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Bundesblatt

98. Jahrgang.

Bern, den 24. Oktober 1946.

Band III.

Erscheint in der Regel alle 14 Tage. Preis 20 Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr 60 Kappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stämpfli & de. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren betreffend ,,Wirtschaftsreform und Rechte der Arbeit".

(Vom 14. Oktober 1946.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen nachstehend unsern Bericht zum Volksbegehren betreffend « Wirtschaf tsreform und Eechte der Arbeit» vorzulegen.

: 1. Die sozialdemokratische Partei der Schweiz hat am 10. September 1943 der Bundeskanzlei ein Volksbegehren betreffend «Wirtschaftsreform und Eechte der Arbeit» mit 161 477 gültigen Unterschriften eingereicht, das folgenden Wortlaut hat: . .

«Die unterzeichneten stimmberechtigten Schweizerbürger stellen hiermit, gestützt auf Art. 121 der Bundesverfassung und gemäss dem Bundesgesetz vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei;.Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung, folgendes Begehren: - . , Art. 81, Abs. l, der Bundesverfassung wird durch folgende Bestimmungen ersetzt: 1. Die Wirtschaft des Landes ist Sache des ganzen Volkes.

2. Das Kapital ist in den Dienst der Arbeit, des, allgemeinen wirtschaft: liehen Aufstieges und der Volkswohlfahrt zu stellen.

3. Der Bund ist befugt, die zu diesem Zwecke erforderlichen Massnahmen in Aufbau und Organisation der nationalen Wirtschaft anzuordnen.

, 4. Die Existenz der Bürger und ihrer Familien ist zu sichern.

5.: Das Eecht auf Arbeit und deren gerechte Entlöhnung sind zu gewährleisten.

, 6. Die Arbeit ist in allen Zweigen der Wirtschaft zu schützen.

7. Zur Durchführung dieser Grundsätze und zum Zwecke der Verhütung von Krisen und Arbeitslosigkeit erlässt der Bund die notwendigen VorBundesblatt.

98. Jahrg. Bd. III.

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Schriften, insbesondere über das Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft.

8. Die Kantone und die Wirtschaftsorganisationen werden zur Mitwirkung herangezogen.» Mit Bericht vom 28. September 19481) brachten wir gemäss Art. 5 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung den eidgenössischen Eäten das Zustandekommen dieses Volksbegehrens zur Kenntnis.

Der Nationalrat beschloss am 29. September und der Ständerat am 80. September 1943, den Bundesrat einzuladen, in der Sache selbst Bericht und Antrag einzureichen.

2. Wenige Monate vorher, am 6. Mai 1948, hatte der Landesring der Unabhängigen ebenfalls ein Volksbegehren betreffend das«Eecht auf Arbeit» eingereicht, über das wir Ihnen am 24. Juni 1946 Bericht und Antrag2) erstattet haben. Wie bereits in jenem Bericht ausgeführt wurde, haben wir Ihnen vorerst mit Ergänzungsbotschaft vom 3. August 1945 den Entwurf zu einer Eevision der Wirtschaftsaftikel unterbreitet, in der Meinung, dass sich nach der endgültigen Bereinigung dieser Vorlage -- die inzwischen am 4. April 1946 erfolgt ist -- zeigen werde, ob die beiden Initiativen zurückgezogen werden.

Da dies nicht der Fall ist und namentlich das in diesem Bericht zu behandelnde Volksbegehren in einem unlösbaren Gegensatz zu dea neuen Wirtschaftsartikeln steht, muss es vor diesen zur Volksabstimmung gebracht werden.

· · , 3. Wenn auf dem Wege der Volksanregung verschiedene Materien zur Eevision oder zur Aufnahme in die Bundesverfassung vorgeschlagen werden, so hat nach Art. 121, Abs. 8, der Bundesverfassung jede derselben Gegenstand eines besondern Initiativbegehrens zu bilden. Man kann sich fragen, ob die vorliegende Initiative dem Grundsatz der Einheit der Materie Genüge leistet, da sie eine Eeihe von Postulaten aneinanderreiht, die in keinem innern Zusammenhang zu stehen scheinen. Einzelne Postulate der Initiative, wie z.B. Absatz 4 (Sicherung der Existenz der Bürger und ihrer Familien) oder Absatz 6 (Schutz der Arbeit in allen Zweigen der Wirtschaft) könnten Gegenstand besonderer Volksbegehren bilden und unabhängig von den übrigen Postulaten der Initiative verwirklicht werden. Ähnliches gilt für das Eecht auf Arbeit (Absatz 5), für dessen Verwirklichung der Landesring der Unabhängigen ein besonderes Volksbegehren
eingereicht hat. Andererseits kann gesagt werden, die Initiative bezwecke eine Wirtschaftsreform auf der ganzen Linie nach den Grundsätzen der sozialistischen Wirtschaftsauffassung, welche überhaupt erst die Voraussetzung für die Verwirklichung der einzelnen Postulate in dem von den Initianten gemeinten Sinne ermögliche und müsse aus diesem Grunde als Einheit betrachtet werden. Wir möchten hier keinen zu 1 ) 2

Bundesblatt 1943, Seite 874 ff.

) Bundesblatt 1946, Bd. II, Seite 773 ff.

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strengen Maßstab anlegen, um so weniger, als die bisherige Praxis in dieser Beziehung eher weitherzig war und z. B. auch die Kriseninitiative, die ähnliche Zwecke verfolgte, dem Volke ungeteilt zur Abstimmung unterbreitet wurde.

4. Nach dem Wortlaut der Initiative soll Art. 81, Abs. l, der Bundesverfassung, der die Handels- und Gewerbefreiheit im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft gewährleistet, durch die vorgeschlagenen neuen Bestimmungen ersetzt werden. Obgleich nicht ausdrücklich von einer Aufhebung gesprochen wird, ist es klar, dass die Initianten diese Bestimmung aufheben wollen. Merkwürdigerweise soll jedoch nur der Absatz l von Art. 31 aufgehoben werden, während der Absatz 2, der die Vorbehalte zur Handels- und Gewerbefreiheit aufzählt, bestehen bleiben würde. Demzufolge würde auch die lit. e von Abs. 2 weiter gelten, wonach Verfügungen über die Ausübung von Handel und Gewerben zulässig sind, aber den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen dürfen. Dieser Vorbehalt gilt sowohl für den Bund wie für die Kantone, sofern die Bundesverfassung nicht ausdrücklich eine Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit gestattet. Der Bund wäre somit bei gesetzgeberischen Massnahmen, die sich auf Absatz 8 oder 7 der Initiative stützen, an die Handels- und Gewerbefreiheit gebunden, was offensichtlich dem Sinn und Geist der Initiative nicht entspricht. Die Verfasser der Initiative haben anscheinend übersehen, dass mit dem Grundsatz auch die Vorbehalte aufgehoben werden müssten. Aus dem gleichen Grunde müsste in Art. 32 Vorschriften auf dem Gebiete des Gewerbewesens in den umfassenden Kompetenzen, die dem Bund nach dem Initiativtext zugedacht werden, offenbar bereits enthalten sind, sodass richtigerweise auch Art. 34ter aufgehoben werden sollte.

: Um unerfreulichen Widersprüchen und Unzukömmlichkeiten zu begegnen, die sich im Falle der Annahme der Initiative ergeben müssten, wäre in Erwägung zu ziehen, ob nicht eine besondere Bestimmung vorzusehen sei. Man könnte dem Art. 2 des beiliegenden Beschlussesentwurfes einen Abs. 2 folgenden Inhalts beifügen: «Im Falle der Annahme des Volksbegehrens werden die Art. ,31, Abs. 2, 32 und 34ter der Bundesverfassung sowie Art. 6 der Übergangsbestim-

828 mutigen zur Bundesverfassung aufgehoben. In Abs. 2 von Art. 32iuater der Bundesverfassung wird der Ausdruck « . . . innerhalb der Grenzen von Art. 31, lit. e, . . . » und in Abs. 5 der.letzte Satz («Diese Vorschriften dürfen den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen») gestrichen.» .

·: Wenn -wir von einer solchen Ergänzung abgesehen haben, so geschah dies nur mit Bücksicht auf Art. 8 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892, der ausdrücklich bestimmt, dass die eidgenössischen Bäte darüber Beschluss fassen müssen, «ob sie dem Initiativentwurf, so wie derselbe lautet, zustimmen oder nicht».

I. Der allgemeine Charakter der Initiative.

1. Man könnte vorerst glauben, dass die acht fortlaufend, numerierten Absätze der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung gleichgeordnet nebeneinander stehen. Die genauere Prüfung ergibt jedoch, dass wohl zwei oder vielleicht drei Gruppen zu unterscheiden sind. -Die ersten beiden Grundsätze (Absätze l und 2), wonach die Wirtschaft des Landes «Sache des ganzen Volkes» sein und wonach das Kapital «in den Dienst der Arbeit, des allgemeinen wirtschaftlichen Aufstieges und der Volkswohlfahrt» gestellt werden soll, werden durch den Absatz 3 zusammengehalten, der den Bund za den. für die Verwirklichung dieser Grundsätze «erforderlichen Massnahmen. in Aufbau und Organisation der nationalen Wirtschaft» ermächtigt. Hier geht es offenbar um die auch im Titel der Initiative an erster Stelle genannte «Wirtschaftsreform». Die zweite Gruppe zusammengehöriger Bestimmungen, die im Titel der Initiative ebenfalls erwähnten «Bechte der.Arbeit», wird durch die Absätze 4 bis und mit 7 gebildet, die die Sicherung der Existenz der Bürger und ihrer Familien, die Gewährleistung des Bechtes auf-Arbeit und deren gerechte Entlöhnung sowie den Schutz der Arbeit in allen Zweigen der Wirtschaft fordern und dem Bund die Aufgabe übertragen, die notwendigen Vorschriften «zur. Durchführimg dieser Grundsätze und zum Zwecke der Verhütung von Krisen und Arbeitslosigkeit» zu erlassen. Absatz 8 könnte als .dritter Bestandteil der Initiative betrachtet werden, da er sich wohl auf die erste und die zweite Gruppe der Einzelbestimmungen bezieht. Ihm ist offenbar auch der Hinweis am Ende von Absatz 7 zur Seite zu stellen, der «insbesondere» Vorschriften über «das Zusammenwirken von
Staat und Wirtschaft» erwähnt, da sich ja dieses Problem nicht.nur, wie man nach dem Wortlaut annehmen könnte, in bezug auf die Bestimmungen der Absätze 4 bis 6, sondern ebensosehr hinsichtlich der in den Absätzen l und 2 niedergelegten Grundsätze stellen kann. Zieht man den Titel der Initiative in Betracht -- «Wirtschaftsreform xmd Bechte der Arbeit» --, so ist die Initiative wohl eher in zwei Gruppen von Bestimmungen zu gliedern, so dass dann die letztgenannte Gruppe als eine Ergänzung zu den beiden übrigen aufgefasst werden muss.

Obgleich die «Bechte der Arbeit» erst in zweiter Linie angeführt werden, stehen sie wohl als die Ziele der «Wirtschaftsreform» im Vordergrund. Die

829 nach den Grundsätzen der Absätze l und 2 zu treffenden Massnahmen sollen offenbar die Sicherstellung der «Rechte der Arbeit» ermöglichen. Je nach der Tragweite, die den die «Rechte der Arbeit» betreffenden Postulaten beigemessen werden soll, könnten diese zwar unter Umständen auch zusammen mit der Wirtschaftsreform oder gar schon vorher verwirklicht werden. Wenn aber schon von « Wirtschaf tsref orna» die Rede ist, muss doch eher angenommen werden, dass sie die «Rechte der Arbeit», so wie sie die Initianten verstehen, erst ermöglichen soll.

2. Die Initiative enthält weitgehend allgemeine programmatische Erklärungen. Namentlich trifft dies für die zwei ersten offenbar als grundlegend gedachten Bestimmungen (Absätze l und 2) zu, die -- losgelöst vom übrigen Inhalt der Initiative und unvoreingenommen aufgefasst -- als unbestrittene Zielsetzangen gegenwärtiger Wirtschaftspolitik gelten können. Auch die Vertreter solcher Kreise, die mit den hinter der Initiative stehenden Kreisen in grundsätzlichen Fragen durchaus nicht übereinstimmen, könnten sich mit jenen Programmsätzen in ihrer Allgemeinheit einverstanden erklären. Ähnliches könnte für die Absätze 4, 6 und 7, ja selbst für den Absatz 5 gesagt werden, wenn es erlaubt wäre, die Gewährleistung des Rechts auf Arbeit und deren gerechter Entlohnung -- ohne Rücksicht auf den ein förmliches Recht einräumenden Wrortlaut, jedoch wohl in Übereinstimmung mit einer grossen Zahl wenig kritischer Leser -- in dem Sinn aufzufassen, dass der : Staat für Arbeitsplätze und für gerechte Entlöhnung zu sorgen habe.

Die scheinbare Selbstverständlichkeit der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmungen, bei der manche Leser vielleicht stehen bleiben mögen, fällt jedoch bei näherer kritischer Prüfung der Initiative dahin. Schon der Umstand, dass man sich bernüssigt fühlt, scheinbar allgemein anerkannte und als selbstverständlich hingenommene Grundsätze programmatisch in einer neuen Verfassungsbestimmung niederzulegen, deutet darauf hin, dass weitertragende Vorkehren beabsichtigt sind. Diese Auffassung wird vor allem durch den Absatz 3 der Initiative bestärkt, der von «Massnahmen in Aufbau und Organisation der nationalen Wirtschaft» spricht, was den Gedanken an wesentliche Änderungen in der Struktur der «nationalen Wirtschaft» nahelegt. Wichtiger und von geradezu entscheidender
Bedeutung ist, dass die Initiative die Handels- und Gewerbefreiheit nicht etwa nur einschränken, sondern vollständig aufheben will, womit wir uns etwas eingehender (in Ziff. 3) befassen müssen.

Im Zusammenhang damit und im Anschluss daran ist die in Absatz 8 umschriebene Stellung der:Kantone im Rahmen der vorgeschlagenen «Wirtschaftsreform» (Ziff. 4). und hierauf die den Wirtschaftsorganisationen zugedachten Aufgaben (Ziff. 5) näher zu betrachten. Schliesslich ist noch dem das Recht auf Arbeit betreffenden Absatz 5 besondere Aufmerksamkeit zu schenken (Ziff. 6), was dann eine abschliessende Charakterisierung der Initiative (Ziff. 7) und die Bezugnahme auf die ihr zugehörigen wirtschaftspolitischen Strömungen (Ziff. 8) erlauben wird.

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3. Deutlicher als durch ihre positive wird die Initiative durch ihre negative Zielsetzung charakterisiert, die auf die Beseitigung der Handels- und Gewerbefreibeit gerichtet ist. Die neuen Bestimmungen, die die Initiative vorschlägt, sollen an die Stelle von Art. 81, Abs. l, der Bundesverfassung treten, der aufgehoben würde. Damit könnte nicht nur eine « Wirtschaf tsrefonn» --wie es im Titel der Initiative heisst --, sondern eine umwälzende, revolutionierende Neugestaltung unserer gegenwärtigen Wirtschaftsverfassung, die auf der Handels- und Gewerbefreibeit und dem zugehörigen privatrechtlichen Gegenstück,, der Vertragsfreiheit, beruht, eingeleitet werden. Der Bund wäre aber dabei nicht nur auf den Gebieten, für die er bereits die Gesetzgebungsbefugnis besitzt, nicht mehr an die Handels- und Gewerbefreiheit gebunden (er wäre beispielsweise befugt, auf Grund von Art. 84ter der Bundesverfassung auf dem Gebiet des Gewerbewesens unbeschränkt zu, legiferieren), sondern er könnte insbesondere sich auch dann über die Handels- und Gewerbefreiheit hinwegsetzen, wenn er von den umfassenden Kompetenzbestimmungen .der Initiative (vgl. insbesondere Absätze 3 und 7) Gebrauch machen würde. Zwar bleibt es dahingestellt, ob, in welchem Umfang und in welcher Weise der Bund von diesen umfassenden Befugnissen Gebrauch machen würde. Wesentlich ist aber, dass der Bund gestützt auf den vorgeschlagenen Verfassungsartikel und angesichts des Blankettcharakters namentlich der in den Absätzen l und 2 enthaltenen Grundsätze eine umfassende und zentrale Planwirtschaft einführen könnte. Einer völligen Umgestaltung unserer Wirtschaftsverfassung wären Tür und Tor geöffnet.

4. In Absatz 8 enthält die Initiative eine Bestimmung zugunsten der Kantone, die, -- neben den Wirtschaftsorganisationen -- zur «Mitwirkung» herangezogen werden sollen. Obwohl lediglich von einer «Mitwirkung» der Kantone gesprochen wird, was sich schliesslich auch mit einer weitgehenden Ausschaltung der kantonalen Eigenständigkeit noch vereinbaren liesse, kann immerhin der Eindruck entstehen, die- föderalistische Staatsstruktur bleibe unangetastet; und auch hier muss -- wie oben unter Ziffer 3 :-- zugegeben werden, dass keineswegs feststeht, ob und in welcher Weise der bundesstaatliche Aufbau gestützt auf die neue Verfassungsbestimmung in Wirklichkeit geändert
würde. Hier wie dort kommt es aber auf die Möglichkeiten an, die die Initiative für die zukünftige Entwicklung eröffnet. Durch die Einräumung der angeführten umfassenden Befugnisse an den Bund könnten die Kantone weitgehend ausgeschaltet werden. Die Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen erfolgt bekanntlich in der Bundesverfassung in der Weise, dass grundsätzlich die Kantone zuständig sind, und dass der Bund das Gesetzgebungsrecht nur dann besitzt, wenn es ihm durch die Bundesverfassung zugesprochen wird. Dieser Grundsatz bedingt, dass die Bundeskompetenzen bestimmt und eindeutig umschrieben werden müssen, wenn Klarheit über die Zuständigkeitsbereiche von Bund und Kantonen bestehen soll. Der Initiativtext lässt diese notwendigt Klarheit vermissen. Wenn der .Bund die «erforderlichen Massnahmen in Aufbau und Organisation der nationalen Wirtschaft»

831 ergreifen kann, so kann er offenbar alles tun, was er zur Erreichung des Zweckes der Initiative, die Wirtschaft zur Sache des ganzen Volkes zu machen und das Kapital in den Dienst der Arbeit zu stellen, für erforderlich erachtet.

Wie weit diese Massnahmen gehen, wird sich erst beim Erlass der Ausführungsgesetze zeigen. Der Bund könnte ohne jede Schranke in alle Gebiete eingreifen, die bisher Unbestrittenermassen den Kantonen vorbehalten waren. Der Bereich der Bundeskompetenzen wäre somit nicht mehr durch die Verfassung bestimmt, sondern den gesetzgebenden Behörden überlassen. An Stelle einer säubern Abgrenzung, die das Fundament unseres Bundesstaates bildet, hätten wir eine fliessende Grenze, und der Bund könnte seine Gesetzgebung grundsätzlich auf das ganze Gebiet der Wirtschaft ausdehnen. Die Mitwirkung der Kantone würde dann wohl im wesentlichen darauf beschränkt bleiben, dass sie die Bundesvorschriften zu vollziehen hätten.

Auch dann, wenn der Bund von seinen neuen Kompetenzen keinen Gebrauch machen würde, ergäbe sich durch die Annahme der Initiative eine sonderbare Konsequenz in bezug auf die Kantone, die durch die Aufhebung von Art. 31, Abs. l, Befugnisse erhalten würden, die ihnen bisher nicht zustanden. Bisher bildete der Art. 31 der Bundesverfassung eine unübersteigbare Schranke für die Wirtschaftsgesetzgebung der Kantone. Indem Art. 31 die Handels- und Gewerbefreiheit zugunsten des einzahlen Bürgers garantiert, beschränkt er zugleich die Kantone auf den Erlass bloss wirtschaftspolizeilicher Massnahmen, indem jedes kantonale Gesetz, das gegen die Handels- und Gewerbefreiheit verstösst, beim Bundesgericht mit dem staatsrechtlichen Bekurs angefochten werden kann. Dadurch gewährleistet Art. 31 indirekt die Einheit der Wirtschaftspolitik des Bundes, dem es allein vorbehalten ist, Abweichungen von der Handels- und Gewerbefreiheit zuzulassen. Wird dieser Artikel, wie es die Initiative will, aufgehoben, so fällt damit auch die bisherige Schranke für die Wirtschaftspolitik der Kantone. Diese könnten auf ihrem Gebiet beliebig .schalten und walten, solange als der Bund von seinen neuen Kompetenzen noch keinen Gebrauch gemacht hat. Die Kantone könnten somit planwirtschaftliche Experimente auf eigene Faust durchführen; sie könnten aber auch die Eröffnung von Warenhäusern und von Filialgeschäften
(auch von Genossenschaften) verbieten oder den Fähigkeitsausweis für Handwerk und Detailhandel einführen. Den Interessen der Gesamtwirtschaft wäre damit wenig gedient, und die Einführung planwirtschaftlicher Massnahmen des Bundes würde dadurch sicher nicht erleichtert. Anderseits läge die den Kantonen eröffnete Möglichkeit zu einer von der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beschwerten Gesetzgebung trotzdem nicht etwa im Interesse des Föderalismus, so dass durchaus nicht etwa ein Gegengewicht gegen den möglichen Zentralismus des Bundes gebildtt würde, ganz abgesehen davon, dass ja wohl eher von einem wenig erfreulichen Widerstreit als von einem Gleichgewicht gesprochen werden müsste. Um ein wirtschaftliches Chaos zu vermeiden, wäre der Bund gezwungen, Seinerseits einzugreifen und umfassende bundesrechtliche Begelungen zu treffen, auch wenn er lieber davon absehen möchte. Ja, er

832 musate gar von seinen umfassenden Befugnissen möglichst rasch Gebrauch machen, um den Kantonen zuvorzukommen. Es zeigt sich auch hier, dass die geltende Bundesverfassung ein -wohl abgewogenes System darstellt, und dass man die Befugnisse von Bund und Kantonen nicht auf diese Weise verschieben kann, ohne schwere Gleichgewichtsstörungen hervorzurufen. Man darf annehmen, dass diese eigenartigen Folgen nicht in der Absicht der Initianten liegen; eine kritische Prüfung des Textes der Initiative muss aber alle in ihm enthaltenen Möglichkeiten in Rechnung stellen.

