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4979 Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die 26. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz.

(Vom 1. April 1946.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir erstatten Ihnen hierdurch Bericht über die 26. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz.

A. Die Internationale Arbeitsorganisation rom Kriegsausbruch an bis zur Konferenz von Philadelphia.

Die letzte im normalen Eahmen abgehaltene Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz -- es war die 25. -- fand vom 8. bis 28. Juni 1989 in Genf statt. Über diese Konferenz und die an ihr gefassten Beschlüsse liegt ein ausführlicher Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 14. Januar 19411) vor. Zwei Monate nach Beendigung der Konferenz brach der Krieg aus.

Trotz den daraus folgenden Behinderungen hätte im Juni 1940 in Genf wiederum eine, wenn auch verkürzte Session der Internationalen Arbeitskonferenz stattfinden sollen, als am 10. Mai die deutsche Invasion in Westeuropa begann und der Krieg sich unserer Grenze näherte. Damit entfiel nicht nur die Möglichkeit, die geplante Konferenz abzuhalten; vielmehr glaubte das Internationale Arbeitsamt, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Verkehrsschwierigkeiten, namentlich der unterbrochenen Postverbindungen, und der sich daraus ergebenden Abgeschnittenheit von den meisten Mitgliedstaaten, an seinem Sitze in Genf seiner Aufgabe nicht mehr auf die Dauer gerecht werden zu können.

Das Amt verlegte deshalb im Herbst 1940 seine Arbeitsstätte nach Montreal und liess nur noch einen kleinen Stab seiner Beamten in Genf zurück. Die Leitung des Amtes in Montreal übernahm zu Beginn des Jahres 1941 als Direktor ad intérim der bisherige stellvertretende Direktor E. J. Phelan, nachdem Direktor J. G. Winant infolge seiner Berufung auf den Posten des ameri!) BEI. 1941, S. 21.

781 kanischen Botschafters in Grossbritannien seinen Bucktritt erklärt hatte. Von Montreal aus hat das Internationale Arbeitsamt seine traditionelle Mission, soweit es die Verhältnisse zuliessen, weiter auszuüben gesucht, wobei aber Genf ·weiterhin der rechtliche Sitz des Amtes blieb.

Im Sommer 1941 lud der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes zu einer Arbeitskonferenz auf den Herbst des genannten Jahres in New York ein. Zur Behandlung stand ausser einem eingehenden Bericht des Direktors über die Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse seit Ausbruch des Krieges und über die -Internationale Arbeitsorganisation während der Krise als einziges weiteres Traktandum die Frage der Zusammenarbeit zwischen Behörden und Berufsverbäuden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Die Einladung betonte, dass die Konferenz zwar nicht den konstitutionellen Charakter der ordentlichen Internationalen Arbeitskonferenzen besitze und dass nicht die Absicht bestehe, Konventionen oder Empfehlungen aufzustellen, dass sie dadurch jedoch nichts von ihrer Bedeutung verliere.

Sie sei vielmehr um so dringender, als im Jahre 1940 die geplante Zusammenkunft in Genf nicht habe stattfinden können. Die Schweiz machte geltend, dass.die Umstände sie leider verhinderten, eine Delegation an die Konferenz zu entsenden, und war somit an dieser nicht vertreten. Auch sonst wurde die Konferenz entsprechend den Verhältnissen von einer Eeihe von Ländern nicht beschickt. Die Tagung, die programmgemäss am 27. Oktober 1941 in New York eröffnet wurde, endigte am 6. November in Washington mit einer Schlussansprache des damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Franklin D. Boosevelt. Die Konferenz befasste sich vor allem mit der sozialen Entwicklung der zurückliegenden beiden Jahre und der Politik der Internationalen Arbeitsorganisation, wobei die Frage der Mitwirkung der Organisation am Wiederaufbau nach dem Kriege im Vordergrund stand. Sie fasste auch eine grosse Zahl von Besolutionen, die hauptsächlich ebenfalls allgemeine Fragen der Nachkriegspolitik zum Gegenstand hatten (Anwendung der Grundsätze der Atlantik-Charta, Mitwirkung der Internationalen Arbeitsorganisation beim kommenden wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau). Die Konferenz ermächtigte sodann den Verwaltungsrat, vorsorglicherweise die nächste Konferenztagung wiederum nach einem andern Ort als Genf einzuberufen, falls die Umstände es erforderten.

B. Die Konferenz ron Philadelphia.

I. Zusammensetzung und Tagesordnung der Konferenz.

Gestützt auf die genannte Ermächtigung berief der Verwaltungsrat im Dezember 1948 die Konferenz auf den 20. April 1944 nach Philadelphia zu ihrer 26. Session ein. Die Tagung, die bis zum 12. Mai 1944 dauerte, war die erste seit Kriegsbeginn, die wieder konstitutionellen Charakter trug. Sie war von 41 Mitgliedstaaten beschickt, doch hatte eine grössere Zahl von Ländern Bundesblatt. 98. Jahrg. Bd. I.

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782 keine vollständige Delegation entsandt. Auch wir mussten in Anbetracht der bestehenden Schwierigkeiten auf die Abordnung einer solchen verzichten, beauftragten jedoch unsere Gesandtschaft in Washington mit der Vertretung.

Als schweizerischer Begierungsdelegierter wurde Herr Minister Dr. Bruggmann und als sein Stellvertreter der damalige Legationsrat Dr. Peer bezeichnet.

Die Tagesordnung der Konferenz umfasste folgende Gegenstände: 1. Verfahrensgrundsätze, Programm und Satzungen der Internationalen Arbeitsorganisation; 2. Empfehlungen an die Vereinigten Nationen betreffend die Sozialpolitik der Gegenwart und der Nachkriegszeit; 3. Regelung des Arbeitsmarktes beim Übergang vom Krieg zum Frieden; 4. Soziale Sicherheit: Grundsätze und Nachkriegsprobleme ; ö. Mindestnormen der Sozialpolitik in, abhängigen Gebieten.

Ausserdem war wie üblich der Geschäftsbericht des Direktors des Internationalen Arbeitsamtes zu behandeln sowie die Zusammenstellung der vom Amt in der Zeit zwischen 1940 und 1943 erhaltenen Berichte über die Durchführung der ratifizierten Übereinkommen.

u. Hauptbeschlüsse der Konferenz, Die Konferenz hat im Eabmen ihres ersten Traktandums in einer feierlichen Erklärung die allgemeinen Grundsätze, auf die sich das Wirken der Internationalen Arbeitsorganisation stützt und die den Ausgangspunkt aller Sozialpolitik bilden müssen, bestätigt und erneut der Auffassung Ausdruck gegeben, dass ohne das Fundament der sozialen Gerechtigkeit ein dauernder Weltfriede nicht möglich sei. Diese als «Erklärung von Philadelphia» bezeichnete Proklamation ist diesem Bericht im Wortlaut beigefügt (Beilage I). Im Zusammenhang mit dem zweiten Gegenstand ihrer Tagesordnung hat die Konferenz namentlich eine Reihe von Resolutionen gefasst, welche Bichtlinien aufstellen für die künftige internationale Sozialpolitik, mit dem Ziele der Vollbeschäftigung und der Erhöhung des Standes der Lebenshaltung, Was schliesslich das dritte, vierte und fünfte Traktandum betrifft, hat die Konferenz das Ergebnis ihrer Arbeiten -- ausser in verschiedenen Besolutionen --· hauptsächlich in den nachstehend aufgeführten Empfehlungen niedergelegt, die dieser Botschaft ebenfalls beiliegen (Beilage II): ·-- Empfehlung betreffend Gewährleistung des Lebensunterhaltes; -- Empfehlung betreffend Gewährleistung des Lebensunterhaltes und ärztlichen Beistand für die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten sowie aus der Kriegswirtschaft entlassenen Personen; -- Empfehlung betreffend ärztlichen Beistand; -- Empfehlung betreffend Mindestnormen der Sozialpolitik in abhängigen Gebieten;

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-- Empfehlung Kriege zum -- Empfehlung -- Empfehlung

betreffend Regelung des Arbeitsmarktes beim Übergang vom Frieden; betreffend den Arbeitsnachweis; betreffend Landesplanung öffentlicher Arbeiten.

Nach Art. 19, Abs. 5, der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die von der Internationalen Arbeitskonferenz aufgestellten Übereinkommensentwürfe und Empfehlungen der zur Entscheidung berufenen Behörde zum Zwecke der Verwirklichung durch die Gesetzgebung oder zwecks sonstiger Massnahmen zu unterbreiten. Die Vorlage an diese Behörde hat nicht später als ein Jahr oder ausnahmsweise spätestens 18 Monate nach Schluss der Konferenztagung zu erfolgen. Dieser Verpflichtung sind wir mit unseren Berichten an die Bundesversammlung über die Internationalen Arbeitskont'erenzen stets nachgekommen. Denselben Zweck verfolgt auch der vorliegende Bericht, nur dass es uns der aussergewöhnlichen Umstände wegen nicht möglich war, die vorgeschriebene Frist einzuhalten. Es hing dies damit zusammen, dass wir schon die Unterlagen, die wir für die Abfassung des Berichtes benötigten, infolge der Verkehrsschwierigkeiten vielfach erst verspätet erhielten. Dazu kam vor allem, dass wir selber eine deutsche Übersetzung der französischen und englischen Originalfassung der Empfehlungen herstellen mussten, während früher das Internationale Arbeitsamt eine solche Übersetzung jeweils in Verbindung mit den interessierten Regierungen anfertigte. Die vorliegende deutsche Übersetzung hat dementsprechend nicht denselben Charakter wie die früheren vom Internationalen Arbeitsamt herausgegebenen offiziellen deutschen Übersetzungstexte der Übereinkommen und Empfehlungen. Wir glauben, dass die genannten Verhältnisse die verspätete Berichterstattung genügend rechtfertigen.

m. Die einzahlen Empfehlungen und die Stellungnahme der Schweiz.

1. Soziale Sicherheit.

E m p f e h l u n g b e t r e f f e n d Gewährleistung des Lebensunterhaltes. Die Empfehlung betreffend Gewährleistung des Lebensunterhaltes enthält den Plan zu einer u m f a s s e n d e n Sozialversicherung, ergänzt durch staatliche Fürsorge. Die Bürger sollen gegen die verschiedenen Wechselfälle des Lebens, durch die sie unverschuldet in materielle Not geraten, gesichert sein.

In der Schweiz sind verschiedene der in diesem Plan vorgesehenen Zweige der Sozialversicherung und der staatlichen Fürsorge verwirklicht. Die Einführung einiger anderer Zweige wird zur Zeit angestrebt, während für die verbleibenden Zweige eine Verwirklichung
erst in einem späteren Zeitpunkt möglich sein wird. In den bereits bestehenden Sozialversicherungen geht die schweizerische Gesetzgebung zum Teil über die in der Empfehlung enthaltenen Gedanken hinaus, zum Teil deckt sie sich mit ihnen, zum Teil aber hat sie

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ihnen noch nicht voll Rechnung getragen. Von diesen einstweilen noch nicht verwirklichten Anregungen befinden sich zur Zeit verschiedene in Prüfung, andere sollen bei einer künftigen Revision der gesetzlichen Bestimmungen in Betracht gezogen werden, wieder andere aber können infolge der Besonderheiten des Systems unserer Sozialversicherungen und infolge unserer staatlichen Struktur nicht berücksichtigt werden.

Im Einzelnen ergibt ein Vergleich des geltenden schweizerischen Bechts mit den in der Empfehlung enthaltenen Postulaten folgendes: (I.) Sozialversicherung.

(A.) Versicherte Risiken.

(1.) Krankheit (§ 9).

Die Krankenversicherung ist in der1 Schweiz durch das auf Grund von Art. 84bls der Bundesverfassung erlassene Bundesgesetz vom 18. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung (KUVG-) verwirklicht worden. Das Gesetz überlässt die Durchführung der Krankenversicherung den vom Bunde anerkannten Krankenkassen und stellt für diese gewisse Mindesterfordernisse als Anerkennungsbedingungen auf.

Der Grundsatz, dass die Notwendigkeit der Arbeitsbefreiung sich nach der vorhergehenden Beschäftigung des Versicherten bemessen müsse (1), ist nicht ausdrücklich vorgesehen, gilt aber in der Praxis als Regel, Eine Wartefrist (2) ist in dem Sinne vorgesehen, dass die Kassen verpflichtet sind, ärztliche Behandlung und Arznei vom Anfang der Krankheit an, das Krankengeld spätestens mit dem dritten Tage nach dem Tage der Erkrankung zu gewähren (Art. 13, Abs..2, KUVG). Entgegen der Empfehlung kann aber diese Wartefrist in jedem neuen Krankheitsfalle wiederum von neuem auferlegt werden. Das hat sich in der Praxis bewährt, und eine Änderung erscheint nicht als angezeigt.

Was die Dauer der Leistungen betrifft (8), so sind die Grundsätze der Empfehlung nur hinsichtlich der Tuberkuloseversicherung verwirklicht; vgl.

Bundesgesetz vom 18, Juni 1928 betreffend Massnahinen gegen die Tuberkulose, Art. 15, Abs. l, und Verordnung I vom 19. Januar 1944 über Tuberkuloseversicherung, Art. 12. In der allgemeinen Krankenversicherung gilt ein etwas anderes System. Als Mindestleistung ist vorgeschrieben, dass die Versicherungsleistungen einem Mitglied für eine oder mehrere Krankheiten im Laufe von 360 aufeinanderfolgenden Tagen während wenigstens 180 Tagen gewährt werden müssen (KUVG Art. 13, Abs. 3). Gemäss Art. 35,
Abs. 2, werden die Bundessubventionen an die Kassen erhöht, wenn die Kasse im Krankheitsfalle die Versicherungsleistungen während wenigstens 860 Tagen im Laufe von 040 aufeinanderfolgenden Tagen gewährt. Dadurch wird die Verlängerung der Leistungsdauer gefördert, und hierin geht das schweizerische Recht über die Empfehlung hinaus.

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(2.) M u t t e r s c h a f t (§ 10).

Eine selbständige Mutterschaftsversicherung besteht in der Schweiz noch nicht. Es sind lediglich die Krankenkassen angewiesen, das Wochenbett einer versicherten Krankheit gleichzustellen, wenn die Wöchnerin bis zum Tage der Niederkunft ohne Unterbrechung von mehr als drei Monaten während mindestens neun Monaten Mitglied von Kassen gewesen ist. Die für Krankheit vorgesehenen Leistungen sind der Wöchnerin während mindestens sechs Wochen von der Niederkunft an zu gewähren. Eine selbständige Mutterschaftsversicherung soll jedoch in absehbarer Zeit verwirklicht werden. Durch die Einfügung eines Art. 34
Der Anspruch auf Arbeitsbefreiung (1) ist in der Schweiz nur teilweise verwirklicht. Nach Art. 69 des Bundesgesetzes vom 18. Juni 1914 betreffend die Arbeit in den Fabriken dürfen Wöchnerinnen von ihrer Niederkunft an während sechs Wochen in der Fabrik nicht beschäftigt werden; auf ihren Wunsch soll diese Zeit bis auf acht Wochen verlängert werden. Während dieser Zeit ist eine Kündigung ausgeschlossen. Schwangere dürfen auf blosse Anzeige hin die Arbeit vorübergehend verlassen oder von ihr wegbleiben. Es darf ihnen deshalb nicht gekündigt werden. Das Verbot der Arbeit vor der Niederkunft wird im Zusammenhang mit der Legiferierung über die Mutterschaftsversicherung in Erwägung gezogen werden müssen.

Über die Wochenbettleistungen in der Krankenversicherung hinausgehende finanzielle Leistungen vor und nach der Niederkunft während der Zeit, in der nicht gearbeitet werden darf (2), soll die vorgesehene Mutterschaftsversicherung bringen.

Die Verlängerung der Leistungspflicht bei medizinischer Indikation (8) ist innerhalb der Krankenversicherung verwirklicht, indem der Wöchnerin in diesem Falle über die Dauer der Wochenbettunterstützung hinaus die ordentlichen Krankenversicherungsleistungen verabfolgt werden.

Über die Verpflichtung zur Inanspruchnahme der unentgeltlichen Geburtshilfe von Gemeinden und andern Institutionen (4) besteht gegenwärtig keine ausdrückliche Gesetzesvorschrift,
Diese wird in der Praxis nach den allgemeinen Grundsätzen der Überversicherung geregelt, indem die Leistungen der Geburtshilfeeinrichtungen auf die Versicherungsleistungen angerechnet werden. Die Frage wird voraussichtlich in einem Bundesgesetz über Mutterschaftsversicherung geregelt werden.

(S.) Invalidität (§ 11), Eine Invalidenversicherung ist in der Schweiz erst verwirklicht für die Fälle der Invalidität infolge von Unfällen und von Berufskrankheiten, gemäss

786 Ait. 76 ff. KUVG. Der Versicherte erhält in diesem Falle eine Invalidenrente, ·wenn von einer Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine Besserung seines Gesundheitszustandes mehr erwartet -weiden kann und der Unfall voraussichtlich eine bleibende Erwerbsunfähigkeit hinterlägst.

Eine allgemeine Invalidenversicherung kann gemäss Art. 34iTMter der Bundesverfassung erst nach der Verwirklichung der Alters- und Hinterlassenenversicherung eingeführt werden. Da diese noch nicht besteht, kann die Errichtung der Invalidenversicherung erst für einen spätem Zeitpunkt in Aussicht genommen werden. Man wird seinerzeit nicht verfehlen, die in der Empfehlung geäusserten Gedanken zu berücksichtigen.

(4.) Alter und Tod des Versorgers (§§ 12 und 13).

Gemäss Art. 84(luater der Bundesverfassung wird der Bund die Altersund Hinterlassenenvetsicherung einrichten. Er hat die Möglichkeit, diese Versicherungen allgemein oder für bestimmte Bevölkerungskreise obligatorisch zu erklären. Zur Zeit sind die zuständigen Bundesinstanzen damit beschäftigt, einen Gesetzesentwurf für die Durchführung dieser Versicherungszweige auszuarbeiten. Sie prüfen dabei auch die Postulate der Empfehlung.

In einem gewissen Masse ist die staatliche Altersversicherung in der Schweiz dadurch bereits verwirklicht, dass die Kantone Glarus, Appenzell A.-Eh. und Basel-Stadt die obligatorische Altersversicherung kennen und die Kantone Waadt und Neuenburg eine freiwillige Altersversicherung mit staatlichen Beiträgen eingeführt haben. Ferner ist dem Gedanken der Hinterlassenenversicherung insofern schon teilweise Eechnung getragen, als nach Art. 84 ff.

KUVG bei Tod infolge Unfalles oder infolge einer Berufskrankheit Hinterlassenenrenten vorgesehen sind.

(5.) Arbeitslosigkeit (§ 14).

Die geltende Gesetzgebung stützt sich auf Art. 8 des Bundesbeschlusses vom 80. August 1989 über Massnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechterhaltung der Neutralität. Sie umfasst: -- den Bundesratsbeschluss vom 14. Juli 1942 über die Arbeitslosenfürsorge während der Kriegskrisenzeit, vorwiegend die Arbeitslosenversicherung betreffend; -- den Bundesratsbeschluss vom 23. Dezember 1942 über die Nothilfe an Arbeitslose (Nothilfeordnung) ; --· die sowohl über die Arbeitslosenversicherung wie die Nothilfe vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement erlassenen
Ausführungsbestimmungen.

Die Schweiz hat zwei internationale Abmachungen ratifiziert; die eine über die Arbeitslosigkeit, die andere über die Gewährung einer Unterstützung oder Entschädigung an unverschuldet Arbeitslose. Die oben aufgeführten Bundesvorschriften erfüllen die Voraussetzungen dieser beiden Abmachungen,

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In der Arbeitslosenversicherung beträgt die allgemeine Karenzfrist einen Tag, wobei diese Wartezeit im Laufe eines Jahres nur einmal zu bestehen ist (Art. 20 des Bundesratsbeschlusses vom 14. Juli 1942, abgeänderte Fassung vom 27. Juli 1945 und Art. 48 der Ausführungsbestimmungen des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes, abgeänderte Fassung vom 24. August 1945). Die schweizerische Gesetzgebung entspricht hierin dei Empfehlung (1).

Vorbehalten bleiben die öonderbestimmungen über die Stellung der Angehörigen von Saisonberufen, welche die Beobachtung besonderer Karenzfristen vorschreiben. Derartige Fristen bestehen für die Bauarbeiter, die Angehörigen des Hotel- und Gastgewerbes, das Personal der Bahn- und Schiffahrtsunternehmungen, die Musiker, das Theater- und Militärpersonal sowie die Angehörigen anderer Saisonberufe; sie dienen dazu, dem Eisiko Eechnung zu tragen, das für diese Versicherten in einem gewissen Umfange infolge voraussehbarer, berufsüblicher Arbeitslosigkeit besteht.

Das jährliche Bezugsrecht in der Arbeitslosenversicherung ist erschöpft, ·wenn der Versicherte im Laufe des Kalenderjahres 90 volle Taggelder bezogen hat (2). Der Versicherte darf indessen im Laufe von vier aufeinanderfolgenden Jahren zusammen nicht mehr als 815 Taggelder beziehen (Art. 28 des Bundesratsbeschlusses vom 14. Juli 1942 und Art. 54 der Ausführungsbestimmungen vom 18. September 1942). Im Anschluss an diese Versicherungsbezüge können -- unter den hiefür aufgestellten Bedingungen --· weitere 90 Taggelder auf Grund der Vorschriften über die Nothilfe gewährt werden.

Die Zumutbarkeit einer Arbeit ist in Art. 23, Abs. l, des Bundesratsbeschlusses vom 14. Juli 1942 und Art. 45 und 81 der Ausführungsbestimmungen vom 18. September 1942 geregelt. Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften gilt eine ausserberufliche und ausserwohnörtliche Arbeit als zumutbar, soweit die in den oben erwähnten Bestimmungen aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind. Da die schweizerische Gesetzgebung nicht -- wie in Ziffer 8 und 4 der Empfehlung --· zwischen einer Einführungszeit (unmittelbar im Anschluss an den Beginn der Arbeitslosigkeit) und der Folgezeit unterscheidet, könnte man die getroffene Eegelung, verglichen mit derjenigen der Empfehlung, als strenger empfinden. Doch wird durch die Anwendung dieser Vorschriften die
Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Empfehlung hergestellt, indem die Arbeitsämter beim Vorliegen einer Unterhalts- oder Unterstützungspflicht den Verhältnissen im Einzelfall Eechnung zu tragen haben.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die schweizerische Gesetzgebung über die Arbeitslosigkeit den Anforderungen der Empfehlung in den verschiedenen Punkten entspricht.

(6.) Ausserordentliche Auslagen (§ 15).

Die Haushaltsunterstützung (1) sowie die Globalentschädigung für die Säuglingsausstattung (2) sind in der vorgesehenen Weise in der Schweiz

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noch nicht bekannt, -werden jedoch im Zusammenhang mit der Gesetzgebung über die Mutterschaftsversicherung in Betracht gezogen werden.

Zusätzliche Beiträge (3) und die Globalentschädigung für die Bestattungskosten (4) sind für die gegen Unfall Versicherten in Art. 77 und in Art. 88 KUVG vorgesehen. Ohne dass die Gesetzgebung eine Bestimmung darüber enthielte, führen auch zahlreiche anerkannte Krankenkassen eine Sterbegeldversicherung durch. Im übrigen werden diese Postulate in Verbindung mit der Einführung der allgemeinen Alters- und Hinterlassenenversicherung geprüft.

(7.) Berufsschäden (§ 16).

