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Bundesblatt 98. Jahrgang.

Bern, den 4. Januar 1946.

Band I.

Erscheint in der Regel alle 14 Tage. Preis SO Franken im Jahr, 10 Franken im HaltJahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr: 60 Kappen die Petitzeile oder deren Kaum. -- Inserate franko an Stämpfli & de. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die antidemokratische Tätigkeit von Schweizern und Ausländern im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen 1939 --1945 (Motion ßoerlin).

Erster Teil.

(Vom 28. Dezember 1945.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Arn 5. Juni 1945 reichte Herr Nationalrat Boelin mit 80 Mitunterzeichnern folgende Motion ein: «Der Bundesrat -wird eingeladen, der Bundesversammlung und dem Volk über die Untersuchungsergebnisse betreffend Umtriebe ausländischer und vom Ausland abhängiger antidemokratischer Organisationen und Personen in Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen 1939--1945 in geeigneter Form umfassenden und vollen Aufschluss zu geben. Dabei soll auch über die in solche Umtriebe verwickelten Schweizer Auskunft gegeben werden.»

Am 21. Juni nahm der Nationalrat die Motion ohne Opposition an, nachdem der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartemcntes erklärt hatte, dass der Bundesrat sie ohne weiteres entgegennehme. Vgl. Sten. Bull. Nat.-R. 1945, 313 f. Am 3. Oktober nahm auch der Ständerat die Motion einstimmig an.

Die Motionäre wünschen vom Bundesrat einen eingehenden Bericht über die -wichtigsten Feststellungen über die antidemokratischen und landesschädlichen Elemente, Organisationen und Bewegungen. Sie erwarten einen Gesamtbericht über die politische Lage in den Kriegsjahren und über die jeweiligen Gefahren für die Landessicherheit. Es ist ihnen namentlich an der Aufdeckung der Zusammenhänge der antidemokratischen Bewegungen mit dem Ausland und an der erschöpfenden Auskunft über den gegen die Schweiz eingesetzten Spionageapparat gelegen.

Bundesblatt 98. Jahrg.

Bd. I.

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Der Bundesrat begrüsst die Gelegenheit, über diese Gefahren Aufschluss geben zu können. Er hat mit Beschluss vom 3. August 1945 den Bundesratsbeschluss vom 26. März 1940 betreffend die Veröffentlichung über Spionagefälle aufgehoben und vom Bundesgericht die Zusichermig eingeholt, dass es gegen die Veröffentlichung der in geheimer Verhandlung zustande gekommenen Urteile aus dem Gebiete des Staatsschutzes nichts einzuwenden habe. Es bestand ursprünglich die Absicht, hierüber den eidgenössischen Bäten gleichzeitig mit dem Bericht des Generals Aufschluss zu geben. Nachdem aber bereits in der Herbstsession in Beantwortung der Interpellationen Dietschi und Bringolf über die militärischen Gefahren 1989--1945 Auskunft gegeben worden ist, erachtet es der Bundesrat als angezeigt, dass den eidgenössischen Bäten schon vor Einlangen des Berichtes des Generals der gewünschte Bericht erstattet wird.

Die Bundesversammlung, die Presse und das Volk erhalten damit rückhaltlos Auskunft über die Gefährdungen der Landessicherheit und über die Massnahmen, die die Behörden nach der jeweiligen Kenntnis der Sachlage ergriffen haben. Eine Aufklärung über die landesgefährlichen Personen und Organisationen sowie ihre Arbeitsmethoden wird dazu beitragen, auch für die Zukunft die Abwehrkräfte gegen solche Gefahren zu stärken.

. Wir haben bereits in unsern Geschäftsberichten über die in Frage stehenden Umtriebe und über die Massnahmen zum Schutze des Staates kurz berichtet.

Eine ausführliche Berichterstattung insbesondere über die den Gerichtsurteilen zugrunde liegenden Tatbestände war bisher nicht möglich, ohne wichtige militärische oder solche Geheimnisse zu gefährden, deren Bewahrung zum Wöhle der Eidgenossenschaft oder der Kantone geboten ist.

Wir waren bestrebt, das dem Berichte des Generals vorbehaltene Gebiet nicht zu berühren, mussten aber über die militärische Spionage gegen die Schweiz, den Verrat militärischer Geheimnisse und die Sabotage wenigstens einen Überblick geben, da diese Straftaten in immittelbarem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit der deutschen Nationalsozialisten stehen und auch von den bürgerlichen Polizeibehörden verfolgt wurden. Die vollständige Darstellung, insbesondere die Zusammenfassung der militärgerichtlichen Entscheide, bleibt dem Bericht des Generals vorbehalten.

Der Bericht fusst
in der Hauptsache auf den Erhebungen der Bundesanwaltschaft (Bundespolizei) und der kantonalen Polizei sowie den Feststellungen des Bundesstrafgerichtes und der kantonalen Gerichte auf dem Gebiete des Staatsschutzes. Er enthält nicht eine kritisch-historische Würdigung der Vorgänge, sondern bringt einen chronologischen Ablauf der Ereignisse und eine Darstellung der von den Behörden in der Vorkriegszeit und in den einzelnen Kriegsjahren ergriffenen Massnahmen gegen die antidemokratischen und landesschädlichen Umtriebe, Der vorliegende erste Teil des Berichtes befasst sich mit der antidemokratischen Tätigkeit der deutschen Nationalsozialisten in der Schweiz und der

schweizerischen Rechtsextremisten some mit der gegen unser Land gerichteten Spionage-, Spitzel- und Sabotagetätigkeit. Die Verarbeitung des grossen Aktenmaterials nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass die Tätigkeit der faschistischen Organisationen und tfer Linksextremisten erst in einem aweiten und dritten Teil behandelt werden kann. Da noch eine ausgedehnte eidgenössische Untersuchung über Umtriebe für einen Anschluss der Schweiz an Deutschland im Gange ist und im heutigen Zeitpunkt im Interesse der Untersuchung Einzelheiten noch nicht veröffentlicht werden können, müssen wir uns ferner vorbehalten, auch den vorliegenden ersten Teil des Gesamtberichtes in dieser Hinsicht noch zu ergänzen.

E r s t e r Teil.

Die deutschen Nationalsozialisten in der Schweiz und die schweizerischen Rechtsextremisten.

Vorkriegsjahre.

A. Die deutschen nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz.

Bereits vor der Ü b e r n a h m e der M a c h t in D e u t s c h l a n d durch die N S D A P hatten sich unter den in der Schweiz wohnenden Deutsehen Gruppen von Parteimitgliedern der NSDAP gebildet. Die einzelnen Gruppen waren organisatorisch zunächst einem sogenannten Landesvertrauensmann unterstellt, der seinerseits der Auslandsabteilung der NSDAP in Hamburg unterstand. Am 8. Februar 1932 wurden die in unserem Lande vorhandenen Ortsgruppen und Einzelparteimitglieder durch Anordnung des Eeichsorganisationsleiters I der NSDAP, Gregor Strasser, ans dem Eahmen der Auslandsabteilung herausgenommen und eine Landesgruppe Schweiz der NSDAP gebildet, die direkt dem Eeicbsorganisationsleiter I unterstellt war. Als kommissarischer Führer der Landesgruppe wurde der bisherige Vertrauensmann, "Wilhelm Gustloff, geb. SO. Januar 1895, Angestellter des physikalisch-meteorologischen Observatoriums in Davos, bezeichnet, der damals bereits seit 15 Jahren in der Schweiz lebte.

Im Februar 19S2 wurde von der Bundesanwaltschaft in Zusammenarbeit mit verschiedenen Kantonen ein polizeiliches E r m i t t l u n g s v e r f a h r e n b e t r e f f e n d nationalsozialistische U m t r i e b e in der Schweiz durchgeführt, das vor allem über einen allfälligen Spitzeldienst, über angebliche militärische Formationen und über die Beteiligung von Schweizern an den nationalsozialistischen Organisationen der Deutschen Aufschluss geben sollte.

Das Material aus diesem Verfahren sowie aus früheren Erhebungen ergab im Juni 1982 folgendes Bild: Es wurde festgestellt, dass die nationalsozialistischen Organisationen den Inhalt der Schweizer Presse aufmerksam verfolgten und darüber an Parteistellen in Deutschland berichteten. Ferner suchten sie die Einstellung verschiedener deutscher Konsuln in der Schweiz zur NSDAP festzustellen. Es wurde auch versucht, sie zu beeinflussen, z. B. nationalsozialistische Zeitungen im Konsulat aufzulegen. Eine eigentliche, unzulässige Überwachung der deutschen Konsulate konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Die Auskünfte über einzelne Personen, die von den nationalsozialistischen Organisationen der Schweiz im Auftrage der Partei vermittelt wurden, betrafen nach dem damals vorliegenden Untersuchungsmaterial Personen, die der Parteiorganisation nähertreten wollten oder mit denen die Partei ihrerseits A^erbindung aufzunehmen gedachte. Diese Informationserteilung zur Prüfung von Parteikandidaten konnte an sich, nicht beanstandet werden. Demgegenüber ergab die Untersuchung, dass unter Führung des deutschen Staatsangehörigen Max W. Morstadt, der vorübergehend in der Ortsgruppe Zürich eine leitende Stellung innehatte, über den erwähnten Rahmen hinaus Deutsche und wahrscheinlich auch Nichtdeutsche bespitzelt wurden. .Diese Spitzeltätigkeit fiel nach dem Untersuchsergebnis jedoch nicht der Partei zur Last, sondern allein Morstadt, der einen mit seinem Verschwinden wieder aufgehobenen «parteieigenen Überwachungsdienst» der Ortsgruppe Zürich eingerichtet hatte. Morstadt ist im Februar 1982 von der NSDAP ausgeschlossen worden. Strafrechtlich konnte dem Verfahren keine Folge gegeben werden, da in keinem Falle die Voraussetzungen des Artikels 39 des Bundesstrafrechtes von 1853, der damals einzig zur Verfügung stand, erfüllt waren. Hingegen wurde Morstadt wegen seiner
Spitzeltätigkeit wie auch wegen fremdenpolizeilicher Übertretungen aus der Schweiz ausgewiesen. Zwei weitere deutsche Staatsangehörige wurden im gleichen Zusammenhang unter Androhung der Ausweisung verwarnt.

Bei der Gründung der ersten nationalsozialistischen Organisation in der Schweiz waren auch schweizerische Staatsangehörige als Mitglieder aufgenommen worden. Einzelne Schweizer gehörten sogar zu den Initianten der nationalsozialistischen Organisierung in der Schweiz. Die polizeilichen Erhebungen ergaben jedoch, dass dieses Einbeziehen von Schweizern in die nationalsozialistischen Organisationen im Ausland nicht den Eichtlinien der offiziellen NSDAP-Parteistellen entsprach. Aus beschlagnahmtem Material ging hervor, dass nach einer ziemlich heftigen Auseinandersetzung zwischen diesen Partei-

stellen und der damals führenden Ortsgruppe Zürich die Trennung zwischen den deutschen nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz und den von Schweizern gebildeten Gruppen in den ersten Monaten 1932 schliesslich durchgeführt wurde.

Die Frage, ob in der Schweiz militärische Formationen der Nationalsozialisten bestanden, war nach dem Ergebnis der Untersuchung zu verneinen.

Das festgestellte Tragen von SA-Abzeichen hatte bis anbin zu keinen Klagen Anlass gegeben. Meldungen, dass in der Schweiz die nationalsozialistische Uniform getragen worden wäre, lagen nicht vor. Der Bundesrat hielt es trotzdem für geboten, am 17. Juni 1932 das Tragen von nationalsozialistischen Braunhemden auf Schweizergebiet zu verbieten. Herrn Gustloff wurde mit der Eröffnung dieses Beschlusses ferner empfohlen, hinsichtlich des Gebrauches von nationalsozialistischen Emblemen grosste Zurückhaltung zu üben (BB1 1982 n 335).

Mit der Übernahme der Macht in Deutschland durch die N S D A P im Jahre 1933 e n t s t a n d eine n e u e Lage. Die NSDAP war zur ausschhesslichen Trägerin des Eegimes im Deutschen Eeich geworden.

In zunehmendem Masse wurde nun der Totalitätsanspruch der Partei auch bei den Eeichsangehörigen im Ausland geltend zu machen versucht. Die Werbetätigkeit und allgemeine Betriebsamkeit der nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz nahmen in hohem. Masse zu. Über den Umfang der NSDAP-Organisationen in der Schweiz konnte der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes am 26. September 1935 im Nationalrat folgende Angaben machen: «Die NSDAP ist in Ortsgruppen, Stützpunkte und Zellen eingeteilt. Das Unterscheidungsmerkmal liegt in der grösseren oder kleineren Anzahl von Mitgliedern. Der Name Stützpunkt hat somit keine besondere Bedeutung, insbesondere ist er unseres Wissens nie, namentlich auch nicht von Gustloff, in militärischem Sinne gebraucht worden. Zur Zeit bestehen in der Schweiz ca. 45 Ortsgruppen und Stützpunkte. Dazu kommen 21 sogenannte Standorte der Hitler-Jugend und des Bundes deutscher Mädchen.

An der Spitze der Gesamtorganisation stehen die Leiter, nämlich der Landesgruppenleiter (Gustloff), sein Stellvertreter, der Landeskassenleiter usw. Die Zahl der eigentlichen Mitglieder der NSDAP in der Schweiz wird uns mit 5000 angegeben. Der offizielle Name lautet:' ,Landesgruppe Schweiz der NSDAP1.» Bereits 1938 hatte in weiten Kreisen des Schweizervolkes das Programm der NSDAP zu der Befürchtung Anlass gegeben, dass die Einverleibung der Schweiz oder der deutschen Schweiz in <'Grossdeutschland)) zu den Zielen des neuen deutschen Kegimes gehöre, eine Befürchtung, die auch durch eine diese Auffassung als unrichtig bezeichnende Erklärung des Eeichsministers Eudolf Hess vom 6. Januar 1984 nur zum Teil beschwichtigt

wurde. Insbesondere liessen die mehr auf wissenschaftlich-propagandistischem Boden verbreiteten, auf der nationalsozialistischen Eassenlehre fassenden Begriffe «Beichsdeutscher» und «Volksdeutscher» auf eine Gefahr für den Deutschschweizer schliessen, da er als «Alemanne» im ethnographischen Sinne unter den Begriff «Volksdeutscher» fiel und damit als in die Propagandaziele des deutschen Nationalsozialismus einbezogen erschien. Ein entsprechendes Misstrauen entstand auch gegenüber den nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz. Es wuchs noch, als aus einer Veröffentlichung des «Beichsdeutschen» bekannt wurde, dass die politischen Leiter der Landesgruppe Schweiz der NSDAP im Laufe der Jahre 1934 und 1935 auf Adolf Hitler vereidigt worden waren. Diese im Lande vielerorts herrschende Beunruhigung kam auch in den eidgenössischen Bäten zürn Ausdruck, insbesondere bei der Begründung der Interpellationen Schneider und Thalmann vom 2S./26. März 1935 zum Fall Weesemann-Jacob und durch die Interpellation Canova vom 3. April 1935 betreffend nationalsozialistische Organisationen der Deutschen in der Schweiz.

Die Beantwortung der Interpellation Canova gab dem damaligen Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes Gelegenheit, am 26. September 1935 zu den Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Tätigkeit der n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n O r g a n i s a t i o n e n in der Schweiz stellten, Stellung zu nehmen: Gegenüber den Befürchtungen über die grossdeutschen Tendenzen des nationalsozialistischen Programms konnte er auf die inzwischen von Beichskanzler Hitler am 21. Mai 1935 im deutschen Beichstag abgegebenen, die Unabhängigkeit der Schweiz betreffenden Erklärungen verweisen. Der Bundesrat hatte mit Genugtuung von diesen Äusserungen der obersten Stelle der Beichsleitung Kenntnis genommen. Der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes fügte immerhin bei, dasa auch sie die schweizerischen Behörden nicht von der Verpflichtung entbänden, «aus eigener Kraft und eigener Verantwortung über die Unabhängigkeit sowie über die innere und äussere Sicherheit des Landes zu wachen».

Gestützt auf einen Bericht der Bundesanwaltschaft, die ihrerseits Berichte der obersten, kantonalen Polizeibehörden eingeholt hatte, stellte der Vorsteher des eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartementes fest, dass den nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz bisher keine illegale Tätigkeit nachgewiesen werden konnte. Nach dem vorhandenen, zum Teil beschlagnahmten Material wurde es den Parteimitgliedern in den offiziellen Parteiweisungen der NSDAP zur Pflicht gemacht, den Gesetzen des Gastlandes nachzuleben. Ein Verbot dieser nationalsozialistischen Organisationen, wie es teilweise verlangt wurde, war daher nach Auffassung des Bundesrates, der von der bisherigen, bis^anhin unbestritten gebliebenen Praxis der Handhabung von Art. 56 der BV nicht abgehen wollte, nicht gerechtfertigt. In einigen Fällen waren Übergriffe von Mitgliedern der nationalsozialistischen

Organisationen vorgekommen. Sie bezogen sich meist auf aufdringliche Propaganda und eine ungehörige Kritik an den schweizerischen Einrichtungen.

Hier war mit den Mitteln der Verwarnung, der Wegweisung und der Grenzsperre eingeschritten worden.

Der Bundesrat hatte sich auch mit der Frage befasst, ob die erwähnte Vereidigung der Leiter der NSDAP-Organisationen in der Schweiz zu verbieten sei. Er war dabei zur Auffassung gelangt, dass diese Vereidigung, die u, a, mit der Forderung verbunden war, die Gesetze des Gastlandes zu achten und zu befolgen, die Souveränität der Schweiz nicht verletzte. Aus diesem Grunde und von der weiteren Überlegung ausgehend, dass sich eine Eidesleistung auch jeder äusseren Kontrolle entziehen kann, wurde von einem Verbot abgesehen.

Der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes fügte bei: «Eines ist allerdings nicht ausser acht zu lassen. Die Eidesleistung enthält für jeden, der es mit dem Eid ernst nimmt, eine ungewöhnliche Bindung. Diese Bindung kann für unser Land bedeutungslos sein in friedlichen Zeiten, sie kann aber von Bedeutung werden in Zeiten tiefgehender Konflikte zwischen dem fremden Staat und unserin eigenen Lande, dessen territorialer Hoheit und Gesetzgebung auch die Ausländer, solange sie bei uns sind, unterstehen. Wir beanspruchen selbstverständlich, dass unser Landesrecht vorgeht und dass sich ein Ausländer, falls sich ein solcher Widerspruch ergeben sollte, schweizerischen Gesetzen und Behörden zu fügen oder die Konsequenzen zu ziehen hat. -- Zum mindesten müssen wir die Namen der vereidigten Personen kennen, um ihnen besondere Aufmerksamkeit schenken zu können. Die Liste dieser Personen hegt auf der Bundesanwaltschaft. Gustloff hat sie uns jeweils un. aufgefordert zugestellt.» Erhebungen der zuständigen örtlichen und kantonalen Behörden und einlässliche Ermittlungen der Bundesanwaltschaft hatten speziell die Person und. die Tätigkeit des Landesgruppenleiters Gustloff zum Gegenstand. Es wurde dabei jedoch nichts festgestellt, das dessen Ausweisung, die insbesondere in der Interpellation Canova verlangt worden war, rechtfertigte.

Zur Frage der Uniformierung verwies der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes auf den Bundesratsbeschluss vom 12. Mai 1933 über das Verbot des Tragens von Parteiuniformen (A. S. 49,
315).

Das Presseorgan der NSDAP in der Schweiz, der «Beichsdoutsche», war inzwischen mit zwei andern reichsdeutschen Zeitungen verboten worden.

Das Verbot erfolgte in erster Linie als Eetorsion gegen die Massnahmen der deutschen Eegierung gegenüber Schweizer Zeitungen; mitbestimmend war jedoch auch die bisherige Haltung des «Beichsdeutschen», wegen dessen Veröffentlichungen wiederholt bei den Bundesbehörden Beschwerde geführt worden war.

In den Berichten der obersten Polizeibehörden der Kantone war, obgleich, wie erwähnt, eine illegale Tätigkeit der nationalsozialistischen Organisa-

8 tionen nicht nachgewiesen werden konnte, ein grosses Missbehagen über deren gelegentlich anmassendes Auftreten zum Ausdruck gekommen. Vereinzelt wurde auch der Verdacht der Spitzeltätigkeit gegenüber anders gesinnten Ausländern angedeutet und allgemein der Wunsch nach eidgenössischen, einheitlichen Weisungen geäussert, wie sie die Bundesanwaltschaft in Aussicht gestellt hatte. Dieser Wunsch deckte sich mit der Auffassung des Bundesrates, dass ein Verbot der nationalsozialistischen Organisationen zwar nicht gerechtfertigt, eine schärfere Kontrolle der ausländischen Parteiorganisationen nach einheitlichen Vorschriften des Bundes jedoch notwendig sei, um einer Beeinflussung unserer Bevölkerung entgegenzutreten und eine aufdringliche Propagandatätigkeit ausländischer Vereine auch gegenüber den Angehörigen des gleichen Landes zu verhindern. Am 26. September 1935 hatte daher das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement die vom Bundesrat genehmigten «Richtlinien b e t r e f f e n d politische Vereinigungen von Ausländern in der Schweiz» erlassen (BEI 1935 n 457). Diese Bichtlinien in Verbindung mit dem am 21. Juni 1935 in Kraft getretenen Bundesbeschluss betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft («Spitzelgesetz» A. S. 51, 482) sollten die gewünschte Beruhigung schaffen und Übelständen wehren.

Art. 8 des Spitzelgesetzes lautete: «Der Bundesanwaltschaft wird zur einheitlichen Durchführung des Fahndungs- und Informationsdienstes im Interesse der Wahrung der inncrn und äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft das nötige Personal beigegeben. Sie arbeitet in der Begel mit den zuständigen kantonalen Polizeibehörden zusammen.» Gestützt auf diese Bestimmung wurde in der Eolge der Polizeidienst der Bundesanwaltschaft geschaffen. Dieser bestand zunächst aus dem Chef, einem Kommissär und vier Inspektoren.

Die Durchführung eines Schulungslagers für deutsche Studierende in der Schweiz in Überlingen. veranlasste die Zürcher Polizei im November 1935 zur Vornahme von Haussuchungen bei den in Zürich wohnhaften Mitgliedern der Landesleitung der deutschen Studentenschaft. Ferner war es der Stadtpolizei von Bern möglich geworden, in Korrespondenzmaterial der deutschen Studentenschaft in Bern Einsicht zu erhalten. Aus dem durch diese Polizeiaktionen ergänzten Aktenmaterial ergab sich in erster Linie der Gesamteindruck, dass man es bei der NSDAP, Landesgruppe Schweiz, bereits mit einer ausserordentlich straffen, bis in alle Einzelheiten von der deutschen Zentrale abhängigen Organisation zu tun hatte. Mehr als das frühere zeigte das neue Material zudem das Fragwürdige, in einigen Fällen das Unzulässige der Betriebsamkeit der Nationalsozialisten in der Schweiz. Nach wie vor war allerdings die Abgrenzung dessen, was den schweizerischen Interessen zuwiderlief, die Landessicherheit gefährdete oder gegen die schweizerischen Gesetze verstiess, von dem was noch als zulässig angesehen werden konnte, nicht

leichter geworden, da sich fast nirgends der klare Tatbestand einer Gesetzwidrigkeit herausschälen liess und von deutscher Seite formell immer wieder die Eespektierung des Gastlandes betont wurde.

Das Material der polizeilichen Erhebungen in Zürich und Bern betraf in erster Linie die Tätigkeit der deutschen Studenten in der Schweiz. Es gab aber auch Aufschluss über die Beantwortung zahlreicher «Auskunftsgesuche» deutscher Parteistellen durch die nationalsozialistischen Organe in der Schweiz sowie über die sogenannte Sportabteilung.

Die deutschen S t u d e n t e n s c h a f t e n an den schweizerischen Hochschulen waren im Landesverband der deutschen Studentenschaft in der Schweiz zusammengefasst und dadurch der deutschen Studentenschaft des Eeiches eingegliedert. In Berlin bestand die Beichsführung der deutschen Studentenschaft, die einen Kreis Ausland mit Beferat Schweiz hatte. Die Landesleitung der deutschen Studentenschaft in der Schweiz lag bis zum Eebruar 1986 in den Händen von G. T. Maier, cand. med., Zürich (Leiter), K. Baumgartner, stud. phil., Zürich (Schriftführer), und E. Lemberger, Dr.rer.pol., Angestellter der Beichsbahnzehtrale für den deutschen Reiseverkehr in Zürich (Mitarbeiter).

Über die Tatsache, dass der deutsche Nationalsozialismus von den deutschen Studierenden im Ausland die Erfüllung einer kulturpolitischen Aufgabe erwartete, war die schweizerische Öffentlichkeit bereits durch die deutsche Presse orientiert, Eerner wusste man aus einer amtlichen deutschen Meldung, dass sämtliche deutschen Studenten, die beabsichtigten, im Ausland zu studieren, vor ihrer Abreise aus Deutschland mit den zuständigen Behörden Fühlung zu nehmen hatten, um Anweisungen für ihre Betätigung im Ausland entgegenzunehmen. Nach der gleichen Quelle sollten die deutschen Auslandstudenten ferner von den nationalsozialistischen Spitzenverbänden laufend über ihre weiteren Aufgaben unterrichtet werden. Diese Begelung wurde in der Schweiz so ausgelegt, dass das Dritte Beich auch auf. diesem Gebiete nationalsozialistische Agitatoren aussende. Die Erfassung der in der Schweiz studierenden Deutschen durch die nationalsozialistische Studentenschaft erregte daher namentlich in ihrem Anfangsstadium im Schweizervolke grosses öffentliches Aufsehen. Nach einem Bericht der Bundesanwaltschaft vom 24, Mai 1935 hatten
die Erhebungen an den schweizerischen Universitäten jedoch bis dahin weder den Universitäts- noch den fremdenpolizeilichen Behörden Anlass zu Massnahmen gegeben. Es war einzig der Kreisleiter Mittelschweiz der NSDAP in diesem Zusammenhang durch Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung zur Ausreise aus der Schweiz verhalten worden.

. Das neu beigebrachte Material bestätigte das dargelegte Bild des nationalsozialistischen Auslandsstudenten, der in Deutschland ausgelesen und in besonderen Lagern geschult wurde und auch im Gastland in die nationalsozialistische Organisation eingespannt blieb. Die NSDAP verlangte von ihm allerdings nicht die Anwendung der gewöhnlichen Methoden der Propaganda (Vertrieb von Flugschriften, direkte Werbung für den Nationalsozialismus). Für

10 die Erfüllung der kulturpolitischen Aufgabe des deutschen Studenten (Aufklärung über das neue Deutschland, Werbung um vermehrtes Ansehen des Eeiches) sollten andere Mittel zur Anwendung gelangen: die persönliche Haltung des einzelnen Studenten, die Aufklärung im Gespräch, kameradschaftliche Abende mit Schweizern sowie öffentliche Veranstaltungen mit deutschen Vertretern der Wissenschaft und der Kunst. Gegen eine so geartete «Aufklärung über das neue Deutschland» konnte an und für sich mit Polizeimassnahmen nicht eingeschritten werden. Die polizeilichen Erhebungen vom November 1985 brachten jedoch auch Auswüchse der deutschen studentischen Organisationen in der Schweiz und eine Tätigkeit einzelner ihrer Mitglieder zutage, die über diesen Rahmen des Zulässigen hinausgingen und neue Massnahmen notwendig machten.

Im Schulungslager Uberlingen für deutsche Studierende in der Schweiz war den Teilnehmern ein Fragebogen (Bichthnien für die Anfertigung eines Berichtes nach Abschluss eines Auslandaufenthaltes) abgegeben worden, der u. a. folgende Ziff. 6 enthielt : «Wie verhielten sich die Emigranten und welches war ihre Tätigkeit? (Auch in politischer Hinsicht.) a. nach Möglichkeit bei der Aufzählung mit genauer Namensnennung. Trennung zwischen Arier und Juden; &. Nennung der Organisationen, mit denen diese Emigranten zusammenarbeiteten. » Die beschlagnahmten Berichte, die von deutschen Studenten nach den Fragebogen erstellt worden waren, enthielten zwar zu dieser Ziff. 6 nur allgemeine Angaben, die keinen nach dem Spitzelgesetz strafbaren Tatbestand erfüllten. Es lag jedoch auf der Hand, dass der fragliche Punkt des Fragebogens zu unzulässigen Spitzeleien veranlassen konnte.

Die Mehrzahl der beschlagnahmten Berichte gab auch sonst vom Gesichtspunkt der politischen Polizei zu keinen Bemerkungen Anlass. Eine Ausnahme machte der in Genf studierende deutsche Staatsangehörige Gottfried Fröhlich, der sich in höhnisch amnassendem Tone in seinem Bericht auch mit den innerpolitischen Verhältnissen der Schweiz befasste und die schweizerischen politischen Einrichtungen (z. B. das Parlament) verächtlich machte.

Massnahmen waren am Platze gegen den Leiter der deutschen Studentenschaft Bern, F. Fahrenbruch-Brusius, cand. iur., der es als zu den Aufgaben des deutschen Studenten gehörend betrachtete, in der Schweiz
grossdeutsche Propaganda zu betreiben, und der sich auch in diesem Sinne betätigt hatte.

Auch die Tätigkeit von Prof. Erhard, Freiburg i. Ü., war zu beanstanden, insbesondere seine in einem Beferat des Schulungslagers Uberlingen zum Ausdruck gekommene Auffassung, dass die naturalisierten ehemaligen Deutschen umworben werden müssten und dass ihnen «das Bewusstsein ihres Deutschtums» wieder zurückzugeben sei.

Vereinzelt wurde festgestellt, dass österreichische Staatsangehörige Mitglieder der NSDAP waren. Der österreichische Student Wilhelm Erte!

11 in Zürich betätigte sich als Schulungsleiter der dortigen Ortsgruppe. Der deutsche Staatsangehörige Dr. Fröwis, Organisations- und Propagandaleiter der Ortsgruppe Zürich, hatte sich im April 1935 sogar in einem speziellen Kreisschreiben mit dem Kampf der «Brüder und Schwestern in Österreich» beschäftigt, eine Sonderaktion, die allerdings gemäss beschlagnahmten Korrespondenzen im Mai 1985 vom Landesleiter Gustloff verurteilt und unterbunden worden war.

Der deutsche Student W, G-riascb, stud. theol. in Bern und zeitweiliger Führer der deutschen Studentenschaft Bern, stand in Korrespondenzverbindung mit der bayrischen politischen Polizei in München. Es konnten keine von ihm verfassten Berichte beschlagnahmt werden, die die Grundlage eines Strafverfahrens hätten bieten können. Festgestellt war aber, dass er wenigstens einen Bericht nach München geschickt hatte. Es genügte dies, um seine politische Tätigkeit als unerwünscht erscheinen zu lassen.

Es war ferner festgestellt worden, dass die «Tätigkeit und Mitarbeit» einzelner deutscher Studenten in der Schweiz von besonders beauftragten deutschen Kommilitonen kontrolliert wurden. Auftragerteilende Stelle war dabei die Beichsführung der deutschen Studentenschaft in Berlin. Diese Kontrolle konnte nicht geduldet werden.

Ganz allgemein musste auch die Zusammenfassung der deutschen Studierenden in der Schweiz in einer parteipolitischen Organisation mit zentraler Führung nach dem ganzen nunmehr vorliegenden Material als unerwünscht betrachtet werden.

Anlässlich der in Zürich durchgeführten Haussuchungen war auch eine grosse Anzahl Schreiben erhoben worden, die sich auf A u s k u n f t sgesu ehe nationalsozialistischer Organe in Deutschland über verschiedene Personen in der Schweiz bezogen. Die Auskünfte betrafen in erster Linie deutsche Rückwanderer in der Schweiz, die sich z. B. bei einer deutschen Amtsstelle zwecks Arbeitsvermittlung gemeldet hatten, ferner Parteimitglieder, die von einer Ortsgruppe in der Schweiz in eine Ortsgruppe in Deutschland überzutreten wünschten, Inhaber von amtlichen oder halbamtlichen deutschen Stellen usw. Bei einzelnen Auskünften war der Grund der Anfrage aus dem beschlagnahmton Material nicht ersichtlich. Aber auch Schweizer waren Gegenstand solcher Auskünfte, z. B. Leiter oder Besitzer von Hotels, die der deutsche
AutomobilClub berücksichtigen wollte, Firmen, welche deutsche Vertretungen suchten, Journalisten usw. Die NSDAP-Stellen.im Ausland erschienen bereits auch schon als Kontrollorgane der offiziellen deutschen Vertretungen, indem z. B.

die Einstellung einzelner deutscher Konsuln in der Schweiz gegenüber der NSDAP geprüft wurde.

Diese ganze Auskunftgeberei hing mit. der Natur des deutschen totalitären Parteistaates zusammen. Alle Vorgänge in der Wirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt und selbstverständlich innerhalb der Verwaltung wurden im Dritten Eeich von Parteiorganen kontrolliert. Verfügungen konnten in Deutschland

12 erst getroffen werden, wenn die Parteiinstanzen angehört worden waren. Für die schweizerischen Behörden stellte sich die Frage, ob diese Auskunftsgesuche und die Auskünfte unter das Spitzelgesetz fielen. Die Bundesanwaltschaft äusserte sich in ihrem Bericht vom 18. Januar 1936, in welchem sie dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement vom Ergebnis der polizeilichen Erhebungen Kenntnis gab, zu dieser Frage wie folgt: «Für uns stellt sich die Frage, ob diese Auskunftsgesuche und die Auskünfte selbst unter den Bundesbeschluss vom 21. Juni 1935 fallen. Soviel anhand des vorliegenden Materials festgestellt werden kann, entspringen die Gesuche nicht politischen Motiven, erfolgen nicht zum Zwecke politischer oder polizeilicherMassnahmen ·-- ganz ausschliessen kann man dies jedoch nach allgemeinen Erfahrungen nicht --, sondern der Parteiinstanzenweg für die Gesuche ist nur eine organisatorische Anordnung.

Solche Auskünfte werden in der ganzen Welt von einem Land zum andern gesucht und erteilt ; diesem Zwecke dienen in der Eegel die Gesandtschaften, Handelskammern, Konsulate, privaten Auskunfteien -- aber in Deutschland müssen sie über die NSDAP gehen. Die Nachrichten zu politisch-polizeilichen Zwecken werden nach unserer Erfahrung auf andern --· heimlichen -- Wegen eingeholt. So glauben wir, dass es sich hier nicht um einen straffälligen Nachrichtendienst handelt; immerhin möchten wir die Frage für die Zukunft offen lassen. Es handelt sich aber um einen Dienst, der zum mindesten als ' Schnüffelei' empfunden wird und unerwünscht ist, weil er nicht von sachlich zuständigen, sondern von politisch interessierten -- von unserm Standpunkt aus also unberufenen --'· Instanzen ausgeübt wird. -- Nach unserem Dafürhalten kann in der Weise dagegen eingeschritten werden, dass die deutsche Gesandtschaft eingeladen wird, dafür zu sorgen, dass Auskunftsgesuche über persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse nicht mehr über die NS-Parteiorgane in der Schweiz, sondern über die Gesandtschaft (resp. Konsulate) oder die Handelskammer zu leiten sind, unter ausdrücklichem Vorbehalt der Bestimmungen des BB vom 21. Juni 1935. -- Es erscheint auch unzulässig, dass Konsulate etc. durch Parteifunktionäre beaufsichtigt und kontrolliert werden.» Die S p o r t a b t e i l u n g der NSDAP Zürich war ebenfalls bereits seit
längerer Zeit von der Bundesanwaltschaft in Verbindung mit den Zürcher Polizeibehörden beobachtet worden. Im Oktober 1985 kam der Bundesanwaltschaft ein Bericht der Stadtpolizei Zürich zu, in welchem anhand einer Photographie der Sportgruppe Zürich in Marschkolonne und auf Grund der Dienstvorschriften für die Sturmabteilung (SA) der NSDAP in. Deutschland die Ansicht vertreten wurde, dass die Sportabteilung Zürich der SA gleichzusetzen sei. Am 13. Oktober 1985 fand in Waldshut ein von der NSDAP veranstaltetes Sportfest statt, an dem Gruppen aus Zürich, Brugg, Baden, Genf, St. Gallen, Luzern und Bern teilnahmen. Gemäss Bericht des Polizeikommandos des Kantons Aargau trugen die Nationalsozialisten aus der Schweiz dabei einheitliche Kleidung, die der Uniform der SA entsprach mit dem Unterschied, dass an Stelle des braunen ein weisses Hemd. getragen wurde. Am Sportfest waren

13 Geländeübungen, Marschübungen und Übungen, im Hindernisnehmen durchgeführt worden. Den Teilnehmern aus der Schweiz wurde ein Handgranatenangriff zur Nachtzeit vordenionstriert. Die ganze Veranstaltung trug nach zuverlässigen Berichten einen militärischen Charakter. Anlässlich der Haussuchungen in Zürich im November 1935 wurden Dokumente beschlagnahmt, die auf einen militärischen Charakter auch der Sportabteilung in der Schweiz schliessen liessen. Es hatten Marschübungen u. a. auch ein Gepäckmarsch stattgefunden. Der Stadtpolizei Zürich waren auch Meldungen (allerdings nicht polizeiliche Feststellungen) zugekommen, wonach die Sportabteilung auf der Alhnend Muntern zu nächtlicher Stunde Geländesportübungen abgehalten hatte.

Anderseits war ein Schreiben der NSDAP Auslandsorganisation an die Landesgruppe Schweiz vom 27. November 1934 beschlagnahmt worden, das mit Nachdruck darauf verwies, «dass eine SA im Ausland seitens des Führers verboten wurde». Es bestünden «keine Bedenken, die Deutschen im Ausland durch ein Zusammenfassen in Sport- und Turnvereinen sportlich und turnerisch zu schulen». Aus einem geschlossenen Auftreten solcher Gruppen könnten jedoch «leicht aussenpolitische Schwierigkeiten entstehen», was vermieden werden müsse. Die Genehmigung eines Sportabteilungsausweises für die Landesgruppe Schweiz wurde deshalb in diesem Brief abgelehnt. Hingegen wollte sich die Auslandsorganisation wegen der Frage, «ob bei einem Eintritt eines aus der Schweiz zurückgekehrten Parteigenossen seine frühere Zugehörigkeit zur Sportabteilung auf die Dienstzeit angerechnet werden kann», mit der obersten SAFührung in Verbindung setzen.

Aus diesem Material ergab sich also, dass zwar nicht von einer Tarnung im eigentlichen Sinne des Wortes gesprochen werden konnte, dass aber ein gewisser Zusammenhang zwischen der Sportabteilung und der SA in Deutschland (Frage der Dienstzeitanrechnung) bestand, wobei die Nationalsozialisten in der Schweiz in ihren Aufgaben und in ihrem Auftreten wie in andern Ländern gemäss Weisung der Partei den Anschauungen des Auslandes Rechnung tragen sollten. Als Aufgaben der Sportabteilung waren bekannt: Saaldienst, Sprechchor, Kameradschaftsabende, Schulungsvorträge, Sportwettkämpfe, Beteiligung an Wahlen und am Parteitag in Deutschland, Ausmarsch und Geländeübungen.

Die beim Landesleiter
der deutschen Studentenschaft durchgeführte Haussuchung hatte auch Material zutage gefördert, das die Bundeskanzlei veranlasste, den Bundesstenographen Dr. Kittelmann mit sofortiger Wirkung zu entlassen.

Dr. Kittelmann war deutsch-schweizerischer Doppelbürger. Als die Bundeskanzlei im September 1934 vernommen hatte, dass er Mitglied der NSDAP Landesgruppe Schweiz sei, war ihm eröffnet worden, er habe zwischen der Zugehörigkeit zu einer ausländischen politischen Organisation und der Stellung als Bundesstenograph zu wählen. Dr. Kittelmann trat dann in der Folge aus der NSDAP, Landesgruppe Schweiz, aus. Aus dem 1935 beschlagnahmten

14 Material ging nun hervor, dass er, ohne der Bundeskanzlei etwas zu melden, Mitglied der NSDAP geblieben war und sich direkt bei der Auslandsorganisation der NSDAP hatte einschreiben lassen. --- Die Frage, ob sich auch der Landesgruppenleiter Gustloff durch seine Mitwirkung beim Anschluss Dr. Kittelmanns bei der Auslandsorganisation einer bewussten Irreführung schweizerischer Behörden schuldig gemacht hatte, konnte nicht restlos abgeklärt werden.

Am 4. Februar 1936 wurde Gustloff in Davos von einem Emigranten, David Frankfurter, erschossen. Die richterliche Aburteilung Frankfurters erfolgte durch das zuständige Gericht des Kantons Graubünden.

Diese Situation im Februar 1936 liess neue behördliche Massnahmen als notwendig erscheinen. Mehr als- alle andern frühern Vorkommnisse hatten die Trauerfeierlichkeiten für Gustloff in der Schweiz und namentlich auch diejenigen in Deutschland gezeigt, welch grosse offizielle Bedeutung die NSDAP und die Eegierung Deutschlands einem Landesgruppenleiter im Ausland beimassen. Zudem waren aus dem Ergebnis der Polizeiaktion in Zürich und Bern die Folgerungen zu ziehen: Am 18. Februar 1986 erliess der Bundesrat ein Verbot von Landesleitung und Kreisleitungen der NSDAP in der Schweiz.

Die von der schweizerischen Öffentlichkeit stark diskutierte grundsätzliche Frage der weitern Zulassung von ausländischen politischen Vereinigungen in der Schweiz wurde dem Justiz- und Polizeidepartement in Verbindung mit dem Politischen Departement zur Prüfung und Berichterstattung überwiesen.

Am 18. Februar 1986 wurden vom Bundesrat ferner folgende weitere Massnahmen beschlossen: Ausweisung des deutschen Studenten "W. Griasch; Verfügung der Grenzsperre gegenüber F. Fahrenbruch, Dr. Fröwis und G. Fröhlich; Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung des österreichischen Studenten W. Ertel; Verwarnung von Prof. H. Erhard und Androhung der Ausweisung, falls er sich weiterhin politisch betätige, Die in Betracht fallenden kantonalen Polizeibehörden wurden angewiesen, die Aufenthaltsbewilligung der deutschen Studierenden an die Bedingung zu knüpfen, sich jeder politischen Tätigkeit zu enthalten.

In Anlehnung an die Bichtlinien vom 26. September 1935 wurden besondere Verhaltungsmassregeln für die deutsche Studentenschaft in der Schweiz aufgestellt, die sich insbesondere gegen den verteilten
Fragebogen und gegen die Mitwirkung von Nichtstudierenden in der Leitung der deutschen StudentenOrganisation wandten.

Die Bundesanwaltschaft wurde ermächtigt, Schulungskurse der NSDAP zu untersagen, soweit.es sich nicht um staatsbürgerlichen Unterricht für Beichs-

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deutsche handelte, und das geschlossene Auftreten von Sportabteilungen der NSDAP zu verbieten. (Die Bundesanwaltschaft hat in der Folge von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht.)

Das Politische Departement hatte der deutschen Gesandtschaft ferner zu eröffnen, dass der wirtschaftliche und persönliche Auskunfts dienst ausschliesslich den diplomatischen und konsularischen Vertretungen des Deutschen Beiches zu obliegen habe unter Vorbehalt der Bestimmungen des Bundesbeschlusses betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft (Spitzelgesetz).

Die Errichtung von Wirtschaftsstellen der NSDAP in der Schweiz, um deren Bewilligung nachgesucht worden war, wurde abgelehnt.

Mit Note vom 20. Februar 1936 erhob die deutsche Eegierung durch ihre Gesandtschaft in Bern Protest gegen das Verbot der Landesleitung und der Kreisleitungen der NSDAP in der Schweiz. Der Bundesrat hielt jedoch an seinem Beschluss fest. Dieser erfasste auch die Landesleitung der deutschen Studentenschaft in der Schweiz.

Um für diePrüfung der Frage der weiteren Zulassung von ausländischen politischen Vereinigungen über die notwendigen Unterlagen zu verfügen, wandte sich die Bundesanwaltschaft im Februar 1986 mit einem Kreisschreiben an die Kantone, um Angaben über die politische Tätigkeit solcher Verbände und Material über die Beanstandungen zu erhalten.

Aus den Erhebungen über die deutschen Organisationen ergab sich, dass neben den Ortsgruppen und Stützpunkten folgende Nebengebilde der NSDAP bestanden: Hitler-Jugend, Bund deutscher Mädchen, Deutsche Berufsgruppe, Frauenarbeitsgemeinschaft, Nationalsozialistischer Lehrerbund, Opferring, Sportgruppen (in Schaffhausen Schützenverein), Nationalsozialistische Gemeinschaft Kraft durch Freude, Deutsche Studentenschaft, Deutsche Glaubensbewegung, Winterhilfswerk, Vereinigung für das Deutschtum im Ausland.

Dazu kamen noch die bereits bestehenden oder in Gründung begriffenen deutschen Kolonien, an sich unpolitische Gebilde, die aber in zunehmendem Masse ebenfalls den Stempel nationalsozialistischer Organisationen erhielten.

Die alten deutschen Vereine, die schon vor dem nationalsozialistischen Eegime bestanden hatten, waren als nichtpolitische Organisationen zu betrachten.

FJS wurde jedoch von Seiten der Nationalsozialisten versucht, auch sie der Bewegung botmässig zu machen, d. h. sie in den deutschen Kolonien zusammenzufassen.

Zur Frage der Auflösung ausländischer politischer Vereinigungen kam die Bundesanwaltschaft in ihrem Bericht vom 28. September 1986 an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, der sich auf die nachgesuchten

16 Erhebungen der Kantone stützte und ebenfalls auf die am 8. Juni 1936 von Nationalrat Bringolf eingereichte Motion betreffend Aufhebung der aus Ausländern bestehenden faschistischen Organisationen Bezug nahm, zum Schlüsse, dass auch bei den deutschen nationalsozialistischen Organisationen die Voraussetzung für das Ergreifen dieser schwersten Massnahme, nämlich der Nachweis für das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefährdung der äussern und innem Sicherheit der Schweiz, nach wie vor fehle. Die Kantone hatten keine Verstösse der deutschen Nationalsozialisten zu melden gehabt, die einen solchen Nachweis erbracht hatten. Es blieb daher bei der bisherigen sorgfältigen Überwachung gestützt auf die geltenden Erlasse (Richtlinien betreffend politische Vereinigungen von Ausländern in der Schweiz, Spitzelgesetz etc.). Eine Handhabe gegen irredentistische Umtriebe bot das neue Bundesgesetz betreffend Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft vom 8. Oktober 1936 (A. S. 53, 87). Verschiedene Vorfälle mit ausländischen Rednern veranlassten den Bundesrat ferner, mit Bundesratsbeschluss vom 8. November 1986 neue einschränkende Bestimmungen betreffend die Teilnahme ausländischer Eedner an politischen Versammlungen zu erlassen, Einschränkungen, die speziell auch gegenüber der nationalsozialistischen Vortragstätigkeit notwendig geworden waren (A. 8.

52, 821).

Die Tätigkeit der deutschen nationalsozialistischen Organisationen im Jahre 1937 gab zu keinen neuen behördlichen Massnahmen allgemeiner Natur Anlass. In Einzelfällen wurde, wo es nötig war, gestützt auf die Richtlinien vom 29. September 1935 vorgegangen.

Am 28. Februar 1937 hatte Reichskanzler Hitler Herrn alt Bundesrat Schulthess die bekannte Erklärung abgegeben, wonach Deutschland die Unverletzlichkeit und Neutralität der Schweiz respektieren werde, «zu jeder Zeit, komme was da wolle». Diese Erklärung wurde in der Schweiz allgemein mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Sie brachte auch eine gewisse Beruhigung in bezug auf die Beurteilung der Tätigkeit und der Ziele der nationalsozialistischen Organisationen im Lande. Vollständig war diese Beruhigung allerdings nicht. Die Tätigkeit der deutschen Nationalsozialisten in der Schweiz kam in den eidgenössischen Räten immer wieder erneut zur Sprache.

Im Laufe des Jahres 1937 richtete die deutsehe Gesandtschaft in Bern die Anfrage an das eidgenössische Politische Departement, ob es angängig sei, dass die Gesandtschaft die Geschäfte der Landesleitung besorge. Da das am 18. Februar 1986 verfügte Verbot der Landesleitung und der Kreisleitungen deshalb erlassen worden war, weil es unerwünscht schien, neben den offiziellen Vertretern noch hohe NSDAP-Parteibeamte zuzulassen, wurde der Gesandtschaft in zustimmendem Sinne geantwortet. Dieser Entscheid stützte sich

17 auch auf die Erfahrungen, die mit der entsprechenden Lösung bei den italienischen Kolonievereinigungen gemacht worden waren.

Im März 1988 wurde die deutsche Kolonie ferner zur Herausgabe einer internen Koloniezeitung, der «Deutschen Zeitung in der Schweiz», ermächtigt.

Bei der Behandlung des Geschäftsberichtes 1937, des eidgenössischen Politischen Departementes in der Sommersession 1938 wurde in den eidgenössischen Bäten die Frage der Zweckmässigkeit der Unterstellung der nationalsozialistischen Organisationen unter die deutsche Gesandtschaft zur Diskussion gestellt. Von verschiedenen Seiten, insbesondere auch vom Eeferenten der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission, wurde der Befürchtung Ausdruck gegeben, dass die diplomatische Immunität der fraglichen Gesandtschaftsfunktionäre ein wirksames Eingreifen im Falle eines Missbrauches der Urnen eingeräumten Befugnisse sehr erschweren werde. Der Bundesrat hatte bei der Abwägung der Vor- und Nachteile der neuen Eegelung diesen Punkt auch in Erwägung gezogen. Angesichts der bereits erwähnten guten Erfahrungen, die man mit der analogen Lösung bei den italienischen Organisationen gemacht hatte, und der Tatsache, dass in andern Ländern die gleiche Eegelung bestand, glaubte er jedoch, die diesbezüglichen Befürchtungen nicht teilen zu müssen. Der Vorsteher des eidgenössischen Politischen Departementes fügte in der Diskussion bei, dass in dieser Hinsicht bisher keine Beschwerde gegenüber der deutschen Gesandtschaft angebracht werden musste.

Gegenstand der öffentlichen Diskussion war seit langem auch das Vorgehen der Nationalsozialisten, die deutschen Staatsangehörigen in der Schweiz unter Druck zu setzen und mit Drohungen z. B. betreffend Nichterneuerung der Papiere zum Beitritt in die von der NSDAP abhängigen Organisationen zu zwingen. Da es sehr schwer hielt, die internen Vorgänge in der Vereinstätigkeit von Ausländern wahrzunehmen, hatten die polizeilichen Ermittlungen bis dahin nur vereinzelte derartige Machenschaften aufdecken können. In diesen Fällen war mit administrativen Massnahmen gegen die fehlbaren Ausländer eingeschritten worden. Eine Bestimmung der Eichtlinien vom 26. September 1935 richtete sich ausdrücklich gegen solche Druckversuche. Bei der Behandlung des Geschäftsberichtes 1987 forderte der Vorsteher des eidgenössischen Politischen Departementes, wie das bereits der Chef des Justiz- und Polizeidepartementes bei der Behandlung der Interpellation Canova im Jahre 1935 getan hatte, dazu auf, den Behörden derartige Fälle mit Angaben über den Tatbestand zu melden, damit eingeschritten werden könne.
Die Einverleibung Österreichs in das Deutsche Reich vom März 1988 und der im Anschluss an das Münchner Abkommen im Oktober gleichen Jahres erfolgte deutsche Einmarsch in das sudetendeutsche Gebiet hatten in der Schweiz Bundesblatt. 98. Jahrg. Bd. I.

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18 ein neues Anwachsen des Misstrauens gegenüber den nationalsozialistischen Organisationen im Lande zur Folge. Am 11. November 1938 begründeten die Nationalräte Schneider und Huber ihre Interpellationen betreffend die nationalsozialistische Propaganda, Der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes konnte in seiner Antwort darauf hinweisen, dass sich die Bichtlinien vom 26. September 1985 bis jetzt auch hinsichtlich der nationalsozialistischen Organisationen bewährt hatten. Die Kontrolle dieser Organisationen werde ständig ausgeübt. Wo sich im Einzelfalle Anstände ergeben hätten, sei nach Massgabe der Bichtlinien eingeschritten worden. DerBedner verwies im übrigen darauf, dass die ausgesprochene Parteiliteratur gemäss dem inzwischen erlassenen Bundesratsbeschluss vom 27. Mai 1988 betreffend Massnahmen gegen staatsgefährliches Propagandamaterial (A. S. 54, 249) bei der Einfuhr in die Schweiz geprüft und, wenn sie zu Beanstandungen Anlass gab, zurückgewiesen wurde.

Bereits im Verlaufe der zweiten Hälfte des Jahres 1937 hatte die Bundesanwaltschaft eine starke Zunahme der Einfuhr ausländischen, vor allem auch nationalsozialistischen Propagandamaterials festgestellt. Es handelte sich, teilweise um Material, dem gestützt auf die bisher geltenden Vorschriften nicht beizukommen war. Es bestand ferner kein Zweifel, dass die nationalsozialistische Propaganda direkt oder indirekt von offiziellen und offiziösen Stellen des Dritten Beiches planmässig betrieben und gefördert wurde. Eine Ergänzung der Vorschriften über die Kontrolle von politischem Propagandamaterial durch den erwähnten Bundesratsbeschluss war daher notwendig geworden.

Eine Einmischung der nationalsozialistischen Organisationen in schweizerische Verhältnisse, namentlich in Aktionen schweizerischer Erneuerungsbewegungen, war bis dahin nicht festgestellt worden. Andererseits verlangte die Handhabung der Eichtlinien vom 26. September 1985 gegenüber diesen deutschen Organisationen die ständige Aufmerksamkeit der polizeilichen Organe, die immer wieder Versuche, den festgelegten Rahmen zu übersehreiten, abstellen mussten.

Ein in deutschen Hochschulen angeschlagenes Plakat, wonach «einsatzbereite Studenten» für das Studium in der Schweiz gesucht wurden, entfachte 1988 erneut die öffentliche Diskussion über die Tätigkeit der
deutschen Studenten an den schweizerischen Universitäten. An einigen Hochschulen reagierten die Schweizer -Studenten mit Kundgebungen. Bei der Beantwortung einer Interpellation von Nationalrat Meierhans betreffend ausländische Propaganda bestätigte der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes in der Dezembersession 1938 den Willen des Bundesrates, für strikte Befolgung der für Ausländer geltenden Vorschriften auch durch die ausländischen Studenten zu sorgen. Die Zahl der deutschen Studenten in der Schweiz betrug damals ca. 150, wovon 120 sich in Lausanne und Genf aufhielten.

19 Nachdem, schon früher in mehreren grössern Städten des Landes politische Abteilungen des Polizeidienstes ausgeschieden worden waren, schritten in den Jahren 1938 und 1939 die meisten Kantone angesichts der festgestellten vermehrten politischen Umtriebe zur Aufstellung und Ausbildung einer eigenen politischen Polizei. Auch, die Bundespolizei hatte seit 1935 im Laufe der Jahre eine Erweiterung erfahren. Die Gesamtzahl der Beamten ihres Aussendienstes belief sich im Jahre 1989 auf 15 Mann. Gestützt auf die Besprechungen an den Polizeidirektorenkonferenzen der unmittelbaren Yorkriegsjahre war die Z u s a m m e n a r b e i t der eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Polizeien bereits eine sehr enge. Um sie noch besser und wirksamer zu gestalten, kamen die Leiter der politisch-polizeilichen Abteilungen periodisch, erstmals im Dezember 1988, zu Besprechungen zusammen. Ferner wurde die Durchführung zentraler Instruktionskurse für die Funktionäre der politischen Polizeien in Aussicht genommen. Der erste dieser Kurse fand im März 1989 statt.

B. Die schweizerischen Rechtsextremisten.

Die rechtsextremen Gruppen, die während des Krieges aus Gründen des Staatsschutzes verboten werden mussten, waren -- wie allgemein bekannt ist -- Abspaltungen und Nachfolgeorganisationen von « E r n e u e r u n g s b e w e g u n g e n » mit mehr oder weniger nationalsozialistischer oder faschistischer Prägung, die anfangs der dreissiger Jahre im politischen Leben der Schweiz eine gewisse Bedeutung erhielten. Es ist daher am Platze, den S t a m m b a u m dieser Gruppen, soweit er der Vorkriegszeit angehört, vorweg kurz in Erinnerung zu rufen.

Dabei sollen nur die Hauptlinien gezeichnet werden. Einzelheiten, die im Laufe des Krieges Bedeutung erhielten, werden später Erwähnung finden.

Als Mutterorganisation der erwähnten Gruppen, die in der deutschen Schweiz ihren Ursprung hatten, ist die «Nationale Front» zu betrachten, die als Vereinigung der «Neuen Front» und der früheren «Nationalen Front» im Frühling 1988 zunächst als Bewegung, als «Kampfbund», gegründet und noch im gleichen Jahre als politische Partei konstituiert wurde. Zur «Nationalen Front» stiess bald auch die nicht sehr bedeutende «Gruppe nationalsozialistischer Eidgenossen» unter Theodor Fischer. Landesführer der. «Nationalen Front» waren Dr. Biedermann (bis 1934), Dr. Henne (bis anfangs 1938) und Dr. Eobert Tobler. Bereits im Oktober 1933 erfolgte die erste grössere Abspaltung extremerer Eichtung, indem Major Ernst Leonhardt in Basel den sogenannten «Volksbund», die «Nationalsozialistische Schweizerische ArbeiterPartei» (NSSAP), ins Leben rief. An dessen Stelle trat später im Dezember 1988 die «Schweizerische Gesellschaft für autoritäre Demokratie» (SGAD).

Als weitere Abspaltungen der «Nationalen Front» entstanden im Jahre 1936 die «Eidgenössische Soziale Arbeiter-Partei» (E.SAP) mit den führenden Leuten Ernst Hofmann, Dr. Wechlin, Dr. H. Büeler, sowie 1938 der «Bund treuer Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung» (BTE), bei dem

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Dr. A. Zander, Dr. Hans Oehler, Dr. W. Wirz und Alfred Nikles die massgebenden Persönlichkeiten waren.

