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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Abschluss eines Vertrages mit Frankreich betreffend Fragen des Arbeitsmarktes.

(Vom 6. Dezember 1946.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen den Text eines am 1. August 1946 in Paris zwischen Prankreich und der Schweiz abgeschlossenen Vertrages betreffend Fragen des Arbeitsmarktes (traité de travail) zu unterbreiten.

I. Allgemeines.

Die grosse Bedeutung, die den Schweizerkolonieii im Ausland für die Förderung der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes zukommt, wurde schon mehr als einmal hervorgehoben. Es dürfte sich deshalb erübrigen, erneut darzutun, wie sehr deren Fortbestand und Wohlergehen im Interesse des Landes liegen. Leider wurden viele dieser in früheren Jahren blühenden Kolonien durch die Wirtschaftskrise, von der nach dem ersten Weltkrieg die meisten Staaten betroffen wurden, sehr stark in Mitleidenschaft gezogen. Die allgemeine Verschlechterung der Wirtschaftslage, Arbeitslosigkeit und manchmal Behinderung in der Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit durch Massnahmen zum Schutze des eigenen Arbeitsmarktes zwangen eine beträchtliche Zahl von Mitbürgern zur Bückkehr in die Heimat.

Andere wieder erwarben sich zur Sicherung ihrer Stellung das Bürgerrecht des Gastlandes. Die fast überall gegen die Einwanderung aufgerichteten Schranken erlaubten es nicht, diese Lücken wieder zu füllen. Durch den Wegzug zahlreicher Personen und das Ausbleiben von neuen schweizerischen Einwanderern gingen unsere Kolonien ihrer Bedeutung und ihrer Zahl nach mitunter in erheblichem Masse zurück. Der letzte Krieg beschleunigte vollends diese rückläufige Bewegung, so dass diese in einigen Ländern ein Ausmass angenommen hat, das zum Aufsehen mahnt.

1250 In Frankreich erfreuen sich unsere Mitbürger auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes im allgemeinen des Wohlwollens der Behörden und der Sympathie der Bevölkerung. Die Massnahmen zum Schutze der beruflichen Tätigkeit der Franzosen wurden auf sie fast immer nur mit schonender Zurückhaltung angewandt. So gibt denn dort die allgemeine Lage weniger Anlass zu Bedenken als anderswo. Immerhin hat unsere Kolonie in Frankreich ebenfalls spürbare Verluste erlitten. Vor allem hat sie seit einigen Jahren grosse Mühe, sich zu erneuern. Eine Kolonie, die keinen neuen Zustrom, keine Blutauffrischung erhält, wird einer langsamen Auflösung verfallen.

Diese Entwicklung beschäftigt uns seit langem. Wir möchten ihr Einhalt gebieten, die Lage unserer Mitbürger in Frankreich festigen und unsere dortige Kolonie durch Erleichterung der Einreise schweizerischer Einwanderer, die in jeder Beziehung den gewünschten Anforderungen entsprechen, verstärken und verjüngen. Umgekehrt hat die Schweiz ebenfalls ein Interesse am Gedeihen einer verjüngten und tätigen französischen Kolonie im eigenen Lande.

Wenn auch die beiden Regierungen grundsätzlich in diesem Punkte einig gehen, so sind die Schwierigkeiten, die der Verwirklichung eines derartigen Programmes entgegenstehen, dennoch gross. Dabei fehlt es beidseitig nicht am guten Willen, vielmehr handelt es sich um Schwierigkeiten, die mit den Erschütterungen der letzten drei Jahrzehnte zusammenhängen und erst aufhören werden, wenn sich die politische und wirtschaftliche Lage wieder einigermassen konsolidiert haben wird. Solange sie weiter unsicher bleibt, kann nicht daran gedacht werden, die zu Anfang des Jahrhunderts bestehende Freiheit in der Ein- und Auswanderung wieder herzustellen. Dagegen ist es einzelnen Staaten möglich, durch den Abschluss von zwei- oder mehrseitigen Abkommen einige dieser Schwierigkeiten schon jetzt zu beseitigen oder zu mildern. Darum sind wir in unseren Beziehungen zu Frankreich bestrebt, schrittweise zu normalen Verhältnissen zu kommen, indem wir uns soweit als möglich an die freiheitlichen Grundsätze anlehnen, die im Niederlassungsvertrag mit Frankreich von 1882 enthalten sind.