. Es sind in der Schweiz alle Arbeiter und Angestellten der in Art. 60 KUVG und in Art. 60*18 des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des KUVG von 1915 aufgezählten Unternehmungen gegen Betriebs- und Nichtbetriebsunfälle versichert, wobei den Betriebsunfällen die in Art. 68 erwähnten «Berufskrankheiten» gleichgestellt sind. Was als Betriebsunfall und was als Nichtbetriebsunfall gilt, wird in Art. 67 KUVG umschrieben.

Der auf dem Wege zur Arbeit und von der Arbeit erlittene Unfall (1) gilt in der Schweiz als Nichtbetriebsunfall.

Die Liste der die «Berufskrankheiten» verursachenden Stoffe (8 und 4) wird gemäss Art. 68 KUVG- durch Verordnung des Bundesrates aufgestellt und abgeändert, wodurch die leichte Eevidierbarkeit gewährleistet ist.

Die Karenzfrist (5) ist im KUVG nicht vorgesehen und würde mit dem vom Gesetz gewählten System nicht harmonieren.

Die Entschädigung für zeitweilige Arbeitsunfähigkeit (6 und 7) ist vorgesehen, ebenso die Invalidenrente (8); vgl. KUVG Art. 72 ff.

Ein Zwang gegenüber dem Versicherten, eine andere Berufstätigkeit zu übernehmen (9), kann nach schweizerischem Eecht nicht ausgeübt werden.

Dieser Gedanke soll zur Brüfung entgegengenommen werden, obwohl seine Verwirklichung die Freiheit des Bürgers in einer nach unsern Begriffen kaum annehmbaren Weise beeinträchtigen würde und deshalb kaum wird in Frage kommen können.

Die Abfindung (10) ist in Art. 82 KUVG vorgesehen und entspricht in ihrer Hohe dem Barwert einer gleichbleibenden oder sinkenden Bente für höchstens drei Jahre; diese Eente wird auf Grund des bisherigen Jahresverdienstes des Versicherten nach seinem Gesundheitszustand und dem Grade seiner Erwerbsunfähigkeit im Zeitpunkt der Abfindung bemessen. Auch die
Eente bei teilweiser Erwerbsunfähigkeit (11) ist, in etwas anderei Form, vorgesehen; vgl. Art. 78 KUVG. Unbekannt ist dem KUVG hingegen die Abfindung für den Verlust eines bestimmten Gliedes oder für eine körperliche Entstellung auch im Falle, dass keine Verminderung der Erwerbsfähigkeit eingetreten ist (12). Dieses Postulat wird bei einer Bevision des Gesetzes geprüft werden können,

789 Ärztliche Untersuchungen (13) sind in der Schweiz nur für den Fall der Silikose (vgl. Bundesratsbeschluss vom 4. Dezember 1944 über Bekämpfung der Quarzstaublunge) verbindlich vorgeschrieben. Eine Entschädigung für Berufswechsel ist dabei nicht vorgesehen. Eine Verallgemeinerung dieser Massinähme kann für die Zukunft in Betracht gezogen werden.

In Übereinstimmung mit der Empfehlung (14) erhält der Invalide die Bente vom Zeitpunkt an, in dem von der Portsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung mehr erwartet werden kann, bis zum Tode.

Weitere Leistungen (15 und 16) sieht das schweizerische Recht einst-.

weilen nicht vor. Es ist denkbar, dass im Zusammenhang mit dem weitern Ausbau des Sozialversicherungsrechts solche ins Auge gefasst werden, Schwierigkeiten haben sich bisher aus ihrem Mangel nicht ergeben.

Eine Entschädigung der Hinterbliebenen (17 bis 20) ist in der Form der Hinterlassenenrenten vorgesehen. Dabei geht das KUVG über die in der Empfehlung vorgeschlagene Lösung hinaus; vgl. KUVG Art. 84 ff. Weniger weit geht das Gesetz lediglich darin, dass die Kinderrente nur bis zum 16. Altersjahr gewährt wird. Es wird jedoch zur Zeit im Zusammenhang mit den Bestrebungen zum Schutze der Familie erwogen, ob die Kinderrente nicht im Sinne der Empfehlung bis zum 18., bzw. 20. Altersjahr geleistet werden soll.

Leistungen an die Hinterlassenen des Verunfallten (21) sind einstweilen nicht vorgesehen. Dieses Postulat soll im Zusammenhang mit der Einführung der Hinterlassenenversicherung geprüft werden.

(B.) Zulassung zur Versicherung.

Der Gedanke, dass sämtliche Selbständigerwerbenden und Unselbständigerwerbenden der Sozialversicherung angeschlossen werden (§ 17), ist in der Schweiz in den bereits bestehenden Zweigen der Sozialversicherung nicht voll verwirklicht. Es haben zwar alle Schweizer das Becht, in eine Krankenkasse einzutreten, wenn sie deren statutarische Aufnahmebedingungen erfüllen, und die Kassen sind verpflichtet, beide Geschlechter für die Aufnahme gleichzuhalten; hingegen sind in der Unfallversicherung nur die Arbeiter und Angestellten der Versicherungspflichtigen Betriebe obligatorisch versichert.

Gemass Art. 119 KUVG kann die Bundesversammlung die Bedingungen der freiwilligen Unfallversicherung von Drittpersonen ordnen. Sie hat das bis heute nicht getan, weil
sich das Bedürfnis darnach nicht gezeigt hat.

Was die weitere Verallgemeinerung der Sozialversicherung betrifft, so besteht heute die Tendenz, die Krankenversicherung nach und nach für weitere Kreise obligatorisch zu erklären, und für die Alters- und Hinterlassenenversicherung wird ein allgemeines Obligatorium in Aussicht genommen.

Die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Versichoi imgapräinien Beiner Arbeitnehmer von ihrem Lohne abzuziehen und der Versicherung zuzuführen (§ 18), wird voraussichtlich in der Alters- und Hinterlassenenversicherung

790 festgesetzt werden. Für die Krankenversicherung ermächtigt Art. 2 KUVG die Kantone, die Arbeitgeber zu verpflichten, für die Einzahlung der Beiträge ihrer in öffentlichen Kassen obligatorisch versicherten Arbeiter zu sorgen.

In der Unfallversicherung werden die Prämien für Betriebsunfälle und die Prämien für Nichtbetriebsunfälle -- diese nach Abrechnung des vom Bunde geleisteten Beitrages -- der Unfallversicherungsanstalt vom Betriebsinhaber geschuldet. Die vom Betriebsinhaber bezahlten Prämien für Betriebsunfälle werden an den Löhnen abgezogen. So ist dieser Gedanke, soweit er mit dem System und den materiellen Normen, wie wir sie besitzen, vereinbar ist, verwirklicht oder im Begriff, verwirklicht zu werden.

Sowohl in der Kranken- wie in der Unfallversicherung ist durch weitgehende Kontrollen die notwendige Sicherheit (§ 19) geboten, und es wird auch füi die weiterhin einzvrführenden Zweige der Sozialversicherung ein wohlausgebautes Kontrollsystem in Aussicht genommen.

Die mit der Allgemeinheit der Sozialversicherung zusammenhängenden Gedanken hinsichtlich der Unterstellung der Unselbständigerwerbenden (§ 20) und der Selbständigerwerbenden (§ 21) werden erst im Laufe der weitern Entwicklung in Betracht gezogen werden können.

(G.) Versicherungsleistungen und Beitragszahlung.

Was die Höhe der Leistungen in der Krankenversicherung betrifft (§§ 22 bis 24, l--2), so ist die Bestimmung des Krankengeldes den Kassen anheimgestellt. Sie haben jedoch mindestens einen Franken pro Tag zu bezahlen.

In der Unfallversicherung beträgt das Krankengeld vom dritten Tag an nach dem Unfall 80 % des dem Versicherten entgehenden Lohnes, einschliesslich regelmässiger Nebenbezüge. Ein Mehrbetrag über Fr. 21.-- im Tag wird dabei nicht berücksichtigt. Durch Vollmachtenbeschluss des Bundesrates vom 9. Februar 1945 ist der anrechenbare Verdienst vorübergehend auf Fr. 26.-- erhöht worden. Damit geht in dieser Hinsicht die schweizerische Lösung über das von der Empfehlung Geforderte hinaus.

Bei der Festsetzung der Leistungen der Mutterschaftsversicherung wird man bei der Ausarbeitung des Gesetzes sich nach Möglichkeit von den Gedanken der Empfehlung (8) leiten lassen. Die Invalidenrenten (4) betragen in der Unfallversicherung 70 % des Jahresverdienstes des Versicherten. Wenn besondere Wartung und Pflege notwendig ist,
kann eine Erhöhung bis auf 100 % des Jahreverdienstes stattfinden. Damit geht die Schweiz über das von der Empfehlung Verlangte hinaus. Besondere Erhöhungen infolge von Familienlasten sind hingegen nicht vorgesehen. Voraussichtlich wird man auch in einer künftigen Altersversicherung und später in der Invalidenversicherung über die Ansätze der Empfehlung hinausgehen.

Die Witwenrente (5) beträgt in der Unfallversicherung 30 % des Jahresverdienstes des Versicherten. Jedes hinterbliebene oder nachgeborene Kind erhält eine Eente von 15 % des Jahresverdienstes des Versicherten. Damit

791 sind die Postulate der Empfehlung erfüllt, soweit die Hinterlassenenversicherung schon verwirklicht ist. Eine allgemeine Hinterlassenenversicherung -wird voraussichtlich diese Höhe der Beträge halten.

In der Unfallversicherung beträgt die Kente für das Waisenkind, die nach der Empfehlung mindestens 20 % des Durchschnittssalärs des ungelernten Arbeiters betragen soll (6), 25 % des Jahresverdienstes des Versicherten.

Der Gedanke einer Erhöhung der Leistungen auf Grund von Mehrbeiträgen des Versicherten (7) wird zur Zeit im Zusammenhang mit der Einführung der Alters- und Hinterlaseenenversicherung geprüft.

Die Erhöhung der Altersrente wegen späteren Ausscheidens aus dem Arbeitsprozess (8) wird hiebei ebenfalls in Betracht gezogen.

Die Invalidenrente in der Unfallversicherung (9) beträgt nach Art. 77 KUVG 70 % des Jahres Verdienstes des Versicherten, womit das Gesetz über die Empfehlung hinausgeht. Dass die Entschädigung normalerweise in der Form der Eente erfolgen sollte (10), ist in Art. 76 und 77 KUVG vorgesehen.

Die Revidierbarkeit der Eente (11) ist ebenfalls gewährleistet, jedoch nur wegen Änderungen in der Erwerbsfähigkeit, nicht auch wegen Veränderungen in den Lohnverhältnissen des betreffenden Erwerbszweiges. Diese Forderung kann zur Prüfung entgegengenommen werden.

Was die Frage betrifft, inwiefern die Leistungen der Versicherung von der Erfüllung der Beitragspflicht abhängig gemacht werden können (§ 25), so darf in der Krankenversicherung der Beginn der Leistungen auf spätestens drei Monate nach Beginn der Beitragszahlung angesetzt werden, womit die schweizerische Lösung für die Versicherten vorteilhafter ist als die in der Empfehlung (1) geforderte.

Die Wochenbettleistungen (2) können gemäss Art, 14 KUVG an die Bedingung geknüpft werden, dass die Mitgliedschaft während mindestens neun Monaten ohne Unterbruch von mehr als drei Monaten bestanden hat. Die weiteren Gedanken der Empfehlung werden bei der Gesetzgebung über die Mutterschaftsversicherung näher geprüft werden.

Die entsprechenden Bedingungen für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicheiung (3 und 4) werden seinerzeit ins Auge gefasst werden können.

Die Suspension der Leistungen wegen vorsätzlicher Nichtbezahlung der Beiträge (5) ist in der Krankenversicherung insofern vorgesehen, als es den Kassen erlaubt ist,
die Leistungen zu unterbrechen, wenn der Versicherte mit der Beitragszahlung in Verzug ist. In der Unfallversicherung musste eine andere Sanktion für die regelmässige Leistung der Beiträge in Aussicht genommen werden, und diese wird auch in Zukunft beibehalten werden müssen; die von der Empfehlung postulierte Lösung kann angesichts des besondern Systems der schweizerischen Unfallversicherung nicht in Frage kommen.

792 Die Vorschläge der Empfehlung hinsichtlich der Kostenverteilung (§ 26) lassen sich mit der geltenden schweizerischen Gesetzgebung nicht ohne weiteres vergleichen und können auch für die.künftige Legiferierung nicht als solche massgebend sein, da sie von einer umfassenden, allo Zweige der Sozialversicherung einschliessenden Gesamtversicherung ausgehen, während in der Schweiz erst einige besondere Yersicherungszweige verwirklicht sind und die andern sich in Zukunft als selbständige Versicherungen anschliessen werden, ohne dass einstweilen eine Zusammenfassung in einem Gesamtsystem ins Auge gefasst würde. Zudem hängt die schweizerische Lösung teilweise mit der historischen Entwicklung der Sozialgesetzgebung im allgemeinen und mit den Besonderheiten der Landesverhältnisse zusammen.

Dasselbe ist zu sagen hinsichtlich der Verwaltung der Sozialversicherung (§ 27). Hier postuliert die Empfehlung eine allgemeine Sozialversicherung, in der alle einzelnen Zweige koordiniert und einheitlich verwaltet und beaufsichtigt werden. Etwas derartiges kann für die Schweiz einstweilen nicht in Frage kommen. Ob es später, wenn einmal sämtliche Zweige der Sozialversicherung Verwirklicht sind, wird ins Auge gefasst werden können, lässt sich heute noch nicht voraussagen.

(II.) Soziale Fürsorge.

Die die Sozialversicherung ergänzende staatliche Fürsorge ist in der Schweiz im wesentlichen Sache der Kantone und der Gemeinden. Das wird auch in Zukunft aus verschiedenen Gründen so bleiben müssen. Einmal entspricht es der föderativen Struktur und den allgemeinen Staatsgrundsätzen der Schweiz, dass den Kantonen diejenigen Aufgaben belassen werden, die sie selbst durchzuführen in der Lage sind und für die sie sich geeigneter erweisen als der Bund. Das trifft für die staatliche Fürsorge zu. Sodann ist der Bund auch aus finanziellen Gründen zur Zeit nicht in der Lage, nach dieser Bichtung hin neue grosse Aufgaben zu übernehmen. Wenn die staatliche Fürsorge aber Sache der Kantone bleiben muss, werden auch diese zu entscheiden haben, wie sie sich zu den in der Empfehlung enthaltenen Postulaten stellen wollen. Hingegen ist beizufügen, dass der Bund auf dem Wege der ausserordentlichen Vollmachten die Kriegsfürsorge organisiert hat. Diese hat jedoch ihrer Natur nach nur vorübergehenden Charakter und soll mit der Bückkehr normaler Verhältnisse allmählich wieder abgebaut werden.

Empfehlung b e t r e f f e n d Gewährleistung des Lebensunterhaltes und ärztlichen Beistand für die aus der Wehrmacht und .den ihr gleichgestellten Diensten sowie aus der Kriegswirtschaft entlassenen Personen. Diceo Empfohlung berührt unser Land nicht, so wir uns dazu nicht zu aussern haben.

793 Empfehlung b e t r e f f e n d ärztlichen Beistand.

(I.) Allgemeine G r u n d s ä t z e .

Das Gesundheitswesen ist nach der Kompetenzordnung der schweizerischen Bundesverfassung Sache der Kantone. Dem Bund steht lediglich gemäss Art. 69 B V das Eecht zu, zur Bekämpfung übertragbarei oder stark verbreiteter oder bösartiger Krankheiten gesetzliche Bestimmungen zu treffen. Dem Bunde weitere Kompetenzen zu übertragen, erscheint nicht als zweckmässig, da die Kantone zur Eegelung des Sanitätswesens, die je nach den örtlichen Bedürfnissen verschieden sein muss, besser geeignet sind. Die Möglichkeit, sich im Krankheitsfalle die notwendige ärztliche Hilfe zu verschaffen (l bis 4), besteht grundsätzlich für jeden Bürger, sei es auf eigene Kosten, auf Kosten der Krankenversicherung oder der Öffentlichkeit. Das Gebiet der Prophylaxe ist dagegen noch ausbaubedürftig. Entsprechende Vorkehren werden geprüft.

Dem Bund steht dagegen das Eecht zu (Art. 84bis BV), die Krankenversicherung einzurichten (5). Im Bundesgesetz über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911 ist ihre Durchführung den vom Bund anerkannten Krankenkassen übertragen worden. Diese haben ärztliche Behandlung und Arznei oder ein tägliches Krankengeld von mindestens Fr. l zu gewähren.

Die Kantone können die Krankenversicherung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsklassen obligatorisch erklären. Die unbemittelten, nicht versicherten Personen gemessen ärztliche Behandlung auf Kosten der Armenfürsorge, deren Eegelung Sache der Gemeinden ist.

Die Krankenversicherung ist grundsätzlich individuell und wird nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit durchgeführt (Art. 3, Abs. 8, KUVG). Demnach haben nur die beitragszahlenden Versicherten selbst Anspruch auf Leistungen. Die Möglichkeit von Familienversicherungen (6) ist ein Postulat, das de lege ferenda geprüft wird. Die Einführung einer Verpflichtung der Kantone und eventuell der Gemeinden zur Beitragsleistung wird gegenwärtig gefordert; ebenso die Verpflichtung der Arbeitgeber /u Beiträgen für ihre Arbeitnehmer, die nach der heutigen gesetzlichen Eegelung ausgeschlossen ist.

(II.) Anwendungsgebiet.

Die Einführung eines schweizerischen Krankenversicherungsobhgatoriums (8 bis 10) für alle Minderbemittelten bildet einen Programmpunkt einer im Nationalrat anhängig gemachten Motion ;
dagegen erscheint die Einführung eines Obligatoriums für die gesamte Bevölkerung (11) nicht tunlich. Verfassungsmässig würde dem Bund das Eecht dazu allerdings zustehen.

Da die Krankenversicherung grundsätzlich Einzelversicherung ist, findet sich in der Gesetzgebung kein Hinweis auf die sogenannte Familienversicherung (12). Praktisch kommt diese in beschränktem Masse dennoch vor, z. B.

bei Betriebskrankenkassen, jedoch nicht in der Form, dass die .Familienglieder völlig beitragsfrei wären. Ein Ausbau der Gesetzgebung in dieser Eichtung wird geprüft.

794 Vorläufig steht die Befugnis, unbemittelten Personen ein Recht auf Versicherungsleistungen zuzuerkennen, ihre Beiträge jedoch zu Lasten der Öffentlichkeit zu übernehmen (13), den Kantonen zu, die zum Teil davon auch tatsächlich Gebrauch gemacht haben. Eine 'Verallgemeinerung für das Gebiet der ganzen Schweiz müsste mit der gegenwärtig von einigen Kreisen geforderten Einführung eines Bundesobligatoriunis parallel gehen.

Für die unbemittelten Personen, die in keiner Krankenversicherung genussberechtigt sind (14), haben ohne weiteres die Armenbehörden aufzukommen, denen seitens der Ärzte Kechnung gestellt wird. Der Grundsatz der Gegenseitigkeit wurde zugunsten einer Herabsetzung der Beiträge für die Kinderversicherung (15, 16) durchbrochen. Die unbedingte Beitragsfreiheit der Kinder ist nur möglich, wenn ihre gesamten Beiträge zu Lasten der öffentlichen Hand übernommen werden, oder aber im Zusammenhang mit der zu prüfenden Familienversicherung.

Während die heutige Gesetzgebung es den anerkannten Krankenkassen freistellt, ärztliche Behandlung und Arznei oder ein tägliches Krankengeld zu versichern, -wird jetzt postuliert, dass der Bund vor allem die Krankenpflegeversicherung für die minderbemittelten Bevölkerungskreise obligatorisch erkläre (17).

Den Kantonen und Gemeinden bleibt das Recht unbenommen, neben der Krankenversicherung einen unentgeltlichen öffentlichen Arztdienst (18) einzuführen. Eine Änderung des jetzigen Verhältnisses der beiden Einrichtungen zueinander dürfte nicht in Frage kommen.

(III.) Organisation des Beistandsdienstes und Verhältnis zum übrigen Gesundheitsdienst.

In bezug auf die Ausdehnung der ärztlichen Hilfe (19) entspricht die Krankenpflegeversicherung nach dem KUVG nicht ganz der Empfehlung.

Zu den Pflichtleistungen der anerkannten Krankenkassen gehört nämlich nur die Krankheitsbehandlung, nicht aber auch die Prophylaxe. Eine Erweiterung in dieser Richtung wird gegenwärtig geprüft. Es stehen ihr keinerlei prinzipielle Einwendungen entgegen, sondern es handelt sich einzig um eine Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit der Krankenkassen oder des Masses, in welchem sie durch öffentliche Mittel unterstützt werden können.

Die Mitgliedschaft bei einer anerkannten Krankenkasse (20) kann gemäss Art. 5 KUVG jeder Schweizerbürger erwerben, ohne dass ihm die Zugehörigkeit
zu einer bestimmten Konfession oder politischen Partei entgegengehalten werden dürfte.

Der Umfang der ärztlichen Behandlung und Arznei, die von den Krankenpflegekassen zu gewähren sind (21), ist im Gesetz nicht definiert. Nach den grundsätzlichen Entscheiden der Aufsichtsbehörde und der Praxis gehören dazu: Behandlung durch diplomierte Ärzte einschliesshch Bäder und Massagen, die vom Arzt selbst appliziert werden, sowohl ambulant wie in Heilanstalten.

Zahnbehandlung durch Zahnärzte gehört nicht zur ärztlichen Behandlung

795 und Arznei, ebenso ist die Übernahme der Hebammen- und Masseurkosten keine Pflichtleistung der Kassen. Eine Erweiterung der Leistungen in dieser Richtung ist ausserordentlich wünschenswert und wird allgemein angestrebt.

Die Hebammenkosten werden in der in Vorbereitung befindlichen Mutterschaftsversicherung zur Pflichtleistung gemacht werden.

In bezug auf die Arzneien sind die Forderungen der Empfehlung erfüllt, da die Kassen praktisch alle notwendigen Medikamente übernehmen. Brillen, künstliche Glieder usw. sind allerdings darin nicht Inbegriffen und gelten nicht als Pflichtleistung. Je nach ihrer finanziellen Lage übernehmen gewisse Kassen deren Kosten freiwillig, wie auch sonst gutgestellte Kassen verschiedene freiwillige Mehrleistungen über die gesetzlichen Pflichtleistungen hinaus gewähren. Teil-weise sind die Mehrleistungen den Kassen auch durch kantonale oder kommunale Bestimmungen über das Obligatoriuin zur Pflicht gemacht, wobei die betreffenden Kantone oder Gemeinden in der Eegel die Versicherung finanziell unterstützen.

Bezüglich der Dauer der Krankenpflegeleistungen (22) hat das Bundesgesetz ein anderes System gewählt als die Empfehlung vorsieht: Die Kassen können ihre Leistungen auf 180 innert 360 aufeinanderfolgenden Tagen beschränken, wenn sie die vollen Arzt- und Aizneikosten übernehmen, oder auf 270 innert 860 aufeinanderfolgenden Tagen, wenn sie die Mitglieder mit einem Selbstbehalt belasten und nur % der Kosten für Arzt und Arznei bezahlen.

Die krankenpflegeversicherten Kassenmitglieder haben nicht nur die Möglichkeit, bestimmte Ärzte an ihrem Wohnort zu konsultieren (23), sondern es steht ihnen von Gesetzes wegen die Wahl unter den an ihrem Aufenthaltsort oder in dessen Umgebung praktizierenden Ärzten frei. Die schweizerische Regelung entspricht demnach in bezug auf die Versicherten den Grundsätzen der Empfehlung.