In der welschen Schweiz war im Jahre 1982 in Genf organisatorisch unabhängig von den deutschschweizerischen Fronten die «Union Nationale» (UN) gegründet worden als Zusammenschluss der «Union de défense économique» und der Organisation «L'Ordre politique national». Der neuen Partei schlössen sich in der Folge auch die Mitglieder der politisch wenig in Erscheinung getretenen Gruppe «Front National» an. An der Spitze der «Union Nationale» stand Georges Oltremare. Der Kriegsausbruch im September 1989 brachte Zwistigkeiten zwischen verschiedenen ihrer Mitglieder und dem Chef Oltramare und damit die Auflösung der Partei. Die anschliessend von Oltramare ins Leben gerufene Organisation «Le Groupe des Piloristes» war bereits eine Gründung der Kriegszeit. Ihre Tätigkeit dauerte nur kurze Zeit bis zur Ausreise Oltramare's nach Frankreich. -- Auch in den andern Kantonen der welschen Schweiz gab es parallele Organisationen zur «Union Nationale» in Genf (z. B.

«Union Nationale du Pays de Vaud») und Anhänger der Bewegung «Front National», wobei jedoch die einzelnen kantonalen Gruppen bis zu den Einigungsyersuchen des «Mouvement national suisse» vom Jahre 1940 mehr oder weniger unabhängig voneinander arbeiteten. -- Dem Kanton Waadt entstammte die faschistische Gruppe Fonjallaz, die vorübergehend in der ganzen Schweiz eine an Zahl allerdings unbedeutende Anhängerschaft fand. Die Gründung des «Parti fasciste suisse» fiel in die zweite Hälfte 1934. Fonjallaz hat auch mit der in den Kantonen Bern und Zürich beheimateten «Heimatwehr» zusammengearbeitet. Im Jahre 1936 bildete sich insbesondere in den Kantonen Neuenburg und Genf unter Ablehnung der Person Fonjallaz' die Organisation «Mouvement helvétique», die sich selbst in ihrem Organ «A Nous» als d'expression helvétique du fascisme» bezeichnete.

Die Rechtsextremisten im Tessin lehnten sich vor allem an den italienischen Faschismus an. Unter Führung von Nino Bezzonico, der im Jahre 1984 den berüchtigten «Marsch nach Bellinzona» organisierte, arbeiteten die Tessiner Faschisten zunächst mit Fonjallaz zusammen. In dieser Zeit fand der bekannte Besuch von Fonjallaz und Nino B,ezzonico bei Mussolini statt, der in der Schweiz allgemeines Aufsehen erregte. Im Jahre 1985
trennte sich die Gruppe Bezzonico von der Fonjallaz-Organisation. Die erstere führte in der Folge ihre antidemokratische Propaganda selbständig unter dem Namen «Partito fascista ticinese» weiter. Ihr Presseorgan trug den Titel «L'azione fascista». Die Organisation zählte in ihren besten Tagen ca. 500 Mitglieder. -- Unter der Leitung von Bobert Erismann hatte sich im Tessin ferner eine Gruppe der «Nationalen Front» gebildet. Ihre ca. 30 Mitglieder rekrutierten sich fast ausschliesslich aus im Tessin wohnenden Deutschschweizern. Erismann von der «Fronte nazionale» und Nino Bezzonico standen untereinander in Verbindung. Aus dieser Verbindung gingen u. a. auch gemeinsame Propagandaaktionen hervor.

21 Die vom Gesichtspunkt des Staatsschatzes aus interessierende Entwicklung der r e c h t s e x t r e m e n Organisationen lässt sich am besten anhand der einschlägigen behördlichen Erlasse und Massnahmen verfolgen.

Bereits die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes zum Schutze der öffentlichen Ordnung vom 8. Mai 1983 (Ordnungsgesetz) enthielt neben Angaben über Umtriebe der extremen Linken den Hinweis, «dass hüben und drüben in Anlehnung an ausländische Vorbilder eigentliche Kampf- und sogenannte Schutzorganisationen gebildet werden, dasa man das Bedürfnis zeigt, sich auch äusserlich und möglichst provokatorisch zu unterscheiden, dass die Bedrohung gegnerischer Versammlungen, gegnerischer Kundgebungen sich mehrt, dass auch die Behörden mit Androhung solchen Selbstschutzes, wie das dann genannt wird, unter Druck gesetzt werden sollen». Dieser Ausschnitt aus der Situation der ersten Hälfte des Jahres 1983 zeigt, auf welchem ersten Gebiet die Behörden sich auch mit den rechtsextremen Organisationen zu befassen hatten. Wie bei ihren politischen Gegnern auf der äussersten Linken bestand bei den Eechtsextremen die zum Teil bereits in die Tat umgesetzte Tendenz, eine Politik der Strasse einzuleiten, wie man sie seit längerer Zeit insbesondere in Deutschland augenscheinlich vordemonstriert erhalten hatte. Hier galt es, den Anfängen zu wehren, die durch Gesetz und behördliche Verfügung geschaffene Ordnung zu wahren und, wie die bundesräthche Botschaft bemerkte, «keine Zweideutigkeiten aufkommen zu lassen, dass auch der politische Kampf nur in den Formen des Eechtes mit den Waffen der Volksrechte ausgetragen werden musa und dass die Zeiten des Faustrechtes für die Schweiz ein für allemal vorbei sein sollen».

Eine neue Handhabe hiezu sollte das Ordnungsgesetz bieten. Dieses wurde jedoch nach erfolgter Annahme durch die eidgenössischen Bäte in der Volksabstimmung vom 11. März 19S4 verworfen.

Inzwischen hatte sich der Bundesrat veranlasst gesehen, den Bundesratsbeschluss über das Verbot des Tragens von Parteiuniformen Vom 12. Mai 1933 (A. S. 49, 315) zu erlassen. Durch diese Verordnung wurde bis auf weiteres den Mitgliedern politischer Vereinigungen des In- und Auslandes das Tragen von Uniformen, Uniformteilen, Armbinden und anderer auffälliger Abzeichen, welche
den Träger als Mitglied einer politischen Organisation kennzeichneten, auf dem Gebiete der Schweiz untersagt. Der Bundesratsbeschluss richtete sich in erster Linie gegen die frontistischen Gruppen, da vor allem bei ihnen dieses dem schweizerischen politischen Leben fremde, aus dem Ausland importierte Uniformieren von Mitgliedern Schule gemacht hatte.

Über die Tatsache, dass ursprünglich zum Teil Schweizer und Deutsche Mitglieder der gleichen nationalsozialistischen Organisationen waren, ist bereits berichtet worden. Die Trennung erfolgte, wie ebenfalls schon erwähnt, im Jahre 1982 u. a. auf Veranlassung der NSDAP-Parteistellen selbst. Bei diesem Zustand blieb es auch, als in den folgenden Jahren die verschiedenen neuen frontistischen Gruppen entstanden. Eine ausdrückliche diesbezügliche Verpflichtung wurde allen politischen Vereinigungen von Ausländern in der Schweiz

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in den Bichtlinien vom 26. September 1935 auferlegt. Ziff. l derselben lautete: «Politische Vereinigungen von Ausländern haben sich jeder Einmischung in schweizerische Verhältnisse zu enthalten und dürfen sich nur mit ihren eigenen Staatsangehörigen befassen.» Einem Bericht der Bundesanwaltschaft an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vom 24. Mai 1985 war zu entnehmen, dass man bis dahin nichts festgestellt hatte, wonach vom Landesleiter der NSDAP, Landesgruppe Schweiz, Gustloff, aus mit schweizerischen rechtsextremen Kreisen Fühlung genommen worden wäre. Es bestanden keine Anhaltspunkte, dass allfällige Verbindungen deutscher nationalsozialistischer Stellen mit schweizerischen Gleichgesinnten über die Laridesgruppe der NSDAP gingen. Anderseits war die gegenseitige Sympathie zwischen den deutschen Nationalsozialisten in der Schweiz und gewissen rechtsextrem, eingestellten Schweizern kein Geheimnis. Es bestanden persönliche Beziehungen, Gruppen der NSDAP benützten zum Teil auch die gleichen Sitzungslokale wie z. B.

die «Nationale Front». Ferner war bereits bekannt, dass führende Mitglieder rechtsextremer Gruppen nationalsozialistischer Prägung in Deutschland selbst Fühlung suchten oder unterhielten, wie anderseits Fonjallaz dies in Italien tat.

An der Tatsache, dass diese politische Fühlungnahme über die Grenzen speziell in Deutschland begrüsst und gefördert wurde, war dabei nicht zu zweifeln. Dafür sprach insbesondere das in den Jahren 1933 und 1934 festgestellte Bestreben deutscher Stellen, im deutschschweizerischen Grenzgebiet die regelmässige Abhaltung sogenannter Grenzlandtreffen in Gang zu bringen. Diese Grenzlandtreffen oder Grenzlandgespräche sollten der Wiederherstellung der «abgerissenen Verbindungen» zwischen den beidseitigen Grenzbewohnern und der Aussprache über die Grenzverhältnisse und den Grenzverkehr dienen. Nach den Feststellungen der schweizerischen Polizei, die diese Zusammenkünfte auf Schweizerboden überwachte und diejenigen jenseits des Bheins beobachten liess, war aber die Absicht der deutschen Stellen., auf diese Weise über die Grenze für den Nationalsozialismus zu werben, unverkennbar. Die Zahl der schweizerischen Teilnehmer aus den Grenzgegenden an diesen Versammlungen war im allgemeinen gering. Dies traf auch zu für die in der deutschen Nachbarschaft
organisierten Grossveranstaltungen (z. B.

Allemannentag), zu welchen die schweizerische Grenzbevölkerung jeweils ausdrücklich eingeladen wurde. Hingegen ist an solchen Veranstaltungen die Anwesenheit von rechtsextremen Gruppen aus Zürich etc. festgestellt worden.

Ferner nahmen in der Schweiz wohnende Deutsche daran teil.

Anlass zur Einleitung eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens gaben im Jahre 1935 die bereits seit längerer Zeit beobachteten Umtriebe der Anhänger der sogenannten Adula-Bewegung im Tessin. Am 9. August 1935 beschloss der Bundesrat die gerichtliche Verfolgung wegen Landesverrates gegen Emilio Colombi und Mitbeteiligte. Da die eidgenössischen Eäte und die Öffentlichkeit über diese Angelegenheit seinerzeit orientiert wurden, erübrigt es sich, hier auf Einzelheiten des Tatbestandes zurückzukommen. Die Untersuchung musste 1986 teils wegen Fehlens eines gesetzlichen Tatbestandes, teils mangels ge-

23 nügender Schuldbeweise eingestellt -werden. Der Fall zeigte deutlich, dass die Bestimmungen des alten Bundesstrafrechtes für einen wirksamen Schutz des Landes gegen irredentistische Umtriebe nicht genügten. Er yeranlasste den Bundesrat, noch im gleichen Jahre den eidgenössischen Bäten eine Ergänzung der einschlägigen Strafrechtsnormen zu unterbreiten. Der fragliche Erlass, das Bundesgesetz vorn 8. Oktober 1936 betreffend Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft, trat am I.Februar 1987. in Kraft (A. S. 53, 37).

Über die Situation Ende 1936 gab die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesboschlusses über den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vom 7. Dezember 1936 Aufschluss. Der erste Teil dieser Botschaft befasste sich zunächst mit den kommunistischen Umtrieben. Anschliessend folgten die nachstehenden Ausführungen : «Die öffentliche Ordnung und die Sicherheit des Staates sind aber auch durch andere Umtriebe gefährdet. Die gegenwärtige Notzeit scheint den Scharfmachern auf der äussersten Linken und Rechten zu Gewaltstreichen geeignet zu sein. Es sind .der Bundesanwaltschaft Nachrichten zugegangen, wonach in Versammlungen offen von einem gewaltsamen Umsturz gesprochen wurde.

Ohne diesen Beden allzu grosse Bedeutung schenken zu wollen, erachten wir es dennoch als notwendig, durch einen rechtzeitigen Erlass von Strafbestimmungen den Aufforderungen und der Vorbereitung zu hochverräterischen Unternehmungen vorzubeugen. » Nach einem Hinweis auf die bereits erwähnte Gründung von Selbstschutzund Angriffsverbänden, gegen die bereits kantonale Verordnungen erlassen werden mussten, fuhr die Botschaft fort: «In der heutigen Zeit grosser Spannungen zwischen extremen politischen Bewegungen erscheint es auch angezeigt, die Aufforderung zu Gewalttaten gegenüber Behördemitgliedern und pohtischen Gegnern besonders unter Strafe zu stellen. Insbesondere zur Verhütung von Zusammenstössen zwischen uniformierten politischen Vereinigungen erliess der Bundesrat am 12. Mai 1938 den Beschluss über das Verbot des Tragens von Parteiuniformen. Es erschien uns als zweckmässig, dieses Verbot, das nur als vorübergehende Massnahme gelten sollte, in den Entwurf aufzunehmen. Als eine Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erweisen sich auch die immer massloser
werdenden Angriffe antidemokratischer Kreise auf unsere demokratischen Staatseinrichtungen, wie namentlich auf das Parlament.» -Nach einlässlichen polizeilichen Erhebungen seit 1937 leitete die Bundesanwaltschaft im Februar 1938 ein Ermittlungsverfahren gegen den Bechtsextremisten Franz Burri, Inhaber einer vom Ausland finanziell abhängigen Presseagentur, ein, wegen Verdachts der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz betreffend Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft und gegen das Spitzelgesetz. Es sollte auch abgeklärt werden, ob eine völkerrechtswidrige Handlung im Sinne von Art. 41 des Bundesstrafrechtes vorlag. Das

24 Ermittlungsverfahren mussto in der Folge mangels strafbaren Tatbestandes bzw. mangels Beweisen eingestellt werden. Gestützt auf Art. 102 der Bundesverfassung verbot jedoch der Bundesrat am 14. April 1988 wegen Gefährdung der innem und äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft die Herausgabe und den Vertrieb der «IPA-Korrespondenz», der «Eidgenössischen Korrespondenz», der «Internationalen Jugend- und Hochschulnachrichten» und der «Kulturpolitischen Korrespondenz» sowie sämtlicher Ersatzblätter.

Am 1. Juli 1938 wurde der Bundesratsbeschluss über das Verbot des Tragens von Parteiuniformen durch neue Bestimmungen ergänzt (A. S. 54, 806). Die Gruppe Leonhardt, der «Volksbund», war dazu übergegangen, das Hakenkreuz als Kennzeichen zu verwenden. Die Fahne, die an Versammlungen des «Volksbundes» aufgezogen wurde, enthielt im langsehenkligen weissen Schweizerkreuz ein weisses Hakenkreuz auf rotem Grunde. Auch die Zeitung des «Volksbundes» führte das Hakenkreuz. Es war ferner mit der Übernahme ausländischer Hoheits- und Parteizeichen durch andere Erneuerungsbewegungen zu rechnen. Das Anbringen von Hoheits- und Parteiabzeichen ausländischer Herkunft im Wappen, der Fahne und den Landesfarben der Schweiz sowie die Verwendung und Nachahmung solcher Zeichen in Fahnen, Wappen, Abzeichen und Veröffentlichungen schweizerischer politischer Vereinigungen wurde daher allgemein verboten und unter Strafe gestellt.

Die internationalen Ereignisse des Jahres 1988 (Einverleibung Österreichs und der sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei in das Deutsche Eeich) hatte nicht nur ein Anwachsen des Misstrauens der schweizerischen Bevölkerung gegenüber den deutschen nationalsozialistischen Organisationen im Lande zur Folge; sie Hessen besonders im Hinblick auf die nationalsozialistischen Thesen über «Eeichsdeutsche» und «Volksdeutsche» auch die Bedeutung und Tragweite der aus Schweizern zusammengesetzten nationalsozialistischen Bewegungen in einem neuen Lichte erscheinen. Diese Bewegungen reagierten auf die im Lande entstandene Beunruhigung nicht etwa mit Zurückhaltung, sondern mit vermehrter Agitation. Bereits hatten verschiedene Kantone, denen gemäss Art, 56 der Bundesverfassung in erster Linie "die Befugnis zustand, gegen den Missbrauch der Vereinsfreiheit gesetzliche Bestimmungen zu erlassen, Massnahmen gegen diese
Umtriebe getroffen. Der Euf nach neuen eidgenössischen Massnahmen wurde jedoch immer lauter. Beschlüsse der Polizeidirektorenkonferenzen vom 22. Oktober und 4. November 1988 verlangten vom Bund dringend Massnahmen gegen die unsere staatlichen Einrichtungen gefährdende Propaganda.

Streu- und Briefkastenpropaganda-Aktionen rechtsextremer Gruppen vom Herbst 1988, die überall den Unwillen der Bevölkerung erregten, veranlassten die Bundesanwaltschaft, am 28. Oktober 1938 ein Kreisschreiben an die obersten Polizeibehörden der Kantone zu richten, wonach gestützt auf den inzwischen' erlassenen Bundesratsbeschluss vom 27. Mai 1938 (A. S. 54, 249) betreff end Massnahmen gegen staatsgefährliches Propagandamaterial künftig nicht nur Flug-

25 blätter, sondern auch Zeitungen extremer Parteien, die als Werbematerial unter der Bevölkerung verteilt wurden, streng kontrolliert und gegebenenfalls beschlagnahmt werden sollten. Die Kantone wurden ferner ersucht, die an derartigen Propaganda-Aktionen beteiligten Personen zuhanden der Bundesanwaltschaft polizeilich zu kontrollieren (Personalien, Einvernahme über Propaganda und Auftraggeber, erkennungsdienstliche Behandlung). Ein Vorgehen gegen die Eehlbaren nach kantonalem Becht blieb dabei vorbehalten.

Das Begehren nach neuen Massnahmen des Bundes gegen die Umtriebe extremer politischer Gruppen wurde auch in der Novembersession 1938 der eidgenössischen Bäte gestellt. Die Interpellationen Schneider und Huber betreffend die nationalsozialistische Propaganda sind bereits erwähnt worden.

In einem Postulat Feldmann, das sich sowohl gegen die Rechts- als auch gegen die Linksextremisten richtete, wurde der Bundesrat eingeladen, «zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, in welcher Weise die Interessen der Eidgenossenschaft im Einvernehmen mit den Kantonen wirksam geschützt werden können gegenüber allen politischen Organisationen, welche unter ausländischem Einfluss die äussere Sicherheit und die innere Ordnung des Landes gefährden».

Bei der Begründung dieses Postulates wandte sich Nationalrat Feldmann insbesondere mit scharfen Worten gegen das Treiben der rechtsextremen · Gruppen E SAP, BTE und Volksbund, deren Staatsgefährlichkeit er in drei Sichtungen begründet sah : im rückhaltlosen Kampf für die nationalsozialistischen Ideen auf Schweizerboden, in der bewussten Diskreditierung der schweizerischen Demokratie und ihrer Einrichtungen und in der gleichzeitigen aktiven Propaganda für einen fremden Staat und dessen Staatsauffassung.

Der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements wies in seinen Ausführungen zum Postulat Feldmann vom 11. November 1988 seinerseits auf die Diskrepanz hin zwischen den Satzungen und Kampfzielen der genannten rechtsextremen Gruppen, «die behaupten, von ausländischem Einfluss unabhängig und gut eidgenössisch zu sein», und den zu deren Durchsetzung angewandten Mitteln, insbesondere ihrer Presse. «Die bisherigen polizeilichen Erhebungen haben ergeben, däss die schweizerischen nationalsozialistischen Gruppen zum mindesten geistig von ihren ausländischen
Vorbildern abhängen und dass zum mindesten persönliche Verbindungen zu Deutschland bestehen.

Aus Akten, die uns gestern von der Polizeidirektion Zürich zur Verfügung gestellt wurden, geht hervor, dass eine der Brneiierungsbewegungen sehr verdächtige Beziehungen mit dem Ausland unterhalten hat. Dieser Verdacht wird durch die neuesten Erhebungen der Bundesanwaltschaft bestätigt.» Der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements gab der Erwartung Ausdruck, dass durch die am Vortage, am 10. November 1988, durchgeführte, umfassende Polizeiaktion gegen den Volksbund, den BTE und- die E S AP die von der Bevölkerung gewünschte Abklärung über die in diesen Organisationen herrschenden Verhältnisse, insbesondere auch über die Frage des Vorliegens strafrechtlicher Tatbestände bringen werde. Je nach dem Resultat dieser Polizeiaktion werde der Bundesrat die nötigen Verfügungen treffen.

26 Zur Frage der Ergänzung der einschlägigen eidgenössischen Bechtsnorrnen stellte der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements einen besonderen. Bundesratsbeschluss gestützt auf Art. 102 der Bundesverfassung in Aussicht.

Der fragliche Brlass, der Bundesratsbeschluss vom 5, Dezember 1938 betreffend Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie trat am 15. Dezember 1988 in Kraft (Demokratieschutzverordnung) (A. S. 54, 856). Er blieb wie der Grossteil der früheren Staatsschutzerlasse nicht unangefochten. Die Opposition der rechtsextremen Kreise war verständlich und sprach eher für die neuen Bestimmungen. Der Bundesratsbeschluss wurde aber auch in der sozialdemokratischen Presse angefochten, die dem Bundesrat wie schon früher die Zuständigkeit zum Erlass von Straf bestirnmungen abstritt. Eine Kritik erfolgte ferner aus Pressekreisen, insbesondere der "Westschweiz, die befürchteten, es werde ein Meinungsdelikt geschaffen und damit das Eecht der Kritik gefährdet. In Beantwortung einer diesbezüglichen Interpellation Eochat gab der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements am 2. Februar 1939 im Nationalrat die nötigen Erklärungen ab, die diese Befürchtungen der Presse beschwichtigen konnten. -- Diese Diskussion um die Demokratieschutzverordnung zeigte einmal mehr die Schwierigkeiten der Ausgestaltung des strafrechtlichen Staatsschutzes in der Eidgenossenschaft. Auf der einen Seite waren die Erfahrungen, die man mit Ordnungsgesetzen bisher gemacht hatte, eher geeignet, den Bundesrat zu einer gewissen Zurückhaltung zu veranlassen. Das sogenannte Umsturzgesetz vom Jahre 1921 war in der Volksabstimmung verworfen worden. Das gleiche Schicksal erlitt das Ordnungsgesetz von 1933. Dem Entwurf eines Bundes beschlusses über den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vom Dezember 1936 war in den eidgenössischen Bäten kein besseres Los beschieden.

Wohl hatte das Schweizervolk inzwischen das schweizerische Strafgesetzbuch angenommen, eine Tatsache von hervorragender Bedeutung auch für den strafrechtlichen Staatsschutz. Das neue Strafgesetzbuch trat aber erst am l, Januar 1942 in Kraft und verwirklichte überdies auch nur den Staatsschutz normaler Zeiten, genügte hingegen nicht für die ausserordentlichen Verhältnisse, wie sie in den
unmittelbaren Vorkriegsjahren bereits bestanden. Auf der andern Seite wurde den Bundesbehörden bereits Langsamkeit im Ergreifen von Massnahmen gegen die Extremisten vorgeworfen, Massnahmen, die ohne genügende rechtliche Grundlagen dem Bisiko von Misserfolgen ausgesetzt waren. Die Schwierigkeit lag im Problem selbst. Einerseits waren Einschränkungen der politischen Freiheiten dem demokratischen Empfinden höchst unsympathisch; anderseits drohte der Demokratie durch den Missbrauch gerade dieser Freiheiten von Seite demokratiefeindlicher Extremisten Gefahr. Mit der Demokratieschutzverordnung glaubte der Bundesrat den richtigen Weg gefunden zu haben. Sie sollte gelten «bis zum Inkrafttreten eines entsprechenden Erlasses der Bundesversammlung»,

27 Die Sichtung des Materials aus der am 10. November 1988 gegen den ETE, den Volksbund und die E S AP durchgeführten Polizeiaktion hatte inzwischen folgendes Resultat gezeitigt: Der «Bund treuer Eidgenossen» mitDr. Zander als Obmann war am stärksten belastet. Es konnte festgestellt werden, dass nahezu alle leitenden Personen des BTE und eine grosse Zahl seiner Mitglieder an einem geheimen Nachrichtendienst mitgewirkt hatten, der angeblich der eigenen Organisation dienen sollte, in "Wirklichkeit aber vor allem im Interesse deutscher nationalsozialistischer Parteistellen betrieben wurde. Es handelte sich im wesentlichen um einen politischen Nachrichtendienst, indem die politische Einstellung und Tätigkeit von Einzelpersonen (Emigranten, Juden, Freimaurer usw.) sowie von Behörden, Unternehmungen und Parteiorganisationen bespitzelt wurden. Es erfolgte auch eine Überwachung ausländischer Konsulate in der Schweiz. Andere Aufträge betrafen Ausländer, von denen angenommen wurde, dass sie im Dienste ausländischer nichtdeutscher Spionageorganisationen stünden. Das frühere Mitglied der Nationalen Front, J. E. Frei, der seihst nicht dem BTE angehörte, aber zusammen mit seinem Freund Dr. Zander der Initiant des Spitzeldienstes des BTE war, hatte sich auch des militärischen Nachrichtendienstes schuldig gemacht, indem er den zwar nicht ausgeführten Auftrag erteilte, die Nachrichtensektion des schweizerischen Generalstabes zu beobachten. Dieser ganze sogenannte «Aussendienst» des BTE arbeitete mit Decknamen, Numerierung von Aufträgen und Agenten, verschiedenen Postfächern und Geheimtinte, trug also die typischen Merkmale eines verbotenen Nachrichtendienstes.

Es war sogar die Errichtung eines Schwarzsenders beabsichtigt gewesen, ein Plan, der allerdings nicht verwirklicht werden konnte. Das Archiv des Dienstes hatte Frei bereits im Mai 1938 nach Deutschland verbracht, wo er sich selbst meistens aufhielt. Benno Schäppi, ein Mitglied des BTE, hatte ferner noch im Januar 1939 als Korrespondent deutscher Zeitungen Presseartikel mit unwahren Behauptungen nach Deutschland gesandt, die den Tatbestand von Art. 2 der Demokratieschutzverordnung erfüllten. -- Die Öffentlichkeit ist seinerzeit durch die Presse über das diese Spitzeltätigkeit des BTE bereffende Bundesstrafverfahren eingehend orientiert worden. Das Gerichtsverfahren
endigte am 14. Juli 1939 mit der Verurteilung von acht Angeklagten, wobei in Anwendung des Spitzelgesetzes und (im Falle Schäppi) der Demokratieschutzverordnung Freiheitsstrafen von einem Monat Gefängnis bis zu zwei Jahren Zuchthaus ausgesprochen wurden. Unmittelbar nach der Polizeiaktion vom 10. November 1938 war bereits das Organ des BTE, der «Schweizerdegen», vom Bundesrat verboten worden.

Die polizeilichen Erhebungen betreffend den Volksbund hatten ebenfalls zur Aufdeckung strafbarer Tatbestände geführt. Verschiedene prominente Mitglieder dieser Organisation hatten einen politischen Nachrichtendienst für Deutschland betrieben, indem sie über Organisationen, Firmen und Personen Angaben übermittelten. Auch über diesen Fall ist die Öffentlichkeit bereits 1989 orientiert worden. Mit Urteil vom 20. November 1939 verurteilte das

28 BundesBtrafgericht fünf Angeklagte (drei Volksbundmitglieder schweizerischer Nationalität und zwei deutsche Staatsangehörige) gestützt auf das Spitzelgesetz zu Freiheitsstrafen von sechs Wochen bis zu einem Jahr Gefängnis.

Die Untersuchung gegen Leonhardt selbst musste auf Grund des damals vorliegenden Materials eingestellt werden. Die Demokratieschutzverordnung war erst am 15. Dezember 1.938 in Kraft getreten, und den Tatbestand von Art. 37bls des Bundesstrafrechts hielt der eidgenössische Untersuchungsrichter für nicht erfüllt. Durch Beschluss des Bundesrates war nach der Polizeiaktion vom 10. November 1938 auch die Zeitung des Volksbundes, «Der Angriff», verboten worden.

Keine strafbaren Handlangen hatten die gegen die Leiter der Eidgenössischen Sozialen Arbeiter-Partei durchgeführten Erhebungen ergeben. Das diesbezügliche Ermittlungsverfahren wurde daher am 8. Januar 1939 eingestellt unter Vorbehalt administrativer Massnahmen. Als eine solche Massnahrne ist das Verbot des Presseorganes der E SAP, «Schweizervolk», erlassen worden.

Als letzte wichtige Vorkommnisse in der Entwicklung der rechtsextremen Gruppen vor Kriegsbeginn wurden einleitend bereits die Auflösung des "Volksbundes und die Gründung der « Schweizerischen Gesellschaft der Freunde einer autoritären Demokratie» (SGAD) im Jahre 1938 erwähnt. -- Die Auflösung des Volksbundes erfolgte am 10. Dezember 1938 durch Leonhardt selbst. Wie aus Materialien, die später beigeschafft werden konnten, hervorgeht, war es der Erlass der Demokratieschutzverordnung, der den Führer des Volksbundes zu diesem Schritt veranlasste. Leonhardt rechnete damit, dass der Volksbund gestützt auf die neuen Bestimmungen verboten werde. -- Die schweizerische Gesellschaft der Freunde einer autoritären Demokratie (SGAD) wurde am 12. Dezember 1938 von 14 ehemaligen Volksbündlern ins Leben gerufen. Zu den Gründern gehörte auch Leonhardt selbst. Er übernahm zwar zunächst gegen aussen kein besonderes Amt in der neuen Organisation, trat später sogar ausdrücklich aus der SGAD aus und begab sich nach seiner Haftentlassung 1989 nach Deutschland. Wie spätere Untersuchungen ergaben, hatte Leonhardt jedoch von Anfang an auch die Führung der SGAD inné, die sich in der Folge als eigentliche getarnte Ersatzorganisation des Volksbundes entpuppte.

29 Kriegsjahre.

A. Die deutschen nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz.

1939--1942.

Es ist bei der Darstellung der Situation vom Jahre 1986 darauf hingewiesen worden, dass die deutschen Nationalsozialisten in der Schweiz versuchten, das ganze deutsche Vereinsleben unter ihre Botmässigkeit zu bringen.

Bei der vorhandenen Verquickung von Staats- und Parteistellen in Deutschland und der dementsprechenden persönlichen Ausrüstung der deutschen diplomatischen und konsularischen Auslandsvertretungen auch in unserem Lande waren alle Voraussetzungen erfüllt, um diese Versuche erfolgreich zu gestalten.

Als im September 1989 der zweite Weltkrieg ausbrach, war daher dieser Prozess der Gleichschaltung der deutschen Vereine in der Schweiz im wesentlichen bereits abgeschlossen, Wohl gab es noch sehr viele Deutsche, die keiner Organisation angehörten. Alle vorhandenen deutschen Organisationen von Bedeutung waren aber nationalsozialistisch geleitet, mit Ausnahme einiger Gruppen des deutschen Hilfsvereins, die sich noch eine gewisse Bewegungsfreiheit wahren konnten.

Über die verschiedenen deutschen nationalsozialistischen Organisationen, die in der Schweiz während des Krieges existierten, ist die Öffentlichkeit bereits in den vergangenen Jahren und im Zusammenhang mit der Säuberung des Jahres 1945 weitgehend orientiert worden. Der Vollständigkeit halber seien immerhin nachstehend die Hauptorganisationen nochmals kurz skizziert.

Die eigentliche Trägerin des nationalsozialistischen Gedankengutes war die «Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Landesg r u p p e Schweiz» (NSDAP), mit ihren verschiedenen Ortsgruppen, Die Erwerbung der Mitgliedschaft der NSDAP ist an erschwerte Bedingungen geknüpft gewesen. Mitglied konnte nur derjenige Beichsdeutsche werden, der sich durch seine Treue zur nationalsozialistischen Idee sowie durch Opfer und Einsatzbereitschaft für die Ziele der Partei auszeichnete. Vor der Aufnahme in die NSDAP hatte sich der Kandidat als «Parteianwärter» oder als «Opferring-Mitglied» während längerer Zeit zu bewähren. Wenn sein Aufnahmegesuch nach Ablauf dieser Bewährungsfrist vom Ortsgruppenleiter befürwortet wurde, gelangte es über die Landesleitung zum Entscheid an die NSDAPAuslandsorganisation in Berlin. Das neue Mitglied erhielt zunächst eine Mitgliederkarte und später,
wenn es sich weiter bewährt hatte, das Mitghederbuch.

Im November 1989 ist von der NSDAP bekanntgegeben worden, dass keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen würden. Diese Sperre dauerte einige Monate. Auch später, als wieder neue Eintritte in die Partei möglich waren, blieb es jedoch bei der strengen Auslese. Das Organisationsbuch der NSDAP 1943 enthielt darüber u. a. folgendes:

30

«Bei der Aufnahme von Volksgenossen in die NSDAP muss Leitsatz aller mit der Aufnahme befassten Dienststellen der Partei sein, dass der Führer in der Partei eine verschworene Gemeinschaft politischen Kämpfertums gestaltet wissen will. In die NSDAP sollen nach dem. Ausspruch des Führers nur die besten Nationalsozialisten als Mitglieder aufgenommen werden. Die Hoheitsträger haben daher nur solche Volksgenossen, die bereit und willens sind, für den Führer und seine Bewegung zu arbeiten und zu kämpfen, in Vorschlag zu bringen... » -- Der «Opferring» setzte sich hauptsächlich aus Kreisen gut situierter Deutscher zusammen, die aus irgendwelchen Gründen, z. B. wegen ihrer geschäftlichen oder gesellschaftlichen Stellung nicht direkt der NSDAP beitreten, sie aber trotzdem unterstützen wollten. Die Opferringmitglieder hatten je nach ihrer finanziellen Lage das Mehrfache der gewöhnlichen Mitgliederbeiträge zu zahlen.

«Die körperliche, geistige und sittliche Erziehung der deutschen Jugend im Geiste des Nationalsozialismus» war die Aufgabe der vier Gliederungen der «Eeichsdeuts.chen Jugend» (EDJ). Knaben von 10--14 Jahren traten als «Pimpfe» in das «Deutsche Jungvolk», solche von 14--18 Jahren in die «Hitler-Jugend» (HJ) ein. Die entsprechenden Organisationen für die Mädchen waren die Gruppe der « Jung-Mädel» und der «Bund Deutscher Mädel» (BDM).

Der deutsche Nationalsozialismus hat der Gewinnung und Schulung der Jugend immer grosse Bedeutung beigemessen. Nach dem Grundsatz «wer die Jugend hat, hat die Zukunft» arbeiteten auch die Leiter der deutschen Organisationen in der Schweiz. Da die Kinder der Deutschen in der Schweiz in einer Umgebung aufwuchsen, die den Nationalsozialismus ablehnte, wurde an den Versammlungen der deutschen Organisationen darauf hingewiesen, dass es Pflicht der deutschen Eltern sei, ihre Kinder in. die Reichsdeutsche Jugend zu schicken.

Deren Betrieb war sehr rege. Neben den periodischen Zusammenkünften der einzelnen «Standorte» und «Scharen» fanden häufig grössere Veranstaltungen hauptsächlich mit sportlichein Charakter statt (Eeichssportwettkämpfe und Landesjugendmeisterschaften). Zahlenmässig starke Gruppen aus der Schweiz nahmen ferner auch an Jugendlagern teil, die speziell für die auslanddeutsche Jugend auf deutschem Gebiet organisiert wurden. Eine der Hauptaufgaben der
Reichsdeutschen Jugend war es schliesslich, den «Führernachwuchs» für die nationalsozialistischen Organisationen heranzubilden.

«Die deutsche Arbeitsfront ist die Organisation der schaffenden Deutschen der Stirn und der Faust», laiitete der erste Satz der Verordnung Hitlers vom 24. Oktober 1934, die die Aufgaben für dieses weitere Parteigebilde festlegte.

Mitglied der «Deutschen A r b e i t s f r o n t » (DAF) konnte jeder Deutsche werden, der im Erwerbsleben stand. Es handelte sich hier nach der Deutschen Kolonie um die zahlenmässig grösste deutsche Organisation in unserem Lande, In ihrem Rahmen wurden in der Schweiz vor allem Kurse für die berufliche Ausbildung (Stenographiekurse, Sprachkurse etc.) und Berufswettkämpfe organisiert. Daneben hatten die Mitglieder aber auch monatliche Pflichtversammlungen zu besuchen, die der Behandlung weltanschaulicher Probleme, mit andern Worten der politischen Schulung dienten. Die DAF war auch die

31 Trägerin der nationalsozialistischen Gemeinschaft «Kraft durch Freude», die bei uns insbesondere durch die Abhaltung gesellschaftlicher Grossveranstaltungen in Erscheinung trat.

Die deutschen Frauen waren in der «Auslandsdeutschen Frauens c h a f t » (Nationalsozialistische Frauenschaft) zusarnmengefasst. Diese organisierte in den verschiedenen örtlichen Fràuenschaften Kurse über alle hausfraulichen Gebiete, über Kinder- und Krankenpflege, Heimgestaltung und Kindererziehung. In zahlenmassig starken Fràuenschaften wurde in Untergruppen gearbeitet. Es gab Fürsorgegruppen, Handarbeitsgruppen, Kulturgruppen etc. Die Handarbeitsgruppen befassten sich insbesondere mit der Herstellung von Arbeiten für das deutsche Winterhilfswerk und für die deutschen Soldaten an der Front. Die Fràuenschaften waren ferner bei den für Deutschland bestimmten Woll-, Strick- und Kleidersammlungen tätig. An einigen Orten bestanden auch spezielle deutsche Mütterberatungsstellen. Aus der Erfahrung heraus, dass die Frau in ihrer Umgebung einen nicht zu unterschätzenden weltanschaulichen Binfluss auszuüben Yennag, ist auch an den Frauenschaftsabenden und -kursen der politischen Schulung grosse Aufmerksamkeit geschenkt worden. An den .monatlichen Pflichtabenden wurde genaue Kontrolle über das Erscheinen geführt. Wie Beobachtungen zeigten, gehörten denn auch Mitglieder der Auslandsdeutschen Frauenschaft zu den überzeugtesten und fanatischsten Anhängerinnen Hitlers und des Nationalsozialismus.

Die nationalsozialistischen « S p o r t g r u p p e n » sind aus dem frühem deutschen Turn- und Sportverein hervorgegangen. Über ihr Verhältnis zur SA in Deutschland, mit der sie oft verglichen wurden, ist in den Ausführungen über die Vorkriegsjahre berichtet worden. An der gleichen Stelle haben auch die verschiedenen Tätigkeitsgebiete dieser Sportgruppen Erwähnung gefunden.

Während des Krieges musate den nationalsozialistischen Sportgruppen von Seiten der schweizerischen Polizeiorgane eine spezielle Aufmerksamkeit geschenkt werden. Man hatte es bei ihren Mitgliedern mit sowohl wehrsportlich als auch politisch gut ausgebildeten, überzeugten und zum Teil fanatischen Nationalsozialisten zu tun. An sie war in erster Linie zu denken, wenn Massnahmen gegen eine allfällige deutsche Fünfte Kolonne zu treffen waren. Davon wird noch die Rede sein.
Die «Reichsdeutschen Gemeinschaften», die in allen grössern Orten und Städten .unseres Landes bestanden, waren in der «Deutschen Kolonie in der Schweiz» zusammengefasst. Nach nationalsozialistischer Auffassung hätten dieser grössten deutschen Organisation überhaupt alle in unserem Lande wohnenden Deutschen angehören sollen. «Alle volljährigen deutschen Staatsangehörigen sind aufgerufen, der Deutschen Kolonie beizutreten. Wer dies unterlässt, stellt sich ausserhalb der deutschen Volksgemeinschaft. Jeder Volksgenosse und jede Volksgenossin ist verpflichtet, Eeichsdeutsche, die noch nicht Mitglied sind, auf die Gemeinschaft der Deutschen Kolonie aufmerksam zu machen und sie zum Beitritt aufzufordern», stand im Jahrbuch 1941/42 der reichsdeutschen Gemeinschaft Zürich geschrieben. Der Deutschen Kolonie gehörten daher alle Parteigenossen und alle Angehörigen der bereits genannten

32 NSDAP-Nebenorganisationen an. Dazu kamen alle diejenigen, die sich aus irgendwelchen Gründen an diesen aktiveren Gebilden nicht zu beteiligen wünschten, die es mit den Nationalsozialisten aber trotzdem nicht verderben wollten.

Die Deutsche Kolonie wurde schliesslich, weil hier die Mitgliedschaft nicht mit grossen Pflichten verbunden war, auch das Sammelbecken aller Reichsangehörigen, die von den deutschen Stellen unter Druck gesetzt und gezwungen wurden, irgendwo mitzumachen. Die Deutsche Kolonie stellte vor allem den Grossteil der Teilnehmer für die nationalsozialistischen Grossveranstaltungen.

Neben den genannten Hauptorganisationen gab es in unserem Lande schliesslich noch eine ganze Anzahl anderer deutscher Vereine und Verbände, deren. Tätigkeit entweder seit den Anfängen ihres Bestehens oder doch im Laufe der Vorkriegsjahre nach den nationalsozialistischen Zielen ausgerichtet worden war: die Reichsdeutschenhilfe, der Deutsche Hilfsverein (mit der früher gemachten Einschränkung), der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der Deutsche Ruderverein, der Deutsche Reichsverein, der Deutsche Männergesangsverein Zürich.

Eine Aufzählung der verschiedenen Gebilde der K SD AP und der angeschlossenen Verbände verschafft nun jedoch ein bloss unvollständiges Bild über die nationalsozialistische Gesamtorganisation in unserem Lande. Das Bild ist zu ergänzen durch einen Hinweis über den A u f b a u der nationalsozialistischen Parteihierarchie, ein Aufbau, der es der NSDAP ermöglichte, ihre Unter- und Nebenorganisationen bis in die kleinsten Gruppen hinein zu kontrollieren und zu leiten: An der Spitze der nationalsozialistischen Gesamtorganisation in der Schweiz stand seit dem Jahre 1937 ein Beamter der deutschen Gesandtschaft in Bern. Dieser Posten des Landesgruppenleiters der NSDAP, der gleichzeitig Leiter der Deutschen Kolonie in der Schweiz war, ist bis zum Frühjahr 1943 von Freiherr von Bibra versehen worden. Sein Nachfolger war Parteigenosse Wilhelm F. Stengel. Die Deutsche Arbeitsfront besass eine eigene «Landesgruppenwaltung» in Zürich. Desgleichen gab es einen speziellen Landesjugendführer und Landessportgruppenführer. Diese Spitzen der Deutschen Arbeitsfront, der Reichsdeutschen Jugend und der nationalsozialistischen Sportgruppen waren dem Landesgruppenleiter der NSDAP unterstellt. Die zweite
Stelle der Hierarchie nahmen die «Hoheitsträger der Partei» in den verschiedenen Ortsgruppen, die Ortsgruppenleiter, ein. Die örtlichen Leiter der Deutschen Arbeitsfront, der Reichsdeutschen Jugend, der Auslandsdeutschen Frauenschaft und der Sportgruppen sind diesem Parteiortsgruppenleiter wiederum direkt verantwortlich gewesen. Das Gebiet der Ortsgruppen war schliesslich noch in «Zellen», teilweise auch noch in «Blocks» unterteilt.

Die Zellenleiter und Zellenleiterinnen bzw. Blockwalter und Blockhelferinnen hatten die Mitglieder der nationalsozialistischen Organisationen in ihrem Gebiet zu betreuen und das Einziehen der Beiträge zu besorgen. Es oblag ihnen ferner, auch bei andern deutschen Reichsangehörigen ihres Bezirkes, die noch nicht Mitglied einer Organisation waren, für den Beitritt zu werben. Durch die diesem Zwecke dienenden Besuche wurde es den deutschen Organisationen gleich-

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zeitig möglich, über die Einstellung mehr oder weniger aller Beichsdeutschen unseres Landes gegenüber dem Nationalsozialismus orientiert zu werden.

Bei Kriegsausbruch im September 1989 gehörte noch ein verhältnismässig kleiner Prozentsatz der in der Schweiz lebenden Eeichsangehörigen den nationalsozialistischen Organisationen an. Trotz der fortwährenden Werbung waren diese Organisationen in der Vorkriegszeit zwar ständig, aber nur langsam gewachsen. Dies änderte sich in den ersten Kriegsmonaten auffallend. Die Mitgliederbestände der Deutschen Kolonie, aber auch diejenigen der übrigen NSDAP-Nebenorganisationen, schnellten nach den Erfolgen der Deutschen Wehrmacht im Jahre 1939 und besonders 1940 sprunghaft empor. Dieses Anwachsen dauerte, wenn auch später wieder langsamer, bis Ende 1942 ununterbrochen an.

Die Hauptursache dieser Entwicklung ist bereits angedeutet worden.

Der militärische Endsieg des Dritten Reiches erschien damals greifbar nahe.

Die Deutsche Wehrmacht schritt von Erfolg zu Erfolg. Eür viele Deutsche im Ausland, und zwar auch für solche, die vielleicht vorher dem Nationalsozialismus noch skeptisch gegenüber gestanden waren, wurde es damit zur Selbstverständlichkeit, sich den mit dem siegreichen Eegime verbundenen Auslandsorganisationen anzuschliessen. Die einen haben diesen Schritt vielleicht aus nationaler Begeisterung heraus getan, wohl weil sie glaubten, in den vom Beich einzig anerkannten nationalsozialistischen Auslandsorganisationen dem Vaterland am besten dienen zu können. Auf der andern Seite können aber auch keine Zweifel darüber bestehen, dass bei sehr vielen dieser freiwilligen Beitritte andere, bedeutend weniger «idealo» Überlegungen eine grosse Eolle spielten. Man wollte den rechtzeitigen Anschluss nicht verpassen. Man konnte ja nicht wissen, ob nicht auch die Schweiz von der Wehrmacht besetzt werde. Es sind Feststellungen gemacht worden, wonach viele Deutsche in der Schweiz bestimmt mit dieser Entwicklung rechneten. Andere betrachteten es zum mindesten als sicher, dass auch unser Land so oder so gezwungen werde, einen der deutschen Regierung genehmen nationalsozialistischen Kurs einzuschlagen. -- Die führenden Nationalsozialisten im Lande begnügten sich ihrerseits nicht damit, die Auswirkung der ihnen günstigen Situation passiv abzuwarten. Durch Werbung von Mann zu Mann und durch gross aufgezogene Propagandaveranstaltungen wurde vielmehr alles unternommen, um den deutschen Organisationen immer mehr Mitglieder
zuzuführen. Die geschilderte Untergliederung der ganzen nationalsozialistischen Organisation ermöglichte es ihnen, in den Ortsgruppen, Zellen und Blocks sozusagen den hintersten deutschen Eeichsangehörigen bearbeiten zu lassen. Wo die Werbung zum Beitritt keinen Erfolg hatte, wurde mit Druck versucht, das gleiche zu erreichen. Insbesondere wurde den Zögernden klar gemacht^ dass, wer sich nicht jetzt zu «Führer und Beich» bekenne, später nach der Erringung des Endsieges nicht mehr als vollwertiger Deiitscher angesehen werde, da er an der grössten nationalen Anstrengung nicht mitgewirkt habe. Von der Tatsache, dass bei der so geBundesblatt. 98. Jahrg. Bd. I.

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arteten «Werbung» auch die deutschen Konsulate mitwirkten, wird noch gesprochen werden.

Über die Tätigkeit der deutschen Organisationen ist bereits kurz berichtet worden. In den Jahren 1939--1942 erfuhr auch sie in zweifacher Hinsicht eine Steigerung. Die Zahl der Zusammenkünfte und Veranstaltungen innerhalb der Organisationen nahm stark zu. Das Anwachsen der Mitgliederbestände ermöglichte es den Organisationen ferner, die Hauptanlässe in einem -immer grössem Eahmen durchzuführen. Bemerkenswert war dabei die häufige Beiziehung von sogenannten Eeichsrednern. In der Periode von 1939--1942 hatten diese vor allem die Aufgabe, die Erfolge der Deutschen Wehrmacht und damit des deutschen Nationalsozialismus aus der praktischen Erfahrung heraus (Ritterkreuzträger !) zu schildern und zu unterstreichen. Diese Veranstaltungen mit Eeichsrednern wurden damit gleichzeitig zu einem wirksamen Werbemittel. Es handelte sich bei den fraglichen Anlässen in erster Linie um die zahlreichen offiziellen deutschen Eeiertage: Tag der Machtergreifung, Heldengedenktag, Geburtstag des Führers, Tag der nationalen Arbeit, Erntedankfest, Feier des 9, November.

Inwiefern ist im Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Organisationen von «Umtrieben» im Sinne der Motion Boerlin zu sprechen ? Die Frage erscheint überflüssig, wenn man bedenkt, dass die ganze Grundlage dieser Organisationen eine antidemokratische war, der Ausdruck «antidemokratische Umtriebe» also, politisch gesehen, gegenüber ihrer ganzen Tätigkeit verwendet werden kann. Aus dieser Überlegung heraus ist denn auch die gesamte Entwicklung der nationalsozialistischen Organisierung in unserem Lande, bis in die Kriegszeit hinein, hier bereits zur Darstellung gekommen. Trotzdem ist die Frage nicht ohne Bedeutung. Es ist nämlich anderseits nicht zu vergessen, dass diese Tätigkeit der deutschen Organisationen an und für sich nicht illegal war, solange sie sich im Eahmen bewegte, der ihr durch die einschlägigen eidgenössischen und kantonalen Vorschriften gesetzt war, Vorschriften, die vor allem bezweckten, die ganze nationalsozialistische Betriebsamkeit auf den Kreis der deutschen Organisationen zu beschränken und ein Übergreifen in das schweizerische politische Leben zu verhindern. Diese Eegelung galt, wie aus den Ausführungen über die Jahre 1932--1939 hervorging,
schon in der Vorkriegszeit. Daran ist grundsätzlich auch während des Krieges nichts geändert worden. Die Vorkriegsvorschriften wurden einzig durch neue Bestimmungen, die sich aus den Kriegsverhältnissen ergaben, ergänzt. Polizeilich betrachtet, hat daher der Begriff Umtriebe eine etwas andere, engere Bedeutung. Von diesem Gesichtspunkt ist dort von Umtrieben zu sprechen, wo die deutschen Organisationen die schweizerischen Vorschriften verletzten, oder wo es zum mindesten ständiger Bemühungen der schweizerischen Behörden bedurfte, sie in den festgelegten Schranken zu halten, ferner dort, wo deutsche Staatsangehörige sich strafbare Handlungen gegen unsern Staat und gegen die schweizerische Landesverteidigung "zuschulden kommen Hessen, und dort, wo

35 bestimmte Erscheinungen auf die Gefahr der Vorbereitung einer deutschen Fünften Kolonne hinwiesen. Unter den Titel «antidemokratische Umtriebe» gehört schliesslich auch ein weiteres Tätigkeitsgebiet der Deutschen in der Schweiz, auf dem allerdings weniger die nationalsozialistischen Organisationen, sondern vor allem die Deutsche Gesandtschaft und die Konsulate sowie spezielle deutsche Agenten arbeiteten, das Gebiet der deutschen Propaganda und der politischen Verbindungen, die zu schweizerischen rechtsextremen Gruppen unterhalten wurden. Über diese Umtriebe im polizeilichen Sinne geben die nachfolgenden Abschnitte Aufschluss. Eine wichtige Ergänzung enthält das Kapitel über die gegen die Schweiz gerichtete Spionage-, Spitzel- und Sabotagetätigkeit.

* * Auf die Tatsache, dass die Handhabung der Bichtlinien für politische Vereinigungen von Ausländern in der Schweiz vom 26. September 1985 gegenüber den deutschen nationalsozialistischen Organisationen bereits in den unmittelbaren Vorkriegsjahren die ständige Aufmerksamkeit der Polizeiorgane verlangte, die immer wieder Versuche, den festgelegten Eahmen zu überschreiten, abstellen mussten, ist schon an anderer Stelle hingewiesen worden. In den ersten Kriegsjahren wurden die Schwierigkeiten, die man in dieser Hinsicht mit den deutschen Organisationen hatte, eher noch grösser. Angesichts der militärischen Erfolge des nationalsozialistischen Deutschlands fühlten sich einzelne Leiter der deutschen Organisationen bereits als die kommenden Herren ganz Europas, Ihr Auftreten auch in unserem Lande war dementsprechend zum Teil -- milde gesagt -- alles andere als bescheiden.

An neuen Erlassen aus der ersten Kriegszeit sind in diesem Zusammenhang, da sie für die deutschen Organisationen Bedeutung hatten, der Bundesratsbeschluss vom 26, April 1940 betreffend ausländische Fahnen, Flaggen und andere Hoheitszeichen (A. S. 56, 405) und der Bundesratsbeschluss vom 9, Juli 1940 über die Kontrolle der politischen Versammlungen (A. S. 56,1171) zu erwähnen. Die im letztgenannten Erlass vorgeschriebene Anmeldepflicht für politische Versammlungen ist auch auf die Ausländer als anwendbar erklärt worden. Die zum Teil weitergehenden Bestimmungen der Richtlinien von 1935 blieben dabei selbstverständlich in Kraft.

In der Praxis der Handhabung dieser Eichtiinien und der andern
in Betracht fallenden Vorschriften war man nach gewissen Erfahrungen dazu übergegangen, dass die einzelnen Veranstaltungen der deutschen Organisationen, obschon es sich von vorneherein nur um geschlossene Veranstaltungen handeln konnte, von Fall zu Fall von der Bundesanwaltschaft oder von den kantonalen und kommunalen Polizeikommandos mit Vertretern der deutschen Gesandtschaft, der Konsulate oder der betreffenden Organisationen selbst vor der Durchführung besprochen wurden. Auf diese Weise wurde jeweils festgelegt, wie die einzelnen Anlässe ausgestaltet werden durften (Kleidung, «Fahnenwachen», zulässige Übungen der Sportgruppen usw.). In der Begel konnten so unliebsame Zwischenfälle vermieden werden. Immer gab es aber auch wieder Veranstaltungen ausserhalb geschlossener Räume, die nicht vorbesprochen oder

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sogar überhaupt nicht angemeldet worden waren und die dann von den Deutschen öfters so durchgeführt wurden, dass es zu berechtigten Protesten aus der Schweizerbevölkerung kam. Auch hinsichtlich der einzelnen Veranstaltungen musate immer wieder festgestellt werden^ dass deutscherseits versucht wurde, den einmal festgelegten Kahmen auszuweiten. Es kann sich hier nicht darum handeln, alle diesbezüglichen Vorfälle zu schildern. Nachstehend folgen einige Beispiele : Eine Bewilligung für die Durchführung eines O s t e r l a g e r s d e r Beichsd eu t s ehe n Jugend auf Gut Goldenberg in Feldbach-Hombrechtikon war nicht eingeholt worden. Dem Gutspächter gegenüber wurde von seiten der Deutschen erklärt, es handle sich um eine Einquartierung von Pfadfindern.

Die Bevölkerung der Umge'bung empörte sich in der Folge darüber, dass die Knaben deutsche. Kampflieder (z, B. «Wir fahren gegen Engeland») sangen, in Marschkolonne marschierten, in Achtungstellung meldeten usw. Als im Laufe des Sonntags eine «Geländeübung» mit militärischem Charakter in Gang gesetzt wurde, griff die kantonale Polizei ein. Verantwortlich für die Durchführung dieses Lagers war Otto Hilzbrich, Staiidortführef der Hitlerjugend Zürich. Auf Veranlassung des eidgenössischen Justiz- und Pohzeidepartementes, dem von der Bundesanwaltschaft ausser diesem Vorfall bald weitere Beschwer 'den über ungebührliches Auftreten des Hilzbrich gemeldet werden konnten, wurde diesem im Juli 1942 zunächst die Führung der deutschen Jugend in Zürich entzogen. Die Polizeidirektion Zürich erstellte in der Folge noch einen ausführlichen Bericht über das zu beanstandende Verhalten des Hilzbrich. Nach längerer Behandlung der Angelegenheit auf diplomatischem Wege wurde Hilzbrich im Februar 1943 nach Berlin zurückberufen.

Gegen die Durchführung eines Sportfestes der reichsdeutschen und der italienischen Jugend in der Schweiz war an sich nichts einzuwenden, nachdem über die Art und Weise der Ausschmückung des Sportplatzes und über den Charakter des Festes als geschlossene Veranstaltung für Deutsche und Italiener eine Regelung getroffen worden war. Zu beanstanden waren in der Folge jedoch die aufdringliche-Aufmachung der Werbung mit Zeitungsinseraten und Plakaten und der Aufmarsch der Fahnengruppen im Stadion Förrlibuck.

Diese Erscheinungen und die ganze propagandistische
Wirkung des Sportfestes als Ganzes Hessen eine Wiederholung derartiger Veranstaltungen als unerwünscht erscheinen. Iri der Folge hat denn auch kein solches Sportfest mehr stattgefunden. Leiter und Organisator des Sportfestes vom Juli 1942 war Gustav Moritz, Landessportgruppenleiter und Angestellter der deutsehen Handelskammer in Zürich. Dieser wurde im September 1942 in eine militärgerichtliche S traf Untersuchung wegen Verletzung militärischer Geheimnisse und verbotenen Nachrichtendienstes einbezogen und verhaftet. Er ist in der Folge vom Territorialgericht 3 A u. a. zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt und anschliessend gegen in Deutschland verhaftete schweizerische Staatsangehörige-ausgetauscht worden.