Geleitet von diesen Überlegungen waren wir seit der Beendigung der Feindseligkeiten bemüht, uns mit der französischen Regierung über einzelne, für die Zukunft der Kolonien in
den beiden Ländern wichtige Fragen zu verständigen. Wir haben bei der französischen Regierung in den Unterhandlungen, die im vergangenen Monat Juni in Paris stattfanden, viel Entgegenkommen gefunden, und es konnten im Rahmen der nationalen Gesetzgebung die Voraussetzungen für den Fortbestand und die Weiterentwicklung jeder der beiden Kolonien im anderen Lande festgelegt werden. Im besonderen führten sie zum Abschluss verschiedener Abkommen, die den Austausch von Arbeitskräften zwischen den beiden Ländern erleichtern. Das eine befasst sich mit der Rückkehr von Schweizer Bürgern nach Frankreich, die dieses Land infolge des Krieges verlassen mussten, sowie mit der Wiedereinreise französischer Staatsbürger in die Schweiz, die aus demselben Grunde im Laufe der letzten Jahre in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Das zweite erleichtert den Austausch

1251 von Stagiaires, also von jungen Bürgern der beiden Vertragsparteien, die zur beruflichen und sprachlichen Weiterbildung für eine begrenzte Zeit im andern Lande eine Stelle annehmen wollen. Bin drittes Abkommen sieht Erleichterungen für die Niederlassung schweizerischer Landwirte in Frankreich vor. Das vierte Abkommen endlich ist der Vertrag betreffend Fragen des Arbeitsmarktes, der Gegenstand dieser Botschaft bildet. Alle diese Vereinbarungen, namentlich auch der soeben genannte Vertrag wurden von den Vertretern der beiden Länder am I.August 1946 in Paris unterzeichnet.

II. Zweck, Anwendungsbereich und Inhalt des Vertrages.

Zweck des Vertrages ist, den Austausch von Arbeitskräften zwischen Frankreich und der Schweiz zu erleichtern und den auf Grund dieser Bestimmungen Einwandernden in bezug auf die Arbeitsbedingungen die Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen zu sichern, soweit diese Ausreise von Arbeitskräften der wirtschaftlichen und bevölkerungspolitischen Lage des betreffenden Landes nicht abträglich ist. Unter den Vertrag fallen ausschliesslich Unselbständigerwerbende.

Die Artikel l--4 befassen sich mit der Anwerbung und Zulassung von Arbeitskräften. Gegenwärtig hat ein französischer oder schweizerischer Arbeitgeber, der einen bestimmten Angehörigen des andern Staates anzustellen wünscht, die Bewilligung der Behörden seines eigenen Landes einzuholen.

Für die Bewilligung ist der Anstellungsvertrag vorzulegen. Abgesehen von der Ausstellung von Identitätsausweisen und Pässen sind die Behörden des Heimatstaates an diesem Verfahren nicht beteiligt. Die Anstellung eines namentlich bezeichneten Arbeitnehmers ist daher eine Angelegenheit, die lediglich die Parteien (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) sowie die Behörden des Einwanderungslandes angeht.

An dieser Sachlage ändert der Vertrag nichts. Er sieht keine Beteiligung der Behörden des Heimatstaates vor, wenn die Auswanderung aus eigenem Antriebe erfolgt, das heisst auf Grund einer Anstellung, die sich aus einer direkten Verständigung zwischen zwei Personen ergeben hat. Artikel l bestimmt nur, dass diese Behörden der Ausreise ihrer Staatsangehörigen keine Schwierigkeiten in den Weg legen dürfen, was für die Schweiz ohnehin zutrifft.

Anders bei der «veranlassten» oder «gelenkten» Auswanderung, d. h. bei der Ausreise von Arbeitskräften,
die durch die Behörden des Einwanderungslandes «angeworben» werden. Hier sieht der Vertrag ein besonderes Verfahren vor, denn es würde zu grossen Unzukömmlichkeiten führen, wenn man die Organe des Einwanderungslandes die Anwerbung allein, ohne jede Kontrolle der Behörden des andern Staates, durchführen liesse. Das Eingreifen ausländischer Organe könnte leicht zu Schwierigkeiten auf dem einheimischen Arbeitsmarkt führen, um so mehr, als es sich im allgemeinen um eine Nachfrage nach Arbeitskräften in grösserer Zahl handelt. Dazu hätten die ausländischen Behörden wegen ihrer Unkenntnis der örtlichen Verhältnisse Mühe,

1252 unter den verfügbaren Arbeitskräften eine vernünftige Auswahl zu treffen.