Da die betreffende Gesetzgebungskompetenz den Kantonen zusteht, besteht kein einheitlicher schweizerischer Gesundheitsdienst (24, 25), und die Übertragung dieser Kompetenzen auf den Bund wäre auch nicht zu empfehlen.

Die durch Verköstigung und Unterkunft in den Spitälern und besondere Wartung entstehenden Kosten (26) sind nach der heutigen Rechtslage von den Krankenkassen nicht zu übernehmen. Sie hiezu zu verpflichten, wird jedoch heute als soziale Notwendigkeit
empfunden und zu verwirklichen gesucht.

Das Bundesgesetz über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911 enthält nur sehr wenige Bestimmungen, die sich auf die Ärzte beziehen (27 bis 40). Art. 16 räumt den Kassen das Recht ein, auf Grund der Tarife mit Ärzten oder Vereinigungen von Ärzten Verträge abzuschliessen und ansschliesslich diesen die Behandlung ihrer Mitglieder anzuvertrauen. Alle Ärzte, die seit mindestens einem Jahre regelmässig im Tätigkeitsgebiet der Kasse praktizieren, können einem solchen Vertrage beitreten. Damit dürfte den Kassenmitgliedern die grösstmögliche Zahl von Ärzten zur Verfügung gestellt sein, während sie anderseits die Kasse durch die Vertragschliessung ein gewisses

796 Kontrollrecht vorbehalten kann. Diese Eegelung entspricht im Prinzip den schweizerischen Verhältnissen. Die Beziehungen zwischen Arzt und Krankenkasse sollen jedoch allgemein anlässlich der Revision des- Gesetzes über die Krankenversicherung präzisiert und ausgebaut werden. So weitgehende Eingriffe in die private Initiative des Ärztestandes selbst und in die kantonalen Kompetenzen im Gesundheitswesen, wie die Empfehlung sie fordern würde, dürften allerdings bei unseren Verhältnissen nicht angebracht sein, Eine gewisse "Unterstützung der dünnbevölkerten Gebirgsgegenden mit geringer Wegsamkeit (41) sieht KUVG Art. 37 vor, indem der B»nd für die in solchen Gegenden wohnenden Krankenkassenmitglieder zu seinem Kopfbeitrag einen Gebirgszuschlag gewährt. Ferner richtet der Bund Beiträge aus für Einrichtungen, welche die Verbilligung der Krankenpflege oder der Geburtshilfe bezwecken. Eine Pflicht der Krankenkassen zur Tragung der Transportkosten besteht von Bundes wegen nicht, doch können die Kassen sie freiwillig übernehmen. Eine Erweiterung der Pflichtleistungen im Sinne der Empfehlung wird zu prüfen sein.

Grundsätze über die Zusammenarbeit der sozialen Krankenpflegeversicherung mit den Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes (42 bis 45) finden sich in der heutigen Gesetzgebung nicht. Die Begelung dieses Verhältnisses bleibt mit Vorteil der Praxis überlassen.

(IV.) B e s c h a f f e n h e i t des Beistandsdienstes.

Dass die Krankenpflegeversicherten nur ärztliche Hilfe bester Qualität erhalten (46) wird durch die Vorschrift des Art. 21, Abs. l, KUVG gewährleistet, wonach nur eidgenössisch diplomierte Ärzte und Apotheker zur Kassenpraxis zugelassen werden dürfen; damit ist die Beiziehung von Naturärzten, Kurpfuschern usw. auf Kosten der Kassen verunmöglicht. Die Vorschrift des Art. 15 KUVG über die freie Arztwahl ermöglicht es jedem Kassenmitglied, den Arzt seines Vertrauens zu konsultieren (47). Die Zuziehung von Spezialärzten ist möglich, und die Praxis gestattet deren Wahl aus einem grösseren Umkreis als es für die Wahl der Allgemeinpraktiker der Fall ist. Die schweizerische Begelung geht weiter als die Empfehlung, da sie den Arztwechsel (50) im allgemeinen unbeschränkt zulässt, wenn auch die Kassen ihn während eines bei der Kasse angemeldeten Krankheitsfalles von einer Bewilligung
abhängig machen können. Freiwillige Mehrleistungen der Kasse über die gesetzlichen Pflichtleistungen hinaus, spezialärztliche Behandlungen, Spitalpflege (61 bis 53) werden in der Praxis allgemein nur auf Anordnung des behandelnden Arztes, allenfalls des Vertrauensarztes der Kasse hin gewährt, Die Spitalwahl (54) ist grundsätzlich frei; wer innerhalb des Spitals als behandelnder Arzt in Frage kommt, wird gewöhnlich durch das interne Heilanstaltsreglement bestimmt. Diese Begelung hat sich für die schweizerischen Verhältnisse als genügend erwiesen.

Die Honorierung der Ärzte (56 bis 62) durch die Krankenpflegekassen für die Behandlung ihrer Versicherten erfolgt für die einzelnen ärztlichen

797 Leistungen nach einem von den kantonalen Regierungen aufgestellten Tarif.

Für die öffentlichen und obligatorischen Kassen in dünnbevölkerten Gebirgsgegenden mit geringer Wegsamkeit ist insofern eine Ausnahme gemacht, als diese berechtigt sind, mit Ärzten Wartgeldverträge abzuschliessen und den Beitritt anderer Ärzte dazu auszuschliessen.

Allfällige Klagen (63) der für Krankenpflege versicherten Kassenmitglieder gegen ihren behandelnden Arzt betreffend die Art der Behandlung sind von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden, ebenso die Klagen der Versicherten gegen die Kasse, sofern nicht die Kassenstatuten einen speziellen Rechtsweg vorsehen. Diese Regelung wird als reformbedürftig empfunden, und die Schaffung besonderer fachkundiger und billiger Gerichtsinstanzen für diese Art von Streitigkeiten ist in Aussicht genommen. Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und Ärzten oder Apothekern sind von Gesetzes wegen durch ein kantonales Schiedsgericht zu entscheiden, das der Empfehlung entspricht.

Die Aufsicht über die Medizinalpersonen steht den Kantonen zu (64, 65), und es besteht keine Notwendigkeit, sie zu zentralisieren.

Für die Betätigung in der Kassenpraxis ist der Besitz eines wissenschaftliehen Befähigungsausweises (66) erforderlich. Eine besondere Ausbildung für Ärzte, die in der Sozialversicherung tätig sind (67), ist nirgends vorgesehen.

Auch sind ausser dem Besitz des eidgenössischen Arztdiploms keine weiteren Bedingungen für die Zulassung als Kassenarzt (68 bis 74) vorgeschrieben.

Aus Gründen, die in der Person des Arztes oder in der Art seiner Berufsführung liegen, kann das kantonale Schiedsgericht einen Arzt von der Betätigung für die Krankenkassen ausschliessen (Art. 2 KUVG). Die Frage einer allfälligen bessern Spezialausbildung für die Betätigung in der Sozialversicherung sowie einer s'trengeren und einheitlicheren Ausschlusspraxis steht im Zusammenhang mit den übrigen Revisionspunkten zur Erörterung.

(V.) Finanzierung.

· Da die anerkannten Krankenkassen nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit organisiert werden müssen, sind die Versicherten verpflichtet, Beiträge (75, 76) zu bezahlen, die so hoch anzusetzen sind, dass .die Kassen für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen Sicherheit bieten. Der Bund leistet Kopfbeiträge für alle Versicherten (Art. 85 KUVG-). Es wird die Frage
ihrer Ersetzung durch eine prozentuale Beteiligung des Bundes an den Kosten der Krankenpflegekassen und die Einführung eines Beitragssystems, das auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Versicherten Bezug nimmt, geprüft.

Die Arbeitgeber können nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht zu eigenen Beiträgen (77), aber zu Eintreibung der Beiträge ihrer in öffentlichen Kassen obligatorisch versicherten Arbeitnehmer verpflichtet werden. Eine Änderung dieser Regelung ist möglich und wird für die Gesetzesrevision auch vorgeschlagen, ebenso die Übernahme der Versicherungsprämien unbemittelter Versicherter durch die Öffentlichkeit (78). Die übrigen in der Empfehlung Bundesblatt, 98. Jahrg. Bd. I, 53

798 enthaltenen Grundsätze für die Finanzierung (79 bis 83) werden bei der gegenwärtig in Vorbereitung befindlichen Gesetzesrevision ebenfalls in Erwägung gezogen, soweit sie sich mit dem schweizerischen System der Krankenversicherung vereinbaren lassen (daher unter Ausschluss der Ziffern 84 bis 90).

Art. 28 KUVG stellt die Vorschrift auf, dass die anerkannten Krankenkassen ihre Mittel nur zu. Zwecken der Versicherung verwenden dürfen (91).

Eine Abänderung dieses Grundsatzes dürfte nicht notwendig sein, da die Versicherungsleistungen noch so ausbaubedürftig sind, dass den Kassen in diesem Eahmen noch weite Verwendungsmöglichkeiten verbleiben.

(VI.) A u f s i c h t und Verwaltung.

Wie bereits dargetan wurde, besteht kein Anlass, die Ordnung, wonach das Gesundheitswesen mit Ausnahme der Krankenversicherung den Kantonen zusteht, in absehbarer Zeit irgendwie zu ändern (92 bis 114). Die Kantone und Gemeinden sind zur Durchführung dieser Aufgaben besser geeignet, da sie Einrichtungen schaffen können, die den Örtlichen Bedürfnissen Eechnung tragen.

2. Sozialpolitik in abhängigen Gebieten.

Empfehlung betreffend Mindestnormen der Sozialpolitik in abhängigen Gebieten. Diese Empfehlung richtet sich an die MitgliedStaaten mit Kolonialbesitz und ist deshalb für unser Land gegenstandslos.

3. Regelung des Arbeitsmarktes in der Übergangszeit.

Empfehlung b e t r e f f e n d Eegelung des Arbeitsmarktes, beim Übergang vom Kriege zum Frieden. Mit dieser Empfehlung soll trotz den Schwierigkeiten, die mit dem Übergang von der Kriegswirtschaft zur Friedenswirtschaft zusammenhängen, eine Vollbeschäftigung der Arbeitskräfte erreicht werden. Die Befürchtungen, die hierüber in den internationalen Kreisen bestanden, haben sich nicht im erwarteten Umfang als begründet erwiesen.

Gewiss stellt die Anpassung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes an die neuen Verhältnisse die Staaten, die am Krieg teilgenommen hatten, oft vor heikle Probleme, aber die befürchtete grosse Arbeitslosigkeit ist- fast nirgends eingetreten. Im Gegenteil beginnt in verschiedenen Ländern sich ein Mangel an Arbeitskräften zu zeigen und zwar in einem Zeitpunkt, in dem die grossen Wiederaufbauarbeiten noch kaum in Angriff genommen worden sind und die Landwirtschaft beträchtliche Anstrengungen machen miiss, um die Bedürfnisse der ausgehungerten Bevölkerung zu befriedigen.

Für die Schweiz stellt sich dieses Problem gar nicht, da es durch die Ereignisse bereits überholt ist. Der Übergang hat sich dank unserer günstigen wirtschaftlichen Lage ohne Schwierigkeiten vollzogen. Die Zahl der Arbeitskräfte, die infolge der Einstellung der Feindseligkeiten ihre Beschäftigung verloren haben, war bei uns viel kleiner als in den kriegführenden Staaten.

799 Da die Nachfrage in den meisten Berufskategorien sehr gross -war, wurden diese Arbeitskräfte vom Arbeitsmarkt ohne "weiteres aufgenommen. In einzelnen Fällen, in denen eine Vermittlung auf Schwierigkeiten stiess, haben die Arbeitsämter eingegriffen und iin allgemeinen in Zusammenarbeit mit den eidgenössischen Behörden und den Berufsorganisationen eine Lösung gefunden.

Nötigenfalls wurden diesen Arbeitskräften Beiträge gewährt, die ihnen eine Vervollständigung ihrer beruflichen Ausbildung ermöglichten.

Der grösste Teil der in der Empfehlung enthaltenen Vorschläge berührt fast ausschließlich die Staaten, die am Kriege teilgenommen haben und sich nun mit Massnahmen zur Wiedereingliederung grosser Massen demobilisierter Arbeitskräfte in das Berufsleben befassen müssen. So erklärt es sich, dass unter Ziffer I die Regierungen eingeladen werden, sich die nötigen Unterlagen zu beschaffen, um einerseits die Zahl und die beruflichen Fähigkeiten der in der Übergangsperiode vom Krieg zum Frieden zurückzugliedernden Arbeitskräfte festzustellen und anderseits einen Überblick zu erhalten über alle bestehenden- Arbeitsmöglichkeiten. Eine Untersuchung dieser Art ist für uns gegenwärtig nicht notwendig. Sollte sie sich später, z. B. bei Arbeitslosigkeit · aufdrängen, so könnte sie von den Behörden gemeinsam mit den Arbeitsämtern und den interessierten Berufsorganisationen ohne weiteres durchgeführt werden. Ziffer II sieht die Aufstellung eines Planes vor, der es erlaubt, die Entlassung der Truppen den Bedürfnissen und Möglichkeiten des Arbeitsmarktes anzupassen. Bekanntlich wurde dieser Grundsatz in der Schweiz bereits verwirklicht, so dass unser Arbeitsmarkt durch die Démobilisation von Truppen nicht belastet wurde. Ziffer III befasst sich mit dem Abbau und der Umstellung der Kriegsindustrie, eine Frage, die unser Land nicht berührt. Unter Ziffer IV werden verschiedene Massnahmen zur Erleichterung der Vermittlung und Beschaffung von Arbeitskräften vorgeschlagen. Danach sollten insbesondere die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer veranlasst werden, sich wenn immer möglich an die Arbeitsnachweisstellen zu wenden. Bei uns hat sich die Tätigkeit der Arbeitsämter und der paritätischen Stellenvermittlung unter Mitwirkung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen weiterhin in erfreulicher Weise entwickelt, so
dass die vorgeschlagenen Massnahmen keinem unmittelbaren Bedürfnis entsprechen. Die Berufsberatung, mit der sich Ziffer V befasst, ist bei uns schon sehr ausgebaut. Auch in dieser Beziehung ist die Empfehlung für uns kaum von praktischem Interesse. Was die Programme der beruflichen Ausbildung und Wiederanlernung betrifft, mit denen sich Ziffer VI befasst, so sind diese unseren Bedürfnissen entsprechend bereits durchgeführt, und es ist offensichtlich, dass die vorgesehenen Massnahmen sich hauptsächlich auf Länder beziehen, die am Kriege teilgenommen haben. In Ziffer VII befürwortet die Empfehlung eine Politik, die auf eine regionale Verteilung der Industrie und eine vielseitige wirtschaftliche Tätigkeit hinzielt, sowie Vorkehren, welche die Beschäftigung von Arbeitskräften ausserhalb ihres Wohnortes ermöglichen. Diese Postulate richten sich vor allem an die Großstaaten. Jedenfalls bestehen für die Schweiz in der.

800

Verordnung vom 28. Mai 1940 über Massnahmen zur Eegulierung des Arbeitsmarktes und zur beruflichen Förderung von Arbeitslosen bereits die rechtlichen Grundlagen, um die Versetzung von Arbeitskräften zu erleichtern und allgemein alle Massnahmen zu unterstützen, die geeignet sind, den Arbeitsmarkt auszugleichen. Weitere Vorschriften zur Förderung der Versetzbarkeit der Arbeitslosen und zur möglichst vollen Ausnützung der Arbeitsgelegenheiten, für den Fall von. Arbeitslosigkeit sind in Vorbereitung. Die unter Ziffer VIII, IX und X behandelten Fragen stellen sich für die Schweiz nicht. Schliesslieh wurden die Massnahmen, die getroffen werden müssen, um die Beschäftigung in Industrien mit unregelmässigem Beschäftigungsgrad zu regulieren mit dem Zweck, alle Arbeitskräfte voll verwenden zu können (Ziffer XI), von.den zuständigen Behörden im Eahmen des Arbeitsbeschaffungsprogrammes bereits geprüft und vorbereitet.

Es darf also festgestellt werden, dass die Anregungen dieser Empfehlung, soweit sie unser Land berühren, bei uns schon verwirklicht sind oder dass deren Verwirklichung von den eidgenössischen und kantonalen Behörden vorgesehen ist, sobald die Umstände dies erfordern.

Empfehlung b e t r e f f e n d den Arbeitsnachweis. Diese Empfehlung nimmt im allgemeinen die Gedanken des internationalen Übereinkommens von 1919 über Arbeitslosigkeit wieder auf. Das Übereinkommen sieht die Errichtung eines «Systems öffentlicher Arbeitsvermittlungsstellen, die unter der Aufsicht einer Zentralbehörde stehen und unentgeltlich arbeiten», vor.

Nun handelt es sich darum, den Arbeitsnachweis noch weiter auszubauen mit dem /weck, die Vorbereitung und Durchführung einer Politik der Vollbeschäftigung zu fördern.

Die Schweiz besitzt schon einen gut organisierten öffentlichen Arbeitsnachweis, der den Bedürfnissen des Landes und den Anforderungen des internationalen Übereinkommens von 1919 entspricht. Allerdings entspricht die dem öffentlichen Arbeitsnachweis zugrunde hegende eidgenössische Gesetzgebung nicht mehr in allen Teilen den heutigen Verhältnissen. Sie wird in naher Zukunft revidiert und den. neuen Verhältnissen angepasst werden müssen.

Bei dieser Gelegenheit können gewisse Mängel beseitigt und "allfällige Lücken ausgefüllt werden. Sobald die verfassungsmässigen Grundlagen geschaffen sind, wird es im weitern
notwendig sein, die Tätigkeit der privaten Stellenvermittlung zu regeln und mit, derjenigen des öffentlichen Arbeitsnachweises weitgehend in Einklang zu bringen.

Die Anregungen, die über den Eahmen des internationalen Übereinkommens von 1919 hinausgehen, wurden von uns grösstenteils bereits verwirklicht. In dieser Beziehung sieht die Empfehlung im wesentlichen vor, dass der Arbeitsnachweis über die notwendigen Mittel verfügen sollte, um über die Arbeitsmarktlage, die Arbeitsmöglichkeiten sowie die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte und deren berufliche Fähigkeiten unterrichtet zu sein und um sich ganz allgemein alls Auskünfte beschaffen zu können, die zur Durchführung einer

801 Politik der Vollbeschäftigung erforderlich sind. Auch sollten die für den Arbeitsnachweis zuständigen Stellen beauftragt werden, Mittel und Wege zu suchen, um gegebenenfalls eine örtliche und berufliehe Versetzung von Arbeitskräften zu erleichtern. Im weitern sollten sie mit allen Behörden, deren Tätigkeit die Lage auf dem Arbeitsmarkt beeinflusst, sowie mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zusammenarbeiten, um den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte fördern zu helfen. Unser öffentlicher Arbeitsnachweis ist jetzt schon in der Lage, in diesem Sinne zu wirken, und soweit die Mittel hiezu noch fehlen, werden sie ihm im Bedarfsfall zur Verfügung gestellt werden. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass der schweizerische Arbeitsnachweis den Anforderungen der Empfehlung vollständig entspricht und die verschiedenen in Frage stehenden Aufgaben ohne besondere Schwierigkeiten erfüllen kann.

Empfehlung betreffend Landesplanung öffentlicher Arbeiten.

Den Mitgliedstaaten wird empfohlen, langfristige .Arbeitsbeschaffungsprogramme aufzustellen, die je nach der Lage des Arbeitsmarktes verlangsamt oder beschleunigt zur Durchführung gebracht werden können. Dabei soll der örtlichen Lage des Arbeitsmarktes und der beruflichen Zusammensetzung nach Möglichkeit Eechnung getragen werden. Die lokalen Behörden sollen frühzeitig darüber in Kenntnis gesetzt werden, mit welcher finanziellen Hilfe sie seitens der Zentralregierung rechnen können, um sie in die Lage zu versetzen, ihre technischen Vorbereitungsarbeiten ohne Verzug in Angriff zu nehmen.

Die vom Bundesrat eingeschlagene Arbeitsbeschaffungspolitik, wie sie im Zwischenbericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die vorbereitenden Massnahmen der Arbeitsbeschaffung vom 20. Mai 1944 sowie in den Bundesratsbeschlüssen vom 29. Juli 1942 und 6. August 1943 niedergelegt ist, entspricht der Empfehlung in jeder Beziehung. Nach Art. 2 des Buudesratsbeschlusses vom 29. Juli 1942 stellt der Bund einen Gesamtplan zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf, worin die ordentlichen und ausserordentlichen Arbeiten und Aufträge des Bundes, der Kantone, der Gemeinden und anderer öffentlichrechtlicher Körperschaften aufzunehmen sind. Der Plan ist auf lange Sicht aufzustellen und je nach der Lage des Arbeitsmarktes zur Durchführung zu
bringen. Nach Artikel 8 dieses Beschlusses ist bei der Durchführung der im Gesamtplan vorgesehenen Arbeiten auf die Berufszugehörigkeit, die physische Leistungsfähigkeit und den Wohnort der beschäftigten Arbeitskräfte Eücksicht zu nehmen. Ferner wird bestimmt, dass in Zeiten annähernder Vollbeschäftigung nicht dringliche Arbeiten der Öffentlichen Hand und subventionierte private Arbeiten zurückzustellen seien. Um den von der Internationalen Arbeitskonferenz in Vorschlag gebrachten Bhythmus der Öffentlichen Arbeiten herbeizuführen, wurde ein Delegierter für Arbeitsbeschaffung als Koordinationsinstanz ernannt und den Kantonen au wiederholten Malen empfohlen, ihre öffentlichen Arbeiten auf Zeiten drohender Arbeitslosigkeit zurückzustellen.

Diese Bedingung wurde auch an die Bundessubventionen für nicht dringliche

802

öffentliche Arbeiten geknüpft. Auch bei der Bewirtschaftung der Baumaterialien fanden diese Gesichtspunkte ihre gebührende Berücksichtigung. Die in Frage kommenden Abteilungen der Bundesverwaltung, die Bundesbahnen, Privatbahnen und Kraftwerke, die Kantone und die Gemeinden haben zwecks Durchführung einer konjunkturgerechten Politik der öffentlichen Arbeiten langfristige Arbeitsbeschaffungsprogramme aufgestellt, von denen bereits ein beträchtlicher Teil baureif und finanziert ist. Zur Hebung des Bereitschaftsgrades wurden zudem an die Kosten der Projektierungsarbeiten Bundesbeiträge ausgerichtet. .

Mit Bundesratsbeschluss vom 7. Oktober 1941 (Tinanzordnung für'Arbeit und Lohnersatz) wurde der Ausgleichsfonds der Lolmersatzordnung in den Dienst der Arbeitsbeschaffung gestellt. Dieser vergütet den Kantonen die Hälfte ihrer Arbeitsbeschaffungsbeiträge zurück und gewährt an die Aufwendungen für kantonseigene Arbeiten und Aufträge einen Beitrag in der Höhe eines Viertels der Bundesleistung. Im Bundesratsbeschluss vom 29. Juli 1942 sind die Subventionsansätze festgelegt, so .dass Kantone und Gemeinden über die zu erwartenden Bundesbeiträge unterrichtet sind. Ferner hat sich die Nationalbank bereit erklärt, Reskriptionen der Kantone und der Gemeinden für Arbeitsbeschaffungszwecke, -die ihr von den Banken eingereicht werden, auf 5 bzw.

3 Jahre zu verlängern, je nachdem ob Abzahlungen geleistet werden oder nicht ; die Banken sind daher in der Lage, für derartige Zwecke mittelfristige Kredite zu günstigen. Zinsbedingungen zur Verfügung zu stellen.

Wir empfehlen Ihnen, unseren Ausführungen zuzustimmen, und versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 1. April 1946.

Im'Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Kobelt.

6444

Der Bundeskanzler :

Leimgruber.