Die Aufmachung, die das « E r n t e d a n k f e s t » der Deutschen Kolonie vom 4. Oktober 1942 im Hallenstadion Oerlikon gefunden hat, ist der schweizerischen Öffentlichkeit bekannt. Im Zusammenhang damit sah sich das eidgenössische

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Justiz- und Polizeidepartement veranlagst, im Einverständnis mit dem Bundesrat ein Kreisschreiben folgenden Inhalts an die kantonalenRegierungen zu richten: «Die Entwicklung der innen- und aussenpohtischen Lage der Schweiz veranlasst uns, Sie zu ersuchen, ausländischen Organisationen in Zukunft keine Bewilligungen für Grossveranstaltungen irgendwelcher Art zu erteilen. Diese sind in der heutigen Lage geeignet, die Neutralitätspolitik des Bundesrates zu erschweren und die Aufrechterhaltung von Buhe und Ordnung zu stören. Wenn Zweifel über Charakter und Ausmass einer solchen Veranstaltung bestehen sollten, bitten wir Sie, sich an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement zu wenden.» Über «Umtriebe» im Sinne von Übergriffen Hessen sich weitere Fälle aus allen Landesteilen auch in bezug auf einzelne Funktionäre deutscher Organisationen anführen. Ein solcher Fall war die vom nunmehr ausgewiesenenParteifunktionär Osthoff betriebene ArbeitsvermittlungnachDeutschland, wobei festgestellt worden ist, dass im Zusammenhang mit dieser Werbetätigkeit verschiedene Schweizer die Grenze illegal überschritten und dass später eine ganze Anzahl von ihnen in Deutschland der Waffen-SS zugeführt wurde. Als Beispiele seien ferner die anmassende Kontrolle der Arbeitsund Lebensbedingungen deutscher Hausangestellter selbst bei schweizerischen Arbeitsgebern durch Beauftragte der deutschen Arbeitsfront und der auf deutsche Staatsangehörige ausgeübte Druck zum Beitritt in eine Organisation erwähnt. Was diesen letzten Punkt anbelangt, konnte zwar aus Gründen der Neutralität Deutschland ein berechtigtes Interesse, wie andere kriegführende Länder seine Staatsangehörigen zum letzten Einsatz für die Heimat anzuspornen und anzuspannen und z. B. gegen Befraktäre Sanktionen zu ergreifen, nicht einfach abgesprochen werden. Dass die deutschen Stellen dabei aber bedeutend weiter gingen als diejenigen anderer Staaten, war nicht zu verkennen. Von deutscher Seite wurde vor allem der Umstand ausgenützt, dass Funktionäre der örtlichen deutschen Organisationen oft gleichzeitig auch Konsulatsstellen innehatten und dadurch in amtlicher Eigenschaft mit der Nichterneuerung der Schriften, mit Stellungsbefehlen etc. einschüchtern konnten. -- Gegen verschiedene Deutsche ist während des Krieges wegen derartiger Umtriebe eingeschritten worden
(Verwarnung, Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung, Wegweisung aus der Schweiz oder aus bestimmten Zonen). Beim Ergreifen von Massnahmen, durch welche Eeichsangehörige zum Verlassen unseies Landes gezwungen wurden, war man allerdings auf Seite der Schweiz immer etwas behindert durch die Rücksicht auf unsere Landsleute in Deutschland und in den von Deutschland besetzten oder ihm sonst botmässigen Ländern. Insbesondere in den ersten Kriegsjahren musste in solchen Fällen stets mit deutschen Repressalien gerechnet werden. Unter verschiedenen Malen haben die deutschen Behörden mit Ausweisungen von Schweizern geantwortet. Leiter und andere heimattreue Angehörige der Schweizerkolonien waren die Opfer solcher Repressalien. Ohne Rücksicht wurden sie^aus ihrem Lebenskreis herausgerissen und zur Ausreise verhalten. Diese Seite der Angelegenheit konnte selbstverständlich nicht einfach ausser acht gelassen werden.

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Schließlich seien auch noch die A n s t ä n d e erwähnt, die die eidgenössischen und kantonalen Behörden mit einzelnen Reichsrednern hatten, die an Veranstaltungen der deutschen Organisationen in der Schweiz auftraten.

Auch auf diesem Gebiet war man dazu gekommen, die Erlaubnis für das Auftreten ausländischer Redner von vorneherein an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. So wurde regelmässig die Bedingung gestellt, dass in den Vorträgen der neutralen Stellung unseres Landes Rechnung getragen werden müsse, dass sich die Redner insbesondere jeder Beschimpfung und Beleidigung fremder Staatsoberhäupter, Regierungen und Völker «u enthalten hatten und dass jede Einmischung in mnerschweizerische Verhältnisse zu unterlassen war.

Trotz der dadurch festgelegten durchaus klaren Situation haben sich einzelne deutsche Reichsredner nach den Feststellungen der Polizei, die die fraglichen Veranstaltungen überwachte, an diese Bedingungen nicht gehalten. Gegen verschiedene prominente Deutsche mussten aus diesem Grunde Redeverbote erlassen werden, so 1941 gegen Fritz Saukel, Gauleiter in Thüringen, und Dr. Stipperger, Leiter der Propagandazentrale München, sowie 1942 gegen Helmuth Sündermann, Stabsleiter des Reichspressechefs in Berlin. Der zuletzt Genannte wollte im Jahre 1944 erneut zu einer Vortragsreise in die Schweiz einreisen. Sein diesbezügliches Gesuch ist unter Hinweis auf sein früheres Verhalten abgewiesen worden. Vereinzelt haben auch kantonale Behörden für ihr Gebiet entsprechende Massnahmen getroffen.

Der Vorsteher des eidgenössischen Militärdepartementes hat in der Herbstsession 1945 bei der Beantwortung der Interpellationen Dietschi-Basel und Bringolf im Nationalrat darauf hingewiesen, dass im Laufe des Krieges mehrmals ernsthaft mit einer militärischen Aktion Deutschlands gegen die Schweiz gerechnet werden musste. Dass dabei im Falle eines deutschen Angriffes mit Unternehmungen der F ü n f t e n Kolonne von Seiten deutscher Nationalsozialisten im Lande zu rechnen war, darüber konnten keine Zweifel bestehen. Die 1940 eingegangenen Nachrichten über die Art und Weise, wie verschiedene andere Lander. (Norwegen!) von der deutschen Wehrmacht besetzt wurden, sprachen eine deutliche Sprache. Aber auch in der Schweiz selbst sind verschiedene Erscheinungen .festgestellt worden, die durchaus in diesem Sinne zu deuten waren: Es fiel auf, dass am Anfang des Krieges yerhältnismassig wenig Deutsche, vor allem auch wenige der bekannten Nationalsozialisten, aus der Schweiz zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Der Verdacht lag nahe, dass sie .für den Einsatz gegen unser Land in Reserve gehalten wurden. Bemerkenswert war ferner, dass im Laufe des Krieges bewährte Parteileute der NSDAP, von denen ma.n annehmen konnte, dass sie auch in der deutschen Wehrmacht gut hätten verwendet werden können, von der Front zurückgezogen wurden, um in der Schweiz leitende Stellungen in den nationalsozialistischen Organisationen einzunehmen. In diesem Zusammenhang ist schliesslich auf die im folgenden Kapitel über die schweizerischen.

Rechtsextremisten erwähnten deutschen Versuche hinzuweisen, schweizerische

39 Staatsangehörige zu Organisationen der Fünften Kolonne zusammenzufassen.

Es war nicht anzunehmen, dass in diesem Sinne nur schweizerische Verräter zum Einsatz kommen sollten.

Die Grosse der G e f a h r , d. h. den umfang der zu erwartenden Aktionen der deutschen Fünften Kolonne abzuschätzen, ist heute nicht leichter als während des Krieges. Es ist nach Kriegsschluss teilweise von einer mehrere zehntausend Mann starken, gut ausgebildeten deutschen Armee im Innern der Schweiz gesprochen worden. Diese Formulierung ist geeignet, unrichtige Vorstellungen zu erwecken, Wohl ging die Zahl der im wehrfähigen Alter stehenden Deutschen in der Schweiz in die Zehntausende. Die meisten von ihnen waren aber jedenfalls in keiner Weise mehr so ausgebildet, dass sie ohne weiteres za einer militärischen Aktion hätten verwendet werden können.

Ferner dürfte nur ein verhältnismässig kleiner Teil dieser wehrfähigen Deutschen auch politisch wirklich bereits voll einsatzbereit gewesen sein. Beide Voraussetzungen, die militärische und politische Einsatzbereitschaft, waren am ersten bei den Mitgliedern der nationalsozialistischen Sportgruppen vorhanden. Der Ausdruck Armee erweckt ferner den Eindruck, als ob alle deutschen Nationalsozialisten in der Schweiz bewaffnet gewesen wären. Dies war bis zum Mai 1940 nur in geringem Umfange, später nach den polizeilichen Feststellungen bloss noch in vereinzelten Ausnahmen der Fall (Ablieferung gomäss BEB vom 11. Mai 1940 über Schusswaffen im Besitze von Ausländern).

Unter diesen Umständen war also in erster Linie mit Aktionen von an Zahl verhältnismässig kleinen, aber aus fanatischen Nationalsozialisten zusammengesetzten, deutschen ^Gruppen zu rechnen, die zunächst mit behelfsmässigen oder einzelnen versteckten Waffen und nachher mit aus Deutschland hergeschafften Mitteln gearbeitet hätten. Die Gefahren, die unserm Land auch von einer so gearteten deutschen Fünften Kolonne drohten, waren selbstverständlich noch gross genug, um die sorgfältigsten Abwehrmassnahmen zu rechtfertigen. . Zur Frage, wie die Gefahr der deutschen Fünften Kolonne von der schweizerischen Armeeleitung eingeschätzt wurde, soll im übrigen der General in seinem Bericht über den Aktivdienst das letzte Wort haben.

Welche Massnahmen sind von Seiten der Schweiz gegen diese Gefahr ergriffen worden?

.

Zu einer
Auflösung der deutschen nationalsozialistischen .Organisationen wurde nicht geschritten. Es ist bei den Ausführungen über die Vorkriegsjahre berichtet worden, welche Ergebnisse eine rechtliche und polizeiliche Prüfung dieser Frage zeitigte. Während des Krieges war noch ein weiterer Punkt in Eechnung zu stellen. Der Vorsteher des eidgenössischen Militärdepartementes hat in seinen Ausführungen. im Nationalrat davon gesprochen, dass im deutschen Hauptquartier nicht nur normale, sachliche Erwägungen zu Entschlüssen führten, sondern dass oft aus momentanen Stimmungen, Verstimmungen, im Zorn entschieden wurde. Eine Auflösung der deutschen Organisationen in der Schweiz hätte zu einer solchen stimmungsmässigen Entschlussfassung Hitlers im Sinne einer Aktion gegen unser Land führen

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können. Dazu kam die Überlegung, dass durch ein Verbot der deutschen Organisationen die Gefahr einer deutschen Fünften Kolonne noch keineswegs beseitigt gewesen wäre.

Es wurden daher andere, wirksamer erscheinende Massnahinen ergriffen: Bereits in der Vorkriegszeit, seit dem Jahre 1988, waren überall in der Schweiz Eegister erstellt worden, die über alle Ausländer im Lande und ihre Tätigkeit (insbesondere Tätigkeit im verbotenen Nachrichtendienst) Auskunft gaben. Teilweise schon vor dem Kriege, insbesondere aber unmittelbar nach Kriegsbeginn sind in der Folge von den zuständigen militärischen und zivilen Instanzen alle Vorbereitungen getroffen worden, um im Falle eines drohenden Kriegsausbruches oder bei Überfall die besonders gefährlichen Elemente sicherzustellen. Alle der Polizei zugegangenen Meldungen über verdächtiges Verhalten wurden untersucht und das Eesultat der Erhebungen verwertet. Alle Ausländer wurden nach ihrer Gefährlichkeit qualifiziert und gestützt darauf die nötigen Haftbefehle vorbereitet. Verdächtige Schweizer sind in gleicher Weise behandelt worden. Die Verbindungen unter den in Frage stehenden Armee- und Polizeiorganen waren ebenfalls so eingespielt, dass schlagartig hätte zugegriffen werden können. Alle diese Vorbereitungen richteten sich selbstverständlich nicht ausschliesslich gegen Deutsche, sondern auch gegen andere Ausländer. Da die Gefahr der deutschen Fünften Kolonne durchaus im Vordergrund stand, erfassten sie aber vor allem die deutschen Nationalsozialisten.

Ferner sind in diesem Zusammenhang zwei bundesrätliche Erlasse vom Mai 1940 zu erwähnen. Auf den einen, auf den Bundesratsbeschluss vom. 11. Mai 1940 über Schusswaffen im Besitze von Ausländern (A. S. 56, 473) ist bereits hingewiesen worden. Gemäss Art. l desselben war allen Ausländern der Besitz und das Tragen von Schusswaffen und von Munition für solche verboten. Die unter das Verbot fallenden Waffen und Munition waren bis zum 15. Mai 1940 untei Straf- und Ausweisungsfolgen bei den örtlich zuständigen Territorialoder Stadtkommandos zu hinterlegen. Beim Erlass dieses Bundesratsbeschlusses hatte man in erster Linie die Gefahr einer deutschen Fünften Kolonne im .Auge. Ein Bundesratsbeschluss vom 21. Mai 1940 (A. S. 56, 502), der Sabotageversuchen von irgendwelcher Seite vorbeugen sollte, stellte den Besitz und
das Aufbewahren von Sprengmaterial und giftigen Gasen unter Bewilligungspflicht. Die Bewilligung war nur vertrauenswürdigen Personen und Unternehmungen und einzig zu beruflichen Zwecken zu erteilen, an Ausländer ausserdem nur, wenn sie seit längerer Zeit in der Schweiz ansässig waren.

Auch hier bestand unter Straffolge eine Anmeldepflicht. Bei Ablehnung der Bewilligung war das fragliche Sprengmaterial zu beschlagnahmen. Alle Personen und Unternehmungen, denen man den Besitz und die Aufbewahrung von Sprengmaterial und giftigen Gasen gestattete, wurden verpflichtet, für dei en sichere Aufbewahrung zu sorgen, so dass Dritten die Aneignung dieser Stoffe unmöglich war. Im Laufe des Krieges sind in Verbindung mit der kriegstechnischen Abteilung wiederholt Kontrollen durchgeführt worden, ob

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diesen Vorschriften betreffend Sprengmaterial nachgelebt wurde. Der Bundesratsbeschluss über den Besitz und die Aufbewahrung von Sprengmaterial und giftigen Gasen ist am 81. März 1944 ersetzt worden durch den Bundesratsbeschluss betreffend Abgabe und Besitz, Aufbewahrung und Beförderung von Sprengmitteln, giftigen Gasen, Nebelkörpern und Tränengas (A. S. 60, 209).

Eine Gefahr für unser Land, die nicht latent war wie die soeben erwähnte, sondern gegen die die schweizerischen Behörden mit dem Schweizervolk und seiner Presse einen ständigen erbitterten Abwehrkampf führen mussten, lag in den Bestrebungen des nationalsozialistischen Deutschland, das Schweizervolk politisch zu beeinflussen.

Es kann nicht Aufgabe des vorliegenden Berichtes sein, das Thema der deutschen nationalsozialistischen K r i e g s p r o p a g a n d a erschöpfend zu behandeln. Zur Abfassung einer Darstellung, die den Anspruch auf Vollständigkeit hätte erheben können, stand schon die nötige Zeit nicht zur Verfügung. Das Thema ist ferner im Parlament und in der Schweizer Presse schon so oft erörtert worden, dass man wohl sagen darf, das Schweizervolk sei im Wesentlichsten darüber orientiert. Es werden daher nachstehend einzig einige Hauptpunkte in Erinnerung gerufen.

Die Tätigkeit des deutschen Propagandaministeriums war in der Schweiz auf den verschiedensten Gebieten bemerkbar. Man kann ohne zu übertreiben sagen, dass diese deutsche Propagandazentrale überhaupt keine Möglichkeit unbenutzt liess, propagandistisch für Deutschland und den Nationalsozialismus zu werben und dem Kriegsgegner zu schaden. Der ganze Inhalt der deutschen Presse, insbesondere derjenige der speziell für das Ausland bestimmten Blätter, war auf diesen Zweck zugeschnitten. Der Export grosser Auflagen deutscher Zeitungen ins Ausland, auch in die Schweiz, wurde von deutscher Seite mit allen Mitteln gefördert. Auffallend war dabei die mit dem Verkaufspreis zum Teil in keinem Verhältnis stehende reiche Aufmachung gewisser illustrierter Blätter («Signal»), die den Zweck verfolgten, den betreffenden Zeitungen und Zeitschriften schon aus diesem Grunde einen guten Absatz zu verschaffen.

Der ganze deutsche Buchhandel arbeitete nach den Richtlinien Dr. Göbbels.

Alles, was auf diesem Gebiet offen oder getarnt der Propaganda dienen konnte, wurde dazu verwendet. Andere Propagandaerzeugnisse deutscher Herkunft, die in der Schweiz auftauchten, hatten die Form von Flugblättern, Postkarten, Grammophonplatten etc. etc. Der deutsche Film stand im Dienste der deutschen Propaganda. In den ersten Kriegsjahren wurde vor allem mit Dokumentarfilmen über die deutschen militärischen Erfolge versucht, das Ausland von der Unbesiegbarkeit der deutschen
Wehrmacht zu überzeugen. Dazu kamen die Wochenschauen. Deutsche Spielfilme wurden ausschließlich nach propagandistischen Gesichtspunkten gedreht. Schliesslich seien noch die Propagandasendungen des deutschen Kadios erwähnt. -- Neben der offiziellen deutschen

42 Propaganda arbeitete ferner eine ganze Anzahl deutscher «Dienste» mehr oder ·weniger privater Natur in gleicher Eichtung. Ständig mussten neue Sendungen des in Frankfurt niedergelassenen «Weltdienst», der ausschliesslich der antijüdischen Agitation diente, beschlagnahmt werden. Als weitere Beispiele derartiger Propaganda seien ferner die Blätter des «Fichtebundes» erwähnt.

Die Schweiz ist im Verlaufe des Krieges nicht nur von Deutschland propagandistisch bearbeitet worden. Dessen Verbündete und die Staaten der andern kriegführenden Mächtegruppe waren in dieser Hinsicht zum Teil ebenfalls sehr aktiv. Es mussten auch ihnen gegenüber Abwehrmassnahmen ergriffen werden. Das Ausmass der deutschen Propaganda übertraf jedoch dasjenige der propagandistischen Tätigkeit der andern Staaten besonders in den ersten Kriegsjabren um ein Vielfaches. Das, was abgesehen von diesem Umfange der verwendeten Mittel die deutsche Propaganda als besonders gefährlich erscheinen hess, war dabei die Tatsache, dass sich deren politischer Gehalt gleichzeitig direkt oder indirekt immer gegen die schweizerische demokratische Staatsauffassung richtete. Das ist auch der Grund, warum die deutsche Kriegspropaganda in der Schweiz in vorliegendem Bericht Erwähnung zu finden hat.

So vielgestaltig wie die Mittel war auch der Inhalt der deutschen Propaganda. Dire Themata und ihr Ton änderten fortwährend je nach der Kriegslage. In den Jahren 1939--1942 war die deutsche Propaganda entsprechend dem Ablauf der kriegerischen Ereignisse ausschliesslich offensiv eingestellt.

Da sich die eigentliche Kriegspropaganda auf deutscher Seite in jener Zeit darauf beschränken konnte, die Erfolge der deutschen Wehrmacht zu verwerten, konzentrierten sich die deutschen Stellen weitgehend auf die propagandistische Vorbereitung des «Neuen Europa». Es war dies die Zeit der intensiven deutschen Kultur-, Sozial- und Wirtschaftspropaganda. Besonderes Gewicht legte Deutschland immer auf die Bearbeitung der Jugend. Besonderes Propagandamaterial wurde ausschliesslich für diesen Zweck auch in die Schweiz eingeführt.

Die rechtlichen Grundlagen für die Abwehr dieser Propaganda während des Krieges bildeten vor allem der in den Ausführungen über die Vorkriegszeit bereits erwähnte Bundesratsbeschluss vom 27. Mai 1988 betreffend Massnahmen gegen staatsgefährhches
Propagandamaterial, der Bundesratsbeschluss vom 8, September 1939 über den Schutz der Sicherheit des Landes im Gebiete des Nachrichtendienstes (A. S. 55, 909), mit seinen verschiedenen Ausführungsvorschriften, und der Bundesratsbeschluss vom 4. Dezember 1939 betreffend das Verbot der staatsgefährlichen Propaganda in der Armee (A. S. 55, 1461).

Auf schwere Fälle waren die Demokratieschutzverordnung vom 5. Dezember 1938 und die Neutralitätsverordnung vom 14. April /2. September 1939 (A. S, 55, 810) anwendbar. Dazu kam am 30. Dezember 1941 der Bundesratsbeschluss betreffend die Überwachung der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Schriften. In diesem Zusammenhang ist ferner der Bundesratsbeschluss vom 8. September 1989 über die Ordnung des Pressewesens zu erwähnen, der später durch den Bundesratsbeschluss vom 30. Dezember 1941 über die Neugründung

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von Zeitungen, Zeitschriften, sowie von Presse- und Nachrichtenagenturen ersetzt wurde (A. S. 57, 1556).

Als Abwehrstellen der ersten Linie arbeiteten vor allem die Organe der Abteilung Presse und Funkspruch, welche Ende 1941 dem Bundesrat unterstellt wurde, und die Bundesanwaltschaft, die beide in Verbindung standen mit den eidgenössischen Zoll- und Postbehörden, sowie die Sektion Heer und Haus im Armeestab. Die Kanäle der deutschen Propaganda waren allerdings so vielfältig, dass sich eigentlich alle Departemente der eidgenössischen Verwaltung und viele kantonale, kommunale und militärische Stellen in dieser oder jener Form ebenfalls damit zu befassen hatten. Nicht zu vergessen sind schliesslich zwei «Abwehrstellen», deren Tätigkeit von grösster Bedeutung war, die schweizerische Presse und die schweizerischen Schulen. Durch ihre Arbeit auf dem Gebiete der geistigen Landesverteidigung haben beide -- teilweise in Zusammenarbeit mit den Behörden -- wesentlich dazu beigetragen, dass sich der Grossteil des Schweizervolkes durch die ausländische, insbesondere auch durch die deutsche Propaganda nicht beeinflussen liess.

Verhältnismässig einfach war von den amtlichen Stellen das deutsche Propagandamaterial zu kontrollieren, das normal eingeführt wurde. Dieses wurde bereits bei der Verzollung ausgeschieden und je nach Inhalt oder Gegenstand den zuständigen Sektionen der Abteilung Presse und Funkspruch (Presse, Buchhandel, Eadio, Film) und der Bundesanwaltschaft zur Prüfung zugestellt.

Schon vor dem Kriege war jedoch die deutsche Gesandtschaft dazu übergegangen, Propagandamaterial als diplomatisches Gepäck einzuführen. Während des Krieges gelangten in der Folge auf diese Weise ganze Eisenbahnwagen mit solchem Inhalt in die Schweiz. Von der deutschen Gesandtschaft aus wurde das Material in erster Linie an die deutschen Organisationen weitergeleitet.

Die deutsche Gesandtschaft machte jedoch alle Anstrengungen, es entweder selbst oder über die deutschen Konsulate ebenfalls schweizerische^ Angehörigen zuzustellen, und zwar auch solchen, die das keineswegs wünschten. Sie arbeitete dabei mit allen Mitteln einer modernen Propagandazentrale, wie Adressiermaschinen etc. Dieses von der deutschen Gesandtschaft und den deutschen Konsulaten verbreitete Material wurde --- wenn es sich um Postsendungen handelte --
nach Möglichkeit bei der Post erfasst und der Kontrolle zugeführt.

Von deutscher Seite ist verschiedentlich versucht worden, diese Kontrolle durch allerlei Vorkehren, wie die Verwendung immer neuer Umschläge, zu umgehen. Die fraglichen Poststellen besassen jedoch bereits eine gewisse Übung im Erkennen derartiger deutscher Ware, so dass auch so ziemlich viel deutsches Propagandamaterial beschlagnahmt werden konnte. Noch schwieriger war die Kontrolle bei Propagandamaterial, das bei der deutschen Gesandtschaft oder bei den deutschen Konsulaten von Schweizern abgeholt wurde.

.Über solche Fälle wird später im Kapitel über die schweizerischen Eechtsextremisten berichtet werden. Hier war es nur ab und zu möglich, Schweizern polizeilich derartiges staatsgefährliches Propagandamaterial abzunehmen.

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Mit dem Hinweis auf Schweizer, die deutsches Propagandamaterial selbst bei den deutschen Stellen abholten, ist bereits ein weiteres Kapitel der deutschen Propaganda angeschnitten, das den schweizerischen Behörden viel zu schaffen machte. Nach den von der Polizei gemachten Beobachtungen nahmen sehr oft Schweizer an Veranstaltungen teil, die auf der deutschen Gesandtschaft, bei deutschen Konsulaten oder im Eahmen der deutschen Kolonie durchgeführt wurden und die nach ihrem Charakter ausschliesslich für deutsche Staatsangehörige bestimmt waren. Es handelte sich zum grossen Teil um Filmveranstaltungen, wobei Filme gezeigt wurden, die von der schweizerischen Filmzensur nur für die Vorführung innerhalb der deutschen Kolonie freigegeben worden waren. Neben Schweizern, die mit dem Nationalsozialismus sympathisierten, waren es vor allem auch Kinder und Jugendliche, die sich aus Neügierde zu solchen deutschen Anlässen einfanden. Von deutscher Seite wurde dieser Zuzug selbstverständlich begrüsst, da sich so die beste Gelegenheit bot, propagandistisch zu wirken. Die eingegangenen polizeilichen Meldungen über diese Erscheinungen veranlassten die Landesregierung in den Bundesratsbeschluss vom 29. Juli 1941 betreffend Strafbestimmungen gegen die Störung der Beziehungen zum Ausland (A. S. 57, 811) eine Bestimmung aufzunehmen, wonach es einem Schweizer unter Straffolge verboten war, an einer ausschliesslich für Ausländer bestimmten Veranstaltung, insbesondere an einer solchen politischer Natur, teilzunehmen. Auch die Teilnahme von Ausländern an einer ausschliesslich für Schweizer bestimmten Veranstaltung wurde unter Strafe gestellt. Die Handhabung dieser Verbotsvorschriften erfolgte durch polizeiliche Überwachung der fraglichen Anlässe.

Selbst in einem knappen Bericht über die deutsche nationalsozialistische Propaganda ist schhesslich noch auf zwei dexitsche Institute und zwei auch für Nicht-Eeichsangehörige bestimmte Vereinigungen wenigstens hinzuweisen, Institute und Vereinigungen, die hinter einem wissenschaftlichen oder kulturellen Schild getarnt der deutschen Propaganda dienten. Neben dem « Deutschen Ausland-Institut», dessen Zeitschrift «Deutschtum im Ausland» für Eeichsdeutsche bestimmt war und das in andern Nachbarstaaten .Deutschlands eine grössere Bedeutung hatte als bei uns, ist da vor allem das «Deutsche
auslandswissenschaftliche Institut» in Berlin zu nennen. Dieses betrieb im Ausland, auch in der Schweiz, eine grosszügige Propaganda für den Besuch der von ihm veranstalteten Ausländerkurse über die «Europäischen Probleme der Gegenwart» und andere ähnliche Themata. In den Einladungsschreiben wurde speziell auf die «streng wissenschaftlichen Methoden» des Institutes hingewiesen.

Das für unser Land Gefährliche dieser Kurse lag darin, dass sie im Bahmen der nationalsozialistischen Auffassung über das neue Europa schweizerische Grundbegriffe über die Neutralität und unsere nationale Unabhängigkeit in Diskussion zogen und damit in Frage stellten. Die schweizerischen Behörden hatten daher alle Veranlassung, Schweizer, die von solchen Kursen heimkehrten, aufmerksam zu überwachen. -- Der im Jahre 1988 vom Österreicher Dr. Steinacher gegründete «Volksbund für das Deutschtum im Ausland» (VDA) hatte sich

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die Aufgabe gesetzt, die im Aueland lebenden Deutschstämmigen oder «Volksdeutschen» zu erfassen und sie --· ausserhalb der Auslandsorganisationen der NSDAP -- ans Dritte Eeich zu fesseln. Die Propaganda des «Volksbundes für das Deutschtum im Ausland» bediente sich u, a. der bereits erwähnten Lehren der deutschen nationalsozialistischen Geopolitik. Die Vereinigung wird hier mehr der Vollständigkeit wegen erwähnt. Im Gegensatz zu Österreich hat bei uns der «Volksbund für das Deutschtum im Ausland» nie FUSS fassen können.

Der Einfluss Steinadlers blieb auf einige wenige Personen beschränkt. -- Gefährlicher war die Tätigkeit der im Jahre 1988 in der Schweiz entstandenen «Gesellschaft zur Förderung kulturellen Lebens». Deren Statuten bezeichneten als Zweck der Gesellschaft «die Pflege des kulturellen Lebens in jeder Form, wie insbesondere durch regelmässige Veranstaltung von künstlerischen Darbietungen und wissenschaftlichen Vorträgen namhafter Künstler, Schriftsteller und Gelehrter, die Veröffentlichung von Vorträgen, Aufsätzen und Berichten in Zeitschriften und Tageszeitungen, die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift, sowie die Durchführung von gesellschaftlichen Zusammenkünften».

Neben Schweizern gehörten der Vereinigung vor allem auch Deutsche an. Die «Gesellschaft zur Förderung kulturellen Lebens» hat denn auch tatsächlich ihre in der soeben zitierten Statutenbestimmung niedergelegte Aufgabe durchaus einseitig in der Pflege kultureller Beziehungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland oder, anders gesagt, in der Pflege nationalsozialistischer Kulturpropaganda gesehen. In Basel nannte sich eine Vereinigung mit ähnlichem Charakter, die im Zusammenhang mit dem Verbot der «Eidgenössischen Sammlung» am 7. Oktober 1943 durch Verfügung des eidgenössischen Justiziind Polizeidepartementes aufgelöst wurde, «Basier Pfalz-Gesellschaf t zur Pflege kultureller Gemeinschaft». Von beiden wird noch im Kapitel über die schweizerischen Eechtsextremisten die Eede sein.

Zum Kapitel der Versuche des nationalsozialistischen Deutschland, das Schweizervolk politisch zu beeinflussen, gehören schliesslich die V e r b i n d u n g e n , die zwischen deutschen Stellen und deutschen Agenten einerseits und schweizerischen r e c h t s e x t r e m e n Gruppen anderseits angeknüpft wurden, Einzelheiten über derartige
Verbindungen worden bei der Darstellung der Umtriebe schweizerischer Eechtsextremisten Erwähnung finden.

Hier sollen einzig einige allgemeine Bemerkungen vorausgeschickt werden.

Vorweg sei festgestellt, dass es nicht in erster Linie die deutschen Organisationen waren, die die Verbindung mit schweizerischen rechtsextremen Gruppen suchten und unterhielten. Es ist bei den Ausführungen über die Vorikriegsjahre gesagt worden, dass keine Einmischungen dieser Organisationen in Aktionen schweizerischer Erneuerungsbewegungen festgestellt werden konnten.

In dieser Hinsicht trat auch während des Krieges keine Änderung von Bedeutung -ein. Auf den in Frage stehenden Gebieten waren vielmehr Funktionäre der deutschen diplomatischen und konsularischen Vertretung, insbesondere spe/iell mit dieser Aufgabe betraute deutsche Agenten tätig.

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An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang das Essen zu erwähnen, das am 30. Januar 1941 im Gebäude der deutschen Gesandtschaft in Bern stattfand und zu dem eine ganze Anzahl führender Leute von schweizerischen rechtsextremen Gruppen, insbesondere aus dem Führerkreis der am 19. November 1940 verbotenen «Nationalen Bewegung der Schweiz» eingeladen waren. Der Bundesrat hat damals der deutschen Gesandtschaft zur Kenntnis bringen lassen, dass die Schweiz diese Einladung als einen unfreundlichen Akt betrachte. Dabei vernahm man, dass die Einladung auf direkte Veranlassung von Berlin, das mit einer Note antwortete, erfolgt war. In der Folge haben derartige «GrossEinladungen» schweizerischer Rechtsextremisten durch die deutsche Gesandtschaft nicht mehr stattgefunden. Hingegen sind auch später noch Verbindungen von Schweizern nationalsozialistischer Gesinnung mit der deutschen Gesandtschaft und den deutschen Konsulaten festgestellt worden. Den fraglichen Schweizerbürgern ist selbstverständlich von den schweizerischen Polizeiorganen eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden.

Die Fäden zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und gewissen schweizerischen rechtsextremen Gruppen liefen jedoch auf deutscher Seite vor allem in Zürich zusammen. Nach Feststellungen, die im Laufe verschiedener Strafuntersuchungen gemacht wurden, waren der dortige deutsche Vizekonsul Dr. Ashton und ein weiterer Beamter des deutschen Generalkonsulates in Zürich, Dr. Gröbl, speziell damit beauftragt, die Beziehungen zu nationalsozialistisch gesinnten Schweizern zu pflegen. Dr. Ashton arbeitete u. a. mit der bereits erwähnten «Gesellschaft zur Förderung kulturellen Lebens». Er versuchte ferner, in studentischen Kreisen FUSS zu fassen. Das Arbeitsgebiet von Dr. Gröbl waren vor allem die Versuche, in unserem Land eine SS und andere aus Schweizern zusammengesetzte Gruppen der Fünften Kolonne zu bilden. Beide verfügten über beträchtliche deutsche Gelder. Diese wurden von Dr. Ashton zum Teil dazu verwendet, in Not geratene Angehörige von Schweizern, die wegen einer im Interesse Deutschlands ausgeübten Tätigkeit verhaftet oder verurteilt worden waren, zu unterstützen oder nachträglich ganz oder teilweise Verteidigungskosten zu übernehmen. Diesem Tun, das später eine Zeitlang von Funktionären der deutschen Gesandtschaft
weitergeführt wurde, war an und für sich strafrechtlich nicht beizukommen, da es sich um Auszahlungen nach begangener Tat und vor allem an Angehörige handelte. Andere Gelder gingen jedoch von Dr. Ashton und Dr. Gröbl an schweizerische rechtsextreme Gruppen und waren als eigentliche finanzielle Förderung derselben zu betrachten. Über diese Fälle, die zum Gegenstand von Strafuntersuchungen und Strafurteilen wurden, wird im Kapitel über die schweizerischen Rechtsextremisten ausführlich berichtet werden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die beiden Funktionäre des deutschen Generalkonsulates in Zürich, Dr. Ashton und Dr. Gröbl, zu den gefährlichsten deutschen Agenten gehörten, die in den ersten Kriegsjahren in der Schweiz an der Arbeit waren. Über ihre Wegschaffung aus der Schweiz am 28. Oktober 1941 und 4. Januar 1943 gibt der

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Abschnitt über die gegen die Schweiz gerichtete Spionage-, Spitzel' und Sabotagetätigkeit Aufschluss.

1948--1945.

Die Entwicklung der deutschen Organisationen und ihrer Tätigkeit in unserem Lande während des Krieges war weitgehend ein Spiegelbild der deutschen Erfolge und Misserfolge auf militärischem Gebiet. Die ununterbrochenen Siege der deutschen Wehrmacht in den ersten Kriegsjahren hatten das sprunghafte Anwachsen der Organisationen und ein begeistertes Mitmachen der meisten Beichsangehörigen zur Folge gehabt. Ein erstes, allerdings geringfügiges Zurückhalten ist nach den polizeilichen Meldungen im Winter 1941/42 festzustellen gewesen, als von der russischen Front nicht mehr bloss für Deutschland günstige Nachrichten eingingen. Vom Winter 1942/48 hinweg trat dann mit den ersten entscheidenden Niederlagen der deutschen Wehrmacht endgültig eine rückläufige Entwicklung ein.

Diese Abwärtsbewegung kam in erster Linie, und zwar ziemlich rasch, in der Zahl der Teilnehmer an den verschiedenen nationalsozialistischen Veranstaltungen zum Ausdruck. Schon im Frühjahr 1948 wurde festgestellt, dass die Anlässe an offiziellen deutschen Feiertagen (z. B. Tag der nationalen Arbeit) an einigen Orten nur noch einen Bruchteil der Teilnehmerzahl von 1942 aufwiesen.

An den Veranstaltungen herrschte nach den polizeilichen Meldungen im allgemeinen schon eine eher gedrückte Stimmung. Auch die bekannten Wortführer aus der Mitgliedschaft, die es früher verstanden hatten, ihre Zuhörerschaft zu fanatisieren, verhielten sich ebenfalls bereits auffallend ruhig. Diese Entwicklung nahm im Verlaufe der Jahre 1943 -- 1945 ihren Fortgang. Das nationalsozialistische Deutschland verlangte auch von den Auslandsdeutschen immer mehr Opfer. Die Einberufungen von Deutschen in unserem Lande zum Kriegsdienst nahmen zu. Die Vorgänge vom September 1943 in Italien brachten die Trennung zwischen der deutschen und der italienischen Kolonie. Alles das förderte das Wachsen der flauen Stimmung unter den bei uns lebenden Deutschen, da sie immerhin nicht so hermetisch von der nichtdeutschen Welt abgeschlossen waren wie ihre Landsleute im Beich und sich daher schon 1943 ein besseres Bild als diese von der allgemeinen Lage auf den Kriegsschauplätzen machen konnten. Noch gelang es allerdings der deutschen Propaganda, unter den Beichsangehörigen
selbst ab und zu noch Erfolge zu buchen, insbesondere 1944, als der Einsatz der deutschen V-Waffen bekannt wurde und nach dem misslungenen Attentat auf Beichskanzler Hitler, Es waren jedoch nur Teilerfolge, deren Wirkung nicht anhielt.

Nach wie vor wurden von den deutschen Organisationen die üblichen Zusammenkünfte und Anlässe durchgeführt. In dieser Hinsicht war zunächst keine Änderung von Bedeutung festzustellen. Die Veranstaltungen wurden

48 jedoch mehr und mehr in einfacherem Rahmen und insbesondere auch mit weniger Zeremoniell abgehalten. Im Verlaufe der Berichtsperiode 1948--1945 nahm auch die Zahl der auftretenden Reichsredner ab.

In der Entwicklung der Mitgliederbestände der deutschen Organisationen kam die Änderung der Situation weniger zum Ausdruck. Es war dies wohl vor allem der andauernden Arbeit der deutschen Propaganda in den eigenen Reihen zuzuschreiben. Ein Rückgang war hier immerhin in den Jahren 1948 bis 1945 ebenfalls festzustellen. Am Erntedankfest vom 4. Oktober 1942, also in einem Zeitpunkt, in dem die deutschen Organisationen in unserem Lande am meisten Mitglieder zählten, sprach der Landesgruppenleiter, von Bibra, von 80 000 Angehörigen der Deutschen Kolonie in der Schweiz. Bei dieser Zahl handelt es sich, wenn man sie mit anderem Material, das die Behörden besitzen, vergleicht, um eine aufgerundete Ziffer. Ein Mitgliederbestand der Deutschen Kolonie von ca. 25 000 Männern und Frauen dürfte den tatsächlichen Verhältnissen in der Blütezeit der deutschen Organisationen eher entsprechen. Die Deutsche Arbeitsfront hatte damals einen Bestand von ca. 6000 Deutschen.

Die NSDAP selbst zählte zu dieser Zeit nach zuverlässigen Quellen im ganzen Gebiet der Schweiz ca. 2400 Mitglieder. -- Diesen Zahlen gegenüber ergab die Verarbeitung einer im Mai 1945 beschlagnahmten Kartei der Deutschen Kolonie in Bern für den April 1945 folgendes Bild der Deutschen Kolonie, der Auslanddeutschen Frauenschaft und der Deutschen Arbeitsfront, ein Bild, das gleichzeitig einigen AufschlusB gibt über die örtliche Verteilung der Mitghederschaft : Deutsche Kolonie 249 308 41 246 131 212 3991 1025 233 171 137 189 389

Ortsgruppe:

Aarau Aesch Agra.

Amriswil . . . . .

Arbon Baden Basel Bern Biel .

Brugg La Chaux- de-Fonds Chur und Arosa .

Davos 'Übertrag

7322

Mitglieder: Auslanddeutsche

Deutsche

Frauenschaft

Arbeitsfront

2 4 20 22 1 243 65 18 4 1 28 45

12 33 13 44 14 20 1062 242 31 25 5 22 94

443

1617

49 Mitglieder: Auslanddeutsche Frauenschall

Ortsgruppe:

Deutsche Kolonie

Übertrag Einsiedeln und Umgebung . . .

Frauenfeld Freiburg St. Gallen Genf Glarus Herzogenbuchsee Kreuzungen Laufenburg und Umgebung . .

Lausanne Leysin Liestal Locamo Lugano Luzern Montreux (inkl. Vevey und Kanton Wallis) St. Moritz Neuenburg Neuhausen Ölten Ob- und Nidwalden . . . . .

Rheinfelden Rheintal Rorschach Solothurn Schaffhausen Thun : ....

Uster Wädenswil Weinfelden Werdenberg Wil Winterthur Zug (inkl. Kanton Schwyz und Uri) Zürich Zurzach und U m g e b u n g . . . .

7322 116 94 254 1841 969 124 65 484 94 555 27 182 282 411 843

614 5329 117

6 185 2

Total

23 818

1005

Bundesblatt. 98. Jahrg.

Bd. L

325 79 69 198 155 107 146 348 484 200 505 161 318 161 194 151 293 251

448 .

15 42 31 10 10 22 20 4 9 28 17 27 26 11 15 l l l 15 11 28 11 6 3 43 12

Deutsche Arbeitsfront

1617 7 48 8 295 135 23 24 129 6 41 7 22 50 49 89 33 6 3 36 26 19 26 51 53 47 95 41 38 22 44 10 60 96 26 493

7 8782 4

50 Die fragliche Kartei der Deutschen Kolonie Bern war bis zum April 1945 nachgeführt. Alle Mitglieder, die austraten und diejenigen, die zum Heeresdienst eingezogen oder ausgeschlossen worden waren, sind bei den obigen Zahlen schon in Abzug gebracht. Anderseits konnte jedoch nicht festgestellt werden, wie viele Mitgliederkarten bereits vernichtet wurden. Die Ziffern der vorstehenden Tabelle sind daher eher noch etwas zu niedrig.

Weniger brauchbar war die beschlagnahmte Kartei für die Feststellung des Mitgliederbestandes der NSDAP im April 1945, da auf einer grossen Anzahl Karten die Bezeichnung als Mitglied der Partei bereits ausradiert war. Hier, ist in erster Linie auf die folgenden Zahlen abzustellen, die der Bundesanwaltschaft von den Kantonen gemeldet wurden: Mitglieder NSDAP

Ortsgruppe

Ortsgruppe

Mitglieder NSDA

Übertrag Aarau Aesch Agra Amriswil Arbon . . . : Baden Basel Bern Biel Brugg.

Chur und Arosa Davos Einsiedeln und Umgebung Frauenfeld Freiburg St. Gallen Genf Glarus Herzogenbuchsee Kreuzungen Laufenburg und Umgebung Lausanne Leysin Liestal Locamo

4 11 7 12 5 17 160 180 12 10 30 100 4 10 7 102 SO 7 2 12 l 14 7 17 25

Übertrag 806

Lugano Luzern Montreux (inkl. Vevey und Kt. Wallis) St. Moritz Neuenburg Neuhausen ; .

Ölten Ob- und Nidwaiden . . .

Rheinfelden Rheintal .

Borschach Solothurn Schaffhausen . . . . . .

Thun Uster Wädenswil Weinfelden Werdenberg Wil Winterthur Zug (inkl. Kt. Schwyz und Uri) .

Zürich Zurzach und Umgebung .

806 27 87

24 8 l 33 14 2 S 21 20 19 81 12 10 7 12 22 12 11 10 180 l

Total 1373

öl Bei der Handhabung der «Eichtlinien für politische Vereinigungen von Ausländern in der Schweiz» und der andern einschlägigen Erlasse gab ea auch in den Jahren 1948--1945 noch verschiedene Anstände mit den nationaleozialistischen Organisationen. Es handelte sich insbesondere um solche mit deutschen Eednern, die eich nicht an die ihnen auferlegten Bedingungen hielten. Teilweise wurde auch noch die Abhaltung von Versammlungen ohne Einholung der Bewilligung festgestellt. Im grossen gesehen wurden jedoch die Schwierigkeiten, die die schweizerischen Behörden in dieser Hinsicht mit den deutschen Organisationen hatten, bedeutend geringer. Es war dies sicher in erster Linie ebenfalls auf die Wirkungen zurückzuführen, die der Kriegsverlauf auf das ganze Verhalten der deutscheu Staatsangehörigen in unserem Lande ausübte. Ferner ist zu sagen, dass der neue Landesgruppenleiter Stengel, der im September 1943 auf der Deutschen Gesandtschaft sein Amt übernahm, sich eine bedeutend grössere Zurückhaltung auferlegte, als dies sein Vorgänger von Bibra getan hatte. Es hatte dies sofort auch einen Einfluss auf das Gebaren der örtlichen deutschen Organisationen. -- Wenn in diesem.

Sinne von einer spürbaren Verminderung der Umtriebe auf dem Gebiet der sichtbaren Tätigkeit der nationalsozialistischen Organisationen gesprochen werden kann, so ist gleichzeitig beizufügen, dass das gleiche keineswegs zu sagen ist in bezug auf die versteckte, gegen unser Land gerichtete Aktivität der deutschen Spionage- und Spitzelagenten. Wie aus dem speziell diesem Thema gewidmeten Kapitel ersichtlich sein wird, wurde diese unterirdische Tätigkeit vielmehr auch in den Jahren 1948 und 1944 ununterbrochen fortgesetzt. Der dagegen gerichtete Abwehrkampf blieb daher auch in diesem Zeitraum eine der Hauptaufgaben der politischen Polizei des Bundes und der Kantone. -- Solange die Möglichkeit einer militärischen Aktion Deutschlands gegen die Schweiz bestand.-- auf die Zeitpunkte, in denen diese Gefahr am grössten war, hat der Vorsteher des eidgenössischen Militärdepartementes in der Septembersession 1945 hingewiesen --, so lange war ferner auch noch in den Jahren 1948--1945 mit Aktionen einer deutschen Fünften Kolonne in unserem Lande zu rechnen. Über diesen Punkt durfte man sich trotz des Eückgangs der ganzen Betriebsamkeit der deutschen
Organisationen keine Illusionen machen. Noch gab es genug fanatische deutsche Nationalsozialisten im Lande, an deren Einsatzbereitschaft für derartige Unternehmen auch in der letzten Phase des Krieges nicht zu zweifeln war. Ebenfalls auf diesem Gebiete hiess es daher sowohl für die Polizeiorgane als auch für die militärischen Stellen, nach wie vor auf der Hut zu sein.

Charakteristisch für die deutsche Propaganda in den Jahren 1943 bis 1945 war die Tatsache, dass das nationalsozialistische Deutschland auch hier, wie auf den Kriegsschauplätzen, immer mehr in die Defensive gedrängt wurde. Es trat dies sowohl in der propagandistischen Bearbeitung der eigenen

52

Landsleute (mehr als früher wurden diese jetzt von der feindlichen Propaganda gewarnt) als auch in der für den Nichtdeutschen bestimmten Propaganda klar zutage. Von der blossen Auswertung der Siege der Wehrmacht musste zur «Erklärung der Kriegslage», insbesondere der andauernden deutschen «Absetzbewegungen» übergegangen werden. Im Frühjahr 1943 sprachen die deutschen Redner zunächst noch von den zu erwartenden Erfolgen neuer deutscher Sommeroffensiven. Als diese im Gegensatz zu 1942 ausblieben, wurde der Ernst der Lage für Deutschland anerkannt, die Zuversicht in den Führer und damit auf den Endsieg um so mehr betont. Eine grosse Eolle in der deutschen Propaganda spielte dabei nach wie vor die Hoffnung auf ein Auseinanderbrechen der Front der Kriegsgegner. Der Einsatz der neuen Waffen V l und V 2 und das missglückte Attentat auf Hitler brachten 1944, wie erwähnt, der deutschen Propaganda wieder einigen Aufschwung und auch eine gewisse Wirkung im Kreise der Deutschen selbst. Angesichts des für Deutschland in jeder Hinsicht ungünstigen Ablaufs der Kriegsereignisse war jedoch auch diese Wirkung nur von kurzer Dauer.

Das Ausmass der deutschen Propaganda hatte bereits 1943 gegenüber dem Vorjahr ziemlich abgenommen. Ein weiterer Rückgang erfolgte im Jahre 1944. Dass man es aber trotzdem auch in dieser Zeit noch mit einer ganz erheblichen deutschen Propagandatätigkeit zu tun hatte, geht aus den folgenden Zahlen hervor, die Aufschluss geben über die von der Bundesanwaltschaft in den Jahren 1948 und 1944 beschlagnahmten Postsendungen mit deutschem Propagandamaterial : .

onate

Beschlagnahmte Postsendungen 1943 1944

M

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember

. . .

Total

1082 2127 8428 2408 8490 4857 6 310 18363 5580 2 877 4 504 2166 51 692

5394 2784 3038 2170 875 1465 4188 1079 675 924 1829 162 24 583

53 In seiner Sitzung vorn 1. Mai 1945 beschloss der Bundesrat die Auflösung der NSDAP Landesgruppe Schweiz und aller ihr angeschlossenen Organisationen. Dieser Beschluss trat am 7. Mai 1945 in Kraft und wurde am 8. Mai eröffnet und vollzogen.

Vor allem zwei Gründe haben zu dieser Massnahme geführt. Das Deutsche Eeich stand unmittelbar vor dem vollständigen militärischen Zusammenbruch.

Damit hörte die Existenz der NSDAP in Deutschland als einziger Partei und Trägerin der Staatsgewalt ohne weiteres auf, da die Vernichtung des Nationalsozialismus eines der Hauptkriegsziele der siegreichen Alliierten war. Ein Weiterbestehen von nationalsozialistischen Auslandsorganisationen in der Schweiz konnte bei dieser Sachlage nicht in Frage kommen. Die formelle Auflösung der NSDAP Landesgruppe Schweiz und der ihr angeschlossenen Organisationen stellte ferner die rechtliche Grundlage dar für dio Entfernung der leitenden Personen der Organisationen aus der Schweiz. Die Entfernung dieser zum Teil stark belasteten Persönlichkeiten war eine Notwendigkeit im Interesse der äussern und innern Sicherheit des Landes. Die Ausweisung des Landesgruppenleiters Stengel wurde vom Bundesrat gleichzeitig mit dem Auflösungsbeschluss verfügt.

Mit dem Vollzug dos Auflösungsbeschlusses war die Bundesanwaltschaft beauftragt. Gestützt auf diesen Auftrag führte die Bundespolizei in Verbindung mit den kantonalen und städtischen Polizeiorganen am 8. Mai 1945 eine umfassende Polizeiaktion durch. Sämtliche Heime und Lokale der aufgelösten Organisationen wurden nach erfolgter Durchsuchung und SicherBtellung des vorgefundenen Materials geschlossen und versiegelt. Gleichzeitig sind auch bei allen Hoheitsträgern der Landesgruppe der NSDAP und bei den verantwortlichen Leitern der übrigen Organisationen Hausdurchsuchungen vorgenommen worden. Insgesamt wurden 364 solche Hausdurchsuchungen durchgeführt, die sich auf 21 Kantone wie folgt verteilten: Zürich 60 Bern 37 Luzern.

18 Schwyz 4 Obwalden .

l Nidwaiden .

2 Glarus .

7 Zug 7 Freiburg 8 Solothurn . 15 Basel-Stadt " 18 Basel-Land 15 Schaffhausen 25 St. Gallen 29 Graubünden 19 Aargau 39

54 Thurgau 18 Tessin 11 Waadt 14 Neuenburg 7 . . .

Genf 15 Die Vermögenswerte aller Organisationen sind sichergestellt worden.

Dabei wurde darauf Bedacht genommen, dass diejenigen Organisationen, die sieh vor allem mit sozialen Aufgaben beschäftigt hatten (Reichsdeutsche Hilfe, Deutscher Hilfsverein, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge), ihre sozialen Funktionen ohne erhebliche Störungen weiterführen konnten.

Allen in Betracht fallenden deutschen Staatsangehörigen ist vom Auflosungsbeschluss des Bundesrates unterschriftlich Kenntnis gegeben worden.

Ferner wurden sie zu den bereits bekannten Belastungen und dem beschlagnahmten Material einvernommen. Diese Vorkehren waren die letzten Vorbereitungen für die anschliessend durchgeführte Säuberungsaktion.

B. Tätigkeit der schweizerischen Rechtsextremisten auf Schweizergebiet.

1939--1940.

Das erste grössere Ermittlungsverfahren, das nach Kriegsausbruch gegen schweizerische Rechtsextremisten durchgeführt wurde, richtete sich gegen Angehörige der «Schweiz* Gesellschaft der Freunde einer a u t o r i t ä r e n Demokratie» (SGAD). Es wurde Ende September 1939 eingeleitet und bestätigte im wesentlichen, dass die SGAD nichts anderes war als eine Ersatzorganisation des im Dezember 1938 von Ernst Leonhardt aufgelösten Volksbundes. Als Zweck der SGAD bezeichneten deren Statuten a. «die Sammlung aller Freunde einer autoritären Demokratie», o. «die Aufklärung der Mitbürger durch Wort (auch Vorträge) und Schrift (auch periodisch erscheinende Mitteilungen) über die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vorteile einer autoritären Demokratie», c. «die Vorbereitung und Durchführung einer Initiative für eine entsprechende Totalrevision der Bundesverfassung (wie in Art. 118 und 120 der BV vorgesehen)».

Unter einer autoritären Demokratie war dabei nach den Aussagen des verhafteten Präsidenten Wilhelm Ehrler nichts anderes zu verstehen als ein nationalsozialistischer Führerstaat. Die meisten der in das Verfahren einbezogenen Mitglieder beteuerten die Harmlosigkeit ihrer Bestrebungen und insbesondere ihre Absicht, die politischen Ziele auf legalem Wege zu verfolgen.

Die gemachten Feststellungen über die Organisation und die Tätigkeit der Gesellschaft waren jedoch wenig geeignet, diese Versicherungen glaubhaft erscheinen zu lassen. Die Organisation der SGAD entsprach durchaus derjenigen einer nach dem Führerprinzip geleiteten politischen Kampforganisation gemäss deutschem nationalsozialistischem Vorbild. Insbesondere hatte die SGAD praktisch die Blockorganisatiön des Volksbundes beibehalten. Der tatsäch-

55 liehe Führer aller SGAD-Gruppen war dabei nicht der offizielle Basler Präsident Ehrler, sondern Ernst Leonhardt, der nach seinem Wegzug nach Deutschland die Organisation durch Mittelsmänner nach wie vor in der Hand-behielt. Die Mitgliederversammlungen fanden zum grössten Teil in Anwesenheit Leonhardts auf deutschem Boden statt. Bemerkenswert war auch, dass bei der Führung der Mitgnederkontrolle Geheimschrift verwendet wurde. Die Funktionäre führten Decknamen. Die Kassaführung erfolgte getarnt. Ferner hatte es Leonhardt für nötig befunden, die Buchführung seiner Gesellschaft ebenfalls in Deutschland, in Lörrach, führen zu lassen. Über die Mitghederzahl der verschiedenen SGAD-Ortsgruppen in der Schweiz machten die verhafteten Funktionäre der Organisation ungleiche Angaben. Gestützt auf beschlagnahmte Materialien war mit ca. 600 Mitgliedern zu rechnen.

Ihre Propaganda betrieb die SGAD durch Verbreitung von deutschem nationalsozialistischem Propagandamaterial, das z. T. von den Mitgliedern bei den Veranstaltungen in Deutschland gefasst oder durch Boten über die Grenze gebracht wurde, sowie: durch die sogenannten Mitteilungsblätter der SGAD. Der Inhalt dieser Mitteilungsblätter ist der schweizerischen Öffentlichkeit bekannt. Die Blätter enthielten neben Zitaten aus der deutschen nationalsozialistischen Presse eigene Artikel der SGAD, zum Grossteil aus der Feder von Leonhardt, die sich auszeichneten durch ihre Hetze gegen die Demokratie, durch eine masslose Kritik und Verächtlichmachung der schweizerischen Behörden, durch die skrupellose Verbreitung unwahrer Gerüchte und die Verherrlichung des Nationalsozialismus. Ihr Zweck war ganz offensichtlich der, die schweizerische demokratische Staatsform zu unterhöhlen und den Boden für die Errichtung eines nationalsozialistischen Führerstaates vorzubereiten.

Die polizeilichen Erhebungen hatten auch Indizien für das Bestehen eines Nachrichtendienstes gezeitigt. Die weitere Abklärung dieser Seite der Angelegenheit sowie des ganzen. Sachverhaltes überhaupt sollte die gerichtliche Voruntersuchung bringen. Mit Beschluss vom 30. Oktober 1989 erteilte der Bundesrat die Ermächtigung zur gerichtlichen Verfolgung von Leonhardt und sämtlichen Mitbeteiligten der SGAD. Die Sache wurde im ganzen Umfang den Straf behörden des Kantons Basel-Stadt zur Durchführung des
Strafverfahrens zugewiesen.

