Krieges insbesondere auch bei, der überwiegenden Mehrheit der schweizerischen Bevölkerung des Kantons Tessin keine Erfolge. Das Tessin hatte dem faschistischen Werben während 18 Jahren der Zwischenkriegszeit widerstanden.. Es hatte in der ersten Hälfte der Dreissigerjahre den auf eigenem Boden entstandenen'Schweizerischen faschistischen Strömungen nach kurzer Zeit ein Ende gesetzt. Die italienische, Kriegspropaganda war nicht geeignet, an dieser Haltung etwas zu ändern.

Zum Kapitel italienische Kulturpropaganda gehören einige Angaben über die schweizerischen Gruppen der, G e s e l l s c h a f t «Dante Alighieri». Die «Società nazionale Dante Alighieri» ist in Italien im Jahre 1889 gegründet worden mit dem Zweck, die Verbreitung der italienischen Sprache und der italienischen Kultur im. Ausland zu fördern. Im Laufe der Jahre entstanden im Eegno selbst sowie in zahlreichen andern Staaten, u. a. auch an verschiedenen Orten in der Schweiz, Untergruppen (comitati locali), die durch die Veranstaltung von Vortragen und Konzerten, durch die Betreuung von Bibliotheken, durch die Leitung von Kursen in'der italienischen Sprache ' etc. im Sinne des Vereinszweckes wirkten. Sie wurden dabei von der Muttergesellschaft in Italien, wo in Rom auch die zentrale Leitung arbeitete, unterstützt, u. a. durch finanzielle Zuwendungen. Der «Dante» konnten Xichtitaliener beitreten. In schweizerischen Gruppen gehörten denn auch von jeher zahlreiche Schweizer zu den Mitgliedern, sei es aus beruflichen Gründen (z. B. Studenten), oder weil sie sich sonst für das, was die Gesellschaft bot, interessierten. Als der Faschismus in Italien ans Bilder kam, ging die Zentralleitung der «Dante» in faschistische Hände über., Dies geschah anschliessend
ebenfalls in den Gesellschaften des Auslandes. -- Die Tätigkeit der «Dante» hat schon vor der faschistischen Ära in der Schweiz eine unterschiedliche Beurteilung gefunden. Die einen priesen ihre Arbeit im Dienste der Italianität oder lobten zum mindesten! den Wert des von ihr Gebotenen: die andern, eingedenk der wichtigen Bolle, die die «Dante» in der italienisch-österreichischen Irredenta gespielt hatte, sahen in ihr, speziell in der Tessiner Sektion, die Wegbereiterin eines italienisch-schweizerischen Irredentisruus. Als die Gesellschaft unter faschistische Führung kam, nahmen die kritischen und negativen Stimmen noch zu. -- Wie ist die Aktivität der «Dante».für die Zeit, da sie unter faschistischer Leitung stand, vorn Gesichtspunkt der Schweiz zu beurteilen? Nach dem, was der Bundesanwaltschaft bekannt wurde, waren die Verhältnisse nicht überall die gleichen. Wenn die Tessiner Polizeibehörden 1936 von der «Dante» als von einer irredentistischen

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,

Vereinigung sprachen, so hatten sie zweifellos ihre Gründe dafür. Es handelte sich damals um die Zeit 'der Adulaaffäre. Die Aktivität der «Dante» ist im Tessin auch später bis zum Sturz des Faschismus in Italien immer mit einem gewissen Misstrauen verfolgt worden. In der deutschen und französischen Schweiz war die faschistische Leitung offenbar am einen Ort mehr, am andern Ort weniger spürbar. Von der einen Gruppe ging Meldung ein, dass sie ins politische Fahrwasser geraten sei, weshalb es viele Schweizer und auch Italiener vorgezogen hätten, aus der Gesellschaft auszutreten. Von den Leitern anderer Sektionen wurde hingegen berichtet, dass sie die Politik aus dem Spiel gelassen und der demokratischen Schweiz immer Achtung entgegengebracht hätten. Im allgemeinen kann wohl gesagt werden, dass in der deutschen und französischen.

Schweiz die Tätigkeit der «Dante» jedenfalls nicht derart als Kulturpropaganda im anrüchigen Sinne des Wortes empfunden wurde, wie dies bei analogen Organisationen, in denen die Nationalsozialisten arbeiteten, der Fall gewesen ist.