803 Beilage Il).

Übersetzung.

26. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz.

(Philadelphia, den 13. Aprü bis 20. Mai 1944.)

Erklärung über Ziele und Zwecke der Internationalen Arbeitsorganisation.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die in Philadelphia zu ihrer 26. Tagung zusammengetreten ist, nimmt heute, am 10. Mai 1944, diese Erklärung an über Ziele und Zwecke der Internationalen Arbeitsorganisation und über die Grundsätze, von denen sich die Politik ihrer Mitglieder leiten lassen sollte.

. 1 .

Die Konferenz bestätigt aufs neue die hauptsächlichen Grundsätze, auf die sich die Organisation stützt, nämlich: a. die Arbeit ist keine Ware; l>, das Eecht, sich frei zu äussern und zusainmenzuschliessen ist unumgängliche Voraussetzung eines anhaltenden Fortschrittes; c. die Armut bildet, wo sie auch immer besteht, eine Gefahr für das Gedeihen aller; d, der Kampf gegen die Not ist im Schosse jeder Nation mit unermüdlicher Tatkraft und unter ständigem, zusammengefasstem Einsatz auf internationalem Boden zu führen, wobei die Vertreter der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in gleichberechtigter Zusammenarbeit mit den Vertretern der Begierungen an freien Verhandlungen und demokratisch gefassten Beschlüssen zur Förderung des allgemeinen Wohls teilnehmen, II.

Die Konferenz ist davon überzeugt, dass die Erfahrung die Eichtigkeit der in der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation enthaltenen Erklärung voll erwiesen hat, wonach ein dauerhafter Friede nur auf der Grundlage der sozialen Gerechtigkeit errichtet werden kann, und bestätigt deshalb : 1

) Die nachstehend abgedruckte deutsche Fassung der von der 25, Internationalen Arbeitskonferenz beschlossenen sogenannten «Erklärung von Philadelphia» und der Empfehlungen stellt eine vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit angefertigte vorläufige Übersetzung des französischen und englischen Urtextes dar.

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a. Alle Menschen, ohne Ansehen ,,ihrer Basse, ihres Glaubens oder ihres Geschlechtes, haben das Recht, ihren materiellen Fortschritt und ihre geistige Entwicklung in Freiheit und Würde, in wirtschaftlicher Sicherheit und unter gleichen Erfolgsmöglichkeiten zu verfolgen.

b. Die Verwirklichung der hiezu notwendigen Voraussetzungen muss das Hauptziel aller nationalen und internationalen Politik sein.

c. Alle auf nationalem und internationalem Boden aufgestellten Tätigkeitsprogramme und Massnahmen, hauptsächlich auf -wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet, sind unter diesem Gesichtspunkte zu würdigen und nur soweit gutzuheissen, als sie geeignet erscheinen, die Erreichung dieses hauptsächlichen Zweckes zu begünstigen, nicht aber zu hemmen.

d. Es ist Sache der Internationalen Arbeitsorganisation, alle Tätigkeitsprogramme und Massnahmen wirtschaftlicher und finanzieller Natur auf nationalem Gebiet im Lichte dieses hauptsächlichen Zweckes zu prüfen und in Erwägung zu ziehen.

e. Indem die Internationale Arbeitsorganisation die ihr anvertrauten Aufgaben erfüllt, hat sie, nachdem sie alle massgebenden wirtschaftlichen und finanziellen umstände berücksichtigt hat, die Befugnis, in ihre Beschlüsse und Empfehlungen alle ihr angemessen erscheinenden Bestimmungen einzuschliessen.

III.

Die Konferenz anerkennt die feierliche Verpflichtung der Internationalen Arbeitsorganisation, bei den verschiedenen Nationen der Erde die Verwirklichung von Programmen mit folgenden Zwecksetzungen zu unterstützen: a. Vollbeschäftigung und Verbesserung der Lebenshaltung; b. Beschäftigung der Arbeitnehmer in Tätigkeitsgebieten, wo sie die Genugtuung haben, ihre Fähigkeiten und Kenntnisse in vollem Umfang anwenden und am besten zum allgemeinen Wohl beitragen zu können; c. im Dienste dieses Zwecks -- unter .Gewährung angemessener Sicherheiten für alle Beteiligten. -- die Verwirklichung von Möglichkeiten der Schulung und von Massnahmen, die geeignet sind, die Versetzung von Arbeitnehmern zu begünstigen, einschliesslich der Wanderbewegung von Arbeitern und Ansiedlern; d. Ermöglichung eines gerechten Anteils aller an den Früchten des Fortschrittes im Gebiete der Löhne und Gewinne, der Arbeitszeit und anderer Arbeitsbedingungen, und lebensnotwendiger Mindestlohn für alle, die in einem Anstellungsverhältnis stehen und einen solchen Schutz benötigen; e. wirkliche Anerkennung des Bechts zu Kollektivverhandlungen und Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Zwecke fortwährender Verbesserung der Organisation der Erzeugung, ebenso -wie das Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bei der Ausarbeitung und Durchführung der Sozial- und Wirtschaftspolitik;

805 /. Ausdehnung von Massnahmen der sozialen Sicherheit, um allen ein Grundeinkommen zu gewährleisten, die einen solchen Schutz benötigen, ebenso -wie vollständige ärztliche Beihilfe; g. angemessener Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer in allen Tätigkeitsgebieten; h. Schutz der Jugendlichen und der Mütter; i. angemessener Stand der Ernährung, des Wohnungswesens und der Mittel der Erholung und der Kulturpflege; j. Gewährleistung gleicher Möglichkeiten in Erziehung und Beruf.

IV.

Die Konferenz ist davon überzeugt, dass eine vollkommenere und ausgedehntere Nutzung der Produktivkräfte der Welt, die zur Verwirklichung der in dieser Erklärung aufgezählten Zwecke notwendig ist, durch eino wirksame Aktion auf internationalem und nationalem Boden und namentlich durch Massnahmen gewährleistet werden kann, die darauf abzielen, Erzeugung und Verbrauch zu erweitern, starke wirtschaftliche Schwankungen zu verhüten, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung von Gebieten herbeizuführen, deren Erschliessung noch rückständig ist, einen dauerhafteren Stand der Weltpreise von Eohstoffen und Waren zu gewährleisten und einen ständigen, ausgedehnten Welthandel zu fördern. Die Konferenz sichert deshalb die vollständige Mitarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation und aller internationalen Einrichtungen zu, denen ein Teil der Verantwortung bei dieser grossen Aufgabe wie auch bei der Verbesserung von Gesundheit, Erziehung und Wohlfahrt aller Völker anvertraut werden kann.

V.

Die Konferenz bestätigt, dass die in dieser Erklärung verkündeten Grundsätze auf alle Völker der Erde voll anzuwenden sind und dass, wenn auch in der Art, wie dies geschieht, das Mass der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung jedes Volkes gebührend berücksichtigt werden muss, ihre allmähliche Anwendung auf die Völker, die noch abhängig sind, ebenso wie auf diejenigen, die den Zustand der Selbstverwaltung erreicht haben, für die Gesamtheit der zivilisierten Welt von Bedeutung ist.

806 Beilage II, Empfehlung (Nr. 67) betreuend Gewährleistung des Lebensunterhaltes.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Philadelphia einberufen wurde und am 20. April 1944 zu ihrer sechsuridzwanzigsten Tagung zusammengetreten ist.

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Gewährleistung des Lebensunterhaltes,, eine Frage, die zum vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 12. Mai 1944. die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend Gewährleistung des Lebensunterhaltes, 1944, bezeichnet wird.

Die Konferenz gebt davon aus, dass die Atlantik Charta «die umfassendste wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Nationen» vorsieht, «um für alle bessere Arbeitsbedingungen, wirtschaftlichen Fortschritt und soziale Sicherheit zu erzielen».

Sie zieht in Betracht, dass sie durch eine am 5. November 1941 angenommene Entschliessung diesem Grundsatze der Atlantik Charta beigepflichtet und zu seiner Verwirklichung die volle Mitarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation zugesichert hat.

Sie vertritt die Auffassung, dass die Gewährleistung des Lebensunterhaltes ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Sicherheit sei.

Sie weist darauf hin, dass die Internationale Arbeitsorganisation die Entwicklung im Sinne der Gewährleistung des Lebensunterhaltes durch folgende Massnahmen gefördert hat: Annahme von Übereinkommen und Empfehlungen durch die Internationale Arbeitskonferenz, betreffend Entschädigung bei Betriebsunfällen und Berufskrankheiten, Krankenversicherung, Mutterschaftshilfe, Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenrenten sowie Arbeitslosenfürsorge; Annahme der den Interamerikanischen Sozialversicherungskodex bildenden Entschliessungon an der ersten und zweiten Arbeitskonferenz der amerikanischen Staaten, Teilnahme einer Delegation des Verwaltungsrates an der ersten Interamerikanischen Konferenz für soziale Sicherheit, welche die Erklärung von Santiago von Chile angenommen hat, und Zustimmung des Verwaltungsrates zur Satzung der Interamerikanischen Konferenz für soziale Sicherheit, die als ständige, im Einvernehmen mit dem Internationalen Arbeitsamt wirkende Vermittlungsstelle zwischen den Verwaltungen und Einrichtungen für soziale Sicherheit geschaffen worden ist, und

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Teilnahme des Internationalen Arbeitsamtes in beratender Eigenschaft an der Ausarbeitung von Einrichtungen der Sozialversicherung in verschiedenen Ländern sowie weitere Vorkehrungen, Die Konferenz ist sich bewusst, dass gewisse Mitgliedstaaten die in ihrer Befugnis liegenden Massnahmen nicht ergriffen haben, um die Wohlfahrt und Entwicklung ihrer Völker zu fördern, obwohl bei ihnen das Bedürfnis nach verbesserten Arbeitsbedingungen, wirtschaftlichem Fortschritt und sozialer Sicherheit besonders gross ist.

Sie erachtet es als in hohem Masse wünschenswert, dass diese Mitgliedstaaten sobald wie möglich die notwendigen Schritte tun, um den internationalen Mindestforderungen zu genügen und die Entwicklung darüber hinaus 2u fördern.

Sie hält dafür, dass jetzt schon weitere Massnahmen zur Gewährleistung des Lebensunterhaltes erwünscht seien, und zwar durch Vereinheitlichung oder Gleichordnung der sozialen Versicherungssysteme, durch Ausdehnung dieser Systeme auf alle Arbeitnehmer und ihre Familien, einschliesslich der ländlichen Bevölkerung und der Selbständigerwerbenden, und durch die Beseitigung unbilliger Begehvidrigkeiten.

Sie ist der Ansicht, dass diesem Zwecke die Aufstellung gewisser allgemeiner Grundsätze dienen würde, nach denen sich die Mitglieder der Organisation richten sollten, wenq- sie ihr System der Gewährleistung des Lebensunterhaltes in diesem Sinne auf Grund der bestehenden Übereinkommen und Empfehlungen -- bis zur späteren Vereinheitlichung und Erweiterung der Bestimmungen dieser Übereinkommen und Empfehlungen -- ausbauen.

Die Konferenz empfiehlt deshalb, a. dass die Mitglieder der Organisation in fortschrittlicher Weise die nachstehend wiedergegebenen allgemeinen leitenden- Grundsätze, so rasch es die nationalen Verhältnisse zulassen, befolgen, indem sie ihre Begelung zur Gewährleistung des Lebensunterhaltes nach dem fünften Grundsatze der Atlantik Charta gestalten und dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die Massnahmen berichten, die sie in Befolgung der erwähnten allgemeinen leitenden Grundsätze getroffen haben; sie macht fc. die Mitglieder der Organisation aufmerksam auf die der Konferenz für die Anwendung dieser allgemeinen Bichtlinien unterbreiteten und im Anhang zu dieser Empfehlung enthaltenen Vorschläge.

Leitende Grundsätze.

Allgemeines.

1. Jedes System für die Gewährleistung des Lebensunterhaltes sollte zur Milderung der Armut und Verhütung von Not dienen, indem es die Mittel

808 zum Lebensunterhalt angemessen ersetzt, die "wegen Arbeitsunfähigkeit (einschliesslicb der durch Alter bedingten) oder der Unmöglichkeit, lohnende Beschäftigung zu finden, oder infolge des Todes des Yersorgers ausgefallen sind.

2. Die Gewährleistung des Lebensunterhaltes sollte soweit wie möglich auf einer sozialen Zwangsversicherung beruhen, wobei die Versicherten, welche die vorgeschriebenen Bedingungen erfüllen, auf Grund ihrer an eine Versicherungseinrichtung bezahlten Beiträge Leistungen nach Sätzen und in Fällen zu beanspruchen haben, die gesetzlich festgelegt sind, 8. Durch die soziale Fürsorge sollte den Bedürfnissen Eechnung getragen, werden, die. nicht durch die soziale Zwangsversicherung gedeckt sind. Bestimmte Personengruppen, namentlich unterhaltsberechtigte Kinder, bedürftige invalide und betagte Personen sowie bedürftige Witwen sollten Fürsprgegelder in angemessener Höhe und nach festen Sätzen zu beanspruchen haben.

4. Eine den Erfordernissen des Einzelfalles angemessene Sozialfürsorge sollte allen andern bedürftigen Personen gewährt werden.

Sozialversicherung.

5. Die Eisiken, die durch die soziale Zwangsversicherung gedeckt sind, sollten alle Fälle umfassen, in denen ein Versicherter wegen Arbeitsunfähigkeit oder der Unmöglichkeit, lohnende Beschäftigung zu finden, verhindert ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, oder in denen er stirbt und eine unterstützungsberechtigte Familie hinterlässt. Gewisse im Zusammenhang mit diesen Eisiken stehende und häufig vorkommende'Ereignisse, die eine besondere Belastung für bescheidene Einkommen darstellen, sollten ebenfalls in die Versicherung einbezogen werden, soweit ihr Eisiko nicht anderswie gedeckt ist.

6. Eine Entschädigung sollte vorgesehen werden für Arbeitsunfähigkeit oder für Todesfälle, die beruflich bedingt sind.

7. Damit die Leistungen der Sozialversicherung sich den verschiedenen Bedürfnissen eng anpassen, sollten die durch die Versicherung gedeckten Eisiken folgendermassen eingeteilt werden: a. Krankheit, b. Mutterschaft, c. Invalidität, d. Alter, e. Tod des Versorgers, /. Arbeitslosigkeit, g. ausserordentlicho Auslagen, h. Berufsschäden (beruflieh bedingte Verletzungen oder Krankheiten).

Dabei sollten Versicherungsleistungen für Invalidität, Alter und Arbeitslosigkeit nie gleichzeitig miteinander gewährt werden.
8. Ausser den Leistungen zum Ausgleiche des Verdienstausfalls sollten Zusatzleistungen für jedes der beiden ersten Kinder gewährt werden, während für die weiteren Kinder durch Familienzulagen aus öffentlichen Mitteln oder Gemeinschaftskassen gesorgt werden könnte.

809

9. Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Leistung der Krankenversicherung, besteht im Verdienstausfall wegen Arbeitsbefreiung bei medizinischer Indikation infolge einer akuten Krankheit oder Verletzung, die .ärztliche Behandlung oder Überwachung erfordert.

10. Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Leistung der Mutterschaftsversicherung, besteht im Verdienstausfall wegen Arbeitsbefreiung während einer bestimmten Zeitspanne vor und nach der Niederkunft.

11. Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Leistung der Invalidenversicherung, besteht in der Unfähigkeit, eine genügend einträgliche Beschäftigung wegen eines chronischen Zustandes auszuüben, der durch eine Krankheit, eine Verletzung oder den Verlust eines Gliedes oder einer Funktion verursacht worden ist.

12. Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Leistung der Altersversicherung, besteht im Erreichen eines bestimmten Alters, in dem die Fähigkeit zu tüchtiger Arbeitsleistung gewöhnlich verloren geht, Krankheit und Invalidität sich stark fühlbar machen und allfällige Arbeitslosigkeit dauernd .zu werden droht.

13. Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Leistung der Hinterbliebenenversicherung, besteht im Verluste der Mittel zum Lebensunterhalt, den die Hinterbliebenen mutmasslich durch den Tod des Familienhauptes erleiden.

14. Das vorsicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Leistung der Arbeitslosenversicherung, besteht im Verdienstausfall, sei es infolge von Ganzarbeitslosigkeit eines Versicherten, der sich ordentlicherweise in Anstellung befindet, :zu einer regelnlässigen Tätigkeit in einem Berufe fähig ist und sich um eine geeignete Beschäftigung bemüht, sei es infolge von Teilarbeitslosigkeit.

15. Versicherungsleistungen sollten vorgesehen werden für ausserordentTiche Auslagen, wie sie sich bei Krankheit, Niederkunft, Invalidität und Tod ergeben, soweit für die Deckung dieser Auslagen nicht anderswie gesorgt ist.

16. Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Vergütung für einen Berufsschaden, besteht in einer "Wundverletzung, oder einer Krankheit, die sich aus der Berufsausübung ergeben hat und vorübergehende oder dauernde Arbeitslosigkeit oder den Tod herbeiführt, soweit die Verletzung oder Krankneit nicht mit Vorbedacht oder durch eine schwere und absichtliche
Verfehlung des Opfers hervorgerufen worden ist.

17. Die Sozialversicherung sollte ihren Schutz für die in Betracht kommenden Eisiken allen unselbständig und selbständig Erwerbenden, einschliesslich .ihrer unterstützungsberechtigten Angehörigen, gewähren, soweit es bei diesen ^Personen möglich ist, a. Versicherungsbeiträge ohne unverhältnismässig hohe Verwaltungskosten zu erheben und b. Versicherungsleistungen in Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen des Gesundheitswesens und der Arbeitsvermittlung unter Anwendung der notwendigen Vorsichtsmassnahmen gegen Missbrauch auszuzahlen.

810 18. Dem Arbeitgeber sollte es obliegen, die Versicherungsbeiträge aller von ihm beschäftigten Personen einzuziehen. Auch sollte er befugt sein, den geschuldeten Betrag bei der Auszahlung der Löhne von diesen in Abzug zu bringen.

19. Zur Förderung einer guten Verwaltung der Versicherungsausgaben, sollten Massnahmen getroffen werden für die Führung von Verzeichnissen über die bezahlten Versicherungsbeiträge, für die Schaffung einfacher Mittel zur Feststellung eines Schadenfalles, aus dem sich der Anspruch auf die Versicherungsleistung herleitet, und für eine gleichgeordnete Organisation der Dienststellen des Gesundheitswesens und der Arbeitsvermittlung, die sich mit der Verhütung und Heilung der Schäden befassen.

20. Die Unselbständigerwerbenden sollten gegen die Gesamtheit der durch die Sozialversicherung gedeckten Risiken versichert werden, sobald sich, die Erhebung ihrer Beiträge regeln lässt und die notwendigen Massnahmen für die Verwaltung der 'Versicherungsausgaben getroffen werden können.

21. Die Selbständigerwerbenden Sollten gegen die Eisiken der Invalidität, des Alters und des Todes unter denselben Bedingungen versichert werden wie die Unselbständigerwerbenden, sobald, sich die Erhebung ihrer Beiträge regeln lässt. Zu erwägen ist auch die Möglichkeit ihrer Versicherung bei Krankheit und Niederkunft, soweit diese Krankenhauspflege erfordern, bei Krankheit von mehrmonatiger Dauer und im Falle ausserordentlicher Auslagen, die durch Krankheit, Niederkunft, Invalidität oder Tod bedingt sind.

22. Die Versicherungsleistungen sollten den Verdienstausfall unter gebührender Berücksichtigung der Lasten des Familienunterhaltes bis zu einem höchstmöglichen Grade ersetzen, soweit dies tunlich ist, ohne den Willen zur Arbeitswiederaufnahme, wo eine solche in Betracht kommt, zu schwächen und ohne die produktiven Wirtschaftsgruppen so schwer zu belasten, dass Ertrag und Beschäftigung darunter leiden.

23. Die Versicherungsleistungen sollten im Verhältnis stehen zum früheren.

Verdienst, auf Grund dessen der Versicherte seine Beiträge geleistet hat.

Dabei mag immerhin der Teil des Verdienstes, der den üblichen Verdienst eines gelernten Arbeiters übersteigt, vernachlässigt werden, wo es sich, um die Festsetzung von Leistungen oder Leistungsteilen handelt, die aus anderen Geldquellen als aus den
Beiträgen des Versicherten bestritten werden.

24. Versicherungsleistungen mit festem Satz können in Ländern angemessen sein, wo die Bevölkerung genügende, billige Möglichkeiten hat, sich einen zusätzlichen Schutz im. Wege freiwilliger Versicherung zu verschaffen.

Diese Leistungen sollten in einem Verhältnis zum Verdienst ungelernter Arbeiter stehen.

25. Der Anspruch auf andere Versicherungsleistungen als auf diejenigen für Berufsschäden sollte von Beitragsbedingungen abhängig gemacht werden, die den Nachweis gestatten, dass der Anspruchsteller nach seiner gewöhnlichen beruflichen Stellung ein Unselbständig- oder ein Selbständigerwerbender ist,

811 und die es erlauben, die Eeitragsleistung mit der wünschenswerten Eogelmässigkeit aufrechtzuerhalten. Immerhin soll der Versicherte nicht deshalb seines Anspruches auf Versicherungsleistungen verlustig gehen, weil der Arbeitgeber es unterlassen hat, regelmässig die fälligen Beiträge des Versicherten einzuziehen.

26. Die mit den Versicherungsleistungen zusammenhängenden Unkosten einschliesslich der Verwaltungskostön sollten gemeinsam von den Versicherten, den Arbeitgebern und den Steuerpflichtigen unter Bedingungen aufgebracht werden, die für die Versicherten nicht unbillig sind, Versicherte mit bescheidenen Mitteln nicht üu sehr belasten und jede Störung der wirtschaftlichen Produktion vermeiden.

27. Die Verwaltung der verschiedenen Sozial Versicherungszweige sollte innerhalb einer allgemeinen Organisation der Dienstzweige für soziale Sicherheit vereinheitlicht oder gleichgeordnet werden, und die Beitragsleistenden sollten durch Vermittlung ihrer Verbände in den Organen vertreten sein, die über die Bichtlinien der Verwaltung Beschluss fassen oder Antrag stellen und Gesetzesentwürfe einbringen oder Verordnungen aufstellen.

Soziale Fürsorge.

28. Die staatliche Gemeinschaft sollte in der Eegel mit den Eltern durch das Mittel allgemeiner Fürsorgeeinrichtungen zusammenarbeiten, die bestimmt sind, das Wohlergehen der unterhaltsberechtigten Kinder sicherzustellen.

29. Invalide, Greise sowie Witwen, die keine. Leistungen aus der Sozialversicherung beziehen, weil je nachdem sie selber oder ihre Ehegatten nicht zwangsversichert waren, und deren Einkommen eine bestimmte Höhe nicht . übersteigt, sollten besondere Unterhaltsbeiträge zu vorgeschriebenen Sätzen erhalten.

80. Ausreichende Beiträge in bar oder teils in bar und teils in natura sollten allen in Not befindlichen Personen ausgerichtet werden, soweit diese nicht zur Pflege in eine Heilanstalt verbracht werden müssen.

Anhang.

Leitende Grundsätze mit Vorschlägen îiir ihre Anwendung.

(Die /eingedruckten Absätze enthalten die allgemeinen leitenden Grundsätze und die Unterabsätze die Vorschläge für ihre Anwendung.)

Allgemeines.

1. .Jedes System für die Gewährleistung des Lebensunterhaltes sollte zur Milderung der Armut und Verhütung von Not dienen, indem es die Mittel zum Lebensunterhalt angemessen ersetzt, die wegen Arbeitsunfähigkeit (einschliessliclt

812 der durch Alter bedingten) oder der Unmöglichkeit, lohnende Beschäftigung zu, finden, oder infolge des Todes des Versorgers ausgefallen sind.