Trotz der hängigen gerichtlichen Untersuchung liess die SGAD auch fernerhin von ihrem Tun nicht ab. Das Jahr 1940 brachte vielmehr eine von Monat zu Monat zunehmende Tätigkeit der Organisation Leonhardts und dessen Bestreben, seme Ziele auf einer weiteren Basis zu verfolgen. Als Abschluss umfangreicher Kontrollen, Überwachungen und anderer polizeilicher Nachforschungen führte die Bundespohzei unter Mitwirkung kantonaler und städtischer Polizeiorgane am 22. Oktober 1940 in Basel, Zürich, Bern, Luzern, St. Gallen und Genf eine neue Polizeiaktion durch, wobei 43 Haussuchungen und zahlreiche Verhaftungen vorgenommen wurden. Diese Aktion und die bereits früher im Laufe des Jahres gemachten Feststellungen ergaben folgendes Bild über die neue Tätigkeit der SGAD: Führer der Gesellschaft war nach wie vor der in Deutsch-

56 land lebende Leonhardt. Zu ihm hatte sich inzwischen der bereits erwähnte Schweizer Franz Burri, ein fanatischer Nationalsozialist, gesellt. Leonhardt und Burri waren die eigentlichen geistigen Leiter der ganzen Organisation. Von ihnen stammte insbesondere der Grossteil der in der Schweiz verbreiteten Propagandaartikel. Durch Kurier wurden die Manuskripte über du Grenze geschmuggelt. In der Schweiz hatte der bald nach seiner Haftentlassung wieder aktiv gewordene Gottlieb Wierer seit Januar/Februar 1940 praktisch die Leitung inné. Nach dessen neuer Verhaftung im September 1940 wurde Hans Eenold Nachfolger. Die durch den Krieg bedingten Verhältnisse verhinderten die SGAD-Leute, weiterhin Veranstaltungen in Deutschland abzuhalten. Man begnügte sich mit Zusammenkünften der Funktionäre in kleinem Kreise, was nicht hinderte, dass die Propagandaaktionen in immer grösserem Umfange durchgeführt wurden. Neben den Mitteilungsblättern, die im Gegensatz zu früher nur noch den Mitgliedern zugestellt wurden, waren seit Januar 1940 periodisch erscheinende Publikationen, eine neue «Eidgenössische Korrespondenz» und der «Presse- und Informationsdienst der schweizerischen Erneuerungsbewegung» aufgetaucht. Beide wurden nacbgewiesenermassen ebenfalls von der SGAD hergestellt und in 500--1000 Exemplaren insbesondere an Behördemitglieder, Trup'penkommandanten, Zeitungsredaktionen und einzelne im öffentlichen Leben hervortretende Persönlichkeiten versandt. In der breiten Öffentlichkeit machte die SGAD durch «Flugblätter des VB NSSAP» und «Flugblätter des Aktionskomitees für die eidgenössische Erneuerung» Propaganda. Die Angriffe der SGAD-Propagandaschriften waren im Laufe des Jahres 1940 immer heftiger und skrupelloser geworden. Sie warfen dem Bundesrat und dem General Landesverrat und Neutralitätsbruch vor.

Das Schicksal unseres Landes werde in Berlin und Born entschieden. Deutschland und Italien würden «das Verhältnis der Kleinstaaten zum neuen Europa ordnen und, wo es notwendig ist, auch die inneren Verhältnisse in den Kleinstaaten in den richtigen Kontakt zur neuen Machtlage in Europa bringen».

Unverblümt wurde nunmehr auch die Abdankung der Landesregierung und die Machtübergabe an die schweizerischen Nationalsozialisten verlangt und offen zugegeben, dass die Erneuerungsbewegung danach trachtete, durch eine alle
Mittel erlaubende Revolution an ihr Ziel zu gelangen. Zur Unterstützung ihrer Propaganda verbreitete die SGAD weiterhin grosse Mengen deutschen Propagandamaterials. -- Mit Beschluss des Bundesrates vorn 8. November 1940 wurden auch die durch die neue Polizeiaktion aufgedeckten strafbaren Tatbestände den Strafbuhörden des Kantons Basel-Stadt zur Durchführung des Strafverfahrens überwiesen. Da die Tätigkeit der SGAD die äussere und innere Sicherheit des Landes in hohem Masse gefährdete, hielt es der Bundesrat ferner für notwendig, nunmehr auch mit einer administrativen Massnähme einzugreifen. Gemäss Art. 5, Abs. l der Demokratie-Schutzverordnung wurde daher gleichzeitig die SGAD sowie der Volksbund NSSAP aufgelöst und ihre Tätigkeit oder die einer Ersatzorganisation verboten.

57

Die gegen Ende Juni 1940 von einem kleinen Führerkreis ins Leben gerufene N azionale Bewegung der Schweiz (NB S) eröffnete ihre Tätigkeit mit einem Aufruf zur Sammlung, dessen Forderungen bereits eine zum mindesten fragwürdige Haltung der neuen Bewegung gegenüber der schweizerischen Neutralitätspolitik im allgemeinen und der schweizerischen Unabhängig* keit und Selbständigkeit im besondern erkennen Hessen. Auf Weisung des Bundesrates, der durch einen Bericht der Bundesanwaltschaft vom 2. August 1940 über die Vorgänge bei der neuen Organisation orientiert worden war, wurde die NB S von den Polizeiorganen des Bundes und der Kantone fortlaufend beobachtet. Diese Beobachtungen zeigten schon bald ein ziemlich rasches Anwachsen der neuen Organisation. Abgesehen von Mitgliedern bereits bestehender rechtsextremer Gruppen erhielt die neue Bewegung weitgehend auch Zuzug von Leuten, die bisher nicht als Bechtsextremisten hervorgetreten waren, die jedoch auf Grund der Kriegsereignisse im Sommer 1940 für eine Anpassung der Schweiz an die neue europäische Lage eintraten. Nachdem am 10. September 1940 Ernst Hofmann und Dr. M. L. Keller mit Jakob Schaffner vcm Bundespräsidenten empfangen worden waren, richtete die NB S bestimmte Forderungen an den Bundesrat: «1. Garantierung der verfassungsmässigen Eechte an die NB S als der Trägerin des neuen politischen und nationalen Gedankens. 2. Wiederzulassung der nationalen Presse bzw. Bewilligung zur sofortigen Herausgabe einer Tagesund einer Wochenzeitung. 8. öffentliche Rehabilitierung der Verfolgten und Inhaftierten des nationalen Kreises. 4. Wiedergutmachung der durch polizeiliche Massnahmen verursachten moralischen und wirtschaftlichen Schäden gegenüber den Angehörigen der Nationalen Bewegung.» Ein erstes behördliches Eingreifen gegen die Tätigkeit der NBS erfolgte am 1. Oktober 1940. Ernst Hofmann hatte am 25. September 1940 ein Bundschreiben an die Mitglieder der NBS gerichtet, das neben versteckten Drohungen gegenüber den Behörden eine wesentliche Verdrehung über den erwähnten Empfang durch den Bundespräsidenten sowie einen verleumderischen Vorwurf über die Aussenpolitik des Bundesrates enthielt. Das Bundschreiben wurde deshalb von der Bundesanwaltschaft zunächst beschlagnahmt und alsdann durch Beschluss des Bundesrates eingezogen.

Am 22. Oktober 1940 beschlossen
die Führer der ESAP und des BTE die Auflösung ihrer Organisationen und deren Verschmelzung mit der NBS als der «alleinigen Trägerin des neuen nationalen Gedankens unseres Landes». In der welschen Schweiz gingen die Organisationen «Mouvement populaire suisse» und «Mouvement helvétique» ebenfalls in die neue Sammelbewegung «Mouvement national suisse» ein.

Das Ziel der NBS war, wie aus dem in der Öffentlichkeit verbreiteten Propagandamaterial hervorging, die Übernahme der Macht in der Schweiz und die Neugestaltung des Staates als autoritären Führerstaat. Gemäss Wortlaut des Programmes sollte dieses Ziel auf dem in der Verfassung vorgeschriebenen Wege erreicht werden. Art. 3 der Satzungen erklärte, dass die NBS die Verwirklichung

58 ihrer Ziele auf dem Wege der verfassungsmässigen Bildung eines Mehrheitswillens erstrebe. Die Führer der neuen Bewegung benützten jede Gelegenheit, dieses Bekenntnis zu legalen Methoden des politischen Kampfes gegenüber den Behörden und der Öffentlichkeit zu erneuem und ihre Absicht zu unterstreichen, die Erneuerung der Schweiz auf rein schweizerischer Grundlage durchzuführen.

Bereits gewisse Ausführungen der von der NBS verbreiteten Schriften passten jedoch wenig zu diesen Zusicherungen. Die demokratische Staatsordnung, insbesondere die demokratische Führung durch Volksvertreter auf Grund von Wahlen wurde von der NBS abgelehnt und das bestehende Staatssystem als bankrott erklärt. Laut Programm war die angestrebte «Befreiung» von Volk und Wirtschaf t nicht durch Reform, sondern durch Revolution, durch die sogenannte «Nationale Arbeiterrevolution>> zu erreichen. Die Beteuerungen betreffend die schweizerische Grundlage der erstrebten Erneuerungen standen ferner in auffallendem Gegensatz zu der im Aufbau begriffenen Organisation der-NBS. Wohl waren die Gründer der Bewegung der Fübrerfrage, der Klippe, an der allein bereits viele rechtsextreme Hoffnungen zerschellt waren, durch die Schaffung einer aus 3 Mitgliedern bestehenden Führung (Ernst Hofmann, Dr. Alfred Zander, Dr. Max Keller) sowie eines Führerkreises und eines Führerrates ausgewichen. Im übrigen war aber die bereits vorhandene oder angestrebte Gliederung der NBS mit Blocks, Zellen, Ortsgruppen, Bezirken und Gauen weitgehend eine Nachbildung der deutschen Organisation der NSDAP.

Auf eine nähere Darstellung kann hier verzichtet werden, da die Presse seinerzeit einen «Auszug aus der politischen Organisation für Block- und Zellenwarte» der NBS, der Einzelheiten enthielt, veröffentlicht hat. Es war daraus die sehr weitgehende organisatorische und ideologische Anlehnung der NBS an die deutsche nationalsozialistische Bewegung ohne weiteres ersichtlich. Wenn auch die Führung der NBS nach Erscheinen dieser Publikationen von den fraglichen Anweisungen abrückte, aber zugab, dass vor der Durchführung der eigenen Organisation derartige Wegleitungen bestanden haben konnten, so war doch tatsächlich der Aufbau der NBS entsprechend diesen Weisungen erfolgt, und auch die ideologische Grundlage der Weisungen stimmte nach den vorliegenden Berichten und
Korrespondenzen mit dem Geist, der in den Kreisen der NBS herrschte, durchaus überein. Das Bild wurde ergänzt durch die festgestellte Gründung einer sogenannten «Nationalen Jugend der Schweiz», die, wie die NBS selbst, auf dem Führerprinzip aufgebaut war und. nach den Erfordernissen einer Kampfabteilung militärischer Art organisiert wurde. Eine weitere Belastung der NBS brachten andere Ergebnisse der polizeilichen Beobachtungen: An verschiedenen Orten war der Anschlussgedanke extremer Mitglieder schon in den damaligen Zeiten durchgesickert. In der Gruppe Luzern wurde eine Zeitlang der Gruss «Heil Hitler» geübt, ein äusserliches, aber weiteres Zeichen der weitgehenden Identifizierung mit der deutschen nationalsozialistischen Bewegung.

Am 1. November 1940 unterbreitete die Bundesanwaltschaft dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement einen neuen zusammenfassenden Bericht über die gemachten Beobachtungen. Bereits hatte das öffentliche Auftreten

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der NES im Schweizervolk eine starke Beunruhigung hervorgerufen. Die Existenz und Tätigkeit der neuen Bewegung extremster Observanz war geeignet.

im Lande Zerwürfniss und Entzweiung zu erzeugen, die zu gewaltsamen innerpolitischen Auseinandersetzungen führen konnten. Dabei musste bei dur damaligen Lage in Europa mit der weitern Gefahr gerechnet werden, dass sich das an der umstrittenen Ideologie interessierte Deutschland in derartige interne schweizerische Auseinandersetzungen einmischen könnte; neben der Gefährdung der innern Sicherheit lag daher auch eine Gefährdung der äussern Sicherheit des Landes vor. -- Angesichts dieser Situation und nachdem die NBS mit Schreiben vom 12. November 1940 zudem ultimative Forderungen an die Landesregierung gestellt hatte, beschloss der Bundesrat auch gegenüber der NBS von Art. 5 der Demokratieschutzverordnung Gebrauch zu machen. Gestützt auf das von der Bundesanwaltschaft gesammelte Material wurde die NBS mit Bundesratsbeschluss vom 19. November 1940 aufgelöst und ihre Tätigkeit, insbesondere die Herausgabe ihres Wochenblattes «L'Action nationale» sowie jedes andern Propagandainaterials verboten. Das Verbot bezog sich auch auf Ersatzorganisationen. Es betraf dies den BTE, die E S AP und die Organisationen der welschen Schweiz «Mouvement national suisse», «Mouvement helvétique» und «Mouvement populaire suisse». ·--· Noch gleichen Tags wurden die Käumlichkeiten der NBS und der NJS in Zürich, Luzern, Biel und Genf polizeilich durchsucht. Die Erhebungen bestätigten im wesentlichen die bereits vorher gemachten Feststellungen, die das Verbot der NBS als gerechtfertigt und notwendig erscheinen Hessen. Nach dem beschlagnahmten Material zählte die Bewegung im Zeitpunkt der Auflösung in 162 Städten und Ortschaften ca. 2220 Mitglieder.

Im Februar 1940 war der Landesführer der Nationalen Front in ein Ermittlungsverfahren wegen verbotenen Nachrichtendienstes einbezogen worden. Das Verfahren wurde im folgenden April mangels strafbaren Tatbestandes eingestellt. Noch während der hängigen Untersuchung -- anfangs März -- hatte es Dr. Tobler indessen für richtig befunden, die Nationale Front aufzulösen.

Bereits im Juni 1940 wurde jedoch von Tobler und seinem Kreis eine neue Bewegung, die «Eidgenössische Sammlung» (ES), ins Leben gerufen.

Schon aus den ersten Veröffentlichungen derselben ging hervor, dass es sich um eine eigentliche Ersatzorganisation der Nationalen Front handelte. Deren Anhängerschaft bildete im wesentlichen auch den ersten Mitgliederbestand der neuen Organisation. Die ES übernahm auch die 26 Programmpunkte der Nationalen Front. Im Kanton Schaffhausen nannte sich die Gruppe mit gleichen Zielen und Bichtlinien, die aber organisatorisch mit der ES nicht identisch war, «Nationale Gemeinschaft», Deren Gründung erfolgte im Juli 1940. Angesichts der «jüngsten militärischen und politischen.Ereignisse», auf die die

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erste Propagandaschrift der ES hinwies, hielten die Führer der ehemaligen Nationalen Front nach dem militärischen Zusammenbrach Frankreichs den Zeitpunkt für gekommen, wo sie im Schweizervolk auf grösseres Interesse für die Verwirklichung ihres Programms zu stossen hofften. Die Organe der zwei neuen Organisationen waren die «Front» und der «Grenzbote».

Die 26 Programmpunkte der Nationalen Front sind der Öffentlichkeit bekannt. Es kann daher darauf verzichtet werden, auf Einzelheiten des analogen Programmes der ES einzutreten. Im ganzen gesehen waren ihre politischen Ziele weniger extrem als diejenigen der bereits behandelten Gruppen SGAD, BTE, ESAP und NBS; schon in den Vorkriegsjahren hatten sich ja deswegen die SGAD-, ETE- und E S AP-Leute, die sich offen zum Nationalsozialismus bekannten, von der Nationalen Front getrennt. Andererseits sprachen auch die ES-Propagandascbriften offen von den gemeinsamen, weltanschaulichen Grundlagen, die die neue Organisation mit den «nationalen Bewegungen der übrigen Länder» verbänden, unter Betonung allerdings der «Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Bewegung gegenüber dem Auslande» und «der Notwendigkeit einer durchaus eigenartigen schweizerischen Gestaltung».

Für die schweizerischen Behörden bestand selbstverständlich aller Anlass, auch die Tätigkeit der ES, deren intensiver "Werbung ein gewisser Erfolg beschieden war, aufmerksam zu verfolgen. Der am 9. Juli 1940 erlassene Bundesratsbeschluss über die Kontrolle der politischen Versammlungen (A. S. 56, 1171) gab die Handhabe, insbesondere die Versammlungstätigkeit der neuen Bewegung zu kontrollieren und wo nötig einzuschränken. Von den Bestimmungen dieses neuen Erlasses wurde denn auch in der Folge insbesondere gegenüber der ES, deren Bestrebungen der Grossteil des Volkes nach wie vor ablehnte, weitgehend Gebrauch gemacht.

Ein Fall von militärischem und politischem Nachrichtendienst (militärischer Nachrichtendienst zum Nachteil eines ausländischen Staates), der zu Beginn des Jahres 1940 aufgedeckt wurde und wegen der Person des Hauptbeteiligten hier zu erwähnen ist, war die Strafsache Arthur Fonjallaz und Mitbeteiligte. Der ehemalige Instruktionsoffissier und Brigadekommandant Oberst Arthur Fonjallaz war im Jahre 1933 von'jeder Dienstleistung entbunden worden, da seine rechtsextreme politische Tätigkeit mit der weitern Ausübung seiner beruflichen Funktionen unvereinbar erschien. Da Fonjallaz durch seine Ausbildung als Berufsoffizier und seine frühere Tätigkeit als Dozent für Militärgeschichte an der ETH über ein umfassendes militärisches Wissen verfügte, wurde er indessen anfangs 1939 vom Chef des schweizerischen Nachrichtendienstes bei einer zufälligen Begegnung ersucht, über, anlässlich von Auslandreisen gemachte Beobachtungen von militärischer Bedeutung zu berichten. Fonjallaz gab in der Folge eine Anzahl derartiger, für den schweize-

61 rischen Nachrichtendienst bestimmter Berichte ab. In den ersten fünf Kriegsmonaten unternahm er erneut mehrere Beisen nach Deutschland. Verschiedene Umstände Hessen dabei den, Verdacht aufkommen, dass Fonjallaz damit unerlaubte Zwecke verfolgte. Er wurde daher am 25. Januar 1940, als er sich wiederum nach Deutschland begeben wollte, in Schaffhausen verhaftet. Die ·anschliessende Untersuchung ergab, dass Fonjallaz tatsächlich seit Kriegsbeginn einen militärischen und politischen Nachrichtendienst für Deutschland betrieben hatte. Die militärische Spionage erfolgte zum Nachteil Frankreichs.

Die auf diesem Gebiet überwiesenen Nachrichten, die an und für sich nicht sehr wertvoll waren, den deutschen Stellen aber immerhin nützlich sein konnten, verschaffte sich Fonjallaz durch Mittelsmänner, die nach Frankreich reisten.

Uni Schweizer für diesen Zweck zu gewinnen, scheute Fonjallaz nicht davor zurück, ihnen vorzutäuschen, die Nachrichten seien für die Schweiz bestimmt.

Der politische Nachrichtendienst bezog sich zum Teil auf Frankreich, zum Teil auf die Schweiz. In der Schweiz wurden vor allem die englische Presseagentur Exchange Telegraph sowie die polnische Vereinigung Pro Polonia bespitzelt.

Fonjallaz besorgte dies entweder selbst oder ebenfalls durch Dritte. Die genannte englische Presseagentur interessierte hauptsächlich deshalb, weil Fonjallaz glaubte, in deren Kreis die Urheber des Münchner Attentats gegen den deutschen Reichskanzler ausfindig machen ssu können, auf deren Ergreifung in Deutschland ein Preis ausgesetzt worden war. Die gesammelten Nachrichten militärischer und politischer Natur wurden entweder durch Fonjallaz selbst oder durch deutschschweizerische Grenzgänger an die deutschen Empfänger weitergeleitet. -- Durch Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 28. Februar 1941 ist Arthur Fonjallaz gestützt auf Art. 2 und 3 des Spitzelgesetzes (BB vom 21. Juni 1935) u. a. zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Vier Mitangeschuldigte erhielten Gefängnisstrafen von 6 und 12 Monaten.

1941.

Das Jahr 1940 war gekennzeichnet gewesen durch zwei wichtige bundesrätliche Verbote rechtsextremer antidemokratischer Bewegungen und durch die polizeilichen Ermittlungen, die die Unterlagen für diese Verbote lieferten.

1941 wurde zum Jahr der intensiven Fahndung und der sorgfältig vorbereiteten Polizeiaktionen gegen illegale, zum Grossteil in Zusammenarbeit mit deutschen Agenten entstandene Neugruppierungen, die eine für die Schweiz ausserordentlich gefährliche, zum Teil landesverräterische Tätigkeit ausübten.

Obschon durch das Verbot vom 8. November 1940 die Tätigkeit der «Schweiz. Gesellschaft der Freunde einer autoritären Demokratie» (SGAD) auch formell widerrechtlich geworden war, brachte auch 1941 neue Propagandaaktionen der mit Leonhardt und Burri verbundenen rechtsextremen Kreise. Die im Ausland lebenden geistigen Leiter der Organisation waren dem Zugriff der Schweizer Polizei leider entzogen. Aber auch in der Schweiz fanden die Leiter der Propaganda, wenn sie verhaftet wurden, immer wieder ihre Nachfolger, die zum voraus auf diesen Fall vorbereitet waren. Wie aus späteren

62 Erhebungen hervorging, hatte eine S G AD-Versammlung vom 21. November 1940 in Basel ausdrücklich beschlossen, trotz dem Verbot die Propaganda illegal weiterzuführen. Diesem Beschluss waren bereits am 26. November 1940 eine neue Strassenklebeaktion und am 2. Dezember 1940 eine Flugblattaktion gefolgt. Entsprechend hatten auch sofort wieder die polizeilichen Gegenmassnahmen eingesetzt, ein Ermittlungsverfahren, das im Laufe des Dezembers 1940 sukzessive zu verschiedenen Verhaftungen und zur Ergänzung der bei den Behörden des Kantons Basel-Stadt hängigen Untersuchung führte.

Das, was die SGAD-Propaganda des Jahres 1941 von derjenigen der früheren Perioden unterschied, war die Tatsache, dass auch Leonhardt jetzt seine demokratische Maske restlos fallen Hess. Offen erklärte er nunmehr mit Franz Burri, sie würden den illegalen Kampf gegen die Schweizer Eegierung so lange weiterführen, bis ihr Ziel, die Anerkennung Adolf Hitlers als einzigen Führer, erreicht sei. Ausdrücklich wandten sie sich dabei gegen eine «Verschweizerung des Nationalsozialismus », die sie in Bestrebungen anderer rechtsextremer Gruppen in der Schweiz erblickten. Zur Verfolgung ihres Zieles war von Leonhardt und Burri eine neue Bewegung, die «Nationalsozialistische Bewegung in der Schweiz» (NBidS), ins Leben gerufen worden. Es handelte sich dabei um nichts anderes als um einen neuen Namen für die bereits vorhandene- Anhängerschaft, zu der sich Mitglieder anderer Erneuerungsbewegungen gesellten, um eine Ersatzorganisation, die ohne .weiteres unter das bundesrätliche Verbot vom 8. November 1940 fiel. Besonders schwere Angriffe wurden in der SGAD-Propaganda des Jahres 1941 vor allem auch gegen die schweizerische Armeeleitung geführt. Neben Beschimpfungen des Generals wurde z.B. die unwahre Behauptung verbreitet, der schweizerische Generalstab und der General hätten mit dem französischen Generalstab Besprechungen gepflogen, wobei festgelegt worden sei, dass und auf welche Weise die Schweiz an der Seite Frankreichs gegen Deutschland in den Krieg eintreten werde. Ferner wurde versucht, im Volk den Keduitgedanken zu unterhöhlen.

Neuen Stoff erhielt die SGAD-Propaganda durch den Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und Eussland. Ende Juni 1941 richtete Leonhardt einen offenen Brief an den Bundesrat, worin er erklärte, dass es im
Kampf gegen Eussland auch für die Schweiz keine Neutralität mehr geben dürfe. «Unser Volk muss an diesem Kampf für Europa teilnehmen.» Es wurde verlangt, dass der Bundesrat die Strafbestimmungen betreffend Eintritt in fremden Kriegsdienst in diesem Fall nicht zur Anwendung bringe, und scbliesslich die Forderung erhoben, es sei die Hälfte der mobilisierten schweizerischen Armee für den Kampf gegen Sowjetrussland bereitzustellen. In verschiedenen Propagandaschriften wurde die Gründung eines schweizerischen Freiwilligenkorps unter Führung Leonhardts in Aussicht gestellt und für den Beitritt geworben.

Wie sich in der Folge zeigte, fand dieser Plan allerdings die Zustimmung der zuständigen deutschen Stellen nicht. Hingegen erfolgten ständig Eingliederungen von einzelnen schweizerischen Freiwilligen in die Waffen-SS.

63 Einen Fall für sich stellte die Korrespondenz der von Franz Burri geleiteten «Internationalen Presseagentur» (D?A) dar. Diese IPA-Korrespondenz war, wie bereits erwähnt wurde, im Jahre 1938 vom Bundesrat verboten worden.

Burri verlegte dann den Sitz der Agentur nach Wien und später, im Jahre 1940, nach Budapest. Im Gegensatz zu den übrigen Schriften, die von der SGAD beziehungsweise NBidS verbreitet wurden, gelangte die IPA-Korrespondenz bereits klischiert oder gedruckt in die Schweiz. Die .SGAD-Leute besorgten jedoch die Verbreitung der in unser Land gelangenden Exemplare. Eine ständige Hetze und skrupellose Angriffe gegen die Schweiz und ihre Behörden waren auch Inhalt der IPA-Korrespondenz. Ihre besondere Gefährlichkeit lag in der Tatsache, dass sie zum Grossteil im Ausland verbreitet wurde und dort ein vollkommen verzerrtes Bild über die Verhältnisse in der Schweiz vermittelte.

Die sich hauptsächlich im Sommer 1941 immer mehr zuspitzende Propaganda führte am 5. August 1941 zu einer neuen grössern Polizeiaktion, von der alle der Polizei bekannten aktiven SGAD-Mitgheder erfasst wurden.

Die gerichtliche Verfolgung übertrug der Bundesrat auf Antrag des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes diesmal, weil strafbare Tatbestände des Militärstrairechtes im Vordergrund standen, der Militärjustiz. Durch Urteil des Territorialgerichtes 3 A vom 28. April 1942 wurden Leonhardt und Burri der Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (StGB 266), des Deliktes der rechtswidrigen. Vereinigung (StGB 275), der wiederholten Beschimpfung einer Militärperson (M St G 101), der Anwerbung für fremden Militärdienst (M St G 94) und der Zuwiderhandlung gegen das Verbot des Volksbundes und des SGAD, Art. 2, Abs. 6 der Demokratieschutzverordnung schuldig erklärt und in contumaciam u. a. zu. fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Gegenüber den mitangeklagten SGAD-Leuten wurden Gefängnisstrafen von einem Monat bis zu einem Jahr ausgesprochen.

Ende 1941 kam es zu neuen polizeilichen Ermittlungen, welche sich hauptsächlich gegen die sogenannte Luzerner Linie der SGAD richteten, die sich auf besonders raffinierte- Art und "Weise vor allem der Abfassung und Verbreitung von Flugblättern, der Vervielfältigung und Abgabe von Nummern der «Eidgenössischen Korrespondenz» sowie der Durchführung von Streu-, Klebe-
und Malaktionen schuldig gemacht hatte. Die vom Bundesrat den Luzerner Behörden übertragene Untersuchung endigte mit einem Urteil des Kriminalgerichtes Luzern vom 11. Juni 1943, das gegen Leonhard und Burri Zusatzstrafen von je sechs Monaten Zuchthaus, gegenüber den übrigen Angeklagten Gefängnisstrafen von drei Monaten bis zu drei Jahren, verhängte.

Nach dem Verbot der Nationalen Bewegung der Schweiz (NB S) vom 19. November 1940 ergaben Feststellungen der politischen Polizei schon recht bald, dass sich auch hier neue Gruppen bildeten, die als Ersatzorganisationen in der Illegalität weiterarbeiteten. Die Anzeichen vermehrter Tätig-

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keit verdichteten sich bis zum Juni 1941 derart, dass die Bundesanwaltschaft den Zeitpunkt für ein neues Zugreifen als gekommen erachtete. Am 10. Juni 1941 wurde in Zusammenarbeit mit der kantonalen Polizei eine umfassende Aktion gegen die neuen rcchtsextremen Gruppen eingeleitet, eine Aktion, die sich über das Gebiet von 17 Kantonen ertreckte und zu 260 Haussuchungen und 131 Verhaftungen führte. Über Einzelheiten der durch diese Ermittlungen aufgedeckten Umtriebe gibt der Anhang in den Ausführungen über die Bundesstrafsachen Staiger und Mitbeteiligte, Büeler und Mitbeteiligte sowie Michel und Mitbeteiligte Aufschluss. Im chronologischen Zusammenhang folgt nachstehend eine kurze Zusammenfassung.

1. Die Zielsetzung der in die Polizeiaktion einbezogerien Leute der aufgelösten NB S, die von ihnen als «organische Lösung» bezeichnet und mit deutschen Parteikreisen erörtert wurde, kann etwa folgendermassen umschrieben werden : Neuordnung Europas als Eidgenossenschaft germanischer Stämme, mit den germanischen Eandstaaten in bündischem Verhältnis zum Eeich, mit Interessenvertretung Europas unter Beichsführung, angeblich ohne politische Abhängigkeit. Der Verwirklichung dieses Zieles dienten Beziehungen namentlich zum Hauptamt SS Berlin sowie zum «Volksbund für das Deutschtum im Ausland».

Vermittler der Beziehungen war der deutsch-schweizerische Doppelbürger Dr. med. Franz Biedweg, S S-Standartenführer in Berlin, sowie Dr. Ashton, ·deutscher Vizekonsul in Zürich, und Dr. Wilhelm Gröbl, der sich im Auftrage des deutschen Auswärtigen Amtes in Zürich aufhielt, wo er als Beamter des Generalkonsulates gemeldet war. -- Anlässlich einer Zusammenkunft in Berlin kamen Biedweg und der mit ihm, befreundete Dr. Heinrich Büeler, ein ehemaliges Mitglied des Führerkreises der NBS, Ende Januar 1941 überein, als Vorarbeit für die Verwirklichung dieser «organischen Lösung», die nach den Angaben Biedwegs im Gegensatz stand zu offenen Anschlussbestrebungen anderer deutscher Parteikreise, in der Schweiz eine «Fecbtgemoinschafti) aufzuziehen mit der Aufgabe, wie sie sich in Deutschland die SS gesetzt hatte.

Nach seiner B,ückkehr in die Schweiz trat dann Büeler diesen Auftrag an Othmar Maag ab, da dieser von sich aus mit ungefähr der gleichen Zielsetzung in Zürich unter dem Namen «Schweizerische Sportschule» bereits einige
Kameraden ' um sich gesammelt hatte. Durch Werbung von Mann zu Mann entstanden in der Folge bis zum Juni 1941 in der ganzen Schweiz mehrere Ortsgruppen dieser Sportschule, die periodisch unter der Leitung eines «Ortskommandanten» sportliche Übungen durchführten. Jede Ortsgruppe hatte gemass Befehlen.

Maags ein Alarmsystem einzurichten. -- Vom 15.--21. März 1941 fand in Peldldrch unter der Leitung Biedwegs ein sogenannter Schulungskurs statt, an welchem neben Angehörigen einer Reihe besetzter Länder auch Schweizer aus der Anhängerschaft Büelers und Maags teilnahmen. Der Kars bezweckte die Schulung über die Neugestaltung Europas, wie sie sich das Hauptamt SS vorstellte. Zum Abschluss wurden mehrere Schweizer, die als zuverlässig befunden worden waren, mit Handschlag und Unterschrift in Pflicht genommen. -- Maag selbst leitete nach den Weisungen Büelers über jedes Wochen-

65 ende Übungen in Kilchberg (Zürich), die vor allem der Unterrichtung, der körperlichen Ertüchtigung und der militärischen Erziehung der aus der ganzen Schweiz herreisenden Ortskommandanten der Sportschule und ihrer Stellvertreter dienten. Auch Maag liess im Mai 1941 mehrere Teilnehmer ein Gelöbnis der Treue zur «Idee» und u. a. zur absoluten Schweigepflicht ablegen. Am 1. und 2. Juni 1941 fand unter seiner Führung ein Ausmarsch der Sportschule ins Eigental (Luzorn) statt, wobei neben sportlichen auch eigentliche militärische Übungen durchgeführt wurden. Das erste Ziel der Gründer der Sportschule war, bis Ende Juni 1941 eine Organisation von ca. 800 Leuten aufzustellen, damit Biedweg in seinem Eeferat vor dem Beichsführer der SS zugunsten der «organischen Lösung» darauf Bezug nehmen könnte. Aus der gleichen Überlegung heraus unterzeichneten Büeler und 13 andere schweizerische Bechtsextremisten eine für das SS-Hauptamt bestimmte «Solidaritätserklärung», die Biedweg zugestellt wurde. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Büeler beabsichtigte, mit der Sportschule als schweizerischer SS ein militärisches Machtmittel in die Hand zu bekommen, das den auf die «organische Lösung» des Verhältnisses zwischen der Schweiz und Deutschland hin arbeitenden schweizerischen Nationalsozialisten bei der Änderung der Verfassung und der Einsetzung einer nationalsozialistischen, dem Deutschen Beiche gefälligen Begierung mit Gewalt nachhelfen würde. Zur Führung der Sportschule und zum Besuch des Schulungslagers in Feldkirch stand deutsches Geld zur Verfügung, das Biedweg Büeler anlässlich ihrer Besprechung zugesichert hatte und das dein letztem durch Gröbl ausgehändigt wurde. Bis zum Juni 1941 wurde auf diese Weise unter mehreren Malen ein Gesamtbetrag von FY. 9000 ausbezahlt.

Auch in der welschen Schweiz hatte die Organisation «Mouvement national suisse» ihre Tätigkeit nach dem 19. November 1940 illegal fortgesetzt. Ohne Unterbrechung wurde die Werbung u. a. im Wallis weitergeführt, wo sich die allerdings nicht gehr zahlreichen Mitglieder der Bewegung um das bundesrätliche Verbot sozusagen überhaupt nicht kümmerten. In den andern Kantonen war die illegale Tätigkeit des MNS hauptsächlich Ende Februar 1941 vermehrt bemerkbar. Als führende Persönlichkeit galt und wirkte nach wie vor der frühere Chef der Bewegung in
der welschen Schweiz, Walter Michel. In seinem Auftrag reiste sein Sekretär im Lande herum, um die Verbindung mit den ehemaligen Mitgliedern wieder aufzunehmen. Die neue illegale Tätigkeit des MNS erfolgte weitgehend in Anlehnung an die entsprechende Aktivität in der deutschen Schweiz. Die schweizerische Sportschule fand Anklang. Verschiedene ehemalige Mitglieder des MNS nahmen an den Kursen in Kilchberg und am Ausmarsch ins Eigental teil. Bereits war auch die Gründung eines der Schule Maag entsprechenden «Sporting Club Suisse» in Aussicht .genommen. Im übrigen fanden wiederholt geheime Zusammenkünfte des illegalen MNS statt mit dem Zweck, die Teilnehmer in ihrer politischen Überzeugung zu bestärken und weiter zu schulen. Walter Michel selbst war einer der Mitunterzeichner der erwähnten Solidaritätserklärung. Die polizeiBundesblatt,

98. Jahrg. Bd. I.

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lichen Ermittlungen vom Juni 1941 erfassten auch diese rechtsextreme Aktivität in der welschen Schweiz.

2. Die Gründung eines deutschen Staatsangehörigen war die Organisation der «Freunde Deutschlands», nach ihrem Ausgangspunkt, dem Hotel Speer in Zürich, auch « K a m p f b u n d Speer» genannt. Das Hotel Speer war ein bekannter Treffpunkt schweizerischer Rechtsextremisten und deutscher Nationalsozialisten in der Schweiz. Ab Februar 1941 hatte sich dort der Deutsche Wilhelm Staiger an verschiedene nationalsozialistisch eingestellte Schweizer herangemacht, um sie in einer neuen, geheimen Organisation zusammeiizuschliessen. Sein Tun blieb nicht ohne Erfolg. Zunächst in Zürich, dann aber auch in Thalwil, Baden und Attinghausen stellten sich Schweizer für die neue Organisation zur Verfügung. Staiger erklärte seinen Anhängern, dass die schweizerischen Erneuerungsbewegungen von den deutschen Stellen nicht anerkannt würden, dass dagegen seine Organisation diese Möglichkeit habe, wenn es etwas gebe. Er forderte ausdrücklich, zunächst keine gegen aussen in Erscheinung tretende politische Aktion zu unternehmen. Sein Plan war, nach dem Muster, das sich in Österreich, Norwegen etc. bewährt hatte, einen zuverlässigen Stamm überzeugter schweizerischer Nationalsozialisten zu sammeln, zu organisieren und zu schulen, welche in fanatischer Verehrung des deutschen Führers zu jedem von Hitler befohlenen Tun, gegebenenfalls zu Aktionen der Fünften Kolonne, bereit wären. Die Mitglieder der Organisation Staiger grüssten sich entsprechend, zum Teil sogar öffentlich, mit dem Hitlergruss. Sie anerkannten den deutschen Eeichskanzler als einzigen Führer.

Dass die oder wenigstens einzelne «Freunde Deutschlands» wirklich zu allem bereit waren, zeigte ein Fall von Verrat militärischer Geheimnisse durch Mitglieder der Gruppe Altdorf (Attinghausen), der durch die polizeilichen Ermittlungen vom Juni 1941 aufgedeckt wurde. Auf Veranlassung Staigers und des Kampfbundmitgliedes Joseph Wipfli entwendete Emil Menti, ebenfalls ein Angehöriger des Kampfbundes Speer, in der eidgenössischen Munitionsfabrik Altdorf einen Zeitzünder 7,5 cm Fliegerabwehrkanone. Dieser gelangte in der Folge durch Staiger nach Deutschland. Anlässlich der Haussuchung in der Wohnung Staigers wurde ferner ein detaillierter Plan der genannten Munitionsfabrik
aufgefunden, der von Joseph Wipfli mit einem Gesinnungskameraden angefertigt und vom erstem an Staiger übergeben worden war zwecks Weiterleitung an deutsche Agenten.

Eine Nebengruppe, deren Mitglieder zum Teil auch dem « Kampf bund Speer» angehörten, die jedoch im Gegensatz zu dieser Organisation Staigers auch gegen aussen durch Flugblattaktionen in Erscheinung trat, war das sogenannte « K a m p f s t a f f e l - K o m m a n d o Zürich», das Ende Februar 1941 vom spätem «Kreisleiter» des Kampfbundes Erwin Sennhauser gegründet wurde. Dessen Absicht war, mit seinen Freunden eine nationalsozialistische Organisation zu bilden, mit welcher sie, sobald stark genug, losschlagen d. h. wichtige Punkte besetzen und eine deutschfreundliche, nationalsozialistische Eegierung einsetzen wollten. Dabei wurde auf die Mithilfe Deutseh-

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lands gerechnet. Die im Laufe der Untersuchung erhaltenen Aussagen über diese kleine aber ebenfalls gefährliche Gruppe h'essen nicht den geringsten Zweifel übrig, das» man es hier mit einer ausgesprochenen Organisation der Fünften Kolonne zu tun hatte. Sennhauser hatte sich ebenfalls mit der Gründung einer Jugendorganisation unter dem Namen «Junge Schweizer Garde» befasst. Diese hätte in der Schweiz ungefähr das werden sollen was die Hitlerjugend in Deutschland. Die diesbezüglichen Bestrebungen gelangten jedoch bis zu der am 24. Mai 1941 erfolgten Verhaftung Sennhausers nicht über einige Vorarbeiten für die Werbung hinaus.

Durch die Polizeiaktionen vom 10. Juni 1941 fanden die Umtriebe der Organisation Staiger und des «KampfStaffel-Kommandos Zürich» ihr Ende.

3. Weitere Organisationen, mit denen sich die Polizei am 10. Juni 1941 befasste, waren der «National-Bernische Sportverein», die «Soziale Volkspartei der Schweiz», die «Helvetisch-National-Soziale Volksbewegung» und die sogenannte «Leistungs- Gemeinschaft ».

Der National-Bernische Sportverein war nicht von grosser Bedeutung und wird hier einzig der Vollständigkeit halber erwähnt. Es handelte sich um einen zahlenmässig kleinen Ableger der Schweizerischen Sportschule, wobei sich die Gruppe indessen schon im Dezember 1940 gebildet und unter Leitung des ehemaligen Gauleiters der NBS für den Kanton Bern, Karl Kyburz, direkt Büeler unterstellt hatte. Ihre Tätigkeit war nicht von langer Dauer.

Seit dem Verbot der NBS, namentlich aber seit Anfang 1941, hatten in Bern häufig geheime Zusammenkünfte von Anhängern politischer Erneuerungsbewegungen stattgefunden. Unter den Teilnehmern befanden sich hauptsächlich ehemalige Mitglieder der NBS sowie solche der seinerzeitigen nationalsozialistisch eingestellten «Blitzgruppe» und einer dissidenten Gruppe der Jungbauernbewegung. Im Februar 1941 entstand hier zunächst ein Zweigverein Bern der bereits erwähnten und als Instrument der deutschen nationalsozialistischen Kulturpropaganda gekennzeichneten « Gesellschaft zur Förderung kulturellen Lebens». Anfangs März 1941 gründeten dann 14 Schweizerbürger aus diesem Kreis als geheime Organisation die «Soziale V o l k s p a r t e i der Schweiz» (SVPS) mit dem Zweck, die Mitglieder im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung zu schulen. Die Leitung lag in
den Händen von Fürsprecher Hans Lindt und Dr. Hans Mühlemann. Mühlemann stand seinerseits in Verbindung mit dem ehemaligen Führerkreis der NBS. Einzelne Mitglieder der SVPS waren auch in der Schweizerischen Sportschule tätig.

Im Februar 1941 entstand in Bern eine eigene Ortsgruppe dieser Schule, die nach den Weisungen Maags ihre Übungen durchführte. Durch die gegen die SVPS gerichteten polizeilichen Erhebungen vom Juni 1941 wurde ebenfalls ein Fall von Verletzung militärischer Geheimnisse aufgedeckt, an dem neben den SVPSMitgliedern Sulser Otto, Lindt und Mühlemann u. a. auch ehemalige leitende Persönlichkeiten der NBS, nämlich Heinrich Wechlin, Eudolf Schlatter, Max Keller und Heinrich Büeler beteiligt waren. Es handelte sich um die Erstellung von Abschriften des geheimen Protokolls einer militärischen Polizeikonferenz

68 über die Bekämpfung der staatsgefährlichen Propaganda in der Armee und um die Weiterleitung dieser Abschriften, wobei bei Wechlin und Keller im Gegensatz zu den übrigen Beteiligten erwiesen war, dass sie die Absieht hatten, die Schriftstücke an deutsche Stellen auszuliefern.

Über einen Mitgliederbestand von ca. 230 Mann verfügte die in Zürich entstandene «Helvetisch-National-Soziale Volksbewegung» (HNSVB).

Die nationalsozialistische Grundlage der Organisation, die der «Fassung breiter Massen» dienen sollte, war schon aus den Statuten ersichtlich. Die schweizerischen demokratischen Einrichtungen wurden abgelehnt, andererseits «Anschlussgedanken» abgestritten. Die Fahne der HNSVB zeigte ein Schweizerkreuz mit einem Hakenkreuz in der Mitte. Festgestellte Beziehungen bestanden zu Maag, dem Leiter der Schweizerischen Sportschule. Zu der beabsichtigten Gründung einer Sportgruppe innerhalb der HNSVB war es allerdings bis zur Polizeiaktion vom 10, Juni 1941 nicht gekommen. Später ist die HNSVB nicht mehr in Erscheinung getreten.

Als Ersatzorganisation der NB S war im Einvernehmen mit dem ehemaligen Führerkreis ferner die sogenannte «Leistungsgemeinschaft» gegründet worden, in deren Bahmen einige Mitglieder der Bewegung getarnt ihre politische Tätigkeit fortgesetzt hatten. Auch dieser Organisation wurde im Juni 1941 ein Ende gesetzt.

Die durch die Polizeiaktion vom 10. Juni 1941 und die anschliessenden Untersuchungen aufgedeckten strafbaren Handlungen fanden ihre gerichtliche Erledigung hauptsächlich in zwei Militärgerichtsurteilen und in drei Urteilen des Bundesstrafgerichtes. Durch Urteil des Territorialgerichtes 8 A vom 29. Januar 1942 wurden die Täter in der Strafsache betreffend die. Munitionsfabrik Altdorf mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren bestraft. Ein Urteil der gleichen Instanz vom 20. Februar 1942 betreffend das geheime Protokoll der militärischen Polizeikonferenz sprach Strafen von vier Monaten Gefängnis bis zu sechs Jahren Zuchthaus aus. Die drei im Anhang dieses Berichtes auszugsweise wiedergegebenen Entscheide des Bundesstrafgerichtes, deren Dispositiv seinerzeit in der Presse veröffentlicht wurde, verhängten folgende Strafen: Bundesstrafgerichtsurteil vom 10. Dezember 1948 i. S. Staiger und Mitbeteiligte wegen Gefährdung der Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft, Vergehen gegen die
Demokratieschutzverordnung sowie wegen Einrichtung und Betrieb von Propagandastellen zugunsten von Kriegführenden: Freiheitsstrafen von zwei Monaten Gefängnis bis zu vier Jahren Zuchthaus (bei den meisten Verurteilten handelte es sich um Zusatzstrafen). Bundesstrafgerichtsurteil vom 18. März 1944 i. S. Büeler und Mitbeteiligte wegen Gefährdung der Unabhängigkeit und der verfassungsmässigen Ordnung der Eidgenossenschaft : Freiheitsstrafen von zwei Monaten Gefängnis bis zu vier Jahren Zuchthaus. Bundesstrafgerichtsurteil vom 17. Juni 1944 i. S. Michel und Mitbeteiligte wegen Gefährdung der Unabhängigkeit und der verfassungsmässigen Ordnung der Eidgenossenschaft

69 sowie wegen Widerhandlung gegen die Kontrolle politischer Versammlungen und die Neutralitätsverordnung: Freiheitsstrafen von vier bis 16 Monaten Gefängnis.

^ .,, * Die Eidgenössische Sammlung, die auch im Jahre 1941 in Versammlungen und durch die Herausgabe von Schriften eine rege Tätigkeit entfaltete, wurde nach wie vor ständig beobachtet. Die Kantone handhabten dieser Organisation gegenüber den Bundesratsbeschluss vom 9. Juli 1940 über die Kontrolle der politischen Versammlungen im allgemeinen so, dass Veranstaltungen nur in geschlossenem Kreise gestattet wurden. Ausserdem erfolgte eine polizeiliche Überwachung der bewilligten Versammlungen. In diesem Zusammenhang ist auch ein Kreisschreiben des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes zu erwähnen, das allgemein für die Überwachung politischer Versammlungen in Anlehnung an die geltenden Richtlinien für die Presse Weisung gab, Eeferate und Ausführungen einzelner Eedner, welche direkt zu einem neutralitätswidrigen Verhalten aufforderten oder anreizten, nicht zu dulden; ausserdem hatte jede Diskussion über die schweizerische Neutralität, welche deren Aufrechterhaltung gefährdete, zu unterbleiben.

Die Tätigkeit der Eidgenössischen Sammlung war in den verschiedenen Gegenden ungleich stark. Je nach den örtlichen Verhältnissen wurden von den kantonalen Behörden die entsprechenden Uberwachungs- und Einschränkungsmassnahmen getroffen. Die Polizei der Kantone stand dabei in Verbindung mit der Bundesanwaltschaft, die über alle Feststellungen laufend orientiert wurde. An eidgenössischen Massnahmen des Jahres 1941, die sich gegen die ES richteten, sind zwei zu erwähnen. Durch Verfügung der Abteilung Presse und Funksprucn wurden die «Front» und der «Grenzbote» im Frühjahr 1941 für drei Monate im Erscheinen eingestellt. Mit Beschluss vom 6. Juli 1941 verhängte der Bundesrat ferner wegen wiederholter Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung ein Eedeverbot gegenüber dem ES-Mitglied Eeallehrer Karl Meyer, Schaffhausen.

Als neue Gruppe der ES entstand im Frühjahr 1941 die Organisation der «Freunde der Erneuerung». Das neue Gebilde war für Personen bestimmt, die mit der ES sympathisierten, die jedoch aus irgendwelchen Gründen nicht offiziell Mitglied derselben werden wollten. Im Eahmen der neuen Untergruppe hatten sie -- wie sich die ES selbst
ausdrückte ·-- « Gelegenheit, als stille Freunde der Erneuerung, die nirgends registriert sind und daher auch keine Indiskretion zu befürchten haben», die Sache der ES zu unterstützen.

1943--1948.

Die Polizeiaktionen des Jahres 1941 waren, wie man insbesondere heute rückblickend feststellen kann, bereits wichtige Schläge gegen die nationalsozialistische Tätigkeit in unserem Lande. Noch stand jedoch 1942 das Dritte Eeich, auf dessen Karte die schweizerischen Eechtsextremisten setzten, auf den

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Kriegsschauplätzen in der Offensive. Ein Eückgang der deutschen Spionagetätigkeit gegen die Schweiz war keineswegs festzustellen, im Gegenteil! Die schweizerischen Nationalsozialisten auf deutschem Gebiet hetzten und wühlten eifriger denn je. Der Abwehrkampf gegen alle die Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes gefährdenden Umtriebe war daher, wie der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes an einer vaterländischen Kundgebung vom 16. April 1942 ankündigte, mit aller Kraft und in Zusammenarbeit' zwischen Volk und Behörden weiterzuführen, Marchsteine dieses Abwehrkampfes in der Berichtsperiode 1942/43 wurden der Bundesratsbeschluss über Straf- und Verfahrensbestimmungen zum Schutze der Landesverteidigung und der Sicherheit der Eidgenossenschaft vom 4. August 1942 (der Erläss brachte u. a. die einheitliche mihtärgerichtliche Aburteilung und damit eine schärfere Bestrafung sämtlicher Fälle des gegen unser Land gerichteten militärischen Nachrichtendienstes), die bundesrätlichen Verbote der «Nationalen Opposition», der «Eidgenössischen Arbeiter- und Bauernpartei», der «Eidgenössischen Sammlung» und der «Nationalen Gemeinschaft Schaffhausen» vom 29. Dezember 1942, 25. Mai und 6. Juli 1943 sowie der Bundesratsbeschluss vom 18. Mai 1943 über Ausbürgerung.

Eine Angelegenheit, die die Behörden und die Öffentlichkeit im Jahr 1942 stark beschäftigte, war die, dass mehrere der führenden, 1941 verhafteten Rechtsextremisten nach den gemäss geltendem Prozessrecht vom Vorsitzenden der zuständigen Militärgericht© sowie vom Untersuchungsrichter verfügten Haftentlassungen nach Deutschland flüchteten. Sie verschwanden allerdings auch so aus dem politischen Leben der Schweiz, was mit zur Verminderung der rechtsextremen Umtriebe beitrug. Die Tatsache, dass sich diese zum Teil stark belasteten und gefährlichen Elemente der Bestrafung entziehen und im Ausland ihre Umtriebe gegen das Land fortsetzen konnten, verletzte jedoch in hohem Masse das Rechtsgefühl des Schweizervolkes und war auch politisch höchst unbefriedigend. Sie gab Anlass, dass im Bundesratsbeschluss vom 4. August 1942 über Straf- und Verfahrensbestimmungen zum Schutze der Landesverteidigung und der Sicherheit der Eidgenossenschaft eine Bestimmung aufgenommen wurde, nach der beim Vorhegen bestimmter, gegen den Staat gerichteter strafbarer
Handlungen eine Untersuchungs- und Sicherheitshaft auch angeordnet und aufrechterhalten werden konnte, wenn Grund zur Annahme bestand, dass der Beschuldigte seine staatsgefährliche Tätigkeit fortsetzen werde. Eine andere Vorschrift des gleichen Erlasses gab dem Strafrichter die Möglichkeit, beim Vorliegen der gleichen Voraussetzungen in schweren Fällen oder bei Rückfall neben einer Freiheitsstrafe zusätzlich auf Verwahrung bis zu 8 Jahren zu erkennen.

Wie in den Ausführungen über die frühern Kriegsjahre seien auch für den Zeitraum 1942/43 die propagandistischen Umtriebe der Spiessgesellen Leonhardts und Burris (Nationalsozialistische Bewegung in der Schweiz)

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vorweg erwähnt. Sie fanden in der Berichtsperiode ihr Ende durch eine Aktion der politischen Polizei in Basel vom März 1943. Unter den Pröpagandaschriften, die bis zu diesem Zeitpunkt noch zur Verbreitung gelangten, stachen die Eidgenössischen Korrespondenzen und ein Pamphlet durch ihre besondere Ausfälligkeit hervor. Das Pamphlet bezeichnete den General als den «gefährlichsten Landesverräter aller Zeiten», als «Staatsfeind Nr. l», im Hinblick auf den Ausbau des Beduit ferner als «zerstörungswütigen Säbelrassler». «Es gibt keine schweizerische Nation ! ... "Wir gehören zum gesamten deutschen Volk !

... Der Bundesanwalt und seine bezahlten Trabanten sind die Prügelgarde eines bereits vom Tode gezeichneten Systems ! ... Wir werden nicht ruhen und rasten, bis das Hakenkreuz über der Kuppel des Bundeshauses flattert...», so tönte es aus dem Jahrgang 1942 der Eidgenössischen Korrespondenz. Verbreitet wurden die Elaborate durch neue Nachfolger des damals ständig inhaftierten Wierer, vor allem ab Lörrach und Basel. Nach langen Bemühungen der Polizei gelang es schlussendlich, auch diese letzten Verbindungen der NBidS-Leute in der Schweiz mit Leonhardt aufzudecken. Die neuen strafbaren Handlungen fanden zusammen mit den bereits früher den baselstädtischen Behörden zugewiesenen Tatbeständen ihre gerichtliche Erledigung in einem Urteil des Strafgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 28. August 1944. Die Motive dieses Entscheides enthalten gestützt auf das gesamte, im Laufe der Jahre gesammelte Beweismaterial folgende Zusammenfassung über die Tätigkeit Leonhardts und seiner Anhänger: «Zusammenfassend kann festgestellt und als hinreichend bewiesen angenommen werden, dass sich über alle fünf Phasen der strafbaren politischen Betätigung der SGAD und ihrer Nachfolgeorganisationen weder Leitung noch Zweck und Ziel geändert haben; gewechselt haben nur Äusserlichkeiten: Die ausführenden Organe Leonhardts, die Namen der Bewegungen und Propagandaschriften und der in diesen herrschende, der jeweils bestehenden aussen- und innenpolitischen Situation der Schweiz angepasste Ton. Vom Volksbund bis zum März 1943 ist eine grosse, immer dem gleichen Endpunkt zustrebende Linie zu verfolgen: Leonhardt und seine Trabanten wollen mit Hilfe eines ausgeklügelten, mit skrupellosen Mitteln arbeitenden Propagandasystems die Schweiz in
einen nationalsozialistischen Führerstaat umwandeln. Dies aber ist ohne völlige Preisgabe der geltenden verfassungsmässigen Ordnung und ohne Missachtung prinzipieller schweizerischer Staatsauffassungen undenkbar.

Der dem Nationalsozialismus wesensbedingte Totalitätsanspruch erträgt keine Zusammenarbeit mit andern Parteien; die Entwicklung in Ländern wie z. B.

Norwegen und Österreich, wo der Nationalsozialismus zur Mitarbeit im Staate zugelassen wurde, ist hinreichend bekannt. Unwillkürlich drängt sich einem die Ähnlichkeit zwischen der ,,Nationalen Bewegung" in Norwegen, der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich und der SGAD bzw. NBidS und den Führern Quisling, Dr. Seyss-Inquart und Leonhardt auf. Auch zeitlich herrscht eine eigenartige Übereinstimmung: Der Norweger Quisling gestaltet im März 1940 seine Partei um, und schon wenige Wochen später fährt die deutsche Kriegs-

72 marine in 'den Fjord von Oslo; im März 1988 verlangt Seyss-Inquardt unbeschränkte Versammlungs- und Bedefreiheit, wird an Stelle von Schuschnigg Bundeskanzler und ersucht wenige Stunden später Hitler um Entsendung deutscher Truppen; im Dezember 1988 löst Leonhardt den VB auf und gründet die SGAD, im Frühjahr 1940 verlangt er den Eücktritt des Bundesrates und die Übergabe der Macht an iTin und die schweizerischen Nationalsozialisten, um wie die beiden andern sein Land unter dem Schutz des siegreichen Deutschen Reiches in das neue Europa hineinzuführen. Die feste Haltung von Bundesrat und Armeeleitung, wie auch der kantonalen Behörden und die Einsicht und politische Eeife des überwiegenden Teils unserer Bevölkerung, die die Gefährlichkeit der Leonhardtschen und anderer nationalsozialistischer Bewegungen für die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft erkannten, bewahrten uns vor einem ähnlichen Schicksal.» Das Urteil des Strafgerichtes des Kantons Basel-Stadt verhängte -gegenüber Leonhardt und Burri in contumaciam neue Zusatzstrafen von 10 bzw.

7 Jahren Zuchthaus. 45 Mitangeschuldigte erhielten Freiheitsstrafen von l Monat Gefängnis bis zu 4 Jahren Zuchthaus.

Zwei neue rechtsextreme Organisationen, deren Betätigung, wie schon angedeutet wurde, zu ausdrücklichen Verbotsverfügungen des Bundesrates führte, waren die «Nationale Opposition» (NO) und die «Eidgenössische Arbeiterund Bauernpartei» (EABP).

Der Gründer der «Nationalen Opposition», Mario Karrer, hatte sich bereits im Jahre 1941 mit der Organisation einer «Vaterländischen Bewegung» befasst. Unter seiner Führung trat dann das neue Gebilde in St. Gallen im Frühjahr 1942 unter dem Namen «Nationale Opposition» in Erscheinung.