Aus diesen Gründen sieht der Vertrag (Artikel 2) die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der beiden Staaten bei der Anwerbung von Arbeitskräften vor. Handelt es sich nämlich um ein Blankogesuch, d. h. um ein Gesuch, das auf irgendeine Anzahl von Personen lautet, die dem Namen nach noch nicht bestimmt sind, müssen die Behörden des Einwanderungslandes das Gesuch um Arbeitskräfte den Behörden des Heimatstaates überweisen.

Die Behörden des Heimatstaates prüfen, ob sie in der Lage sind, dem Gesuche zu entsprechen, und nehmen gegebenenfalls, im Einvernehmen mit den zuständigen Stellen des anderen Landes, die Anwerbung der gewünschten Arbeitskräfte und die Auswahl unter ihnen vor.

Die Behörden des Landes, in dem die Anwerbung stattfindet, können auf diese Weise ihren Arbeitsmarkt in der Hand behalten und gleichzeitig nach Möglichkeit darauf achten, dass nur geeignete Arbeitskräfte sich ins Ausland begeben. Daran ändert auch die Entsendung eines Verbindungsmannes in die Schweiz durch das französische «office national d'immigration» nichts, da nach Artikel 4 des Vertrages dieser Vertreter seine Tätigkeit im Einvernehmen und unter Mitwirkung des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit ausüben wird. Ebenso werden natürlich die schweizerischen Behörden, falls sie in die Lage kommen sollten, sich französische Arbeitskräfte zu beschaffen, für die Anwerbung die französische Eegierung um ihre guten Dienste ersuchen.

Die Behörden eines Landes können selbstverständlich bei der von einer ausländischen Eegierung ausgehenden Anwerbung nur mitarbeiten, wenn sie die Gewissheit haben, dass den durch ihre Mithilfe verpflichteten Personen angemessene Arbeitsbedingungen gewährt werden. Dabei ist es gegeben, dass die Ausländer gleich behandelt werden wie die Inländer. Das Einwanderungsland hat auch kein Interesse an der Einreise von Arbeitskräften, die zu schlechteren Bedingungen arbeiten als die Einheimischen. Diesen Überlegungen folgend wurde das Arbeitsstatut der Ausländer im Vertrag den Bestimmungen für die einheimischen Arbeitskräfte weitgehend gleichgestellt. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sich diese Gleichstellung auf alle Angehörigen der beiden Staaten erstreckt, die im andern Lande arbeiten, und nicht nur auf diejenigen,
die unter Mitwirkung der Regierungen verpflichtet wurden.

Diese Gleichstellung bezieht sich zunächst auf die Entlöhnung der ausländischen Arbeitskräfte (Artikel 5). Hier bringt der Vertrag eine Einschränkung der Vertragsfreiheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Behörden des Einwanderungslandes haben mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür zu sorgen, dass dieser Vorschrift nachgelebt wird. Die Anwendung des Artikels 5 dürfte in der Schweiz auf keine besonderen Schwierigkeiten stossen, da die Behörden, die sich mit der Prüfung von Einreise- und Aufenthaltsgesuchen ausländischer Arbeitskräfte befassen, schon jetzt verlangen, dass die Ausländer nach den landesüblichen Ansätzen entlöhnt werden.

Die Gleichheit der Behandlung erstreckt sich auch auf die Handhabung der Gesetze, die sich mit den Arbeitsbedingungen und dem Arbeiterschutz

1253 befassen (Artikel 6). Der Anwendung dieser Bestimmung auf die in der Schweiz ansässigen Franzosen stehen weder tatsächliche noch rechtliche Hindernisse im Wege, bringt doch dieser Grundsatz keine Änderung der gegenwärtigen Stellung der französischen Arbeitskräfte in der Schweiz, sondern lediglich eine Festigung ihrer Lage.