2. Die Gewährleistung des Lebensunterhaltes sollte soweit wie möglich auf ·einer sozialen Zwangsversicherung beruhen, wobei die Versicherten, welche die vorgeschriebenen Bedingungen erfüllen, auf Grund ihrer an eine Versicherungseinrichtung bezahlten Beiträge Leistungen nach Sätzen und in Fällen zu beanspruchen haben, die gesetzlich festgelegt sind.

3. Durch die soziale Fürsorge sollte den Bedürfnissen Rechnung getragen werden, die nicht durch die soziale Zwangsversicherung gedeckt sind. Bestimmte Personengruppen, namentlich unterhaltsberechtigte Kinder, bedürftige invalide und betagte Personen sowie bedürftige Witwen sollten Fürsorgegelder in angemessener Höhe und nach festen Sätzen zu beanspruchen 'haben.

4. Eine den Erfordernissen des Einzelfalles angemessene Sozialfürsorge sollte allen andern bedürftigen Personen gewährt werden.

I. Sozialversicherung.

A. Gedeckte Risiken.

U m f a n g der gedeckten Eisiken.

5. Die Risiken, die durch die soziale Zwangsversicherung gedeckt sind, sollten alle Fälle umfassen, in denen ein Versicherter wegen Arbeitsunfähiglteit oder der Unmöglichkeit, lohnende Beschäftigung zu finden, verhindert ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, oder in denen er stirbt und eine unterstützungsberechtigte Familie hinterlässt.Gewisse im Zusammenhang mit diesen Risiken stehende und häufig vorkommende Ereignisse, die eine besondere Belastung für bescheidene Einkommen darstellen, sollten ebenfalls in die Versicherung einbezogen werden, soweit ihr Risiko nicht anderswie gedeckt ist.

6. Eine Entschädigung solite vorgesehen werden für Arbeitsunfähigkeit oder für Todesfälle, die 'beruflich bedingt sind.

7. Damit die Leistungen der Sozialversicherung sich den verschiedenen Bedürfnissen eng anpassen, sollten die durch die Versicherung gedeckten Ris'iken folgendermassen eingeteilt werden: a. Krankheit, b.. Mutterschaft, c. Invalidität, d. Alter, e. Tod des Versorgers, f. Arbeitslosigkeit, g. ausserordentliche Auslagen, h. Berufsschäden (beruflich bedingte Verletzungen oder Krankheiten).

Dabei sollten Versicherungsleistungen für Invalidität, Älter und Arbeitslosigkeit nie gleichzeitig miteinander gewährt werden.

813 8. Ausser den Leistungen zum Ausgleich des Verdienstausfalles sollten Zusatzleistungen für jedes der beiden ersten Kinder gewährt werden, während für die weiteren Kinder durch Familienzulagen aws öffentlichen Mitteln oder Gemeinschaftskassen gesorgt werden könnte.

Krankheit.

9. Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Leistung der Krankenversicherung, besteht im Verdienstaus fall wegen Arbeitsbefreiung bei medizinischer Indikation infolge einer akuten Kranklieit oder Verletzung, die ärztliche Behandlung oder Überwachung erfordert.

1) Die Notwendigkeit der Arbeitsbefreiung sollte in der Eegel mit Bezug auf die Beschäftigung beurteilt werden, die der Versicherte früher ausgeübt hat und die er vermutlich wieder aufnehmen wird.

2) Die Auszahlung einer Versicherungsleistung kann für die ersten Krankheitstage unterbleiben. Tritt jedoch innerhalb weniger Monate ein Rückfall ein, so sollte keine neue Wartefrist auferlegt werden.

8) Die Versicherungsleistung sollte womöglich so lange gewährt werden, bis der Empfänger entweder seine Arbeit wieder .aufnehmen kann oder bis er stirbt oder dauernd arbeitsunfähig wird. Erscheint es jedoch erforderlich, die Auszahlung der Entschädigung zeitlich zu beschränken, so sollte die Höchstdauer für don einzelnen Krankheitsfall nicht weniger als sechsundzwanzig Wochen betragen, und es sollten Vorkehrungen getroffen werden, um diese Dauer bei besonderen Krankheiten zu verlängern, die, wie die Tuberkulose, zwar heilbar, aber oft langwierig sind. Dabei mag es immerhin während der Anlaufzeit eines Versicherungssystems notwendig sein, eine kürzere als die genannte Dauer von sechsundzwanzig Wochen vorzusehen.

Mutterschaft.

10. Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Leistung der MutterschaftsverSicherung, besteht im Verdienstausfall wegen Arbeitsbefreiung während einer bestimmten Zeitspanne vor und nach der Niederkunft.

1) Jede Frau sollte auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses, wonach ihre Niederkunft mutmasslich binnen sechs Wochen stattfinden wird, das Eecht haben, die Arbeit niederzulegen, und keine Frau sollte vor Ablauf von sechs Wochen nach ihrer Niederkunft zur Arbeit zugelassen werden.

2) Während dieser Zeitspannen sind Leistungen der Mutterschaftsversicherung zu gewähren.

3) Die Arbeitsbefreiung kann für längere Zeitspannen oder aus
andern Anlässen bei medizinischer Indikation mit Bücksicht auf den Gesundheitszustand der Bezugsberechtigten und die Anforderungen ihrer Arbeit wünschbar sein. Während dieser Zeitspannen ist ein Krankengeld auszurichten.

Bundeeblatt. 98. Jahrg. Bd. I.

54

814 4) Die Leistungen der Muttergchaftsversicherung können davon abhängig gemacht werden, dass die Bezugsberechtigte von den ihr und ihrem Kinde zur Verfügung gestellten Diensten der Gresundheitshilfe Gebrauch macht.

Invalidität.

11. Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Leistung der Invalidenversicherung, besteht in der Unfähigkeit, eine genügend einträgliche Beschäftigung wegen eines chronischen Zustandes auszuüben, der durch eine Krankheit, eine Verletzung oder den Verlust eines Gliedes oder einer Funktion verursacht worden ist.

1) Personen mit beschränkter Arbeitsfähigkeit sollten dazu angehalten werden, jede für sie geeignete Beschäftigung anzunehmen, wobei den ihnen verbleibenden Kräften und Fähigkeiten, ihren früher erworbenen Erfahrungen und den ihnen zu Gebote stehenden Schulungsmöghchkeiten Bechnung zu tragen ist.

2) Personen, für die es solche geeignete Beschäftigungen gibt, ohne dass diese aber gerade vorhanden wären, und Personen, die an einem Schulungskurse teilnehmen, sollten eine zeitweilige Leistung der Invalidenversicherung, eine Schulungsentschädigung oder, falls sie im übrigen die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, eine Leistung der Arbeitslosenversicherung erhalten.

3) Personen, für die es keine solche geeignete Beschäftigung gibt, sollten eine Leistung der Invalidenversicherung erhalten.

4) Bezugsberechtigte, die nachgewiesenermassen zu regelmässiger einträglicher Arbeit dauernd unfähig sind, sollten ihre Invalidenentschädigung durch gelegentlichen bescheidenen Verdienst ergänzen dürfen.

5) Wo der Satz für die Leistung der Invalidenversicherung in Beziehung steht zum früheren Verdienste des Versicherten, sollte dann ein Anspruch auf Entschädigung bestehen, wenn die Person mit beschränkter Arbeitsfähigkeit nicht imstande ist, sich bei durchschnittlicher Anstrengung mindestens einen Drittel des regelmässigen Verdienstes zu sichern, den in ihrer früheren Beschäftigung vollarbeitsfähige Personen mit gleicher Schulung verdienen.

6) Leistungen der Invalidenversicherung sollten vom Tage an, an dem.

das Krankengeld nicht mehr ausgerichtet wird, für die ganze Dauer der Invalidität ausbezahlt werden. Vorbehalten bleibt der Ersatz dieser Leistungen durch solche der Altersversicherung, wenn der Bezugsberechtigte das Alter erreicht hat, um diese beanspruchen
zu können.

Alter.

12. Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt zu einer Leistung der Altersversicherung, besteht im Erreichen eines bestimmten Alters, in dem die Fähigkeit zu tüchtiger Arbeitsleistung gewöhnlich verloren geht, Krankheit und Invalidität sich stark fühlbar machen und allfdilige Arbeitslosigkeit dauernd zu werden droht.

815 1) Das Mindestalter, das Anspruch auf Leistungen der Altersversicherung gibt, sollte bei Männern nicht mehr als fünfundsechzig, bei Frauen nicht mehr als sechzig Jahre betragen. Vorbehalten bleibt die Herabsetzung der Altersgrenze für Personen, die lange Zeit schwere und gesundheitsschädliche Arbeit verrichtet haben.

2) Wenn die Grundleistung als für den Lebensunterhalt ausreichend erscheint, kann die Ausrichtung von Leistungen der Altersversicherung davon abhängig gemacht werden, dass auf jede regelmässige einträgliche Arbeit verzichtet wird. Wird ein solcher Verzicht verlangt, so sollte gelegentlicher und verhältnismässig geringfügiger Verdienst den Anspruch auf eine solche Leistung nicht ausschliessen.

Tod des Versorgers.

13, Das versicherte Ereignis, das Anlass gibt eu einer Leistung der Hinterbliebenenversicherung, besteht im Verlust der Mittel zum Lebensunterhalt, den die Hinterbliebenen mutmasslich durch den Tod des Familienhauptes erleiden.

1) Leistungen der Hinterbliebenenversicherung sollten gewährt werden: a. der Witwe des Versicherten, &. den Kindern, Stiefkindern, Adoptivkindern und ·-- sofern sie zuvor als unterstützungsberechtigte Personen eingetragen worden sind -- unehelichen Kindern eines Versicherten oder einer Versicherten, falls diese für den Unterhalt der Kinder gesorgt haben, und c. unterBedingungen, die durch die nationale Gesetzgebung festzusetzen sind, einer unverheirateten Frau, mit welcher der Versicherte in Gemeinschaft gelebt hat.

2) Versicherungsleistungen für Witwen sollten einer Witwe gewährt werden, die für den Unterhalt eines Kindes sorgt, dem eine Versicherungsleistung für Kinder zusteht, oder die beim Tod ihres Ehegatten invalid ist oder es später wird oder die das für die Beanspruchung von Leistungen der Altersversicherung festgesetzte Mindestalter erreicht hat. Eine Witwe, die keine dieser Bedingungen erfüllt, sollte während einer Mindestdauer von mehreren Monaten eine Versicherungsleistung für Witwen beziehen und, falls arbeitslos, auch nachher noch, bis ihr eine angemessene Beschäftigung angeboten werden kann, nötigenfalls nach entsprechender Schulung.

8) Versicherungsleistungen für Kinder sollten Kindern gewährt werden, die noch im schulpflichtigen Alter sind oder die das 18. Altersjahr noch nicht überschritten haben und ihre allgemeine oder
berufliche Schulung fortsetzen.

Arbeitslosigkeit.

14. Das versicherte Ereignis, das Ânlass gibt zv, einer Leistung der Arbeitslosenversicherung, besteht im Verdienstausfall, sei es infolge von Ganzarbeitslosigkeit eines Versicherten, der sich ordentlicherweise in Anstellung befindet, zu einer regelmässigen Tätigkeit in einem Berufe fähig ist und sich um eine geeignete Beschäftigung bemüht, sei es infolge von Teilarbeitslosigkeit.

816

1) Die Auszahlung einer Versicherungsleistung kann für die ersten Tage einer Zeitspanne der Arbeitslosigkeit, gerechnet von dem Tage, an dem der Anspruch angemeldet wird, unterbleiben. Tritt jedoch innerhalb weniger Monate wieder Arbeitslosigkeit ein, so sollte keine neue Wartefrist auferlegt werden.

2) Die Versicherungsleistung sollte so lange gewährt werden, bis dem Versicherten geeignete Arbeit zugewiesen werden kann.

8) Während einer ersten Frist, die unter billiger Berücksichtigung der Umstände des einzelnen Falles zu bemessen ist, sollten als geeignete Arbeiten lediglich die folgenden betrachtet werden: a. Arbeit im gewöhnlichen Beschäftigungszweig des Versicherten, ohne Wechsel des Wohnortes und entlöhnt zum üblichen Lohnsatze, nach gesamtarbeitsvertraglicher Eegelung, wo eine solche besteht; fo. eine andere für den Versicherten zumutbare Arbeit.

4) Nach Ablauf dieser ersten Frist können als geeignete Arbeiten gelten: a. Arbeit in einem andern Beschäftigungszweige, falls sie dem Versicherten unter Berücksichtigung seiner Kräfte, seiner Fähigkeiten, seiner früher erworbenen Erfahrung und der ihm zu Gebote stehenden Umschulungsmöglichkeiten billigerweise zugemutet werden kann; 1). Arbeit mit Wechsel des Wohnortes, falls sich am neuen Wohnort geeignete Unterkunft beschaffen lägst; · c. Arbeit unter weniger günstigen Bedingungen, als sie der Versicherte,in seiner üblichen Beschäftigung und an seinem gewöhnlichen Wohnorte in der Begel erhalten hat, falls die ihm gebotenen Bedingungen den allgemein im Beschäftigungszweig und in der Gegend des Arbeitgangebotes geltenden Normen entsprechen.

Ausserordentliche Auslagen.

15. Versicherungsleistungen sollten vorgeselien werden für ausserordentliche Auslagen, wie sie sich bei Krankheit, Niederkunft, Invalidität.und Tod ergeben, soweit für die Deckung dieser Auslagen nicht anderswie gesorgt ist.

1) Eine Mutter von unterhaltsberechtigten Rindern, die versichert oder Ehefrau eines Versicherten ist und keine Versicherungsleistung für Verdienstausfall empfängt, sollte für die Dauer der Krankenhauspflege die notwendige häusliche Hilfe erhalten oder eine Versicherungsleistung, die es ihr erlaubt, eine solche Hilfe zu dingen.

2) Versicherten Frauen und .Ehefrauen versicherter Männer ist bei der Niederkunft ein einmaliger Beitrag an die Kosten der
Säuglingsausstattung und ähnliche Auslagen auszurichten.

8) Den Empfängern von Leistungen der Invaliden- oder der Altersversicherung, die ständige Wartung benötigen, ist eine besondere Zusatzleistung zu gewähren.

817 4) Beim Tod eines oder einer Versicherten, oder der Ehefrau, des Ehemannes oder eines unterhaltsberechtigten Kindes eines oder einer Versicherten ist an die Bestattungskosten ein einmaliger Betrag auszurichten.

Berufsschäden.

1&. Das versicherte Ereignis, das Arilass gibt zu einer Vergütung für einen Berufsschäden, besteht in einer Wundverletzung oder einer Krankheit, die sich aus der Berufsausübung ergeben hat und vorübergehende oder dauernde Arbeitslosigkeit oder den Tod herbeiführt, soweit die Verletzung oder Kranklieit nicht mit Vorbedacht oder durch eine schwere und absichtliche Verfehlung des Opfers hervorgerufen worden ist.

1) Der Begriff des Berufsschadens ist so auszulegen, dass er Unfälle auf dem Wege von und zu der Arbeitsstätte einschliesst.

2) Wo eine Entschädigung für einen Berufsschaden auszurichten ist, sollten die vorausgehenden Bestimmungen entsprechend den folgenden Absätzen angemessen abgeändert werden.

3) Eine Krankheit, der nur die in bestimmten Berufszweigen beschäftigten Personen häufig unterworfen sind oder die eine Vergiftung darstellt, hervorgerufen durch die in bestimmten Berufszweigen verwendeten Stoffe, sollte, falls die erkrankte Person in einem dieser Berufszweige beschäftigt gewesen ist, als mutmasslich beruflich verursachte Krankheit betrachtet und entschädigt werden.

4) Ein Verzeichnis dieser mutmasslich beruflich verursachten Krankheiten sollte aufgestellt und von Zeit zu Zeit in einem einfachen Verfahren überprüft werden.

5) Wird in einem bestimmten Beschäftigungszweig eine Mindestdauer der Beschäftigung als Voraussetzung für die Anerkennung einer inutmasshch beruflich verursachten Krankheit festgesetzt und ebenso eine Höchstdauer, während der diese Anerkennung nach Aufgabe der Beschäftigung noch gilt, so sollte die bis zum Eintritt und Ausbruch der Krankheit notwendige Zeit in Rechnung gestellt werden.

6) Eine Entschädigung für zeitweilige Arbeitsunfähigkeit sollte unter ähnlichen Bedingungen gewährt werden, wie sie für Leistungen der Krankenversicherung gelten.

7) Es sollte die Möglichkeit erwogen werden, eine Entschädigung schon vom ersten Tag zeitweiliger Arbeitsunfähigkeit an auszurichten, falls die Arbeitsunfähigkeit länger dauert als die Wartefrist.

8) Eine Entschädigung für dauernde Arbeitsunfähigkeit sollte gewährt werden bei Verlust oder
Verminderung der ErwerbsfähigkeiL infolge der Eiiibusse eines Gliedes oder einer Funktion oder infolge eines durch Unfall oder Krankheit verursachten Zustandes dauernder Benachteiligung,

818 9) Ein dauernd arbeitsunfähiger Versicherter sollte zur A.rbeitswiederaufnahme in einem für ihn geeigneten Tätigkeitsgebiet gehalten sein unter Berücksichtigung der ihm verbliebenen Kräfte und Fähigkeiten, serner früher erworbenen Erfahrung und der ihm zu Gebote stehenden Umschulungsmöglichkeiten.

10) Falls ihm keine Arbeit dieser Art angeboten werden kann, sollte er eine endgültig oder vorläufig festgesetzte Entschädigung für gänzliche Arbeitsunfähigkeit erhalten.

11) Falls ihm eine Arbeit dieser Art angeboten werden kann, aber die Lohnsumme, die er damit bei durchschnittlicher Anstrengung zu verdienen vermag, wesentlich geringer ist als diejenige, die er ohne den Unfall oder die Krankheit mutmasslich verdient hätte, so sollte er eine der verminderten Verdienstmöglichkeit entsprechende Entschädigung für Teilarbeitsunfähigkeit erhalten.

12) Bei Verlust eines Gliedes oder einer Funktion oder bei Entstellung sollte in allen Fällen die Möglichkeit einer angemessenen Entschädigung erwogen werden, selbst wenn keine Verminderung der Arbeitsfähigkeit nachweisbar ist.

" 13) Arbeitnehmer, die der Gefahr einer langsam sich entwickelnden Berufskrankheit ausgesetzt sind, sollten in regelmässigen Zeitabständen untersucht werden, und diejenigen, für die ein Beschäftigungswechsel angezeigt ist, sollten Anspruch auf eine Entschädigung haben, 14) Eine Entschädigung für dauernde Voll- oder Teilarbeitsunfähigkeit sollte für die ganze Dauer einer solchen Arbeitsunfähigkeit vom Zeitpunkt an gewährt werden, da die Zahlung einer Entschädigung für zeitweilige Arbeitsunfähigkeit eingestellt wird.

15) Die Empfänger einer Entschädigung für dauernde Teilarbeitsunfähigkeit sollten unter denselben Bedingungen wie vollarbeitsfähige Arbeitnehmer Anspruch auf andere Versicherungsleistungen haben, falls die Ansätze dieser Leistungen sich nach dem früheren Verdienste des Versicherten richten.

16) Falls die Ansätze dieser Versicherungsleistungen sich nicht nach dem früheren Verdienste des Versicherten richten, kann für die Entschädigung zusammen mit solchen anderen Versicherungsleistungen ein Höchstsatz aufgestellt werden.

17) Eine Entschädigung der Hinterbliebenen sollte vorbehaltlich der Bestimmungen der folgenden Absätze denselben unterstützungsberechtigten Personen ausgerichtet werden, die sonst Anspruch auf Leistungen
der Hinterbliebenenversicherung hätten.

18) Eine Witwe sollte eine Entschädigung während der ganzen Dauer ihrer Witwenschaft erhalten.

19) Kinder sollten eine Entschädigung bis zum achtzehnten Altersjahr erhalten oder bis zum einundzwanzigsten Altersjahr, falls sie ihre allgemeine oder berufliche Schulung fortsetzen.

819 20) Es sollte vorgesehen werden, dass auch andere unterstützungsberechtigte Glieder der Familie des Verstorbenen eine Entschädigung erhalten, unbeschadet der Ansprüche der Witwe und der Kinder.

21) Die Hinterbliebenen eines zu zwei Dritteln oder mehr dauernd arbeitsunfähigen Versicherten, der nicht an den Folgen eines Berufsschadens gestorben ist, sollten auf die Grundleistung der Hinterbliebenenversicherung Anspruch haben, gleichviel ob der Verstorbene die Beitragsbedingungen für eine solche Leistung im Zeitpunkte seines Ablebens erfüllt hat oder nicht.

B. .Zulassung zur Versicherung.

Umfang des persönlichen Geltungsbereiches, 17. Die Sozialversicherung sollte ihren Schutz für die in Betracht kommenden Bisiken allen Unselbständig- und Selbständigerwerbenden, einschliesslich ihrer unterstützungsberechtigten Angehörigen, gewähren, soweit es bei diesen Personen möglich ist, a. Versicherungsbeiträge ohne unverhältnismässig hohe Verwaltungskosten zu erheben una b, Versicherungsleistungen in Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen des Gesundheitswesens und der Arbeitsvermittlung unter Anwendung der notwendigen Vorsichtsmassnahmen gegen iîissbrauch auszuzahlen.

1) Unterhaltsberechtigte Ehefrauen (d. h. Ehefrauen, die weder unselbständig noch selbständig erwerbend sind) und unterhaltsberechtigte Kinder (d. h. Kinder im schulpflichtigen Alter oder solche unter achtzehn Jahren, die ihre allgemeine oder berufliche Schulung fortsetzen) sollten auf Grund der Versicherung des Versorgers einen Versicherungsschutz gemessen.

Einziehung der Versicherungsbeiträge.

18. Dem Arbeitgeber sollte es obliegen, die Versicherungsbeiträge aller von ihn beschäftigten Personen einzuziehen. Auch sollte er.befugt sein, den geschuldeten Betrag bei der Auszahlung der Löhne von diesen in Abzug zu bringen.

1) Ist für irgendeine Gruppe von Selbständigerwerbenden die Zugehörigkeit zu einem Berufsverband oder der Besitz eines Bewilligungsausweises vorgeschrieben, so kann der Berufsverband oder die den Ausweis ausstellende Behörde mit der Einziehung der Versicherungsbeiträge dieser Arbeitnehmer betraut werden.

2) Mit der Einziehung der Versicherungsbeiträge der Selbständigerwerbenden, die in einem Steuerregister eingetragen sind, kann die Zentral- oder die Ortsbehörde betraut werden.

0) Bis zur Schaffung von Stellen,
welche die Einziehung vuii Versicherungsbeiträgen gewährleisten, sollte dafür gesorgt werden, dass Selbständigerwerbende einzeln oder als Verbandsmitglieder freiwillig Beiträge leisten können.

820 Verwaltung der Versicherungsleistungen.

19. Zur Förderung einer guten Verwaltung der Versicherungsausgaben sollten Massnahmen getroffen werden für die Führung von Verzeichnissen über die bezahlten Versicherungsbeiträge, für die Schaffung einfacher Mittel zur Feststellung eines Schadensfalles, aus dem sich der Anspruch auf die Versicherungsleistung herleitet, und für eine gleichgeordnete Organisation der Dienststellen des Gesundheitswesens und der Arbeitsvermittlung, die sich mit der Verhütung und Heilung der Schäden befassen.

Unselbständigerwerbende.