Die NO konstituierte sich als eigentliche Partei und beteiligte sich an den Kantonsratswahlen, wobei es ihr gelang, einen Sitz zu erringen. Sie entwickelte anschliessend insbesondere in der Ostschweiz, wo sich an verschiedenen Orten neue Untergruppen bildeten, an Versammlungen Und durch Schriften eine rege Tätigkeit. Da es sich bei den Mitgliedern vielfach um Angehörige früherer aufgelöster oder verbotener reehtsextremer Organisationen insbesondere der NBS handelte, wurde die NO scharf überwacht. Die dabei gemachten Beobachtungen Hessen gegen Ende des Jahres 1942 keine Zweifel mehr bestehen, dass die neue Organisation Ziele verfolgte, die mit der Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit und der Neutralität der Eidgenossenschaft nicht zu vereinbaren waren und die Sicherheit des Landes gefährdeten. Die NO propagierte die nationalsozialistische Weltanschauung und trat insbesondere für das «Neue Europa» unter der Führung des deutschen Eeichskanzlers ein. Dabei wurden an den Versammlungen die demokratischen Einrichtungen der Schweiz herabgewürdigt und verächtlich gemacht. Zu diesen Feststellungen kam die Tatsache, dasa mehrere Mitglieder der NO, darunter der geschäftsführende

73 Sekretär, wegen politischen Nachrichtendienstes in Strafuntersuchung gezogen werden mussten. Eine am 17. November 1942 durchgeführte Polizeiaktion mit Haussuchungen (u. a. im Bureau der Geschäftsleitung der NO) ergab, dass die fraglichen Leute die politische Gesinnung und Tätigkeit von Einwohnern der Schweiz bespitzelt und einem deutschen Agenten darüber Bericht erstattet hatten. Angesichts dieser Eesultate der polizeilichen Ermittlungen und nachdem das Polizeidepartement des Kantona St. Gallen bereits von sich aus ein allgemeines Versammlungsverbot gegenüber der neuen Organisation erlassen hatte, beschloss der Bundesrat am 29. Dezember 1942 die Auflösung der Nationalen Opposition. Jede Tätigkeit der NO und allfälliger Ersatzorganisationen wurde verboten. Nach einer Bestimmung des Verbotsbeschlusses war der Vertreter der NO aus dem Grossen Bat des Kantons St, Gallen auszuschliessen. Der erwähnte Fall von politischem Nachrichtendienst führte zu einem Urteil des Bezirksgerichtes Arbon vom 20. September 1948, das Gefängnisstrafen von 8 und 4 Monaten verhängte.

Das Programm der am 1. August 1941 von Lothar Zumofen in Basel gegründeten «Eidgenössischen Arbeiter- und Bauernpartei» (EABP) enthielt ebenfalls weitgehend nationalsozialistisches Gedankengut. Die Partei trat durch Bundschreiben an ihre Mitglieder, Flugblätter und Propagandazettel in Erscheinung. Die von der Polizei überwachten Veranstaltungen (Mitgliederversammlungen und Kulturfihnveranstaltungen) waren, obschon die Partei in ihren besten Zeiten 850--400 Mitglieder zählte, gewöhnlich nur schwach besucht und gaben an und für.sich vom Gesichtspunkt des Staatsschutzes zu keinen Beanstandungen Anlass. Die enge Anlehnung an Deutschland war immerhin auch in den an diesen Veranstaltungen gehaltenen Eeden unverkennbar, wenn auch die Parteileitung immer wieder betonte, die EABP stehe auf rein nationalem Boden. Ein grosser Teil der der Polizei bekannten Mitglieder rekrutierte sich aus Arbeitern und Angestellten der deutschen Eeichsbahn, wo die Partei volle Unterstützung genoss. -- Nach einer im Mai 1942 von der politischen Polizei Basel in Zusammenarbeit mit der Militärjustiz durchgeführten Aktion gegen 15 Mitglieder der EABP gab Zumofen am 4. Juni 1942 der Bundesanwaltschaft und der Basler Polizei bekannt, dass die EABP jede politische Arbeit
einstelle und sich bis spätestens 80. Juni 1942 selbst auflöse.

Eine in Aussicht gestellte Mitteilung über die Auflösung blieb jedoch in der Folge aus. Die Polizei erhielt im Gegenteil Kenntnis, dass der von Zumofen gefasste Beschluss von den übrigen leitenden Mitgliedern nicht sanktioniert wurde und dass diese ihre Tätigkeit weiterzuführen gedachten. Allerdings wurden seit dem genannten Datum keine Versammlungen mehr durchgeführt und nur noch zwei Bundschreiben an die Mitglieder gesandt. Die polizeilichen Ermittlungen hatten jedoch inzwischen ergeben, dass sich Angehörige der EABP u. a. des Verrates militärischer Geheimnisse zum Nachteil der Schweiz und zugunsten Deutschlands schuldig gemacht hatten. Die aufgedeckten Fälle zeigten mit aller Deutlichkeit die Staatsgefährlichkeit eines grossen Teils der Mitglieder der Partei. Trotz der nun ganz unbedeutenden Tätigkeit war daher

74 die Organisation selbst als staatsgefährlich zu verbieten. Die Auflösung erfolgte durch Bundesratsbeschluss vom 25. Mai 1943. -- Die gerichtliche Untersuchung der erwähnten strafbaren Handlungen führte im Laufe der Jahre 1942--1944 zu einer ganzen Beihe von Strafurteilen, u. a. auch zu Todesurteilen.

Im Prozess gegen die Landesverräter Eeimann und Mitbeteiligte wurde Erwin Philipp am 28. November 1942 vom Divisionsgericht 3 B zum Tode verurteilt.

Nach den Motiven des Entscheides ist Philipp allerdings der EABP selbst nicht beigetreten. Er gehörte jedoch zu ihrem Kreis und war vorher Mitglied der frühern Gründung Zumofens, der «Gemeinschaft Freunde guter Bücher und aktueller Zeitschriften». Ein Todesurteil des Territorialgerichtes 2 B vom 10. August 1944 betraf das führende Mitglied der EABP, Fritz Heller.

Andere Angehörige der Organisation sind mit mehreren Jahren Zuchthaus bestraft worden. Lothar Zumofen selbst wurde durch Urteil des Divisionsgerichtes 2B am 3. November 1943 der fahrlässigen, staatsgefährlichen Propaganda in der Armee, der Vorschubleistung zu politischem Nachrichtendienst, der wiederholten Verletzung der Anzeigepflicht und der Gehilfenschaft bei illegalem Grenzübertritt schuldig erklärt und zu 150 Tagen Gefängnis verurteilt.

Der Hauptgegenstand der polizeilichen Überwachung und Kontrolle des Jahres 1942 war die Tätigkeit der «Eidgenössischen Sammlung» und der «Nationalen Gemeinschaft Schat'fhausen». Wie der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes in der Dezembersession im Nationalrat erwähnte, hatte die Frage der Auflösung dieser Organisationen das Departement das ganze Jahr 1942 hindurch beschäftigt. Zu schwersten Bedenken gab die Art und Weise Anlass, wie von Anhängern der ES und N G und auch von deren Presseorganen die schweizerischen demokratischen Einrichtungen abschätzig erörtert und die Handhabung der Neutralität kritisiert wurden. Verschiedenes, was sich in dieser Hinsicht einzelne Bedner und die Bedaktion der «Front» und des «Grenzboten» erlaubten, stand zweifellos an der Gienze des Zulässigen. Belastet war die ES auch durch die Tatsache, dass in ihren Eeihen Leute Aufnahme gefunden hatten, die den Behörden als unberechenbare und gefährliche Elemente bekannt waren. Zum Teil handelte es sich um frühere Mitglieder der vom Buhdesrat aufgelösten E S AP, NB S und S G AD. Noch fehlte es jedoch, trotz intensiver polizeilicher Fahndung an schlüssigem Beweismaterial, auf das sich ein bundesrätliches Verbot hätte stützen können. Es ging hier, wie bereits bei der Vorbereitung früherer Auflösungsbeschlüsse, um die schwierige Abgrenzung zwischen dem, was im Bahmen der verfassungsmäsaigen Freiheiten noch zulässig war -- nicht die Gesinnung, sondern die Tat sollte bestraft werden --, und dem, was bereits unter den Begriff der illegalen staatsgefährlichen Tätigkeit fiel. Gegen eine Auflösung sprachen zudem gewisse polizeitechnische Überlegungen der Polizeibehörden.

75 Die Erfahrungen mit den bisherigen Parteiverboten hatten gezeigt, dass Zahlenmassig grosse politische Bewegungen durch ein behördliches Verbot keineswegs zerschlagen wurden, sondern illegal weiterarbeiteten, wobei die illegalen Umtriebe polizeilich bedeutend schwieriger zu erfassen waren als die vorherige überwachte Tätigkeit in der Legalität. -- Angesichts dieser Situation bestanden auch bei den Behörden der Kantone verschiedene Ansichten über die Präge einer Auflösung der ES. Während einige ein sofortiges Verbot wünschten, sprachen sich andere für ein Verbleiben bei der bisherigen Regelung (stark kontrollierte Versammlungen) aus. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hielt seinerseits vorläufig ebenfalls die Beibehaltung der bisherigen "Überwachungspraxis für das Eichtige. Als die ES im Frühjahr 1942 erneut das Gesuch stellte, es möchte ihr in der ganzen Schweiz das Eecht zur Durchführung öffentlicher Versammlungen eingeräumt werden, erteilte das Departement jedoch der Leitung der ES mit der abschlägigen Antwort eine ernste und letzte Warnung. Sie wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das Fortbestehen der Organisation und dasjenige ihrer Presseorgane nur dann in Präge kommen könne, wenn ein unbedingt sauberer schweizerischer Kurs innegehalten werde, was insbesondere eine Säuberung der Bewegung von gewissen Elementen voraussetze. Zwei Kantone, Basel-Stadt und Aargau, erliessen im Laufe des Jahres 1942 Versammlungsverbote gegenüber der ES. Als eidgenössische Massnahme erfolgte im Mai eine neue Einstellung der «Front» und des «Grenzboten» für die Dauer von 4 Monaten durch die Abteilung Presse und Funkspruch. Zur Frage der Auflösung der ES ergaben sieh im übrigen bis zum Dezember 1942, als die Sache durch eine Interpellation Bucher im Nationalrat zur Sprache kam, keine wesentlichen neuen Momente.

Der Entscheid über diese Frage fiel im Jahre 1943. Dieses brachte eine Anzahl neuer Straf Untersuchungen und schwerwiegender Straf urteile (z. B.

Leutwyler) gegen Angehörige der ES und N G. In einem Brief an den General hatte der Leiter der ES, Tobler, geschrieben, dass der zum Tode verurteilte Zürcher nie in die Organisation aufgenommen worden sei. Diese Angaben stellten sich bei der Überprüfung als unrichtig heraus, was bewies, dass auch die Leitung der ES selbst kein Vertrauen verdiente. Im
Spionagefall des zum Tode verurteilten Eeutlinger führten ebenfalls Linien zur ES. Der am 26. Juni 1943 zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilte Wolf Wirz war nicht formell Mitglied, aber ein beliebter Eedner der ES, Mit ihm wurde ein eigentlicher «Prominenter», ein Führer der NG, Hermann Eisenhut, mit 6 Monaten Gefängnis bestraft.

Mit diesen Urteilen erhielten die Behörden nun auch die Unterlagen für ein administratives Vorgehen gegen die Organisationen selbst. Die Straffälle zeigten deutlich, dass die Leitungen der ES und der NG entweder den Willen zu einer kräftigen Säuberung der Bewegungen von landesverräterischen Elementen überhaupt nicht hatten oder dann zu schwach waren, um eine solche Säuberung richtig durchzuführen. Unter diesen Umständen mussten auch die Bedenken, die vom polizeitechnischen Gesichtspunkt gegen eine Auflösungsverfügung erhoben worden waien, in den Hintergrund treten. Durch Beschluss

76 des Bundesrates vom 6. Juli 1943 wurden die Eidgenössische Sammlung und die Nationale Gemeinschaft Schaffhausen aufgelöst und ihre Presseorgane, die «Front» und der «Grenzbote», verboten. Mit der Eröffnung des Beschlusses an die Funktionäre der beiden Organisationen war wie bei früheren Parteiverboten eine Polizeiaktion verbunden, wobei das Partei- und Propagandamaterial und das Vermögen beschlagnahmt wurden. Die Sichtung der Akten ergab, dass die ES und die N G zusammen etwas über 2400 Mitglieder gezählt hatten. Durch Verfügung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes sind anschliessend am 7. Oktober 1943 noch folgende Nebenorganisationen der ES und N G verboten worden: Freunde der Erneuerung, Vaterländischer Arbeiter-Schützenverein Zürich, Genossenschaft Arbeiter-Hilfswerk Union, Nationaler Frontverlag Zürich und Schaffhausen, Genossenschaft Freudenfels Schaffhausen -- Immobiliengenossenschaft (mit Einschluss des Wirtschaftsbetriebes), Druckerei Freudenfels Schaffhausen, Freie Landwirtschaftliche Genossenschaft Schaffhausen, Frauengruppe der Nationalen Genossenschaft Schaffhausen, Basler Pfalz-Gesellschaf t zur Pflege kultureller Gemeinschaft in Basel.

Neben den in den Abschnitten über die Jahre 19S9---1943 bereits genannten Bewegungen und Organisationen entstand und verschwand im gleichen Zeitraum noch eine ganze Anzahl weiterer kleiner und kleinster rechtsextremer Gruppen. Nach dem Grundsatz, den Anfängen zu wehren, wurden auch sie, trotz ihrer zum Teil ganz unbedeutenden MitgHederzahl, aufmerksam überwacht. Einige dieser Gruppen kamen denn auch gerade wegen dieser Überwachung gar nicht aus den Anfängen der Entwicklung heraus. Andern wurde, wenn die rechtlichen Voraussetzungen dazu vorlagen, durch polizeiliches Einschreiten ein Ende bereitet. Die nachfolgende Aufzählung solcher Gruppen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; sie gibt einige wichtigere oder typische Beispiele.

Die «Schweizerische Einheitspartei» (SEP) hielt ihre konstituierende Versammlung schon vor Kriegsausbruch am 15. Juni 1939 in Bern ab. Dabei wurde der Initiant der neuen Organisation, Paul Gfeller, zum Parteileiter ernannt. Die SEP erklärte, «sich für die Zukunft der Schweiz und deren Fortbestand im Bahmen der Neugestaltung des neuen Europa einzusetzen». Das «bisherige Parteisystem» wurde als unfähig abgelehnt. Gemäss Wortlaut des Anmeldeformulars hatten sich die Mitglieder den Statuten, Zielsetzungen «sowie sämtlichen Anordnungen» der SEP zu unterstellen. Sie wurden vor Aushändigung der Mitgliederkarte auf die Partei vereidigt. Nach den polizeilichen Feststellungen hatte die SEP mit ihrer Werbung ganz geringen Erfolg. Sie blieb politisch ohne Bedeutung. Der Parteileiter Paul Gfeller wurde durch Urteil des Divisionsgerichtes S A vom 19, Dezember 1941 wegen Anstiftung zum Verrat militärischer Geheimnisse sowie wegen politischen und militärischen Nachrichtendienstes in contumaciam zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Durch Entweichen aus der Haft war es ihm gelungen, ins Ausland zu fliehen.

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Eine zahlenmässig kleine rechtsextreme Studentengruppe, die jedoch hätte gefährlich werden können, wenn sie aus den Anfängen der Entwicklung herausgekommen wäre, nannte sich «Bewegung nationalistischer Studenten der Schweiz» (BNSS). Da sie in Freiburg entstand (1. Oktober 1940), ist die Gruppe mehr unter dem französischen Namen «Ligue des Etudiants Nationalistes Suisses» bekannt. Abbau der Demokratie («Die Parteien müssen verschwinden») und Anpassung an das «Neue Europa» waren auch hier die Losung. Zwei Teilnehmer an dem von Dr. Eiedweg geleiteten Schulungskurs in Feldkirch vom März 1941 kamen durch Vermittlung des Bundesobmanns der BNSS, Carl Decurtins, zu dieser «Ausbildung». Es war auch beabsichtigt, in Ereiburg eine Gruppe der Sportschule Maag zu gründen. Über diese Verbindungen gibt der Anhang in den Ausführungen zu den bundesgerichtlichen Entscheiden i. S. Büeler und Mitbeteiligte sowie Michel und Mitbeteiligte Aufschluss. Die BNSS ist in Studentenkreisen nie sehr ernst genommen worden.

Bestimmte Erfolge hatte sie nicht zu verzeichnen. Ihre Haupttätigkeit bestand in der Veröffentlichung von S Manifesten, im Juni, Juli und Dezember 1941.

Mehr als ca. 2 Dutzend Mitglieder hat die Gruppe nie gezählt. Ende 1941 ergaben polizeiliche Ermittlungen, dass der deutsche Vizekonsul in Zürich, Dr. Ashton, der BNSS Gelder zukommen liess. Der Leiter der Bewegung sowie einige Mitglieder wurden in der Eolge verhaftet und in Strafuntersuchung gezogen. Mangels genügender Beweise für das Vorliegen der in Frage stehenden strafrechtlichen Tatbestände musste die Untersuchung später eingestellt werden, unter teilweiser Überbindung der Kosten an die Beschuldigten. Seit dem Zeitpunkt der Verhaftung Decurtins im Januar 1942 war keine Tätigkeit der BNSS mehr zu verzeichnen. Der hier durch die Umtriebe Dr. Ashtons klar zutage getretene deutsche Versuch, über die BNSS in der schweizerischen Studentenschaft FUSS zu fassen, war damit abgeschlagen.

Die ebenfalls kleine, nur im Kanton Genf festgestellte Gruppe der « Jeunes Campeurs Nationalistes», die im Jahre 1941 von einem ehemaligen Mit.glied des aufgelösten «Mouvement national suisse» gegründet wurde, trat durch keine öffentliche politische Aktion in Erscheinung. Sie wurde deshalb überwacht, weil sie ihre geistige Nahrung vor allem beim deutschen und italienischen
Konsulat bezog. Das dort gefasste Propagandamaterial gelangte anschliessend jeweils unter den Mitgliedern zur Verteilung. Die « Jeunes Campeurs Nationalistes» führten einige Lager durch. Die Gruppe zählte bloss ·ca. 25 Mitglieder. Ihr Chef wurde im August 1941 verhaftet, weil er an einer von andern Eechtsextremisten unternommenen antidemokratischen und defaitistisoh wirkenden Flugblattaktion beteiligt war (Urteil des Territorialgerichtes I vom 23. Juni 1942 i. S. Schuler und Mitbeteiligte). Nach der Verhaftung ihres Leiters stellten auch die «Jeunes Campeurs Nationalistes» ihre Tätigkeit ein.

Ausschliesslich aus Jünglingen von 20 und weniger Jahren zusammengesetzt war eine kleine Zürcher Gruppe, die sich offiziell «Klub für den Sport» (KFDS), intern «Kämpfer für Deutschlands Sieg» (auch KFDS)

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nannte. 15 Mitglieder leisteten ihrem 20jährigen Führer im Juli 1941 folgenden Eid: «Als Nationalsozialist schwöreich, dieser meiner Weltanschauung zeit meines Lebens treu zu sein. Sollte es sich als notwendig erweisen, will ich auch für diese Idee sterben. Ich verpflichte mich, nur den von meinen nationalsozialistischen Führern gegebenen Befehlen Folge zu leisten. Ich bin jederzeit zum Kampfe für das neue, nationalsozialistische Europa bereit. Ich will weder ruhen noch rasten, bis mein Heimatland, die Schweiz, den Anforderungen meiner Weltanschauung genügt. Heil Hitler.» Der Leiter der Gruppe unterliess es ferner nicht, das deutsche Generalkonsulat mit einem Schreiben vom gleichen Monat über die Existenz seiner «Kampforganisation» zu orientieren. Er wurde durch Urteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 19. November 1941 wegen Zuwiderhandlung gegen das Unabhängigkeitsgesetz. und die Demokratieschutzverordnung zu 9 Monaten Arbeitshaus verurteilt.

Im Frühjahr 1941 befassten sich verschiedene ehemalige Mitglieder der «Nationalen Front» in St, Gallen mit dem Plan, die «Kräfte der Erneuerung» im Kanton wieder zu sammeln. Dr. Kaspar Schegg übernahm dabei die Werbearbeit im st.-gallischen Eheintal. Unter seiner Führung entstand dort im November 1941 die Organisation «Jungrhein», mit einem Programm, das unter dem Titel «Was wir wollen» in verkürzter Form den wesentlichen Inhalt der 26 Punkte der «Nationalen. Front» wiedergab. Der Organisationsplan sah eine Unterteilung der Bewegung in «Zellen» und «Kernen» vor. Der «Kern» war für die Aussprache von Mann zu Mann bestimmt. Dort sollte das Programm durchgearbeitet werden. Die «Kernleiter» hatten für die Aktivität der ihnen anvertrauten Mitglieder und für die Werbung neuer Kräfte zu sorgen. Dabei bestand die Absicht, die Organisation zunächst selbständig zu entwickeln, um sie später einer grösseren Erneuerungsbewegung, der «Eidgenössischen Sammlung» oder der «Nationalen Opposition» anzuschliessen. Die führenden Leute der Gruppe gaben der Organisation den Charakter eines Geheimbundes, indem sie den Mitgliedern einschärften, über die Bewegung strengstes Stillschweigen zu bewahren. Die Versammlungen wurden ohne die vorgeschriebene polizeiliche Bewilligung durchgeführt. Ende April 1942 griff die Bundespolizei in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei St. Gallen
ein. Es erfolgten 18 Haussuchungen. 10 Mitglieder der Gruppe wurden verhaftet. Nach dieser Polizeiaktion stellte die Gruppe «Jungrhein» ihre Tätigkeit ein. Durch Urteil des Kantonsgerichtes des Kantons St. Gallen vom 16. Januar 1943 wurde Dr. Kaspar Schegg der Zuwiderhandlung gegen Art. 2, Abs. l und 2 der Demokratieschutzverordnung und gegen Art. 2 des Bundesratsbeschlusses über die Kontrolle politischer Versammlungen schuldig erklärt und zu 4 Monaten Gefängnis sowie zu einer Geldstrafe verurteilt. 3 Mitangeklagte erhielten Gefängnisstrafen von 14 Tagen bis zu 3 Monaten. Schon vorher war Schegg vom Territorialgericht 3 B wegen Beschimpfung des Generals zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Die «zur körperlichen und geistigen Ertüchtigung der Jugend» am 1. Juli 1941 in St. Gallen gegründete «Schweizer J u g e n d f r o n t » (SJF) stand der

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«Eidgenössischen Sammlung» und der «Nationalen Opposition» nahe. Ihre Leitung hatte als Landesführer zunächst der Gründer Alois Koller inné. Dieser begab sich im März 1942 illegal nach Deutschland^ wo er als Freiwilliger in die Waffen-SS eintrat. Die SJF führte «Treffen» und Führertagungen durch, brachte es aber nur auf einen kleinen Mitgliederbestand (25--30 Mann). Der Nachfolger Kollers trat später mit seiner St. Galler Gruppe der «Nationalen Opposition» bei. Am 5. Januar 1943 löste er die «Schweizer Jugendfront» auf. Der nachstehende Auszug aus seinem Schreiben an die Mitglieder vom genannten Datum gibt nicht uninteressante Hinweise über die Gründe dieser Auflösung : « Nicht der Umstand, dass wir nur noch einen kleinen Mitgliederbestand haben oder das bevorstehende Eingen um neue Mitglieder, das eher schwerer als leichter wird, haben mich zu diesem Entschluss gebracht. Einzig und allein die Unmöglichkeit, öffentlich zu werben und öffentlich für unsere Ziele zu kämpfen, gaben die Veranlassung zur Auflösung der S JF. Nur ein Schattendasein zu fristen, ist für junge, tatkräftige Leute uninteressant- Ich bin überzeugt, dass wir nie Bewilligungen für öffentliche Veranstaltungen erhalten hätten, weil unsere politische Überzeugung auf Seiten der Erneuerungs-Bewegungen steht. Ohne eine öffentliche Tätigkeit hätten wir uns aber nie vorwärts arbeiten können. Solange die Erneuerungs-Bewegungen in solche Schranken zurückgewiesen werden, wie dies heute geschieht, ist das Bestehen einer so schwachen Jugendbewegung wie die SJF höchst zweifelhaft. Einem Minimum an Erfolgsaussichten wäre ein Maximum an Schwierigkeiten gegenüber gestanden. Polizeiliche Nachforschungen, eventuell sogar Haussuchungen bei diesem oder jenem unserer Kameraden wären in Zukunft nicht ausgeschlossen gewesen.» Eine Organisation die hier ebenfalls anzuführen ist, die aber nach ihrer ideologischen Grundlage nicht ohne weiteres auf die gleiche Linie wie die soeben erwähnten Gruppen gestellt werden kann, war die im Oktober 1940 entstandene «Eidgenössische K a m p f p a r t e i » (EKP). Verschiedene Punkte ihres Programms Hessen zwar den Verdacht als berechtigt erscheinen, dass es sich auch hier um die Anfänge einer nach dem nationalsozialistischen Deutschland ausgerichteten neuen Bewegung handle. Eine Bestimmung des Programms sprach von einer
«umgehenden wirtschaftlichen Anpassung an die neuen Verhältnisse». «Juden und Freimaurer» wurden in die Partei nicht aufgenommen.

Anderseits nannten die Statuten als Zweck der Partei an erster Stelle den «Kampf gegen alle Kräfte, die unsere Selbständigkeit als Staat und Volk zu untergraben versuchen». In den Versammlungen der EKP wurden zum Teil scharfe Angriffe gegen die Landesregierung geführt und dem Parlament in seiner vorhandenen Zusammensetzung der Charakter einer richtigen Volksvertretung abgesprochen. Die aus dem Aktivdienst hervorgegangene Partei (ihr ursprünglicher Zweck soll die Schaffung einer Schutzorganisation für entlassene Wehrmänner gewesen sein) betonte vor allem das Soldatische. Sie glaubte, auf diesem Boden die schweizerische Politik in neue Bahnen lenken

80 zu müssen. Diese Einstellung führte anderseits wieder dazu, dass sich ein Teil insbesondere der jüngeren Mitglieder von der deutschen Erfolgspropaganda der ersten Kriegsjahre (Begeisterung für die militärischen Erfolge der deutschen Wehrmacht) beeindrucken liess. Alle diese Unklarheiten Hessen es als notwendig erscheinen, die «Eidgenössische Kampfpartei», die ca. 1200 Mitglieder zählte, polizeilich zu überwachen. Eine einlässliche Prüfung der Verhältnisse gab der Bundesanwaltschaft in der Folge keine Veranlassung, gegen die Partei irgendwelche Massnahmen zu ergreifen. Seit Februar 1944 sind keine Meldungen mehr über eine weitere Tätigkeit der EKP eingegangen.

Eine politische Aktion der Jahre 1941 und 1942, die abschliessend hier noch zu nennen ist, weil sie u. a. von verschiedenen rechtsextremen Gruppen unterstützt wurde, waren die Propaganda und Unterschriftensammlung für die sogenannte «Staatsreforminitiative». Die Initiative enthielt das Begehren um Abänderung der Art. 71 ff. der Bundesverfassung, soweit diese mit folgenden «wegleitenden Grundsätzen» im Widerspruch standen: «I. Bundesrat.

Der Bundesrat übt die Eegierungsgewalt in der Eidgenossenschaft aus.

Der Bundespräsident und die Mitglieder des Bundesrates werden durch die Tagsatzung für die Dauer von vier Jahren gewählt.

II. Tagsatztmg.

Die Tagsatzung der Eidgenossenschaft besteht aus je zwei Mitgliedern jeder Kantonsregierung. Die Halbkantone sind durch ein Mitglied vertreten.

Die Tagsatzung wählt den Bundespräsidenten, die Mitglieder des Bundesrates, des Bundesgerichtes sowie den General. Sie genehmigt die Vorlagen des Bundesrates und überprüft die eidgenössische Verwaltung und Eechtspflege.

III. Berufskammer.

Die Berufskammer vertritt auf eidgenössischem Boden die auf paritätischer Grundlage organisierten Berufe.

Die Berufskammer berät den Bundesrat in allen wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Sie besitzt auf diesen Gebieten das Recht der Gesetzesinitiative.» Die Initiative ist nicht zustande gekommen.

1944--1945.

In den Jahren 1944 und 1945 konnten in der Schweiz rechtsextreme, antidemokratische Umtriebe von Schweizern nur noch in ganz geringem Umfange festgestellt werden. Die für das nationalsozialistische Deutschland in jeder Hinsicht ungünstige Entwicklung des Krieges war zweifellos die Haupt-

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nrsache dieses Kückganges. Überdies dürften die durchgeführten Polizeiaktionen gegen die rechtsextremen Organisationen (Beschlagnahme dea Parteimaterials) erheblich dazu beigetragen haben, dass deren Mitglieder, abgesehen von einigen wenigen, von denen noch die Kede sein wird, auch in der Illegalität teine politische Tätigkeit mehr ausübten.

Festgestellt wurde in der Berichtsperiode noch die Verbreitung einiger illegaler Schriften, Diese stammten, mit Ausnahme einer einzigen, aus Deutschland. In der ersten Hälfte 1944 gelangten Exemplare eines neuen Pamphletes der «Nationalsozialistischen Bewegung in der Schweiz» zum Versand. Das Flugblatt, das nach wie vor die Zuversicht in den deutschen Bndsieg zum Ausdruck brachte («Deutachland siegt und damit siegen auch wir Nationalsozialisten in der Schweiz»), war vom 20. April 1944 und aus Bern datiert.

Die Überprüfung der Schrift und des Papiers ergab jedoch, dass die Herstellung des Flugblattes in Deutschland erfolgt sein musste. Man hatte es zweifellos mit einer Fortsetzung der frühern Elaborate aua dem Kreise der inzwischen ausgebürgerten Landesverräter Leonhardt und Burri zu tun, Ende November 1944 trat ferner ein Aufruf dei NBidS «An die schweizerischen Nationalsozialisten» in Erscheinung, mit der Forderung an den Bundesrat, «seine bisherige Aussenpolitik einer gründlichen Korrektur zu unterziehen». Die Verbreitung dieser IPA-Produkte war deshalb ab und zu noch möglich, weil einzelne Sendungen von den Postorganen unerkannt blieben und infolgedessen der Beschlagnahme entgingen.

Berechtigte Empörung erregte das Pamphlet, das am 23, März 1945 an Bundesräte, Mitglieder der Eidgenössischen Bäte, Zeitungsredaktionen, Politiker und höhere Truppenführer verschickt wurde und mit «Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten der Armee» unterzeichnet war. Der Text desselben ist der Öffentlichkeit aus der Presse bekannt. Das Pamphlet bezichtigte die Landesregierung im Zusammenhang mit den Wirtschaftsverhandlungen, die ira Frühjahr 1945 zwischen der Schweiz und den westlichen Alliierten geführt wurden, des Neutralitätsbrtichs und der Absicht, das Land, «um fremden Zielen zu dienen», «in den Krieg hinein zu manövrieren». Die ersten polizeilichen Erhebungen ergaben, dass die in Briefumschlägen verpackten Schriften gleichzeitig in verschiedenen Städten des Landes zur
Post gebracht worden waren. Die Umschläge waren schweizerischer Herkunft. Auch das Papier des Pamphletes musste wahrscheinlich aus einer schweizerischen Papierfabrik stammen. Die Möglichkeit bestand, dass ebenfalls der Druck in der Schweiz erfolgt war. Eine genaue Untersuchung und Begutachtung der für das Flugblatt verwendeten Druckschrift und die Vornahme von Haussuchungen in verschiedenen Druckereien führten in der Folge zur Feststellung der Buchdruckerei, die die Schrift gedruckt hatte, und schliesslich auch zur Ermittlung und Verhaftung der Verfasser des Pamphletes. Es handelte sich um eine kleine Gruppe von Personen aus Bern, die als Rechtsextremisten bekannt waren und teilweise auch schon in Straf Untersuchung gestanden hatten.

Durch Urteil des Divisionsgerichtes 3 A vom 7. November 1945 wurden die Bundesblatt. 98. Jahrg. Bd. I.

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7 Pamphletisten zu Gefängnisstrafen von 4--15 Monaten verurteilt. Zwei der Verurteilten haben eine Kassationsbeschwerde eingereicht, die gegenwärtig noch hängig ist.

Anlässlich der Polizeiaktion, die am 8. Mai 1945 im Zusammenhang mit der Aulhebung der NSDAP Landesgruppe Schweiz und deren Nebenorganisationen durchgeführt wurde, und in der gegenwärtig hängigen Voruntersuchung gegen die im SS-Hauptamt Berlin tätig gewesenen Schweizer sind noch folgende Feststellungen gemacht worden.

In einem Kassenschrank der deutschen Gesandtschaft in Bern sind die Originalsatzungen der «Sozialen Volkspartei der Schweiz», die seinerzeit in die Polizeiaktion vom Juni 1941 einbezogen worden war, zura Vorschein gekommen. Sie befanden sich in einem versiegelten Umschlag, der mit, der Adresse «Herrn Dr. W. Mühlemann, Marktgasse 42, Bern» versehen war. Nach den Angaben Dr. Mühlemanns soll der Präsident der S VP S Lindt die Statuten ohne sein Wissen in diesen Umschlag gesteckt und der Gesandtschaft übergeben haben, was zutreffen mag, da das Siegel auf der Kordel tatsächlich das Familienwappen des Lindt trägt.

In der tschechoslowakischen Gesandtschaft in Bern, deren Räume z. T.

als Diensträume der deutschen Gesandtschaft dienten, fand die Polizei eine Kiste, die eine Registratur der vom Bundesrat im Jahre 1940 verbotenen «Nationalen. Bewegung der Schweiz» (NBS) enthielt.

In der erwähnten Voruntersuchung wurde ferner festgestellt, dass die Originalanmeldungen für die NBS, kantonsweise geordnet, im SS-Hauptamt in Berlin archiviert liegen. Es stellte sich auch heraus, dass auf Anregung des SS-Hauptamtes am 10. Oktober 1940 in München eine Konferenz der Leiter der verschiedenen Rechtsbewegungen stattfand, an welcher über die Frage eines Zusammenschlusses derselben in die NBS und über die Führerfrage diskutiert wurde. An der Konferenz nahmen drei deutsche staatliche Funktionäre (Dr. Ashton, Dr. Hügel und Bennecke) teil. Auf Grund dieser Besprechungen erfolgte 12 Tage später die Verschmelzung der «Eidgenössischen Sozialen Arbeiter-Partei» (E S AP) und des «Bundes treuer Eidgenossen» (ETE) mit der NBS. Sodann ist bestätigt worden, dass der im Kapitel über die deutschen Organisationen erwähnte Empfang der ehemaligen Führer der NBS auf der deutschen Gesandtschaft in Bern am 30. Januar 1941 von Berlin aus befohlen worden war.

C. Tätigkeit der schweizerischen Rechtsextremisten auf deutschem Gebiet.

Über die gegen unser Land gerichteten Umtriebe von schweizerischen Nationalsozialisten in Deutschland ist der Bundesrat während des Krieges durch die schweizerische Gesandtschaft in Berlin und die Konsulate fortlaufend

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orientiert worden. Unsere diplomatischen und konsularischen Vertreter taten ihr möglichstes, um die Schweizer Kolonien in Deutschland in ihrem Widerstand gegen die propagandistische Tätigkeit dieser Elemente zu unterstützen.

Eine sehr wertvolle Hilfe leistete dabei das Auslandschweizer-Sekretariat der Neuen Helvetischen Gesellschaft. Wiederholt wurden in der Sache auch diplomatische Schritte unternommen. Sie betrafen insbesondere die Förderung, die deutsche Stellen und deutsche Zeitungen den schweizerischen Nationalsozialisten zuteil werden Hessen, und die Einschränkungen, denen sich die heimattreuen Schweizer Kolonien auf der andern Seite unterziehen mussten, z. B. in bezug auf die Presseinformation. Immer wieder sind bei den deutschen, ungarischen und kroatischen Behörden auch Beschwerden erhoben worden wegen der Tätigkeit der ]PA-Agentur des Franz Burri. Hier wurde erreicht, dass Burri im Frühjahr 1942 seine Tätigkeit in Budapest einstellen musste. Als er die Agentur in der Folge nach Zagreb verlegte, wurden dort 1948 auf schweizerische Vorstellungen hin seine aussenpolitischen Artikel unter Vorzensur gestellt. Unter zweien Malen ist die IPA-Agentur in Zagreb ferner für je einen Monat eingestellt worden. Nach kürzeren Pausen hatte Burri jedoch immer wieder die Möglichkeit, seine Hetze gegen unser Land fortzusetzen. Sowohl in diesem Fall als auch in bezug auf die andern Umtriebe der schweizerischen Nationalsozialisten in Deutschland stand man vor der Tatsache, dass die Versuche, mit diplomatischen Mitteln eine Besserung der Lage herbeizuführen, keine befriedigenden Ergebnisse zeitigten. Die Lage war insbesondere auch sehr unbefriedigend für die zum grössten Teil gut schweizerisch gesinnten Landsleute in Deutschland, die sich von der Heimat im Stich gelassen fühlton, solange die äusserst aktiven Anhänger unschweizerischer Anschauungen im Schutze des Schweizernamens sie mit ihrer Propaganda und Werbung bedrängen konnten. Angesichts, dieser Situation sah sich der Bundesrat 1943 veranlasst, eine autonome Massnahme zu ergreifen, den Erlass des Bundesratsbeschlusses vom 18. Mai 1943 über Ausbürgerung (A. S. 59, 398). Nach Art. l desselben konnte nunmehr einem sich im Ausland aufhaltenden Schweizer, der sich im In- oder im Ausland schwer gegen die Sicherheit oder die politische Unabhängigkeit des Landes
vergangen und sich dadurch des Schweizorbürgerrechtes unwürdig erwiesen hatte, das Bürgerrecht entzogen werden. Gestützt auf diese Bestimmung ist in der Folge bis zum 6. November 1945 gegenüber 29 schweizerischen Staatsangehörigen ein solcher Entzug des Bürgerrechtes erfolgt.

Es ist zuerst beabsichtigt gewesen, im vorliegenden Bericht die staatsfeindlichen Umtriebe der in Deutschland tätig gewesenen schweizerischen Nationalsozialisten und ihrer Organisationen im Zusammenhang mit den damit zum Teil verknüpften Vorgängen auf Schweizerboden so zur Darstellung zu bringen, wie sie von Zeitabschnitt zu Zeitabschnitt für die schweizerischen Behörden erkennbar waren. Eine gegenwärtig gegen eine ganze Anzahl dieser Leute hängige eidgenössische Voruntersuchung, zu deren Durchführung der Bundesrat auf Antrag des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes am 20. Juli 1945 die Ermächtigung erteilte, hat jedoch inzwischen verschiedene neue Dinge zutage

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gebracht, die das Bild, das man vorher von diesen Umtrieben in Deutschland besass, vervollständigen. Infolgedessen erschien es zweckmässig, die Vorgänge in Deutschland in einem besondern Abschnitt und gerade gestützt auf das gesamte heute vorliegende Material zu behandeln. Da die fragliche Untersuchung so weit fortgeschritten ist, das» wesentliche Änderungen im Sachverhalt nicht mehr zu erwarten sind, hat der zuständige eidgenössische Untersuchungsrichter im Einverständnis mit der Anklagekammer des Schweizerischen Bundesgerichtes für die Beantwortung der Motion Boerlin den nachstehenden Bericht eingereicht.

Bericht des Eid g. Untersuchungsrichters: I. Pläne Deutschlands hinsichtlich der Schweiz.

Bückschlüsse auf die Absichten Deutschlands gegenüber der Schweiz lässt vor allem die in zahllosen früheren Prozessen festgestellte aussergewöhnlich intensive und bis in jedes Detail gehende Auskundschaftung der Schweiz in militärischer und politischer Hinsicht zu; sodann die ausgedehnte Propagandatätigkeit für den Nationalsozialismus unter den Schweizern im In- und Auslande, die Einmischung in unsere Verhältnisse durch Bildung und Unterstützung rechtsextremistischer Bewegungen und die politische Organisierung der in unserem Lande lebenden Deutschen. Mehrfach wurde schweizerischen Landesverrätern der Verrat durch die Erklärung mundgerecht gemacht, die Schweiz habe im neuen Europa ebenfalls mitzumachen; wenn sie sich Deutschland nicht freiwillig unterwerfe, so werde sie militärisch hiezu gezwungen, in welchem Fall der Feldzug wesentlich abgekürzt und Blutvergiessen und Zerstörungen verhütet werden könnten, wenn es vorher über alle unsere militärischen Belange orientiert sei. Mit der Veröffentlichung der deutschen Angriffspläne gegen die Schweia im Frühjahr 1943 deckt sich eine bereits letzten Sommer gemachte Aussage eines Schweizers, der in Singen eine Aussensteile des SD Stuttgart leitete, wonach er im Februar und März 1943 zweimal zu einer Konferenz höherer Parteifunktionäre nach Stuttgart berufen wurde, in welcher über die Frage einer Besetzung der -Schweiz zwecks Herstellung der Verbindung mit Italien verhandelt worden sei. Ein früherer deutscher Offizier, der in den Jahren 1942 und 1948 im Eeichssicherheits-Hauptamt in Berlin und Brüssel tätig war und sich im Januar 1944 in die Schweiz flüchtete, erklärt als Zeuge, es könne kein Zweifel darüber bestehen, dass in allen massgebenden deutschen Kreisen grundsätzlich festgestanden sei, dass die Schweiz ihre Selbständigkeit verlieren und als Gau in das deutsche Staatsgebilde eingefügt ·werden sollte. Der ehemalige Pfarrer Werner Wirth, der sich anfangs 1942 nach Deutschland begab, dort eine Zeitlang auf der Forschungsstelle Schwaben

85 in Stuttgart tätig war und vom Sommer 1944 weg im Auftrage des SS-Hauptamtes in Badolfzell das Oberdeutsche Arbeitsbureau leitete, deponiert, es sei ihm in Stuttgart einmal ein Protokoll über eine Zusammenkunft deutscher Funktionäre zu Gesicht gekommen, aus welchem hervorgegangen sei, dass sieb, die Gauleiter der uns angrenzenden Gebiete über die Zuteilung der Schweiz an ihre Gaue gestritten hätten. Der Gauleiter von Tirol habe nicht nur den ganzen Kanton Graubünden, sondern noch einen weiteren Teil der Ostschweiz für seinen Gau beansprucht, wogegen sich jedoch die Gauleiter von Württemberg und Baden zur Wehr gesetzt hätten. Wirth besass spater unter seinen Akten eine von ihm angefertigte Karte der Schweiz mit einer Eeihe von Grenzregulierungen und einer neuen Gebietseinteilung. Zwei inzwischen in die Schweiz zurückgekehrte ehemalige Mitarbeiter im Eeferat Schweiz des SSHauptamtes sagen aus, für ihren dortigen Chef sei es festgestanden, dass die Schweiz, falls sie sich Deutschland nicht freiwillig füge, von diesem militärisch erobert würde. In einer von diesem Chef handschriftlich geschriebenen Liste über die zukünftige Besetzung der Eegierungsämter in der Schweiz figurieren als solche Ämter u. a. auch « Gauleitung» und «höherer SS-Polizeioffizier».

Der Sicherheitsdienst in Stuttgart führte eine ca. 20 000 Karten umfassende Kartei über die Schweiz, eingeteilt in Sammelkartei, Kantonskartei und Parteienkartei. Dr. Max Leo Keller, früher führendes Mitglied der «Nationalen Bewegung der Schweiz» (NBS), der Ende November 1941 nach Deutschland flüchtete, erhielt im Januar 1942 von der halbamtlichen Gruppe Elektrizität in Berlin den Auftrag, sämtliche Möglichkeiten der Energieausbeutung in der Schweiz zu studieren, was wohl auch als Teilstück der deutschen Beherrschungspläne gewertet werden darf.

n. Nationalsozialistische Schweizerbünde.

Die nach Deutschland verzogenen Bechtsextremisten bildeten vorerst, mit Sitz in Stuttgart, eine lose Organisation, in deren Mittelpunkt Franz Burri, Ernst Leonhardt und Otto Alfred Lienhard aus Ludwigsburg standen. Burri stellte den Mitgliedern wöchentlich die Mitteilungsblätter seiner «Internationalen Presse-Agentur» (IPA) zu, wogegen ihm die monatlichen Mitglieder-: beitrage von 50 Pfennig überwiesen werden mussten. Später organisierte der aus Zürich stammende
Journalist Benno Schäppi in Stuttgart eine sogenannte Kameradschaftsgruppe, der etwa 15 Gesinnungsfreunde angehörten. Im Sommer 1941 wurde aus dieser Gruppe der «Bund der Schweizer in Grossdeutschland» (BSG) geformt und als Verein im Stadtregister von Stuttgart eingetragen. Als Bundesleiter zeichnete Otto Alfred Lienhard. Im Bundschreiben Nr. l vom 25. August 1941 wurde gesagt, dass der BSG auf dem Boden des Nationalsozialismus stehe und dass er in Adolf Hitler nicht nur vorbehaltlos den Führer des deutschen Staates sehe, sondern auch den Mann, der die ganze europäische völkische Schicksalsgemeinschaft einer grossen und segensreichen Zukunft zuführen werde.

86 Schon im August 1941 trennten sich Franz Burri und seine Anhänger vom BSG und gründeten den «Nationalsozialistischen Schweizerbund» (NSSB) mit Eduard Mange in Wien als Bundesleiter und Burri, Leonhardt und Emu Eeiffer als weitere Mitglieder der Bundesleitung. In einem Aufruf vom 25. August 1941 verbot Burri seinen Anhängern jeden Verkehr mit dem BSG-Leiter Lienhard und seinen Hintermännern.

Später spaltete sich vom BSG in Stuttgart noch eine weitere Gruppe ab, die sich unter Führung des Mechanikers Otto Schmid als «Nationalsozialistische Schweizer Arbeiter-Organisation» (NSSAO) formierte, jedoch nie mehr als ca. 80 Mitglieder zählte.

Die Funktionäre der drei Bünde sind in der gegenwärtig anhängigen Untersuchung beschuldigt, sich als Ziel gesetzt zu haben, die Schweiz in ein politisches Abhängigkeitsverhältnis zum Deutschen Beiche zu bringen und als Vorbereitung hiezu unter deutschem Einfluss und deutscher Finanzierung dahin gewirkt zu haben, die Schweizer im Beich für den Nationalsozialismus zu gewinnen, sie in ihren Organisationen zu sammeln und zu schulen, um so einen Stosstrupp und ein Kader zu schaffen, das bei der Machtergreifung eine Eolle hätte spielen und nachher in der Verwaltung und der Polizei hätte eingesetzt werden können.

Diese drei Bünde lagen ständig miteinander in Fehde. 1944 wurde von deutscher Seite ein Zusammenschluss derselben angestrebt. Anfangs Sommer 1944 ist Dr. Max Leo Keller zu Obersturmbannführer Steimle vom Beichssicherheits-Hauptamt in Berlin gebeten worden. Steimle stand dort in der Abteilung 6 (Auslands-Nachrichtendienst) der Gruppe vor, die auch die Schweiz zu bearbeiten hatte. Steimle beauftragte Dr. Keller, den Zusammenschluss der verschiedenen Bünde in die Wege zu leiten mit dem Bemerken, die Situation sei so, dass von Seiten der Beichsbehörden nicht mehr tatenlos zugesehen werden könne. Er stellte jedoch in Aussicht, vorher noch mit den andern in Frage stehenden Beichsstellen in Fühlung zu treten. Am 17. August 1944 fand eine Konferenz von Vertretern des SS-Hauptamtes, des Auswärtigen Amtes, der Parteikanzlei und des BSHA VI B statt, in welcher Dr. Max Leo Keller als Schiedsrichter bei der Einigung der verschiedenen Gruppen bestimmt -wurde, da er das allseitige Vertrauen der deutschen Stellen gemesse und bei einer früheren Gelegenheit auch von Seiten der
schweizerischen Bünde anerkannt worden sei. Die Lösung, mit der sich alle Vertreter einverstanden erklärten, wurde in 7 Punkten zusammengefasst, von denen hier die folgenden wiedergegeben werden: 1. Für die Steuerung der Schweizer in Deutschland, soweit sie sich zum Nationalsozialismus bekennen, ist der Beichsführer zuständig. Wo außenpolitische Belange berührt werden, wird das Auswärtige Amt eingeschaltet. Bei Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung wird mit der Parteikanzlei, dem Beichssicherheits-Hauptamt sowie andern beteiligten Stellen Fühlung genommen.

87

5. Hauptaufgabe der neuen Vereinigung ist, die nationalsozialistischen Schweizer zum Reichsgedanken zu erziehen und den augenblicklichen Kampf des deutschen Volkes durch Werbung der besten Kräfte zur Waffen-SS zu unterstützen.

6. Diskussionen über staatsrechtliche Probleme sind in der neuen Organisation verboten.

7. Aktionen aussenpohtischer Art sind der Vereinigung verboten. Damit wäre diese neue Vereinigung eine rein innerdeutsche Angelegenheit.

Die Einigungsversuche Dr. Max Leo Kellers verliefen zufolge der Haltung Burris resultatlos. Am 18. Oktober 1944 schrieb der Chef des SS-Hauptamtes dem Chef des Eeichssicherheits-Hauptamtes, es sei vorgesehen, die jetzt noch existierenden Organisationen «Bund der Schweizer in Grossdeutschland» und «NS-Schweizerbund» aufzulösen und die Mitglieder in einer neu zu schaffenden Organisation, unter der Bezeichnung «Bund der Schweizer Nationalsozialisten» (BSN) unter Leitung von Hans Frei, Stuttgart, neu zu formieren. Die «Nationalsozialistische Schweizer Arbeiter-Organisation» in Stuttgart habe sich dem N S-Schweizerbund angeschlossen. Burri, der als Beichsdeutscher und 1. Grauanitsleiter für Volksbundfragen im Gau Niederdonau bisher einen zersetzenden Einfluss im schweizerischen Erneuerungslager ausgeübt habe, sei in Zukunft unter Androhung schärfster Massnahmen gegen seine Person jede mittelbare oder unmittelbare politische Betätigung in der Schweizerfrage zu untersagen.

Es seien daher der BSG und der NSSB aufzulösen, die Mitgliederkarteien sicherzustellen und Burri jede politische Betätigung in Schweizersachen zu verbieten.

In einem Vermerk des SS-Hauptamtes Amtsgruppe D an den Chef des SSHauptamtes vom 26. Oktober 1944 wurde des weitem ausgeführt, der unter einheitlicher Führung neu formierte Schweizerbund werde in erster Linie ein Sammelbecken für die Germanische SS und die Waffen-SS darstellen, worin allein seine Existenzberechtigung zu erblicken sei. Die Neuorganisation des Schweizerbundes erfolge nach Massgabe seiner Notwendigkeit durch die Amtsgruppe D, und ihr Führer Hans Frei erhalte von ihr die Weisungen. Es scheint, dass das BSHA den Anträgen des SS-Hauptamtes nicht stattgab und dass alles wieder beim alten blieb.

Die hier angeführten Schritte decken sich zeitlich mit der weiter unten behandelten Schaffung einer Germanischen SS Schweiz und
der Aufstellung eines Planes für eine Aktion «S». In Ziffer 5 dieses Planes ist die Zusammenfassung der nationalsozialistischen Schweizer im Reich und ihre Organisierung durch die Sturmbanne stipuliert. Die Schweizerische Gesandtschaft in Berlin äusserte in ihrem Bericht vom 27. November 1944 die Auffassung, dass die Aufgaben der Schweizerbünde, die bis anhin zu aussenpolitischen Anständen Anlass gegeben hätten, wie die Anschlusspropaganda und der politische Nachrichtendienst, einfach dieser neuen Organisation der Germanischen SS Schweiz oder Sturmbanne übertragen worden seien.

88 Über Zielsetzung, Organisation und Tätigkeit der einzelnen Bünde ist folgendes zu. erwähnen: a, Bund der Schweizer in Grossdeutschland (B S G).

Bis April 1944 zeichnete als Bundesleiter Otto Alfred Lienhard, Fabrikbesitzer in Ludwigsburg. Effektiver Leiter des Bundes war jedoch Hans Frei, alias Hermann Fröhlich, der ab 15. April 1944 auch formell als Leiter auftrat.

Ihm zur Seite stand hauptsächlich Dr. Alfred Zander, Zander war vorher in der Schweiz Leiter des im März 1938 gegründeten «Bund treuer Eidgenossen» (BTE), der in Wirklichkeit nichts anderes als eine deutsche SpionageOrganisation war. Sowohl Frei wie Zander wurden im Sommer 1939 im Prozess gegen den BÏE wegen politischen Nachrichtendienstes zugunsten Deutschlands verurteilt. Die vom BTE herausgegebene und von Zander redigierte Zeitung «Schweizerdegen» war von deutscher Seite finanziert. Frei hatte sich seit 1937 als vollamtlicher deutscher Nachrichtenagent in der Schweiz betätigt und sich gegen den Herbst 1938 nach Deutschland geflüchtet. In Deutschland wirkte er weiter als fixbesoldeter Agent, zuerst im politischen Nachrichtendienst gegen die Schweiz, später als Propagandist für den BSG.

Dr. Alfred Zander stand ebenfalls in einem fixbesoldeten Dienstverhältnis zum deutschen Staat, anfänglich als Beamter im VDA und später als Lehrer für weltanschauliche Schulung im Ausbildungslager der Freiwilligen für die Waffen-SS.

Die Zielsetzung des BSG ergibt sich bereits aus dieser Stellung der beiden Leiter. Die Diskussion darüber, wie die Schweiz im neuen Europa staatsrechtlich eingebaut werde, wurde ausdrücklich verboten (Rundschreiben Nr. 25 vom 21. November 1942), Schon in der Gründungssatzung wurde aber erklärt, dass der BSG Adolf Hitler vorbehaltlos als Führer anerkenne. Im Bundschreiben Nr. 25 wurde gesagt, der BSG sei eine disziplinierte Kampftruppe für die nationalsozialistische Weltanschauung, seine Mitglieder seien politische Soldaten Adolf Hitlers, des Führers aller Germanen und des Schöpfers einer neuen europäischen Ordnung. Zum erstenmal in der Geschichte habe unser Erdteil einen Führer. Die BSG-Mitglieder wollen disziplinierte Soldaten desFührers sein, sich an das halten, was er ihnen gesagt habe, und über alles das schweigen, worüber er schweige. Sie wollen nicht schwatzen über Dinge, die der Führer in seiner genialen Weisheit
der Entwicklung überlasse. Von ihm sei die Geduld des grossen gottbegnadeten Erziehers zu erlernen.

Der BSG gliederte sich in Landesbanne, Bezirksbanne, Bannschaften und Kameradschaften. Als periodische Propagandaschriften gab er Rundschreiben und Heimatbriefe heraus. Verschiedene Schweizer waren als Reichsredner eingesetzt, die auf dem ganzen Reichsgebiete in Mitgliederversammlungen Referate zu halten hatten. Als solche Redner funktionierten Hans Frei, Dr.

Alfred Zander, Fritz Bichsel, Karl Karsch und Dr. Wechlin. Sodann veranstaltete die Leitung periodisch einwöchige Schulungskurse für die Funktionäre des Bundes, zuerst in Kalkhorst, später in Sennheim. Ferner veranlasste Frei

89 seine Funktionäre, die «Sonderlehrgänge für weltanschauliche Schulung und körperliche Ertüchtigung», die in der Dauer von sechs Wochen für die Freiwilligen der Waffen-SS in Sennheim eingeführt worden waren und unter der Leitung eines deutschen SS-Offiziers standen, zu besuchen. Es fanden in den Jahren 1943 und 1944 deren vier statt. Die Kosten für diese Schulungskurse und Sonderlehrgänge wurden vom deutschen Staat getragen. Die Arbeitgeber wurden verhalten, den Teilnehmern bezahlten Urlaub zu gewähren, und zwar auch da, wo die Abwesenheit mit wirtschaftlichen Störungen verbunden sein musste. Die Beichsredner erhielten freie Fahrt und angemessene Spesenvergütung.

Die Mitgliederzahl des BSG betrug ca. 1700, Die Tätigkeit des BSG beschränkte sich auf das Reichsgebiet. Illegale Aktionen wurden, abgesehen von Nachrichtendienst, auf Schweizergebiet nicht übertragen.

fc. Nationalsozialistischer Schweizerbund (NSSB).

Nach der vom Leiter der Germanischen Leitstelle im SS-Hauptamt Dr. Franz Eiedweg einberufenen Konferenz der Führer der schweizerischen Eechtsbewegungen vom 10. Oktober 1940, an welcher auch die deutschen amtlichen Funktionäre Konsul Dr. Ashton, Dr. Hügel und Bennecke teilnahmen, entwarf Franz Burri zusammen mit Ernst Leonhardt ein Organisationsstatut, in dem er folgende organisatorische Abgrenzung vornahm: 1. Legale Organisation: Nationale Bewegung der Schweiz (NBS).

2. Illegale Organisation: Schweizerische Erneuerungsbewegung (SEB).

3. Auslandschweizer: Bund der Schweizer in Grossdeutschland (BSG).

Alle drei Organisationen zusammen sollten die Nationalsozialistische Arbeiterpartei bilden.

Für die «Schweizerische Erneuerungsbewegung» (SEB) wurden u.a.

folgende Punkte vorgesehen: 1. Die SEB ist die Schutzstaffel der Partei.

2. Sie hat die Aufgabe, alle jene Aktionen durchzuführen, welche der NB S zufolge der Sonderverordnungen nicht legal durchführen kann.

, 3. Die SEB gibt den wöchentlichen Presse- und Informationsdienst «Eidgenössische Korrespondenz» heraus, der als illegales Kampf- und Pubhkationsorgan in den einzelnen Teilen des Landes im Wege des Schneeballensystems hergestellt und verbreitet wird.

Die SEB gibt Flugblätter und Broschüren heraus.

4. Der SEB werden alle für die illegale Arbeit qualifizierten Kameraden zur Verfügung gestellt.

In der Schweiz darf kein besonderes Verzeichnis über die bei der SEE eingeteilten Kameraden geführt werden. Sie sind lediglich als Mitglieder der NB S zu führen und dürfen zu keinen besonderen Arbeiten

90 der NES herangezogen werden, da sie ihre Arbeitskraft nur der SEB zur Verfügung zu stellen haben.

Diese Organisation gelangte nicht zur Durchführung, wohl deshalb, weil Burri sich selbst als alleinigen Führer der Gesamtpartei und Leonhardt als Leiter der SEB vorsah, womit sich die bisherigen Führer der NBS nicht einverstanden erklärten.