Im weiteren haben die Angehörigen der beiden Länder, die im Gebiete der anderen Vertragspartei arbeiten, bei Arbeitslosigkeit wie die Einheimischen Anspruch auf die Leistungen der Arbeitslosenversicherungen und der nationalen Hilfswerke (Artikel 7). In dieser Beziehung bestätigt der Vertrag nur die Abrede zwischen der Schweiz und Frankreich vom 9. Juni 1933 betreffend die gegenseitige Unterstützung von Arbeitslosen. Diese Vereinbarung, die in Kraft bleibt, legt die Verpflichtungen der schweizerischen Behörden gegenüber den in unserem Lande wohnhaften französischen Staatsangehörigen und ebenso die Leistungen, auf die unsere Arbeitskräfte in Frankreich Anspruch haben, genau fest. Für die Schweiz fallen unter diese Zusicherungen die Leistungen der Arbeitslosenversicherungskassen und die Unterstützungen der Nothilfe für Arbeitslose.

Bndlich steht den in beiden Staaten dauernd wohnhaften Arbeitskräften des andern Landes der öffentliche Arbeitsnachweis offen. Diese Bestimmung bringt unsern Landsleuten in Frankreich namhafte Vorteile, da die französischen Arbeitsnachweisstellen früher für sie manchmal wenig Interesse zeigten.

Was unsern Arbeitsnachweis anbelangt, so steht dem nichts entgegen, dass die französischen Arbeitskräfte dessen Dienste ebenso in Anspruch nehmen wie die schweizerischen.

Was den Grundsatz der Gleichbehandlung auf andern Gebieten betrifft, so wurde in einem Zusatzprotokoll vereinbart, dass diese Fragen Gegenstand späterer Verhandlungen bilden sollen.

Der Vertrag beschränkt sich nicht nur auf die Regelung der ArbeitS-» bedingungen der eingewanderten Arbeitskräfte, sondern er sorgt auch dafür dass diese mit allfälligen Beschwerden Gehör finden (Artikel 8). Zu diesem Zweck sieht er die Mitwirkung der diplomatischen und konsularischen Vertreter ihrer Heimatstaaten vor. Er begrüsst die Entsendung von Sozialattaches, die als Spezialisten für Arbeitsfragen den Vertretungen der beiden Länder beigegeben werden können und unter anderem die Aufgabe haben, sich
zugunsten der in ihren beruflichen Interessen beeinträchtigten Landsleute zu verwenden. Es ist aber möglich, dass auch diplomatische Schritte nicht zum Ziele führen. In diesem Fall sollen die Schwierigkeiten, die sich nicht beheben lasssen, von der einen oder anderen Vertragspartei einer beratenden gemischten Kommission unterbreitet werden, die sich aus Vertretern der interessierten Verwaltungszweige der beiden Staaten zusammensetzt. Diese Kommission, die in regelmässigen Abständen zusammentritt, macht der französischen und schweizerischen Regierung Vorschläge zur Behebung der aufgetretenen Schwierigkeiten (Artikel 10). Sie hat sich im übrigen nicht nur mit Einzelfällen zu befassen, sondern wird ganz allgemein alle Fragen, die sich aus der Anwendung Buudesblatt. 98. Jahrg. Bd. III.

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1254 des Vertrages ergeben, prüfen. Gegebenenfalls kann sie den beiden Eegierungen sogar die Ausdehnung oder Abänderung der Vertragsbestimmungen vorschlagen. Die beiden Kegierungen verpflichten sich ferner, Streitfragen über die Durchführung des Vertrages, die in dem eben erwähnten Verfahren nicht beigelegt werden können, einem Schiedsgericht zu unterbreiten (Artikel 11).

Es darf angenommen werden, dass auf dem Weg dieser verschiedenen Schlichtungsverfahren manche Schwierigkeiten sich beheben lassen, die sich für unsere Mitbürger in Frankreich oder Franzosen in der Schweiz ergeben können.

Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, dass die Schwierigkeiten in der Durchführung sehr oft ihren Grund lediglich in Missverständnissen und gegenseitiger Unkenntnis der Bedürfnisse und Interessen der anderen Partei haben. In vielen Fällen genügte schon ein diplomatischer Schritt, um die Schwierigkeiten zu beseitigen. Durch die direkte Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungszweigen der beiden Staaten, welche eine regelmässige Erörterung der gegenseitigen Standpunkte ermöglicht, wird ohne Zweifel der grösste Teil der Probleme, an denen es auch in Zukunft kaum fehlen wird, in freundschaftlicher Weise gelöst werden können. Im weiteren wird diese Kommission ein sehr nützliches Mittel sein, um die Ein- und Auswanderung zwischen den beiden Staaten mit den Interessen jedes Landes in Einklang zu bringen.