Endlich seien noch einige Bemerkungen beigefügt betreffend die italienischen Schulen im Tessin. -- Eine italienische Schule gab es schon vor dem ersten Weltkrieg in Chiasso. Diese war vor allem bestimmt für Kinder von italienischen Zoll- und Bahnangestellten, die dort arbeiteten. Da diese Angestellten damit rechnen mussten, nach einiger Zeit jeweils an einen in Italien gelegenen Ort versetzt zu werden, war es begreiflich, wenn sie ihre Kinder, um ihnen eine gewisse Kontinuität der Ausbildung zu verschaffen, in die italienische Schule schickten. Daran nahm niemand Anstoss. -- Anders war es 'dagegen, als sich im Jahre 1941 Bestrebungen zeigten, an zahlreichen andern Orten des Tessins italienische Schulen zu eröffnen. Abgesehen davon, dass dies gegenüber dem Kanton Tessin eine Unfreundlichkeit bedeutete, hatte man sofort auch Bedenken politischer Art. Da die Kantonsverfassung die Freiheit des Unterrichts garantierte, hatten die Tessiner Behörden indessen keine Möglichkeit, die Errichtung dieser Schulen zu untersagen. Sie mussten sich darauf beschränken, Vorschriften für die Gestaltung des Unterrichtes zu erteilen. Es wurden in.

der Folge italienische Schulen eröffnet in Lugano, Bellinzona, Locamo, Chiasso, Mendrisio und Novazzano. Über 50 italienische
Lehrkräfte nahmen dort ihre Tätigkeit auf. Ihr Unterricht gab. was die Behandlung der Schulfächer anbetrifft, an und für sich zu wenig Beanstandungen Anlass. Hingegen blieben die von den Tessiner Behörden gehegten Befürchtungen nicht aus. Die Polizeidirektion des Kantons Tessin macht darüber folgende Ausführungen, denen wir nichts beizufügen haben: «Es war klar, dass keine Motive pädagogischer Natur die Einrichtung dieser Schulen rechtfertigten, da die eigenen Schulen des Kantons Tessin gut geführt wurden. Die Notwendigkeit italienischer Schulen konnte auch nicht daraus abgeleitet werden, dass italienische Kinder in unsern Schulen schlecht behandelt worden wären: abgesehen von einigen wenigen, unbedeutenden Vorkommnissen (die nicht immer durch Schweizerkinder verursacht wurden) hatte das Zusammensein von Schülern schweizerischer und italienischer Nationalität nicht zu beachtenswerten Unzukömmlichkeiten geführt. Die Eröffnung der italienischen Schulen barg hingegen die grosse Gefahr

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in sich, dass zwei Jugenden nebeneinander aufwuchsen, die sich nicht kannten und von der.die eine, die italienische, im Geiste einer politischen Doktrin erzogen wurde, die zu den Grundlagen unserer freiheitlichen Institutionen im "Widerspruch stand. -- Ein Graben ist zwischen der italienischen Schweiz und .Italien schon aufgeworfen worden durch den Faschismus i und die Aufsehen erregende Bildung einer ausgedehnten kulturellen Bewegung, die sich zum mindesten eine geistige Vormundschaft gegenüber dem Tessin herausnahm, wenn nicht gar, wie teilweise angenommen wurde, Eroberungswünsche auf, .geistigem oder vielleicht politischem Gebiet dahinter steckten. Der Graben ist durch die Gründung der italienischen Schulen noch mehr vertieft worden.

Deren Errichtung wurde von der gesamten Tessiner Bevölkerung als unfreundlicher und verletzender Akt empfunden.» , IV. Die Vorgänge in der italienischen Kolonie nach dem Sturz des Faschismus.

Der 25. Juli 1943 brachte in Italien den Sturz des faschistischen Eegimes und die Bildung der Begierung Badoglio. Die letztere verfügte kurz nach der Übernahme der Begieruiigsgewalt die Auflösung der faschistischen Partei und ihrer in- und ausländischen Zweig- und Nebenorganisationen.: Die «Case d'Italia» im Ausland, eine faschistische Gründung, wurden zu nationalen unpolitischen Einrichtungen (organismo associative' a carattere nazionale apolitico) erklärt, die allen italienischen Staatsangehörigen offenstanden.