Dagegen riefen Burri und Leonhardt in der Folge als illegale Organisation die «Nationalsozialistische Bewegung in der Schweiz» ins Leben, die sich hauptsächlich aus ehemaligen Mitgliedern des «Volksbundes» von Leonhardt zusammensetzte. Die Aufgaben dieser Bewegung waren die nämlichen wie sie für die SBB vorgesehen waren. Ihr Wirken kam in den Verurteilungen durch das Territorialgericht 3A, das Kriminalgericht Luzern und das Strafgericht Basel, die weiter oben bereits behandelt sind, zum Ausdruck.

Auf deutschem Gebiet machten Burri und seine Anhänger vorerst im BSG mit, um sich dann aber bereits im August 1941 von diesem abzuspalten und eine eigene Organisation, den NSSB, zu gründen. Zum Bundesleiter wurde Eduard Mange in Wien ernannt. Die Seele der Bewegung blieb aber Burri.

Weiter gehörten der Bundesleitung Ernst Leonhardt und Emil Reiffer aus Frankfurt an. Letzterer überwarf sich 1942 mit Leonhardt und scheint damals überhaupt der Bewegung den Kücken gekehrt zu haben. Leonhardt betätigte sich hauptsächlich als Eeichsredner in den Versammlungen. Er wurde 1944 aus der Bundesleitung ausgeschlossen und ist im März 1945 einem Luftangriff zum Opfer gefallen. Der Bund, der ca. 1500 Mitglieder umfasst haben soll, aber seit 1943 ständig Boden verlor, war eingeteilt in 12 verschiedene Gebiete, denen ein Gebietsleiter vorstand. Der Gebietsleiter für Südwest-Deutschland betätigte sich auch intensiv mit dem Schmuggel illegalen Propagandamaterials in die Schweiz und mit Nachrichtendienst für den SD Stuttgart. Als Publikations- und Propagandaorgan dienten die von Burri herausgegebenen Blätter der Eidgenössischen Korrespondenz (EIKO) und der Internationalen PresseAgentur (IPA).

Die Zielsetzung dieses Bundes war wenigstens vom April 1942 weg klar und eindeutig. In Nr. 16/17 der EIKO vom 25. April 1942 wurde unter der "Überschrift «Bekenntnis und Programm» gesagt: «Wir müssen den Mut haben, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen.

In den letzten Jahren wurde «aus taktischen
Gründen» mit allerlei unmöglichen Begriffen und Formulierungen operiert, eine Methode, die untauglich ist. Wir führen den Kampf von einer Ebene aus, die uns granitenen Halt gibt: Das Bekenntnis zum deutschen Volk und zum Nationalsozialismus Adolf Hitlers.

Wir Schweizer sind, soweit wir Deutsch-Schweizer sind, deutsche Menschen.

Es gibt keine schweizerische Nation. Auch sind wir nicht so eine Art , Germanische Nation'. Wir gehören zur Substanz des deutschen Volkes... Wir wollen nicht, dass unsere Heimat, das alemannische Land der Eidgenossen, nur eine Art Anhängsel des Grossdeutschen Reiches ist. Unsere Heimat soll nicht

91

ein , germanischer Bandstaat ' sein oder werden. Mit unserem deutschen Stammvolk zusammen wollen wir das neue Europa führen helfen... Wir wollen die Eidgenossenschaft von Grund auf erneuern. Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum Wohle des ganzen Volkes Staat und Wirtschaft neu ordnen.» Im Oktober 1941 ergriff der NSSB die Initiative für die Bildung eines schweizerischen Freiwilligenkorps. In einem namens der Nationalsozialistischen Bewegung in der Schweiz von Burri unterzeichneten Aufruf vom 15. Oktober 1942 wurde gesagt, es werde ein Freiwilligenkorps aufgestellt, dessen militärische und organisatorische Leitung Kd. Major a. D. Ernst Leonhardt übertragen sei; es werde an die Kameraden appelliert, dem Eufe Folge zu leisten und in Freundes- und Bekanntenkreisen für das Freiwilligenkorps zu werben.

In einem weitern Aufruf vom 20. Oktober 1941 an die Schweizer in Grossdeutschland, unterzeichnet «Oberleutnant Ed. Mange, Bundesleiter des NSSB>>, wurden die Freiwilligen aufgefordert, sich bei der Bundesleitung des NSSB zu melden. Die Aktion wurde dann aber von den zuständigen Beichsstellen abgestellt.

c. Nationalsozialistische Arbeiter-Organisation (NSSÂO) Diese Organisation war nie von Bedeutung. Sie beschränkte sich auf Stuttgart und Umgebung und hatte einen Mitgliederbestand von höchstens 80 Mann. Sie spaltete sich unter der Führung des früheren Stützpunktleiters des BSG Otto Schmid, einem Mann mit 21 Vorstrafen, vom BSG ab und vereinigte sich im Herbst 1944 mit dem NSSB, Bemerkenswert ist, dass ihre Mitglieder sich in die deutschen SA-Formationen einreihen liessen, deren Uniformen trugen und an ihren Übungen teilnahmen.

HI. SS-Hauptamt.

Für die Behandlung der Angelegenheiten der germanischen Völker, insbesondere für die Werbung, den Einsatz und die Betreuung der germanischen Freiwilligen in der Waffen-SS, wurde innerhalb des SS-Hauptamtes die «Germanische Leitstelle» geschaffen, die zuletzt die Bezeichnung «Amtsgruppe D» trug. Chef dieser Germanischen Leitstelle war bis September 1948 der Luzerner Dr. Franz Biedweg, SS-Obersturmbannführer, Biedweg ist mit einer Tochter des früheren deutschen Generalstabschefs von Blomberg verheiratet. Er war 1940/41 der Auftraggeber für die Gründung einer SS in der Schweiz und leitete im März 1941 den Führerkurs in Feldkirch. Es scheint, dass Biedweg
im grossgermanischen Beich eine Beibehaltung der Eigenstaatlichkeit der Schweiz vorschwebte. Im Dezember 1943 begab er sich zum 8. germanischen Panzerkorps an die Ostfront. Über sein seitheriges Schicksal ist nichts bekannt.

Eingeweihte behaupten, es habe sich um eine «Flucht an die Front» gehandelt, da er sich von den Verhältnissen im SS-Hauptamt angeekelt gefühlt habe.

92 Sein Nachfolger als Chef der Germanischen Leitstelle wurde der Deutsche SS-Standartenführer Spaarmann. Leiter des gesamten SS-Hauptamtes war der SS-Obergruppenführer Berger, ein gebürtiger Schwabe.

Innerhalb der Germanischen Leitstelle im SS-Hauptamt bestand das Eeferat Schweiz, mit der Bezeichnung «Amtsgruppe D I/3h». Von anfangs 1942 bis August 1943 stand diesem Beferat Dr. Heinrich Büeler, früher Bechtsanwalt in Zürich, der im Jahre 1941 von Biedweg mit der Bildung einer SS in der Schweiz beauftragt worden war und sich Ende November 1941 nach Deutschland flüchtete, vor. Dr. Büeler gab während seiner Amtszeit zuerst dem Basler Alfred Kobi und hernach dem St. Galler Josef Schöneriberger, die beide in seiner Abteilung beschäftigt waren, Auftrag zur Organisierung der Germanischen Sturmbanne, ferner zur Errichtung der Aussensteile Feldkirch und zur Erstellung einer Kartei Schweiz. Die Germanischen SS-Sturmbanne wurden dann aber in Wirklichkeit erst bedeutend später ins Leben gerufen. Vom SS-Hauptamt weg kam Büeler, unter Beförderung zum SSOffizier, als Ausbilder in das Ausbildungslager der Freiwilligen der Waffen-SS.

Er versuchte nach Kriegsende in die Schweiz zurückzukehren, wurde aber, weil ausgebürgert, zurückgewiesen.

Nachfolger Dr. Büelers, als Leiter, der Amtsgruppe D I/3h, wurde im August 1948 SS-Ustuf. Paul Benz. Benz war früher Bankangestellter in Zürich, betätigte sich hier insbesondere in der «Nationalen Jugend» und desertierte sodann anfangs Juni 1941 nach Deutschland, wo er in die Waffen-SS eintrat und darin Offizier wurde. Er wird als geistig mittelmässiger, fanatisch eingestellter Nationalsozialist bezeichnet, dem jedes schweizerische Gedankengut abgegangen sei. Während seiner Amtstätigkeit im Beferat Schweiz wurde die «Aktion S» aufgezogen und die Germanischen Sturmbanne organisiert, von welchen Gebilden weiter unten des näheren die Bede sein wird. Benz begab sich anfangs März 1945 an die Ostfront. Seither wurde von ihm nichts" mehr gehört.

·

a. Waffen-SS.

Ausser dem Beferat über alle schweizerischen Belange lag dem Beferat Schweiz im SS-Hauptamt insbesondere die Betreuung der im Einsatz oder im Lazarett befindlichen Schweizer der Waffen-SS und deren Verbindung mit ihren Familienangehörigen ob, ebenso die Kontrollführung. Für die Truppenbetreuung wurde die Aussenstelle Feldkirch, unter Leitung von Josef Schönenberger, geschaffen. Diese Aussenstelle hatte die Korrespondenz za vermitteln und die Angehörigen der Waffen-SS mit Literatur und mit Feldpostpaketen, deren Tnha.1t nieist aus Liechtenstein hinübergeschmuggelt wurde, zu versorgen.

Am 8. September 1944 meldete Benz dem Chef des SS-Hauptamtes folgenden Bestand an Schweizer Freiwilligen in der W T affen-SS:

93 1. 9. 1943 t. 9. 1944 755 . . 671 . .

76 86 52 .

48 . .

568 617 . .

22 34 88 . .

.25 5 . .

4 SS3 18 Die Ausbildung erfolgte eine Zeitlang zusammen mit den Freiwilligen anderer Länder im Lager Sennheim im Elsass, später in Hallein bei Salzburg. Die Offiziersanwärter wurden ausgebildet in den Junkerschulen in Bad Tölz. Bis Ende 1943 waren dio Schweizer an der Front in allen Einheiten verteilt. Im Februar 1944 verfügte das S S-Führungs-Hauptamt die Zusammenziehung derselben im SS-Gebirgsjäger-Ausbildungs- und Ersatzbataillon 6. Statt der ca. 600 Schweizer waren bis April 1944 aber nur 60 bis 70 in Hallein eingetroffen. Diese wurden im Frühjahr 1944 zur SS-Gebirgs-Division Nord, die sich damals in Karelien befand, abkommandiert. Dort sollen ca. 40 Schweizer gefallen sein.

insgesamt zur Waffen- S S gemeldet . . . . . . . .

.

davon gefallen oder vermisst .

ausgeschieden und entlassen .

heute bei der Truppe bei der Wehrmacht (Heer und Luftwaffe) . . . . .

SS-Führer . .

.

.

davon gefallen .

SS-Standartenjunker kurz vor der Beförderung zum Ustuf an Führerbewerber- oder Junkerlehrgängen

b, Panoramaheim.

Dem Referat Schweiz lag auch die Organisierung des Nachschubes in die Waffen-SS ob. Zu diesem Zwecke wurde das Panoramaheim gegründet, das sich bis Ende 1943 in Stuttgart, dann bis Frühjahr 1944 in Strassburg und hernach bis zum Kriegsende in Bregenz befand. Das Panoramaheim, das dem Referat Schweiz unterstand, hatte die Aufgabe, die aus der Schweiz geflüchteten Landsleute aufzunehmen, sie vorerst den zuständigen deutschen Stellen zur Ausfragung zu überweisen, sie zum Eintritt in die Waffen-SS zu beeinflussen und hernach ihre Überführung ins Ausbildungslager anzuordnen. Ca.

90 % aller ins Panoramaheim eingetretenen Schweizer sollen zur Waffen-SS übergetreten sein. Dies veranlasste den Leiter des Beferates Schweiz beim Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Othmar Maag aus Winterthur, im Herbst 1943 in Strassburg das sog. «Durchgangslager des Gauarbeitsamtes Baden-Elsass» («Dulag») zu schaffen und den Basler Eugen Weniger als Leiter desselben einzusetzen, um auf diese Weise die ins Beich geflüchteten Schweizer statt für die Waffen-SS für den Arbeitseinsatz zu gewinnen.

Leiter des Panoramaheims waren Benno Schäppi, Alfred Nikles, alias Dr. Hütten, und zuletzt der Liechtensteiner Josef Nagele. Die Leiter hatten dem SS-Hauptamt Amtsgruppe D 1/3 h monatlich Berichte zu erstatten und von jedem Insassen des Heims Lebenslauf, Photo mit Charakterisierung und Eignung einzusenden.

94

c. «Aktion S».

Ein Schweizer, der vom September 1944 bis Mitte Januar 1945 als Bureaugehilfe auf dem Referat Schweiz des SS-Hauptamtes tätig war, berichtete unserer Gesandtschaft laufend über die dortigen Vorgänge und überbrachte ihr auch wichtige Dokumente. Aus diesem Material und aus seitherigen Verhören zurückgekehrter Schweizer ergibt sich ein ziemlich zuverlässiges Bild über die Pläne dieser Stelle.

Für den Eeferatsleiter Paul Ben« sei festgestanden, dass Deutschland die Schweiz zu gegebener Zeit mit militärischen Mitteln sich unterwerfe, Benz sei bis ins Jahr 1945 hinein von einem deutschen Sieg überzeugt gewesen. Im Verlaufe des Jahres 1944 wurden unter der Amtstätigkeit des Benz im SSHauptamt D 1/3 h rege Vorbereitungen für die Zeit nach der erhofften Unterwerfung und der Machtübernahme getroffen. Vorerst wurde einmal die Organisierung der Germanischen Sturmbanne in die Wege geleitet und im Zusammenhang damit eine Neugestaltung der Schweizerbünde im Eeich angestrebt.

Sodann wurde im Sommer 1944 das Oberdeutsche Arbeitsbureau in Badolfzell geschaffen. Von einer Aktivierung einer illegalen politischen Tätigkeit auf Schweizerboden versprach sich Benz nichts. In einem Aufsatz vom 18. Dezember 1944 über die schweizerische nationalsozialistische Bewegung äusserte er sich dahin: Seit 19. November 1940 gebe es in der Schweiz keine legale und seit 10. Juni 1941 keine illegale nationalsozialistische Organisation mehr.

Ihre Mitglieder hätten Zuchthaus, Gefängnis oder Sicherheitsverwahrung erhalten, oder hätten sich nach Deutschland in Sicherheit begeben müssen.

Wer in der Schweiz gebheben und ein politisch noch wenig beschriebenes Blatt gewesen sei, sei von der Polizei derart überwacht worden, dass er an eine politische Betätigung, auch belanglosester Art, nicht mehr habe denken können.

Es sei daher nötig, die gesamte nationalsozialistische Entwicklung in der Schweizerfrage auf eine vollkommen neue Grundlage zu stellen. Als Ausgangspunkt zu dieser neuen Entwicklung könnten nur die Freiwilligen der Waffen-SS und die Angehörigen der SS-Sturmbanne in Frage kommen. Hier sei von vorneherein die soldatische Grundform gegeben. In der sauberen und klaren Luft einer im soldatischen Geist aufgebauten Gemeinschaft würden Krankheitsherde, wie sie früher üblich gewesen seien, verschwinden. Die Zusammenfassung
aller nationalsozialistischen Schweizer im Bahmen der germanischen Arbeit der SS, ihre gemeinsame weltanschauliche Erziehung und die fachliche Vorbereitung auf später einmal zu übernehmende Aufgaben, stelle wohl die vorteilhafteste Lösung für die weitere Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung der Schweiz dar.

Die Einstellung des Benz wird des weiteren durch seinen als «vertraulich» bezeichneten Brief an Dr. Max Leo Keller, vom 28. August 1944, folgenden Wortlauts erhellt: « Sie werden inzwischen erfahren haben, dass die Schweiz am 28. August telegraphisch die Generalmobilmachung angeordnet hat. Das Land rückt

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schneller, ala wir vielleicht zu fassen vermögen, dem Kriege entgegen. Ich bin zwar persönlich nicht der Überzeugung, dass die Neutralität der Schweiz von einer der kriegführenden Parteien verletzt wird. Trotzdem müssen wir aber mit dieser Eventualität rechnen.

Ich bitte Sie daher, Kamerad Keller, sofern Sie es für richtig erachten, mit dem Auswärtigen Amt und der Parteikanzlei Verbindung aufzunehmen, um dort zu sondieren und wenn nötig Ihren Einfluss geltend zu machen. . Ich meinerseits habe bereits ähnliche Schritte unternommen. Das Beispiel Bumänien lehrt wieder einmal, dass man sich nie genug vorsehen kann.

Die Zusammenlegung der Schweizerbünde im Eeich würde notfalls beschleunigt durchgeführt, und zwar auf die Art, dass die Germanische SS die Zusammenfassung aller Schweizer Nationalsozialisten im Eeich und ihren politischen Einsatz in der Schweiz, mit allen Vollmachten ausgestattet, durchführt.» Wenn Benz Keller in diesem Briefe ersucht, bei den erwähnten deutschen Stellen seinen Einfluss geltend zu machen, was er seinerseits selbst bereits getan habe, so kann damit wohl nur eine deutsche Besetzung der Schweiz gemeint gewesen sein.

Unter den uns zur Verfügung stehenden Akten befindet sich insbesondere ein Dokument folgenden Wortlauts: «Der Eeichsführer-SS.

SS-Hauptamt Aktion S.

Aktion-S (Gesamt-Plan) lia Reich: 1. Genaue Beobachtung der militärischen und politischen Entwicklung.

Zusammenarbeit mit SD und Auswärtigem Amt.

2. Hereinnahme der Schweizer Nationalsozialisten und ihrer Familien.

Anweisung über SK, Gestapo und Auswärtiges Amt. Bereitstellung von Aufnahmemöglichkeiten.

8. Zurückziehung einer Anzahl Schweizer SS-Führer von der Front zweck» politischen Einsatzes in der Schweiz.

4. Zusammenziehung aller Schweizer S S-Freiwilligen. Spätere Aufstellung einer Schweizer-Einheit.

5. Zusammenfassung der nationalsozialistischen Schweizer im Eeich und ihre Organisierung durch die Sturmbanne.

In der Schweiz: 6. Mit ESHA zusammen Vernichtung aller Eeichsfeinde.

7. Errichtung einer Germanischen Leitstelle Schweiz als zentrales politisches Führungsorgan.

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8. Errichtung eines Ersatzkommandos Schweiz der Waffen-SS und Aufstellung einer Schweizer SS-Einheit.

9. Sammlung aller Nationalsozialisten (nicht Konjunkturritter) und Zusammenfassung in einer Organisation.

10. Gründung der Germanischen SS Schweiz als Sammelbecken aller guten Kräfte und politische Kampf Organisation.» Dieser Plan muss von Benz im Sommer 1944 niedergeschrieben worden sein. Er geht auf frühere Besprechungen mit seinem Freund Eodio aus Zürich zurück, der seither als Offizier der Waffen-SS gefallen ist.

Weiter erstellte Benz folgende Listen: a. «Liste von nationalsozialistischen Schweizern im Eeich, die für einen politischen Einsatz in Präge kommen»,'enthaltend 14 Namen.

b. «Liste der für den politischen Einsatz in der Schweiz vorgesehenen SS-Führer», enthaltend 11 Namen.

c. «Liste der sich beim SS-Hauptamt befindlichen und für einen Einsatz in der Schweiz vorgesehenen SS-Führer», enthaltend drei Namen.

d. «Liste von Beichsdeutschen, die für einen politischen Einsatz in der Schweiz in Frage kommen», enthaltend die Namen von Dr. Ashton und von Charnier, früher Presseattache in Bern.

e. «Verbindungsmänner in der Schweiz», enthaltend vier Namen.

/. Handschriftlich geschriebene Namenlisten mit folgenden Titeln: Abteilung Landwirtschaft, » Erziehung, Kirche etc., » Wirtschaft.

» Armee, » .

Justiz und Polizei, » Gauleitung1, » Eeichsbevollmächtigter, » Höherer SS- und Polizeiführer, » Führer der Germanischen SS, » Führung der Gauleitung Schweiz, » Jugend, · » Kultur.

Die auf den verschiedenen Listen verzeichneten Personen scheinen wegen ihrer künftigen Funktionen nicht befragt worden zu sein.

Am 27. November 1944 fand über den Fall «S» auf dein Bureau des Eeferates Schweiz eine Besprechung statt, an welcher ein Oberstleutnant vom OKW, SS-Standartenführer Spaarmann, Fürsprech Lindt aus Bern, SS-Hstuf.

heim Sicherheitsdienst, SS-Ostubaf. Hersche und Benz teilnahmen. Zur Besprechung gelangte die politische und polizeiliche Organisation für die Schweiz für den Fall eines politischen Umsturzes oder für den Ernstfall. Vorgesehen wurde die Errichtung von SS-Polizeikorps in der Starke von 50 bis 100 Mann

97 pro Schweizer Stadt. Zürich wurde ausersehen als Standort der SS-Ersatzinspektion Schweiz. Die polizeiliche Organisation sollte einem deutschen Konsul in Lausanne (vermutlich dem seither ausgewiesenen Daufeldt) und einem bei der deutschen Gesandtschaft tätigen Konsul, der bis jetzt schon alle Polizeifragen bearbeitet habe, unterstellt werden. Ferner wurde beschlossen, sämtliche an der Ostfront eingesetzten, in der Waffen-SS eingeteilten Schweizer in ein Sonderausbildungslager in Hallein bei Salzburg zu verbringen und die Sonderausbildung dem SS-Hauptsturmführer Dr. Wilhelm Knapp zu übertragen.

Benz hatte weiter einen Plan für eine umfassende Nachrichtenorganisation in der Schweiz vorbereitet, mit Unterscheidung in SS-Dienststellen, Nachrichtenstellen und Vermittlungsstellen und den Verbindungswegen nach Deutschland.

Der hiervor erwähnte Gesamtplan und die Listen tragen kernen Vermerk deutscher Stellen. Es ist aber undenkbar, dass wenigstens der Chef des SSHauptamtes, Obergruppenführer Berger, von der Aktion keine Kenntnis gehabt haben soll. Benz hatte ihm allmonatlich einen Lagebericht zu erstatten. Der Vorschlag für die Schaffung des Oberdeutschen Arbeitsbüros war seinerzeit dem Chef des SS-Hauptamtes direkt eingereicht und seinen untergeordneten Stellen zur Vernehmlassung überwiesen worden. Die im Zusammenhang mit der «Aktion S» in die Wege geleitete Organisierung der Germanischen SSSturmbanne erforderte einen bedeutenden Apparat und die Schaffung einer Eeihe fixbesoldeter Stellen und stand zudem unter der Leitung des deutschen Abteilungsleiters Kopischke, so dass zu vermuten ist, nicht nur Berger, sondern der Beichsführer-SS selbst hätten von der Sache Kenntnis gehabt. Es wird auch behauptet, Benz habe sich im Spätherbst 1944 einmal zu Himmler nach Salzburg begeben müssen.

d. Oberdeutsches Arbeitsbüro (OA).

Der ehemalige Pfarrer Werner Wirth begab sich im Februar 1942, nachdem er in St. Gallen in einem politischen Prozess freigesprochen worden war, in der Schweiz aber keine Stelle mehr finden konnte, nach Deutschland. Auf der dem VDA unterstellten «Forschungsstelle Schwaben» in Stuttgart wurde er bis Ende 1942 mit der Erstellung einer Kartei über die im Ausland wohnenden Württemberger beschäftigt. Vom VDA wurde ihm in der Folge ein festes Dienstverhältnis mit einem Monatssalär von BM. 700
zugesichert, welch letzteres ihm während einer mehr als einjährigen Krankheit weiter ausbezahlt wurde.

Im Frühjahr 1944 unterbreitete er nach seiner Wiederherstellung dem SSHauptamt in Berlin einen Plan, in einem von ihm geleiteten Bureau alle für .Deutschland wesentlichen schweizerischen Verhältnisse zu studieren und Listen über die deutschfreundlich und deutschfeindlich gesinnten Schweizer auszufertigen. Der Plan wurde der Germanischen Leitstelle und dem Beferat Schweiz zur Begutachtung unterbreitet und hernach genehmigt. Wirth, der zu jener .Zeit noch zur Kur in Eadolfzell weilte, wurde im Sommer 1944 nach Berlin .gerufen und beauftragt, in Badolfzell unter dem Namen «Oberdeutsches Bundesblatt.

98. Jahrg.

Bd. I.

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98 Arbeitsbüro» ein Bureau zu errichten und dort in dem von ihm vorgeschlagenen Sinne tätig zu sein. Das Bureau selbst wurde direkt dem Eeferat Schweiz im SS-Hauptamt unterstellt.

Die näheren Aufgaben dieses Bureaus sind in einem Entwurf «Arbeitsplan der Oberdeutschen-Arbeitsstelle». datiert 7. Juni 1944, niedergelegt. Er enthält u. a. folgende Stellen: «Zweck: Die Arbeit des OA hat dea Zweck, die politische Lösung der Schweizerfrage vorzubereiten. Auf Grund einer sorgfältigen Untersuchung der gegenwärtigen Lage sollen für alle möglichen Fälle bereits politische (Mobilmachungspläne) aufgestellt werden.

Durchführung: Peststellung der Lage auf folgenden wichtigen Lebensgebieten und Vorschläge zu einer positiven Lösung. Bei jedem Gebiet ist wie folgt vorzugehen: a. Bisheriger Verlauf und heutige Lage.

b. Anzustrebendes Ziel.

c. Mittel und Wege dazu.

1. Agrar-, Basse- und Siedlungsfragen. 2. Sozialpolitik.

3. Jugend und Studenten.

Der Jugend einen neuen Lebensinhalt und ein neues Lebensziel zu geben. Aufbau der Germ, HJ. Beichsschulen, Erziehung einer neuen Führerschicht.

4. Neue Kulturpolitik.

5. Soldatentum.

6. Wirtschaftsverkehr mit dem Beicli, Einbau der Schweiz in den europäischen Grossraum.

Die nachstehenden Fragen fallen in erster Linie in den Aufgabenbereich des Beichssicherheits-Hauptamtes. Das OA gibt diesem dazu seine Vorschläge bekannt.

7. Judenproblem.

Verwendung -des jüdischen Besitzes (Volkseigentum).

8. Die politischen Parteien.

Ihre Liquidierung, die Gewerkschaften, die Parteipresse, die Inter essenvertretung in Kantons- und Bundesparlament.

9. Hochfinanz.

10. Freimaurerei.

11. Die politische Kirche (Klerus).

12. Verwaltungsumbau: a. Personell.

b. Fachlich.

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18. Neue politische Führung.

Ergebnis der A r b e i t : . Das Ergebnis dieser Arbeit wird in präziser, knapper, kurzer Form in einer Denkschrift zusammengefasst (durch Tabellen, Karten und Skizzen ergänzt) und am Tage der Aufrollung der Frage Schweiz der obersten Führung vorgelegt.

EinlöBungavorschlag im Sinne der Denkschrift mtiss der obersten Führung schon vorher vorgelegt werden.

/ Voraussetzung für die d u r c h z u f ü h r e n d e n Arbeiten des OA: 1. Beschaffung von Unterlagen (Fachliteratur, Karten, Auswertung anderer sich mit der Schweiz befassenden Stellen).

2. Heranziehung freiwilliger Mitarbeiter (Sachkenner).

3. Engen Kontakt mit dem Land wahren.

Weitere A u f g a b e n : 1. Erfassung aller Personen schweizerischer oder deutscher Staatsangehörigkeit, die später beim Aufbau herangezogen werden (SDmässige Überprüfung) , 2. Vorbereitung des Aufbaues eigener Organisationen (SS, HJ etc.).

8. Die deutsche Gesandtschaft in Bern und ihre Berichterstattung (eigene Berichterstattung). » Wirth nahm im Sinne dieses Arbeitsplanes seine Tätigkeit in Eadolfzell auf. Er legte nach seiner Aussage insgesamt 60 Mappen über die verschiedensten Gebiete an. 2um Teil entnahm er das Material Zeitungen und Literatur.

Ende August 1944 wandte er sich an eine Reihe von Gesinnungsfreunden um Beiträge. Vom SS-Hauptamt wurde ihm eine seinerzeit von Dr. Büeler erstellte Kartothek, enthaltend ca. 2000 Karten, zugestellt. Auf 100 bis 200 dieser Karten sei unten notiert gewesen, wo die Betreffenden eingesetzt werden könnten, Wirfch legte für sich seine Gedanken über die zukünftigen Grenzen der Schweiz in einer Kartenskizze und diejenigen über die künftige Besetzung der Begierungs- und Verwaltungsposten in einer gesonderten kleinen Kartei nieder. Das Bureau, das immer mit dem SS-Hauptamt Amtsgruppe D 1/8 h in Verbindung blieb, bestand bis April 1945. Am 22. April 1945 kehrte Wirth wieder in die Schweiz zurück. Die geplante Denkschrift für die oberste Führung war noch nicht begonnen,

IV. Germanische SS Schweiz SS ist die Abkürzung für Schutzstaffel. Das waren in den Anfängen der Partei die Männer, die speziell zum Schutze des Führers eingesetzt waren.

Während die SA (Schutz-Abteilung) bald die Form einer Armee "der NSDAP annahm, wurde die SS ausschliesslich Leibwache des Führers und seiner nächsten Trabanten. In die SS wurden deshalb nur die zuverlässigsten Mitglieder

100 aufgenommen, von denen feststand, dass sie mit voller Treue zur Idee und zum Träger derselben standen. Mit dem Anwachsen der Partei sah sich die Führung gezwungen, sehr strenge Auslesebedingungen aufzustellen, um zu verhindern, dass weniger zuverlässige Elemente in die SS gelangen. Vor und nach der Machtübernahme im Jahre 1933 entwickelte sich aus der anfänglich kleinen Schutzstaffel die allgemeine SS im Deutschen Reich, die wegen ihrer schwarzen Uniformierung auch «schwarze SS» genannt wurde. Bei Ausbruch des Krieges wurde diese allgemeine SS umgewandelt und erweitert in die Waffen-SS. Die meisten Angehörigen der allgemeinen SS liessen sich in die Waffen-SS eingliedern. Nach der Unterwerfung von Dänemark, Norwegen, Holland, Flandern und Belgien wurden die verschiedenen Spezialkorps der Waffen-SS für die Dänen, Norweger, Niederländer, Flamen und Walonen geschaffen. Später wollte man rückwirkend dafür sorgen, dass in diesen Ländern neben der Waffen-SS auch eine allgemeine SS geschaffen werde. Zur Unterscheidung von der allgemeinen SS des «Altreiches» erhielt die SS dieser unterworfenen germanischen Staaten die Bezeichnung Germanische SS, Die SS, ob nun Waffen-SS oder allgemeine SS oder Germanische SS, war immer als politisches Instrument gedacht, das jedoch nach Bedarf auch als Kriegsiustrument Verwendung fand.

An diese Entwicklung und Stellung der SS ist zu denken, wenn man sich über Zweck und Ziel der im Jahre 1944 in Deutschland organisierten Germanischen SS Schweiz Klarheit verschaffen will. Schon Burri hat in seinem weiter oben erwähnten Organisationsstatut im Oktober 1940 die Mitglieder der von ihm vorgesehenen illegalen Organisation als die Schutzstaffel der Partei bezeichnet. Die Germanische SS Schweiz sollte zweifellos eine Auslese besonders gesinnungstreuer und kämpferisch veranlagter Kameraden aus jenem Kreise darstellen, die nicht oder noch nicht zur Waffen-SS übergetreten waren. Ihre weltanschauliche und sporthch-militarische Schulung sollte aus ihr eine Elite schaffen, die später in unserem Lande entsprechend hätte eingesetzt werden können. Möglich ist, dass in den letzten Stadien des Krieges auch daran gedacht war, auf diese Weise bessere Eekrutierungsmöglichkeiten für die Waffen-SS zu erhalten. Tatsächlich hat Mitte März 1945 auch der .ganze 35 Mann umfassende Sturm in Stuttgart
Aufgebote für die Waffen-SS erhalten und ihnen mit wenigen Ausnahmen auch Folge geleistet. Der eigentliche Zweck ihrer Aufstellung war aber ihre politische Verwendung. Das ergibt eich eindeutig aus den weiter oben erwähnten Äusserungen des Paul Benz, speziell aus der Stelle seines Aufsatzes vom 13. Dezember 1944, dass die Zusammenfassung aller nationalsozialistischen Schweizer im Eahmen der germanischen Arbeit der SS, ihre gemeinsame weltanschauliche Erziehung und die fachliche Vorbereitung auf später einmal zu übernehmende Aufgaben die vorteilhafteste Lösung für die weitere Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung der Schweiz darstelle, und weiter aus den in Ziffern 5 und 10 des Gesamtplanes für die «Aktion S» aufgestellten Punkten, in denen die Zusammenfassung der nationalsozialistischen Schweizer im Eeich und ihre Organisierung

101

durch die Sturmbanne, und in der Schweiz selbst die Gründung der Germanischen SS Schweiz als Sammelbecken aller guten Kräfte und als politische Kampforganisation stipuliert wurden.

Der Gedanke zur Gründung der Germanischen SS Schweiz datiert schon aus dem Jahre 1942. Kur war. damals nicht von Germanischen SS, sondern von Sturmbannen die Rede. Hans Frei und Benno Schäppi sollen schon damals mit ein paar Mann in Stuttgart den ersten Sturm gegründet haben, und Frei soll auch in die SS aufgenommen und uniformiert worden sein. In der Aufforderung zur Teilnahme am ersten Sonderlehrgang in Sennheim vom Frühjahr 1943 sprach. Frei davon, dass in diesem Lehrgang die Teilnehmer für die Sturmbanne ausgezogen würden, wovon dann allerdings nachher nie mehr die Eede war. Dr. Büeler, der damalige Leiter des Eeferates Schweiz im SS-Hauptamt, erteilte seinen Mitarbeitern Alfred Kobi und Josef Schönenberger anfangs 1943 den Auftrag, Sturmbanne zu organisieren. Josef Schonenberger hat in der Folge, nach seiner Versetzung zur Aussensteile Feldkirch, im Vorarlberg auch einen Sturmbann gegründet.

Der Beginn der Gründung der eigentlichen Germanischen SS Schweiz fällt jedoch erst ins Frühjahr 1944, Zu dieser Zeit wurde Dr. Fritz Weilenmann, der bis dahin im Amt Boseriberg beschäftigt gewesen war, vom Leiter der Germanischen SS im SS-Hauptamt Kopischke mit der Bildung der Germanischen SS Schweiz beauftragt. Zufolge Erkrankung Weilenmanns verzögerte sich die Aufnahme der Arbeit bis in den Spätsommer 1944. Bei nacherwähnten Sonderstäben der Germanischen SS wurden die folgenden Eeforate Schweiz geschaffen : Sonderstab Spree mit Sitz in Eüdersdorf bei Berlin: Max Jaberg, Dachdecker, wohnhaft in Berlin.

Sonderstab Elbe in Dresden: Eugen Weniger aus Basel.

Sonderstab. Main in Nürnberg: J. P. Gloor, Kunstmaler.

Sonderstab Süd-West in Stuttgart: Diggelmann Hermann, Kaufmann, Stuttgart.

Die Bewerber wurden einer eingehenden rassenmässigen und körperlichen Untersuchung unterzogen und hatten in der Eegel eine Bewährungszeit von ca. 2 Monaten zu "bestehen. Die Aufgenommenen wurden uniformiert (Skihose und Skimütze) und auf Adolf Hitler vereidigt. In den meisten Standorten fand ein allwöchentlicher Abendappell (Sturmaberid) statt, wobei der weltanschaulichen politischen Schulung weitester Raum belassen wurde. Im November 1944
inspizierte Kopischke in Schruns den Sturm Vorarlberg und nahm vier Beförderungen von Funktionären vor. Vom 2. bis 4. Dezember 1944 fand in Schruns für die Funktionäre ein erster Lehrgang, statt mit militärischen

102 Übungen. Nach einem Tätigkeitsbericht vom 8. Januar 1945 betrug der Bestand am 1. Dezember 1944 208 Mann. Der Eeichsreferent Dr. Fritz 'Weilenmann, sein Stellvertreter Josef Schönenberg, Feldkirch, und die vier Gebietsreferenten galten als vollbeschäftigte Funktionäre und erhielten fixe -Monatsgehalte.

Für einen Funktionär wurde auf Veranlassung von Kopischke eine Beichsbetreuungsstelle für Schweizer bei der DAF geschaffen mit- dem Ziel, mittels einer sachlichen, von aller politischen Haltung der Schweizer unabhängigen Betreuung zu einer allmählichen politischen Gewinnung der Schweizer im Beich zu gelangen. In der Aufgabe wurde weiter aufgeführt, die Betreuung müsse grundsätzlich die Interessen des Beiches und seiner Sicherheit im Auge halten und bestrebt sein, diese mit den Interessen der Schweiz in Einklang zu bringen.

Sie arbeite damit gegen die schweizerische Gesandtschaft und die Neue Helvetische Gesellschaft. Es wurde versucht, zu Werbungszwecken eine Kartei sämtlicher im Eeich lebenden Schweizer zu erstellen. Tatsächlich wurden in monatelanger Arbeit auch ca. 15 000 Karteikarten angefertigt und den einzelnen Gebietsleitern zur Verfügung gestellt. Zufolge der kriegerischen Ereignisse mussten die Arbeiten aber bald hernach eingestellt werden.

Ähnlichen Zielen diente die Führerschule der Germanischen SS in Hildesheim. Diese Schule wurde im Frühjahr 1944 eröffnet. Die Lehrgänge dauerten ein bis zwei Monate und wurden von Angehörigen aller germanischen Staaten besucht. Im Frühjahr und Vorsommer 1944 nahmen insgesamt sieben Schweizer, die vom SS-Hauptamt Eeferat Schweiz hiezu aufgefordert worden waren, an solchen Lehrgängen teil.

Diese Untersuchung wurde kurz vor dem Abschluss des vorliegenden Berichtes auf einen 1931 in der Schweiz eingebürgerten, früher österreichischen Anwalt ausgedehnt, der beschuldigt wird, von 1989 weg bis gegen das Kriegsende an Seyss-Inquart mehrere unwahre Berichte über die politische und militärische Lage der Schweiz mit Vorschlägen zur Angliederung an Deutschland geliefert und bei seinen Eeisen nach Deutschland auch dem Sicherheitsdienst und einem hohen Gestapobeamten landesschädliche Falschmeldungen erstattet zu haben. Das aus deutschen Archiven stammende Aktenmaterial ist der Bundesanwaltschaft erst vor einigen Wochen übergeben worden. In der Schrift über das «Problem der deutschen Schweiz» werden für den Weg in die Geschichte drei Phasen auseinandergehalten. In der 2. Phase ist u. a. die Gründung einer SA-Formation und die Einbeziehung der Schweiz in das aussenpolitische deutsche Kraftsystem vorgesehen. Die 8. Phase sei überwiegend Angelegenheit und Aufgabe der Eeichsführung. In dieser müsse es für den Deutschschweizer klar geworden sein, dass sein politisches und rechtliches Schicksal sich nur im Eahmen des Eeiches vollziehen könne. Die erste Phase und der Beginn der 2. Phase wurden für das Jahr 1989 vorgesehen, der Beginn der 3. Phase für das Jahr 1940, so dass im Jahre 1941 oder spätestens 1942 das Problem gelöst sei.

103 Der vom 22. August 1939 datierte « Grundriss des Anbaues der Schweiz an das Beich» enthält die Grundrisse für die Gestaltung der Schweiz unter deutscher Herrschaft. Die italienisch sprechenden Teile würden zu Italien geschlagen. Die Frage, ob die französisch sprechende Schweiz Frankreich angeschlossen oder beim «Gau Schweiz» verbleiben solle, wurde offen gelassen.

Vertreten wurde eine halb souveräne Stellung des Gaues Schweiz, unter einer einheitlichen Führung, die der Eeichsführung direkt unterstellt wäre. Beibehaltung der Kantone,"mit je einem Kantonsführer, dem ein Eeichstreuhänder beizugeben wäre. Analoge Organisierung des eidgenössischen Verwaltungsapparates, Auflösung unseres Aussendepartementes und Beschlagnahme der Akten. Sicherstellung des Bundesrates und der höheren Beamten der Bundesverwaltung. Säuberung des Verwaltungsapparates. Die Schrift erwähnt die Möglichkeit, dass sich das Eeich und Italien in die Zwangslage versetzt sehen könnten, in die Schweiz einzumarschieren, und bemerkt in diesem Zusammenhang, dass sich, wenn es gelänge, die Befestigung an unserer Nordgrenze zu überrennen, die Aufgabe stellen würde, während des Einmarsches und unmittelbar nach dem Einmarsch ein Lebensgefüge herzustellen, das für die Bevölkerung wenigstens erträglich und auch national nicht unerträglich wäre.

In einem Bericht von Anfang April 1940 wird gesagt : Wie immer man auch die politische Geschichte Europas beurteile, so sei kein Zweifel, dass unser Land politisch keine Zukunftsberechtigung mehr habe und auch nicht haben könne. Der Anscbluss an den Blutkreislauf des Eeiches sei die gegenwärtige geschichtliche Aufgabe der Stunde unseres Volkes. «Er könnte sich dabei sehr wohl denken, dass der Übergang zum Anschluss vorbereitet würde durch einen Zwischenzustand einer diktatorischen Zusammenfassung unserer Kräfte in einer einheitlichen Führung.» In einem undatierten und nicht unterschriebenen Berichte wird behauptet, in der Schweiz bestehe eine Schreckensherrschaft der Bundespolizei, die alle irgendwie verdächtigen Elemente auf Monate hinaus in Haft nehme. Ein anderer gleichartiger Bericht enthält abf ällige Bemerkungen über Mitglieder des Bundesrates.

Aus Zuschriften vOn Seyss-Inquart an Himmler und Heydrich vom Sommer 1940 und 1941 geht hervor, dass der Beschuldigte sein volles Vertrauen genossen
hat. Er bezeichnet ihn als «sehr klugen Mann, der Deutschland sowohl durch Nachrichten als auch sonst in der Schweiz gut gedient habe... Er könne in dem Stadium der Zwischenlösungen eine Hüfsrolle spielen.» Der Beschuldigte, der sofort verhaftet wurde, wird wegen Landesverrates, landesverräterischer Verletzung militärischer Geheimnisse und politischen Nachrichtendienstes verfolgt. Einzelheiten können erst nach Abschluss der Untersuchung mitgeteilt werden.

104

D. Die gegen die Schweiz gerichtete Spionage-, Spitzel- und Sabotagetätigkeit.

Eine der Hauptaufgaben der politischen Polizei des Bundes und der Kantone während des Krieges war die Abwehr der ausländischen Spionage- und Spitzeltätigkeit. Über dieses Gebiet geben die nachstehenden Ausführungen Auskunft.

Es konnte sich allerdings nicht darum handeln, hier bereits auf Einzelheiten der vielen in Erage stehenden strafbaren Handlungen, die im Laufe des Krieges aufgedeckt wurden, einzugehen. Die nachfolgenden Angaben vermitteln einen Überblick; sie geben ein Bild über den Umfang dieser Tätigkeit und über die Arbeitsweise der Agenten, die gegen unser Land arbeiteten. Eine weitergehende Verarbeitung der zahlreichen Urteile muss für später vorbehalten bleiben.

Zwei Bemerkungen allgemeiner Natur sind vorauszuschicken: In erster Linie sei vorweg festgestellt, dass sich unser Land während des Krieges auf dem Gebiete der Bespitzelungen nicht etwa einzig der Umtriebe von Agenten der einen kriegführenden Mächtegruppe zu erwehren hatte.

Auf dem wirtschaftlichen Sektor waren da vielmehr durchaus beide Kriegsparteien an der «Arbeit». Die schweizerische Abwehr richtete sich dementsprechend auch gegen beide Seiten. Wenn trotzdem im folgenden fast ausschliesslich von deutschen Umtrieben gesprochen wird, so aus zwei Gründen. Einmal handelte es sich bei der weitaus überwiegenden Mehrzahl der aufgedeckten Eälle militärischer Spionage zum Nachteil unseres Landes, von der vor allem die Eede sein wird, um deutsche Spionage. Auch Italien hat sich, wie durchgeführte Strafuntersuchungen zeigten, für unsere militärischen Einrichtungen und politischen Verhältnisse interessiert. Von keinem andern Land, auch von Italien nicht, wurde jedoch eine so systematisch organisierte, gegen uns gerichtete militärische Spionagetätigkeit entfaltet wie vom nationalsozialistischen Deutschland. Der zweite Punkt steht im Zusammenhang mit einer Bemerkung, die bereits bei den Ausführungen über die deutsche Kriegspropaganda gemacht wurde. Es ist dort gesagt worden, dass die deutsche Kriegspropaganda für unser Land deshalb besonders gefährlich war, weil sich ihr politischer Gehalt gleichzeitig direkt oder indirekt immer auch gegen die schweizerische demokratische Staatsauffassung richtete. Durchaus in gleicher Weise war die gegen unser Land gerichtete
deutsche politische Spitzeltätigkeit zu beurteilen und damit schliesslich auch die ganze mit dem politischen Nachrichtendienst vielfach verbundene deutsche Militär- und Wirtschaftsspionage.

Die zweite Bemerkung betrifft die Abgrenzung des behandelten Stoffes.

Es sind im Laufe des Krieges von den schweizerischen Polizeiorganen auch viele Fälle von Nachrichtendienst zum Nachteil und zugunsten fremder Staaten aufgedeckt worden. Da auch solche Umtriebe nach eidgenössischem Eecht in der Schweiz strafbar sind, wenn sie auf schweizerischem Territorium begangen werden, erfolgten ebenfalls auf diesem Gebiete nicht wenige gerichtliche Verurteilungen. Diese Handlungen gehören jedoch nicht in das Gebiet, über das hier gemäss Wortlaut der Motion Boerlin Aufschluss zu geben ist.

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Die folgenden Angaben beziehen sich daher nicht auf solche Fälle, wo ein ausländischer Nachrichtendienst zum Nachteil eines andern Staates arbeitete.

In Deutschland waren es sowohl Militär- als auch Polizei- und Parteistellen, die sich für die Vorgänge und Verhältnisse militärischer, politischer und wirtschaftlicher Art in der Schweiz interessierten. Wie aus den spätem Untersuchungen hervorging, ist der deutsche Spionagedienst gegen die Schweiz schon vor Ausbruch des Krieges aufgebaut worden, indem der deutschen Gesandtschaft und den deutschen Konsulaten besondere Vertreter der Abwehrstelle (AST) und des Sicherheitsdienstes (SD) beigegeben wurden, die getarnt als Angehörige des diplomatischen und konsularischen Korps ihre verbotene Tätigkeit ausübten. Während des Krieges wurde diese Organisation weiter ausgebaut, und zwar so, dass man von einem feinmaschigen Netz sprechen kann, das sich über das ganze Gebiet der Schweiz ausbreitete. Um nicht unrichtige Vorstellungen zu erwecken, ist immerhin eine gewisse Präzisierung dieses Bildes am Platze. Wenn auch die schweizerische Polizei nach den gemachten Erfahrungen und im Hinblick auf den Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Eegimes gegenüber seinen Parteiangehörigen im besondern und den deutschen Staatsangehörigen im allgemeinen annehmen musste, dass in erster Linie die Mitglieder der NSDAP zu diesem Netz gehörten und dass darüber hinaus sogar jeder Deutsche verpflichtet war, seine Wahrnehmungen in der Schweiz den amtlichen Stellen seines Landes zu melden, so haben die überaus zahlreichen polizeilichen Ermittlungen doch ergeben, dass dieses Netz nicht einfach identisch war mit der N SD AP-Mitgliedschaf t oder gar mit der Zugehörigkeit zur deutschen Kolonie an sich. In das Spionagenetz, das sich von der gefährlichsten Militärspionage bis zur kleinen Schnüffelei im Alltagsleben erstreckte, liessen sich sowohl Parteimitglieder als auch Nichtrnitglieder einspannen, teils aus Pflichtgefühl der Heimat oder der Partei gegenüber, teils aus gewöhnlicher Gewinnsucht oder zur Sicherung der persönlichen Existenz.

Die Hauptagenten waren jedoch in der Regel von aussen in die Schweiz geschickt. Dass sich ferner auch Schweizer in den Dienst des deutschen Spionagelind Spitzelnetzes stellten, und dass in den Kreisen der rechtsextremen Brneuerungsbewegungen eine besondere Anfälligkeit für dieses schändliche Tun festgestellt werden konnte, darüber haben bereits die Ausführungen früherer Kapitel Aufschluss
gegeben. Bereits im Jahre 1989 konnte eine grössere Anzahl von Personen wegen Widerhandlung gegen das Spitzelgesetz verhaftet werden.

In den folgenden Jahren zeigte sich eine stete Zunahme der Spionagefälle.

Insbesondere während der kritischen Kriegsjahre haben festgestelltermassen hunderte von Personen, vom raffinierten Spion bis zum kleinen Agenten und Helfershelfer, eine derartige Tätigkeit gegen die Schweiz ausgeübt. Die deutschen Militär-, Polizei- und Parteistellen waren bestrebt, durch planmässigen Einsatz alles, was geheim oder irgendwie von Bedeutung war, auszukundschaften und in Erfahrung zu bringen. Über die grosse Zahl der vorgenommenen Verhaf-

106 tungen und Überweisungen an die schweizerischen Gerichte werden noch Angaben folgen.

* * Als A u f t r a g g e b e r der deutschen Spionage- und Spitzeltätigkeit konnten folgende drei Stellen festgestellt werden (die Namensangaben erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit; sie beruhen auf Aussagen, die vor schweizerischen Amtsstellen gemacht wurden) : 1. W ehrmacht-Abwehr stelle (AST).

Deren Leiter war Admirai Canaris. Bei der AST handelte es sich um den offiziellen Spionage-, Gegenspionage- und Sabotagedienst der deutschen Wehrmacht.

Mit der Bearbeitung der Schweiz wurde die AST-Zentrale in Stuttgart betraut. Diese unterstand bis 1942 Oberstlt. Zeitz, später Oberstlt. Stefan, Oberst Heusser und Oberst Ohlendorf. Sie war wie folgt organisiert: I. Gruppe.

Eeferat I H (Heer). Leitung: Oberstlt, Schmidt alias Dr. Petersen und Buf; später Oberstlt. Bumpe und Oberstlt. Eudolf.

Beferat I Wi (Wirtschaft). Leitung: Major Gayler.

Eeferat I G (Geheimgruppe). Diese hatte sich mit Punksachen, Pässen, Auswertung von Geheimschriften und Dokumenten etc. zu befassen.

Leitung: Major Heiland.

II. Gruppe. Leitung: Freiherr von Stauffenberg alias «Onkel Franz». Diese II. Gruppe war die Sabotagegrüppe. Ihre Aufgabe wäre es z. B. gewesen, bei einem Angriff gegen die Schweiz die Brücken und andere militärische Objekte zu zerstören oder zu erhalten, III. Gruppe. Leitung: Oberstlt. Meyer. Ihr war die Spionage-und Sabotageabwehr in Deutschland übertragen. Gegliedert war sie wie folgt: Beferat HI F : Erkundung und Unschädlichmachung des ausländischen Nachrichtendienstes.

Beferat IIIH: Behandlung der Straffälle der deutschen Soldaten, wie Deserteure usw.

» III C l : Grenzangelegenheiten.

» IH C 2: Überwachung der Ausländer in Deutschland.

» III Kgf: Überwachung der Kriegsgefangenen.

» III Wi: Schutz der inländischen Industrie vor Sabotage.

» HIN: Überwachung des Nachrichtenwesens (Telephon- und Telegrammverkehr) im Inland.

In Sigmaringen unterhielt die AST Stuttgart eine Funkstelle, die unter Leitung von Hptm. Frentznik stand.

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Auch die AST-Zentralen in München und Karlsruhe arbeiteten teilweise gegen die Schweiz. Längs der Schweizer Grenze wurden folgende Aussensteilen errichtet : Lörrach: (Major Fohlen und Malzacher).

Säckingen: (Hptm. Badow und Malzacher).

Konstanz: (Major Bohning und seit 1943 Furrer alias Witum und Beranger).

Bregenz: (Major Böning).

Admirai Canaris ist vermutlich im Zusammenhang mit dem am 20. Juli 1944 erfolgten Attentat gegen Hitler ausgeschaltet worden, worauf die gesamte Nachrichtenorganisation der AST dem Reichssicherungshauptamt angegliedert wurde.

Über die Organisation der AST in Deutschland gibt das Schema auf Seite 108 einen Überblick.

2. Reichssicherungshauptamt, Amt VI, Auslandsnachrichtendienst (SD des RSHA).

Leiter dieses Nachrichtendienstes war S S-Brigadeführer Schellenberg, der direkt dem Reichführer-SS und Chef der deutschen Polizei Himmler unterstand. Der SD war der eigentliche Nachrichten- und Polizeiapparat der NSDAP.

Er befasste sich mit der Nachrichtenbeschaffung auf allen Gebieten. Dabei tarn es zur Rivalität mit der AST und Gestapo, wobei der SD immer mehr und mehr an Einfluss gewann, bis der gesamte deutsche Spionage- und Gegenspionagedienst schliesslich in die Zentrale Himmlers überging.

Gegen die Schweiz arbeitete vor allem die in Stuttgart eingerichtete Zentrale des SD. Diese führte zur Tarnung die Bezeichnung «Alemannischer Arbeitskreis». Leiter war hier bis anfangs 1944 SS-Sturmbannführer Hügel und nachher Dr. Gerhard Hess, höherer SS-Offizier.

Längs der Schweizergrenze wurden ebenfalls geheime Aussenstellen errichtet.

Der SD war immer bestrebt, sich möglichst gut zu tarnen. Seine Agenten wurden in Deutschland in allen möglichen Amts- und Parteistellen sowie privaten Unternehmungen eingesetzt. Im Ausland sind die Beauftragten des SD zur Tarnung und Sicherung dem Gesandtschafts- bzw. Konsulatspersonal zugeteilt gewesen.

Die schematische Darstellung auf Seite 109 gibt ein Bild über den Aufbau des SD.

3. Reichssicherungshauptamt, Amt IV, Gestapo, Leiter dieses Amtes war SS-Gruppenführer Müller, der ebenfalls direkt Himmler bzw. SS-Gruppenführer Kaltenbrunner unterstand. Die Gestapo war die eigentliche Exekutivgewalt in Deutschland, die im Gegensatz zum

108 Organisation der AST in Deutschland

Erläuterung:

AST. = Abwehrstelle mit ABW.-Nebenbzw. ABW.-Aussenstelle Gleich für Amt Abwehr und alle Abwehrstellen: Untergruppen: I = Spionage II = Propaganda, Sabotage III = Gegenspionage IH, IM JSp. geg. fremde Heere l LUFT (Marinen, Luftwaffen l Wi = Sp. geg. fr. Wirtschaft . . Techn.Ausrstg. F.SP. (Funk, Codes, 1 Tinten usw.)

II = Nicht unterteilt

III H III M LUFT

Gegenspion, gegen fr. ND. in ignem Heer- Marine u. Luft[ waffe e

III Wi = Schutz d. eig, Wirtschaft III RÜ = Schutz d. eig. Rüstungsbetriebe MI N l Schutz d. eig. Telegraphen-, l Telephon- und Funknetzes in if f J Gegenspion, geg. fr, ND. in « Gegenspion, geg. fr. ND. besonders im Ausland AST.-Nummern XIV und XV für Protektorat vorgesehen, jedoch nicht durchgeführt.

109 Organisation des SD des RSHA in Deutschland

Erläuterung: SD-Leitstellen für Provinzen etc.

SD-Stellen für Regierungsbezirke etc.

SD-Aussanstellen je nach Bedürfnissen Gesamt: ca. 25 SD-Leitstellen ca. 70 SD-Stellen ca. 300 SD-Aussenstellen

110 SD dementsprechend nach aussen in Erscheinung trat. In ihren Aufgabenkreis gehörte auch die politische Überwachung der Gegner des Eegimes. Dare Tätigkeit machte jedoch an der Landesgrenze nicht Halt, sondern es wurde auch im Ausland zur Überwachung und Bespitzelung der Organisationen und Personen, die gegen den Nationalsozialismus eingestellt oder tätig waren, ein Nachrichtendienst unterhalten.

Das Schema auf Seite 111 gibt Aufschluss über die Organisation der Gestapo in Deutschland.

Die Organisation und Arbeitsweise der deutschen Spionageund Spitzeltätigkeit in der Schweiz: 1. In erster Linie waren es Angehörige der Gesandtschaft und Konsulate, vor allem die besonders eingesetzten Vertrauensleute des SD und der AST, die gegen die Schweiz arbeiteten.

In Bern befasste sich ein «Büro F» mit der Nachrichtenbeschafftmg aller Art. Dasselbe war der deutschen Gesandtschaft angegliedert und stand unter Leitung von Generalkonsul Meissner. Die dem Tätigkeitsgebiet entsprechenden Untergliederungen des «Büro F» waren: a. Aktive Spionage: Chef: Albert; &. Gegenspionage: Chefs: von Pescatore und Piert; c, wirtschaftlicher Nachrichtendienst: Chef: Gerì. Mit Bücksicht auf die Exterritorialität musste auf eine gerichtliche Verfolgung gegen die genannten Chefs verzichtet werden. Dagegen sind alle vom Bundesrat am 8. Mai 1945 gestützt auf Art. 70 der BV aus der Schweiz ausgewiesen worden.

Meissner, von Pescatore und Piert wurden am 25. Mai 1945, Albert am 80. Juni 1945 und Gerì am 19. Oktober 1945 ausgeschafft.

Bereits im Jahre 1989 hatte sich der Gehilfe des deutschen Militärattaches, namens Eberth, mit der Auskundschaftung militärischer Geheimnisse in der Schweiz befasst, weshalb er am 9. Mai 1940 ausgeschafft wurde. Festgestelltermassen konnte sich Eberth einen Plan über militärische Anlagen in der Gegend von Murten sowie einige andere militärische Meldungen verschaffen. Im Zusammenhang damit sind der ehemalige Leiter der schweizerischen Einheitspartei (SEP), Gfeller Paul, und Schärer Wilhelm, vom Divisionsgericht 3 A am 19, Dezember 1941 zu je 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Der durch den Ausbruch aus dem Gefängnis in Pfäffikon-ZH bekannt gewordene Knüttel Emil war ebenfalls Angestellter der deutschen Gesandtschaft in Bern. Er arbeitete mit einer ganzen Anzahl Agenten gegen die Schweiz.