5. Hinsichtlich der in Absatz 8 erwähnten. «Wirtschaftsorganisationen» kann festgestellt werden, dass die den Verbänden zugedachte Stellung und Funktion der bereits .deutlich gewordenen Tendenz der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmungen durchaus entsprechen. Die Verbände werden nämlich auffallenderweise mit den Kantonen in einem Atemzug genannt und wie gleichgeordnete Instanzen behandelt. Damit wird vorerst der zentralistische Zug der Initiative, der zur Ausschaltung der kantonalen Souveränität führt, nochmals unterstrichen. Ferner darf aber darin auch eine aussergewöhnlich starke Betonung der Bedeutung der Verbände erblickt werden. Gestützt auf diese Bestimmung könnten den öbligatorischerweise zur Mitwirkung heranzuziehenden Verbänden wichtige und weittragende öffentliche Aufgaben Überbunden werden, was seinerseits zu der schon erwähnten Möglichkeit einer völligen Umgestaltung unserer Wirtschaftsverfassung beitragen würde. Beispielsweise würde es der Wortlaut von Absatz 8, der ohne jeden Vorbehalt und ohne Einschränkung von der Mitwirkung der Verbände spricht, zulassen, dass ein Teil der staatlichen Kompetenzen auf die Verbände Überträgen würde.

Die Allgemeinverbindlicherklärung von Verbahdsbeschlüssen -- die im Laufe der Beratungen über die Wirtschaftsartikel auf steigenden Widerstand stiess -- könnte ohne jede Schranke auf dem Wege der Gesetzgebung eingeführt werden; Es wäre sogar eine Entwicklung möglich, die die wenig gefestigte Stellung der Kantone im Rahmen der neuen Verfassungsbestimmung vollends zerstören und die Verbände über die Kantone stellen würde. Es sollte nicht nötig sein, auch hier za betonen, dass es darauf ankommt, was auf Grand der neuen Verfassungsbestimmung vorgekehrt werden könnte; ob Entwicklungen, wie man sie
vorsichtigerweise auf alle Fälle in Betracht ziehen muss, auch wirklich eintreten werden, kann man auf sich beruhen lassen.

6. Dass das in Absatz 5 gewährleistete Recht auf Arbeit zu einer vollständigen Verstaatlichung führen müsste, wenn mit dem Wortlaut Ernst gemacht wird, haben wir in unserem Bericht vom 24. Juni 1946 zur Initiative betreffend das Recht auf Arbeit ausführlich dargelegt. Wir brauchen deshalb hier darauf nicht einzutreten. Bedeutsam ist, dass der in Frage stehende Absatz nicht nur die Möglichkeit planwirtschaftlicher Eingriffe schafft, sondern solche Eingriffe zur unumgänglichen Folge hat. Damit erscheinen andere Bestimmungen der Initiative, insbesondere die Absätze 3 und 7, in neuer Beleuchtung.

Denn mit Rücksicht auf den Absatz 5 muss angenommen werden, dass von den in1 den Absätzen 3 und 7 dem Band übertragenen Kompetenzen in vollem

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Umfang und im Sinne einer planwirtschaftlichen Regelung Gebrauch gemacht ·werden soll. Ferner wird eine entsprechende Interpretation aller übrigen Bestimmungen, insbesondere auch der blankettmässigen Absätze l und 2, nahegelegt. Man kann sich so namentlich fragen, ob die Grundsätze der ersten zwei Absätze nicht eine weitgehende oder gar vollständige Verstaatlichung der Wirtschaft im Auge haben.

7. Wenn auch die Initiative auf den ersten Blick oder für wenig kritische Augen den verschiedensten Interpretationsmöglichkeiten Raum zu bieten scheint, so ergibt doch die Prüfung im einzelnen -- wie gezeigt --, dass die von den Initianten vorgeschlagene Verfassungsbestimmung im ganzen gesehen eine vorzügliche Handhabe für eine revolutionierende Umgestaltung unserer Wirtschaftsverfassung im Sinne einer umfassenden und schrankenlosen Planwirtschaft mit allen ihr zugehörigen Folgen bieten würde, und dass, nach einzelnen Bestimmungen zu schliessen, eine «Wirtschaftsreform» in der angedeuteten Richtung wohl auch die tatsächliche Tendenz .der Initiative sein dürfte, wobei wir das Ausmass der angestrebten Planwirtschaft offen lassen möchten. Dass auch weniger weitgehende, der gegenwärtigen Wirtschaftsverfassung durchaus angepasste Reformen und Änderungen gestützt auf die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung möglich wären, ist' -- : wie schon früher erwähnt -- im vorliegenden Zusammenhang nicht von Bedeutung und ergibt sich selbstverständlicherweise daraus, dass eben umfassende Kompetenzen auch die Befugnis zu weniger bedeutsamen Massnahmen in sich schliessen.

Wir können uns die allgemeine Charakterisierung einer planwirtschaftlichen Regelung unserer Wirtschaft ersparen. Die vollständige Aufhebung der Handels- und Gewerbefreiheit, die weitgehende Einschränkung der Vertragsfreiheit, die Ausmerzung der bundesstaatlichen Struktur und die mögliche Herrschaft der Verbände, um nur diese Bestandstücke einer solchen Regelung zu nennen, bieten genügend charakteristische Merkmale. Dagegen dürfte es nicht überflüssig sein, die konkreten Auswirkungen planwirtschaftlicher Regelungen im Sinne der Initiative auf die demokratische Struktur unseres Staates 'näher zu betrachten. Da die Initianten nicht gleichzeitig auch einen Umbau der staatlichen Struktur verlangen -- Absatz 3 spricht nur von «Massnahmen in Aufbau und Organisation
der nationalen Wirtschaft», womit doch kaum die gesetzgebenden Behörden auch gemeint sein können --, sind ihnen die staatsrechtlichen Folgen ihrer planwirtschaftlichen Ideen vielleicht nicht bewusst. Sie scheinen zu übersehen, dass eine planwirtschaftliche Ordnung eine grundlegende Änderung im staatsrechtlichen Zusammenspiel von Bundesrat, Volksvertretung und Volk verlangt, an deren folgerichtigem Ende eine umfassende Konzentration der Befugnisse beim Bundesrat und der Bundesverwaltung stehen würde. Wir werden auf diese Frage weiter unten noch ausführlicher zurückkommen (Kap. II, Ziff. 4).

Angesichts des Mangels an Bestimmungen über den Umbau des Staates könnte man sich fragen, ob damit der von uns als wesentlich herausgestellten

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planwirtschaftlichen Tendenz der Initiative nicht die Spitze abgebrochen wird. Dies ist wohl deshalb nicht der Fall, weil mittels dringlicher Bundesbeschlüsse oder gar ausserordentlicher Vollmachten der Weg zur Planwirtschaft geebnet werden könnte, wenn einmal die vorgeschlagenen neuen Verfassungsbestimmungen angenommen wären, deren materielle Grundsätze ja den angeblich mehr formellen Eücksichten staatsrechtlicher Natur entgegengehalten werden könnten. Und dass der Inhalt der Initiative deutlich für die Planwirtschaft spricht, glauben wir zur Genüge dargetan zu haben.

8. Wir sind uns durchaus bewusst, dass es in erster Linie auf den Wortlaut der Initiative ankommt, nicht aber auf die mutmasslichen Absichten der Initianten, weshalb wir uns die Mühe genommen haben, in allererster Linie den Text kritisch zu durchgehen. Immerhin dürfte die Feststellung von besonderem Interesse sein, dass offenbar hinter der vorliegenden Initiative das Aktionsprogramm «Die Neue Schweiz» steht, das im Dezember 1942 von der sozialdemokratischen Partei der Schweiz beschlossen wurde und offenkundig planwirtschaftlichen Gedanken huldigt. (Iri ähnlicher Weise stand seinerzeit hinter der Kriseninitiative vom Jahre 1935, an die die Initiative teilweise anklingt, der «Plan der Arbeit».) Im «Kommentar» zur Initiative, der vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund und. von der sozialdemokratischen Partei der Schweiz herausgegeben wurde, wird zwar auffallenderweise auf die «Neue Schweiz» mit keinem Wort Bezug genommen -- wie überhaupt der «Kommentar» mehr die eigentlich fraglosen Ziele der wirtschaftlichen Massnahmen darlegt und die mit der Verwirklichung zusammenhängenden Fragen weniger berücksichtigt, während sich das Aktionsprogramm «Die Neue Schweiz» damit verhältnismässig ausführlich befasst.,Doch zeigt ein Vergleich der Initiative und der «Neuen Schweiz», die u. a. auch eine Bevision der Bundesverfassung postuliert, bedeutsame Übereinstimmungen, so dass man in der Initiative gleichsam einen Auszug aus den «Leitsätzen zur Eevision der Bundesverfassung» des umfassenden Aktionsprogramms erblicken könnte. Die Absätze l und 2.der Initiative stehen wörtlich in der «Neuen Schweiz»1); andeie Sätze erscheinen in der Initiative in neuer Formulierung, aber mit deutlichem Anklang an ihre Vorlage2). Es darf auch daran erinnert werden,
dass die Initiative wenige Monate nach der Bekanntgabe der «Neuen Schweiz» eingereicht wurde, und dass beide von der gleichen Partei ausgehen. Aus allen diesen Gründen kann die Initiative als das politische Instrument zur Durchführung der in der «Neuen Schweiz» aufgestellten «Leitsätze zur Eevision der Bundesverfassung» bezeichnet werden.

; Trotz dieser : Zusammenhänge glauben wir aber, dass die Auseinander-, Setzung mit der «Neuen Schweiz» nicht zu den Aufgaben unseres Berichtes 1 ) Vgl. Ziffer II, Abs. l, der Leitsätze der «Neuen Schweiz»: «Die Wirtschaft, des Landes ist Sache des ganzen Volkes. Sie darf nicht privatem Bereioherangsund Machttrieb dienen. Das Arbeitseigentum ist gewährleistet»; ferner Ziffer X, Abs. l : «Das Kapital wird in den Dienst der Arbeit gestellt».

2 ) So Absatz 5 im Vergleich mit Ziffer III, A.bs. l, der Leitsätze: «Das Recht auf Arbeit ist gewährleistet, die Pflicht zur Arbeit festgelegt»,

835 zur Initiative gehört und dass wir uns mit einer gelegentlichen Heranziehung des Aktionsprogrammes begnügen können, da nicht die «Neue Schweiz», sondern das Initiativbegehren Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet wird. Namentlich möchten wir auch auf die Untersuchung verzichten, ob die von den Initianten vorgeschlagene Verfassungsbestimnxung ein taugliches Instrument für die Verwirklichung der «Neuen Schweiz» darstellen würde, was man immerhin zur Diskussion stellen könnte, da ja die Initiative keine Garantien für die in der «Neuen Schweiz» neben allen planwirtschaftlichen Gedanken so sehr betonte «freiheitlich-genossenschaftliche Grundlage» bietet und sich ; so. bei einer schrankenlosen Anwendung schliesslich selbst gegen einzelne Grundsätze der «Neuen Schweiz» wenden könnte. Dagegen möchten wir im, Anschluss an die kritische Analyse und die Charakterisierung der Initiative zusammenfassend die Grundgedanken der «Neuen Schweiz» wiedergeben, um die konkrete Ausgestaltung der neuen Verfassungsbestimmung an diesem Beispiel zu veranschaulichen. Dabei ist im Anschluss an frühere Hinweise zu betonen, dass auf Grund des neuen Verfassungsartikels noch wesentlich weitergehende Massnahmen getroffen werden könnten, als sie im Aktionsprogramm «Die Neue Schweiz» vorgesehen sind, obwohl dieses Programm schon als im wesentlichen Planwirtschaft lieh bezeichnet werden kann und sich der auf der Handelsund Gewerbefreiheit und der Vertragsfreiheit aufgebauten gegenwärtigen Wirtschaftsverfassung entgegenstellt.

Als Ziel der «Neuen Schweiz» wird «eine wirtschaftliche und soziale Umgestaltung der Schweiz auf freiheitlich-genossenschaftlicher Grundlage» bezeichnet, mit der Beifügung, dass damit beabsichtigt sei, «durch Befreiung von der Herrschaft des Kapitals dem gesamten Schweizervolk Wohlstand, und,Kultur zu sichern». Zur Erreichung dieses Ziels werden 12 Leitsätze zur Bevision der Bundesverfassung aufgestellt, von denen die Initiative, wie bereits erwähnt, eine Art Auszug darstellt. Nach der «Neuen Schweiz» sind Erzeugung, Verteilung und Verbrauch nach einem umfassenden Plan zu lenken und zu entwickeln. Der Kredit wird als öffentlicher Dienst unter staatliche Kontrolle gestellt. Mit der einheitlichen Führung der Kredit-, Zins- und Währungspolitik wird die Nationalbank betraut, welche die Aktienmehrheit
der Grossbanken übernimmt. Diese letzteren sowie die Versicherungsgesellschaften werden in Gemeineigentum übergeführt. Ausserdem werden in Gemeineigentum übergeführt Industrieunternehmungen mit monopolistischem oder trustartigem Charakter, ferner Privatbahnen, Verkehrs- und Energieunternehmungen, die für die nationale Wirtschaft wichtig sind, und schliesslich die Bodenschätze und Wasserkräfte sowie ein Teil der Gaststätten. Die in Gemeinbesitz übergeführten Unternehmungen werden je nach den Verhältnissen als Unternehmungen des Bundes, der Kantone oder der Gemeinden, als eigene Selbst-, Verwaltungskörper des öffentlichen Eechts oder als Genossenschaften betrieben.

Die Unternehmungen der Industrie, soweit sie nicht in Gemeinbesitz übergeführt wurden, werden in Industrieverbänden organisiert, die als Organe

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der Selbstverwaltung gedacht sind. Sie werden von einem Direktorium geleitet, bestehend aus Vertretern der Unternehmer, der Arbeiter und Angestellten, der Verbraucher und des Staates.

Landwirtschaft, Gewerbe und Handel werden, unter Gewährleistung des Arbeitseigentums, ebenfalls in Verbänden und Genossenschaften organisiert.

Die Genossenschaften des Gewerbes und des Handels setzen unter Mitwirkung eines staatlichen Gewerbe- bzw. Handelsamtes die Preistarife fest. Die Eröffnung neuer und Erweiterung bestehender Betriebe ist bewilligungspflichtig.

Auch die Unternehmungen des Baugewerbes schliessen sich in einer Genossenschaft zusammen, wobei die Neubautätigkeit von einem staatlichen Baudirektorium geleitet wird. Schliesslich sollen auch Ein- und Ausfuhr im Dienste der Gesamtwirtschaft von Bundes wegen geordnet werden, wobei die Einfuhr grundsätzlich durch Einfuhrgenossenschaften besorgt wird, während die Ausfuhr in den Händen der Industrie, Gewerbe- und Landwirtschaftsverbände liegt.

Als Zentralorgan der schweizerischen Wirtschaftspolitik ist eine eidgenössische Volkswirtschaftsdirektion, der ein oberster Volkswirtschaftsrat and eine Arbeitskammer angegliedert sind, vorgesehen. Die Volkswirtschaftsdirektion fasst nach den Weisungen des Bundesrates und seiner wirtschaftlichen Departemente die Tätigkeit der Selbstverwältungskörperschaften in den verschiedenen Wirtschaftszweigen zusammen und macht sie der planmässigen Lenkung der Gesamtwirtschaft dienstbar.

Dieser Auszug aus dem Programm der «Neuen Schweiz», der sich auf die wichtigsten, die Organisation der Wirtschaft betreffenden Grundsätze beschränkt, zeigt, dass hier die Errichtung einer zentral gelenkten Wirtschaft angestrebt wird.

Die Verwirklichung dieser «sozialistischen Ordnung von Staat und Wirtschaft» setzt, wie die «Neue Schweiz» ausdrücklich erklärt, freilich «die Übernahme der politischen Macht durch das arbeitende Volk voraus».

II. «Wirtschaftsform» ?

1. Die allgemeine Charakterisierung der Initiative ging dahin, dass die vorgeschlagenen Verfassungsbestimmungen das Instrument für eine planwirtschaftliche Ordnung der Wirtschaft darstellen, die an die Stelle unserer gegenwärtigen Wirtschaftsverfassung zu treten hätte. Eine solche «Wirtschaftsreform» wird von uns mit aller Entschiedenheit abgelehnt. Mit den schweizerischen Gegebenheiten
lässt sich eine planwirtschaftliche Ordnung keineswegs vereinbaren. Unsere Wirtschaft muss auch in Zukunft nach richtig verstandenen freiheitlichen Grundsätzen geordnet werden, wobei -- wie wir noch sehen werden -- den Erfordernissen einer sozialen Demokratie durchaus Eechnung : getragen werden kann.

Unserem Wirtschaftssystem liegt das individualistische Eechtsprinzip zu Grunde, wie das Bundesgericht in einem Entscheid ausführt: «Von dem Gedanken getragen, dass grundsätzlich die freie Entfaltung der individuellen

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wirtschaftlichen Kräfte und der sich daraus ergebende Wettbewerb aus dem Gesichtspunkte der allgemeinen Volkswohlfahrt die zweckmassigste Ordnung des Wirtschaftslebens darstellt, gewährt Art. 31 der Bundesverfassung dem Einzelnen als persönliches Freiheitsrecht die Befugnis, seine persönlichen Fähigkeiten und materiellen Mittel auf dem wirtschaftlichen Gebiete ungehindert zur Geltung zu bringen, soweit diese Betätigung nicht gegen die höheren Interessen der Volksgemeinschaft verstösst» (BGE 45:1, S. 357).

In der Tat ist unser ganzes Privatrecht vom Gedanken der persönlichen Freiheit getragen. Die Eechtsordnung überlässt es jedem Einzelnen, seine Beziehungen zu andern Bechtsgenossen durch den Abschluss von Bechtsgeschäften zu regeln. Ihren Ausdruck findet die privatrechtliche persönliche Freiheit in der Vertragsfreiheit (OB Art. 19), welche die wesentliche Grundlage unserer Privatrechtsordnung bildet. Auf der Vertragsfreiheit beruht auch die Freiheit der Arbeitswahl, die Konsumfreiheit, die Vereinsfreiheit mit Einschluss .der Koalitionsfreiheit. Dass diese Freiheit nicht unbeschränkt ist und der Gesetzgeber ihr durch zwingende Vorschriften bestimmte. Schranken gewiesen hat, welche durch die öffentliche Ordnung und den Schutz der Persönlichkeit erfordert werden, ändert nichts am grundsätzlich freiheitlichen Charakter unserer Privatrechtsordnung.

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Die privatrechtliche Vertragsfreiheit findet ihr öffentlich-rechtliches Gegenstück in der Handels- und Gewerbefreiheit,- die das Verhältnis zwischen Staat und Bürger im Sinne der Nichteinmischung des Staates.regelt. Unsere gegenwärtige Wirtschaftsordnung ist durch das Fehlen einer zentralen Lenkung charakterisiert. Der Staat lenkt die Erzeugung und Verteilung der Güter nicht nach einem vorbedachten Plan, sondern überlässt die wirtschaftliche Initiative und damit auch in erster Linie die Sorge für ihre wirtschaftliche Existenz den .einzelnen Staatsbürgern. Es ist vor allem der Einzelne, der die Verantwortung für seine wirtschaftliche Existenz und sein Vorwärtskommen tragen soll. Der Staat kann ihm diese Sorge nicht in der Weise abnehmen, dass er ihm zum vornherein die Existenz garantiert. Der Staat überlässt daher grundsätzlich die Verfügung über die Produktionsmittel den .Privaten und räumt ihnen auch wirtschaftliche Bewegungsfreiheit ein. Der
verfassungsrechtliche Ausdruck dafür ist die Handels- und Gewerbefreiheit. Der Kampf um deren Einschränkung oder gar Abschaffung rührt deshalb an die Wurzeln unseres gegenwärtigen Staats-, und Bechtssystems. Eine planwirtschaitliche Begelung, wie sie in der Initiative zum Ausdruck kommt, müsste zu grundsätzlich willkürlicher Einschränkung der das Fundament unserer Wirtschaftsverfassüng bildenden persönlichen Freiheit führen. Mag; man auch versichern, .dass die persönliche Freiheit im Kern nicht angetastet werden soll,; eine .Gewähr hiefür ist jedoch angesichts der genügsam charakterisierten Tendenz der Initiative keineswegs gegeben. Die Initiative enthält nicht .nur keine Garantie der persönlichen Freiheit, sondern erwähnt die Freiheit auch sonst bezeichnenderweise mit keinem Wort. Der Kommentar sowie die «Neue Schweiz» sprechen weniger von der persönlichen Freiheit, als von

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den ((Volksfreiheiten und Volksrechten» (Kommentar, S. 2) und von der «freiheitlich-genossenschaftlichen Grundlage» («Neue. Schweiz», S. l, ;4), worunter man auch etwas anderes verstehen kann als die Wahrung der persönlichenFreiheit, insbesondere wenn man bedenkt, dass die «Neue Schweiz» in «der Übernahme der politischen Macht durch das arbeitende Volk» die erste Voraussetzung für die Verwirklichung ihrer Programmpunkte erblickt. Es könnte so die vollzogene «Übernahme der politischen Macht durch das arbeitende Volk» zugleich als die Herstellung der «Volksfreiheiten und Volksrechte» angesehen werden.

i 2. Es sollte nicht nötig sein zu betonen, dass wir dem hemmungslosen Gebrauch der persönlichen Freiheit auf wirtschaftlichem Gebiet selbstverständlich nicht das Wort reden möchten. Da aber der Kommentar zur Initiative die Meinung aufkommen lässt, als ob allein die Alternative zwischen Planwirtschaft im Sinne der Initianten und «möglichst uneingeschränkter Wirtschaftsfreiheit» (a. a. 0. S. 2) in Frage stünde, können wir uns einige Hinweise nicht ersparen.