20. Die Unselbständigerwerbenden sollten gegen die Gesamtheit der durch die Sozialversicherung gedeckten Eisiken versichert werden, sobald sich die Erhebung ihrer Beiträge regeln lässt und die notwendigen Massnahmen für die Verwaltung der Versicherungsausgaben getroffen werden können, 1) Personen, deren Beschäftigung so unregelraässig ist oder in ihrer Gesamtdauer vermutlich so kurz sein wird, dass für sie ein Anspruch auf die den Unselbständigerwerbenden zukommenden Versicherungsleistungen kaum in Betracht fällt, können von der Versicherung, die zu solchen Ansprüchen berechtigt, ausgeschlossen werden. Für Personen, die gewöhnlich nur sehr kurzfristig bei demselben Arbeitgeber arbeiten, sollten besondere Massnahmen. getroffen werden.

2) Lehrlinge, die keinen Lohn erhalten, sollten gegen Berufsschäden versichert werden, und vom Zeitpunkt an, an dem sie ihre Berufslehre beendigt haben, sollte sich ihre Entschädigung nach den berufsüblichen Löhnen richten.

Selbständigerwerbende.

21. Die Selbständigerwerbenden sollten gegen die Risiken der Invalidität, des Alters und des Todes unter denselben Bedingungen versichert werden^ wie die Unselbständigerwerbenden, sobald sich die Erhebung ihrer Beiträge regeln lässt.

Zu erwägen ist auch die Möglichkeit ihrer Versicherung bei Krankheit und Niederkunft, soweit diese Krankenhauspflege erfordern, bei Krankheit von mehrmonatiger Dauer und im Falle ausserordentlicher Auslagen, die durch Krankheit, Niederkunft, Invalidität oder Tod bedingt sind, 1) Die in Hausgemeinschaft mit dem. Arbeitgeber lebenden. Familienangehörigen, abgesehen von der unterhaltsberechtigten Ehefrau und den unterhaltsberechtigten Kindern, sollten entweder auf Grund ihrer tatsächlichen Löhne oder, falls diese nicht feststellbar sind,
auf Grund des Marktwertes ihrer Dienstleistungen gegen die genannten Bisiken versichert werden. Für die Zahlung der hieraus geschuldeten Beiträge sollte der Arbeitgeber aufkommen.

2) Selbständiger werbende, deren Verdienst gewöhnlich BÖ gering ist, dass dieser nur als zusätzliche oder gelegentliche Einnahmequelle betrachtet werden kann, oder für welche die Zahlung des Mindestbeitrages eine starke Belastung

82Ì

wäre, sollten vorübergehend von der Versicherung ausgeschlossen und an den Arbeitsnachweis oder eine etwa bestehende besondere Wohlfahrtseinrichtung der in Betracht kommenden Berufsgruppe verwiesen werden.

8) Personen, die nach Ablauf der für die Beanspruchung von Leistungen der Invahditäts- und Hinterbliebenenversicherung vorgeschrie.benen Dauer der Beitragszahlung nicht mehr zwangsmässig als Unselbständig- oder Selbständigerwerbende versichert sind, sollten innerhalb einer beschränkten Frist den Willen bekunden dürfen, ihre Versicherung, vorbehaltlich besonderer Vorschriften hierüber, unter denselben Bedingungen wie Selbständigerwerbende fortzusetzen.

C, Versicherungsleistungen und, Beitragsbedingungen.

Versicherungsleistungen.

22. Die Versicherungsleistungen sollten den Verdienstausfall unter gebührender Berücksichtigung der Lasten des Familienunterhaltes bis «u, einem höchstmöglichen Grade ersetzen, soweit dies tunlich ist, ohne den Willen zur Arbeilswieder auf nähme, wo eine solche in Betracht kommt, zu schwächen und ohne die produktiven Wirtschaftsgruppen so schwer su belasten, dass Ertrag und Beschäfti(jung darunter leiden.

23. Die Versicherungsleistungen sollten im Verhältnis stehen zum früheren Verdienst, auf Grund dessen der Versicherte seine Beiträge geleistet hat. Dabei mag immerhin der Teil des Verdienstes, der den üblichen Verdienst eines gelernten Arbeiters übersteigt, vernachlässigt werden, wo es sich um die Festsetzung von Leistungen oder Leistungsteilen handelt, die aus anderen Geldquellen als aus den Beiträgen des Versicherten bestritten werden.

24. Versicherungsleistuïigen mit festem Satz können in Ländern angemessen sein, wo die Bevölkerung genügende, billige Möglichkeiten hat, sich einen zusätzlichen Schutz im Wege freiwilliger Versicherung zu verschaffen. Diese Leistungen sollten in einem Verhältnis zum Verdienst ungelernter Arbeiter stehen.

1) Bei ungelernten Arbeitern sollten die Leistungen der Kranken- und der Arbeitslosenversicherung nicht weniger als 40 v. H. des früheren Reinverdienstes des Versicherten betragen, falls er keine Unterstützungspflicht erfüllen muss, und nicht weniger als 60 v. H. dieses Verdienstes, falls er eine unterhaltsberechtigte Ehefrau oder eine seiner Kinder wegen gehaltene Haushälterin hat. Eine zusätzliche Entschädigung von 10 v, H. seines
früheren Verdienstes sollte für das erste und für das zweite unterhaltsberechtigte Kind gewährt werden, abzüglich allfälliger für diese Kinder ausgerichteter Familienzulagen.

2) Bei Arbeitnehmern mit hohem Verdienst können die oben genannten, auf den früheren Verdienst bezogenen Hundertsätze leicht herabgesetzt werden.

8) Die Leistung der Mutterschaftsversicherung sollte in jedem Fall für den vollständigen Unterhalt von Mutter und Kind unter gesundheitlich günstigen Verhältnissen ausreichen. Sie sollte nicht weniger betragen als 100 v. H. des

822 üblichen Beinverdienstes ungelernter Arbeitnehmerinnen oder nicht weniger als 75 v. H. des früheren Beinverdienstes der Leistungsempfängerin, wobei der grössere der beiden Beträge zugrunde zu legen ist. Doch kann die Leistung um den Betrag einer allfällig für das Kind gewährten Familienzulage herabgesetzt werden.

4) Die Grandleistungen der Invaliden- und der Altersversicherung sollten nicht geringer sein als 80 v. H. des üblichen, gemeinhin anerkannten Lohnes für ungelernte Arbeitnehmer männlichen Geschlechtes im Wohngebiete des Leistungsempfängers, falls dieser keine Unterstützungspflicht erfüllen muss, oder nicht weniger als 45 v. H. dieses Lohnes, falls er eine unterhaltsberechtigte Eher frau hat, die Anspruch auf eine Versicherungsleistung für Witwen hätte, oder eine seiner Kinder wegen gehaltene Haushälterin, Eine zusätzliche Entschädigung von 10 v. H. dieses Lohnes sollte für das erste und für das zweite unterhaltsberechtigte Kind gewährt werden, abzüglich allfälliger für diese Kinder ausgerichteter Familienzulagen.

5) Die Grundleistung für Witwen sollte nicht geringer sein als 80 v. H. des üblichen, gemeinhin anerkannten Lohnes für ungelernte Arbeitnehmer männlichen Geschlechtes im Wohngebiete der Leistungsempfängerin. Eine zusätzliche Entschädigung von 10 v. H. dieses Lohnes sollte für das erste, das zweite und das dritte unterhaltsberechtigte Kind gewährt werden, abzüglich allfälliger für diese Kinder ausgerichteter Kinderzulagen.

6) Im Falle einer Waise sollte die Grundleistung für Kinder nicht geringer sein als 20 v. H. des üblichen, gemeinhin anerkannten Mindestlolmes ungelernter Arbeiter männlichen Geschlechtes, abzüglich einer allfälligen für die Waise ausgerichteten Kinderzulage.

7) Für jeden Beitrag über den Mindestsatz hinaus, der zum Bezug der Grundleistung der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung berechtigt, kann ein Bruchteil dem Versicherten gutgeschrieben werden zwecks Erhöhung der Versicherungsleistungen nach Absatz 4, 5 und 6.

8) In jedem Falle, in dem die Pensionierung später als bei Erreichung des Mindestalters stattfindet, in dem die Leistung der Altersversicherung beansprucht werden kann, sollte die Grundleistung der Altersversicherung angemessen erhöht werden.

9) Die Entschädigung für Berufsschäden sollte nicht weniger betragen als zwei Drittel
des als Folge des Berufsschadens wirklich oder schätzungsweise erlittenen Lohnausfalls.

10) Diese Entschädigung sollte in Gestalt einer Bente ausgerichtet werden, ausser wo die zuständige Behörde eine Kapitalabfindung als vorteilhafter für den Empfänger erachtet.

11) Bei Renten für dauernde Invalidität und boi Hintorbliobononronton sollte eine ständige Anpassung an wesentliche Änderungen der Lohnhöhe im früheren Beschäftigungszweig des Versicherten stattfinden,

823 Beitrags B e d i n g u n g e n .

25. Der Anspruch auf andere Versicherungsleistungen als auf diejenigen für Berufsschäden sollte von Beitragsbedingungen abhängig gemacht werden, die den Nachweis gestatten, dass der Anspruchsteller nach seiner gewöhnlichen beruflichen Stellung ein Unselbständig- oder ein Selbständigerwerbender ist, und die es erlauben, die Beitragsleistung mit der wünschenswerten Regelmässigkeit aufrechtzuerhalten. Immerhin soll der Versicherte nicht deshalb seines Anspruchs auf Versicherungsleistungen verlustig gehen, weil der Arbeitgeber es unterlassen hat, regelmässig die fälligen Beiträge des Versicherten einzuziehen.

1) Die Beitragsbedingungen als Voraussetzung der Versicherungsleistung bei Krankheit, Niederkunft und Arbeitslosigkeit können die Forderung einschliessen, dass die Beiträge für mindestens einen Viertel einer bestimmten Zeitspanne -- beispielsweise zwei Jahre -- vor Eintritt des versicherten Ereignisses entrichtet worden sind.

2) Die Beitragsbedingungen als Voraussetzung der Versicherungsleistung bei Niederkunft können die Forderung einschliessen, dass der erste Beitrag mindestens zehn Monate vor dem mutmasslichen Zeitpunkt der Niederkunft geleistet worden ist. Doch sollten, auch wenn die Beitragsbedingungen nicht erfüllt sind, die Mindestleistungen der Mutterschaftsversicherung für die Dauer der pflichtmässig vorgeschriebenen Arbeitsbefreiung nach der Niederkunft gewährt werden, wenn nach Prüfung des Falles die regelmässige Stellung der Ansprecherin als die einer Unselbständigerwerbenden erscheint.

3) Die Beitragsbedingungen als Voraussetzung der Grundleistungen der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung können die Forderung einschliessen, dass die Beiträge für mindestens zwei Fünftel einer bestimmten Zeitspanne ·-- beispielsweise fünf Jahre -- vor Eintritt des versicherten Ereignisses entrichtet worden sind. Doch sollte der Anspruch auf die Versicherungsleistung auch durch Beiträge für mindestens drei Viertel einer bestimmten Zeitspanne -- beispielsweise zehn Jahre oder mehr -- seit dem Beitritt zurVersicherung erworben werden können.

4) Die Beitragsbedingungen als Voraussetzung der Leistung der Altersversicherung können die Forderung einschliessen, dass der erste Beitrag mindestens fünf Jahre vor Beanspruchung der Versicherungsleistung
entrichtet worden ist.

5) Der Versicherungsanspruch kann vorübergehend aufgehoben werden, wenn der Versicherte vorsätzlich die Zahlung von Beiträgen, die er für die Zeitspanne einer Tätigkeit als Selbständigerwerbender schuldet, oder die Zahlung einer ihm für den Verzug in der Beitragsleistung auferlegten Busse unterlasst.

6) Der Stand der Versicherung eines Versicherten im Zeitpunkt, in dem er Leistungen der Invaliden- oder Altersversicherung beanspruchen kann, sollte, während er diese Leistungen empfängt, aufrechterhalten werden, damit ihm

824 für den Fall, dasa er von seiner Invalidität genese, der Versicherungsschutz ebenso vollständig gesichert sei wie zu Beginn der Invalidität und damit seine Angehörigen die Leistungen der Hinterbliebenenversicherung beanspruchen können, D. Verteilung der Kosten.

26. Die mit den Versicherungsleistungen zusammenhängenden Unkosten einschliesslicli der Verwaltungskosten sollten gemeinsam von den Versicherten, den Arbeitgebern und den Steuerpflichtigen unter Bedingungen aufgebracht werden, die für die Versicherten nicht unbillig sind, Versicherte mit bescheidenen Mitteln nicht zu sehr belasten und jede Störung der wirtschaftlichen Produktion vermeiden.

1) Der Beitrag eines Versicherten, welcher der Berechnung der Versicherungsleistung zugrunde gelegt wird, sollte den Bruchteil seines Verdienstes nicht übersteigen, der unter Berücksichtigung des geschätzten Durchschnittsverdienstes aller gegen dieselben Risiken versicherten Personen eine Beitragssumme ergibt, deren mutmasslicher Barwert gleich ist dem mutmasslichen Barwert der Versicherungsleistungen, die jene Personen beanspruchen könnten (unter Ausschluss der Entschädigung für Berufsschäden).

2) Nach diesem Grundsatze dürfen die im Hinblick auf dieselben Versicherungsleistungen entrichteten Beiträge der Unselbständig- und der Selbständigerwerbenden in der Eegel demselben Hundertsatz des Verdienstes dieser beiden Erwerbsgruppen entsprechen.

3) Ein absoluter Mindestsatz, festgesetzt nach dem Mindestsatz des Verdienstes, der als anständige Entlöhnung für eine Beschäftigung gelten mag, kann für den Beitrag des Versicherten vorgeschrieben werden, soweit dieser Beitrag zu Versicherungsleistungen in Beziehung steht, die ganz oder teilweise von der Höhe des früheren Verdienstes unabhängig sind.

4) Die Arbeitgeber sollten, namentlich wenn die Beihilfe an die Versicherung von Arbeitnehmern mit niedrigen Löhnen in Frage steht, dazu verpflichtet werden, mindestens für die Hälfte der Gesamtkosten der auf die Arbeitnehmer entfallenden Versicherungsleistungen aufzukommen, unter Ausschluss der Entschädigung für Berufsschäden.

5) Die Gesamtkosten der Entschädigung für Berufsschäden sollten zulasten der Arbeitgeber gehen.

6) Bei Berechnung der Beiträge im Hinblick auf die Entschädigung für Berufsschäden sollte die Möglichkeit eines Abstuiungsverfahrens erwogen
werden, das dem Umfang der Schutzniassnahmen in den Betrieben Rechnung trägt.

7) Die Sätze der von den Versicherten und den Arbeitgebern aufgebrachten Beiträge sollten möglichst unverändert bleiben, und es sollte zu diesem Zwecke eine Ausgleichskasse geschaffen werden.

82:5 8) Die Kosten für Versicherungsleistungen, die nicht durch Beiträge gedeckt werden können, sollten von der Allgemeinheit getragen werden.

9) Als Kostenbestandteile, für welche die Allgemeinheit aufzukommen hätte, sind unter anderem folgende zu nennen: a. Fehlbeträge der Beitragssumme infolge der Aufnahme von Personen vorgerückteren Alters in die Versicherung; b. mehrfache Belastung infolge der Verpflichtung zu Grundleistungen der Invaliden-, der Alters- und der Hinterbliebenenversicherung sowie zu ausreichenden Leistungen der Mutterschaftsversicherung; c. Belastung infolge andauernder Leistungen der Arbeitslosenversicherung bei lange währender ausgedehnter Arbeitslosigkeit; d. Beihilfen an die Versicherung Selbständigerwerbender, die nur über bescheidene Mittel verfügen.

E. Verwaltung.

27. Die Verwaltung der verschiedenen Sozialversicherungszweige sollte innerhalb einer allgemeinen Organisation der Dienstzweige für soziale Sicherheit vereinheitlicht oder gleichgeordnet werden, und die Beitragsleistenden sollten durch Vermittlung ihrer Verbände in den Organen vertreten sein, die über die EichtKnien der Verwaltung Beschluss fassen oder Antrag stellen und Gesetzesentwürfe einbringen oder Verordnungen aufstellen.

1) Die Verwaltung der Sozialversicherung sollte einer einzigen Behörde unterstehen, vorbehaltlich der Teilung der gesetzgeberischen Befugnisse in Bundesstaaten, Diese Behörde sollte mit den Behörden der sozialen Fürsorge, des Gesundheitswesens und der Arbeitsvermittlung in einem Koordinationsorgan verbunden sein zur Behandlung von Fragen von gemeinsamem Interesse, wie Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten oder der Unmöglichkeit, ihn zu vermitteln.

2) Die vereinheitlichte Verwaltung der Sozialversicherung sollte das Wirken gesonderter Versicherungseinrichtungen auf der Grundlage des Zwanges oder der Freiwilligkeit nicht ausschliessen, welche die Versicherungsleistungen für gewisse Berufsgruppen --- wie Bergwerksarbeiter und Seeleute, Beamte, das Personal bestimmter Unternehmungen und Mitglieder von Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit -- nicht ersetzen, aber ergänzen.

8) Die Sozialversicherungsgesetzgebung sollte so abgefasst sein, dass Leistungsempfänger und Beitragszahler ihre Rechte und Pflichten leicht verstehen können.

4) Bei der Aufstellung von
Verfahrensregeln für den Empfang von Versicherungsleistungen und die Zahlung von Beiträgen sollte vor allem auch der Grundsatz der Einfachheit beachtet werden.

5) Es sollten beratende Organe auf zentraler und regionaler Grundlage eingesetzt werden, worin Organisationen, wie Gewerkschaften, Arbeitgeber-

826 verbände, Handelskammern, landwirtschaftliche Verbände, Frauenvereine und Gesellschaften für den Kinderschutz vertreten sind. Diesen Organen käme die Aufgabe zu, Vorschläge zur Abänderung der Gesetzgebung und der Verwaltungsmethodön einzubringen und ganz allgemein die Verbindung zwischen der Verwaltung der Sozialversicherung und den Kreisen der Beitragszahler und der Leistungsempfänger aufrechtzuerhalten.

6) Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten mit der Verwaltung für die Entschädigung von Berufsschäden eng zusammenarbeiten, hauptsächlich was die Unfallverhütung und die Bekämpfung der Berufskrankheiten sowie die Abstufung der Unternehmungen nach dem Umfang ihrer Schutzmassnahmen betrifft.

7) Personen, welche die Versicherung beanspruchen, sollten ein E echt auf Berufung haben im Falle von Streitigkeiten mit der Verwaltungsbehörde über Fragen wie Anspruch auf Versicherungsleistungen und Leistungssatz.

8) Die Berufung sollte vorzugsweise an Sondergerichte erfolgen mit Eichtern, die in Fragen der Sozialversicherung bewandert sind, und Beisitzern, welche die Gruppe vertreten, denen der Berufungskläger angehört. Handelt es sich dabei um Arbeitnehmer, so sollten auch die Arbeitgeber vertreten sein.

9) Ist die Unterstellung unter die Versicherung oder der Beitragssatz strittig, so sollte der Arbeitnehmer und der Selbständigerwerbende das Eecht auf Berufung haben, ebenso der Arbeitgeber, falls es sich um den Arbeitgeberbeitrag handelt.

10) Die Einheitlichkeit der Auslegung sollte durch ein oberstes Berufungsgericht gewährleistet sein.

n. Soziale Fürsorge.

A. Unterhalt von Kindern, 28. Die staatliclie Gemeinschaft sollte in der Regel mit den Eltern durch das Mittel allgemeiner Fürsorgeeinrichtungen zusammenarbeiten, die bestimmt sind, das Wohlergehen der unterhaltsberechtigten Kinder sicherzustellen.

1) öffentliche Beihilfen in bar oder in natura oder in beiderlei Gestalt sollten gewährt werden, um eine gesundheitlich zuträgliche Auferziehung der Kinder zu ermöglichen, kinderreiche Familien zu unterstützen und die im Wege der Sozialversicherung zugunsten der Kinder getroffenen Massnahmen zu vervollständigen.

2) Wo die Auferziehung der Kinder unter gesundheitlich günstigen Verhältnissen bezweckt wird, sollten die Beihilfen die Gestalt von Vergünstigungen wie die folgenden annehmen: kostenlos
verabreichte oder verbilligte Nahrungsmittel für Kleinkinder, Speisungen für Schulkinder und verbilligte Wohnungen für Familien mit mehreren Kindern.

3) Wo der Unterhalt kinderreicher Familien oder die Vervollständigung von Massnahmen zugunsten von Kindern durch Beihilfen in natura oder im Wege der Sozialversicherung bezweckt wird, sollten die Beihilfen in Gestalt von Familienzulagen gewährt werden.

827 4) Solche Beihilfen sollten ohne Bücksicht auf das elterliche Einkommen nach einer vorgeschriebenen Abstufung gewährt werden. Nach dieser Abstufung sollten die Beihilfen einen ansehnlichen Beitrag an die Unterhaltskosten eines Kindes bilden und den höheren Kosten für den Unterhalt älterer Kinder Eechnung tragen. Sie sollten mindestens allen Kindern zukommen, für die nicht die Sozialversicherung sorgt.

5) Wo die Erfüllung der Elternpflicht gegenüber unterhaltsberechtigten Kindern nicht erzwungen werden kann, sollte die Öffentlichkeit gesamthaft die Verantwortung für den Unterhalt solcher Kinder übernehmen.

B. Unterhalt von bedürftigen Invaliden, Greisen und Witwen.

29. Invalide, Greise und Witwen, die keine Leistungen aus der Sozialversicherung beziehen, weil je nachdem sie selber oder ihre Ehemänner nicht zwangsversichert waren, und deren Einkommen eine 'bestimmte Höhe nicht übersteigt, sollten besondere Unterhaltsbeiträge zu vorgeschriebenen Sätzen erhalten, 1) Unterhaltsbeihilfen sollten neben anderen zukommen: a. Personen, die zu Berufsgruppen gehören oder die in Gebieten wohnen, auf welche die Sozialversicherung noch nicht anwendbar ist oder noch nicht Anwendung findet für die Dauer der Wartefrist, die bis ^ur Auszahlung der Gruridleistung der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung -- je nach dem Falle -- besteht, ebenso wie den Witwen und unterhaltsberechtigten Kindern solcher Personen und b. Personen, die im Zeitpunkt, da sie nach der Regel in die Versicherung aufzunehmen wären, schon invalid sind.

2) Unterhaltsbeihilfen sollten ausreichen, um den vollen Unterhalt des Empfängers langfristig sicherzustellen. Sie sollten den Lebenskosten angepasst werden und können nach städtischen und ländlichen Gegenden abgestuft sein.

3) Unterhaltsbeihilfen sollten Personen, deren übriges Einkommen eine gewisse Grenze nicht übersteigt, zum vollen Satze und überall sonst nach einem herabgesetzten Satz ausgerichtet werden.

4) Die Bestimmungen dieser Empfehlung, welche die versicherten Ereignisse umschreibt, bei deren Eintritt Leistungen der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung zu entrichten sind, sollten soweit tunlich auf die Unterhaltsbeihilfen Anwendung finden.

C. Allgemeine Fürsorge.

30. Ausreichende Beiträge in bar oder teils in bar und teils in natura sollten allen
in Not befindlichen Personen ausgerichtet werden, soweit diese nicht zur Pflege in eine Heilanstalt verbracht worden müssen, 1) Der Umfang der Fälle, in denen der Betrag der Beihilfe ganz nach freiem Belieben festgesetzt wird, sollte allmählich eingeschränkt werden, je

828 besser ein geordneter Überblick über die; Notfälle gewonnen werden kann und sich Kostenvoranschläge getrennt nach den Kosten für kurzfristige und langfristige Unterstützung aufstellen lassen.