Nach den Feststellungen der schweizerischen Behörden haben in unserem .Lande die italienische Gesandtschaft und die italienischen Konsularvertretungen, die sich unverzüglich Badoglio anschlössen, so wie die italienische Kolonie selbst, diesen Weisungen der neuen nichtfaschistischen Eegierung ohne weiteres Folge geleistet. Es ging dies formell nicht überall in gleicher Weise vor sich.

'Teilweise fand unmittelbar nach dem Umschwung in Italien: ein ausdrücklicher Akt der Auflösung der faschistischen Vereinigungen statt.: An andern Orten stellten die faschistischen Organisationen einfach stillschweigend ihre Tätigkeit -ein. Anschliessend erfolgte die eigentliche Liquidation im Zusammenwirken mit den italienischen Konsulaten, gernäss den von der Begierung Badoglio erteilten Instruktionen.

: ' : Mit wenigen Ausnahmen geschah dies alles ohne Zwischenfälle. Die italienische Kolonie in der Schweiz war von den Vorgängen in Italien Ende Juli 1943 zweifellos überrascht worden. Über die ungünstige militärische Lage des Heimatlandes war sie mehr oder weniger orientiert. Der plötzliche Sturz des faschistischen Eegimes kam für die meisten italienischen Staatsangehörigen, die bis zuletzt von der faschistischen Propaganda bearbeitet worden waren, .aber doch unerwartet. Die Konsequenzen aus der veränderten politischen Lage in der Heimat wurden indessen sofort und im allgemeinen offenbar -- wenigstens erhielt man von aussen diesen Eindruck -- ohne grossen Widerwillen gezogen.

Die Parteiabzeichen verschwanden. Es wurde auch nicht mehr faschistisch .gegrüsst.

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Die Haltung der meisten italienischen Staatsangehörigen blieb in der Folge eine passive, in bezug auf die Ereignisse in Italien eine abwartende. Die Konsulate riefen da und dort die italienische Kolonie zu vereinzelten Zusammenkünften zusammen, an denen über die neue Lage in Italien referiert wurdeSie versuchten dabei, gemäss den Bichtlinien der neuen Eegierung, auch Kontakt mit denjenigen Italienern zu erhalten, die sich bisher als Antifaschisten, von den Konsulaten und den offiziellen italienischen Anlässen ferngehalten hatten. Es wurden ferner Bestrebungen unternommen, die Fürsorgetätigkeit innerhalb der italienischen Kolonie auf unpolitischer Grundlage weiterzuführen.

Ein gewisses Aufsehen erregte es seinerzeit in der schweizerischen Bevölkerung, insbesondere im Tessin, dass italienische Konsulate noch während einiger Zeit faschistische Embleme beibehielten und dass die vom faschistischen Begime gegründeten italienischen Schulen im Tessin nicht sofort geschlossen wurden. Das erstere war darauf zurückzuführen, dass sich die fraglichen Konsularvertretungen zuerst nicht für befugt hielten, ohne ausdrückliche Instruktionen der neuen Begierung am offiziellen Wappen Änderungen vorzunehmen.

In bezug auf die italienischen Schulen hielten es die schweizerischen Behörden für richtig, diese nicht durch einen einseitigen Akt zu schliessen, sondern deren Aufhebung im Einverständnis mit der italienischen Begierung herbeizuführen ; dies schon mit Bücksicht auf die schweizerischen Schulen in Italien. Die Schritte, die zu diesem Zwecke unverzüglich nach dem Sturz des Faschismus eingeleitet wurden, zeitigten in der Folge das gewünschte Besultat.

Eine neue Situation ergab sich, als die deutsche Wehrmacht am 12. September 1943 Mussolini befreite und sich anschliessend im deutschbesetzten Italien die neofaschistische Begierung bildete. Angesichts dieser Vorgänge musste in der Schweiz mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass von neofaschistischer Seite versucht würde, die italienischen Kolonien und Heime wieder in die Hand zu bekommen. Nach dem Besultat der zahlreichen Erhebungen, die in bezug auf neofaschistische Umtriebe von der kantonalen und der Bundespolizei durchgeführt wurden, ist es indessen bei uns nicht zur Bildung neuer faschistischer Organisationen gekommen. Nur einzelne italienische Staatsangehörige
unseres Landes traten der neofaschistischen Bichtung bei. Es zeigte sich dies unter anderem daran, dass nur noch wenige Italiener die nationalsozialistischen Veranstaltungen besuchten, während im übrigen nunmehr eine vollständige Trennung der italienischen und der deutschen Kolonie erfolgte..