Die im persönlichen Freiheitsrecht enthaltene «Befugnis, seine persönlichen .Fähigkeiten und materiellen Mittel auf dem wirtschaftlichen Gebiet ungehindert zur Geltung zu bringen», gilt, wie im oben erwähnten Entscheid des Bundesgerichtes ausgeführt wird, nur, «soweit diese Betätigung nicht gegen die höheren Interessen der Volksgemeinschaft verstösst». So wie die privatrechtliche Vertragsfreiheit sich nur in dem vom Gesetzgeber mit Bücksicht auf das allgemeine Interesse gezogenen Eahmen bewegen darf, so gibt es auch für die Handels- und Gewerbefreiheit grundsätzliche, im allgemeinen Interesse begründete Schranken. Das Idol einer «möglichst uneingeschränkten Wirtschaftsfreiheit», das der Kommentar zur Initiative zur Zielscheibe seiner Angriffe macht, wird wohl heute niemand mehr im Ernst hochhalten wollen.

Auch die Vorlage vom 4. April 1946 über die neuen Wirtsphaftsartikel, auf die wir im Verlauf dieses Berichtes noch mehrmals Bezug nehmen werden, steht keineswegs auf dem Boden einer uneingeschränkten Wirtschaftsfreiheit.

Wenn die neuen Wirtschaftsartikel den Grundsatz als solchen auch beibehalten und ihn weiterhin an die Spitze stellen, so wird damit nicht gesagt, dass die Handels- und Gewerbefreiheit das ausschliesslich herrschende Prinzip
sei. Der Grundsatz der Gewerbefreiheit schliesst nicht aus, ,dass der Staat die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen einschränkt, wenn es das Interesse der Gesamtheit erforderlich macht. Er schliesst auch nicht aus, sondern verlangt, richtig verstanden, dass der Staat die Selbstregulierung der Wirtschaft überwache und durch seine Massnahmen die allgemeinen Grundlagen für eine gedeihliche Wirtschaftsentwicklung schaffe. Der Staat kann ferner, ohne die Handels- und Gewerbefreiheit zu beeinträchtigen, durch seine Handels-, Währungs-, Finanz-, und Arbeitsbeschaffungspolitik den Gesamtablauf der Wirtschaft beeinflussen. Er verzichtet aber auf eine inhaltliche Lenkung des Wirtschaftsprozesses im einzelnen und greift nur ein, wo Interessen der Gesamtheit, die der Einzelne nicht wahrnehmen kann, in Frage stehen, oder wo

839 die wirtschaftliche Vorsorge der Bürger nicht ausreicht. Abgesehen von dieser staatlichen Einflussnahme sind aus der Wirtschaft selbst im Laufe der Entwicklung starke Bindungen erwachsen, die das freie Spiel der Kräfte eindämmen und regulieren. Allen diesen Einschränkungen staatlicher oder privater Natur zum Trotz ist jedoch bisher der grundsätzlich freie Charakter der Wirtschaft gewahrt geblieben.

Die neuen Wirtschaftsartikel tragen diesen Erwägungen in vollem Umfang Bechnung. Art. 81, Abs. l, gewährleistet die Handels- und Gewerbefreiheit nur, «soweit sie nicht durch die Bundesverfassung und die auf ihr beruhende Gesetzgebung eingeschränkt ist». Nach Art. 81bl8, Abs. 8, ist der Bund befugt, zur Erreichung bestimmter Ziele nötigenfalls von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen, «wenn das , Gesamtinteresse es rechtfertigt». Was das Problem des Missbrauches der wirtschaftlichen Macht anbelangt, auf das die Initianten so grosses Gewicht legen, so verweisen wir auf lit. d, wonach der Bund die Befugnis erhalten soll, Vorschriften gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und ähnlichen Organisationen zu erlassen. Das Problem des Kartellwesens ist auch im Parlament schon wiederholt zur Sprache gekommen, zuletzt durch die Motion Feldmann vom 28. September 1986. die eine gesetzliche Eegelung der Kartelle verlangte, um die öffentlichen Interessen gegen Missbräuche kartellmässiger Bindungen zu wahren. Die Notwendigkeit gesetzgeberischer Eingriffe auf diesem Gebiet .wurde während den Beratungen über die Wirtschaftsartikel von keiner Seite bestritten. Ohne uns heute schon über den Inhalt einer künftigen Kartellgesetzgebung zu äüssern, möchten wir lediglich festhalten, dass durch die Annahme der Wirtschaftsartikel der Bund die Kompetenz erhält, gegen Kartelle und ähnliche Organisationen, worunter trustartige Zusammenschlüsse zu verstehen sind, auf dem Wege der Gesetzgebung vorzugehen, wenn die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht in dieser Form sich wirtschaftlich oder sozial schädlich auswirkt.

3. Mit der freiheitlichen Gestaltung der Wirtschaft ist der demokratische und föderalistische Aufbau unserer Eidgenossenschaft aufs engste verknüpft.

Einer Verschiebung der Befugnisse und der politischen Macht innerhalb unseres demokratischen Staätsgefüges von der
Volksvertretung zum Bundesrat, die sich im Gefolge der Planwirtschaft einstellen müsste, ist deshalb ebenfalls entgegenzutreten. Dasselbe gilt hinsichtlich der Zerstörung unserer bundesstaatlichen Struktur, der durch die vorgeschlagenen Verfassüngsbestimmungen der Weg geebnet würde. Schliesslich ist auch die durch die Initiative ermöglichte Herrschaft der Verbände mit der wirtschaftlichen Freiheit des Einzelnen nicht vereinbar.

Der Kommentar zur Initiative verwahrt sich zwar ausdrücklich gegen einen «hemmungslosen Zentralismus». Wenn es auch keine Lösung der grossen wirtschaftlichen Probleme im kantonalen Rahmen gebe, so sei wenigstens ein gesunder Föderalismus dergestalt zu erstreben, dass den Kantonen im Eahmen der gegebenen Möglichkeiten die Ausf ührungsmassnahmen vorbehalten

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bleiben, wobei den kantonalen Gegebenheiten Bechnung getragen werden könne. Es ist indessen klar, dass im Bahmen einer Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung, wie sie von den Initianten auf Grund ihrer Initiative erstrebt wird, für die Kantone nicht viel Baum übrig bleiben würde. Sie wären bestenfalls auf die Mitwirkung beim Vollzug beschränkt und würden in bezug auf die Wirtschaftsgesetzgebung zu blossen Ausführungsorganen des Bundes herabsinken.

Allen diesen Umständen ist bei der Vorlage über die Wirtschaftsartikel im Gegensatz zu den von den Initianten vorgeschlagenen Bestimmungen in vollem Umfang Bechnung getragen worden.. Dies :sei im folgenden in bezug auf die Kantone und die Verbände etwas näher ausgeführt.

Es bedarf keiner nähern Begründung, dass unser Wirtschaftsgebiet, das ohnehin sehr klein ist, als Einheit erhalten bleiben muss und dass die entscheidenden Massnahmen auf den Gebieten der Aussenhandels-, der Währungs-, Kredit- und Preispolitik sowie die Arbeitsbeschaffung und Konjunktur.beeinflussung vom Bund ausgehen müssen, der in erster Linie in der Lage ist, das Ziel und die Bichtlinien der allgemeinen Wirtschaftspolitik zu bestimmen. Das heisst aber bei weitem nicht, dass die Kantone überhaupt aller ihrer Kompetenzen beraubt werden dürfen. Die neuen, Wirtschaftsartikel wollen die Stellung der Kantone weitgehend wahren und sie in: gewisser Hinsicht noch verbessern. Danach bleibt die kantonale Hoheit auch in Zukunft überall gewahrt, wo dem Bund nicht ausdrücklich eine Befugnis eingeräumt ist. Ebenso bleibt die kantonale Gesetzgebung, mit Ausnahme des Gastwirtschaftsgewerbes, nach wie vor an die Handels- und Gewerbefreiheit gebunden.

Immerhin kann der Bund die Kantone im Bahmen seiner eigenen verfassungsmässigen Befugnisse ermächtigen, Vorschriften zu erlassen auf Gebieten, die keiner allgemeinen Begelung durch den Bund bedürfen. Überdies sind nach Art. 32 der neuen Wirtschaftsartikel die Kantone vor Erlass der Ausführungsgesetze anzuhören, und der Vollzug der Bundesvorschriften ist ihnen in der Begel zu übertragen. Mit diesen Bestimmungen dürfte ein Ausgleich gefunden sein, der einerseits dem Bund die notwendigen Kompetenzen verleiht, deren er unter den heutigen Verhältnissen zur Führung der Wirtschaftspolitik bedarf .und .der anderseits den Kantonen einen Bereich vorbehält, auf dem
sie auch heute noch mit Erfolg tätig sein können. .

Dass den Wirtschafts- und Berufsverbänden bei der Durchführung gesetzlicher Erlasse eine bedeutsame Bolle zufällt, haben wir bereits in unserer Botschaft zur Bevision der Wirtschaftsartikel vom 10. September 1937 ausgeführt. Nach Art. 32, Abs. 3, der Wirtschaftsartikel sollen denn auch die Verbände vor dem Erlass der Ausführungsgesetze angehört werden; ebenso kann ihnen die Mitwirkung beim Vollzug eingeräumt werden. Während der .Vollzug der Wirtschaftsgesetzgebung in der Begel den Kantonen zu übertragen ist, soll die Mitwirkung der Verbände nur eine fakultative sein, indem bei jedem Ausführungsgesetz zu entscheiden sein wird, ob und in welchem Masse die Verbände am Vollzug zu beteiligen -sind.

84i .Zieht man den Kommentar zur Initiative zu Bäte, so ergibt sich, dass von den oben dargelegten .Möglichkeiten in bezug auf die Einschaltung der Verbände, in die planwirtschaftliche Ordnung, die der Wortlaut gestattet, offenbar nach der Meinung der Initianten voller Gebrauch gemacht werden .soll. Die Verbände würden so. in der Tat sogar über die Kantone gestellt. Diese «wirtschaftlichen Organismen» sollen, wie der Kommentar ausführt, die Pfeiler des neuen Gebäudes sein.. Die Mitarbeit der Beruf s verbände sei von lebenswichtiger Bedeutung. Um jede bürokratische Lösung zu vermeiden, hätte der. Staat seine Kompetenzen vor allem an diese Organisationen abzutreten und sie mit der Durchführung seiner Massnahmen zu betrauen. Der Bund könnte somit seine umfassenden. Kompetenzen, die ihm nach der Initiative zugedacht .sind, ohne weiteres den Verbänden übertragen. Er könnte diese ermächtigen,, verbindliche Beschlüsse für ganze Wirtschaftszweige, auch für die Nichtmitglieder, zu treffen, und die Preise und Löhne, in ihrem Bereiche verbindlich festzulegen.

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4. In diesem Zusammenhang muss noch auf ein weiteres Problem hingewiesen werden, das weder von der Initiative noch der «Neuen Schweiz» berührt wird. Die von den Initianten angestrebte Wirtschaftsreform ist von so. grosser Tragweite, dass sie nicht ohne Änderung an dem politischen Aufbau unseres Staates durchgeführt werden könnte. Abgesehen von dem Verhältnis zwischen Bund und Kantonen, das bei der Durchführung der von den Initianten vertretenen Grundsätze eine tiefgreifende Änderung erfahren würde, müsste,-. wie bereits erwähnt, auch das, künftige Verhältnis zwischen Bundesrat, Volksvertretung und Volk neu überprüft und geordnet werden.

Die Wirtschaftsordnung hängt aufs engste mit der Organisation der Gesetzgebung und dem Verhältnis zwischen Parlament und Eegierung zusammen. Die Bundesverfassung ist auf den liberalen Eechtsstaat, der sich möglichst wenig in die Wirtschaft einmischt und sich auf den Erlass allgemeiner, alle Bürger betreffender. Normen beschränkt, zugeschnitten. Wenn aber der Staat die gesamte Wirtschaft lenken und im einzelnen das wirtschaftliche Geschehen regulieren soll, wie es z. B. während der Kriegsjahre geschehen ist,. erweist, sich der bisherige Weg der Gesetzgebung als unzulänglich. Eine solche Lenkung der Wirtschaft muss
rasch, beweglich und vorsorglich handeln · können. Deshalb müsste zu allen Zeiten intensiver Eingriffe des Staates zu ' Vollmachten, oder Ermächtigungsgesetzen Zuflucht genommen werden (Kriegsvollmachten vom 3. August 1914, Bundesbeschluss über die Beschränkung, der · Einfuhr vom 23. Dezember 1931 bzw. Bundesbeschluss über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Ausland vom 14. Oktober 1933, Bundesbeschluss über ^wirtschaftliche Notmassnahmen vom 29. September 1936, Kriegsvollmachten vom.' 30. August 1939).

Damit verschiebt sich auch das Verhältnis zwischen Volk und Parlament, indem das. Eeferendum auf den durch Vollmachtenerlasse erfassten Gebieten ausgeschlossen wird. Die Anwendung des Eeferendums wird praktisch unBnndesblatt. 98. Jahrg. Bd. III.

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B42 möglich, da es eine verantwortliche Staatsleitung nicht darauf ankommen lassen könnte, dass die von ihr als notwendig erachteten Mässnahmen von irgendeiner davon betroffenen Volksgruppe auf dem Wege der Volksabstimmung zu Fall gebracht würden.

Auch das Parlament wäre mit den bisherigen Methoden seiner Geschäftsführung kaum in der Lage,1 die Unzahl der erforderlichen Einzelmassnahmen innert nützlicher Frist zu bewältigen. Es bliebe ihm gar nichts anderes übrig als sich auf allgemeine" Eichtlinien zu beschränken, d. h. die Grundzüge des allgemeinen Wirtschaftsplanes aufzustellen und die Einzelausführung auf dem Wege von Ermächtigungsgesetzen der Eegierung zu delegieren. Bei einer eigentlichen Lenkung der Wirtschaft durch den Staat müsste deshalb die Initiative auf den Bundesrat übergehen. Dem Parlament bliebe nur noch übrig, die von der Regierung vorgelegten Wirtschaftspläne zu beraten und deren Ausführung zu überwachen. Die allgemeinen Ermächtigungsgesetze könnten zwar der Volksabstimmung unterbreitet werden; zu den einzelnen Erlassen aber hätte das Volk nichts mehr zu sagen. Die Kriseninitiative vom 6. März 1935 war in dieser Hinsicht konsequenter, indem sie die Durchführung der erforderlichen Vorschriften endgültig der Bundesversammlung unter ;Ausschluss des Eeferendunls übertragen wollte, wobei der Bundesrat ihr auf jede ordentliche Session einen Bericht über die getroffenen Mässnahmen erstatten sollte. Auch der Gotthard-Bund hat in seinem Friedensprogramm vom April 1945, 'das die «Vollbeschäftigung in einer freiheitlichen Ordnung» postuliert, sich aber auf indirekte Lenkungsmassnahmen des Staates beschränkt, ebenfalls einen gleichzeitigen Umbau des Staates vorgesehen, um der Eegierung vermehrte Kompetenzen einzuräumen.

· .

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Die Initiative übergeht dieses Problem mit Stillschweigen. Es liegt jedoch auf der Hand, dass es unmöglich ist, den Staat mit der Aufgabe der Lenkung der gesamten Wirtschaft zu betrauen, ohne gleichzeitig das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen einerseits und Eegierung, Volksvertretung und Volk andererseits zu ändern und den neuen Staatsaufgaben anzupassen. Ob das Schweizervolk gewillt wäre, einen solchen Umbau seines Staates zuzulassen, ist jedoch eine andere Frage. Jedenfalls ist.es kein Zufall, dass gleichzeitig mit dem Eufe nach Abbau der kriegswirtschaftlichen
Beschränkungen und dem Verlangen nach grösserer wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit auch der Abbau des Vollmachtenregimes auf der ganzen Linie und die Bückkehr zur uneingeschränkten Demokratie und zur Wiederherstellung der Volksrechte verlangt wurde und dass eine diesbezügliche Volksinitiative zustande gekommen ist.

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Demgegenüber versuchen auch hier die Wirtschaftsartikel einen Mittelweg zu gehen. Nach Art. 82 der Vorlage hat die Ausführungsgesetzgebung durch Bundesgesetze oder Bundesbeschlüsse zu erfolgen, für welche die Volksabstimmung verlangt werden kann. Eine Ausnahme ist einzig für Zeiten wirtschaftlicher Störungen vorgesehen, für welchen Fall die Möglichkeit gewahrt bleibt, auf den dringlichen Bundesbeschluss zurückzugreifen.

843 5. Der Kommentar zur Initiative sieht das Ziel in der «Herbeiführung der sozialen Demokratie», wobei «vor allem die Sicherstellung des Eechtes auf Existenz und des Eechtes auf einen gerechten Anteil an dem Produkt der Arbeit» gehören sollen (a. a. 0. S. 2). Der durch die französische Bevolution verwirklichten politischen Demokratie soll die soziale Demokratie an die Seite treten, die der politischen Gleichberechtigung nach Möglichkeit eine soziale, und ökonomische Gleichstellung mit möglichster Sicherung der Existenz zugesellen würde. Dieser Zielsetzung können.auch wir grundsätzlich 'Zustimmen, unter der Voraussetzung' allerdings, dass die persönliche Freiheit grundsätzlich gewahrt bleibt und dass ihr nur die im höheren Interesse des Ganzen erforderlichen Beschränkungen auferlegt werden.. Es sei darauf verwiesen, dass nach Art. 81b)s, Abs. l, der neuen Wirtschaftsartikel der Bund «die zur Mehrung der Wohlfahrt des Volkes und zur wirtschaftlichen Sicherung der Bürger geeigneten Massnahmen» trifft: und zwar «im Bahmen seiner verfassungsmässigen Befugnisse», was namentlich heisst, dass der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit zu beachten ist. Wie schon erwähnt, wollen scheinbar auch die Initianten in ihrer sozialen Demokratie die Freiheit -- «die Volksfreiheiten und Volksrechte» --, nicht aufheben. Dabei übersehen sie aber; dass die Massnahmen planwirtschaftlichen Charakters, die sie beabsichtigen oder denen sie doch Tür und Tor öffnen, mit der Wahrung der persönlichen Freiheit, wie sie vom Schweizervolk bisher verstanden wurde, nicht mehr verträglich sind.

· . - · · · Die Zielsetzung der staatlichen Wirtschaftspolitik liegt in der Tat sowohl in der wirtschaftlichen Sicherung der Bürger, die mit einer weitgehenden Ausgleichung der sozialen and ökonomischen Verhältnisse verbunden ist, wie auch in der Bewahrung der persönlichen Freiheit auf wirtschaftlichem Gebiet.

Doch dürfen weder die wirtschaftliche Sicherheit als charakteristisches Postulat einer sozialen Demokratie, noch die Freiheit als Postulat der : liberalen Demokratie, extrem ausgestaltet werden. Freiheit und Sicherheit sind in der Tat Gegenpole, deren vollständige Verwirklichung sich gegenseitig ausschliesst.

Volle Freiheit ist nur um den Preis des Eisikos und der Unsicherheit zu erkaufen. Alle Übel, die unserer Wirtschaftsordnung
zur Last gelegt werden (Schwankungen der Konjunktur, Krisen, Arbeitslosigkeit, Existenzunsicherheit) sind im Grunde die Kehrseite der Freiheit. Andererseits lässt sich absolute Sicherheit nur durch vorausschauende Planung und Einschränkung dieser Freiheit verwirklichen. Weder das eine noch das andere Ideal lässt sich restlos verwirklichen, wenn wir weder in Anarchie versinken noch uns in eine starre Ordnung einzwängen lassen wollen.

Das Streben nach Freiheit und nach Sicherheit sind zwei Grundkräfte alles sozialen Lebens. Gegenwärtig macht sich ein Bedürfnis nach vermehrter wirtschaftlicher Sicherheit, vor allem
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Beendigung des Krieges, sogar nach vermehrter Freiheit. Dieser Zwiespalt zeigt sich auch in den, Kreisen solcher Arbeitnehmer, die heute zwar nach vermehrter Sicherheit verlangen, aber gleichzeitig auch auf den Abbau aller kriegswirtschaftlichen Einschränkungen der Arbeitsfreiheit drängen.