In bezug auf die Dauer wird bestimmt (Art. 13), dass der Vertrag bis zum 81. Dezember 1947 in Kraft bleibt und jeweils für ein weiteres Jahr als stillschweigend erneuert gilt, wenn er nicht von der einen oder anderen Vertragspartei sechs Monate vor Ablauf der jeweiligen Geltungsdauer gekündigt wird.

III. Bedeutung des Vertrages.

Man könnte sich fragen, ob es bei der gegenwärtigen Lage unseres Arbeitsmarktes zweckmässig ist, einen Vertrag wie den vorliegenden abzuschliessen.

Solange bei uns gelbst ein allgemeiner Mangel an Arbeitskräften herrscht, dürften wir Mühe haben, Frankreich diejenigen Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, die es von uns zu erhalten wünscht. Anderseits ist es trotz der uns wohlwollenden Einstellung der französischen Behörden fraglich, ob wir eine irgendwie ins Gewicht fallende Anzahl der von uns benötigten Arbeitskräfte in Frankreich finden können. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, dass,
wenigstens am Anfang, der Vertrag nur in beschränktem Masse zur Auswirkung gelangen wird.

Nach unserer Ansicht wäre es jedoch irrig, nur diesen sich zunächst aufdrängenden Gesichtspunkt im Auge zu behalten. Wir haben bereits eingangs darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die Ein- und Auswanderungsbewegung zwischen den beiden Staaten in einem freiheitlichen Geiste zu entwickeln. Ausserdem kann die Lage auf unserem Arbeitsmarkt sich ändern und in gewissen Zweigen unserer Wirtschaft der gegenwärtige Mangel an Hilfskräften rascher, als man glaubt, einer Überfüllung und Arbeitslosigkeit Platz machen. Wenn diese Möglichkeit Tatsache werden sollte, sind wir froh, rechtzeitig mit unserem

1255 Nachbarn die Beziehungen angeknüpft und so den Boden für die Niederlassung von schweizerischen Staatsangehörigen in Frankreich vorbereitet zu haben.

Dazu kommt, dass die aus der Durchführung sich notwendigerweise ergebende Fühlungnahme zwischen den zuständigen Verwaltungszweigen der beiden Länder und vor allem die Arbeit der beratenden gemischten Kommission ohne Zweifel mit der Zeit zu weiteren Erleichterungen für die Ein- und Auswanderung zwischen Frankreich und der Schweiz fuhren werden. In diesem Sinne ist auch vorgesehen (Art. 9), dass die beteiligten Amtsstellen der beiden Staaten zusammenarbeiten sollen.

Die Mitarbeit der franzosischen Behörden ist übrigens für uns der einzige Weg, um eine geordnete Anwerbung von schweizerischen Arbeitskräften zu gewährleisten. Ohne einen Vertrag hätten wir praktisch keine Möglichkeit einer Kontrolle dieser Anwerbung, deren Durchführung unserer Aufsicht leicht entgehen konnte, besonders wenn die damit betrauten Stellen sich im Ausland befinden. Die Mitarbeit der französischen Behörden erlaubt uns, für Ordnung in der Anwerbung zu sorgen und darüber zu wachen, dass sie nicht ein Ausmass annimmt, welches für unsere Wirtschaft nachteilig wäre.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Vertrag mit Frankreich betreffend Fragen des Arbeitsmarktes einen merklichen Fortschritt in den französisch-schweizerischen Beziehungen bedeutet und den Interessen der beiden Länder entspricht.

Gestützt auf die vorstehenden Darlegungen bitten wir Sie, den Vertrag betreffend Fragen des Arbeitsmarktes, den wir mit Frankreich abgeschlossen haben, durch Annahme des beiliegenden Entwurfes zu einem Bundesbeschluss in der laufenden Session zu genehmigen.

Wir benützen den Anlass, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, Sie unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den G.Dezember 1946.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Kobelt.

Der Bundeskanzler: Leimgruber.

1256 (Entwurf.)

Bun desto cschluss betreifend

Genehmigung des zwischen der Schweiz und Frankreich abgeschlossenen Vertrages über Fragen des Arbeitsmarktes.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 6. Dezember 1946, beschliesst : Einziger Artikel.

Der Bundesrat ist ermächtigt, den zwischen Frankreich und der Schweiz abgeschlossenen Vertrag über Fragen des Arbeitsmarktes zu ratifizieren.

1257 Übersetzung.

Vertrag zwischen

der Schweiz und Frankreich betreffend Fragen des Arbeitsmarktes.