Änderungen traten auch nicht ein, als im Interesse unserer Landsleute in Norditalien vorübergehend eine offiziöse Vertretung der neofaschistischen Begierung in der Schweiz zugelassen wurde. Auf Weisung des eidgenössischen Justizund Polizeidepartementes hatte die Bundesanwaltschaft mit Kreisschreiben vom 15. September 1943 die obersten Polizeibehörden der Kantone ersucht, über bisher beobachtete Vorkommnisse zu berichten und die Bundesanwaltschaft über allfällige neue Ereignisse auf dem laufenden zu halten. Die Kantone wurden insbesondere auch darüber um Auskunft angegangen, ob auf ihrem Gebiete noch faschistische Einrichtungen und Parteibildungen bestünden, die die innere

211 und äussere Sicherheit des Landes in Gefahr bringen könnten und ob eine Auflösung solcher Organisationen durch einen Beschluss des Bundesrates als angezeigt erachtet werde. Die Bundesanwaltschaft behielt sich vor, gegebenenfalls geeignete Massnahmen anzuordnen oder solche dein eidgenössischen Justizund Polizeidepartenient und dem Bundesrat vorzuschlagen. Die Antworten der Kantone auf dieses Kreisschreiben lauteten so, dass für die eidgenössischen Behörden kein Anlass bestand, eine Massnahme genereller Art zu treffen.

Hingegen wurde das Tun derjenigen italienischen Staatsangehörigen, von denen man mit Sicherheit festgestellt hatte oder die zum mindesten im Verdachte standen, dass sie sich zur neofaschistischen Regierung bekannten, durch die Polizei aufmerksam überwacht. Diese Personen waren es vor,allem, welche in die Säuberungsaktion einbezogen wurden.

Schlussbemerkungen.

Die faschistischen Organisationen und die Umtriebe von Faschisten, über die in diesem zweiten Teil des Berichtes zur Motion Boerlin gesprochen wurde, gehören der Vergangenheit an. Es bestehen gegenwärtig in der Schweiz keine faschistischen Organisationen mehr. Die Gefahr, die uns von dieser Seite und -- in noch weit grösserem Masse -- von Seiten des Nationalsozialismus drohte, ist für heute gebannt. Aufgabe und· Pflicht der Behörden wird es sein, gegenüber allem, was in Zukunft neue Gefährdungen gleicher Art für die Schweiz bringen könnte, auf der Hut zu sein. In bezug auf die Tätigkeit politischer Vereinigungen von Ausländern in der Schweiz hat das eidgenössische Justizund Polizeidepartement gestützt auf die in der Vorkriegszeit und während des Krieges gemachten Erfahrungen, am T.August 1945 neue, ,vom Bundesrat genehmigte Richtlinien erlassen. Diese bestimmen u. a. ausdrücklich, dass politische Vereinigungen von Ausländern mit einseitigem Parteicharakter -- also Gebilde, wie sie die italienischen faschistischen und die deutschen nationalsozialistischen Parteiorganisationen darstellten--nicht zulässig sind. Vorschriften über die Anmelde- und Auskunftspflicht ausländischer Vereinigungen werden es gestatten, in dieser Hinsicht eine genaue, Kontrolle auszuüben. Der Bundesrat wird dieser Kontrolle gegenüber : Ausländern sowie auch der Überwachung schweizerischer extremistischer Strömungen ebenfalls in Zukunft seine volle Aufmerksamkeit schenken.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

: : Bern, den 17. Mai 1946.

| \ ' '. Im Namen des Schweiz/ Bundesrates, Der Bundespräsident:,

Hobelt.

Der Bundeskanzler: Leimgruber.

:

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die antidemokratische Tätigkeit von Schweizern und Ausländern im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen 1939--1945 (Motion Boerlin). Zweiter Teil. (Vom 17. Mai 1946.)

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1946

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23.05.1946

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