Der Kampf .zwischen Freiheit und Sicherheit ist im Grunde.eine Frage des Masses. Man muss sich darüber klar sein, dass alle auf die wirtschaftliche Sicherung gerichteten Massnahmen die wirtschaftliche Freiheit beschneiden und eine vollständige Sicherheit nur durch Preisgabe der Freiheit zu erreichen wäre. Die richtigerweise doppelte Zielsetzung aller gegenwärtigen Wirtschaftspolitik ist von einer innern Spannung erfüllt, die nicht zum Bruch gesteigert werden darf, sondern unter grundsätzlicher Bewahrung des zwiefachen Zieles in der jeweiligen konkreten Lage zu einem möglichen Ausgleich gebracht werden muss.

> .

Es darf deshalb nicht eine «Wirtschaftsreform» durchgeführt werden, die zu einem radikalen Bruch führt. Eine solche «Wirtschaftsreform» ist aber die von den Initianten vorgeschlagene; jedenfalls wäre die beabsichtigte Verfassungsänderung das geeignete Instrument, um eine solche «Wirtschaftsreform» durchzusetzen, die man eigentlich besser als eine «Wirtschaftsrevolution» bezeichnen würde. Demgegenüber möchten wir eine «Wirtschaftsreform» befürworten, die die Spannung ohne Bruch im Hinblick auf die jeweils gegebenen Verhältnisse überbrückt und ausgleicht. Schon vieles ist in diesem Sinne seit der Eevision der Bundesverfassung im Jahre 1874 und der Proklamation der damals noch weitausgelegten Handels- und Gewerbefreiheit vorgekehrt worden, und wir sind uns durchaus bewusst, dass noch sehr vieles, in diesem Sinn vorgekehrt werden muss, dass auch in Zukunft «Wirtschaftsreformen» nötig sein werden. Eine «Wirtschaftsreform» in diesem Sinn stellen die neuen Wirtschaftsartikel dar. Mit ihnen sollen unter Wahrung der Erfordernisse einer sozialen und zugleich liberalen Demokratie die in der heutigen Lage möglichen Lösungen verwirklicht werden.

Wie bereits in den Beratungen zu den neuen Wirtschaftsartikeln hervorgehoben wurde, waren alle Wirtschafts- und Sozialmassnahmen der letzten Jahre namentlich vom Grundgedanken vermehrter wirtschaftlicher. Sicherheit getragen. Die eidgenössischen Räte haben deshalb, nicht
zuletzt, um den Bestrebungen der Initianten entgegenzukommen, eine besondere Bestimmung in die neuen Wirtschaftsartikel aufgenommen (Art. 31blB, Abs. 1), die als allgemeines Ziel. der Wirtschaftspolitik die Mehrung der Wohlfahrt des Volkes und die wirtschaftliche Sicherung der Bürger umschreibt. Diese Bestimmung verleiht zwar dem Bund keine neuen Kompetenzen, noch schafft sie ein Individualrecht zugunsten des einzelnen Bürgers, auf das sich jedermann berufen könnte, wenn er sich in seiner wirtschaftlichen Sicherheit gefährdet oder verletzt glaubt, sondern bezeichnet die allgemeine Richtlinie . für die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Bundes. Die Aufgabe der .künftigen Sozialund Wirtschaftsgesetzgebung wird es sein, ohne Preisgabe der grundsätzlich freien Wirtschaft, ein Maximum an wirtschaftlicher Sicherheit zu schaffen.

845 Die neuen Wirtschaftsartikel sollen die verfassungsrechtliche Grundlage für eine solche Politik des Ausgleichs schaffen. Sie halten zwar grundsätzlich die Wirtschaftsfreiheit aufrecht, übertragen aber dem Bund wichtige Ordnungsfunktionen und geben ihm die Möglichkeit, von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen, .wo das Gesamtinteresse dies erheischt. Wir werden in den folgenden Kapiteln Gelegenheit haben, die im angeführten Geist bereits getroffenen und in Zukunft möglichen Lösungen in ihrer konkreten Ausgestaltung noch näher zu.untersuchen.

6. Denjenigen, die trotz allem radikalen planwirtschaftlichen Ideen nicht glauben i entsagen zu können, weil sie darin das Heil .der Zukunft erblicken und deshalb der Initiative zustimmen wollen, möchten wir noch zu erwägen geben, ob es angesichts der gegenwärtigen, noch keineswegs konsolidierten Weltwirtschaft, in die wir unlöslich verflochten sind, nicht empfehlenswerter wäre, statt leidenschaftliche Kämpfe um umwälzende Systemsänderungen heraufzubeschwören nach einer Zusammenarbeit auf dem Boden der bestehenden Wirtschaftsordnung zu streben. Ohne unbescheiden zu sein und ohne unbestreitbare Mängel beschönigen zu wollen, darf übrigens festgestellt werden, dass unsere wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse den Vergleich mit denjenigen des Auslandes getrost aushalten können.

So wenig wie die uneingeschränkte -Freiheit werden verantwortuiigsbewusste Männer allen Ernstes völlige Sicherheit um den Preis der Freiheit verlangen. Es sollte deshalb möglich sein, in sachlicher Zusammenarbeit die der jeweiligen .Lage angepasste Lösung irgendwo in der Mitte zwischen den Extremen zu finden. Man wird sich doch auf beiden Seiten Rechenschaft geben müssen, dass Programmpunkte nur in Beziehung auf die zu meisternden Aufgaben ihren Sinn erhalten. Auseinandersetzungen ohne Bezug auf die konkrete Situation bleiben deshalb fruchtlos und täuschen oft unüberbrückbare Gegensätze vor, während im wirklichen Tun fruchtbare Zusammenarbeit möglich ist öder gar stattfindet. Die Tragweite und Bedeutsamkeit programmatischer Forderungen wird nur zu oft überschätzt. Den Vätern unseres Bundesstaates war die noch uneingeschränkte Handels- und Gewerbefreiheit ein gleichsam heiliges Prinzip, und sie hätten damals die heute notwendig gewordenen Beschränkungen sich nicht träumen
lassen. In ähnlicher Wreise könnte es sein, dass die .für viele faszinierende Idee der Planwirtschaft sich im. Laufe der Zeit allerlei Abstriche gefallen lassen muss. Es könnte sich dann freilich ergeben, dass von. der angestrebten Planwirtschaft nur noch solche Elemente übrig bleiben, die sich in unsere freiheitliche Wirtschaftsordnung einfügen lassen, ohne deren Grundlage zu beeinträchtigen. Wie wir in der Folge noch zeigen werden (Kapitel IV und V), weist auch die gegenwärtige Wirtschaftsordnung solche planwirtschaftliche Elemente auf, die mit der grundsätzlich privatwirtschaftlichen Struktur vereinbar sind.

: 7. Nachdem wir den. planwirtschaftlichen Gehalt der Initiative herausgestellt und diese deshalb als unannehmbar bezeichnet haben, müssen wir auch noch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Initiative gleichsam

846 als Katalog für eine Reihe sozialer und ökonomischer Postulate, namentlich auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, dienen kann. Manche werden vielleicht den planwirtschaftlichen Gehalt beiseite schieben, dagegen in den vorgeschlagenen neuen Bestimmungen eine Grundlage für alle möglichen -wünschenswerten Reformen erblicken und die Initiative deshalb begrüssen. In solchen Meinungen könnte man dadurch bestärkt werden, dass der Kommentar die planwirtschaftliche Tendenz wenig, jedenfalls in wesentlich geringerem Mass als die «Neue Schweiz», zum Ausdruck bringt. Damit möchten wir keineswegs sagen, dass die Initianten den eigentlichen Gehalt der Initiative mit Absicht verschleiert hätten. Im übrigen kommt es uns ,ja, wie mehrfach schon hervorgehoben, nicht darauf an, welche Anwendung den vorgeschlagenen Verfassungsbestimmungen zugedacht ist. Es genügt zu wissen, was mit dem neuen Verfassungsartikel vorgekehrt werden könnte. Über diesen und nicht über die Absicht der Initianten ist zu entscheiden. Immerhin ist dabei etwas nicht ausser acht zu lassen: sollte die Initiative von Volk und Ständen gutgeheissen werden, so würde wohl allgemein mit einigem Recht angenommen, dass das Volk auch den der Initiative zugrunde liegenden weitern Zielsetzungen zugestimmt und sich somit für die Planwirtschaft ausgesprochen habe.

Einer möglichen Befürwortung der Initiative mit Rücksicht auf an sich tragbare und begrüssenswerte Einzelreformen müssen wir nun aber ebenso entschieden entgegentreten, wie der Initiative als planwirtschaftlichem Verfassungsinstrument. Es wäre keinesfalls angängig, zur Ermöglichung ganz bestimmter staatlicher Massnahmen einen Verfassungsartikel zu schaffen, der noch andere, wesentlich weitergehende Massnahmen zulassen würde. Wer also der Initiative im Sinne der gemachten Ausführungen etwas zugute halten wollte, müsste ihr einen,neuen, weniger weitgehenden Entwurf entgegenstellen. Nachdem aber die neuen Wirtschaftsartikel im Parlament durchberaten sind und nächstens dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden können, ist ein solcher Gegenvorschlag überflüssig. Die Wirtschaftsartikel bilden nämlich die Grundlage für alle Massnahmen, die in der gegenwärtigen Lage und auf absehbare Zeit sowie unter Berücksichtigung unserer schweizerischen Gegebenheiten überhaupt in Betracht fallen. Ausserdem muss man
sich daran erinnern, dass viele im Sinne der Zielsetzung der Initianten gelegene Massnahmen bereits gestützt auf die bestehenden Verfassungsbestimmungen getroffen oder in Angriff genommen wurden.

In den folgenden Kapiteln möchten wir deshalb darlegen, welche Massnahmen in der Zielrichtung der Initiative bereits getroffen wurden oder später gestützt auf, die neuen Wirtschaftsartikel möglich ^sein werden. Damit können wir auch zugleich unsere Ausführungen in Ziff. 6 über die von allzu programmatischer Auseinandersetzung nicht beeinträchtigte1 konkrete Arbeit an unserer Wirtschaftsordnung veranschaulichen. Im III. Kapitel möchten wir uns vorerst mit den im Titel der Initiative sogenannten «Rechten der Arbeit» befassen, wobei wir an die in Betracht fallenden Absätze 4--7 der Initiative anschliessen wollen. Da die Initiative die Grundlage für weitgehende Soziali-

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sierungen schaffen würde und dies ja wohl auch in Wirklichkeit beabsichtigt sein dürfte, möchten wir uns; im Kapitel IV mit dem Stand der öffentlichen Wirtschaft und den Genossenschaften in der Schweiz beschäftigen, nachdem wir vorerst einen Überblick über die Sozialisierungsbestrebungen im Ausland gegeben haben. Zum Schluss fügen wir im V. Kapitel einige Bemerkungen bei über die mögliche Planung und Koordination in unserer auf den Grundsätzen der Handels- und Gewerbefreiheit sowie der Vertragsfreiheit aufgebauten Wirtschaftsordnung. Damit glauben wir dann, in angemessener Weise zur Initiative Stellung genommen zu haben.

IH. «Rechte der Arbeit».

1. Das Verhältnis der in den Absätzen 4 bis 7 der Initiative umschriebenen «Hechte der Arbeit» zu dem in den Absätzen l und 2 enthaltenen allgemeinen Ziel ist nicht ohne weiteres klar. Einzelne dieser sogenannten «Eechte der Arbeit» wie die Sicherung der Existenz und der Schutz der Arbeit lassen sich auch:im Bamnen der heutigen Wirtschaftsordnung verwirklichen, wobei allerdings die Meinungen, wie weit die Sicherheit der Existenz reichen soll, immer auseinander gehen werden. Anders verhält es sich mit dem Hecht auf Arbeit, dessen Verwirklichung, wie der Kommentar zur Initiative indirekt zugibt, die bestehende Wirtschaftsordnung sprengen würde und sich im Grunde nur in einer sozialistischen Wirtschaftsordnung durchführen liesse. Dagegen ist die, Krisenverhütung, die dem Bund durch den neuen Art. 31«uln«ules der Vorlage über die Wirtschaftsartikel zur Pflicht gemacht wird, wenigstens innerhalb gewisser Grenzen, auch im Bahmen der geltenden Wirtschaftsordnung möglich. Die Anhänger der Initiative sind allerdings der Ansicht, dass die Wirtschaftskrisen in einer auf der Grundlage der Wirtschaftsfreiheit organisierten Wirtschaft unvermeidlich seien und nur durch die Abschaffung dieser Wirtschaftsordnung beseitigt werden könnten. Die Verwirklichung der Bechte der Arbeit kann somit einesteils als das Ziel der Wirtschaftsreform bezeichnet werden, da ihre Verwirklichung deren vorgängige Durchführung zur Voraussetzung hat. Andernteils haben einzelne dieser Ziele bereits in der geltenden Wirtschaftsordnung Platz, wie die Sicherung der Existenz und der Schutz der Arbeit, wenn auch ihre volle Auswirkung nach der Meinung der Initianten erst in der neuen Wirtschaftsordnung
möglich wäre. In Übereinstimmung mit unserer grundsätzlichen Stellungnahme zur Initiative, wie wir . sie, im vorangehenden Kapitel dargelegt haben, müssen wir auch eine allgemeine und umfassende Kompetenzerteilung an den Bund für die Ausgestaltung der sogenannten «Bechte der Arbeit» ablehnen, weil dies ein Bestandstück der planwirtschaftlichen Ordnung wäre. Lediglich in bezug auf den Arbeiterschutz sowie die Krisenverhütung und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist eine allgemeine Bundeskompetenz begründet, weshalb denn auch in den Art. 34ter bzw. Art. 81«uln
848 Nach dem Wortlaut der Initiative könnte man versucht sein, die in den Absätzen 4 bis 7 enthaltenen Bestimmungen lediglich als allgemeine Grundsätze für die Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes aufzufassen und nicht als Kbmpetenznormen zugunsten des Bundes. Nach dieser Auslegung hätte z. B. der Absatz 4 nur die Bedeutung, dass der Bund beauftragt würde, auf den Gebieten, auf denen er bereits die Zuständigkeit besitzt, die Existenz der Bürger und deren Familien zu sichern, ohne dass damit eine neue Bundeskompeteriz begründet würde. Der Absatz 4 würde beispielsweise den Bund nicht ermächtigen, auf den Gebieten der Sozial- und Wirtschaftspolitik eine neue, in der Bundesverfassung noch nicht vorgesehene Massnahme zur Sicherung der Existenz einzuführen, sondern nur,dem Bundesgesetzgeber vorschreiben, in der Gesetzgebung auf Grund seiner bereits bestehenden Kompetenzen den Grundsatz der Existenzsicherung besonders zur Geltung zu bringen; insbesondere könnte der Band, was den Familienschutz anbelangt, nicht über die Massnahmen hinausgehen, die im neuen Art. 34iuin
Gestützt auf unsere Ausführungen über den allgemeinen Charakter der Initiative (Kap. I) steht jedoch ausser Zweifel, dass diese Auslegung nicht zutreffend ist. Dies gilt insbesondere für das Recht auf Arbeit und die Krisenbekämpfung und Arbeitsbeschaffung, sowie auch für den Schutz der Arbeit, der sich auf alle Zweige der Wirtschaft erstrecken soll, während die Kompetenz des Bundes auf diesem Gebiete bisher begrenzt war/Die Absätze 4, 5 und 6 wollen in Verbindung mit Absatz 7 Kompetenzen des Bundes begründen und ihn ermächtigen, alles vorzukehren, was zur Verwirklichung dieser Grundsätze erforderlich ist, ohne Eücksicht auf die übrigen Bestimmungen der Verfassung und ohne Eücksicht auf die Hechte der Kantone.

Nach dem Wortlaut der Initiative könnte man annehmen, dass die Initianten mit diesen «Bechten der Arbeit» verfassungsmässige Eechte im eigentlichen Sinne im Auge haben, sodass der Bürger die Möglichkeit hätte, irrt Falle ihrer Verletzung den staatsrechtlichen Eekurs an das Bundesgericht nach Art. 113, Ziff. 3, der Bundesverfassung zu ergreifen. Diese Frage stellt sich insbesondere in bezug auf den Absatz 5, in dem ausdrücklich von der Gewährleistung eines Eechtês auf Arbeit die Eede ist. Die
Initianten verwenden hier die überlieferte Sprache der Bundesverfassung, wenn sie von der Gewährleistung von Freiheitsrechten spricht. (Vgl. z. B. «Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist ... gewährleistet», «Die Pressfreiheit ist gewährleistet».) Die gleiche Frage stellt sich aber auch für die Absätze 4 und 6, die von der Sicherung der Existenz der Bürger und dem Schutz der Arbeit sprechen.

Der staatsrechtliche Eekurs ist nämlich nach der Praxis des Bundesgerichtes nicht nur gegeben, wenn die Bundesverfassung ausdrücklich von einem subjektiven Eecht spricht, sondern in einigen Fällen auch dann, wenn lediglich eine objektive Eechtsnorm, die dem Schutze von Individualinteressen dient, verletzt wird. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass der staatsrechtliche Eekurs in diesen Fällen keinen rechten Sinn hätte und durch andere Eechts-

849 mittel ' ersetzt werden niüsste1). Es handelt sich eben nicht um eigentliche verfassungsmässige Rechte, die den sogenannten Freiheitsrechten an die Seite gestellt werden könnten.

Wie die nachfolgenden Bemerkungen zu den einzelnen in Betracht fallenden Absätzen, denen wir uns nun zuwenden wollen, zeigen, ist es mit den «Rechten der Arbeit», auf Grund der bisherigen Verfassungsbestimmungen und namentlich im Hinblick auf die neuen Wirtschaftsartikel keineswegs so schlecht bestellt, wie der Kommentar zur Initiative glauben machen könnte. Es wird sich zeigen, dass die Initiative, soweit sie nicht den grundsätzlich falschen Weg der Planwirtschaft einschlägt, offene Türen einrennt.

2. Zu Absatz 4: «Die Existenz der Bürger und ihrer Familien ist zu sichern».

Nach dem Kommentar zur Initiative bedingt die Sicherheit der Existenz neben dem Eecht auf Arbeit und dem Recht auf gerechten Lohn «ein vollkommenes System sozialer Versicherungen von der Wiege bis zum Grabe».

Als hauptsächliche Versicherungen, die entweder zu vervollkommnen oder neu zu schaffen wären, werden genannt die Kranken- und Unfallversicherung (betriebliche und nichtbetriebliche), ausgedehnt auf alle Familienangehörigen, die Mutterschaftsvergicherung, die Alters- und Hinterlassenenversicherung und die obligatorische Arbeitslosenversicherung für alle Handwerker und Berufe, wobei letztere als Notbehelf zu gelten habe, da die Hauptaufgabe in der Sicherung beständiger Arbeit bestehe.

: . Für alle diese Versicherungsarten bestehen bereits die verfassungsmässigen Grundlagen, so dass es hiezu keiner neuen Verfassungsinitiative bedarf. Bereits im Jahre, 1890 wurde dem Bund durch die Aufnahme des Art. 34bls in die Bundesverfassung die Befugnis erteilt, die K r a n k e n - und U n f a l l v e r sicherung einzurichten und den Beitritt allgemein oder für einzelne Bevölkerurigsklassen obligatorisch zu erklären. Der erste Gesetzesentwurf, der die Krankenversicherung für weite Kreise der unselbständig Erwerbenden in *) Lh Gegensatz zu den sogenannten Freiheitsrechten, wo .der staatsrechtliche Rekurs seinen guten Sinn hat, handelt es sich bei diesen «Rechten der Arbeit» um positive Ansprüche an den Staat, die von ihm eine Leistung verlangen. Die Bundesverfassung bietet ein einziges Beispiel dieser Art in Art. 27 über das Kecht zum unentgeltlichen
Besuche der öffentlichen Primarschule. Gerade in diesem Falle, wo es um die Beurteilung einer positiven Leistungspflicht des Staates geht, hat jedoch der Gesetzgeber den staatsrechtlichen Rekurs ausgeschlossen und die Rechtssprechung den Verwaltungsbehörden, d. h. dem Bundesrat übertragen (Art. 125 . des Organisationsgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Bundesrechtspflege). Dabei war die Erwägung wegleitend, dass Rechte auf Leistungen sich für die Verfassungsgerichtsbarkeit nicht eignen, da auf diesem Wege wohl Verfassungswidrigkeiten, festgestellt, aber nicht wohl Leistungen bemessen werden können. Die Ausführungsgesetzgebung müsste deshalb für die Durchsetzung dieser «Rechte der Arbeit» die gewöhnlichen Rechtsmittel vorsehen. Der staatsrechtliche Rekurs, würde dadurch gegenstandslos, weil das neue Organisationsgesetz über die Bundesrechtspflege diesen nur zulässt, wenn kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung steht (Art. 84, Abs. 2).