Abgeschlossen in Paria am 1. August 1946.

Datum des Inkrafttretens:

Die provisorische Begierung der Bepublik Frankreich und der schweizerische Bundesrat, bestrebt, den Austausch von Arbeitskräften zwischen Frankreich und der Schweiz zu fördern und zu organisieren und auf ihrem Gebiete die Gleichbehandlung ihrer Angehörigen mit denjenigen des anderen Staates in bezug auf die arbeitsrechtliche Stellung so weit als möglich herzustellen, haben beschlossen, zu diesem Zweck einen Vertrag zu schliessen und als Bevollmächtigte bezeichnet, für die provisorische Begierung der Bepublik Frankreich: Seine Exzellenz Herrn Georges Bidault, Präsident der provisorischen Begierung der Bepublik Frankreich, Minister des Auswärtigen, den schweizerischen Bundesrat: Seine Exzellenz Herrn Carl Burckhardt, ausserordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister, die nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten folgendes vereinbart haben: Artikel 1.

Die französische Begierung und die schweizerische Begierung verpflichten sich, der Ausreise ihrer Staatsangehörigen, die sich zur Arbeitsaufnahme in eines der beiden Länder begeben wollen, kein Hindernis in den Weg zu legen, soweit diese Ausreise von Arbeitskräften der wirtschaftlichen und bevölkerungspolitischen Lage des betreffenden Landes nicht abträglich ist.

Sie gewähren ihnen sowie ihren Ehegatten und Kindern, die sie .begleiten oder die nachkommen wollen, zu diesem Zwe^k alle verwaltungsrechtlichen Erleichterungen. Sie händigen ihnen insbesondere die erforderlichen Identitätspapiere und Beisepässe aus.

Für den Fall, dass Arbeitnehmer des einen oder anderen Landes und ihre Familien, die im andern Staat niedergelassen sind oder sich ordnungsgemäss dort aufhalten, in ihren Heimatstaat zurückkehren wollen, gewähren ihnen die beiden Begierungen alle verwaltungsrechtlichen Erleichterungen.

1258 Artikel 2.

Blankogesuche, d.h. Gesuche für nicht mit tarnen genannte Arbeitnehmer, sind von den durch die zuständigen Ministerien des Einreiselandes hierfür bezeichneten Behörden zu visieren und hierauf den zuständigen Behörden des andern Landes zuzustellen. Diese Gesuche haben den von den zuständigen französischen und schweizerischen Behörden auf dem Wege der Vereinbarung aufgestellten Mustergesuchen zu entsprechen.

Gesuche für mit Namen genannte Arbeitnehmer sind in gleicher Weise zu visieren und, sei es direkt, sei es durch die Vermittlung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmern zuzustellen.

Die von den Arbeitgebern vorgeschlagenen Arbeitsverträge und von ihnen vorgelegten Gesuche für Arbeitnehmer dürfen keine dem vorliegenden Vertrag widersprechende Abrede enthalten.

Artikel 3.

Sowohl die auf Grund eines Blankogesuches als auch die auf Grund eines namentlichen Einzelvertrages angeworbenen Arbeitnehmer müssen vor Ankunft im einen oder anderen Lande im Besitze eines nach den Bestimmungen des Artikels 2 visierten Arbeitsvertrages sein.

Sie müssen überdies im Besitze eines ärztlichen Zeugnisses sein, das von einem von dem Lande, in dem sie beschäftigt werden sollen, hierzu ermächtigten Vertrauensarzte ausgestellt ist.

Artikel 4.

Die Anwerbung schweizerischer Arbeitnehmer und ihre Ausreise nach Frankreich, die unter Kontrolle der zuständigen französischen Behörden dem Vertreter des «Office national d'immigration» in der Schweiz anvertraut sind, erfolgen im Einvernehmen und unter Mitwirkung des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit.

Artikel 5.

Die eingewanderten Arbeitnehmer erhalten bei gleicher Leistung eine Entlöhnung, die derjenigen der Arbeitnehmer der gleichen Kategorie im gleichen Betriebe oder, wenn Arbeitnehmer dieser Kategorie im gleichen Betriebe nicht vorhanden sind, der ortsüblichen Entschädigung der Arbeitnehmer dieser Kategorie entspricht.

Die Begierung des Einreiselandes übernimmt die Verpflichtung, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darüber zu wachen, dass auf ihrem Gebiete die eingewanderten Arbeitnehmer in bezug auf die Entlöhnung den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt werden.