Knüttel verzichtete in der Folge auf die Vorrechte der Exterritorialität, weil er eine Bestrafung in Deutschland befürchtete. Das Territorialgericht 2 A hat ihn am 19. Mai 1943 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Am 28. Oktober 1944 wurde Hptm. Frank Otto, der dem deutschen Militärattache zugeteilt war, gestützt auf Art. 70 BV ausgewiesen, weil er selbst militärische Geheimnisse auskundschaftete und Agenten anwarb.

111 Organisation der GESTAPO in Deutschland.

Erläuterung: Einteilung der Dienststellen mit geringen Ausnahmen wie bei SD (Leitstelle für Provinz, etc.)

Gesamt: ca. 25 STAPO-Leitstellen ca. 65 STAPO-Stellen ca. 300 STAPO-Aussen- (Grenz-) Stellen ca. 850 STAPO-Grenzposten Untergliederung: (Gleich von GESTAPA bis zu STAPO-Aussen- [Grenz-] S'ellen) Abt. l = Organisation, Verwaltung, Personal Abt. II ä= Schulung, Volkstum, Parteien, Religion Abt. III = Spionage, Gegenspionage, Sabotage, Wirtschaff STAPO-Grenzposten

112 Tm Auftrage der deutschen Gesandtschaft arbeitete ferner ein Jakob Purst, der sich eine Anstellung beim amerikanischen Militärattache zu verschaffen verstand, gegen die Schweiz und gegen das Ausland. Fürst ist vom Territorialgericht 2 A am 19. Mai 1943 zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt -worden.

Auf Veranlassung der Bundesbehörden sind wegen Spionagetätigkeit am 4. Januar 1943 Vizekonsul Dr. Ashton und am 30. September 1944 Vizekonsul , Dr. Heberlein, beide vom deutschen Generalkonsulat in Zürich, aus der Schweiz entfernt worden. Wie im Kapitel über die schweizerischen Bechtsextremisten erwähnt wurde, hatte sich Dr. Ashton im übrigen auch andere Machenschaften gegen die Schweiz zuschulden kommen lassen. Der Konsulatsangestellte Geiger ist am 7. Mai 1942 verhaftet und austauschweise nach Deutschland ausgeschafft worden. Dr. Gröbl, Beamter des Generalkonsulates in Zürich, der sich, wie ebenfalls bereits berichtet wurde, insbesondere mit der Organisation einer illegalen SS in der Schweiz. (Sportschule Maag) befasste und mit der Gruppe Staiger in Verbindung stand, musste am 28. Oktober 1941 unser Land verlassen. Vizekonsul Janke, der in einem Spionagefall Auftraggeber war, ist von seiner Berliner Eeise im März 1945 nicht mehr zurückgekehrt. Der frühere Konsulatsbeamte Lang wurde vom Divisionsgericht 8 am 25. September 1942 im grossen Spionagefall Zürcher, Fehr und Konsorten in contumaciam zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, währenddem gegen die beiden Fouriere das Todesurteil ausgesprochen worden ist.

Der Konsulatsangestellte Bögemann in Basel wurde am 12. Januar 1942 an die Grenze gestellt, weil er in Zusammenhang stand mit der schwerwiegenden Spionageaffäre Oblt. Beimann, Lt. Kulli, Philipp und Konsorten. Die drei letztern sind in der Folge zum Tode verurteilt worden. Auch der Kanzler Christlein und Konsulatssekretar Gläser in Basel befassten sich mit Nachrichtendienst. Sie wurden vom Bundesrat am 8. Mai 1945 gestützt auf Art. 70 B V aus der Schweiz ausgewiesen. Gläser musste am 25. Mai 1945 und Christlein am 9. Juli 1945 unser Land verlassen. Festgestelltermassen stand mit Christlein auch der Beamte der BIZ, Mähler Ludwig, der am 21. Juni 1945 Selbstmord beging, in Verbindung.

Im deutschen Konsulat in St. Gallen befasste sich der Angestellte Seilig Gottlob Heinrich mit Militärspionage
gegen die Schweiz. In seinem Auftrage hat u. a. der vom Divisionsgericht 7 A am 9. Oktober 1942 zum Tode verurteilte Schrämli eine Panzergranate dem deutschen Nachrichtendienst zugänglich machen wollen. Heilig übergab dem Spionageagenten Wohler Paul Werner im Sommer 1941 einen Geheimsender, der dazu bestimmt war, im Kriegsfalle die Verbindung zwischen der deutschen Armee und dem Landesinnern der Schweiz herzustellen. Heilig musste bereits im Januar 1942 die Schweiz verlassen. Er ist später vom Divisionsgericht 8 am 16. März 1943 in contumaciam u. a. zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

In Lausanne arntete als Sonderbeauftragter des SD Vizekonsul Daufeldt, der wegen dieser Tätigkeit anfangs März 1945 entfernt wurde.

113 Als Beauftragte des «Büro F» waren beim Konsulat in Genf Engeibrechten Max und beim Konsulat in Lugano von zur Mühlen Walrat Josef eingesetzt.

Engeibrechten musste am 27. April 1944 auf Begehren der schweizerischen Behörden das Land verlassen. Von zur Mühlen wurde als einer der ersten nach Kriegsschluss ausgewiesen. Konsul Böhme in Davos ist im Zusammenhang mit dem Fall Grimm, Laubscher und Konsorten der Spionagetätigkeit überführt und anschliessend am 80. März 1943 zum Verlassen der Schweiz verhalten worden.

Wie aus den angeführten Daten über vorgenommene Ausweisungen hervorgeht -- z. T. handelte es sich um Entfernungen auf diplomatischem Wege --, ist bereits während des Krieges von seiten der schweizerischen Behörden auch gegenüber diesen «offiziellen Spionen» eingeschritten worden, wenn sie überführt werden konnten. Die Schwierigkeiten, welche die diplomatischen Privilegien in einzelnen Fällen bereiteten, sollen dabei nur nebenbei erwähnt sein.

Die letzte Säuberung erfolgte nach Kriegsende.

2. In den Spionagedienst war ebenfalls die deutsche Reichsbahnzentrale in Zürich eingespannt. 'Der Leiter dieser Zentrale, Streibel Friedrich, wurde im Herbst 1943 im Austauschverfahren nach Deutschland ausgeschafft. Sein Stellvertreter, Dr. Lemberger, ist vom Territorialgericht 3 A am 28. Mai 1943 zu zwei Jahren Gefängnis und zehn Jahren Landesverweisung verurteilt worden.

Der Vertreter der deutschen L u f t h a n s a , von.Köniz Hans, wurde wegen seiner Spionagetätigkeit gegen, die Schweiz vom Territorialgericht 2 B am 10. August 1944 zu 12 Jahren Zuchthaus und 15 Jahren Landesverweisung verurteilt.

3. Auch die Mitglieder der deutschen Handels- und Industriekommissionen erhielten Sonderaufträge. Vielfach wurde ferner von den deutschen Stellen die Erteilung von Visa an deutsche Eeichsangehörige, die 2. B. aus geschäftlichen Gründen oder zur Erholung in die Schweiz reisen wollten, von der Erledigung von Nachrichtenaufträgen aller Art abhängig gemacht.

4. Einer besonderen Behandlung im Interesse der Nachrichtenbeschaffung wurden auch die illegal nach Deutschland ausgereisten Schweizer unterzogen. Nach einer ersten Befragung bei der Anhaltung kamen sie nach Stuttgart in das «Panoramaheim», über das bereits im Kapitel über die schweizerischen Rechtsextremisten berichtet worden ist. Dort wurden sie
vorerst gut aufgenommen u. a. mit dem Zweck, aus ihnen möglichst alles Wissenswerte herauszuholen. Über die militärischen Belange sind sie u. a. vom AST-Major Grom alias Gruber, Graber und Müller abgehört worden. Von der weiteren Bedeutung des «Panoramaheinis» als Rekrutierungsstelle insbesondere für die Waffen-SS ist ebenfalls schon gesprochen worden.

5. Alle drei genannten deutschen Spionagestellen (AST, SD und GESTAPO) haben zwecks Beschaffung militärischer, politischer und wirtschaftlicher Meldungen auch sehr viele Agenten speziell für diese A u f g a b e in die Bundesblatt. 98. Jahrg. Bd. I 8

114 Schweiz geschickt. Diese Agenten gelangten bald legal, bald illegal über die Grenze. Teilweise wurden sie mit falschen Ausweisschriften und mit gefälschten Mahlzeiteneoupons versehen. Es sind ihnen in einzelnen Fällen auch topographische Karten im Maßstab l : 25 000, die in Deutschland gedruckt wurden, übergeben worden, femer Minox-Taschenphotoapparate zum Photographieren militärischer Anlagen, Pläne und Dokumente. (Es konnte im übrigen festgestellt werden, dass in Deutschland für alle Gebiete der Schweiz auch Dufourkarten l : 100 000 mit dem Vermerk « Sonderausgabe -- nur für den Dienstgebrauch! 6. 39» gedruckt worden sind.) Die Agenten reisten selbst zu FUSS, mit Fahrrad oder Automobil in der Schweiz umher, um die ihnen übertragenen Aufgaben persönlich zu erledigen. Vielfach ist ihnen von den deutschen Auftraggebern sogar ein Generalabonnement der SBB zur Verfügung gestellt worden. Überdies wurden noch zahlreiche Agenten in der Schweiz angeworben. Der Kreis von Deutschen und Schweizern, aus dem sich diese Unteragenten rekrutierton, ist bereits umschrieben worden. Sowohl die Auftraggeber wie alle wichtigen Agenten arbeiteten mit Decknamen und Decknummern.

6. Für die Übermittlung der A u f t r ä g e und Meldungen wurde zur Hauptsache der diplomatische Kurier benützt. Aber auch Funk, Fernschreiber, Hellschreiber und Morse-Schreibtelegraph standen der deutschon Gesandtschaft und teilweise dem Generalkonsulat in Zürich zur Verfügung. Ferner erfolgte die Übermittlung durch deutsche Bahn- oder Zollfunktionäre, die in Ausübung ihres Dienstes die Grenze überschreiten mussten, so vor allem in Basel, Schaffhausen und Buchs. Auch schweizerische und deutsche Grenzgänger, die regelmässig die Grenze passierten und unverdächtig erschienen, dienten diesem Zweck. Der vom Territorialgericht 2 B am 26. April 1945 zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilte Albert Sutter hatte in einem Lastwagen, mit dem regelmässig Fahrten von der Schweiz nach Deutschland ausgeführt wurden, eine Anzahl von Verstecken eingebaut, die dazu dienten, Photographien, Pläne, Akten und grössere Gegenstände heimlich über die Grenze zu bringen.

In mehreren aufgedeckten Fällen erfolgte die Übermittlung schriftlich an eine Deckadresse, so z. B. an die Adresse «Evangelischer Missionsverlag in Stuttgart, Kasernenstrasse 21». Dieser Verlag
existierte tatsächlich. Damit die Meldungen an die Gestapo gelangen konnten, musste als besonderes Merkmal die Frankatur aus drei Zehnermarken bestehen, wovon die mittlere verkehrt aufzukleben war. Diese so gekennzeichneten Briefe sind von der deutschen Postzensur abgefangen und an die Gestapo weitergeleitet worden. Zur Tarnung enthielt die erste Seite dieser Briefe einen harmlosen Text, während die militärischen und politischen Meldungen auf der Rückseite mit unsichtbarer Tintegeschrieben waren. Die sympathetische Tinte und das Material zur Sichtbarmachung der damit geschriebenen Aufträge wurden den Agenten in der Schweiz von deutscher Seite zur Verfügung gestellt. Auch durch Liebes- und Geschäftsbriefe sind auf diese Weise Meldungen übermittelt worden, wobei sich der

115 unsichtbare Text zwischen den Zeilen des Briefes oder auf der Eückseite der Umschläge befand.

Als diese Art der Nachrichtenübermittlung nicht mehr sicher war, wurden verschiedene männliche und weibliche Agenten mit Kurzwellensendern aus gerüstet, die festgestelltermassen durch den diplomatischen Kurier in die Schweiz gelangten. Die Sender waren in einen handlichen Lederkoffer eingebaut. Zur Tarnung trug die Apparatur eine englische Beschriftung. Die damit ausgerüsteten Agenten hatten in Deutschland vor ihrem Einsatz einen längern Funkerkurs zu bestehen, wobei ihnen das Morsen und Chiffrieren gründlich beigebracht wurde. -- Während einiger Zeit konnten Agenten mit solchen Funkapparaten mit der früher erwähnten Funkstelle in Sigmaringen in Verbindung treten. Durch Peilungen und polizeiliche Nachforschungen gelang es jedoch bald, mehrere Apparate festzustellen und zu beschlagnahmen.

Einige derselben sind vom «Büro F» zurückgezogen und z. T. wieder nach Deutschland verbracht worden, um sie dem drohenden Zugriff der Polizei zu entziehen. Mit einem solchen Funkapparat wurde u. a. im Spionagefall Grimm, Laubscher und Konsorten, der mit einem Todesurteil gegen die beiden Genannten endigte, gearbeitet.

Um eine richtige Vorstellung über die Organisation und Verbindungen der gegen unser Land gerichteten deutschen Spionage zu verschaffen, sind auf den Seiten 116 und 117 zwei Beispiele von Spionagefällen schematisch dargestellt.

Über den Inhalt der Nachrichten, die sich Deutschland auf militärischem Gebiet über die Schweiz zu verschaffen versuchte, gibt die nachstehend wiedergegebeno Instruktion Aufschluss, dio dem bereits genannten Spionageagenten Paul W. 'Wohler bei dessen Verhaftung am 6. Juni 1942 abgenommen werden konnte.

«Truppen: Angabe der Nummer, Farbe der Aufschläge, Abzeichen. -- Welcher Division oder Brigade gehören sie an ? -- Zeit und Ort der Feststellung, wo Kantonnement, wo Einsatzgebiet? Wo liegen Stäbe vom 1., 2., 8., 4. AK. und von den Divisionen und Gebirgsbrigaden ? Wer ist Kommandeur ? Welche Divisionen und Gebirgsbrigaden gehören zu den einzelnen AK.s ? Einteilung der Grenzbrigaden, wo liegen Stäbe? Welche Bataillone gehören zu den einzelnen Brigaden und wo hegen sie? Angaben über Beurlaubung bzw.

Einziehungen von Einheiten, wann und wie lange, wohin. (Nach dem neuen Erlass
des -Generals.)

Bewaffnung: Zuteilung von IK, Minen werf er, Panzerbüchsen und Flammenwerfer, Maschinenpistolen pro Bat, bzw. Egt. Technische Beglemente über diese Waffe erwünscht.

116

Spionageuntersuchung Leitz und Konsorten

Schematische Darstellung der Beziehungen der Beschuldigten aus der Spionageuntersuchung i. S. Laubscher, Grimm und Konsorten

117

118 8--4 Geschosse der Tankbüchse erwünscht.

Genaue Beschreibung des Flammenwerfers, Konstruktion, Wirkung, Schutzmittel dagegen. Bei neuen Waffen, Munition, immer Eigenschaft, Wirkung, Herstellungsfirma melden; erwünscht ist Beschaffung 3--4 Geschosse der 20-mm-Flugzeugkanone mit höchstempfindlichem Zünder.

Panzerwagen: wieviel, Organisation, Bestückung, Panzerung, Funkausrüstung, Motor, Verbrauch an Brennstoff.

Militärische Anlagen: Geheime Pläne über Kéduit national, geheime Aufraarschpläne, Operationspläne, Pläne vom Gotthard, Sargans, Samaden, Monte Ceneri, Maloja-, Ofen- und Simplonpass, St-Maurice, Le Lode.

Erkundungen: Gebiet Urner Boden, Klausenpass, Hilterfingen--Interlaken, Luzern--Bern (Entlebuch), mit Tälern gegen Süden.

Immer genaue Lage, Art und Bestückung, bei Sprengvorrichtungen wo Auslösung, wie Ladung angebracht, ebenso bei Minenfeldern. Bei militärischen Sendern : Apparate, Lage, fest oder fahrbar. Wellenlänge, Bufzeichen, Sendezeit, Geheimcode bzw. -Schlüssel für militärischen Nachrichtenverkehr. Bei Depots wo, was und für wen?» Wohler, der vom Divisionsgericht 8 am 16. März 1948 zu 14% Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, hatte diese Instruktion von einem Funktionär der AST namens Strenkert alias Sträub erhalten. Gegen diesen ist vorn Divisionsgericht 8 am 1. Februar 1943 in contumaciam das Todesurteil gefällt worden.

Auf dem politischen Gebiet verschaffte sich der SD und die Gestapo insbesondere Nachrichten über die Einstellung von politischen Organisationen, Verbänden, Vereinen und Einzelpersonen gegenüber Deutschland. Bespitzelt wurden vor allem Zeitungsredaktoren, Emigranten, Kommunisten und Juden.

Ferner wurden die Gesandtschaften und Konsulate der Kriegsgegner beobachtet.

Auf wirtschaftlichem Gebiet interessierte ganz allgemein, was und für wen in der Schweiz fabriziert wurde. Daneben suchte Deutschland insbesondere auch auszukundschaften, in welchen Betrieben jüdisches Kapital investiert war. Deutsche Agenten waren ferner beauftragt, im Zusammenhang mit der deutschen Devisengesetzgebung Depots von deutschen Staatsangehörigen auf schweizerischen Banken festzustellen. In verschiedenen Fällen ist sogar ausgespitzelt worden, was Deutsche, die in unser Land einreisten, in der Schweiz ausgaben; dies, um kontrollieren zu können, ob mehr als die bewilligten Devisen gebraucht wurden. Dies sind bloss einige typische von zahlreichen aufgedeckten Fällen der Finanzspionage.

119 Sabotagetätigkeit: Bereits im Jahre 1940 hatte sich dio Polizei des Bundes und der Kantone in Verbindung mit Militärpolizeistellen mit einem schwerwiegenden Fall versuchter deutscher Sabotage zu befassen. In der Nacht vom 18./14. Juni 1940 waren bei Konstanz und Martinsbruck 10 deutsche Saboteure illegal in die Schweiz eingereist, nachdem sie in Berlin neue Zivilkleider, je Fr. 500 und folgende Gegenstände gefasst hatten: je l Büchse, enthaltend Sprengstoff; l Schnur mit Haken zur Befestigung des Sprengkörpers; l automatische "Waffe, Marke FN; l Paket Munition, ca. 40 Patronen; l Dolch; l Feldstecher {Nachtglas); l Drahtschere; l Kompass; l Karte der Schweiz; l Taschenlampe mit Verdunkelungseinrichtung. Der Sprengstoff war in einem grau-beigen Packpapier verpackt und mit grünem Siegellack versiegelt. Das Petschaft lautete «Action internationale contre la guerre»; es zeigte ferner einen Drachentöter. Das Paket war adressiert an Monsieur Popoff, 43 rue de la Paix, Paris, und trug den Vermerk: «par Mailand». -- Die Saboteure hatten in Berlin Instruktionen über die Handhabung der ihnen übergebenen Höllenmaschinen und den Auftrag erhalten, als Vergeltungsmassnahme für die in der Schweiz abgeschossenen deutschen Flugzeuge in der Nacht vom 16./17. Juni 1940 auf den Flugplätzen Lausanne, Payerne, Biel und Spreitenbach-AG Militärflugzeuge mittelst Sprengkörpern zu zerstören. Vor ihrer Abreise wurde ihnen unter Androhung der Todesstrafe das Gelübde zur Schweigepflicht abgenommen.

Dank der Aufmerksamkeit eines Bahnangestellten, der intensiven polizeilichen Fahndung und der Verstärkung der Flugplatzbewachungen konnte diese Sabotageaktion verhindert und folgende 9 Saboteure verhaftet · werden : die Schweizerbürger Weber Felix und Leu Erwin; die deutschen Beichsangehörigen Burg Peter alias Berg, Brüning Wilhelm alias Brandt und Otero, Freiberger Georg alias Fritsche, Karsten Heinrich alias Karl, Loos Berthold aüas Luhr, Teufl Johann alias Tenchert, von Thaden Hellmuth alias Thomsen.

Alle neun sind vom Territorialgericht 2 am 16. November 1940 zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden.

Wie nachträglich festgestellt werden konnte, versuchte der zehnte Angehörige der Sabotagegruppe, ein Deutscher namens Schagen Peter, in der Nacht vom 13./14. Juni 1940 zwischen Kemüs und Punt Eussenna mit einem gültigen
brasilianischen Eeisepass, lautend auf Correia di Barro Umberto, einzureisen. Da derselbe nichts Verdächtiges auf sich hatte, wurde er über die Grenzstelle Martinsbruck wieder nach Deutschland zurückgeschoben.

Dagegen konnte später im Walde versteckt auch sein Handkoffer mit dem gleichen vorerwähnten Inhalt aufgefunden werden.

Aus durchgeführten Strafuntersuchungen ging hervor, dass später in Berlin-Brandenburg und Stuttgart besondere Sabotage- und Sprengstoffkurse durchgeführt worden sind. IQ diesen Kursen wurden die Teilnehmer über die Herstellung und Verwendung von Sprengstoffen instruiert. Insbesondere ist ihnen beigebracht worden, wie aus primitivem Material Spreng- und Brandmittel hergestellt werden können. Es wurden Spreng- und Brandbomben mit

120 Zeitzünder angefertigt und zu Demonstrationszwecken zur Entzündung gebracht. Ferner sind verschiedene Brandmittel vorgeführt und die Herstellung von Zündsätzen gelehrt worden. Auch die Herstellung und Verwendung von Geheimtinte wurde unterrichtet und das Schiessen mit Handfeuerwaffen und Maschinenpistolen geübt. Die Teilnehmer mussten sich dabei durch Unterschrift und Handschlag verpflichten, über diese Kurse absolutes Schweigen zu bewahren. Es wurde ihnen für den Fall der Zuwiderhandlung gegen dieses Schweigegebot mit der Todesstrafe gedroht.

Derartig ausgebildete Sabotageagenten waren bereits auch schon in der Schweiz an der Arbeit, zunächst zur Vornahme der den deutschen Auftraggebern notwendig erscheinenden Vorbereitungen. Die Agenten mussten die von der schweizerischen Armee zur Sprengung vorbereiteten Objekte (militärische Bauten, Brücken, Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke usw.) auskundschaften und die Namen der Objektchefs und deren Stellvertreter feststellen. Im weiteren hatten sie Sprengstoff-, Munitions-, Lebens- und Futtermitteldepots ausfindig zu machen und Angaben zu beschaffen, welche Mengen eingelagert waren, ob die Depots mit Sprengvorrichtungen versehen und, gegebenenfalls, wo sich diese genau befanden und wie sie beschaffen waren.

Über die gemachten Wahrnehmungen sollten wenn irgendwie möglich Photographien oder Skizzen hergestellt.werden.

Schliesslich hätten auch in der Schweiz selbst Gruppen von 4--6 zuverlässigen Leuten gebildet und instruiert werden sollen, die dann zu solchen Sabotagekursen in Deutschland beigezogen worden wären. Infolge unserer polizeilichen 'Eingriffe ist es indessen nicht so weit gekommen.

Wie weitverzweigt diese Sabotagoorganisationen waren und wie die Verbindungen mit andern deutschen Spionageagenten liefen, geht aus der schematischen Darstellung auf Seite 121 hervor. Im fraglichen Falle sind die beiden Hauptbesch'uldigten Beutlinger und C-röbli vom Territorialgericht 3 A am 3. bzw. 4. Mai 1948 zum Tode durch Erschiessen verurteilt worden.

Zum Abschluss sollen noch einige Zahlen den Überblick über das A u s mass der gegen unser Land gerichteten Spionage-, Spitzel- und Sabotagetätigkeit vervollständigen. Die Angaben betreffen vorwiegend aber nicht ausschliesshch deutsche Umtriebe dieser Art.

Wegen Verrats militärischer Geheimnisse, wegen militärischen, politischen und wirtschaftlichen Nachrichtendienstes gegen die Schweiz sowie teilweise wegen Verletzung der Anzeigepfhcht sind von der Bundespolizei in Verbindung mit den kantonalen und kommunalen Polizeiorganen v e r h a f t e t worden:

121

Spionage- und Sabotagefall Reutlinger und Konsorten Schematische Darstellung

Legende: Nachrichtenlinien Spionage-Verbindungen.

Beziehungen (Aufträge. Anwerbung, Geld, Organisation etc.).

Spione und Auskunftgeber.

Organisatoren das Deutschen MIL.» ND.

122 Im Jahre . . . . . . .

» » » » .......

» » » » » » .......

bis Ende September. . .

1989 1940 1941 1942 1943 .1944 1945

99 Personen 111 » 96 » 310 » 825 » 294 » 154 » Total 1389 Personen Wegen militärischen, politischen und wirtschaftlichen Nachrichtendienste» gegen die Schweiz sind vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement zur Verfolgung durch die bürgerliche Gerichtsbarkeit überwiesen worden: Im Jahre 1939 47 Personen » » 1940 59 » » » . 1941 60 » » » 1942 79 » » » 1943 32 » » » 1944 66 » bis Ende September. . . 1945 44 » Total 387 Personen Hievon waren 321 Männer und 66 Frauen.

Die Ausscheidung nach Staatszugehörigkeit ergibt folgendes Bild: Schweizer . . . . . . . 245 Deutsche.

109 Italiener 12 Franzosen 10 Verschiedene 11 Total 387 Die im Jahre 1943 eingetretene Abnahme der Überweisungen an die bürgerlichen Gerichte ist darauf zurückzuführen, dass seit dem Inkrafttreten des Bundesratsbeschlusses vom 4. August 1942 über Straf- und Verfahrensbestim mung zum Schutze der Landesverteidigung und der Sicherheit der Eidgenossenschaf t alle Fälle von militärischem Nachrichtendienst durch die Militärgerichte abzuurteilen waren.

Zur militärgerichtlichen Verfolgung sind von der Bundesanwaltschaft wegen Verletzung militärischer Geheimnisse und militärischen Nachrichtendienste zum Nachteil der Schweiz von Anfang 1939 bis Ende September 1945 weitere mehrere hundert Personen an das Armeeauditora überwiesen worden. Die genauen Zahlen und nähern Angaben über diese Falle wird ein Bericht des Armeeauditors geben.

123 Wir haben Ihnen im vorstehenden über die antidemokratische Tätigkeit der deutschen nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz und der rechtsextremistischen Schweizer berichtet und einen Überblick über die gegen ·die Schweiz gerichtete Spionage-, Spitzel- und Sabotagetätigkeit gegeben.

Aus unserm Berichte ergeben sich die Gefahren, die unserer Landessicherheit von dieser Seite her im Verborgenen oder in offenem Angriffe drohten. Sie wollen daraus aber auch ersehen, dass die Regierungs-, Gerichts- und Polizeibehörden des Bundes und der Kantone in Verbindung mit, städtischen Polizeiinstanzen in den Vorkriegsjahren und während der Kriegszeit die unserm Lande durch nationalsozialistische und rechtsextremistische Umtriebe drohende Gefahr mit Erfolg bekämpft haben.

Die Umtriebe der Faschisten und Kommunisten werden wir in einem .zweiten und dritten Teil des Gesamtberichtes behandeln.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 28, Dezember 1945.

>,i6?

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident : Ed. v. Steiger.

Der Bundeskanzler: Lcimgruber.

124 Anhang.

/. Auszug aus dem Urteil des Bundesstrafgerichts vom 10./18. Dezember. 1943 in Sachen Bundesanwaltschaft gegen Staiger und Mitangeklagte betreffend Angriff auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266 StGB), Widerhandlung gegen Art. i des Bundesratsbeschlusses vom 5. Dezember 1938 betreffend Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie, Art. 2, lit. c, und Art. 7 der btmdesrätlichen Verordnung vom 14. April/2. September 1939 über die Handhabimg der Neutralität. -- Feststellungen, I, D, Ziff. 2 und 3.

2. Deutschland hatte im Frühjahr 1941 seine europäischen Ziele des Krieges so gut wie erreicht und war gleich seinen Anhängern vom Endsieg überzeugt.

Wie früher in Österreich, Norwegen, Holland und anderen Ländern sammelten sich in der Schweiz nationalsozialistisch gesinnte Leute und suchten in Erwartung der kommenden Dinge Fühlung mit dem Reich. Es handelte sich vorwiegend um ehemalige Mitglieder der «Nationalen Front» (NF) und ihrer Nachfolgerin, der seit 6. Juli 1943 verbotenen «Eidgenössischen Sammlung» (ES), ferner der «Eidgenössischen Sozialen Arbeiterpartei» (ESAP), des «Bundes treuer Eidgenossen» (ETE), der seit 20. November 1940 verbotenen «Nationalen Bewegung der Schweiz» (NBS) und anderer Erneuerungsbewegungen.

Diese Rechtsextremisten hatten ihren Treffpunkt zusammen mit Deutschen im Hotel Speer und im Restaurant Bundesbahn in Zürich. Dort machte sich Staiger vom Februar 1941 hinweg an sie heran. Zusammen mit dem Deutschen Rudolf Uhi sammelte und organisierte er sie. Er erkor die Mitangeklagten Günthardt, Bretscher, Schneider, Kunz und Sennhauser und den Zeugen Wysard als Kreisleiter, liess sich von ihnen Gehorsam und strengstes Stillschweigen in die Hand versprechen, teilte ihnen bestimmte Kreise der Stadt.

Zürich zu und beauftragte sie, dort Mitglieder zu werben und in Gruppen zusammenzufassen und diese, sobald sie zu stark würden, in Untergruppen von höchstens je fünf Mann zu teilen. . Günthardt bildete vier, Bretscher zwei solcher Untergruppen. Von der einen steht fest, dass Bretscher sie mit den.

Worten : «Wir gedenken unseres Führers durch ein dreifaches Sieg-Heil ! » in Pflicht nahm. Staiger gab den Kreisleitern, zu denen sich in der Folge auch der Mitangeklagte Lienhart gesellte, Adressen von Schweizern, welche für die Werbung in Frage kamen und bearbeitet werden sollten. Er nahm von seinen Anhängern auch solche Adressen entgegen. Als Erkennungszeichen erhielten die Kreisleiter auf Befehl Staigers weisse Stecknadeln, ihre Untergebenen gruppenweise, solche einer bestimmten anderen Farbe. Die Nadeln wurden im Rockrevers getragen. Da dies zu stark auffiel, widerrief Staiger in der Folge seinen Befehl. Statuten erhielt die Vereinigung nicht. Die Mitglieder wurden Staiger auf losen Zetteln gemeldet und mit Nummern bezeichnet. Ihre Geldbeiträge gelangten in einen Kampffonds, den
Günthardt verwaltete. Die Mitglieder der Organisation nannten sich «Freunde Deutschlands». Staiger war ihr Chef. Er befahl ihnen, unter sich mit «Heil Hitler!» zu grüssen, denn für hundertprozentige Nationalsozialisten, die sie werden sollten, gebe es nur einen Führer: Adolf Hitler, Der Befehl wurde von den meisten Mitgliedern befolgt.

Staiger kam mit den Kreisleitern und weiteren. Vertrauensleuten in der Regel wöchentlich einmal zusammen, meistens in Privatwohnungen, so mehrere Male bei Karl Deixler (erstmals am 21. Februar 1941), einige Male in der eigenen Wohnung, zweimal im Restaurant Zurlinden (27, März und nach dem 9. April 1941), am 1. und 8. Mai 1941 bei Fritz Schneider, am 19., 23. und 30. Mai in der Konditorei des Kameraden Holenstein und etwa zweimal bei Bretscher.

125 Diese Versammlungen leitete jeweilen Staiger. Die Kreisleiter und Untergruppenführer versammelten ihre Untergebenen regelmässig in einer Privatwohnung. Staiger leitete ferner wöchentlich einmal im Hotel Speer Gesangstunden, in welchen die «Freunde Deutschlands» deutsche Kampf- und Volkslieder sangen und zum Schluss dem Führer des Deutschen Reiches mit dreifachem « Sieg-Heil ! » huldigen mussten.

Staiger eröffnete seinen Vertrauensleuten, zwischen ihm und der obersten deutschen Behörde stehe ein Mittelsmann, der die Sache schon in Österreich durchgeführt habe.. Es handelte sich um den Deutschen Dr. Wilhelm Gröbl, Obersturmbannführer der SS, der vor dem Anschluss in Österreich während einigen Jahren intensiv illegal für die NSDAP gearbeitet haben will und der behauptet, dort erst acht Stunden vor dem Einmarsch der Deutschen verschwunden zu sein, trotzdem er schon unter dem «Henkerbeil» gestanden habe.

Er hielt sich im Auftrage des Deutschen Auswärtigen Amtes in Zürich auf, wo er als Beamter des Generalkonsulates galt. Mit diesem Manne wollte Staiger eine Abordnung seiner Vertrauensleute iil Verbindung setzen. Diese Absicht gab er im Hotel Speer in Anwesenheit von Uhi, Günthardt, Bretscher, Schneider und Kunz bekannt. Günthardt und Schneider wurden als Abgeordnete bestimmt. Sie begaben sich am Abend des 9. April 1941 mit Staiger in die Wohnung des Gröbl. Dieser besprach mit ihnen die Organisation und Tätigkeit der «Freunde Deutschlands». Er erklärte, in jeder Stadt sollten zweihundert Mann bereit sein, wovon fünfzig ledige; diese könnten sich exponieren und ins Reich verschwinden, wenn die Sache umschlage. Gröbl riet, Gruppen aus nicht mehr als fünf oder sechs Mann zu bilden. Politisch sollten sie zur Zeit gegen aussen nichts unternehmen, da es sonst gehe wie in Österreich : die Leute, die sich einsetzen würden, kämen ins Gefängnis und gingen als wertvolle Kämpfer verloren. Es sei zwecklos, vor Eintritt einer Tatsache Leute zu opfern. Sie seien bloss zusammenzuhalten als Männer, die für die neue Ordnung seien. Sie mussten abwarten, bis von Berlin aus gemeldet werde, sie könnten nun auftreten. Der Zeitpunkt sei da, wenn England besiegt sein werde. Mitte Mai werde der Schlag gegen dieses Land geführt, dann sollten die Gruppen bereit sein. Die Initiative liege immer in Berlin. Von Zeit zu Zeit
würden sie erfahren, wie die Dinge liegen. Staiger habe sich mit deutschen Stellen in Verbindung gesetzt. Man solle diesen machen lassera, an ihn wage sich die Polizei nicht heran. Gröbl.äusserte sich femer dahin, Europa solle ein einziger Staatenblock, eine einzige Staatsmacht werden. In anderem Zusammenhang erwähnte er, die Schweiz könne gut selbständig bleiben. Er riet den Besuchern, auf der Propagandaabteilung des Detitschen Generalkonsulates Schriften zu holen.

Einer der Besucher erklärte, er rechne mit Wirtschaftsschwierigkeiten. In etwa zwei Monaten seien die Gruppen so weit ; dann stehe das Volk auf. Ferner erklärte einer der Besucher, nur mit Nummern, nicht mit Namen zu arbeiten.

Er sprach von einer Liste mit fünfzig neuen Namen. Gröbl warnte ihn, eine solche mitzutragen. Er fügte bei, er hole die Liste auf dem Konsulat, und dann wollten sie diese erstellen, da sei sie am sichersten ; sie wollten sich für die Ausarbeitung an Ostern treffen. Gröbl war sodann auf Wunsch eines der Besucher bereit, das Geld des Kampffonds zu verwahren. Zum Schlüsse erklärte einer der Schweizer, er halte sich ganz an Gröbls Weisungen, An einer Zusammenkunft, welche Staiger, Günthardt, Bretscher, Schneider und Sennhauser und ein bis zwei weitere Vertrauensleute in der Folge im Restaurant Zurlinden hatten, erstattete Günthardt über die Besprechung mit Gröbl Bericht.

In der Folge gründete Staiger auch ausserhalb der Stadt Zürich Gruppen.

Am 27, April 1941 begab er sich mit Uhi, Günthardt und Bretscher in die Wirtschaft Burg in Attinghausen und zog die dortige Gruppe der ES unter Leitung des Mitangeklagten Menti und seines Stellvertreters Wipfli zu seiner

126

Organisation. Staiger und Günthardt hielten Ansprachen. Jener gab sich als Chef der Organisation zu erkennen. Er forderte die Anwesenden auf, im stillen für die nationalsozialistische Idee Propaganda zu machen, ermahnte sie, vorsichtig zu sein und keine Namen aufzuschreiben, und liess sich von; ihnen in die Hand versprechen, der Organisation treu zu sein, zu schweigen und niemanden zu verraten. Günthardt seinerseits forderte sie auf, zusammenzuhalten, um einen nationalsozialistischen Staat zu schaffen. Sehr wahrscheinlich komme einmal ein Umsturz, dann werde die Schweiz; an Deutschland angeschlossen, die heutigen Nationalsozialisten seien dann im Vorteil. Menti und Wipfli erhielten weisse Stecknadeln.

Am 3. Mai 1941 begaben sich Staiger, Uhi, Günthardt und Bretscher zur Gründung einer Gruppe in die Wohnung des Kurt Saxer in Thalwil. Verschiedene Anhänger kamen dort zusammen, Staiger und Günthardt hielten Ansprachen. Sie kritisierten die NF und die ES als überlebt und zwecklos und erklärten, man wolle die Leute zusammenfassen, die sich zum neuen Europa positiv einstellten. Dieses werde von der Achse geführt werden. Der Zeuge Bachmann erklärt, man habe dabei an eine überstaatliche europäische Organisation gedacht, Saxer wurde als Vertrauensmann bestellt und nahm in der Folge an einer Zusammenkunft in der Wohnung des Bretscher teil.

Am Abend des 6. Mai 1941 kamen Staiger, Uhi, Günthardt, Bretscher und Wysard beim Schartenfels in Baden mit dortigen Gesinnungskameraden zusammen und gründeten eine Ortsgruppe, als deren Leiter der Mitangeklagte Hauffe bestellt wurde. Staiger führte aus, dass die schweizerischen Erneuerungsbewegungen von deutschen Stellen nicht anerkannt würden, dass dagegen seine Organisation diese Möglichkeit habe, falls es etwas gebe. Es würden nun Zellen von je fünf Mann gebildet. Mitgliederbüchlein gebe es nicht; die Namen der Mitglieder würden an einer sichern Stelle verwahrt. Staiger verlangte von seinen Anhängern blinden Gehorsam und warnte sie vor Verrat ; wer solchen beginge, würde durch Spitzel ausfindig gemacht. Günthardt hielt eine Ansprache über den Nationalsozialismus. Er erklärte, sie hätten sich mit deutschen Stellen in Verbindung gesetzt, die schliesslich Hand geboten hätten. Es gebe nur einen Führer, das sei Adolf Hitler. Hauffe gründete in der Folge zwei Untergruppen
zu je fünf Mann und hielt mit ihnen Zusammenkünfte ab. Er nahm auch an den Zusammenkünften der Kreisleiter und Vertrauensleute in Zürich teil.

Anlässlich der Zusammenkunft vom 8. Mai 1941 in der Wohnung desAngeklagten Schneider entwarf Staiger mit seinen Vertrauensleuten einen «Aufmarschplan» zu einem Treffen in Bärenbohl-Rümlang, das am 11. Mai 1941 stattfand. Die Gruppen marschierten auf getrennten Wegen unter Führungder Kreisleiter nach dem Treffpunkt, gingen dort aber alsbald wieder auseinander, weil sie merkten, dass ihnen die Polizei folgte. Staiger nahm an dem Treffen teil.

Über die Pfingsttage vom 31. Mai bis 2. Juni 1941 trafen sich Kreisleiter, Gruppenführer und Mitglieder der «Freunde Deutschlands» aus Zürich, Attinghausen und Baden in Attinghausen, Auf einer Bergwiese hielten Staiger und Uhi Ansprachen und Pfarrer Bär eine Predigt. Uhi liess die Leute zum Schluss antreten, nahm den Hitler-Grass ab und erklärte, es müsse alles militärisch gehen, mit Disziplin, Takt und Schneid, alles nach deutschem Muster, er wolle dann das in Zürich noch mit den Gruppenleitern durchführen. Nachdem zwei deutsche Lieder gesungen worden waren, befahl Uhi Abtreten.

Staiger schickte am 8. Juni 1941 Uhi, Günthardt, Bretscher und Jakob Scherrer nach Roggwil (Thurgau), um dort eine Gruppe zu gründen. Staiger war verhindert; am betreffenden Tage besuchte ihn Gröbl. In Roggwil trafen sich Uhi und seine Begleiter zuerst in der Wohnung des Landwirtes Soller und nachher mit etwa fünfzehn Gesinnüngskameraden im Walde, Günthardt hielt

127 eine Ansprache, in welcher er ausführte, es sei eine neue Bewegung im Gange.

Der Nationalsozialismus solle in der Schweiz eingeführt werden. Aussenpolitisch werde die Eingliederung der Schweiz ins neue Europa vertreten. Die Führung des neuen Europa liege in den Händen Deutschlands. Die Schweiz müsse sich später dem Dreimächtepakt anschliessen. Der Hitler-Gruss wurde beschlossen.

Günthardt drückte den neuen Mitgliedern die Hand und nahm auf Zetteln ihre Personalien entgegen.

Am gleichen Tage begaben sich Günthardt, Bretscher und Scherrer nach Rorschach, um auch den dortigen Kreis von Gesinnungskameraden der Organisation anzuschliessen. Günthardt führte aus, sie anerkennten Adolf Hitler als ihren Führer und grüssten deshalb mit «Heil Hitler!». Sie seien für den Anschluss der Schweiz an den Dreimächtepakt. Welche Stellung die Schweiz im neuen Europa einnehme, werde Hitler bestimmen; sie hätten einfach zu warten und zu gehorchen. Günthardt ermahnte die Teilnehmer, zu schweigen und keine Listen zu führen. Ernst Gehrig wurde als Ortsgruppenführer bestimmt.

Am 10. Juni 1941 wurden Staiger und zahlreiche seiner Anhänger verhaftet.

3. Es ist nicht bewiesen, dass Staiger die «Freunde Deutschlands» der Eingliederung der Schweiz in das Deutsche Reich dienstbar machen wollte.

Dagegen wollte er, dass diese Organisation nach dem Sieg der Achsenmächte über England auf Befehl der deutschen Führung und unter militärischem oder wirtschaftlichem Druck von aussen in der Schweiz die Demokratie beseitige und einen nach dem Führerprinzip aufgebauten nationalsozialistischen Staat errichte, der im neuen Europa unter Führung des Deutschen Reiches die ihm von diesem zugedachte Stellung einnehmen würde. Staiger äusserte sich einmal, sein Schreinergeschäft komme erst in zweiter Linie; in erster Linie arbeite er für sein Vaterland; es gelte, die Südmark zu errichten. Er wollte nach bewährtem Muster (Österreich, Norwegen, Holland, Belgien) einen zuverlässigen Stamm überzeugter Nationalsozialisten sammeln, organisieren und schulen, welche in fanatischer Verehrung des deutschen Führers zu allem bereit und fähig wären, was dieser befähle, und gegebenenfalls auch die Rolle einer fünften Kolonne spielen würden, Gröbl drückte sich am 9. Mai 1941 dahin aus, diese Leute seien bereit, alles zu machen, legale und illegale Arbeit
auf Mord und Brand. Staiger erklärte, er habe mit ihnen vorhanden sein wollen, um im Falle einer Invasion die Lasten und Leiden der Bevölkerung herabzumindern, die lebenswichtigen Betriebe aufrecht zu halten, wenn andere die Arbeit niedergelegt oder Sabotage getrieben hätten. Dass er sich dabei nicht den verfassungsmässigen schweizerischen, sondern den deutschen Behörden zur Verfügung estellt hätte, ergibt sich aus der Unterredung mit Gröbl vom 9. April 1941, er Verbindung Staigers mit anderen deutschen Stellen, seiner Rolle als GESTAPO-Agent, seiner anlässlich der Gruppengründung vom 6. Mai 1941 in Baden gehaltenen Rede, seiner wiederholten Weisung, zu gehorchen und nichts zu verraten, sich mit «Heil Hitler!» zu grüssen und dem deutschen Führer mit «Sieg-Heil!» zu huldigen, und endlich aus seinen gegen die Schweiz gerichteten Verbrechen und Vergehen, deretwegen ihn das Territorialgericht 3A verurteilt hat.

f

II. Auszug aus dem Urteil des Bundesstrafgerichts vom 18./3l. März i944 in Sachen Bundesanwaltschaft gegen Büeler und Mitangeklagte betreffend Angriff auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266 StGB) und Widerhandlung gegen Art, l des Bundesratsbeschhtsses vom 5. Dezember i938 betreffend Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie. -- Feststellungen, I, D, Ziff. 2 und, 4. '

2. Die SS (Schutzstaffel) ist eine in der Kampfzeit der «Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei» (NSDAP) entstandene politische Schutz-

128 organisation. Sie teilt sich, heute in die Allgemeine-S S und die Waffen-SS. Der Dienst in der ersteren umfasst «neben weltanschaulicher Schulung in der Hauptsache Sicherungsaufgaben sowie die vor- und nachmilitärische Ausbildung».

Die Waffen-SS ist der unter den Waffen stehende Teil der SS, der «im Frieden vom Führer zur Lösung besonderer Aufgaben betraut, im Krieg an der Seite des Heeres in vorderster Front steht ». Bedingung der Aufnahme in die WaffenSS ist unter anderem deutschblütige Abstammung und bedingungslose Bejahung der nationalsozialistischen Weltanschauung. Der Dienst in dieser Formation gilt als Wehrdienst. Die Waffen-SS befasst sich besonders mit Problemen, welche die germanischen Randstaaten betreffen. Reichsführer der SS ist Himmler. Die Leitung der Waffen-SS ist im SS-Hauptamt Berlin untergebracht; Gruppenführer Berger ist dessen Chef. Hauptsturmführer Dr. Franz Riedweg, ein Schweizer, leistet im Stabe Bergers Dienst, wo er sich mit Fragen des Volkstums, der Kultur und der Geschichte der germanischen Randstaateii befasst. Daneben ist er Verbindungsmann zwischen dem SSHauptamt und dem Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches.

Büeler ist seit langem mit Riedweg befreundet. Er besuchte ihn schon in den Jahren 1938 bis 1940 verschiedene Male und sprach mit ihm über das Verhältnis der Schweiz zu Deutschland. Auch Ende Januar 1941 suchte Büeler Riedweg in Berlin auf. Er wollte wissen, welche Haltung die massgebenden Kreise in Deutschland der Schweiz gegenüber einnähmen, Riedweg erklärte, die Leute um Hess, den Stellvertreter Adolf Hitlers, und die massgebenden Persönlichkeiten des SS-Hauptamtes träten für die «organische Lösung» des Verhältnisses der Schweiz zu Deutschland ein; die Schweiz müsse als selbständiger Staat mit unverändertem Gebiet erhalten bleiben, jedoch wie die anderen germanischen Randstaaten mit dem Deutschen Reich ein Bündnis eingehen, wobei das Reich hinsichtlich der Interessenvertretung in Europa die Führung übernähme und die Schweiz nichts unternehmen dürfte, was gegen die Belange des Reiches verstossen würde; die endgültige staatsoder völkerrechtliche Form des Bündnisses würde sich erst allmählich, herausbilden. Eine zweite Gruppe, bestehend aus massgebenden Persönlichkeiten der NSDAP, arbeite dagegen offen auf einen Anschluss der Schweiz an Deutschland hin und
unterstütze zur Förderung ihrer Ziele die Tätigkeit der im Reich "weilenden Schweizer Extremisten um Leonhard und Burri. Zwischen beiden Gruppen stehe das Auswärtige Amt, dessen Haltung nicht klar sei. Wegen des Verbotes der NBS hätten die auf den Anschluss hinarbeitenden Kreise beim Auswärtigen Amt Einfluss bekommen, weil die Auffassung bestehe, die Schweiz sei nicht in der Lage, ihre Volksgemeinschaft und ihren staatlichen Haushalt selber zu erneuern.

Büeler war ob dieser Auskunft um das Schicksal der Schweiz besorgt.

Er war mit Riedweg der Ansicht, zur Vermeidung der Eingliederung der Schweiz ins Reich müsse auf die «organische Lösung» hingearbeitet werden. Er beriet mit Riedweg, wie dies in der Schweiz geschehen könne. Riedweg unterbreitete ihm den Gedanken, in der Schweiz eine « Fechtgemeinschaft » aufzuziehen mit der Aufgabe, welche sich die SS im Reiche gesetzt hatte. Vorläufig solle in die geplante Organisation nur eine kleine Zahl auserlesener Leute aufgenommen werden, wobei nicht in erster Linie auf ihre Weltanschauung, sondern auf Charakter und -soldatische Haltung zu sehen sei. Die Bezeichnung SS dürfe nicht in Erscheinung treten. Die «Fechtgemeinschaft» müsse sich verpflichten, sich für eine selbständige Schweiz einzusetzen und sich gegen alle Bestrebungen zu wenden, die gegen die Idee des Reiches gerichtet wären. Büeler ging auf den Vorschlag ein. .Er nahm sich vor, bis 1. Juli 1941 vorerst etwa dreihundert Mann zu sammeln, um darzutun, dass sich in der Schweiz eine Bewegung für die «organische Lösung» einsetze. Er beabsichtigte, diese Leute nach soldatischen Gesichtspunkten zu erziehen, wie das besonders in der Waffen-SS

129 getan wird. Als erste Stufe schwebte ihm die wehrsportliche Ausbildung vor.

Allmählich hätte er dann die geeigneten Leute ausgezogen und sie mit Fragen der Weltanschauung, der Rasse und der Geschichte vertraut gemacht. Riedweg versprach ihm gedrucktes Schulungsmaterial.

Riedweg gab Büeler die Absicht kund, in Innsbruck ein etwa zehntägiges Schulungslager zu veranstalten, an welchem Holländer, Flamen, Norweger, Dänen, Franzosen, Belgier, Schweizer und Deutsche teilnehmen und Professoren sowie Kameraden der SS Vorträge über die Neugestaltung Europas, wie das SS-Hauptamt sich diese vorstellte, halten würden; auch sollte aus jedem Lande ein Teilnehmer über verbindende und trennende Probleme sprechen.

Er bat Büeler, ihm einige zuverlässige junge Schweizer zu senden, welche am Lager teilnehmen würden. Büeler nahm von Riedweg die Weisung an, die Sache mit Dr. Wilhelm Gröbl zu besprechen. Mit diesem war Büeler durch Ashton, den deutschen Vizekonsul in Zürich, bekannt geworden. Gröbl war Obersturmbannführer der deutschen SS und hatte vor dem Anschluss in Österreich während einigen Jahren intensiv illegal für die NSDAP gearbeitet.

Vom November 1940 an hielt er sich als Beamter des Deutschen Generalkonsulats in Zürich auf, um die Rolle eines Mittelsmannes zwischen Berlin und den schweizerischen Rechtsextremisten zu spielen.

Schon im Januar 1941 hatte Othmar Maag Büeler den Plan eröffnet, die jüngeren Gesinnungskameraden auf sportlicher Grundlage zusammenzufassen.

Wenige Tage, nachdem Büeler anfangs Februar aus Deutschland zurückgekehrt war, erkundigte sich dieser bei Maag über den Stand der Angelegenheit. Maag teilte ihm mit, dass er in Zürich unter dem Namen « Sportschule » einige Kameraden um sich gesammelt habe, und entwickelte ihm ungefähr die gleichen Gedankengänge, wie sie Riedweg geäussert hatte. Büeler seinerseits eröffnete Maag, dass er von Riedweg den Auftrag erhalten habe, in der Schweiz eine SS zu gründen, ähnlich den Schutzstaffeln, die in Holland, Dänemark und Norwegen bestünden. Die SS in Deutschland wolle die Schweiz unversehrt lassen, wünsche aber eine engere wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit der Schweiz mit dem Reiche. Mit Rücksicht auf die von Maag gegründete «Sportschule» trat Büeler den von RLedweg erhaltenen Auftrag an Maag ab. Er wies ihn an, bis im Juli 1941 in
der ganzen Schweiz etwa dreihundert Mann zu sammeln, denen er politische Diskussionen oder Betätigung verbieten müsse. Maag versprach, sich an diese Weisung zu halten und auch mit niemandem über die politischen Ziele der «Sportschule» zu sprechen, insbesondere die Bezeichnung SS nie zu gebrauchen. Büeler liess Maag in der Organisation und Durchführung freie Hand, behielt sich aber die Oberleitung vor und versprach Maag, aus Geldern, die er zu diesem Zwecke von Schweizern aus Deutschland erhalte, für die Kosten aufzukommen. Er liess sich durch Maag jede Woche mündlich Bericht erstatten und stellte dabei fest, dass Maag die «Sportschule» rein nach soldatischen Gesichtspunkten führte. Büeler besprach die Sache auch mit Ashton, mit dem er sich schon seit Jahren über politische Fragen unterhalten hatte; er erfuhr, dass Ashton die «Sportschule» als «beratendes Organ» betreut hatte.

Büeler kam wiederholt mit Gröbl zusammen, teils in dessen Wohnung in Zürich, teils in der eigenen Wohnung in Küsnacht, Durch ihn blieb er mit Riedweg in Verbindung.

Am 21. Februar 1941 trafen sich Büeler und der Mitangeklagte Sigrist bei Gröbl, Dabei war vom Innsbrucker Schulungslager die Rede, dessetwegen Sigrist mit Gröbl verhandelte. Man sprach ferner vom Landhaus, welches Maag in Kilchberg für die Zwecke der «Sportschule» mieten wollte, und von der Gründung eines Fechtklubs. Es fielen auch die Worte, es wäre gut, wenn von jenseits des Rheins ein wenig mehr gedroht würde. Gröbl erklärte, man sei zu zahm mit der Schweiz. Büeler oder Sigrist äusserte sich, der Druck vom Bundesblatt. 98. Jahrg. Bd. I, 9

130 Reich werde auf wirtschaftlichem Gebiet einsetzen, dann komme der Umsturz von innen her. Zum Schluss ermunterte Gröbl seine Besucher, sich umzutun, damit es in Berlin nicht heisse, es gehe hier nichts.

Am 27. Februar 1941 unterhielt sich Gröbl mit dem Rechtsextremisten Wechlin und äusserte sich.,. Ashton stünden Fr. 45 000 zur Verfügung; Berlin wünsche, dass neben der verbotenen NBS junge Leute gesammelt werden, die von ihr politisch unabhängig seien; diese Leute stellten die Reserve dar und müssten zu allem fähig sein; sie würden von der NBS streng abgesondert, damit dann immer noch ein Apparat da sei; Büeler sei von Berlin als Leiter dieser Gruppe beauftragt; wenn dann im Mai oder Juni der Schlag komme, gehe, es wie in Norwegen.

Am 28. Februar 1941 war Büeler bei Gröbl, als dieser mit dem Mitangeklagten Brun über die Leute sprach, welche am Innsbrucker Schulungslager teilnehmen wollten. Man sprach davon, dass sie sich nicht alle am gleichen Orte über die Grenze begeben sollten, und erörterte, was jeder einzelne zur Täuschung der Behörden als Grund der Ausreise angebe.

Ani 5. März 1941 stellte Büeler bei Gröbl die Teilnehmerliste für den Innsbrucker Schulungskurs auf. Büeler und Gröbl sprachen über die Schwierigkeiten, welche die Teilnehmer bei der Einholung der Ausreisebewilligung trotz Angabe falscher Ausreisegründe begegneten. Sie erwogen, ob sie den Plan aufgeben wollten. Büeler fürchtete, die Teilnehmer könnten bei der Rückkehr aus lauter Begeisterung nicht schweigen. Gröbl entgegnete, man wolle das Risiko auf sich nehmen und sehen, ob die Burschen tatsächlich «dicht halten» könnten. Büeler sprach auch von der «Sportschule», von der die Polizei Wind bekommen habe. Maag sehe streng darauf, dass nicht politische Gespräche geführt würden. Er habe jetzt fünfzehn junge Leute, die er streng nach politischen und charakterlichen Gesichtspunkten ausgelesen habe. Sie brauchten nicht zu wissen, was eigentlich dahinter stecke.

Am 9. März fand sich Brun bei Gröbl ein und meldete, dass der Mitangeklagte Tiegel die Erlaubnis des Vaters zur Ausreise nicht erhalte, wenn er nicht etwas Schriftliches vorweisen könne. Gröbl verfertigte hierauf ein falsches Einladungsschreiben, wonach Tiegel durch das Deutsche Generalkonsulat in Zürich eingeladen werde, an einem am 13. März in Karlsruhe beginnenden Kurs
für Tierärzte teilzunehmen. Er übergab es Brun zur Weiterleitung. Nachdem sich dieser entfernt hatte, äusserte sich Gröbl zum deutschen Kurier Bunsen, dass die Teilnehmer am Schulungslager nur Geld für die Reise bis Feldkirch brauchten und ihnen alles andere in Deutschland bezahlt werde ; Büeler solle das Geld verteilen; Ashton habe vom Auswärtigen Amt Fr. 45 000 erhalten, die er verwenden könne, wie er wolle.

Am 10. März traf sich Büeler mit Gröbl in dessen Wohnung.