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der ganzen Schweiz obligatorisch erklären wollte, wurde bekanntlich im Jahre 1900 vom Volke verworfen. Das geltende Gesetz vom 13. Juni 1911 liess deshalb das Obligatorium von Bundes wegen fallen. Es ermächtigt immerhin die Kantone, die Krankenversicherung für einzelne Bevölkerungsteile obligatorisch zu erklären und öffentliche Krankenkassen einzurichten. Gegen^ wärtig 'haben 8 Kantone die obligatorische Krankenversicherung von Kantons wegen eingeführt ; in 3 weiteren Kantonen ist .das Obligatorium auf die Kinder, respektive Schüler beschränkt; 9 Kantone haben das Eecht zur Einführung eines Obligatoriurns den Gemeinden oder Kreisen übertragen. Die Krankenkassen haben seit der Einführung des Gesetzes einen gewaltigen Aufschwung genommen, indem sich die Zahl der Kassenmitglieder seit Ende des ersten Weltkrieges verdreifacht hat. Ende 1944 waren ca. 2436000 Personen 1150 anerkannten Krankenkassen angeschlossen. Davon waren 38 % für Krankenpflege und -geld zugleich, 47 % für Krankenpflege allein und 15 % für Krankengeld allein versichert.

Die Eevision der Krankenversicherung ist in Aussicht genommen. Diese wird sich vor.allem wiederum auf die Einführung eines schweizerischen Obligatoriums für die wenig bemittelten Bevölkerungskreise und den Ausbau der Versicherungsleistungen beziehen.

Durch das Bundesgesetz betreffend Massnahmen gegen die; Tuberkulose vom 13, Juni 1928 wurde ausserdem die Tuberkulosenversicherung ermöglicht, indem der Bund ermächtigt wurde, denjenigen Krankenkassen besondere Beiträge auszurichten, die in ihren Statuten für die Behandlung Tuberkulöser ausserordentliche, über die gesetzlichen Pflichtleistungen hinausgehende Aufwendungen vorsehen. Ende 1944 wurden von der Tuberkulosenversicherung rund 1,7 Millionen Personen oder 72 % aller Krankenkassenmitglieder erfasst.

Die U n f a l l v e r s i c h e r u n g ist durch das Bundesgesetz vom 13. Juni 1911 obligatorisch erklärt worden für sämtliche dem Fabrikgesetz unterstellten Betriebe, für die Post, die Eisenbahn- und Dampfschiffunternehmungen sowie für eine Eeihe weiterer Gewerbe und Betriebe, die mit besondern Unfallgefahren verbunden sind. Das Obligatorium umfasst die Betriebsunfälle, denen auch gewisse Berufskrankheiten gleichgestellt sind, während die Versicherung gegen Nichtbetriebsunfälle freiwillig ist. Ende 1943 waren über
52 000 Betriebe der Versicherung unterstellt mit einer versicherten Lohnsumme von 2,87 Milliarden Franken. Zu erwähnen ist, dass der Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über die Arbeit im Handel und in den Gewerben den Betriebsinhaber verpflichtet, diejenigen Arbeitnehmer, die nicht von der obligatorischen Unfallversicherung auf Grund des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911 erfasst werden, angemessen gegen Betriebsunfälle zu versichern.

Für die Arbeitslosenversicherung, soweit sie über das Gewerbewesen im Sinne von Art. 34ter der Bundesverfassung hinausgeht, fehlte bisher eine ausdrückliche Verfassungsbestimmung, weshalb sich der Bund zur Hauptsache auf den Erlass von Subventions- und Bahmenbestimmungen beschränkt

851 hat. Gestützt auf die Erfa.hrungen während des ersten Weltkrieges wurde das Bundesgesetz vom 17. Oktober 1924 über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung erlassen, das während der Weltwirtschaftskrise durch den Bundesbeschluss vom 28. Dezember 1931 über die Krisenunterstützung ergänzt wurde.

Wie im Bericht über die Initiative «Eecht auf Arbeit» ausgeführt wurde, waren Ende 1945 rund 533 000 Arbeitnehmer einer Versicherungskasse angeschlossen. Die Mehrzahl der Kantone (15) haben das Versicherungsobligatorium eingeführt und einen bestimmten Kreis der unselbständig erwerbenden Kantonseinwohner verpflichtet, einer Kasse beizutreten, während vier Kantone die Gemeinden ermächtigt haben, die Versicherungspflicht einzuführen.

Die Einführung der Nothilfe, die an die Stelle der Krisenunterstützung getreten ist, bleibt den Kantonen überlassen. Sie ist,sowohl für versicherte Arbeitnehmer nach Erschöpfung ihrer Anspruchsberechtigung gegenüber der Kasse als auch für Nichtversicherte bestimmt, und wird, im Gegensatz zur Arbeitslosenversicherung, nur im Bedürfnisfalle ausgerichtet. Abgesehen von den wenigen, vorwiegend landwirtschaftlichen Kantonen, welche die Nothilfe :bisher nicht eingeführt haben, können somit sämtliche Arbeitslose, gleichgültig ob sie vorher versichert waren oder nicht, in den. Genuss von Unterstützungsleistungen gelangen.

Um die künftige Gesetzgebung auf diesem wichtigen Gebiete auf eine ausreichende verfassungsmässige Grundlage zu stellen, wurde in den Art. 34ter der neuen Wirtschaftsartikel eine besondere Bestimmung aufgenommen, wonach der Bund befugt ist, auch über die Arbeitslosenversicherung und die Arbeitslosenfürsorge Vorschriften aufzustellen. Aus ähnlichen Gründen wie bei der Krankenversicherung soll jedoch die Einführung des Obligatoriums und die Errichtung öffentlicher Arbeitslosenversicherungskassen wie bisher den Kantonen vorbehalten bleiben.

Auch für die Einführung der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung besitzt der Bund in Art. 34iuater bereits seit dem Jahre 1925 die Zuständigkeit. Nachdem das Ausführungsgesetz vom Volke im Jahre 1931 verworfen worden war, wurde an Stelle der Versicherung vorläufig die Alters- und Hinterlassenenfürsorge eingerichtet, indem der Bund den Kantonen auf Grund des Bundesbeschlusses vom 13. Oktober 1933 jährlich
Beiträge für diesen Zweck ausrichtete. Diese Fürsorge zugunsten bedürftiger Greise, Witwen und Waisen, deren Durchführung, im Eahmen der eidgenössischen Vorschriften, grundsätzlich den Kantonen überlassen blieb, wurde in den folgenden Jahren weiter ausgebaut. Im Jahre 1945 wurden auf Grund unserer Beschlüsse vom 24. Dezember 1941 und vom 21. April 1944 vom Bund rund 27 Millionen Franken ausbezahlt, wobei nach dem letztgenannten Beschluss die Ausrichtung eines Betrages von 4 Millionen Franken von einer gleichwertigen zusätzlichen Leistung der Kantone abhängig gemacht wurde.

Ausserdem wurde durch Bundesbeschluss vom 21. Juni 1989 die Fürsorge

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für ältere Arbeitslose eingeführt und durch unsere Beschlüsse vom 24. Dezember 1941 und vom 30. November 1945 neu geordnet. Diese Fürsorge ist für solche Personen bestimmt, die aus wirtschaftlichen Gründen dauernd arbeitslos geworden sind und infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung und des vorgerückten Alters nicht mehr oder nur noch stark vermindert vermittlungsfähig sind. Sie schiebt sich zwischen die ordentliche Arbeitslosenversicherung und die Altersfürsorge ein, um zu verhindern, dass diese Leute armengenössig werden. Im Jahre 1944 leistete der Bund mit 80 % der durch die Kantone ausgerichteten Fürsorgebeträge 4,3 Millionen Franken. Nach unserm Beschluss vom 30. November 1945 übernehmen Bund und Kantone ab 1. Januar 1946 die Kosten der Fürsorge für ältere Arbeitslose je.zur Hälfte.

Im März 1944 haben uns die eidgenössischen Eäte durch einstimmigen Beschluss beauftragt, den Entwurf zu einem Gesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung vorzulegen. Die Vorarbeiten wurden sofort an die Hand genommen, und der Gesetzesentwurf ist den Räten vor kurzem zugestellt worden. Um die Ausrichtung von Alters- und Hinterlassenenrenten an Stelle der Altersfürsorgeleistungen zu beschleunigen, haben wir am 9. Oktober 1945 einen Beschluss gefasst über die provisorische Ausrichtung von'Alters- und Hinterlassenenrenten (sogenannte Übergangsordnung), durch den die bisherige Altersfürsorge -in der Richtung der kommenden Altersversicherung ausgebaut und erheblich erweitert wird, indem Leistungen im Betrage von 100 Millionen Franken jährlich vorgesehen sind.

Eine Invalidenversicherung besteht nach Massgabe des Krankenund Unfallversicherungsgesetzes vorläufig nur für die Fälle der Invalidität infolge von Unfällen oder von Berufskrankheiten. Eine allgemeine Invalidenversicherung kann gemäss Art. 34ter der Bundesverfassung eingeführt werden, allerdings erst nach Verwirklichung der Alters- und Hinterlassenenversicherung.

Seit der Einreichung der vorliegenden Initiative ist ein neuer Art. 34
Im Bericht über das Volksbegehren «Für die Familie» vom 10. Oktober 1944 wurde eingehend dargelegt, dass unser Staatswesen sich schon seit längerer Zeit um das Wohlergehen der Familien gekümmert hat und dass schon auf Grund
des bisherigen Verfassungsrechtes eine Reihe von vielgestaltigen Massnahmen zugunsten der Familien getroffen wurden, so dass der Gedanke des Familienschutzes an sich nichts grundsätzlich Neues bedeutet. Die neue Verfassungsbestimmung, die von Volk und Ständen mit grossem Mehr am 25. November 1945 gutgeheissen wurde, verleiht dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiete der Familienausgleichskassen, erlaubt ihm, die Errichtung von Wohnungen und Siedlungen für kinderreiche Familien zu unterstützen und macht ihm die Einführung der Mutterschaftsversicherung zur Pflicht.

Verschiedene Kantone, namentlich in der Westschweiz, haben öffentliche Familienausgleichskassen errichtet; ebenso bestehen zahlreiche private Kassen,

853 die von schweizerischen Berufsverbänden gegründet worden. In mehreren Kantonen ist der Beitritt zu einer privaten oder öffentlichen Kasse obligatorisch. Diese Kassen sind in hohem Grade berufen, die Existenzverhältnisse der Familie mit mehreren Kindern zu festigen. Für den Bund kann es sich nicht darum handeln, solche Kassen selbst zu errichten; er muss sich darauf beschränken, die Bestrebungen der Kantone and Berufsverbände zu fördern und zu koordinieren und eventuell durch die Schaffung einer zentralen Ausgleichskasse .. den Ausgleich zwischen den verschiedenen Berufs- und Landesteilen herzustellen. Die Vorbereitungen für. die Gesetzgebung auf diesem Gebiete wie auf demjenigen der Mutterschaftsversicherung sind bereits in Angriff .genommen, so dass mit einer, Schliessung dieser Lücke in unserer Sozialgesetzgebung in absehbarer Zeit gerechnet werden kann.

Wir wollen in diesem Zusammenhang auf die Massnahmen der sogenannten Kriegssozialpolitik, wie die Notstands- und Verbilligungsaktionen, die Wohnungsfürsorge, die ebenfalls der Sicherung weiter Volkskreise dienten, nicht näher eintreten, da sie nur vorübergehender Natur sind, sondern lediglich die Lohn- und V e r d i e n s t e r s a t z o r d n u n g für unsere Wehrmänner erwähnen, die wohl die umfassendste Massnahme darstellt, die der Bund bisher zur Sicherung der Existenz der Bürger erlassen hat und die auch weitgehend dem Entwurf zu einem Bundesgesetz für die Alters- und Hinterlassenenversicherung zu Grunde liegt. Um diese segensreiche Institution auch in Friedenszeiten weiterführen za können, schafft Art. 34ter der neuen Wirtschaftsartikel die erforderliche verfassungsmässige Grundlage.

Die vorstehenden Ausführungen wollen keinen erschöpfenden Überblick über den Bestand der Sozialversicherungseinrichtungen der Schweiz und ihren Werdegang geben. Sie wollen lediglich zeigen, dass die Sozialversicherung in der Schweiz einen beachtenswerten Stand erreicht hat und in hohem Masse dem Ziel der Sicherung der Existenz gegen die Wechselfälle des Lebens nahekommt. Die Einführung und der Ausbau der einzelnen Versicherungszweige erfolgte in unserm Lande etappenweise, nach Massgabe der sozialen Bedürfnisse und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.. Die verfassungsmässigen Grundlagen für die Sozialversicherung wurden im Laufe von Jahrzehnten gelegt.
Der Erlass der Aüsführungsgesetze erfolgte schrittweise, wobei Lücken nach und1 nach ausgefüllt wurden. Vielfach sind dem Bund die Kantone, Gemeinden oder auch Private vorausgegangen und der Bund hat, wenn er später zur bundesrechtlichen Regelung schritt, das bereits Geschaffene, soweit es sich bewährt hat, beibehalten und in den Eahmen seiner Massnahmen eingebaut.

Dieser Weg wurde bei der Kranken- und bei der Arbeitslosenversicherung eingeschlagen; auch die kommende Altersversicherung, welche unsere Sozialversicherung krönen soll, wird auf die bestehenden Versicherungseinrichtungen Bücksicht nehmen müssen. Wir haben übrigens schon in unserm Bericht vom l. April 1946 über die 26. Tagung der internationalen Arbeitskonferenz (Bundesbl.

1946, Bd. I, S. 780 ff.) ausgeführt, dass eine allgemeine Sozialversicherung,

854 in der alle einzelnen Zweige koordiniert und einheitlich verwaltet und beaufsichtigt werden, für die Schweiz einstweilen nicht in Betracht kommen kann.

i Dieses elastische System, das auch den Bestrebungen der Kantone und der Privaten Baum lässt, ist bedingt durch die föderative Struktur unseres Staates, der Bücksicht nehmen niuss auf die zum Teil tiefgreifenden Unterschiede in der Lebensauffassung und in den Lebensgewohnheiten in Stadt und Land, in den Berggebieten und im Flachland und in der deutschen und welschen Schweiz. Aus diesem Grunde halten wir auch eine Übertragung des Beveridgeplanes, der weitgehend einheitliche Beiträge und Unterstützungsleistungen vorsieht, auf unser Land nicht für tunlich. Wir erachten es für die Schweiz als zweckmässiger und unserm Wesen als angemessener, auf dem bisherigen Wege der organischen Entwicklung weiterzuschreiten :und Stück für Stück unsere sozialen Einrichtungen weiter auszubauen. Dieses Vorgehen hat sich bewährt und die Schaffung eines Systems der Sozialversicherung erlaubt, das den Vergleich mit den entsprechenden Einrichtungen im Ausland durchaus auszuhalten vermag. Wir betrachten dieses. schrittweise Vorgehen, das jeden sozialpolitischen Portschritt zuerst im Volke konsolidiert, für das Richtige und gedenken es auch für die Zukunft beizubehalten. Die Entwicklung ist auch während des Krieges nicht still gestanden ; sie hat vielmehr, ganz abgesehen von den durch den Krieg bedingten Massnahmen der Kriegssozialpolitik, gerade durch den Krieg einen starken Auftrieb erfahren. Den Initianten bleibt es unbenommen, allfällige Wünsche für den Ausbau und die Verbesserung der bestehenden Sozialversicherung auf dem ordentlichen Weg .über die eidgenössischen Bäte vorzubringen. Einer neuen Verfassungsinitiative bedarf es hiezu nicht, da der Bund, wie bereits ausgeführt wurde, die verfassungsmässigen Kompetenzen schon seit Jahren besitzt oder, soweit sie noch fehlen oder lückenhaft sind, durch die neuen Wirtschaftsartikel erhalten soll.

3. Zu Absatz 5: «Das Bechi auf Arbeit und deren .gerechte Entlohnung sind zu gewährleisten».

a. Das Becht auf Arbeit bildet Gegenstand einer Initiative des Landesringes der Unabhängigen vom 6. Mai 1943, über die wir Ihnen einen besondern Bericht erstattet haben, weshalb wir uns hier kurz fassen können. Den Urhebern der vorliegenden
Initiative geht es, wie im Kommentar zur Initiative ausgeführt wird, anscheinend weniger um ein verfassungsmässiges Becht des Einzelnen, als um die «erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch sinnvolle Eingriffe des Staates in die freie Wirtschaft». Im Becht auf Arbeit soll nach der Darlegung des Kommentars auch die Pflicht des Staates, im · Bedarf sfalle Arbeitsgelegenheiten zu schaffen, enthalten sein. Die Arbeitsbeschaffung stelle indessen nur einen unerlässlichen Behelf im gegenwärtigen Begime dar. Wenn die von der Initiative angestrebte Wirtschaftsreform vollzogen sei, werde es nicht mehr nötig sein, auf eine solche Notlösung zurückzugreifen, es sei denn gelegentlich und vorübergehend.

855 Damit wird mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, dass die Initiantén auf eine grundsätzliche Umgestaltung unseres Wirtschaftssystems abzielen, weil sie einsehen, dass sich ein eigentliches Eecht auf Arbeit im Eahmen der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung nicht verwirklichen lässt. Die vorliegende Initiative ist insofern konsequenter als diejenige des Landesringes der Unabhängigen, die das Eecht auf Arbeit unter Aufrechterhaltung der freien Wirtschaft verwirklichen möchte.

Es ist sicher eine der elementarsten Forderungen, dass der Staat jedem arbeitsfähigen und arbeitswilligen Bürger die Möglichkeit verschaffen sollte, einen Arbeitsplatz zu finden, der ihm erlaubt, unter menschenwürdigen Bedingungen sein Leben zu fristen und es ihm auch ermöglicht, eine Familie zu gründen und Kinder aufzuziehen. Diese Forderung, der sich kein Staat entziehen darf, ohne seinen eigenen Bestand zu gefährden, kann aber nur eine Zielsetzung für die Wirtschaftspolitik sein. Macht man daraus eine Eechtspflicht für den Staat und gibt dem Bürger ein förmliches Eecht auf Arbeit oder Existenzsicherung, so lässt sich dies nur verwirklichen, wenn der Staat dem Bürger die letzte Verantwortung für seine wirtschaftliche Existenz abnimmt und die ganze Wirtschaft selbst in die Hand nimmt. Zu diesem Zwecke müsste der Staat nicht nur über die sachlichen Produktionsmittel, sondern auch über die ganze Arbeitskraft des Volkes verfügen können. Dies hätte zur Folge, dass sowohl die Handels- und Gewerbefreiheit als auch die Arbeitsfreiheit preisgegeben werden rnüssten. Gerade das will aber im Grunde die grosse Mehrzahl der Arbeitnehmer nicht. Sie wünscht wohl ausreichende Löhne, vermehrte Freizeit, bezahlte Ferien und ein Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht im Betrieb: aber der einzelne Arbeiter will, gerade weil er sich als freier Bürger fühlt, selbst über seine Arbeitskraft verfügen. Er will die Freiheit der Berufswahl, die Freizügigkeit, die Freiheit sich seinen Arbeitsplatz selbst zu suchen und auch nach seinem Wollen wieder za verlassen. Dies alles ist aber .nur in einer grundsätzlich freien Wirtschaft möglich. Deshalb ist diese Freiheit der Arbeit unweigerlich mit einem gewissen Bisiko verbunden, das zwar durch staatliche Massnahmen gemildert, aber nie ganz aufgehoben werden kann. Der Staat kann indirekt durch seine Wirtschaftspolitik
Und direkt durch Arbeitsbeschaffungsmassnahmen für Arbeitsgelegenheiten sorgen, aber er kann niemals dem Einzelnen seinen Arbeitsplatz und seine Existenz unter allen Umständen garantieren.

, &. Wie man sich die Sicherung der gerechten Entlöhnung, die der Bund zusammen mit dem Eecht auf Arbeit gewährleisten soll, zu denken hat, geht aus den entsprechenden Abschnitten der «Neuen Schweiz» hervor.

Danach hätte ein eidgenössisches Lohnamt Mindestlöhne für das ganze Land und für jeden Berufszweig festzusetzen. Um den Ausgleich der Löhne und der sozialen Lasten zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen und Betrieben sicherzustellen, wird die Errichtung eines nationalen Solidaritätsfonds aller Unternehmungen vorgeschlagen, dem die Überschüsse derjenigen privaten

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und öffentlichen Unternehmungen zufliessen sollen, deren Beingewinn ein bestimmtes Mass übersteigt.

Die Bundesbehörden haben der Lohnentwicklung stetsfort, besonders während der Kriegsjahre, die grösste Aufmerksamkeit geschenkt. Wir verweisen auf dis Tätigkeit der Lohnbegutachtungskommission, deren Richtlinien in der Praxis weitgehend nachgelebt wurde und die ohne Zweifel wesentlich dazu beigetragen haben, der Arbeitnehmerschaft einen angemessenen Teuerungsausgleich zu verschaffen. Gleichzeitig wurde die Lohnstatistik ausgebaut und verfeinert. Der Bund hat ferner, wo es sich als notwendig erwies, erhebliche Mittel für Notstands- und Verbilligungsaktionen zugunsten der minderbemittelten Bevölkerung aufgewendet. Dagegen haben wir es, von Ausnahmefällen abgesehen, immer abgelehnt, direkte Lohnfestsetzungen von Staates wegen zu treffen, da dies mit dem Wesen unserer Wirtschaftsordnung nicht vereinbar wäre. Wir haben deshalb auch die Errichtung von Lohnämtern mit der Befugnis zur Lohnfestsetzung, wie sie z. B. im Postulat Baumgartner vom 21. September 1942 gefordert wurde, abgelehnt. Die Bemessung des Lohnes muss grundsätzlich der freien Verständigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern überlassen bleiben. Der Bund hat sich darauf beschränkt, die von den Arbeitsmarktparteien frei vereinbarten Lohnsätze in Gesamtarbeitsverträgen .allgemeinverbindlich zu erklären und hat nur ausnahmsweise, wo besondere Verhältnisse vorliegen, wie in der Heimarbeit, Mindestlöhne festgesetzt.