1259 Artikel 6.

Die Staatsangehörigen jeder der beiden hohen vertragschliessenden Parteien gemessen auf dem Gebiete des andern Staates den gleichen Schutz, wie er den eigenen Staatsbürgern gewährt wird, sowie Gleichbehandlung in bezug auf die das Arbeitsrecht regelnden Gesetze, im besondern auch, was die Hygiene und den Schutz der Arbeitnehmer anbelangt. Diese Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf alle Bestimmungen, die in dieser Sache in den beiden Ländern in Zukunft erlassen werden.

Artikel 7.

Für den Fall, dass in einem der beiden Staaten ordnungsgemäss zum Aufenthalt berechtigte Arbeitnehmer des andern Staates arbeitslos werden, haben sie sich an die zuständige öffentliche Arbeitsnachweisstelle zu wenden, die sich bemühen wird, ihnen eine Anstellung zu verschaffen.

Diese Arbeitnehmer gemessen in bezug auf die Arbeitslosenversicherung im eigentlichen Sinne und die nationalen Hilfswerke bei Arbeitslosigkeit die gleichen Vorteile, wie sie den Angehörigen des Aufenthaltsstaates zustehen.

Artikel 8.

Alle Beschwerden der Arbeitnehmer, insbesondere solche, die sich auf die von den Arbeitgebern gebotenen Arbeits- und Lebensbedingungen beziehen, sind, sei es direkt, sei es durch Vermittlung diplomatischer oder konsularischer Behörden, an die zuständigen Behörden des Aufenthaltsstaates zu richten oder weiterzuleiten, gleichgültig, ob sie in der Sprache des Aufenthalts- oder des Heimatstaates des Arbeitnehmers abgefasst sind; die zuständige Behörde des Aufenthaltsstaates ist allein berechtigt, die erforderlichen Untersuchungen durchzuführen und zwecks Herbeiführung einer güt^ liehen Regelung zu intervenieren.

Jede Regierung kann ihrer diplomatischen Vertretung beim andern Staat einen Sonderbeauftragten für Arbeitsfragen und für den Verkehr mit den zuständigen Verwaltungsbehörden des Landes, in dem die Arbeitnehmer des andern Staates beschäftigt sind, beiordnen. Die beiden Regierungen werden die Aufgaben dieser Attachés erleichtern.

Durch die Bestimmungen dieses Artikels werden die Befugnisse der Konsulate, wie sie sich aus den Verträgen und Vereinbarungen und der Gesetzgebung des Aufenthaltsstaates ergeben, nicht berührt.

Artikel 9.

, Soweit die Zusammenarbeit beider Verwaltungen der Vertragsländer erforderlich ist, vereinbaren sie gemeinsam die für die Vollziehung der Bestimmungen des vorliegenden Vertrages erforderlichen Einzelmassnahmen und Ausführungsvorschriften.

1260 Sie bestimmen ebenfalls, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen die Verwaltungsdienste direkt miteinander verkehren.

Überdies wechseln sie alle sachdienlichen Auskünfte über die Arbeitsund Lebensbedingungen der Arbeitnehmer des einen Landes, die im andern Lande beschäftigt sind, und über die diese Arbeitnehmer betreffenden gesetzlichen, reglementarischen und administrativen Bestimmungen aus.

Artikel 10.

Die beiden Eegierungen bestellen eine gemischte Konsultativkommission, die auf Antrag der einen oder anderen Vertragspartei jährlich mindestens einmal abwechslungsweise in Frankreich und in der Schweiz zusammentritt.

Diese Kommission ist zur Prüfung der Fragen zuständig, die sich aus der Anwendung dieses Vertrages sowie der Gesetze und Réglemente jedes Vertragsstaates ergeben, die auf die Arbeitnehmer des andern Staates Anwendung finden.

Sie hat ferner die Aufgabe, gegebenenfalls die Revision oder Erweiterung des vorliegenden Vertrages und der im vorangehenden Absatz erwähnten Gesetze und Réglemente vorzuschlagen.

Die Kommission setzt sich zusammen aus höchstens sechs Vertretern der zuständigen Verwaltungen jedes Staates. Jede Delegation kann Experten zuziehen.

Artikel 11.