2) Damit die Unterstützung möglichst förderlich wirke, kann die Gewährung der Beihilfe davon abhängig gemacht werden, dass der Empfänger die Weisungen der Behörden des Gesundheitswesens und der Arbeitsvermittlung befolge.

Empfehlung (Nr. 68) betreffend Gewährleistung des Lebensunterhaltes und ärztlichen Beistand für die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten sowie aus der Kriegswirtschaft entlassenen Personen.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Philadelphia einberufen wurde und am 20. April 1944 zu ihrer sechsundzwanzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Gewährleistung des Lebensunterhaltes und ärztlichen Beistand für die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten sowie aus der Kriegswirtschaft entlassenen Personen, eine Frage, die zum dritten Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 12. Mai 1944, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die soziale Sicherheit (Wehrmacht), 1944, bezeichnet wird.

Die Konferenz geht davon aus, dass die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten entlassenen Personen genötigt worden sind, ihre Laufbahn zu unterbrechen, und die Anfangskosten werden tragen müssen, um neuerdings im bürgerlichen Leben FUSS zu fassen.

Sie ist sich dessen bewusst, dass die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten oder aus der Kriegswirtschaft entlassenen Personen in gewissen Fällen Gefahr laufen, einige Zeit arbeitslos zu sein, bevor sie eine geeignete Beschäftigung finden.

Sie hält dafür, dass die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten entlassenen Personen hinsichtlich der Pensionsversicherung nicht schlechter gestellt sein sollten als die in einer bürgerlichen Anstellung verbliebenen Personen, und zieht in Betracht, dass die Empfehlung betreffend die Versicherung für den Fall der Invalidität, des Alters und des Ablebens, 1938, wohl die
Aufrechthaltung der Versicherungsansprüche zugunsten von Personen während ihrer Jlilitärdienstzeit vorsieht, sofern diese Personen vor dem Dienstantritt schon versichert waren, dagegen nicht den Erwerb solcher Versicherungsansprüche durch Personen, die vor dem Dienstantritt nicht verBicherL gewesen sind.

Sie vertritt die Auffassung, es sei wünschenswert, dass die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten entlassenen Personen einen Ver-

829 Sicherungsschutz gegen Krankheiten, von denen sie zwischen ihrer Entlassung und ihrer Wiedereingliederung in das bürgerliche Leben befallen werden, gemessen sollten, sei es dadurch, dass sie sich einer unter die Versicherung lallenden Beschäftigung zuwenden oder anderswie.

Sie nimmt den Standpunkt ein, es sei notwendig, diesen verschiedenen Erfordernissen angemessen Rechnung zu tragen, unbeschadet der Berücksichtigung anderer wichtiger Ansprüche, wie diejenigen der militärischen und zivilen Kriegsopfer, die ebenfalls aus dem nationalen Einkommen entschädigt werden müssen.

Die Konferenz empfiehlt daher den Mitgliedern der Organisation, die folgenden Grundsätze anzuwenden und dem Internationalen Arbeitsamt die Auskünfte über die Anwendung dieser Grundsätze gemäss den Beschlüssen seines Verwaltungsrates zukommen zu lassen.

I. Beitrag anlässlich der militärischen Entlassung.

1. Sofern die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten entlassenen Personen nicht auf Grund der nationalen Gesetzgebung einen bedeutenden Teil ihres Verdienstes weiter bezogen haben, sollten sie bei ihrer Entlassung einen Sonderbeitrag erhalten, der nach der Dienstdauer abgestuft sein kann und der in Gestalt einer einmaligen Abfindung oder regelmässiger Teilzahlungen oder einer Verbindung von Abfindung und regelmässigen Teilzahlungen zu leisten ist.

II. Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge.

2. Die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten entlassenen Personen sollten, soweit dies vom Standpunkt der Verwaltung möglich ist, bei Anwendung der Systeme der Arbeitslosenversicherung wie versicherte Arbeitnehmer behandelt werden, für welche Beiträge während einer Zeitspanne von der Dauer der Dienstzeit bezahlt worden sind. Die daraus entstehenden Kosten sollte der Staat übernehmen, 8. Falls die gesetzlich umschriebenen, aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten oder aus der Kriegswirtschaft entlassenen Personen ihren Anspruch auf Entschädigung erschöpft haben, bevor ihnen eine passende Beschäftigung angeboten worden ist, oder falls sie durch keine Arbeitslosenversicherung geschützt sind, sollte ihnen, bis eine passende Beschäftigung für sie gefunden ist, eine gänzlich vom Staate bestrittene Beihilfe gewährt werden.

Diese Beihilfe sollte womöglich ohne Bücksicht auf die
Bedürfnislage ausgerichtet werden.

III. Pensions- und Krankenversicherung.

4. 1) Wo eine Zwangsversicherung, welche Eenten für den Fall der Invalidität, des Alters oder des Ablebens vorsieht, für einen bedeutenden Teil der arbeitenden Bevölkerung in Kraft ist, sollte zur Peststellung, ob die BeBundeeblatt.

98. Jahrg.

Bd. I.

55

830

dingungen über eine Wartefrist erfüllt sind, die Dienstzeit, die in der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten geleistet worden ist, wie eine Zeit der Beitragszahlung bewertet werden.

2) "Wo der Rentensatz nach der Zahl der Beiträge abgestuft ist, die dem Versicherten gutgeschrieben sind, sollte die Dauer der Dienstzeit für die Erhöhung des Rentensatzes in Bechnung gestellt werden.

3) Wo die Beiträge nach der Entlöhnung abgestuft sind, sollte eine Gutschrift entsprechend der Dauer des geleisteten Dienstes stattfinden nach Massgabe einer frei zugrunde gelegten einheitlichen Entlöhnung von angemessener Hohe, Vorbehalten bleibt, dass sich die Gutschrift von Beiträgen zugunsten von Personen, die unmittelbar vor ihrem Dienstantritt versichert worden sind, nach der von ihnen damals erhaltenen Entlöhnung richten kann, falls diese Entlöhnung höher war als die frei zugrunde gelegte.

4) Personen, die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten entlassen sind, sollten während der Zeitspanne zwischen ihrer Entlassung und dem Augenblick, in dem sie als wiederum ins bürgerliche Leben eingegliedert zu betrachten sind, die Bechte gemessen, die ihnen auf Grund der ihnen gutgeschriebenen Beiträge zukommen. Diese Bechte sollten für eine Zeitspanne von mindestens einem Jahr gelten.

5. 1) Wo eine Zwangsversicherung, welche Entschädigungen bei Krankheit und Niederkunft und ärztliche Leistungen vorsieht, für einen bedeutenden Teil der arbeitenden Bevölkerung in Kraft ist, sollten Personen, die aus der Wehrmacht und den ihr gleichgestellten Diensten entlassen sind, auf diese Leistungen bei Krankheit oder Niederkunft Anspruch haben, falls diese Ereignisse während der Zeitspanne zwischen ihrer Entlassung und dem Augenblick eintreten, in dem sie als in das bürgerliche Leben wieder eingegliedert zu betrachten sind. Dieser Anspruch sollte für eine Zeitspanne von mindestens einem Jahr gelten.

2) Wo die Zwangsversicherung Entschädigungen bei Niederkunft und ärztliche Leistungen für die unterstützungsberechtigten Angehörigen von Versicherten vorsieht, sollten die unter die Versicherung fallenden dienstentlassenen Personen auf diese Leistungen zugunsten ihrer unterstützungsberechtigten Angehörigen Anspruch haben.

8) Wo der Satz des Krankengeldes in einem Verhältnis steht zur Entlöhnung des Versicherten,
sollte der Satz der Entschädigung für dienstentlassene Personen sich auf eine frei zugrunde gelegte einheitliche Entlöhnung von angemessener Höhe stützen.

6. 1) Die Lasten aus den Beiträgen für die Pensionsversicherung, die den in der Wehrmacht oder bei den ihr gleichgestellten Diensten dienenden Personen gutgeschrieben werden, wie auch die Lasten aus der Krankenversicherung dieser Personen bis zum Zeitpunkt ihrer Wiedereingliederung in das bürgerliche Leben, sind vom Staate zu tragen. Doch kann, wo der Sold einer Gruppe solcher Personen, unter Berücksichtigung der Kosten ihres Lebensunterhaltes

83Ì und der Familienzulagen, im ganzen als dem von der Industrie ausbezahlten üblichen Lohn gleichwertig betrachtet werden darf, ein Teil des Beitrages für die Pensionsversicherung vom Solde abgezogen werden.

2) Die Vorschriften unter Absatz 1) finden keine Anwendung in Fällen, in denen auf Grund der nationalen Gesetzgebung diese Personen während ihrer Dienstzeit einen bedeutenden Teil ihres Lohnes weiter beziehen und die vorschriftsmässigen gesetzlichen Beiträge weiterhin für sie zu bezahlen sind.

Empfehlung (Nr. 69) betreffend ärztlichen Beistand.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrate des Internationalen Arbeitsamtes nach Philadelphia einberufen wurde und am 20. April 1944 zu ihrer sechsundzwanzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den ärztlichen Beistandsdienst, eine Frage, die zum vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 12. Mai 1944, folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend ärztlichen Beistand, 1944, bezeichnet wird.

Die Konferenz geht davon aus, dass die Atlantik Charta « die umfassendste wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Nationen» vorsieht, «um für alle bessere Arbeitsbedingungen, wirtschaftlichen Fortschritt und soziale Sicherheit zu erzielen».

Sie zieht in Betracht, dass sie durch eine am 5. November 1941 angenommene Entschliessung diesem Grundsatze der Atlantik Charta beigepflichtet und zu seiner Verwirklichung die volle Mitarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation zugesichert hat.

Sie steht auf dem Standpunkt, dass die Möglichkeit der Benützung angemessenen ärztlichen Beistandes einen wesentlichen Bestandteil der sozialen Sicherheit bildet.

Sie weist darauf hin, dass die Internationale Arbeitsorganisation die Entwicklung des ärztlichen Beistandsdienstes durch folgende Massnahmen gefördert hat: Aufnahme von Bestimmungen über ärztlichen Beistand im Übereinkommen über Betriebsunfälle, 1925, und in den Übereinkommen über die Krankenversicherung im Gewerbe usw. und die Krankenversicherung in der Landwirtschaft, 1927.

Bekanntmachung des Verwaltungsrates an die Mitglieder der Organisation über die an den Tagungen der Sachverständigen
angenommenen Schlussfolgerungen betreffend Volksgesundheit und Krankenversicherung in Zeiten ungünstiger Wirtschaftslage, betreffend wirtschaftliche Verwaltung der ärztlichen und pharmazeutischen Leistungen in der Krankenversicherung

832 und die leitenden Grundsätze der Vorbeugung und Heilung in der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung, Annahme der den Interamerikanischen Sozialversicherungskodex bildenden Entschliessungen an der ersten und zweiten Arbeitskonferenz der amerikanischen Staaten, Teilnahme einer Delegation des Verwaltungsrates an der ersten Interamerikanischen Konferenz für soziale Sicherheit, welche die Erklärung von Santiago von Chile angenommen hat, und Zustimmung des Verwaltungsrates zur Satzung der Interamerikanischen Konferenz für soziale Sicherheit, die als ständige, im Einvernehmen mit dem Internationalen Arbeitsamt wirkende Vermittlungsstelle zwischen den Verwaltungen und Einrichtungen für soziale Sicherheit geschaffen worden ist, und Teilnahme des Internationalen Arbeitsamtes in beratender Eigenschaft an der Ausarbeitung von Einrichtungen der Sozialversicherung in verschiedenen Ländern sowie weitere Vorkehrungen.

Die Konferenz ist sich bewusst, dass gewisse Mitglieder die in ihrer Befugnis Hegenden Massnahmen nicht ergriffen haben, um den Stand der Gesundheit der Bevölkerung durch die Ausdehnung des arztlichen Beistandsdienstes, die Ausarbeitung von Programmen zur Förderung der Volksgesundheit, eine erweiterte Erziehung zur Hygiene und die Verbesserung der Ernährungs- und Wohnungsverhältnisse zu heben, obwohl die Bedürfnisse gerade bei ihnen in dieser Richtung besonders gross sind und es höchst wünschenswert wäre, dass diese Mitglieder so rasch wie möglich alle notwendigen Massnahmen treffen, um die internationalen Mindestnormen zu erreichen und weiter zu entwickeln.

Die Konferenz zieht in Erwägung, dass es schon jetzt erwünscht sei, weitere Schritte zu tun zur Verbesserung und Vereinheitlichung des ärztlichen Beistandsdienstes, zur Ausdehnung dieses Dienstes auf alle Arbeitnehmer und ihre Familien, einschliesslich der ländlichen Bevölkerung und der Selbständigerwerbenden, und zur Beseitigung unbilliger Eegelwidrigkeiten, unbeschadet des Eechts einer jeden auf ärztlichen Beistand Anspruch besitzenden Person, auf privatem Wege nach eigenem Wunsch und auf eigene Kosten sich ärztlichen Beistand zu verschaffen.

Sie ist überzeugt, dass die Aufstellung gewisser allgemeiner Grundsätze, die von den Mitgliedern der Organisation in diesem Sinne bei der Entwicklung ihres .ärztlichen Beistandsdienstes
befolgt werden sollten, dem beabsichtigten Zweck dienen wird.

Die Konferenz empfiehlt deshalb den Mitgliedern der Organisation, die folgenden Grundsätze, so rasch es die nationalen Verhältnisse zulassen, anzuwenden, indem sie ihren ärztlichen Beistandsdienst so entwickeln, dass der fünfte Grundsatz der Atlantik Charta in die Tat umgesetzt wird, und dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die zur Verwirklichung dieser Grundsätze getroffenen Massnahmen zu berichten.

833

I. Allgemeine Grundsätze.

Wesentliche Eigenschaften eines ärztlichen Beistandsdienstes.

1. Jeder ärztliche Beistandsdienst sollte dem Einzelnen denjenigen Beistand gewährleisten, den die Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe gewähren können, ebenso alle andern Vergünstigungen, die von ärztlichen Einrichtungen geboten werden. Dies sollte zu dem Zwecke geschehen: a. die Gesundheit des Einzelnen, wenn sie angegriffen ist, wiederherzustellen, die Weiterentwicklung einer Krankheit zu verhindern und Schmerzen zu lindern (Heilung) und b. die Gesundheit zu schützen und ihren Zustand zu verbessern (Vorbeugung).

2, Art und Umfang des vom Dienste geleisteten Beistandes sollten gesetzlich umschrieben werden.

S. Die für die Verwaltung des Dienstes verantwortlichen Behörden oder Stellen sollten den ärztlichen Beistand den Beistandsberechtigten dadurch gewährleisten, dass sie sich die Dienste von Mitgliedern der Ärzteschaft und verwandter Berufe sichern und Vereinbarungen treffen über die Benutzung von Krankenhäusern und andern Einrichtungen der Gesundheitspflege.

4. Die Kosten des Dienstes sollten durch die Allgemeinheit in Form regelmässiger, in bestimmten Zeitabständen geleisteter Zahlungen bestritten werden, entweder in Gestalt von Sozialversicherungsbeiträgen oder von Steuern oder in beiderlei Gestalt.

Arten des ärztlichen Beistandsdienstes.

5. Ärztlicher Beistand sollte geboten werden, entweder durch einen ärztlichen Beistandsdienst im Rahmen der Sozialversicherung mit ergänzenden Vorschriften der Sozialfürsorge für Personen, die noch nicht unter die Sozialversicherung fallen, oder durch einen öffentlichen ärztlichen Beistandsdienst.

6. Wo der ärztliche Beistand durch einen ärztlichen Dienst im Rahmen der Sozialversicherung geboten wird, sollten folgende Bedingungen erfüllt sein: a. jede versicherte Person, die Beiträge zahlt, deren unterhaltsberechtigte Ehefrau oder Ehemann und unterhaltsberechtigte Kinder sowie alle andern gesetzlich unterstützungsberechtigten Angehörigen, ebenso jede andere Person, die auf Grund von zu ihren Gunsten bezahlten Beiträgen versichert ist, sollten Anspruch haben auf allen vom Dienst geleisteten Beistand ; b. noch nicht versicherte Personen sollten, falls sie nicht imstande sind, selber für ärztlichen Beistand aufzukommen, diesen im Wege der sozialen Fürsorge erhalten; c. die vom Dienste benötigten Mittel sollten durch die Beiträge der Versicherten und ihrer Arbeitgeber und durch öffentliche Beiträge aufgebracht werden.

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7. Wo der ärztliche Beistand durch einen öffentlichen ärztlichen Dienst geboten wird, sollten a. alle Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft auf jeden vom Dienste geleisteten Beistand Anspruch haben, b. die Kosten des Dienstes durch Erhebung einer progressiven Sondersteuer für diesen ärztlichen Beistandsdienst oder den Gesundheitsdienst überhaupt oder aber aus dem allgemeinen Steuereinkommen bestritten werden.

II. Anwendungsgebiet.

Ausdehnung des Dienstes auf die gesamte Bevölkerung.

8. Der ärztliche Beistandsdienst sollte sich auf alle Glieder der staatlichen Gemeinschaft erstrecken, gleichviel, ob sie einem Erwerbe nachgehen oder nicht.

9. Ist der Dienst auf eine Gruppe der Bevölkerung oder auf eine bestimmte Gegend beschränkt oder ist ein Beitragssystem schon für andere Zweige der Sozialversicherung in Kraft und besteht die Möglichkeit, die Versicherung nachträglich auf die Gesamtheit oder die Mehrheit der Bevölkerung auszudehnen, dürfte der "Weg der Sozialversicherung angezeigt sein.

10. Soll die gesamte Bevölkerung in den ärztlichen Beistandsdienst einbezogen werden und besteht die Absicht, diesen Dienst mit dem allgemeinen Gesundheitsdienst zu verschmelzen, dürfte die Schaffung eines Öffentlichen Dienstes angezeigt sein, Verwaltung des ärztlichen Beistandsdienstes durch einen Dienstziceig der Sozialversicherung, 11. Wo der ärztliche Beistand durch einen Dienstzweig der Sozialversicherung geleistet wird, sollten alle Glieder der staatlichen Gemeinschaft als Versicherte den Beistand beanspruchen können oder, solange sie noch nicht in die Versicherung aufgenommen sind, das Recht haben, auf Kosten der zuständigen Behörde den Beistand zu benützen, falls sie nicht in der Lage sind, sich diesen auf ihre eigenen Kosten zu beschaffen.

12. Alle erwachsenen Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft (d. h. alle Personen ausser den Kindern nach der Begriffsbestimmung von Ziffer 15), deren Einkommen nicht unter dem Bxistenzminimum liegt, sollten zur Leistung von Versicherungsbeiträgen verpflichtet sein. Leistet jemand diesen Versicherungsbeitrag, so sollte dessen unterhaltsberechtigter Ehegatte ohne zusätzliche Zahlung hiefür auf Grund der Beitragsleistung des Versorgers versichert sein.

18. Andere Erwachsene, deren Einkommen nachweislich unter dem Existenzminimum liegt, einschliesslich Bedürftige,
sollten als Versicherte den Beistand beanspruchen können, wobei der Versicherungsbeitrag für ihre Bechnung von der zuständigen Behörde bezahlt wird. Das Existenzminimum ist in jedem Staate durch die zuständige Behörde zu bestimmen.

835 14. Erwachsene, die keinen Beitrag zahlen können, sollten, solange sie nicht nach Ziff. 13 versichert sind, ärztlichen Beistand auf Kosten der zuständigen Behörde erhalten.

15. Alle Kinder (d.h.Personen unter 16 Jahren oder einem höher angesetzten Altersjahr oder solche, die für ihren gewöhnlichen Lebensunterhalt während der Fortsetzung ihrer allgemeinen oder beruflichen Schulung auf die Unterstützung von dritter Seite angewiesen sind) sollten auf Grund der allgemein von Erwachsenen oder für deren Eechnung bezahlten Beiträge versichert sein, ohne dass für sie ein zusätzücher Beitrag von ihren Eltern oder Vormündern zu leisten wäre.

16. Kinder sollten, solange sie nicht nach Abatz 15 versichert sind, weil die Versicherung sich noch nicht auf die gesamte Bevölkerung erstreckt, auf Grund des von ihrem Vater oder ihrer Mutter oder für deren Eechnung bezahlten Beitrages versichert sein, ohne dass für sie deshalb ehi zusätzlicher Beitrag zu leisten wäre. Kinder, denen ein ärztücher Beistand hiernach nicht zusteht, sollten diesen im Bedarfsfall auf Kosten der zuständigen Behörde erhalten.

17. Ist jemand unter einem Versicherungssystem für Barleistungen versichert oder empfängt er unter einem solchen System Versicherungsleistungen, so sollten er und die Personen, denen gegenüber er nach Absatz 6 unterstützungspflichtig ist, auch in die Versicherung des ärztlichen Beistandsdienstes einbezogen sein.

Verwaltung des ärztlichen Beistandsdienstes durch eine öffentliche Dienststelle.

18. Wird der ärztliche Beistand von einer damit betrauten off entheben Dienststelle geleistet, so sollte der Anspruch auf den Beistand von keinerlei Voraussetzung, wie Bezahlung der Steuern oder Vermögensausweis, abhängig sein, und alle Glieder der staatlichen Gemeinschaft sollten dasselbe Eecht auf den gebotenen Beistand besitzen.

HI. Organisation des ärztlichen Beistandedienstes und Gleichordnung mit dem allgemeinen Gesundheitsdienst.

Umfang des Dienstes.

19. Der Beistandsdienst sollte zu jeder Zeit zu Zwecken der Vorbeugung und der Heilung in vollem Umfange zur Verfügung stehen. Er sollte zweckdienlich geregelt und soweit wie möglich den Dienstzweigen des allgemeinen Gesundheitsdienstes gleichgeordnet werden.

Dauernde Bereitstellung vollständigen Beistandes.

20. Alle vom Beistandsdienst erfassten Mitglieder der
staatlichen Gemeinschaft sollten unter denselben Bedingungen und ohne Hindernisse oder Schranken verwaltungsmässiger, finanzieller, politischer oder sonstiger mit ihrem

836 Gesundheitszustand in keiner Beziehung stehenden Art überall und zu jeder Zeit den vollen Beistand für Vorbeugung und Heilung in Anspruch nehmen können.

21. Der Beistand sollte umfassen die ärztliche Behandlung durch den praktischen Arzt und den Spezialarzt innerhalb und ausserhalb des Krankenhauses (unter Einschluss der Hausbehandlung), die Zahnpflege, die Pf lege durch Pflegepersonal zu Hause, im Krankenhaus oder in einem andern ärztlichen Institut, die Pflege durch diplomierte Hebammen und andere Mutterschaftshilfen zu Hause oder im Krankenhaus, die Unterbringung in einem Krankenhaus, einem Erholungsheim, einer Heilanstalt oder in einem andern ärztlichen Institut, soweit wie möglich alle notwendigen zahnärztlichen, pharmazeutischen und andern ärztlichen oder chirurgischen Leistungen, einschh'essHch der Abgabe von künstlichen Ersatzstücken, und endlich den Beistand durch Angehörige verwandter Berufe, soweit diese berufliche Verwandtschaft gesetzlich anerkannt ist.

22. Jede Art von Beistand und Leistung sollte stets und ohne zeitliche Beschränkung solange notwendig gewährt werden, wobei einzig das Urteil des Arztes massgebend sein soll und solche Einschränkungen vorbehalten bleiben, die sich aus dem technischen Aufbau des Dienstes ergeben.