Wir glauben, dass auch das Schweizervolk in seiner überwiegenden Mehrheit direkte staatliche Lohnfestsetzungen nicht wünscht und dass insbesondere auch die Gewerkschaften es vorziehen, selbst als gleichberechtigte Partner mit den Arbeitgebern zu verhandeln, als sich einem staatlichen Lohndiktat zu unterziehen, mit dem sich das Streikrecht kaum vereinbaren liesse.

Abgesehen von diesen grundsätzlichen Erwägungen, müsste die Pflicht, «gerechte Löhne» festzusetzen, die Behörden vor eine fast unlösbare Aufgabe stellen und zu Meinungsverschiedenheiten Anlass geben, die schliesslich nur durch einen Machtspruch des staatlichen Lohnamtes entschieden werden könnten.

4. Zu Absatz 6: ((Die Arbeit ist in allen Zweigen der Wirtschaft zu schützen».

Was den Schutz der Arbeitnehmer anbetrifft, so ist der Bund nach der geltenden Verfassung
zuständig, die Verwendung von Kindern in den Fabriken und die Dauer der Arbeit erwachsener Personen in denselben zu regeln, sowie Vorschriften zum Schutze der Arbeiter gegen einen die Gesundheit und Sicherheit gefährdenden Gewerbebetrieb zu erlassen (Art. 84 BV). Ausserdem wurde er durch den im Jahre 1908 aufgenommenen Art. 34ter ermächtigt, unter anderem Massnahmen zum Schutze der Arbeitnehmer in Industrie, Gewerbe und Handel zu1 ergreifen, da die «einheitlichen Bestimmungen» im Sinne von Art. 34ter auch den Arbeiterschutz auf diesen Gebieten umfassen.

Doch besteht zur Zeit, worauf wir bereits in der Botschaft vom 10. September

857 1937 über die Eevision der Wirtschaftsartikel hingewiesen haben, noch eine Lücke hinsichtlich der Landwirtschaft sowie in bezug auf die Arbeit ausserhalb von Industrie-, Gewerbe- und Handelsbetrieben, wie zum Beispiel im Hausdienst und teilweise in den Pflegeberufen. Dieser Mangel soll nunmehr durch den Art. 34ter der Vorlage über die neuen Wirtschaftsartikel behoben werden, der die Beschränkung auf bestimmte Betriebsarten («Fabriken») und Wirtschaftszweige («Gewerbewesen») fallen lässt und dem Bund allgemein die Gesetzgebungskompetenz für den Schutz der Arbeitnehmer einräumt.

Mit der Ausgestaltung des Arbeiterschutzes im herkömmlichen Sinne durch die Aufstellung von Bestimmungen über die Arbeitszeit, den Vertragsund Lohnschutz sowie den Gesundheitsschutz, wie er durch das Fabrikgesetz von 1877 eingeführt und seither durch zahlreiche Spezialgesetze weiter ausgebaut wurde, ist es jedoch nicht getan. Auf dem Gebiete des Arbeitsrechtes haben sich in den letzten Jahren tiefgreifende Wandlungen angebahnt -- es sei nur an die Stichworte Arbeitsfriede, Gesamtarbeitsvertrag, Allgemeinverbindlicherklärung, Betriebs- und Berufsgemeinschaft erinnert -- an denen der Verfassungsgesetzgeber nicht achtlos vorbeigehen darf. Die ganze Entwicklung unserer Zeit drängt darauf hin, das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer neu zu gestalten und durch eine Umgestaltung der Betriebsverfassung dem Arbeitnehmer eine festere und sicherere Stellung im Betriebe einzuräumen. Wenn diese Gedanken, die den arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt der Wirtschaft stellen wollen, auch nicht völlig neu sind und schon vor dem Kriege vertreten wurden, so haben doch erst die Kriegsjahre, die in allen kriegführenden Ländern eine unerhörte Anstrengung von den Arbeitenden aller Schichten verlangten, diesen Postulaten einen mächtigen Widerhall verschafft und in breiten Kreisen jene innere Bereitschaft erzeugt, die zur Schaffung eines neuen Arbeitsrechtes notwendig ist.

Während der ursprüngliche Text von Art. 34ter der neuen Wirtschaftsartikel in der Fassung vom 21. September 1939 den Bund ermächtigen wollte, «zum Schutze der Arbeitnehmer über die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung, sowie über die berufliche Ausbildung in Handel, Industrie und Gewerbe Bestimmungen aufzustellen», will die endgültige Fassung
vom 4. April 1946 den neuen Bestrebungen auf dem Gebiete des Arbeitsrechtes Baum gewähren. Der Bund soll danach die Befugnis erhalten, Bestimmungen aufzustellen : a. über den Schutz der Arbeitnehmer ; b. über das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, insbesondere über die gemeinsame Eegelung betrieblicher und beruflicher Angelegenheiten ; c. über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und von andern gemeinsamen Vorkehren von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zur Förderung des Arbeitsfriedens ; d. über den angemessenen Ersatz des Lohn- und Verdienstausfalles infolge Militärdienstes; i Bundesblatt. 98. Jahrg. Bd. III.

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858 e. über die Arbeitsvermittlung; /. über die Arbeitslosenversicherung und die Arbeitslosenfürsorge; g. über die berufliche Ausbildung in Industrie, Gewerbe, Handel, Landwirtschaft und Hausdienst.

Wie diese Gegenüberstellung zeigt, bietet der neue Art. 34ter eine viel umfassendere Grundlage für die Neugestaltung des Arbeitsrechtes als der von den Initianten vorgeschlagene summarische Absatz 6.

5. Zu Absatz 7: «Zur Durchführung dieser Grundsätze und zum Zwecke der Verhütung von Krisen und Arbeitslosigkeit erlässt der Bund die notwendigen Vorschriften, insbesondere über das Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft».

Diese Forderung der Initiative stimmt, mit Art. 31quinquies der neuen Wirtschaftsartikel überein, wonach der Bund in Verbindung mit den Kantonen und der privaten Wirtschaft Massnahmen zur Verhütung von Wirtschaftskrisen und nötigenfalls zur Bekämpfung eingetretener Arbeitslosigkeit trifft.

Die eidgenössischen Bäte haben denn auch bei der Formulierung dieser Bestimmung auf die beiden hängigen Initiativen Bücksicht genommen. Dabei besteht allerdings insofern ein grundsätzlicher Unterschied, als nach Ziffer 7 der Initiative der Bund vollkommen freie Hand hätte, welche Massnahmen er zur Verhütung von Krisen und Arbeitslosigkeit ergreifen will, wobei er weder an die Handels- und Gewerbefreiheit noch an,die Rechte der Kantone gebunden wäre, während sich, die Massnahmen auf Grund von Art. 31quinquies im Rahmen der übrigen Verfassungsbestimmungen halten müssen.

Über die Möglichkeiten zur Krisenverhütung und Arbeitsbeschaffung, die der neue Art. 31quinquies dem Bund einräumt, haben wir uns bereits einlässlich in unserem Berichte über die Initiative des. Landesringes betreffend «Recht auf Arbeit» geäussert, weshalb wir auf unsere dortigen Ausführungen verweisen.

IV. Zur Sozialisierung.

. 1. Die Elanwirtschaft, wie sie von den Initianten angestrebt wird, schliesst die Überführung gewisser Schlüsselpositionen der Wirtschaft in Gemeineigentum in sich. Die weit und unklar gefassten Absätze l und 2 der Initiative würden es jedenfalls erlauben, die Produktionsmittel, soweit sie sich heute in privaten Händen befinden, in Gemeineigentum überzuführen.

Darunter kann sowohl die Verstaatlichung im engern Sinne, d. h. die Überführung der Produktionsmittel in das Eigentum des Staates, wie. auch die
Organisation der Produktion und die Verteilung des Ertrages unter der Aufsicht der Allgemeinheit, d.h. die Sozialisierung, oder, wie man neuerdings sagt, die Nationalisierung der Wirtschaft verstanden werden. Ebenso wäre es möglich, die sozialisierten Wirtschaftszweige durch Genossenschaften verwalten zu lassen. Die «Neue Schweiz» lässt alle diese Möglichkeiten offen und sieht vor, dass z.B. die gemeinwirtschaftlichen Industrieunternehmungen je

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nach den Verhältnissen als Unternehmungen des Bundes, der Kantone oder der Gemeinden als eigene Selbstverwaltungskörper des öffentlichen Eechts oder aber als Genossenschaften betrieben werden sollen. Immerhin müsste.

im. Eahmen der Planwirtschaft der Staat bestimmenden Einfluss auf die Genossenschaften ausüben. Er könnte ihnen nicht die dem Einzelnen in der liberalen Wirtschaftsverfassung zukommende Freiheit zugestehen, ohne seine Zielsetzung zu gefährden, weshalb der genossenschaftliche Aufbau der Wirtschaft im Falle der Planwirtschaft im Grunde ein Sonderfall der Sozialisierung darstellt.

Anders verhält es sich mit den Genossenschaften, die sieh auf Grund des Privatrechts gebildet und auf dem Boden der Privatwirtschaft entwickelt haben. Die Genossenschaften, d. h. körperschaftlich organisierte PersonenVerbindungen, welche die Förderung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder in gemeinsamer Selbsthilfe bezwecken (OE Art. 828), ersetzen zwar die erwerbswirtschaftliche Produktionsweise, die auf Bechnung und Eisiko einzelner Unternehmer erfolgt, durch die genossenschaftliche. Sie erzielen keinen Unternehmergewinn irn eigentlichen Sinne des Wortes, sondern verwenden die erzielten Überschüsse im Interesse ihrer Mitglieder, sei es durch Verteilung an die Mitglieder, durch Senkung der Preise oder Gewährung anderer Vorteile, sei es zur Stärkung des gemeinsamen genossenschaftlichen Betriebes.

In dieser Hinsicht können auch die Genossenschaften als eine Form der «Gemeinwirtschaft» bezeichnet werden. Sie bleiben jedoch Gebilde des Privatrechts und unterliegen keiner zentralen Lenkung durch den Staat im Sinne der Planwirtschaft.

Im folgenden (Ziff. 3 und 4) sei kurz der Stand der öffentlichen Wirtschaft und des Genossenschaftswesens in der Schweiz dargestellt, woraus hervorgeht, dass in unserer grundsätzlich liberalen Wirtschaftsordnung in grossem Ausmass gemeinwirtschaftliche Elemente eingebaut worden sind. Deutlich wird dies namentlich, wenn wir unsere Verhältnisse mit denjenigen im Ausland vergleichen, weshalb wir vorerst einen Blick auf die Sozialisierungsbestrebungen im Ausland werfen möchten, die ja auch oft als angeblich mahnende Beispiele hingestellt werden (Ziff. 2).

2. Bis zum ersten Weltkrieg war die Sozialisierung lediglich Gegenstand theoretischer Erörterungen. Zum Gegenstand
praktischer Massnahmen wurde sie erstmals, im Gefolge der wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen des ersten Weltkrieges. Abgesehen von Eussland, das einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit vollzog und zur kollektivistischen Wirtschaft überging, wurden Anläufe zur Sozialisierung in Deutschland und Oesterreich gemacht, die sich jedoch auf die Einsetzung von Sozialisierungskommissionen und den Erlass von Gesetzen beschränkten, denen der praktische Erfolg versagt blieb.

Neuen Auftrieb erhielt der Gedanke der Sozialisierung erst nach dem zweiten Weltkrieg, wobei nicht nur die Überführung wichtiger Wirtschaftszweige in die Hand der Allgemeinheit, sondern auch eine vermehrte Planung der Wirtschaft angestrebt wird. Auch wenn wir von den unter russischem Einflnss

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stehenden Gebieten absehen, wo eine weitgehende Verstaatlichung beabsichtigt oder sogar schon durchgeführt ist, sind Sozialisierungsbestrebungen in zahlreichen Staaten Westeuropas am Werke.

In England wurde bald nach dem Wahlsiege der Arbeiterpartei die Bank von England verstaatlicht und die Verstaatlichung der Kohlengruben in Angriff genommen. Das Verstaatlichungsprogramm der Eegierung umfasst ausserdem die Zivilluftfahrt, den Telegraphenverkehr, die Elektrizitäts- und Gasindustrie, die Eisenbahnen und die mit ihnen im Zusammenhang stehenden Binnenschiffahrts- und Hafenbetriebe. Auch ein grosser Teil der Stahlindustrie soll nach einer kürzlich ergangenen Erklärung der Eegierung in den Kreis der Verstaatlichung einbezogen werden. Dagegen ist eine Verstaatlichung der Schiffahrt und des Versicherungswesens nicht beabsichtigt.

In Frankreich wurden bereits im Jahre 1944 die Eenault-Werke und die nordfranzösischen Kohlenzechen verstaatlicht. Im Dezember 1945 erging ein Gesetz über die Nationalisierung der Bank von Frankreich, der französischen Grossbanken und über die Organisation des Kredits. Ausser der Bank von Frankreich wurden die vier grössten Depositenbanken verstaatlicht, während die Handelsbanken unter ausgedehnte Kontrolle gestellt wurden.

Ausserdem liegt ein Projekt für die Nationalisierung der Elektrizitäts- und der Gasindustrie vor.

Bedeutend weiter in der Verstaatlichung gehen einzelne osteuropäische Staaten. In Jugoslavien wurde eine sozialisierte Planwirtschaft geschaffen, wobei nur noch der landwirtschaftliche Kleinbesitz, das Handwerk und das Kleingewerbe in privatem Eigentum stehen. In Ungarn erstreckt sich die Staatswirtschaft ausser auf die Kohlengruben auch auf die Erdöl- und Bauxitgewinnung. Ferner ist in Aussicht genommen, die drei Grosskonzerne ' der Eisen- und Maschinenindustrie für die Dauer von fünf Jahren -- solang Ungarn Reparationen zu leisten hat --, in staatliche Verwaltung zu nehmen.

In der Tschechoslovakei werden nicht nur die Bergwerke und die Energiewirtschaft, sondern auch grosse Teile der Metall-, der chemischen und der Textilindustrie, ferner grosse Teile der verarbeitenden Industrie und der Nahrungsmittelindustrie verstaatlicht. Ebenso ist in Polen zu Beginn dieses Jahres ein Gesetz betreffend die Übernahme der Hauptzweige der nationalen Wirtschaft in das
Eigentum des Staates ergangen, das die Sozialisierung der wichtigen Unternehmungen in fast allen Wirtschaftszweigen vorsieht, wobei der Staat die sozialisierten Unternehmungen in eigener Eegie führen oder einem Selbstverwaltungskörper oder einer Genossenschaft zur Betriebsführung übergeben kann. Gleichzeitig ist ein Gesetz über die Gründung neuer Industrien und die Förderung der Privatinitiative in Gewerbe und Handel erlassen worden.

Viel zurückhaltender sind die Sozialisierungspläne in den nordischen Staaten. So denkt man in Norwegen vor allem an eine Übernahme der Verkehrsanstalten, insbesondere der Küstenschiffahrt, durch den Staat, während das Beedereiwesen, das während des Krieges gemeinwirtschaftlich organisiert war, bereits wieder in die Hände der privaten Eéedereien zurückgegeben wurde.

861 Kürzlich wurde im Parlament auch die Verstaatlichung der Leichtmetallindustrie behandelt. Ähnlich liegen die Verhältnisse in Schweden, wo von der Regierung verschiedene Ausschüsse eingesetzt wurden, um die Möglichkeit und Zweckmässigkeit der Sozialisierung bestimmter Wirtschaftszweige zu prüfen.

Eine weitreichende Verstaatlichungsaktion ist neuerdings auch in Österreich im Gange. Dagegen ist uns aus Dänemark und Belgien nichts von Sozialisierungsabsichten bekannt geworden.

; Die Sozialisierungsbestrebungen im Ausland beruhen auf verschiedenen Überlegungen, die für die Schweiz nicht ohne weiteres massgebend sind. Dass in Ländern, die durch Krieg und Besetzung schwer gelitten haben, sich eine straffe Lenkung der Wirtschaft aufdrängt, um die Erzeugung der am dringendsten benötigten Produktionsmittel und Konsumgüter sicherzustellen, bedarf keiner nähern Begründung. In einzelnen Fällen hatte die Sozialisierung den Charakter einer Straf- oder Wiedergutmachungsmassnahme. Dies gilt beispielsweise für die entschädigungslose Verstaatlichung der Renault-Werke in Frankreich und für die Enteignung der ehemals in deutschen Händen sich befindlichen Unternehmungen in Polen. In der Hauptsache entspringen die Sozialisierungsbestrebungen bestimmten grundsätzlichen Erwägungen, die auf planwirtschaftlichen Gedankengängen beruhen, um dem Staat einen verstärkten Einfluss auf das Wirtschaftsleben im Interesse der Gesamtheit zu ermöglichen. Daneben mochten auch politische Erwägungen für Ausmass und Tempo der Sozialisierungsmassnahmen eine Rolle spielen.

In Frankreich und England sind zwar ziemlich umfassende Programme für die Sozialisierung bzw. Nationalisierung aufgestellt worden, die aber erst zum kleinsten Teil verwirklicht wurden. Für die Verstaatlichung des Kohlenbergbaues in England wurde vor allem geltend gemacht, dass sie der einzige Weg sei, um diesen wichtigen Industriezweig, der technisch in Rückstand geraten war, zu modernisieren und wieder konkurrenzfähig. zu machen.

Zu diesem Zwecke soll im Laufe der ersten fünf Jahre nach vollzogener Sozialisierung der Betrag von 150 Mili. Pfund (ca. 2,5 Milliarden Schweizer Franken) für die technische Neuausrüstung der Bergwerke zur Verfügung gestellt werden, ein Betrag, der von der Privatwirtschaft offenbar nicht erhältlich ist und daher nur vom Staat aufgebracht
werden kann. Ähnliche Überlegungen gelten für die Sozialisierung der Energiewirtschaft in Frankreich.

Die Entwicklung der Elektrizitäts- und Gasversorgung ist, was die Ausdehnung des Konsums anbelangt, ziemlich zurückgeblieben und noch in bedeutendstem Masse ausbaufähig, was auf dem Wege der Nationalisierung geschehen soll.

Ob sich die Sozialisierung im Ausland bewähren wird, steht noch aus.

Jedenfalls haben wir keinen Anlass, uns von diesen ausländischen Plänen unsere eigene Marschroute bestimmen zu lassen, umsoweniger als die öffentliche Wirtschaft in der Schweiz, wie nachstehend dargelegt werden soll, einen beachtenswerten Stand erreicht hat.

3. Die öffentliche Wirtschaft hat sich in der Schweiz im Vergleich zu andern Ländern sehr stark und frühzeitig entwickelt und zwar auf bedeutenden

862 Wirtschaftsgebieten. So igt für unser Land geradezu kennzeichnend eine weitgehende Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Körperschaften und ähnlicher Gebilde auf dem Gebiete des Bankwesens (Nationalbank, Eidgenössische Darlehenskasse, Kantonalbanken und zahlreiche Sparkassen von Gemeinden oder gemeinnützigen Organisationen). Ausschlaggebend ist ferner der Anteil der öffentlichen Wirtschaft im Verkehrswesen (Post, Telephon und Telegraph, Eisenbahnen, Strassenbahnen) sowie in der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung. Dazu kommt die Porstwirtschaft, das Salzmonopol und Alkohomonopol und eine bedeutende Tätigkeit auf dem Gebiete des Versicherungswesens (Gebäude-, Mobiliar- und die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung). Damit sind nur die wichtigsten Sektoren der öffentlichen Wirtschaft im engern Sinne genannt.

Wenn trotz der positiven Einstellung der Allgemeinheit zur öffentlichen Wirtschaft, die eigentliche Industriewirtschaft ausserhalb dieser Entwicklung geblieben ist, so liegt dies in der wirtschaftlichen Sonderstellung unseres Landes begründet. Die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten lagen für die Schweiz angesichts des Mangels von reichen Bodenschätzen im Ausbau einer ausgesprochenen Verarbeitungsindustrie. Die verarbeitende Industrie weist im allgemeinen eine geringere durchschnittliche Betriegsgrösse auf als die Bohstoffindustrie. So ergab sich schon hieraus die Aufteilung des schweizerischen Industriekörpers in eine grosse Anzahl relativ kleiner Betriebe, die sich für eine öffentliche Unternehmertätigkeit wenig eignen. Die Bewirtschaftung des einzigen in reichem Masse vorhandenen nationalen Eohstoffes, der Wasserkraft, bzw. die Elektrizitätserzeugung, steht -- wie bereits erwähnt -- weitgehend unter dem Einfluss der Öffentlichkeit. Die Verstaatlichung hat hier einen Grad erreicht, der seinesgleichen suchen dürfte.