Alle sich aus der Anwendung des vorliegenden Vertrages ergebenden Schwierigkeiten sind auf diplomatischem Wege zu beheben, gegebenenfalls nach Anhören der gemäss Artikel 10 bestellten gemischten Kommission.

Kann auf diesem Wege keine Lösung gefunden werden, so ist die strittige Sache nach einem Schiedsgerichtsverfahren zu behandeln, das in einer besonderen von den Regierungen noch zu treffenden Abmachung geregelt wird.

Das Schiedsgericht hat die strittige Sache nach den Grundsätzen und dem Geist des vorliegenden Vertrages zu schlichten.

Artikel 12.

Der vorliegende Vertrag muss ratifiziert werden ; die Ratifikationsurkunden sind so bald als möglich auszutauschen.

Er tritt sogleich nach Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.

Er ist vom Zeitpunkt seiner Unterzeichnung an provisorisch anwendbar.

Artikel 13.

Der vorliegende Vertrag bleibt in Kraft bis zum 81. Dezember 1947.

Ohne Kündigung durch die eine oder andere Vertragspartei gilt er jeweils für ein weiteres Jahr als stillschweigend erneuert.

1261 Die Kündigung hat 6 Monate vor Ablauf der jeweiligen Geltungsdauer zu erfolgen.

Zur Beurkundung dessen haben die oben erwähnten, in gehöriger Weise Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und ihre Siegel beigesetzt.

So geschehen in doppelter Ausfertigung in Paris am 1. August 1946.

(gez. :) C. Burckhardt.

(gez.:) Bidault.

Protokoll.

Mit der Unterzeichnung des Vertrages betreffend Fragen des Arbeitsmarktes am heutigen Tage geben die unterzeichneten Bevollmächtigten folgende gemeinsame Erklärung ab: 1. Was die Anwendung des Artikels 7, Absatz 2, des Vertrages betrifft, besteht Einverständnis darüber, dass das Abkommen zwischen der Schweiz und Frankreich vom 9. Juli 1933 betreffend die gegenseitige Unterstützung von Arbeitslosen und der beigeschlossene Brief vom gleichen Tage in Kraft bleiben. Die beiden Staaten erklären sich bereit, in nächster Zukunft zu prüfen, welche Abänderungen und Ergänzungen an diesem Abkommen vorgenommen werden könnten, um insbesondere die Lage der Saisonarbeiter und der Grenzgänger zu regeln.

2. Nach einem vorläufigen Meinungsaustausch bezüglich verschiedener Probleme des sozialen Schutzes und im besondern der Sozialversicherungen, der Fürsorge für Unbemittelte und des Familienschutzes ist man übereingekommen, dass diese Fragen Gegenstand besonderer Verhandlungen bilden sollen. Zu diesem Zweck wird eine Sammlung aller in Kraft stehenden Bestimmungen zwischen den zuständigen Verwaltungen der beiden Staaten durch Vermittlung der schweizerischen Gesandtschaft in Frankreich und der Französischen Botschaft in der Schweiz ausgetauscht. Was speziell die Alters- und Hinterbliebenenversicherung anbelangt, ist man übereingekommen, dass diese Frage an einer gemeinsamen Konferenz geprüft werden soll, die spätestens im Laufe des Monats November 1946 zusammenzutreten hat; die zuständigen französischen Behörden geben zum voraus

1262 ihre Wünsche betreffend die Behandlung ihrer Angehörigen in der Schweiz bekannt, unter Angabe der Leistungen, die den Schweizern in Frankreich zukommen.

3. Es gilt als vereinbart, dass ebenfalls die Frage geprüft werden soll, ob und wieweit den Angehörigen eines der beiden Staaten, die auf dem Gebiet des anderen wohnen, bezüglich des Erwerbes, des Besitzes und der Übertragung des kleinen ländlichen und städtischen Grundbesitzes die gleichen Eechte und Vorteile zugesichert werden können, wie sie den eigenen Staatsangehörigen zustehen. Zu diesem Zwecke wird unter den zuständigen Verwaltungen der beiden Länder nach dem in der vorangehenden Ziffer für die verschiedenen Probleme des sozialen Schutzes vorgesehenen Verfahren eine Sammlung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen ausgetauscht.

So geschehen in doppelter Ausfertigung in Paris am 1. August 1946.

(gez.:) Bidault.

(gez-:) C. Burckhardt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Abschluss eines Vertrages mit Frankreich betreffend Fragen des Arbeitsmarktes. (Vom 6. Dezember 1946.)

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