Der «Schulungskurs für Weltanschauung im Rahmen des kommenden neuen Europa» fand nicht wie ursprünglich vorgesehen in Innsbruck, sondern in Feldkirch statt, und zwar in der Zeit vom 15. bis 21. März 1941. Ausser zw-ei Deutschen, einem Belgier, einem Norweger und zwei Holländern nahmen daran zehn Schweizer teil, wovon drei in Deutschland wohnten und der WaffenSS angehörten. Aus der Schweiz nahmen unter anderen die Angeklagten Brun, Tiegel und Kyburz teil. Sigrist, der dies ebenfalls tun wollte, erhielt von. der Militärbehörde die Bewilligung zum Verlassen, des Landes nicht. Das Geld für die Ausreise bis Feldkirch, Fr. 50 für jeden Teilnehmer, und für andere durch die Vorbereitung- des Kurses verursachte Kosten, erhielt Büeler von Gröbl und gab es an die Mitangeklagten Kyburz, Sigrist und Brun weiter zwecks Verteilung. Insgesamt erhielten diese drei von Büeler etwa Fr. 1100. Die Teilnehmer aus der Schweiz reisten über verschiedene Grenzorte aus. In Deutschland wurden sie freigehalten. Leiter des Kurses war Riedweg. Dieser gab einleitend bekannt, dass der Kurs eine geopolitische Schulung bezwecke,

131

mit Vorträgen über verschiedene Gebiete, welche heute im Interesse um NeuEuropa stünden. Es wurden von deutschen Gelehrten und Beamten z. B.

Vortrage gehalten über «Die Alpen als deutscher Grenzraum », «Die geschichtlichen Beziehungen der Schweiz zum Reich», «Geschichtliche Beziehungen und Gemeinsamkeit im deutschen Alpenraum », «Das Reich, die Schweiz und England», «Grundanschauungen über den Nationalsozialismus». Riedweg sprach über die Weltanschauung der SS, und der Angeklagte Brun Hess sich in einem aus dem Stegreif gehaltenen Vortrag über die demokratischen Einrichtungen der angeblich äusschliesslich von Juden regierten Schweiz aus.

Am 19. März 1941 kamen auf Einladung Riedwegs sämtliche Schweizer mit Ausnahme von Schaub, Lanz und Richterich, welche der «Eidgenössischen Sammlung» (ES) angehörten und nicht Mitglieder der NB S waren, im Vortragssaal zusammen. Riedweg eröffnete ihnen, er habe die SS in den germanischen Randstaaten unter sich. Er sei vom Reichsführer der SS beauftragt,, in der Schweiz eine SS zu gründen, die illegal tätig sein müsse, sie nenne sich zur Tarnung «Schweizerischer Sportbund». Diese SS werde unabhängig von der ehemaligen NB S durchgeführt, worüber der Führerkreis in Zürich verständigt sei. Bis Ende Mai 1941 müsse er mindestens hundert Mann haben.

Diese SS solle später, wenn die politische Erneuerung komme, den>Grundstock bilden für die Neuorganisation. Büeler sei von ihm als direkter Vertreter eingesetzt worden und gleich wie Sigrist für die Teilnahme am. Kurs vorgesehen gewesen. Die beiden würden nun von einem deutschen Konsulat in der Schweiz in Pflicht genommen werden. Gegenüber Schaub, Lanz und Richterich sei strengstes Stillschweigen zu bewahren. Riedweg liess von jedem Anwesenden eine Verpflichtung unterzeichnen, ungefähr des Wortlautes: «Der Unterzeichnete verpflichtet sich, dem Schweizerischen Sportbund beizutreten. Er ist sich dabei bewusst, dass es sich um eine SS-ähnliche Gemeinschaft handelt.

Er verspricht, über diese Verpflichtung strengstes Stillschweigen zu bewahren, ansbnst es für ihn schwere Folgen haben könnte.» Riedweg nahm von jedem den Handschlag entgegen. Er wies sie an, sich sofort nach ihrer Rückkehr mit Büeler in Verbindung zu setzen, was auch als Kontrolle dafür gelte, dass sie ungehindert heimgekehrt seien. Jeder der Verpflichteten hatte
einen Lebenslauf niederzuschreiben. Vom 22. bis 25. März unternahmen die Kursteilnehmer auf Kosten der Kursleitung eine Besichtigungsfahrt nach München und Nürnberg. Bei der Entlassung wurde ihnen das Geld zur Rückreise bis an die Grenze ausbezahlt.

Während des Feldkircher Schulungskurses hielt sich Büeler einige Tage in Freiburg i. B. auf und gab von dort aus Riedweg schriftlich Bericht über das, was er erreicht hatte. Er drückte seinen Missmut darüber aus, dass die Sache so bekannt geworden sei, dass sogar unter den Beteiligten das Gerücht umlaufe, es werde eine illegale SS aufgezogen.

Am 27. März 1941 verreiste Büeler abermals nach Deutschland. Er hatte am 1. April mit Riedweg in Berlin eine Besprechung und unterhielt sich am 5. April mit Berger, mit dem er durch Riedweg bekannt gemacht wurde. Berger äusserte sich über das Verhältnis der Schweiz zu Deutschland in gleichem Sinne wie Riedweg. Büeler erklärte, er sei mit dem Vorschlag Riedwegs einverstanden, in der Schweiz eine Fechtgemeinschaft oder Sportbewegung ins Leben zu rufen, die ungefähr auf den gleichen Grundlagen aufgebaut werden solle wie die SS im Reiche und in den germanischen Randstaaten. Er äusserte den Wunsch, von den Deutschen Material über diese Organisationen zu erhalten.

Riedweg versprach ihm, gelegentlich solches durch einen Kurier zu senden.

Büeler, unterrichtete Berger ferner über die « Sportschule » und fügte bei, dass diese nicht ganz den mit Riedweg getroffenen Abmachungen entspreche; es seien Kameraden ohne Rücksicht auf ihre weltanschauliche Einstellung, lediglich gestützt auf ihren Charakter und ihre soldatische Haltung, aufgenommen

132 worden. Berger entgegnete, das mache nichts, denn gerade die fanatischsten Gegner der NSDAP seien später die besten Mitkämpfer geworden. Er regte an, die «Sportschule« so zu belassen, wie sie sei, sie als Allgemeine-SS zu behandeln, aus welcher im Laufe der Zeit die Leute ausgezogen würden, die sich für irgendwelche Schulungszwecke eigneten. Büeler solle dann die Ausgezogenen in das ihren Fähigkeiten entsprechende Gebiet einführen, damit sie nach der Änderung der Verbältnisse in der Schweiz zur Verfügung des Staates gestellt werden könnten; diese Gruppe sei als «Fechtgemeinschaft» zu bezeichnen.

Büeler besprach mit Riedweg auch die finanzielle Seite der «Sportschule» und der «Fechtgemeinschaft». Riedweg erklärte, Schweizer im Reiche seien bereit, für diese Sache gewisse Beträge zur Verfügung zu stellen; auch habe er mit den Industriellen Max Stoffel aus St, Gallen und Fritz Bon aus Erlenbach gesprochen, die Beiträge für die «Fechtgemeinschaft» versprochen hätten.

Stoffel und Bon, die tatsächlich in Berlin mit Riedweg gesprochen hatten, bestreiten indes, ihm. Geld oder sonstige Unterstützung versprochen zu haben.

Riedweg und Büeler sprachen ferner über das Schulungslager in Feldkirch, Büeler erfuhr, dass dort verschiedene Teilnehmer in Pflicht genommen worden seien und Befehl hätten, sich bei ihm zu melden.

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz setzte er seine Bemühungen um die «Sportschule» und die «Fechtgemeinschaft» fort. Mit dem SS-Hauptamt in Berlin blieb er weiterhin durch Gröbl in Fühlung, Er hatte mit letzterem z. B. Besprechungen am 13. und am 23. Mai 1941. Durch Gröbl erhielt Eüeler das Geld aus Berlin, das ihm Riedweg versprochen hatte. Es waren in drei Beträgen insgesamt Fr, 9000, inbegriffen die Fr. 1100, die Büeler bereits vor seiner zweiten Berliner Reise für Zwecke des Feldkircher Schulungskurses an Kyburz, Sigrist und Brun weitergegeben hatte. Für die «Sportschule» wendete Büeler aus dem erwähnten Gelde nach und nach Fr. 6000 auf, die er an Maag weitergab, ferner Fr. 1800 als Jahresmiete für das der «Sportschule» als Zentralsitz dienende Landhaus in Kilchberg. Weder er noch Maag führten über die Verwendung des Geldes Buch, noch Hessen sie sich Quittungen ausstellen. Büeler nahm auch Beziehungen auf zu Dr. Michel in Genf, der dem Führerkreis der NBS angehört hatte. Gröbl wies
Büeler an, Michel im Auftrage Riedwegs Fr. 800 zukommen zu lassen. Büeler tat dies im Mai 1941, wobei er Schlatter als Kurier benutzte. Im gleichen Monat fuhr er mit Maag und Schlatter nach Genf, um mit Michel die Teilnahme der Westschweizer an der «Sportschule» zu besprechen. Eine auf 5. Juni vorgesehene zweite Unterredung mit Michel kam wegen Verhinderung Büelers nicht zustande. Büeler hatte auch Fühlung mit den vier Männern, die von Riedweg am Feldkircher Schulungskurs in Pflicht genommen worden waren. Als sie sich einzeln auf seinem Bureau meldeten, erklärte er ihnen, dass sie nichts ohne seine Weisungen unternehmen dürften. Zwei von ihnen betätigten sich in der Folge mit seinem Einverständnis in der «Sportschule». Kyburz, Brun und Sigrist bestürmten ihn verschiedene Male, die «Sportbewegung» müsse nun unbedingt auf die Beine gestellt werden. Büeler wies sie in die Ortsgruppe Bern der «Sportschule».

Diese Gruppe rekrutierte sich aus der im Entstehen begriffenen rechtsextremistischen « Sozialen Volkspartei der Schweiz» (SVPS). Kyburz gründete in Biel eine eigene Gruppe und unterstellte sich mit ihr direkt dem Befehl Büelers.

Er strebte nach irgendeiner besonderen Aufgabe und anerbot sich Büeler, über die verschiedenen Erneuerungsbewegungen Nachrichten zu sammeln, Büeler beauftragte ihn, in Zürich und Bern nach solchen Bewegungen : zu forschen und ihre Stärke festzustellen. Der Bericht, den Kyburz erstattete, liess Büeler zweifeln, dass sich dieser Mann für die «Fechtgemeinschaft» eigne.

Um sich seiner zu entledigen, bewog er ihn, sich beim SS-Hauptamt in Berlin zu melden. Büeler warb persönlich Mitglieder für die «Sportschule», z. B. Fritz Schmidt in Azmoos, Er unterhandelte im Mai 1941 zweimal mit dem als

133 Gebietskommandant (Gauleiter) vorgesehenen Angeklagten Küng und beauftragte ihn, in der Zentralschweiz nach geeigneten Personen Umschau zu halten und sie ihm zu melden. Büeler merkte sich nicht nur die Mitglieder der « Sportschule », sondern überhaupt Leute aus den Erneuerungsbewegungen ; er wollte als Zweig der «Fechtgemeinschaft» ein «Ergänzungsamt» schaffen.

Mit dea Vorarbeiten hiefür beauftragte er den Gesinnungskameraden Benz.

Um die «Fechtgemeinschaft» ins Leben zu rufen, nahm Büeler persönlich mit verschiedenen Offizieren und Akademikern Fühlung und konnte sie bewegen, ihre Teilnahme zuzusichern. Da er in Zürich keine Fechtgeräte auftreiben konnte, bestellte er solche in Berlin. Bei seiner Verhaftung vom 10. Juni 1941 waren sie noch nicht eingetroffen. Auch das « Sportgymnasiurn », welches Büeler in Zürich als vorläufigen Ersatz der «Fechtgemeinschaft» gründen und in welchem er mit dem von Riedweg erhaltenen Gelde junge Leute durch den Sportlehrer Grüneisen körperlich schulen wollte, kam wegen der Polizeiaktion nicht zustande; es hätte am 12. Juni eröffnet werden sollen.

Ende Mai 1941 unterzeichneten Büeler und dreizehn andere schweizerische Rechtsextremisten eine für das SS-Hauptamt in Berlin bestimmte «Solidaritätserklärung», durch die sie dartun wollten, dass sie einig seien, sich im Sinne der von der NBS vertretenen Ideale für die Neugestaltung der Schweiz einzusetzen und dass sie die Eingliederung ins Reich ablehnten. Die Erklärung gelangte an Riedweg.

Die «Sportschule» war nach den von Büeler erhaltenen Weisungen unter der Leitung des Angeklagten Maag tätig. Ab 1. März 1941 stand ihr in einsamer Lage in Kilchberg ein Landhaus zur Verfügung, welches Maag zu diesem Zwecke mit dem von Büeler erhaltenen Gelde mietete und möblierte, und welches bis Mitte April vom Nationalsozialisten Bachmann und später von drei Frauen verwaltet wurde. In diesem Hause liess Maag jeden Samstag aus verschiedenen Ortschaften der Schweiz Gesinnungskameraden zusammenkommen. Die Werbung besorgte der Angeklagte Schlatter anlässlich seiner beruflichen Reisen.

Auch Maag warb, begleitete z. B. Schlatter nach Schaffhausen, Luzern, Basel, Bern und Genf. Die Zusammenkünfte in Kilchberg dienten der Unterrichtung, körperlichen Ertüchtigung und militärischen Erziehung der Ortskommandanten und ihrer Stellvertreter,
Maag verbot ihnen politische Gespräche, verlangte Stillschweigen und gab weitere Weisungen, wie sie sich verhalten müssten, um die Organisation vor der Polizei geheim zu halten. Er wies sie an, mit den ihnen unterstellten Mitgliedern der Ortsgruppen sportliche Übungen durchzuführen und von jedem Disziplin und Gehorsam zu verlangen. Maag erklärte, die Ortskommandanten hätten die Befugnisse eines Hauptmanns in der Armee.

Sie hätten das Recht, Leute aufzunehmen und auszuschliessen. Nach oben würden sie gedeckt. Wenn sie sich Fehler zuschulden kommen Hessen, würden sie strenger bestraft als ihre Untergebenen. Er gab ihnen schriftliches Schulungsmaterial, so eine «Anweisung über die Behandlung und Ausbildung des Soldaten» und «Bemerkungen zu Ordnungsübungen». Ferner gab er ihnen von Büeler erhaltene Fragebogen zur Errichtung von Mannschaftskontrollen und Werbung neuer Mitglieder. Er verlangte von ihnen schriftliche Berichte über jede von der Ortsgruppe abgehaltene Übung, wobei die abwesenden Mitglieder mit Namen aufzuführen waren. Jeder Kamerad musste dem Ortskommandanten in zwei Doppeln einen schriftlichen Lebenslauf und je im Doppel eine von vorn und eine von der Seite aufgenommene Photographie abgeben, wie es Büeler dem Maag befohlen hatte. Maag erklärte den Ortskommandanten, das Schreiben von Lebensläufen sei ein Befehl wie ein anderer, die Bedenken müssten den Leuten «aus dem Grind geschnorrt werden». Büeler stellte die Lebensläufe samt Photographien Gröbl zur Verfügung, damit er Riedweg die Personalien der Mitglieder der « Sportschule » melde. Ein Doppel der Lebensläufe samt Photographien bewahrte Maag in Kilchberg auf. Er befahl, dass

134 in jeder Ortsgruppe ein Alarmsystem eingerichtet werde. Einmal hielt er den Ortskommandanten eine Ansprache über den Sinn des Nationalsozialismus.

Sie hätten sich in höchster Disziplin mit ihrer ganzen Person für die «Sportschule» einzusetzen. Diese sei erst im Entstehen, und jeder solle sich bewusst sein, dass die eigentliche Führung einem anderen zukomme. Ein anderes Mal führte Maag aus, sie hätten in Zürich angefangen, sich zu uniformieren, sie hätten Stiefel und Reithosen, mehr dürfe man sich leider nicht leisten. Maag verlangte von den Ortskommandanten strenge militärische Disziplin, Achtungstellung und Anmeldung, wenn sie mit ihm als Vorgesetztem sprechen wollten.

Er führte mit ihnen turnerische und sportliche Übungen durch. Von Mitte April 1941. an brachte ihnen Grüneisen das Boxen bei, Maag äusserte sich einmal gegenüber Bachmann, jeder Nationalsozialist solle so dreinhauen lernen, dass man vor ihm Respekt habe, wenn er jemandem mit einem Stuhlbein den «Grind» zerschlage. Er liess den Teilnehmern an den Instruktionskursen aus den von Büeler erhaltenen Mitteln das Reisegeld ausbezahlen und ein Nachtessen aufstellen.

Büeler gab die Absicht kund, Maag und dessen Leute in Pflicht zu nehmen, dann erst seien sie richtig der SS zugeteilt. Diese Zeremonie wurde auf 24. Mai in Kilchberg angesetzt. Büeler sagte jedoch kurz vorher ab, worauf Maag, der seine Leute schon orientiert hatte, auf eigene Faust vorging. Er liess am erwähnten Tage nach dem Nachtessen die neunundzwanzig Teilnehmer des Instruktionskurses antreten. Er führte aus, dass sie die Selbsterziehung als Anfang zur Erziehung des ganzen Volkes wollten. Sie wollten nicht ein Volk von dummen Schwätzern, sondern ein Volk von Männern und Arbeitern, die nur für das Volk lebten, kämpften und stürben. Sie sollten sich einen der grossen Nachbarn der Schweiz ansehen, die nicht durch kleinliches Politisieren, sondern durch harte Erziehung und äussersten Einsatz Sieg um Sieg errungen hätten. Wie die Frage Schweiz einmal gelöst werde, sei nicht ihre Sache, denn das werde ganz wo anders bestimmt werden. Dass sie aber einmal gelöst werde, darüber seien sie sich einig. Dann rief er ihnen die Aufgaben in Erinnerung, die sie als Ortskommandanten zu erfüllen hätten. Er erwähnte, dass sie vorläufig direkt den Gebietskommandanten unterstellt seien,
bis eine weitere Unterteilung erfolge. Nach der Ansprache befahl Maag Achtungstellung und nahm jedem durch Handschlag folgende Verpflichtung ab: «Ich gelobe der Idee absolute Treue. Ich unterziehe mich jedem Befehl und verpflichte mich, nichts zu tun, was dem Ansehen der Idee schadet, und unterziehe mich der absoluten Schweigepflicht.» Unter der Idee waren die nationalsozialistischen Ziele verstanden. Die Zeremonie wurde durch zwei deutsche Lieder eingerahmt.

Über die Pfingsttage vom 1. und 2, Juni 1941 führte Maag mit der «Sportschule » einen Ausmarsch ins Eigental durch. Die sechsundzwanzig Teilnehmer trafen sich bei Küng im Hotel Alpina in Luzern und begaben sich von dort aus in zwei Gruppen in einen Wald oberhalb Kriens, wo sie sich wieder trafen.

Maag erklärte, ihr Zusammentreffen sei kein Spass oder Ausflug, sondern eine militärische Übung, welche von jedem Disziplin und Gehorsam verlange.

Nachher marschierten die Teilnehmer in geschlossener Formation nach der Alphütte Bonern, wo sie nachmittags unter dem Kommando der Angeklagten Küng und Löliger und zweier anderer in vier Gruppen während zwei Stunden turnten und exerzierten (An- und Abmelden, Marsch, Selbstverteidigung).

Anschliessend liess Maag unter dem Kommando von Küng und Löliger Angriff und Verteidigung üben, wobei Schneebälle, Tannzapfen und Steine als Handgranaten dienten. Teilnehmer, die das Werfen von Steinen beanstandeten, wurden von Maag gerügt. Das Übernachten im Hotel Pilatusblick im Eigental wurde aus dem Geld bezahlt, das Maag von Büeler erhalten hatte. Die Tagesordnung war nach militärischem Muster aufgestellt, mit Zimmerverlesen und Lichterlöschen am Abend, Tagwache und Frühturnen am Morgen. Dann

135 bestieg die Kolonne das Klimserhorn und kehrte nach Luzern zurück. Im Luftschutzkeller des Hotel Alpina sprach sich Maag über Disziplin und Leistungen aus und mahnte zur Schweigsamkeit, mit der Drohung, wer diese Pflicht verletze, schaufle sich das Grab selber. Er liess den Teilnehmern das Reisegeld ausbezahlen und befahl Abtreten.

Maag hatte die Absicht, die Schweiz in fünf Gaue einzuteilen und für jeden einen Gebietskornmandanten zu bestimmen. Mit den für diese Posten in Frage kommenden Mitgliedern der «Sportschule» und ihren Adjutanten gedachte er, vom 14. bis 21. Juni 1941 in Münchenwiler bei Murten einen Schulungskurs durchzuführen. Das Programm sah körperliche Übungen und Vorträge vor.

Die letzteren hätten in der Hauptsache von Büeler gehalten werden sollen.

Mit der Organisation beauftragte Maag den Angeklagten Schlaffer, der sich dafür umtat. Der Entwurf seines Kursbefehls sah vor, dass den Teilnehmern streng verboten sei, vom Kursort Briefe oder Postkarten zu versenden. Die Kosten wurden auf Fr. 1308 veranschlagt. Der Kurs fiel wegen der am 10. Juni 1941 erfolgten Verhaftung der Angeklagten dahin, Ortsgruppen der t Sportschule » bestanden in jenem Zeitpunkt in Zürich, Winterthur, St. Gallen, Rorschach, Azmoos, Romanshorn, Schaffhausen, Baden, Luzern, Basel, Bern, Genf, Sitten. Die meisten umfassten weniger als zehn Mann, andere waren um einige Mann stärker. Für andere Ortschaften war erst der Ortskommandant bestimmt, so für Thalwil und Bülach. Die Gruppen betätigten sich im Sinne der Instruktionen, welche Maag den Ortskommandanten erteilte. Sie schulten sich körperlich-soldatisch. Einzelne besassen einen Plan für die Alarmierung, Maag pflegte die Ortsgruppen bei den Übungen zu besichtigen.

In Biel bestand eine Gruppe, die unter dem Kommando von Kyburz direkt Büeler unterstand.

4. Büeler hat die ihm vorgeworfenen Handlungen bewusst und gewollt begangen. Er beabsichtigte, mit der schweizerischen SS ein militärisches Machtmittel in die Hand zu bekommen, das den auf die «organische Lösung» des Verhältnisses zwischen der Schweiz und Deutschland hinarbeitenden schweizerischen Nationalsozialisten bei der Änderung der Verfassung und der Einsetzung einer nationalsozialistischen, dem Deutschen Reich gefälligen Regierung mit Gewalt nachhelfen würde. Er wollte durch diese Änderung der
verfassungsmässigen Ordnung den Weg zu einem Bündnis mit Deutschland ebnen, das die Schweiz in die Abhängigkeit dieses Staates bringen würde, um ihrer befürchteten Eingliederung ins Reich vorzubeugen. Er wusste und billigte auch, dass durch die im Einvernehmen mit dem deutschen SS-Hauptamt und mit dessen Gelde begonnene Propagierung, Organisierung, weltanschauliche Schulung und militärische Erziehung einer schweizerischen SS ein Zustand hergestellt wurde, welcher das Reich veranlassen konnte, mit wirtschaftlichem oder militärischem Drucke die von Büeler angestrebte Verfassungsänderung zu fördern, wie dies in einigen von den Deutschen besetzten Staaten geschehen war.

III,

Auszug aus dem Urteil des. Bundesstrafgerichts vom 16. und 17. Juni 1944 in der Sache der schweizerischen Bundesanwaltschaft gegen Michel und Mitangeklagte wegen Angriffs auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266 StGB) und Widerhandlung gegen Art. l des Bundesratsbeschlusses vom S.Dezember 1938 betreffend Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie, gegen Art. 2 des Bundesratsbeschlusses vom 9. Juli 1940 über die Kontrolle der politischen Versammlungen sowie gegen Art. 2 und l der Verordnung vom 14. April/2. September 1939 über die Handhabung der Neutralität, Feststellungen B, Ziff. 1--8, il, 12, Abs. l.

(Übersetzung).

..

136 ·1. Der « M o u v e m e n t national s u i s s e » bis zu seiner A u f l ö s u n g .

Im Juni 1940 wurden mit einigen Tagen Abstand in der deutschen Schweiz die «Nationale Bewegung der Schweiz" (N.B. S.), in der welschen Schweiz der «Mouvement national suisse» (M. N. S.) gegründet. In Genf erhielt dieser seine Mitglieder hauptsächlich aus den Kreisen der «Union nationale», denen Walter Michel, Doktor der Medizin, in der Armee Oberleutnant der Sanitätstruppe, angehörte. Michel war der Gründer und Hauptanreger der neuen Bewegung. In jedem welschen Kanton wurden Gruppen geschaffen, an deren Spitze ein kantonaler Führer gesetzt wurde. So wurde für das Wallis der Ingenieur Charles Desfayes, ein alter Kämpfer der «Fédération fasciste suisse» und der «Union nationale», als Führer bezeichnet. Michel leitete die Geschicke der Gruppe von Genf und war gleichzeitig unbestrittener Führer der ganzen Organisation in der welschen Schweiz. Im September 1940 gewann er als Privatsekretär und Verbindungsmann Georges Tarchini, einen damals arbeitslosen Architekten, ehemaliges Mitglied der «Fédération fasciste suisse».

In der Person des Alexandre Ritossa, Schneider in Genf, hatte er einen weiteren Mitarbeiter, insbesondere für Sportfragen. Endlich spielte ein gewisser Jean Charles, gewesener Geschäftsagent, bei Michel die Rolle eines Ratgebers für die wirtschaftlichen Fragen.

Ende Juni 1940 erliess die N. B. S. einen Aufruf an das Schweizervolk, der im August französisch erschien; er war «für die welsche Schweiz» namentlich von Walter Michel unterzeichnet. Dieser war selber Verfasser einer im August 1940 veröffentlichten Erklärung des Mouvement national suisse, die er mit anderen Welschen, darunter Desfayes, unterzeichnete. Im Oktober 1940 vereinigte sich die N. B. S. mit der E. S. A. P. (Eidgenössische soziale Arbeiter-Partei) und dem B. T. E. (Bund treuer Eidgenossen). Zu dieser Zeit knüpften die Welschen ihre Bande mit der N. B. S. enger; am 2. November fand in Lausanne eine Zusammenkunft statt, welche Leiter dieser Bewegung: Max Leo Keller, Wechlin, Zander und Hofmann, und Vertreter des M. N. S. : Michel, Tarchini, Desfayes und Alberto Meyer, Schriftsteller in Genf, vereinigte.

Eine gemeinsame Organisation wurde geschaffen, bestehend aus der «Führung», dem « Führerkreis » und dem «Führerrat». Michel unterzeichnete
die Statuten vom 25, Oktober im Namen des «Führerrates» zusammen mit Keller, Hofmann und Zander. Der M. N. S. der welschen Schweiz erhielt um diese Zeit etwa Fr. 400 von der Kasse der N. B. S. in Zürich.

Die Schaffung dieser « Samrnelbewegung » der nationalistisch-extremistischen Elemente fiel mit dem militärischen Zusammenbruch Frankreichs zusammen. Die Gründer des M. N. S. und insbesondere Michel waren der Meinung, dass fortan die Vormachtstellung in Europa den Achsenmächten zukomme, was unser Land vor die Notwendigkeit stelle, seine Einrichtungen dem Geiste der «neuen Ordnung» anzupassen. Es handelte sich darum, die demokratische Regierungsform abzuschaffen, um sie durch eine in allen Stufen auf dem Führerprinzip beruhende Regierungsform zu ersetzen. Nach Art. 3 der Statuten des M. N, S. sollte diese Umbildung der Einrichtungen auf verfassungsmässigen und gesetzlichen Wegen vor sich gehen. Indessen musste man erwägen, dass Deutschland und Italien von der Schweiz verlangen würden und in der Lage sein würden zu verlangen, dass sie eine Regierungsform annehme, welche sich der ihrigen nähere. Infolgedessen musste die Schweiz wohl Oder übel von sich aus diese Änderung der Regierungsform annehmen, um zu verhüten, dass man sie ihr von aussen auferlege.

2. Die Tätigkeit des M. N. S. nach seiner A u f l ö s u n g .

Durch Beschluss vom 19. November 1940 hat der Bundesrat den M. N. S.

aufgelöst. Dieser setzte nichtsdestoweniger seine Tätigkeit auf geheime Weise

137 fort. Seine Leiter hatten das Verbot vorausgesehen; sie waren ihm zuvorgekommen, indem sie in Häusern und Quartieren Zellen bildeten. In der welschen Schweiz blieb Michel der Führer der Bewegung, welcher durch Tarchini wie durch Desfayes als solcher anerkannt wurde. Kurz nach der Auflösung begab sich Tarchini nach Zürich, wo er einerseits mit der N. B. S., d, h. mit Keller und Schlatter wie mit Büeler, anderseits mit der «Eidgenössischen Sammlung», d.h. mit einem gewissen Conod, Vertreter von Tobler, Unterredungen hatte ; er wünschte die Absicht der Leiter der N. B. S. zu kennen und liess wissen, dass in Genf eine Aktion beschlossen sei. In Wirklichkeit scheint die Tätigkeit des M. N, S. in der welschen Schweiz bis Ende Februar 1941 vermindert worden zu sein, ausgenommen im Wallis, wo Desfayes, ohne sich um das Verbot zu kümmern, Anhänger zu werben und Ortsgruppen zu bilden fortfuhr, indem er die gleichen Beitrittsscheine verschickte und den Mitgliedern die gleichen Karten verteilte ; es war sein Ziel, im Hinblick auf den Zeitpunkt, wo zur «offenen Tat» geschritten werden würde, «zuerst Bestände zusammenzufassen». Er empfahl seinen Untergebenen, wenn nötig die Organisation in Zellen aufzuteilen (Briefe an Berthod vom 10. Dezember 1940 und vom 11. Januar 1941), 3. Die Beziehungen der N. B. S. mit Deutschland.

In der deutschen Schweiz suchte die N. B. S. nach ihrem Verbot die mittelbare Unterstützung durch das Ausland nach. Diese Unterstützung wurde beim deutschen Vizekonsul Asthon vom Generalkonsulat in Zürich und bei Dr. Gröbl, einem deutschen Beamten auf dem genannten Konsulat, gefunden, mit denen die Leiter der N. B. S. häufigen Verkehr hatten. Asthon war beauftragt, die Verbindung unter den verschiedenen Erneuerungsbewegungen, herzustellen. Er verfügte zu diesem Zwecke über einen Kredit von Fr. 45 000, der namentlich von schweizerischen Industriellen in Deutschland eingeräumt worden sein soll. Was Gröbl anbetrifft, spielte er die Rolle eines Mittelsmannes zwischen Berlin und den Rechtsextremisten. Die beiden Konsularbeamten erhielten ihre Weisungen unmittelbar vorn SS-Hauptamt in Berlin. Dieses Amt scheint sich mit der Zukunft der Schweiz besonders beschäftigt zu haben. Eine seiner Hauptpersonen war der Schweizerbürger Franz Riedweg, welcher in der SS einen Grad bekleidete und Verbindungsmann
zwischen dem Hauptamt und dem Aussenministerium und ein persönlicher Freund des Reichsführers der SS, Himmler, war. Ein anderer Mitarbeiter dieses Amtes war der in Berlin niedergelassene Schweizerbürger Fridolin Menzi.

Büeler war ein Freund Riedwegs. Beide beschäftigten sich insbesondere mit den Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland. Riedweg soll Büeler versichert haben, dass die Kreise der SS von Berlin bereit seien, ihren Einfluss bei der Reichsregierung geltend zu machen, um zu einer «organischen Lösung» des Problems Deutschland-Schweiz zu gelangen und so den in gewissen führenden Kreisen bekundeten Anschlussabsichten vorzubeugen. Sie nahmen für Deutschland und seine kleinen Randstaaten eine Art Staatenbund unter der Schutzherrschaft des Reiches in Aussicht. Die germanischen Randstaaten -- die Schweiz inbegriffen -- sollten mit Grossdeutschland durch ein Bündnis vereinigt werden. Als Gegenleistung für die Schutzherrschaft des Reiches sollten sich die genannten Staaten verpflichten, nichts gegen die Interessen des Reiches zu unternehmen, das es auf sich genommen hätte, ihre eigenen Interessen gegen aussen zu vertreten. Um die Zustimmung der zuständigen deutschen Behörden zu dieser Lösung zu erlangen, legte Riedweg Büeler im Verlaufe von Besprechungen, welche in Berlin stattfanden, nahe, in der Schweiz eine Organisation zu schaffen, die ungefähr die gleichen Ziele verfolgen würde wie die SS in Deutschland und deren Aufgabe namentlich darin bestehen

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würde, den Gedanken der «organischen Lösung» des Problems DeutschlandSchweiz zu verbreiten. Büeler nahm diesen Auftrag an, und als er anfangs Februar 1941. von Berlin zurückgekehrt war, schickte er sich an, eine Auswahlmannschaft zusammenzustellen, deren besondere Bildung sowohl militärischer als auch ideologischer Art sein sollte (vgl. unten Ziffer 6, die Schule Maag).

Riedweg gewährte ihm finanzielle Hilfe, indem er ihm einen grossen Teil der Kredite, über die er verfügte, zuteilen liess.

Später, im Verlaufe des Frühjahres 1941, unterzeichneten 14 Leiter der N. B. S. eine gemeinsame Erklärung («Solidaritätserklärung»), in welcher sie ihren Geist der Solidarität wie auch ihren Willen, ihren politischen Anschau-: ungen treu zu bleiben, verkündeten. Wegen der Abfassung dieses Textes kam Dr. Wechlin unter dreien Malen mit dem Angeklagten Michel zusammen, zuletzt in Gegenwart des Pfarrers Clot am 21. Mai 1941 in Lausanne, wo die Erklärung unterschrieben wurde. Diese endete mit der Feststellung, dass die Leitung der Bewegung in ideologischer Hinsicht inskünftig für die deutsche Schweiz Hofmann und für die welsche Schweiz Michel anvertraut sei. Dieses Schriftstück wurde durch Dr. Max Leo Keller dem Vizekonsul Asthon übergeben, der es Riedweg übermittelte. Es ist nicht dargetan, dass Michel gewusst habe, dass die Erklärung für die deutschen Behörden bestimmt war.

4. Der U m g a n g Dr. Michels mit den deutschen Kreisen, Walter Michel verkehrte in gewissen deutschen Kreisen der Schweiz. Er hatte gute Beziehungen zum deutschen Konsul in Genf, Herrn Krauel. Von Gstaad, wo er infolge eines Unfalles zur Erholung weilte, begab er sich am 30. Januar 1941 nach Bern, um anlässlich des Jahrestages der Machtergreifung Hitlers an einem von der Deutschen Gesandtschaft gegebenen Essen teilzunehmen; dort traf er sich mit Hof mann und Schlatter von der N. B. S.

Vom 25. Februar bis 1. März 1941 machte Michel eine Reise nach Deutscht land. Er war eingeladen worden, an einer medizinischen Tagung teilzunehmen.

Wie er sagte, nahm er sich aber auch vor, zu erfahren, was gewisse Leiter des Reiches über unser Land und die Tätigkeit der schweizerischen nationalistischen Kreise dachten, denn er war enttäuscht gewesen, zu sehen, dass die Auflösung des M. N. S. in Deutschland und Italien keinerlei Reaktion ausgelöst hatte. In
Berlin unterhielt sieb. Michel mit einem Herrn Zeileis, einem Beamten der auswärtigen Angelegenheiten, und mit einem Hauptmann der SS, Herrn Meggenberg vom Stabe Himmlers. Er wünschte auch Dr. Riedweg zu sehen, soll ihn aber nicht getroffen haben. Bei seiner Rückkehr erklärte er, dass sich die leitenden deutschen Kreise für die nationalistischen schweizerischen Kreise nicht mehr interessierten, in der Meinung, sie hätten keine Aussichten auf Erfolg. Er schloss daraus, dass die Tätigkeit verstärkt werden müsse, um zu verhüten, dass Deutschland selber versuche, die Zukunft der Schweiz zu ordnen.

Gegen den 20. April 1941 hatte Michel in Genf den Besuch des Fridolin Menzi vom SS-Hauptamt in Berlin. Dieser hat Gröbl von der Zusammenkunft Kenntnis gegeben. Michel hat mit Decurtins über Menzi gesprochen. Im Mai 1941 hat Riedweg Michel Fr. 800 übergeben lassen (vgl. unten Ziffer 12).

[ 5. Der Kurs von Innsbruck.

Ende Dezember 1940 erhielt Michel aus Deutschland eine Einladung zur Teilnahme an einem Ferienkurs, der im Tirol stattfinden sollte. Dieser Kurs war «für die europäische Jugend», insbesondere die Studenten, bestimmt.

Michel plante, einige junge Leute dorthin zu senden. Er liess einen Kostenvoranschlag für fünf Teilnehmer aufstellen und sprach namentlich mit Decurtins in Freiburg, dem Führer des «Bundes nationalistischer Studenten»,

139 über diesen Kurs, veranlasste ihn, sich selbst dorthin zu begeben oder Studenten dorthin zu senden. Decurtins übermittelte die Einladung Brun, der mit seinem Kameraden Sigrist, einem Berner Studenten, abreiste. Als die beiden jungen Leute in Innsbruck ankamen, vernahmen sie, dass das Studentenlager nicht bestand. Sie machten die Bekanntschaft des Dr. Dreiseidl, des Studentenführers der Universität Innsbruck, mit dem sie sich über ein Treffen unterhielten, das später zwischen deutschen und schweizerischen Studenten stattfinden sollte. Nachdem Brun gegen Mitte Januar 1941 in die Schweiz zurückgekehrt war, suchte er Decurtins in Freiburg wieder auf und begab sich mit ihm nach Gstaad zu Michel, der auf diese Weise darüber unterrichtet wurde, was sich ereignet hatte.

Der in Innsbruck in Aussicht genommene Kurs fand in Wirklichkeit in Feldkirch vom 15. bis 21. März 1941 statt («Schulungskurs für Weltanschauung im Rahmen des kommenden neuen Europa»). Er stand unter der Leitung des Dr. Riedweg. Gegen Ende des Kurses versammelte Riedweg den grössten Teil der schweizerischen Teilnehmer, um ihnen mitzuteilen, dass ihn der Reichsführer der SS, Himmler, beauftragt habe, in der Schweiz eine SS aufzustellen, die bestimmt sei, die Grundlage der kommenden Ordnung zu bilden. Diese Truppe, die man «Schweizerischen Sportbund» nenne, werde durch Büeler geleitet und geführt werden. Die Schaffung dieser neuen politischen und militäräbnlichen Organisation solle natürlich ein vollständiges Geheimnis bleiben. Hierauf wurden die Zuhörer Riedwegs gebührend ins Gelübde genommen. Es ist nicht dargetan, dass Brun Michel unterrichtete, was sich in Feldkirch zugetragen hatte.

Michel hatte ferner durch Vermittlung des Tarchini Desfayes veranlasst, vom 4. bis 18. Juni 1941 an einer Studienreise nach Deutschland teilzunehmen, aber Desfayes konnte seinen Pass nicht erhalten.

6. Die Schule Maag.

Als Büeler anfangs Februar 1941 aus Berlin zurückgekehrt war, betraute er den Leutnant Othmar Maag mit der von Riedweg erhaltenen Aufgabe, in der Schweiz eine SS zu gründen (Sturm- oder Stöss-Trupps oder -Abteilungen). Es handelte sich darum, «Ortskommandanten» auszubilden, die in der Folge beauftragt wurden, ihrerseits in der ganzen Schweiz solche Trupps zu schaffen. Die Absicht der Führer ging dahin, bis Ende Juli 1941 eine ausgewählte
Truppe von etwa 300 Mann aufzustellen. Büeler mietete in Kilchberg ein Landhaus zum Preise von jährlich Fr. 1800. Dort fanden vom März 1941 an die von Maag geleiteten Kurse statt. Diese Kurse waren zur körperlichen Ertüchtigung und militärischen Erziehung der Ortskommandanten bestimmt.

Den Kursteilnehmern war es verboten, über Politik zu sprechen; es wurde Verschwiegenheit verlangt. Die Teilnehmer sollten ihrerseits den «Rekruten», die ihnen die Gebietskommandanten anvertrauen würden, das Gelernte beibringen. Sie waren verpflichtet, der Zentrale in Zürich über die Übungen, die sie mit ihrer Gruppe während der Woche machten, Bericht zu erstatten.

Sie mussten eine « Mannschaf tskontrolle » erstellen, die beständig nachzuführen war. Alle Mitglieder der «Sportschule» wurden ersucht, der Zentrale in zwei Doppeln ihre Lebensbeschreibung mit zwei Photographien einzureichen, wovon die eine von vorn, die andere von der Seite aufgenommen sein musste. Maag verlangte ferner von jeder Ortsgruppe einen Alarmplan mit Angabe des Ortes und der Telephonnummer, wo die Ortskommandanten jederzeit würden erreicht werden können, wie auch der Adresse und gegebenenfalls der Telephonnumrner jeden Mitgliedes. Man übergab den Ortskommandanten auch vervielfältigte Fragebogen über alles, was die Bewegung mehr oder weniger interessieren konnte. Die Lebensbeschreibungen der Mitglieder wurden Maag übergeben und zuhanden Riedwegs an Gröbl weitergeleitet. Die Reisekosten

140 der Teilnehmer wurden ihnen im allgemeinen vergütet ; am Abend wurde ihnen eine Mahlzeit verabfolgt.

Michel wurde vom Bestehen der Sportschule kurz nach ihrer Gründung unterrichtet. Gegen Mitte April begab sich nämlich Schlatter, der Werber der Schule, zu ihm nach Genf, um ihn zu veranlassen, in der welschen Schweiz Ortsgruppen zu gründen, Michel antwortete, dass er jemanden nach Kilchberg senden würde. Tatsächlich setzte er sich tätig für die Zusammenarbeit der Mitglieder dés M, N. S. mit der Schule Maag ein (vgl. unten Ziffer 11, die Welschschweizer und die Schule Maag).

7. Die Tätigkeit der Mitglieder des aufgelösten M. N. S. im März und April 1941.

Die Rückkehr Michels von seiner Reise nach Deutschland fällt mit der Wiederaufnahme der Tätigkeit des M. N. S. zusammen. Georges Tarchini machte sich zum Werkzeug der «Neuscharung der Kameraden um Michel».

Dieser gab seinem Sekretär Anleitung und unterstützte ihn finanziell, liess ihm aber dennoch eine ziemlich grosse Handlungsfreiheit. In Genf fing man wieder an, Mitgliederbeiträge einzuziehen, insbesondere in der Gruppe von Pâquis, wo sich Ritossa befand. Tarchini liess 200 bis 300 Mitgliederkarten mit Feldern zum Aufkleben der Beitragsmarken drucken; er gab namentlich fünf Karten dem Wirte Fueg, der ihm dafür Fr. 25 bezahlte. Man versammelte sich in Wirtschaften und bei Mitgliedern, um ·-- alles mit dem Einverständnis Michels -- darüber zu verhandeln, die Politik des M. N. S. unter einem anderen Namen fortzuführen.

Am 8. März 1941 nahm Tarchini zum Preise von Fr. 300 für drei Monate ein Generalabonnement der Bahnen. Michel verschaffte ihm mittelbar wenigstens einen Teil dieses Betrages, Fr. 150 oder 200. Ausserdem bezahlte er ihm auf alle Fälle einmal Fr. 200, ein anderes Mal Fr. 100. Mit seinem Abonnement begab sich Tarchini nach Lausanne, nach La Chaux-de-Fonds, nach Neuenburg, ins Wallis, um mit den ehemaligen Mitgliedern des M. N. S.

Fühlung zu "nehmen. Er hatte auch mehrere Unterredungen in Zürich mit Tobler, dem Führer der «Eidgenössischen Sammlung», einer Bewegung, die damals noch erlaubt war. Dort war die Rede davon, eine welsche Sektion dieser Bewegung zu gründen, ein Plan, der noch in Freiburg bei einer Begegnung zwischen Tobler und Michel besprochen wurde, der aber nicht gelang. Es würde sich darum gehandelt haben, die ehemaligen
Mitglieder des M. N. S.

in einem erlaubten Verband neu zu sammeln.

Am 9. April 1941 begab sich. Tarchini in Begleitung des Jean Charles nach La Chaux-de-Fonds. Bei ihrer Ankunft telephonierte Tarchini an Lemrich und bat ihn, auf den Abend einige Kameraden zusammenzubringen. Die Zusammenkunft fand im Hotel de Paris statt; es waren etwa zehn Personen anwesend, Tarchini ergriff das Wort, und Jean Charles hielt einen Vortrag wirtschaftlicher Natur über die «neue Ordnung». Tarchini vergütete ihm die Kosten (Fr. 35).

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Am 23. April begaben sich Tarchini und Jean Charles nach Martigny, wo eine Zusammenkunft bei Delasoie stattfand, an welcher ungefähr acht Personen teilnahmen. Die Versammlung war durch Pellaud und Nantermod einberufen worden, welche vorher Tarchini ihren Wunsch ausgesprochen haben sollen, ihn zu ihnen kommen zu sehen. Es war die Rede von einer allfälligen Verbindung mit der Bewegung Toblers, über welche Tarchini Aufschluss erteilte, Jean Charles machte seine Ausführungen über die «neue Ordnung». Tarchini bezahlte ihm Fr. 15, um ihn freizuhalten.

Michel wurde über diese Zusammenkünfte und Versammlungen auf dem laufenden gehalten wie auch allgemein über den Gang der Bewegung in den verschiedenen Kantonen.

1.41 8. Die Organisation des M. N. S. im Wallis und seine Tätigkeit im Frühling 1941.

' Zu dieser Zeit geht die Organisation der Bewegung im Wallis weiter.

Desfayes sieht in Anweisungen von Ende Mai, die er an Camille Berthod, den Führer des Bezirkes von Entremont, richtet, einen kantonalen Führer, drei regionale Führer und Bezirksführer (drei von diesen sind bezeichnet) vor; er fasst die Bildung landwirtschaftlicher Kreise ins Auge; er lädt seine Untergebenen ein, Ortsgruppen zu gründen, besteht darauf, dass man eine starke Werbetätigkeit entfalte im Sinne des Programms des M. N. S. und fügt bei, man müsse «die Kraft schaffen, bevor man sie zeige», schliesslich seien sie «in diesem Augenblick Verschwörer». Die Bewegung zählte damals im Wallis ungefähr 150 Anhänger. Die Beiträge waren auf monatlich 50 Rp. festgesetzt.

Es wurden bei gewissen Personen Schritte unternommen mit dem Ziele, Geld zu erhalten.

Es war die Gruppe von Sitten, zu welcher Georges Gorsatt gehörte, ein ehemaliger tätiger Kommunist, der eine elende Kindheit gekannt hatte und in Jugoslawien in eine Spionage-Angelegenheit verwickelt worden war.

Am 17. Mai fand im Café de l'Union in Sitten eine Versammlung statt, an welcher Tarchini und Alberto Meyer teilgenommen haben. Es handelte sich um eine «ordentliche» Versammlung; sie war durch Torrent im Einvernehmen mit der t Zentrale von Genf» vorbereitet worden. Etwa zehn Personen nahmen daran teil, darunter Desfayes, welcher die Versammlung leitete, Gorsatt, Torrent, Eisig, Pierre und Jean Vergeres, Tarchini und Alberto Meyer ergriffen dort das Wort.

Am folgenden Tage, dem 18. Mai, fand in Conthey eine gleichartige und unter den gleichen Umständen veranstaltete Versammlung statt, mit Teilnahme von Tarchini und Meyer. Desfayes und Gorsatt waren dort von neuem dabei.

Sonntag, den 25. Mai, fand eine Versammlung in Martigny im Café du Stand bei Delasoie statt. Das war ebenfalls eine «ordentliche» Versammlung.

Etwa fünfzehn Personen waren anwesend. Desfayes führte den Vorsitz und machte eine geschichtliche Darstellung über die Bewegung. Alberto Meyer ergriff ebenfalls das Wort.

Alle diese Versammlungen hatten den Zweck, die politische Überzeugung der Teilnehmer zu stärken.

Anderseits teilte Gorsatt Ende Mai oder anfangs Juni in Sitten und Saxon Werbeschriften zugunsten kriegführender
Mächte aus. Er hatte sie von Pierre Vergeres, welcher vom deutschen Konsulat in Genf zwei grosse Pakete mit Kriegspropagandaschriften erhalten hatte. Gorsatt erklärte in der Folge dem Vergeres, dass er diese Flugschriften und Heftchen an die Arbeiter, welche mit den Motorpersonenwagen von Saviese reisten, und an einen gewissen Emery verteilt habe.

11. Die Welschschweizer und die Schule Maag.

Michel, welcher Ende April durch Schlatter über die Veranstaltung der Kurse Maag unterrichtet worden war (oben Ziffer 6), gab seinerseits Tarchini gegen Mitte Mai davon Kenntnis und beauftragte ihn, unter den Mitgliedern des M. N. S. Teilnehmer zu finden. Am 17. Mai schickte Michel einen gewissen Perrelet nach Kilchberg und schoss ihm Fr, 50 vor. Am gleichen 17. Mai sprach Tarchini gemäss den von Michel erhaltenen Anweisungen an der Versammlung von Sitten von den Kursen Maag. Er erklärte, sie bezweckten, im M. N. S. Sturm- oder Stoss-Trupps zu bilden, und er sprach sogar das Wort «schweizerische SS» aus. Er gab bekannt, dass die Kosten der Teilnehmer an diesen Kursen an .Ort und Stelle zurückvergütet würden. Tarchini ersuchte Desfayes, einen Abgeordneten nach Kilchberg zu Schicken, um nachher im

142 Wallis eine Ortsgruppe zu gründen. Desfayes wandte sich an Gorsatt, welcher sich bereit erklärte. In den Anleitungen an Bertliod von Ende Mai gab der Walliser Führer ausserdem bekannt, dass «eine Organisation von Sturmtrupps geprüft» werde und dass Anweisungen folgen werden; «im allgemeinen», fährt er fort, «werden die Anhänger eingeladen, Leibesübungen zu machen».

Nach seiner Rückkehr von Kilchberg unterrichtete Perrelet Michel; er erklärte, begeistert zu sein. Am 19. Mai hatte Michel in Genf den Besuch Schlatters, der mit ihm namentlich über die Kurse Maag redete; Michel antwortete, er werde mit Ritossa davon sprechen. Tatsächlich beauftragte er letzteren, sich der Sache anzunehmen. Am 21. Mai empfing Michel in seinem Arbeitszimmer den Studenten Decurtins, dem er die Schule Maag empfahl, indem er ihn einlud, Mitglieder des Bundes nach Kilchberg zu senden, um in Freiburg eine entsprechende Gruppe zu gründen. Auf Grund dieser Unterredung schickte Decurtins am 24. Mai den Studenten. Milz und an die beiden folgenden wöchentlichen Zusammenkünfte einen gewissen Berger nach Kilchberg. Arn Tage des Besuches Decurtins begab sich Michel mit diesem, Tarchini und Ritossa, nach Lausanne, wo die beiden letzteren Lemrich, dem sich Junod von der Ortsgruppe La Chaux-de-Fonds angeschlossen hatte, treffen sollten, um mit ihnen über die Kurse von Kilchberg zu sprechen. Lemrich war durch Tarchini aufgeboten worden; es war Ritossa, welcher darlegte, was die Kurse Maag seien. Michel sah die Teilnehmer an dieser Zusammenkunft nur einige Augenblicke, da er mit Wechlin und Clot wegen der Solidaritätserklärung eine Verabredung hatte.

Am 24. Mai begeben sich mehrere Welschschweizer nach. Kilchberg: Ritossa, Schweizer, Perrelet, Rastello und Gilliéron aus Genf, Gorsatt aus Sitten, Milz aus Freiburg. Die Reise der Genfer wird von Tarchini auf Verlangen Michels organisiert; Tarchini begleitet übrigens die Teilnehmer. Er schiesst Gilliéron die Reisekosten vor und übergibt ihm für ihn und Rastello Fr. 10. Ritossa, der den Schweizer bestimmt hatte, ihn zu begleiten, übergibt ihm Fr. 35 für seine Kosten.

In Kilchberg stellte sich Ritossa dem Maag als «Führer für die welsche Schweiz» vor. Er nahm indessen nicht an den Übungen teil, so wenig als Schweizer: Ani Abend leisteten die Schüler dem Maag eine Art Handgelübde.
Letzterer hielt ihnen zuerst eine Rede, in welcher er ihnen die Daseinsberechtigung der auf dem Führerprinzip beruhenden Einrichtung erklärte. Er streifte das Problem der Schweiz im Herzen Europas, indem er beifügte, dass die Lösung dieses Problems nicht unsere Sache sei, andere würden sich zu gegebener Zeit damit befassen. Er sprach sich ausserdem über das Funktionieren des Organismus aus, über die Beziehungen der örtlichen und regionalen Gruppen und der Zentrale, über die Rechte und Befugnisse der Gruppenführer. Es ist nicht sicher, dass die Welschen den Sinn dieser Rede ganz erfassten. Nachdem hierauf den Teilnehmern Achtungstellung befohlen worden war, gelobten sie der «Idee» Treue und versprachen, das Geheimnis zu wahren. Man verteilte ihnen den Fragebogen, ein Muster einer Mannschaftskontrolle mit Alarmplan und ein Muster eines Übungsberichtes. Sie wurden gleichfalls eingeladen, ihre Lebensbeschreibung zu erstellen und ihr zwei Photographien beizufügen.

Tarchini und Ritossa erfuhren am Abend, was sich zugetragen hatte, und hatten von der Aushändigung der Fragebogen Kenntnis. Ritossa erhielt später selber diese Formulare. Was Michel anbetrifft, wurde er ins Bild gesetzt, namentlich durch Perrelet. Desfayes wurde durch Gorsatt unterrichtet.

Am 28. Mai begab sich Büeler nach Genf, begleitet von Maag und Schlatter.

Sie wurden von Ritossa empfangen. Man unterhielt sich über die Sportschule ; Ritossa äusserte den Wunsch, der Organisation der Gruppen in der welschen Schweiz eine gewisse Autonomie zu wahren. Am Nachmittag statteten Büeler und Ritossa dem Dr. Michel einen Besuch ab. Michel konnte sie nur für kurze

143 Zeit- empfangen ; er drückte Büeler die Befriedigung aus, welche die Welschen an den Kursen in Kilchberg empfunden hatten, und seine Absicht, etwas Ähnliches in Genf zu veranstalten. Er schlug Büeler vor, dass sich Maag ab und zu nach Genf begebe, statt dass die Welschen die Reise nach Kilchberg machen müssten. Büeler sprach vom rem sportlichen und militärischen Charakter, den er der Organisation geben wollte, drückte aber wegen der Anwesenheit Ritossas, den er nicht kannte, nicht sein ganzes Vorhaben aus. Man vereinbarte eine neue Zusammenkunft auf den 5. Juni 1941, um die Einzelheiten der Organisation ins reine zu bringen. Die vorgesehene Begegnung fand nicht statt.

An Pfingsten und am Pfingstmontag, den 1. und 2. Juni 1941, machte die Schule Maag einen Ausflug, in das Gebiet des Pilatus. Für die welsche Schweiz nahmen Perrelet und Rastello von Genf, Berger von Freiburg, Junod von La Chaux-de-Fonds, Gorsatt von Sitten, teil; der letztere hatte am Abend vor seiner Abreise von Michel durch Vermittlung von Desfayes Fr. 50 erhalten.

Die Teilnehmer sammelten sich in Luzern. Der Ausflug war militärisch organisiert: Marsch in Dreier- oder Einerkolonne, Stundenhalte, Turnübungen unterwegs, Einzelausbildung. Man machte sogar eine Angriffs^ und Verteidigungsübung auf Gegenseitigkeit. Am Abend von Pfingsten bezog die Kompagnie Unterkunft in einem Hotel im Eigenthal. Am Abend um 21.30 Uhr « Zimmerverlesen», hierauf «Lichterlöschen» um 22.00 Uhr. Gleiche Übungen am folgenden Tage, hierauf Rückkehr nach Luzern.

Samstag, den 7. Juni, fanden wiederum Kurse in Küchberg statt, an denen Gorsatt, Berger, Perrelet, Rastello und Junod, der seinen Kameraden Bonnet mitbrachte, teilnahmen.

Sowohl bei den Übungskursen als auch anlässlich des Ausfluges ins Pilatusgebiet wurden die Reisekosten dem grössten Teil der Mitglieder durch die Kasse der Zentrale von Zürich zurückerstattet. Diese trug auch die Kosten des Ausfluges (Gasthof, Verpflegung). In Kilchberg wurden die Teilnehmer unentgeltlich untergebracht und beköstigt.

Michel wurde Samstag für Samstag über das, was man in der Schule Maag gemacht hatte, aufgeklärt.

In Genf warb Ritossa für die Sportschule. Er lud Gillieron ein, «die wegen ihrer Rechtseinstellung bekannten Personen» zu besuchen, um zu versuchen, sie in die Bewegung einzuverleiben. Nach dem,
was in den Besprechungen von Michel und Ritossa mit Schlatter und nachher mit Büeler ins Auge gefasst worden war, suchte Ritossa zusammen mit Schweizer Land mit einem Haus zu mieten oder zu kaufen; er machte sogar ein Inserat in der Tribüne de Genève. Ritossa, der sich schon mit einem Sportverein befasst hatte, würde die Leitung der Schule gehabt haben, die «Sporting Club suisse» hätte heissen sollen; Perrelet hätte als Oberturner geamtet.

Im Wallis lud Gorsatt, der von Desfayes den Befehl zur Gründung einer Gruppe der Schule Maag erhalten hatte, die Brüder Vergères ein, in den Sportklub einzutreten.

12. Das Geld, das Schlatter dem Michel übergab.

Am 19. Mai übergab Schlatter dem Michel anlässlich des Besuches, den er ihm machte, einen Briefumschlag von Büeler. Michel öffnete den Umschlag, nahm eine Besuchskarte heraus und sagte zu Schlatter, er solle Büeler danken und ihn bestens grüssen. Nun hat Büeler, der für seine Organisation deutsches Geld bezog, im April oder Mai 1941 von Gröbl Auftrag erhalten, Michel von Seiten Riedwegs Fr. 800 zukommen zu lassen. Gröbl zeigte Büeler den Brief des letztern. Tatsächlich hat Büeler am 17. Mai Fr. 800 von seinem Postcheckkonto abgehoben und sie mit seiner Besuchskarte in einem Briefumschlag versorgt und zuhanden Michels zu Schlatter tragen lassen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die antidemokratische Tätigkeit von Schweizern und Ausländern im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen 1939 --1945 (Motion Boerlin). Erster Teil. (Vom 28. Dezember 1945.)

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