Dank der bedeutenden Tätigkeit der öffentlichen Hand auf dem Gebiete des Bankwesens, mit der Eisenbahnverstaatlichung und dem Aufbau der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft ist der Staat in den Besitz wichtiger Schlüsselstellungen des gesamten Wirtschaftslebens gelangt, wobei sich in den letzten Jahrzehnten neben den kommunalen und kantonalen eine verstärkte Tendenz zu eidgenössischen, interkantonalen und gemischtwirtschaftlichen Unternehmungen geltend gemacht hat.
: Die Bedeutung der öffentlichen Wirtschaft und ihre weit fortgeschrittene Ausdehnung lässt sich im einzelnen auf sämtlichen der erwähnten Gebiete verfolgen. Um hier nur auf die wichtigsten etwas näher einzugehen, ist im Sektor des Bankwesens vor allem die Nationalbank zu nennen, deren Aktien sich zu 54 % im Besitze der Kantone und Kantonalbanken befinden. Dadurch und durch die weitgehenden Aufsichts- und Verwaltungskompetenzen des Bundes -- der Bund ernennt z. B. 25 von 40 Mitgliedern des Bankrates -- ist der Einfluss der Privataktionäre auf das Emissionsinstitut weitgehend beschränkt. Das zeigte sich u. a. bei der Aufteilung des Abwertungsgewinnes, der ausschliesslich der Eidgenossenschaft und den Kantonen zukam, wobei die Übergehung der Privataktionäre als selbstverständlich angesehen wurde.

863

Abgesehen von der Notenbank nehmen innerhalb des schweizerischen Bankensystems die Kantonalbanken, von denen fast alle reine Staatsinstitute sind, die wichtigste Stellung ein. Berücksichtigt man noch die Gemeindeinstitute und die Tatsache, dass Bund, Kantone oder Gemeinden bei 21 nicht staatlichen Bankunternehmen mit Kapital beteiligt sind (z.B. besitzt der Bund mehr als die Hälfte des Genossenschaftskapitals der Schweizerischen Volkstank), so berührt der staatliche und kommunale Einfluss im schweizerischen Bankwesen 51,9 % der fremden Gelder und 51,4 % der Bilanzsumme im Betrage von insgesamt 20 147 Millionen Franken der von der schweizerischen Bankstatistik 1944 erfassten bzw. dem Bankengesetz unterstellten Banken.

Wenn die erwähnten Bankinstitute fast durchwegs ihren Tätigkeitsbereich begrenzen und die mit der Finanzierung der Wirtschaft, z. B. des Aussenhandels, verbundenen Verlustrisiken \\ eitgehend den privaten Kreditinstituten überlassen, so tun sie das mit Absicht und vor allem zum Schutze der ihnen anvertrauten Kapitalien (z. B. Spargelder). Nicht zu übersehen ist des weitern, dass die Darlehenskasse der Eidgenossenschaft, sowie die Pfandbriefzentralen der Kantonalbanken und der privaten Hypothekarinstitute auf bundesrechtlicher Spezialgesetzgebung beruhen und dass das Bankengesetz vom 8. November 1934 indirekt die Tätigkeit der Banken beeinflusst.

; Die öffentliche Unternehmertätigkeit auf dem Gebiete des Verkehrswesens ist so allgemein bekannt, dass es sich erübrigt, hier näher darauf einzugehen. Seit Jahrzehnten sind Post-, Telephon- und Telegraphenwesen sowie die meisten Hauptbahnen an den Bund übergegangen. Aber auch die neben den schweizerischen Bundesbahnen bestehenden gemischtwirtschaftlichen oder privaten Bahnunternehmen (unter denen als die bedeutendsten die Lötschbergbahn, die Bhätische Bahn und die Bodensee-Toggenburgbahn zu nennen sind) haben zum grossen Teil infolge der ausschlaggebenden Kapitalbeteiligung von Kanton und Gemeinden tatsächlich den Charakter staatlicher Bahnen erhalten. Nachdem fast alle Strassenbahnen in ihren Anfangsstadien von privaten Gesellschaften finanziert und betrieben worden waren, sind heute die städtischen Strassenbahnen, Omnibus- und Trolleybusbetriebe zum grössten Teil Gemeindeunternehmen oder gemischtwirtschaftliche Betriebe, auf welche die
Gemeinden auf Grund ihrer finanziellen Beteiligung einen massgebenden Einfluss ausüben. Die von den Gemeinden selbst betriebenen öffentlichen Trambahnen (Basel, Bern, Biel, Lugano, Luzern, St. Gallen, Schaffhausen, Winterthur, Zürich) bewältigen rund drei Viertel des Verkehrs aller schweizerischen Trambahnen. -- In diesem Zusammenhang seien auch die Kompetenzen bzw. die Beteiligung des Staates auf dem Gebiete der Flußschiffahrt und des Luftverkehrs erwähnt. So hat der Bund nicht nur den Ausbau der Piheinhafenanlagen in Basel subventioniert, sondern sich auch an der Beederei AG. beteiligt. Was den Luftverkehr anbetrifft, hat sich bis jetzt der Staat darauf beschränkt, vor allem durch die Ausrichtung ,von Subventionen auf eine im allgemeinen Interesse liegende Entwicklung dieser Verkehrsart Einfluss zu nehmen. Die finanzielle Mitwirkung des Bundes

864

beim Ausbau der Zivilflugplätze wurde neuerdings durch die Bundesbeschlüsse vom 22. Juni 1945 und 18. Juni 1946 gesetzlich verankert. Auf Grund von Art. 37ter der Bundesverfassung, laut -welchem die Gesetzgebung über die Luftschiffahrt Sache des Bundes ist, kann dieser jedoch die Struktur des schweizerischen Luftverkehrs nicht nur durch Aufstellung von Flugplatzprogrammen beeinflussen, sondern er könnte auch, wie in der Botschaft vom 13. Februar 1945 über den Ausbau der Zivilflugplätze ausgeführt wird (Bundesbl.

1945, Bd. I, S. 183), den Betrieb der Luftverkehrsunternehmungen nötigenfalls selbst in die Hand nehmen oder durch finanzielle Beteiligung an den Gesellschaften dafür sorgen, dass der Luftverkehr einen möglichst grossen Nutzen für die Allgemeinheit bringt. Gegenwärtig sind Bestrebungen im Gange, die schweizerischen Luftverkehrsunternehmungen unter Beteiligung des Bundes und der Kantone zu einer einzigen nationalen Gesellschaft zusammenzuschliessen.

Da in der Schweiz die Elektrizitätserzeugung zum grössten Teil durch Wasserkraft erfolgt, üben Bund und Kantone bereits auf Grund der Bundesverfassung (Art. 24bl8 betreffend Nutzbarmachung der Wasserkräfte) und auf dem Wege über die Konzessionserteilung einen indirekten Einfluss auf die Elektrizitätswirtschaft aus. Darüber hinaus unterstehen die Erzeugung und Abgabe von elektrischer Energie dem direkten Einfluss der öffentlichen Hand durch die Errichtung von Elektrizitätswerken von Seiten öffentlicher Körperschaften oder deren massgebende finanzielle Beteiligung an den Werken.

Zeitlich haben sich zuerst die kommunalen Elektrizitätswerke entwickelt. Heute bedienen rund 600 Gemeindeunternehmen etwas mehr als die Hälfte der schweizerischen Bevölkerung. Später sind die grossen kantonalen und interkantonalen Elektrizitätsunternehmen entstanden, wie z.- B. die Freiburgischen Elektrizitätswerke, die Bernischen Kraftwerke, die St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke, die Nordostschweizerischen Kraftwerke, die Energie de l'OuestSuisse. Ausserdem verfügen die schweizerischen Bundesbahnen über eigene Elektrizitätswerke (in Eitoni, Amsteg, Göschenen, Vernayaz, Barberine, Trient und Massaboden). Auch die Elektrizität, die einen unserer bedeutendsten Eohstoffe darstellt, untersteht somit dem massgebenden Einfluss der öffentlichen Hand, deren Unternehmen
rund drei Viertel der Bevölkerung mit elektrischer Energie versorgen und auf die über 60 % der in den Elektrizitätswerken der allgemeinen Versorgung investierten Kapitalien (1943: 693 Mili. Fr.

von insgesamt 1118 Mili. Fr.) entfallen. Die privaten Gesellschaften haben in der ersten Zeit der Elektrizitätserzeugung wertvolle Pionierarbeit geleistet.

Heute betätigen sie sich weniger auf dem Gebiete der Energieversorgung (nur 13 % der Bevölkerung werden direkt von privaten Unternehmen bedient) als auf dem der Energieerzeugung (oft für den eigenen Bedarf, z. B. die elektrochemischen Unternehmungen) und des Energieexportes.

Die Gaswerke, deren Gründung hauptsächlich privater Initiative zu verdanken ist, sind im Laufe der Zeit mehr und mehr in die Hand der Gemeinden übergegangen und stehen heute sozusagen vollständig unter öffentlicher Kontrolle. Bund 90 % der Gasproduktion erfolgt in kommunalen Werken.

865.

Auch die Wasserversorgung ist fast durchwegs in den Händen der Gemeinden. Private Unternehmungen sind nur etwa in ländlichen Gegenden: anzutreffen und arbeiten meist auf gemeinnütziger Basis.

Erwähnenswert, besonders in den letzten Jahren, ist auch die Förderung des Wohnungsbaues durch staatliche Subventionen. Während unmittelbar vor Kriegsausbruch nahezu 100% aller Wohnungen ohne öffentliche Hilfe erstellt wurden, betrug die Zahl der staatlich subventionierten bereits 1945 über 64 % aller Neuwohnungen. Unter dem Einfluss der Baukostenteuerung weist diese Zahl weiterhin stark ansteigende Tendenz auf. In entsprechender Weise sind die Aufwendungen der Öffentlichkeit ständig im Zunehmen begriffen. Allein im laufenden Jahre werden die Beitragszusicherungen des Bundes sowie der Kantone und Gemeinden schätzungsweise 80 bis 100 Mil-: lionen Franken betragen.

Auch auf dem Gebiete der Urproduktion besitzt der Staat wesentlichen Anteil. Dies gilt in erster Linie für die Forstwirtschaft. 72 % der rund, l 004 000 Hektaren messenden Waldfläche, d. h. rund 720 000 Hektaren gehören der öffentlichen Hand (67 % davon sind Eigentum von Gemeinden und Korporationen). Ferner erfolgt die Salzversorgung der Schweiz fast ausschliesslich durch eine interkantonale öffentliche Unternehmung, die Vereinigten Schweizerischen Rheinsalinen, deren Aktien sich ausschliesslich im.

Besitze der Kantone befinden. Eine Ausnahme bildet der Kanton Waadt, der sich noch heute durch die von ihm konzessionierte Société vaudoise des Mines et Salines de Bex versorgen lässt. Die Kantone haben somit dem seit alters her bestehenden Salzhandelsmonopol das ausschliessliche Eecht der Salzgewinnung angegliedert. Auch die Alkoholgesetzgebung des Bundes ist hier zu erwähnen (BV Art. 32bls, 32ter und 32«uater, Alkoholgesetz vom ·21. Juni 1982), die nicht nur eine Verminderung des Branntweinverbrauchea bewirkte, sondern auch eine wertvolle Grundlage für die rationelle Verwertuno der Obst- und Kartoffelernte darstellt.

Auch auf dem Gebiete des Versicherungswesens übt der Staat einen bemerkenswerten Einfluss aus. Abgesehen von der Sozialversicherung (Krankenund Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung, der Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenversicherung), auf die im Kap. III bereits eingegangen wurde, sind hier die 18 kantonalen
Brandversicherungsanstalten und die staatlichen Mobiliarversicherungen in einzelnen Kantonen (Nidwaiden, Glarus und Waadt) zu nennen; In diesem Zusammenhang ist aber auch der indirekte Einfluss zu.

erwähnen, den der Staat auf die privaten Versicherungseinrichtungen durch seine Kontrolle auf Grund des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens ausübt.

Schon dieser kurze Überblick zeigt, dass die öffentliche Wirtschaft in der Schweiz sich nach und nach entwickelt und sich im Laufe der Jahrzehnte auf verschiedenen wichtigen Wirtschaftsgebieten organisch ausgebreitet hat, so dass sie beinahe zur Selbstverständlichkeit geworden ist, die kaum noch

866 beachtet wird. Diese organische Entwicklung, die noch keineswegs als abgeschlossen betrachtet werden muss, hat nicht nur zu einem den jeweiligen Erfordernissen angepassten Gleichgewicht zwischen dem staatlichen und privaten Sektor geführt, sondern auch zu einer entsprechenden Teilung der Aufgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden. Während den Gemeinden in erster Linie die sich auf das kommunale Gebiet beschränkenden Versorgungsbetriebe gehören (Gas- und Wasserwerke, lokale Elektrizitätswerke), ferner Strassenbahnen und lokale Sparkassen, betätigen sich Bund und Kantone vornehmlich auf den über lokale Grenzen hinausgreifenden Gebieten des Bankwesens, des Verkehrswesens und der Elektrizitätswirtschaft.

Eine ähnliche Mannigfaltigkeit wie in bezug auf die Träger der öffentlichen Wirtschaft ist hinsichtlich der Form der öffentlichen Unternehmungen festzustellen. Neben den reinen Verwaltungsbetrieben und den verselbständigten öffentlichen Unternehmungen finden sich auch öffentliche Unternehmungen in privatrechtlicher Form und gemischtwirtschaftliche Unternehmungen.

Die Bedeutung der öffentlichen Wirtschaft wurde auch im neuen Obligationenrecht berücksichtigt. So kann bei Unternehmungen, an denen Körperschaften des öffentlichen Hechtes, wie Bund, Kanton, Bezirk oder Gemeinde, ein öffentliches Interesse besitzen, der Körperschaft, in den Statuten einer Aktiengesellschaft das Eecht eingeräumt werden, Vertreter in die Verwaltung und die Kontrollstelle abzuordnen, auch wenn sie nicht Aktionär ist. Analoge Bestimmungen gelten auch für Genossenschaften, an denen Körperschaften des öffentlichen Bechtes ein öffentliches Interesse besitzen (vgl. OE Art. 762 und 926). Anderseits kommen auf Gesellschaften und Anstalten, ; wie Banken.

Versicherungs- und Elektrizitätsunternehmen, die durch besondere kantonale Gesetze gegründet worden sind,, unter bestimmten Voraussetzungen die Beatimmungen über die Aktiengesellschaft auch dann nicht zur Anwendung.

wenn das Kapital ganz oder teilweise in Aktien zerlegt ist und unter Beteiligung von Privatpersonen aufgebracht wird (OE Art. 763). So trägt auch das Privatrecht der öffentlichen Wirtschaft Eechnung und gestattet ihr .die Möglichkeit einer weitern organischen Entwicklung.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass diejenigen Länder, deren Verhältnisse den unsrigen
einigerrnassen ähnlich sind, noch einiges nachzuholen haben dürften, bis der in der Schweiz schon heute vorhandene Grad der Beteiligung der öffentlichen Hand an der Wirtschaft erreicht sein wird.

Eine Überführung weiterer Wirtschaftszweige in die Hand der Allgemeinheit könnte in der Schweiz nur in Frage kommen, wenn sie im Interesse des Gesamtwohles unerlässlich ist. Dabei müsste in jedem einzelnen Falle der Nachweis geleistet werden, dass die Verstaatlichung einer sachlichen Notwendigkeit entspricht, weil die Privatwirtschaft nicht oder nur in .geringerem Masse in der Lage ist, den Bedürfnissen der Allgemeinheit zu dienen. Die Initianten haben nicht einmal versucht den Nachweis zu erbringen, dass eine Notwendigkeit bestehe, bestimmte Wirtschaftszweige, in die Hand des Staates zu legen. Sie

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postulieren die Verstaatlichung auf Grund einer Theorie, welche glaubt, gewisse Schäden, die unserem Wirtschaftssystem anhaften, nur durch die Abschaffung dieses Systems beheben zu können.

Auf keinen Fall könnten wir dazu Hand bieten, dem Bund gleichsam eine Blankovollmacht für Sozialisierungsmassnahmen in die Hände zu spielen.

Die Initiative geht in dieser Hinsicht viel weiter als die. Massnahmen des Auslandes, wo der Kreis der in Gemeineigentum zu überführenden Wirtschaftszweige genau umschrieben wird. Wenn im Kommentar zur Initiative angedeutet wird, man denke vorläufig nur an die Verstaatlichung der Grosshanken, der Versicherungsgesellschaften und der Grossindustrie, so ist dies für die Beurteilung des vorgeschlagenen Verfassungstextes nicht massgebend.

Entscheidend ist nicht, wie mehrfach erwähnt, welches die Absichten der Initianten sind oder was sie heute als ihre Absichten bekanntgeben, sondern die objektive Tragweite, die einer solchen Bestimmung innewohnt. Gestützt auf die Ziffern l und 2 der Initiative könnte der Bund jeden Wirtschaftszweig übernehmen und ihn auf dem Wege der Gesetzgebung, ja sogar durch dringlichen Bundesbeschluss verstaatlichen. Eine solche Möglichkeit müsste jede Privatinitiative lahmen, da die Unternehmer in keinem Wirtschaftszweige sicher wären, wann die Reihe der Verstaatlichung an sie käme, so dass sie auf jede Verbesserung der bestehenden Anlagen und jede Neuinvestition verzichten würden. Wenn ferner die Sozialisierung nicht nur die Überführung der Produktionsmittel in die Hände der Allgemeinheit gleichsam um ihrer selbst willen bezweckt, sondern vielmehr das Recht auf Arbeit gewährleisten und die Sicherang der Existenz sowie die «gerechte Entlöhnung» ermöglichen soll, so muss demgegenüber darauf aufmerksam gemacht werden, dass die dadurch bedingte allgemeine Erhöhung der Löhne notgedrungen mit einer Herabsetzung des Entgeltes für Qualitätsleistungen verbunden ist, .da schliesslich das Realeinkommen der Gesamtheit der Arbeitnehmer nicht durch den Staat beliebig festgesetzt werden kann, sondern weitgehend vom Gang der Wirtschaft abhängig ist. Insofern der Sozialisierung also die Tendenz zur Gleichmacherei und Nivellierung der Löhne innewohnt, hätte sie auch auf die Aufrechterhaltung der für unser Land so wichtigen Qualitätsarbeit eine nachteilige Wirkung.
4. Auch das Genossenschaftswesen hat in der Schweiz eine höchst beachtenswerte Ausdehnung auf den verschiedensten Wirtschaftsgebieten erreicht.

Ende 1945 waren im schweizerischen Handelsregister rund 12 000 Genossenschaften eingetragen. Davon entfällt ein namhafter Teil, nämlich rund 7000, auf die landwirtschaftlichen Genossenschaften. Es sind das rund 3000 Milchverwertungsgenossenschaften mit über 100000 Mitgliedern, 1600 Viehzuchtgenossenschaften mit rund 60 000 Mitgliedern, annähernd: 1000 landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaften mit schätzungsweise 90 000 Mitgliedern, 805 Raiffeisenkassen mit 79 000 Mitgliedern und einer Bilanzsumme von 920 Millionen Franken (inkl. Zentralkasse), sowie 900 andere landwirtschaftliche Genossenschaften.

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Die zweite grosse Gruppe von Genossenschaften bilden in der Schweiz die Konsumgenossenschaften, deren Ende 1945 auf Grund der Eintragungen im Handelsregister über 900 gezählt wurden. Eund 550 Genossenschaften mit rund 480 000 Mitgliedern sind dem Verband schweizerischer Konsumvereine (V. S. K.) angeschlossen. Die Lieferungen dieses Verbandes an die Mitgliedervereine beliefen sich 1945 auf einen Betrag von rund 289 Millionen Franken, der Umsatz der Verbandsvereine selbst erreichte die Summe von 470 Millionen Franken. Der sich aus diesem Umsatz ergebende Eeinüberschuss betrug rund 30 Millionen Franken, die Eückvergütung an die Konsumenten 28 Millionen Franken. In über 1000 Gemeinden führen diese Verbandsvereine rund 2500 Verkaufsläden mit über 10 000 Angestellten. -- Der V. S. K. hat es auch unternommen, gewisse Zweige der Produktion selbst zu organisieren. Er hat es dabei unterlassen, selbst die Eigenproduktion in grösserem Umfang aufzunehmen, sondern hat es vorgezogen, die Produktion juristisch autonomen Gebilden, den sogenannten Zweckgenossenschaften, zu übertragen. Diese Zweckgenossenschaften stehen allerdings sowohl personell wie finanziell mit dem Verband in engen Beziehungen. Es sind hier zu nennen : Die Mühlengenossenschaft schweizerischer Konsumvereine, die Minoterie coopérative du Léman, die Schuh-Coop, die Genossenschaftliche Zentralbank, ferner die Möbel-Genossenschaf t Basel, Zigarrenfabrik Menziken, Fabrique coopérative de Pâtes alimentaires (F. G. P. N.) Noiraigue, «St. Johann» Lagerhaus und Schiffahrtsgesellschaft Basel, Schweizerische Genossenschaft für Gemüsebau (SGG), Milch-Einkaufsgenossenschaft schweizerischer Konsumvereine (MESK), Versicherungsanstalt schweizerischer Konsumvereine (VA S K) und die Coop-Lebensversicherungsgenossenschaft. In diesem Zusammenhang ist auch die starke finanzielle Beteiligung des V.S.K. an der Bell AG. zu erwähnen. --- Ausser dem Verband schweizerischer Konsumvereine ist der Verband ostschweizerischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (VOL G) als weitere bedeutende genossenschaftliche Organisation, die sowohl die Interessen der Konsumenten wie der landwirtschaftlichen Produzenten wahrt, besonders zu nennen. Dieser Verband umfasste 1945 386 Genossenschaften mit 26 000 Mitgliedern. Von den 336 Genossenschaften sind 247 Konsumgenossenschaften, die
zusammen 469 Verkaufsläden betreiben. Der Umsatz des Verbandes belief sich auf rund 127 Millionen Franken (1945), derjenige der Mitgliedergenossenschaften auf rund 95 Millionen Franken (1943). Ferner sind 43 Genossenschaften mit 110 Verkaufsläden und einem Umsatz von rund 10 Millionen Franken im katholischen Konsumgenossenschaftsverband «Konkordia» zusammengeschlossen. Des weitern waren Ende 1945 dem in diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnenden Migros-Genossenschafts-Bund 11 Genossenschaften angeschlossen mit rund 133000 Mitgliedern und einem Umsatz von 85 Millionen Franken.

Wenn auch der Anteil der konsumgenossenschaftlichen Warenvermittlung am Gesamtumsatz des schweizerischen Detailhandels kaum genau festgestellt werden kann, so dürfte doch aus den obigen Zahlen hervorgehen, dass die

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Konsumgenossenschaften auf diesem Gebiete einen einflussreichen Faktor darstellen.

Ausser den landwirtschaftlichen Genossenschaften und den Konsumgenossenschaften sind als ·weitere Genossenschaftsgruppen zu erwähnen, die über 500 Bau- und Wohngenossenschaften. Von diesen sind besonders die 150 gemeinnützigen, dem Schweizerischen Verband für Wohnungswesen angeschlossenen Baugenossenschaften von Bedeutung, die heute insgesamt rund 21 000 Wohnungen verwalten dürften. Auf dem Gebiete des Bauwesens haben sich auch 24 Produktionsgenossenschaften zu einem Verband, dein Schweizerischen Verband sozialer Baubetriebe, zusammengeschlossen. Des weitern ist zu erinnern -- um nur die für die Allgemeinheit wichtigeren und zahlenmässig bedeutenderen Gruppen zu nennen -- an die Wasserversorgungsgenossenschaften, die Blektrizitäts- und Gasversorgungsgenossenschaften,, die Versicherungsgenossenschaften (z. B. die Schweizerische Mobiliar-Versicherungsgenossenschaft) und die neben den bereits erwähnten Eaiffeisenkassen bestehenden Sparkassen- und Kreditgenossenschaften (von denen die grösste die Schweizerische Volksbank, für 1945 eine Bilanzsumme von 792 Millionen Franken verzeichnete).

Schon aus diesem kurzen Überblick geht hervor, dass unser Land sicher mit Becht als eines der genossenschaftsreichsten bezeichnet werden kann.

Diese Entwicklung -- die vor allem auf dem Gebiete des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens in der Gemeinschaftsidee der alten Eidgenossenschaft wurzelt -- hat sich in der neueren Zeit im Bahmen unserer auf individualistischer Bechtsgrondlage beruhenden Wirtschaftsverfassung vollzogen.

Es wäre an sich denkbar, den Genossenschaftsgedanken zu verallgemeinern und sich eine Wirtschaft vorzustellen, in welcher die Genossenschaft auf dem Wege der freien Entwicklung die ausschliessliche oder wenigstens die vorherrschende Unternehmungsform wäre. In der Tat liegen gewisse Bestrebungen in der Bichtung des sogenannten « Genossenschaftssozialismus» vor. Die Bundesverfassung würde einer solchen Entwicklung keine Schranke setzen, da sich die Genossenschaften gestützt auf Art. 31 der Bundesverfassung frei entwickeln konnten und sich auch in Zukunft werden frei entwickeln können, wie ihnen dies durch Art. 8l1118, Abs. 5, der neuen Wirtschaftsartikel ausdrücklich gewährleistet wird. Wir glauben jedoch
kaum, dass das Genossenschaftswesen die gesamte wirtschaftliche Bedarfsbefriedigung und Arbeitsbeschaffung, insbesondere auf dem Gebiete der Aussenwirtschaft zu übernehmen vermöchte, da seiner Entwicklung, wie die Erfahrung gezeigt hat, natürliche Grenzen gesetzt sind.

V. Planung und Koordination der wirtschaftlichen Massnahmen.

1. Wie wir bereits dargelegt haben, ist eine zentrale Lenkung des Wirtschaftsprozesses mit der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht vereinbar. Dies schliesst indessen nicht aus, dass der Staat auf den Gebieten, in denen er regulierend oder helfend eingreift, von einer Wirtschaft-

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liehen Gesamtkonzeption ausgeht und die zu treffenden Massnahmen aufeinander abstimmt. Das Bedürfnis nach einer vermehrten Planung und einer engeren Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft, namentlich im Hinblick auf eine bessere Koordination der auf den verschiedenen Gebieten ergriffenen wirtschaftspolitischen Massnahmen, hat sich schon seit Jahren geltend gemacht. Der Bundesrat war immer bestrebt, die wichtigen wirtschafts- und sozialpolitischen Massnahmen in enger Fühlung mit Vertretern der Wirtschaft vorzubereiten. Diesem Zweck dienten vornehmlich die Einsetzung von Expertenkommissionen zur Beratung bestimmter Gesetzesvorlagen sowie die Einberufung von Wirtschaftskonferenzen mit Vertretern wirtschaftlicher Spitzenverbände. Der Bundesrat hatte seinerzeit durch Beschluss vom 11. Juni 1933 das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement auf dessen Antrag hin ausdrücklich ermächtigt, zur Besprechung aktueller Fragen der Wirtschaftspolitik und zur regelmässigen Fühlungnahme mit den schweizerischen Wirtschaftskreisen Wirtschaftskonferenzen und Expertenkommissionen einzuberufen. Wir erinnern insbesondere an die im Oktober 1936 eingesetzte begutachtende Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung, die ein umfassendes Wirtschaftsprogramm für die Gestaltung der schweizerischen Wirtschaft nach der Abwertung aufstellte und Vorschläge für die Bevision der Wirtschaftsartikel ausarbeitete, welche die Grundlage für die Vorlage-vom 10. September 1937 über die Bevision der Wirtschaftsartikel bildeten. Ausserdem wurden vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement verschiedene begutachtende Kommissionen mit ständigem Charakter eingesetzt, so die Preisbildungskommission und die Kommission für Kojtjunkturbeobachtung, denen später die Preiskontrollkommission, die Gewerbekommission und die Lohnbegutachtungskommission folgten.

2. Diesem Vorgehen haften indessen, wie bereits in der Botschaft vorn 12. November 1935 über die wirtschaftlichen Notmassnahmen festgestellt wurde1), einige Mängel an. Die einzelnen Fachkommissionen bearbeiten ihrer Zweckbestimmung nach nur bestimmte Sachgebiete und stehen unter sich in keiner nähern innern Verbindung, und auch die Wirtschaftskonferenzen, die jeweils von Fall zu Fall mit wechselnden Teilnehmern einberufen wurden, behandelten in der Begel ebenfalls nur Einzelfragen. Aus dieser
Sachlage heraus entstand schon vor Jahren der Gedanke der Schaffung eines Wirtschaftsrates oder einer Wirtschaftskommission, die mit einer gewissen Kontinuität das wirtschaftliche Geschehen verfolgen und sich über die wichtigsten Fragen begutachtend aussprechen sollte. In dieser Bichtung bewegte sich die Motion Scbmid-Zürich vom 3. Oktober 1930, die vom Nationalrat am 15. Juni 1932 in folgender Form als Postulat angenommen wurde: Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob nicht die Schaffung eines kleinen Wirtschaftsrates vorzubereiten sei, der als Begutachter des Bundes dienen sollte, in welcher Eigenschaft ihm alle wichtigen Wirtschaftsangelegenheiten zur Prüfung vorgängig ihrer Erledigung durch die *) Bundesblatt 1985, Bd. II, Seite 533 ff.

871 zuständigen Behörden zu unterbreiten seien. Er sollte als Führerorgan für die private Wirtschaftstätigkeit wirken mit dem Zweck, planmässigere Zusammenarbeit unter den Berufsständen herbeizuführen.

In Ausführung dieses Postulates schlug der Bundesrat in der bereits erwähnten Botschaft über die wirtschaftlichen Notmassnahmen vom 12. November 1935 die Ernennung einer eidgenössischen Wirtschaftskommission mit begutachtendem Charakter vor. Diese Kommission hätte aus 17 bis 21 vom Bundesrat bezeichneten Vertretern der Industrie, des Gewerbes, der Landwirtschaft, des Handels, des Verkehrs, des Banken- und Versicherungswesens, der Angestellten und Arbeiter sowie der Wissenschaft bestehen sollen, mit der Aufgabe, diejenigen wirtschaftlichen Fragen zu begutachten, die ihr vom Bundesrat oder seinen Departementen unterbreitet werden. Trotzdem- der Bundesrat die Schaffung einer solchen vorab für die Krisenzeit bestimmten Kommission zunächst als blossen Versuch bezeichnete und sich für die Zu.kunft nicht binden wollte, lehnten die eidgenössischen Räte diesen Vorschlag ab1).

Der Gedanke wurde während der Kriegsjahre erneut aufgenommen und fand seinen Niederschlag in folgenden Motionen und Postulateli in den eidgenössischen Räten: Motion Wey vom 2. Juni 1942, vom Nationalrat am 9. Dezember 1942 iii nachstehender Form als Postulat angenommen: Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob es nicht angebracht wäre, auf Grund seiner ausserordentlichen Vollmachten 1. eine wirtschaftliche Planungsstelle und als deren konsultatives Organ eine eidgenössische Wirtschaftskommission ins Leben zu rufen; 2. dieser den Auftrag zu erteilen zur Schaffung eines kriegswirtschaftlichen Gesamtprogramm.es und zur Vorbereitung der Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Nachkriegsprobleme.

Postulat Gut vom 31. März 1943, vom Nationalrat am 7. April 1943 angenommen (inzwischen abgeschrieben) : Die politischen Aufgaben, die der Übergang von der Kriegs- zur Friedenszeit und die Nachkriegszeit stellen werden, bedürfen der geistigen Vorbereitung. Dabei wird es sich vor allem auch um die Einigung auf eine Rangordnung mit bezug auf die Wertigkeit und Dringlichkeit der vielerlei Anregungen handeln, die in der Öffentlichkeit, bereits Gegenstand von lebhaften Erörterungen sind, ferner um die Frage der finanziellen Tragbarkeit.

.. i Es
erscheint somit wünschbar, vor allem die für die nähere Zukunft als wesentlich erachteten Aufgaben .grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang der allgemein wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Gesichtspunkte erörtern zu können.

1 ) Stenographisches Bulletin Nationalrat 1936, Seite 1213, Ständerat 1936, Seite 326.

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Der Bundesrat wird deshalb eingeladen, den Eat in der nächsten Session im Sinne einer Übersicht über seine Einstellung zu den seines Erachtens im Vordergrund stehenden Zukunftsaufgaben mündlich zu orientieren.

Postulat Weber vom 9. Juni 1943, vom Nationalrat am 22. Juni 1943 angenommen: Die produktiven Kräfte unserer Volkswirtschaft haben in den letzten Jahren einen starken Ausbau erfahren. Bei zweckmässiger wirtschaftlicher Organisation wird es möglich sein, die Störungen, die sonst beim Aufhören, der Produktion für den militärischen Bedarf und bei der Neugestaltung der aussenwirtschaftlichen Beziehungen nach dem Kriege einzutreten drohen, zu vermeiden1 und den Ertrag unserer Volkswirtschaft bedeutend zu steigern, so dass, bei gerechter Verteilung, die Lebenshaltung unseres Volkes beträchtlich gehoben werden kann. .

Der Bundesrat wird eingeladen, die Frage .zu prüfen und -- eventuell nach Konsultierung einer Expertenkommission -- darüber Bericht zu erstatten, was geschehen kann, 1. um die Umstellung von der Kriegswirtschaft auf die Friedenswirtschaft durch planmässige Zusammenarbeit der massgebenden Wirtschaftskreise und der Behörden möglichst reibungslos zu bewerkstelligen; 2. um den weitern Ausbau der vorhandenen Produktivkräfte zu fördern; 3. um durch planmässige Lenkung unserer Volkswirtschaft möglichst allen verfügbaren Arbeitskräften geeignete Beschäftigung zu bieten.

Postulat Weber vom 21. März 1945, vom Nätionalrat am 6. Juni 1946 ^angenommen : Die Schwierigkeiten in bezug auf die Landesversorgung mit Nahrung und Eohstoffen und die Beschäftigung aller Arbeitskräfte nach Beendigung des Krieges erfordern eine Konzentration und einen planmässigen Einsatz aller wirtschaftlichen Kräfte. In den meisten andern Ländern sind in dieser Eichtung schon Vorbereitungsarbeiten an die Hand genommen und Pläne ausgearbeitet worden. Die Schweiz darf nicht zurückbleiben, wenn sie ihre Stellung in der Weltwirtschaft behaupten und festigen will.

Der Bundesrat wird daher ersucht, folgende Fragen zu prüfen und gegebenenfalls Beschluss zu fassen bzw. den eidgenössischen Bäten Bericht und Antrag zu unterbreiten: 1. Einführung einer periodisch durchzuführenden allgemeinen Produktionsstatistik.

, ·2. Einsetzung einer allgemeinen Wirtschaftskommission als begutachtendes Organ der Behörden, die sich insbesondere
mit der Koordination der wirtschaftlichen Interessen und der zentralen Wirtschaftslenkung zu befassen hat.

3. Förderung der Umstellung von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft.

4. Aufstellung eines Plans für den Ausbau der produktiven Kräfte unseres Landes.

873 Diese Postulate wurden zwar noch während des Krieges eingereicht und beziehen, sich in erster Linie auf den Übergang von der Kriegs- zur Nachkriegswirtschaft. Ihnen gemeinsam ist das Verlangen nach einer Planung der wirtschaftlichen und sozialen Nachkriegsprpbleme, wobei die Motion Wey vom 9. Dezember 1942 und das Postulat Weber vom 6. Juni 1946 ausdrücklich die Einsetzung einer Wirtschaftskommission als begutachtendes Organ verlangen, das ein wirtschaftliches Gesamtprogramm auszuarbeiten und die wirtschaftlichen Massnahmen zu koordinieren hätte. .

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; Einen: solchen Plan besitzen wir, allerdings nur für ein Teilgebiet, im Arbeitsbeschaffungsplan, den der Delegierte für Arbeitsbeschaffung auf Grund des Bundesratsbeschlusses vom 29. Juli 1942 aufgestellt hat, wobei sowohl der Koordination der zu ergreifenden Massnahmen innerhalb der Bundesverwaltung; wie auch der Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsbeschaffungsstellen des Bundes und der privaten Wirtschaft einerseits und den Kantonen andererseits die grösste Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dieser Arbeitsbeschaffungsplan ist zugleich ein Beispiel für eine Planung, die ihr Ziel unter Wahrung der Souveränität der Kantone, der Autonomie der Gemeinden und der Handels- und Gewerbefreiheit zu erreichen sucht und an den guten Willen und die verständnisvolle Mitarbeit aller Beteiligten appelliert.

Es ist durchaus möglich, eine solche Planung und Koordination unter Mitwirkung der Beteiligten auch auf andern Gebieten, wie z. B. in der Landwirtschaft oder im Detailhandel, anzustreben. Auch die Einsetzung einer allgemeinen Wirtschaftskommission, wie sie der Bundesrat schon einmal im Jahre 1935 vorgeschlagen hat, kann erneut in Erwägung gezogen werden.

Sofern es sich dabei lediglich urn ein begutachtendes Organ handelt, ist hiefür keine neue Verfassungsbestimmung erforderlich, da der Bundesrat und seine Départemente gestützt auf den bereits in der Verfassung von 1848 enthaltenen Art. 104 befugt sind, für besondere Geschäfte Sachverständige beizuziehen; Darin liegt ohne Zweifel auch die Befugnis, ein Kollegium von Sachverständigen regelmässig zu begrüssen. Freilich wird man sich darüber klar sein müssen, dass alle diese Massnahmen zur Planung und Koordinierung in unserm föderalistisch aufgebauten Bundesstaat mit seinen vielgestaltigen Verhältnissen
unvergleichlich viel schwieriger durchzuführen sind als in einem zentralisierten Einheitsstaat.

VI. Schlussbemerkungen.

Wir wollen gar nicht in Abrede stellen, dass der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung gewisse Mängel anhaften. Die Initianten glauben diese Mängel nur beheben zu können durch eine Aufhebung des bisherigen Wirtschaftssystems und dessen, Ersetzung durch eine staatlich gelenkte Planwirtschaft. Wir bezweifeln, ob die von den Initianten in Aussicht genommene Wirtschaftsordnung fähig wäre, diese Mängel zu beseitigen. Selbst wenn dies möglich wäre, müssten die damit erreichten Vorteile mit Ereiheitsbeschränkungen erkauft werden.

durch welche die Vorteile mehr als aufgewogen würden. Demgegenüber sind Bundesblatt. 98. Jahrg. Bd. III.

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874 ·wir der festen Überzeugung, dass auch im Eahmen der gegenwärtig bestehenden Wirtschaftsordnung diese Mängel, wenn nicht völlig beseitigt, so doch weitgehend gemildert werden können. Die bisher in unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik befolgten Eichtlinien haben sich denn auch im allgemeinen nicht schlecht bewährt. Insbesondere steht fest, dass die Reallöhne in der Schweiz vor dem Kriege während längerer Zeit andauernd gestiegen sind und nach einer vorübergehenden Senkung während des Krieges den Vorkriegsstand wieder erreicht und teilweise sogar überschritten haben. Auch international gesehen darf der Lebensstandard, den das Schweizervolk im Eahmen der bisherigen Wirtschaftsordnung erreicht hat, als günstig bewertet werden. Dass in den fünf Jahrzehnten, die seit der Einreichung der ersten Initiative der sozialdemokratischen Partei zur Sicherung dés Rechtes auf Arbeit im Jahre 1893 vergangen sind, gewaltige Fortschritte auf sozialem und kulturellem Gebiete erzielt worden sind, wird übrigens auch vom Kommentar zur Initiative zugegeben. Wir sehen deshalb keinen Grund, den bisher beschrittenen Weg der organischen Entwicklung zu verlassen und uns auf eine Bahn zu begeben, welche, wenn die im Wortlaut der Initiative enthaltenen Möglichkeiten voll ausgeschöpft würden, zu einer völligen Umgestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Struktur unseres Landes führen müsste. Auch bei den besten Absichten der Initianten könnte sich leicht die vorgeschlagene Verfassungsrevision als ein Teil von jener Kraft erweisen, die das Gute will, aber das Böse schafft.

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·" Soweit die Initiative Ziele verfolgt, die sich im Rahmen der geltenden Wirtschaftsordnung verwirklichen lassen, ist sie überflüssig, da die verfassungsmässigen Grundlagen bereits vorhanden sind. Soweit sie jedoch darüber hinausgeht, müssen wir sie mit aller Entschiedenheit ablehnen. Aus den bereits erörterten Gründen ist es nicht notwendig, der Initiative einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Die .neuen Wirtschaftsartikel bilden eine ausreichende Grundlage, um alle gerechtfertigten Änderungen an unserer gegenwärtigen Wirtschaftsordnung vorzunehmen und unbeschwert von allzu programmatischen Auseinandersetzungen die von uns befürwortete konkrete Arbeit an den uns heute gestellten Aufgaben weiterzuführen.

Wir beantragen Ihnen deshalb,
das Initiativbegehren abzulehnen und fügen diesem Bericht einen entsprechenden Beschlussesentwurf bei.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 14. Oktober 1946.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Kobelt.

Der Bundeskanzler : Leimgruber.

875

(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

das Volksbegehren betreffend ,,Wirtschaftsreform und Rechte der Arbeit".

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht des Volksbegehrens betreffend «Wirtschaftsreform und Rechte der Arbeit» und eines Berichtes des Bundesrates vom 14. Oktober 1946, gestützt auf Art. 121 ff. der Bundesverfassung und Art. 8 ff. des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung, beschliesst: Art,!.

Das Volksbegehren betreffend «Wirtschaftsreform und Eechte der Arbeit» wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet. Dieses Volksbegehren lautet wie folgt: «Art. 81, Abs. l, der Bundesverfassung wird durch folgende Bestimmungen ersetzt : 1. Die Wirtschaft des Landes ist Sache des ganzen Volkes.

2. Das Kapital ist in den Dienst der Arbeit, des allgemeinen wirtschaftlichen Aufstieges und der Volkswohlfahrt zu stellen.

8. Der Bund ist befugt, die zu diesem Zwecke erforderlichen Màssnahmen in Aufbau und Organisation der nationalen Wirtschaft anzuordnen.

4. Die Existenz der Bürger und ihrer Familien ist zu sichern.

5. Das Eecht auf Arbeit und deren gerechte Entlöhnung sind zu gewährleisten.

6. Die Arbeit ist in allen Zweigen der Wirtschaft za schützen.

7. Zur Durchführung dieser Grundsätze und zum Zwecke der Verhütung von Krisen und Arbeitslosigkeit erlässt der Bund die notwendigen Vor-

876

Schriften, insbesondere über das Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft.

8. Die Kantone, und die Wirtschaftsorganisationen werden zur Mitwirkung herangezogen.»

Art. 2.

Dem Volk und den Ständen wird die Verwerfung des Volksbegehrens beantragt.

Art. 3.

Der Bundesrat wird mit dem Vollzug beauftragt.

6742

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren betreffend ,,Wirtschaftsreform und Rechte der Arbeit". (Vom 14. Oktober 1946.)

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Foglio federale

Jahr

1946

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

22

Cahier Numero Geschäftsnummer

5127

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

24.10.1946

Date Data Seite

825-876

Page Pagina Ref. No

10 035 672

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