23. Die Beistandsberechtigten sollten in der Lage sein, den Beistand bei den Zentralen oder den Konsultationsstellen für die ärztliche Beratung zu benützen, wo immer sie sich im Bedarfsfall befinden, sei es am Wohnsitz, sei es an einem andern Ort im Bereiche des Dienstes, ohne Bücksicht auf ihre Zugehörigkeit als Mitglied einer bestimmten Versicherungsanstalt, auf Rückstände in der Bezahlung von Beiträgen oder andere ihren Gesundheitszustand nicht berührende Tatsachen.

24. Die Verwaltung des ärztlichen Beistandsdienstes sollte in zweckmässig abgegrenzten sanitären Bezirken vereinheitlicht sein. Diese Bezirke sollten gross genug sein, um einen in sich geschlossenen, gut ausgeglichenen Dienst unter Oberaufsicht einer zentralen Behörde zu gestatten.

25. Kommt der ärztliche Beistandsdienst nur einem Teil der Bevölkerung zustatten oder wird er zunächst noch von verschiedenartigen Versicherungsanstalten und -behörden verwaltet, so sollten diese Anstalten und Behörden bis zur Vereinheitlichung der verschiedenen Dienste auf regionalem und nationalem Boden den
Beistand so gestalten, dass sie sich im Wege des Zusammenschlusses die Dienste von Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe sichern und Heilstätten sowie andere Einrichtungen der Krankenpflege gemeinschaftlich ins Leben rufen oder unterhalten.

26. Die Verwaltung des Dienstes sollte Vorkehrungen treffen, um entweder durch Abkommen mit bestehenden öffentlichen oder anerkannten privaten Pflegestätten oder durch Errichtung und Unterhalt geeigneter Stätten dieser Art die Unterbringung und Pflege der Beistandsberechtigten in einem Krankenhaus oder an einer andern Pflegestätte sicherzustellen.

837 Zweckdienliche Ordnung des ärztlichen Beistandsdienstes.

27. Der ärztliche Beistandsdienst sollte den BeistandBberechtigten in bestmöglicher Weise verfügbar gemacht werden. Dies sollte mittels einer Ordnung geschehen, die durch gegenseitigen Austausch von Erfahrungen, Personal, Ausrüstung und anderen Hilfsmitteln des Dienstes ebenso wie durch eine enge Fühlungnahme und Zusammenarbeit unter allen Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe sowie der übrigen beteiligten Stellen die grösstmögliche Sparsamkeit und Wirksamkeit gewährleistet.

28. Die vorbehaltlose Teilnahme der grösstmöglichen Zahl von Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe ist für den Erfolg eines nationalen ärztlichen Beistandsdienstes unerlässhch. Die Zahl der als Mitarbeiter des Dienstes tätigen praktischen Ärzte, Spezialärzte, Zahnärzte, Krankenpflegerinnen und Angehörigen anderer Berufe sollte der Gliederung und den Bedürfnissen der Beistandsbereohtigten angepasst sein.

29. Den praktischen Ärzten sollten alle für die Durchführung von Diagnose und Behandlung erforderlichen Hilfsmittel, einschliesslich des Laboratoriumsund Böntgendienstes, zur Verfügung stehen. Ebenso sollte der praktische Arzt für seine Patienten über Eat und Beistand von Spezialärzten, die Dienste von Krankenpflegerinnen, von Hebammen, von pharmazeutischen und andern Hilfsdiensten und die Möglichkeit der Unterbringung seiner Patienten in einem Krankenhaus verfügen können.

30. Dem Dienst sollte eine vollständige technische Ausrüstung neuester Art für Spezialbehandlungen, einschliesslich Zahnbehandlung, zu Gebote stehen, und Spezialärzte sollten über alle Möglichkeiten verfügen, die ihnen das Arbeiten in Krankenhäusern und im Gebiete der Forschung erleichtern, ebenso -- durch Vermittlung des praktischen Arztes -- über alle Hilfsdienste für die Behandlung zu Hause, wie z. B. den Pflegerinnendienst.

31. Zur Erreichung dieser Ziele sollte der Beistand vorzugsweise im Wege der ärztlichen Zusammenarbeit in Zentralen verschiedener Art geboten werden, die in zweckmässiger Verbindung mit den Krankenhäusern zusammenarbeiten.

32. Bis die Zusammenarbeit in den ärztlichen oder sanitären Zentralen eingeführt und erprobt ist, empfiehlt es sich, den ärztlichen Beistand den Beistandsberechtigten durch Angehörige der Ärzteschaft und verwandter Berufe zu
gewähren, die in ihren eigenen Konsultationsräumen ihre Tätigkeit ausüben.

83. Umfasst der ärztliche Beistandsdienst die Mehrheit der Bevölkerung, so ist es angezeigt, ärztliche oder sanitäre Zentralen zu errichten, die in einer der in den Absätzen 34, 85 und 86 aufgeführten Arten von der Behörde ausgestattet und geleitet werden, die den Dienst im Sanitätsbezirk verwaltet.

84, Wo die Möglichkeit ärztlichen Beistandes ungenügend ist, oder wo im Augenblick der Einführung des ärztlichen Beistandsdienstes schon ein regionales System von Krankenhäusern mit Polikliniken für die Behandlung durch praktische Ärzte und Spezialärzte bestellt, wäre es angezeigt, Kranken-

838

häuser als Zentralen zu errichten oder bestehende zu solchen auszubauen, die jede Art von Pflege innerhalb und ausserhalb des Hauses bieten, und sie durch Ortsstellen für die Behandlung durch praktische Ärzte und Hilfsdienste zu ergänzen.

35. Wo die allgemeine ärztliche Praxis ausserhalb der Krankenhausbehandlung genügend entwickelt ist, während Spezialärzte vornehmlich zur Beratung zugezogen werden und in Krankenhäusern tätig sind, wäre es angezeigt, ärztliche oder sanitäre Zentralen zu schaffen für die Behandlung von nicht in Krankenhäusern untergebrachten Patienten durch den praktischen Arzt und die bestehenden Hilfsdienste, dagegen in den Krankenhäusern als Mittelpunkten die Behandlung durch Spezialärzte zusammenzufassen, gleichviel, ob die Pflege der Patienten innerhalb oder ausserhalb dieser Häuser stattfindet.

86. Wo die allgemeine ärztliche Praxis und die Spezialpraxis ausserhalb der Krankenhausbehandlung genügend entwickelt ist, wäre es angezeigt, ärztliche oder sanitäre Zentralen zu schaffen für die Behandlung von nicht in Krankenhäusern untergebrachten Patienten, einschliesslich der Behandlung durch den praktischen Arzt, den Spezialarzt und alle Hilfsdienste, während die Fälle, die Krankenhausbehandlung erfordern, von den Zentralen an die Krankenhäuser zu verweisen wären.

87.' Wo der ärztliche Beistandsdienst die Mehrheit der Bevölkerung nicht umfasst, sich aber auf eine ansehnliche Zahl von Personen erstreckt, und wo keine genügenden Möglichkeiten der Krankenhausbehandlung und anderen ärztlichen Beistandes bestehen, sollte es Sache der Versicherungsanstalt oder der Versicherungsanstalten sein, gemeinschaftlich ein System ärztlicher oder sanitärer Zentralen zu errichten, die jede Art von Pflege, einschliesslich der Krankenhausbehandlung, in den hauptsächlichen Zentralen gewähren und soweit wie möglich Verkehrserleichterungen bieten. Die Errichtung solcher Zentralen dürfte vor allem notwendig sein, falls die Versicherten über dünn bevölkerte Gegenden verstreut sind.

38. Wo das Anwendungsgebiet des ärztlichen Beistandsdienstes zu beschränkt ist, als dass die Einrichtung umfassender Zentralen für die Bedienung der Beistandsberechtigten sich als wirtschaftlich erwiese, und die Möglichkeiten der Behandlung durch Spezialärzte in dem Gebiete unzureichend sind, wäre es angezeigt, dass die
Versicherungsanstalt oder die Versicherungsanstalten gemeinschaftlich Stellen unterhalten, wo Spezialärzte nach Bedarf Beistandsberechtigte behandeln.

39. Wo der ärztliche Beistandsdienst nur einen verhältnismässig kleinen Teil der Bevölkerung umfasst, die in einem Gebiet mit ausgedehnter Privatpraxis dicht angesiedelt ist, wäre es angezeigt, dass die Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe, die am Dienste beteiligt sind, in mietweise übernommenen und von ihnen selber eingerichteten und verwalleleii Zentralen zusammenarbeiten, wo sowohl Beistandsberechtigte des Dienstes als auch Privatpatienten behandelt werden können.

839 40. Wo der ärztliche Bcistandsdienst nur eine kleine Zahl von Beistandsberechtigten umfasst, die über.eine dichtbevölkerte Gegend mit ausreichenden Pflegemoglichkeiten verstreut sind, und wo eine freiwillige ärztliche Zusammenarbeit im Sinne von Absatz 39 nicht möglich ist, wäre es angezeigt, dass die Beistandsberechtigten Beistand von Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe erhalten, die in ihren eigenen Konsultationsräumen wie auch in Krankenhäusern und andern öffentlichen oder anerkannten privaten Pflegestätten ihre Tätigkeit ausüben, 41. In Gegenden, in denen die Bevölkerung zerstreut und abgelegen wohnt, ist ein fahrbarer Sanitätsdienst mit Motorfahrzeugen oder Flugzeugen einzurichten für Erste Hilfe, Zahnbehandlung, allgemeine Untersuchung und je nachdem auch andere Gesundheitsdienste, wie solche für Mütter und Säuglinge.

Dabei ist Vorsorge zu treffen für die kostenlose Überführung von Patienten in ärztliche Zentralen und in Krankenhäuser.

Zusammenarbeit mit dem allgemeinen Gesundheitsdienst.

42. Den Beistandsberechtigten des ärztlichen Beistandsdienstes sollten alle .Dienste des allgemeinen Gesundheitsdienstes zu Gebote stehen, d. h. diejenigen Dienste, die es der gesamten Bevölkerung oder einzelnen Bevölkerungsgruppen ermöglichen, ihren Gesundheitszustand zu verbessern und ihre Gesundheit zu schützen, solange diese noch nicht gefährdet ist oder gefährdet erscheint, gleichviel ob solche Dienste von Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe oder anderswie geleistet werden.

48. Der ärztliche Beistandsdienst sollte in nahe Verbindung mit den Dienstzweigen des allgemeinen Gesundheitsdienstes gebracht werden, sei es durch enge Zusammenarbeit der Sozialversicherungsanstalten, die den ärztlichen Beistand gewähren, mit den Behörden des allgemeinen Gesundheitsdienstes oder durch Zusammenlegung des ärztlichen Beistandsdienstes mit den Dienstzweigen des allgemeinen Gesundheitsdienstes.

44, Eine örtliche Verbindung des ärztlichen Beistandsdienstes mit den Dienstzweigen des allgemeinen Gesundheitsdienstes ist anzustreben. Dies kann geschehen, indem man die Zentralen des ärztlichen Beistandsdienstes in der Nähe der Zentralsitze des allgemeinen Gesundheitsdienstes errichtet, oder indem man gemeinsame Zentralen als Sitze aller oder der Mehrzahl der Dienstzweige des Gesundheitsdienstes
schafft.

45. Die Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe, die beim ärztlichen Beistandsdienst mitwirken und in den ärztlichen Zentralen tätig sind, könnten zweckmässigerweise für solche Leistungen des allgemeinen Gesundheitsdienstes beigezogen werden, die mit Vorteil vom gleichen Personal besorgt werden, einBchliesBÜch der Schutzimpfung, der Untersuchung von Schulkindern und anderer Bevölkerungsgruppen, der Beratung von Schwangern und von Müttern mit Säuglingen, und anderer, ähnlicher Leistungen.

840

IV. Beschaffenheit des Dienstes.

Spitzenqualität des ärztlichen Beistandsdienstes.

46. Der ärztliche Beistandsdienst sollte in seinen Leistungen eine höchstmögliche Güte anstreben unter gebührender Bücksichtnahme auf die Wichtigkeit des Verhältnisses zwischen dem Arzt und dem Kranken sowie die berufliehe und persönliche Verantwortung des Arztes. Der Beistandsdienst sollte dabei gleichzeitig die Interessen der Beistandsberechtigten und die der Berufe wahrnehmen, die am Dienste mitwirken.

Wahl des Arztes und Begelmässigkeit der Behandlung.

47. Der Beistandsberechtigte sollte befugt sein, unter den praktischen Ärzten, die dem Beistandsdienst zur Verfügung stehen, innerhalb angemessener Nähe seiner Wohnung die Wahl des Arztes zu treffen, von dem er regelmässig behandelt zu werden wünscht (Hausarzt). In derselben Weise sollte er befugt sein, die Wahl des Arztes für seine Kinder zu treffen. Diese Grundsätze sollten sich gleichermassen auf die Wahl eines Familienzahnarztes beziehen.

48. Wird der ärztliche Beistand von sanitären Zentralen gewährt, so sollte der Beistandsberechtigte befugt sein, innerhalb angemessener Nähe seiner Wohnung die ihm zusagende Zentrale selber zu wählen. Ebenso sollte er für sich und seine Kinder einen Arzt und einen Zahnarzt unter den praktischen Ärzten und den Zahnärzten, die in dieser Zentrale tätig sind, wählen dürfen.

49. Wo keine Zentrale besteht, sollte der Beistandsberechtigte befugt sein, Hausarzt und Familienzahnarzt unter den beim Beistands dienst mitwirkenden praktischen Ärzten und Zahnärzten zu wählen, deren Konsultationsräumlichkeiten sich in angemessener Nähe seiner Wohnung befinden, 50. Der Beistandsberechtigte sollte befugt sein, den Hausarzt oder den Familienzahnarzt nach vorheriger fristgerechter Anzeige aus wichtigen Gründen, wie mangels persönlichen Einvernehmens und Vertrauens, zu wechseln, 51. Der beim Beistandsdienst mitwirkende praktische Arzt oder Zahnarzt sollte befugt sein, einen Patienten anzunehmen oder abzulehnen, doch darf er nicht mehr als eine vorgeschriebene Höchstzahl von Patienten annehmen und solche Patienten nicht ablehnen, die ihn nicht selber gewählt haben, sondern ihm vom Beistandsdienst auf Grund eines unparteiischen Verfahrens zugewiesen worden sind.

52. Die Behandlung durch Spezialärzte und Angehörige verwandter Berufe, wie
Krankenschwestern, Hebammen, Masseure und andere, sollte auf den Bat und durch die Vermittlung des Hausarztes erfolgen, der nach Möglichkeit den Wünschen des Kranken Bechnung tragen sollte, falls mehrere der in Betracht kommenden Spezialärzte oder Angehörige verwandter Berufe in der sanitären Zentrale oder in angemessener Nähe der Wohnung des Kranken ihren Beruf ausüben. Besondere Massnahmen sollten getroffen werden, um dem Kranken auf seinen Wunsch die Behandlung von Spezialärzten in Fällen zukommen zu lassen, in denen diese Behandlung vom Hausarzt nicht empfohlen wird.

841 53. Krankenhauspflege ist auf Empfehlung des Hausarztes des Beistandsberechtigten oder auf den Bat des beigezogenen Spezialarztes zur Verfügung zu stellen.

54. Falls die Krankenhauspflege in der Zentrale gewährt wird, welcher der Hausarzt oder der Spezialarzt angehört, so sollte der Patient im Krankenhaus vorzugsweise von seinem Hausarzt oder dem ihm zugewiesenen Spezialarzt behandelt werden, 55. Es sollte nach Möglichkeit dafür gesorgt werden, dass die Beratung durch die praktischen Ärzte oder durch die Zahnärzte, die in der sanitären Zentrale tätig sind, nach vorheriger Vereinbarung erfolgt.

Arbeitsbedingungen und Satzung der Ärzte und der Angehörigen verwandter Berufe.

56. Die Arbeitsbedingungen der Ärzte und der Angehörigen verwandter Berufe, die beim Beistandsdienst mitwirken, sollten so gestaltet sein, dass sie den Arzt oder sonstigen Mitarbeiter von jeglicher Geldsorge befreien, indem sie ihm ein genügendes Einkommen während der Ausübung seines Berufes, in Zeiten von Urlaub und Krankheit und im Euhestand, sowie Eenten für seine Hinterbliebenen sichern. Sie sollten seine Freiheit der Entscheidung in beruflichen Fragen nicht anders als durch eine berufliche Aufsicht einschränken und -nicht derart sein, dass die Aufmerksamkeit des Arztes oder sonstigen Mitarbeiters von seiner Aufgabe, die Gesundheit der Beistandsberechtigten zu erhalten oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern, abgelenkt wird.

57. Es empfiehlt sich, die praktischen Ärzte, die Spezialärzte und die Zahnärzte, die für einen die Gesamtheit oder eine grosse Mehrheit der Bevölkerung umfassenden ärztlichen Beistandsdienst tätig sind, vollamtlich bei fester Besoldung anzustellen, mit ausreichenden Sicherungen für Urlaub, bei Krankheit, im Alter und für den Todesfall, dies alles unter der Voraussetzung, dass in dem sie anstellenden Organ die Ärzteschaft genügend vertreten ist.

58. Wo praktische Ärzte und Zahnärzte mit Privatpraxis einen Teil ihrer Zeit einem ärztlichen Beistandsdienst mit einer genügenden Zahl von Beistandsberechtigten widmen, empfiehlt es sich, ihnen eine feste jährliche Grundbesoldung zu bewilligen mit ausreichenden Sicherungen für Urlaub, bei Krankheit, im Alter und für den Todesfall, wobei die Besoldung, wenn dies wünschbar erscheint, durch ein festes Honorar für jede Person oder Familie erhöht wird,
die der Arzt oder Zahnarzt zur Behandlung übernimmt.

59. Wo Spezialärzte mit Privatpraxis einen Teil ihrer Zeit einem ärztlichen Beistandsdienst mit einer ansehnlichen Zahl von Beistandsberechtigten widmen, empfiehlt es sich, diese Ärzte entsprechend der für den Beistandsdienst aufgewendeten Zeit zu entschädigen (Teilgehalt).

60. Wo Ärzte und Zahnärzte mit Privatpraxis einen Teil ihrer Zeit einem ärztlichen Beistandsdienst mit nur wenigen Beistandsberechtigteii widmen, empfiehlt es sich, diese Ärzte entsprechend den geleisteten Diensten zu entschädigen.

842 61. Es empfiehlt sich, unter den beim ärztlichen Beistandsdienst mitwirkenden Angehörigen verwandter Berufe diejenigen, die persönliche Dienste leisten, voll zu beschäftigen bei fester Entschädigung und mit ausreichenden Sicherungen für Urlaub, bei Krankheit, im Alter und für den Todesfall. Dagegen sollton Angehörige dieser Berufe, die ihre Dienste in Gestalt von Sachlieferungen leisten, auf Grund angemessener Tarifansätze entschädigt werden.

62. Die Arbeitsbedingungen für die beim Beistandsdienst mitwirkenden Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe sollten für das ganze Land oder für die Behandlung aller vom Dienst erfassten Bevölkerungsschichten einheitlich sein und im Einverständnis mit den massgeblichen Berufsorganen aufgestellt werden. Ausnahmen sollten nur zugelassen werden, wenn die Verschiedenartigkeit der Anforderungen eines Dienstes dies erheischt.

68. Es sollte ein Verfahren vorgesehen werden, das es ermöglicht, Klagen der Beistandsberechtigten über den erhaltenen Beistand und Klagen der Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe bezüglich ihres Verhältnisses zur Verwaltung des Dienstes geeigneten Schlichtungsstellen unter Voraussetzungen zu unterbreiten, die allen Beteiligten angemessene Sicherheiten gewährleisten, 64. Die berufliche Aufsicht über die. beim Beistandsdienst mitwirkenden Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe sollte Organen anvertraut werden, die vorwiegend aus Vertretern der am Dienst beteiligten Berufe zusammengesetzt sind, und sollte die Möglichkeit von Disziplinarmassnahmen einschliessen.

65.-Wenn im Verlauf des in Absatz 63 vorgesehenen Verfahrens ein am Dienst beteiligter Angehöriger der Ärzteschaft oder eines verwandten Berufes beschuldigt wird, seine beruflichen Pflichten verletzt zu haben, sollte die Schlichtungsstelle den Fall der in Absatz 64 vorgesehenen Aufsichtsinstanz überweisen.

Stand der beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse.

66. In den im Beistandsdienst mitwirkenden Berufen sollte der höchstmögliche Stand von Fähigkeiten und Kenntnissen erreicht und aufrechterhalten werden. Dies sollte in der Weise geschehen, dass für die wissenschaftliche und praktische Ausbildung ebenso wie auch für die Berufsausübung strenge Anforderungen gestellt werden und dass die am .Dienste Beteiligten ihre Fähigkeiten und Kenntnisse ständig
pflegen und weiter entwickeln.

67. Die im Beistandsdienst mitwirkenden Ärzte sollten im Gebiete der sozialen Medizin ausreichend geschult sein.

-. .

68. Studenten der Medizin und der Zahnheilkunde sollten, bevor.sie als voll anerkannte Ärzte oder Zahnärzte zum Beistandsdienst zugelassen werden, verpflichtet sein, als Assistenten in sanitären Zentralen oder .Konsultationsstellen, hauptsächlich in ländlichen Gebieten, unter der Aufsicht und der Leitung erfahrener praktischer Ärzte zu arbeiten.

69. Tin den Voraussetzungen für die Mitarbeit eines Arztes im Dienste sollte gehören, dass er während einer Mindestdauer Assistent an einem Krankenhaus gewesen ist.

70. Ärzte, die als Spezialisten ini Beistandsdienste mitzuwirken wünschen, sollten im Besitze eines Fähigkeitsausweises für ihr Spezialgebiet sein.

71. Ärzte und Zahnärzte, die im Beistandsdienst mitwirken, sollten verpflichtet sein, in bestimmten Zeitabständen Portbildungskurse zu besuchen, die zu diesem Zwecke durchgeführt werden oder als hiefür gültig anerkannt sind.

72. Für Angehörige der verwandten Berufe ist eine angemessene Lehrzeit in Krankenhäusern oder sanitären Zentralen vorzuschreiben, und es sind Fortbildungskurse durchzuführen, deren Besuch in bestimmten Zeitabständen den Mitarbeitern im Beistandsdienst zur Pflicht zu machen ist.

78. Tn den Krankenhäusern, die vom medizinischen Beistandsdienste verwaltet werden oder die mit diesem Dienste zusammenarbeiten, sind die notwendigen Erleichterungen zu schaffen, um dort die wissenschaftliche Forschung und die ärztjiche Lehrtätigkeit zu ermöglichen.

74. Die berufliche Ausbildung und die wissenschaftliche Forschung sollten durch finanzielle und gesetzgeberische Massnahmen des Staates unterstützt werden.

V. Finanzierung des ärztlichen Beistandsdienstes.

Schaffung

von Fonds zur Finanzierung eines Sozialversicherungsdienstes.

75. Der Höchstbeitrag, der von einem Versicherten zu verlangen ist, sollte denjenigen Bruchteil seines Einkommens nicht übersteigen, der, vom Einkommen sämtlicher Versicherten erhoben, eine Summe ergäbe, die den mutmasslichen Gesamtkosten des ärztlichen Beistandsdienstes, einschliesslich der Kosten des Beistandes für unterstützungsberechtigte Personen nach Absatz 6, entspricht.

76. Der Beitrag, der von einem Versicherten zu leisten ist, sollte der Teil des Höchstbeitrages sein, den er ohne drückende Belastung zahlen kann.

77. Die Arbeitgeber sollten verpflichtet sein, einen Teil des Höchstbeitrages für Rechnung der Personen zu zahlen, die von ihnen beschäftigt werden.

78. Personen, deren Einkommen das Existenzminimum nicht übersteigt, sollten keinen Versicherungsbeitrag leisten müssen. Entsprechende Beiträge sollten von der Behörde für ihre Bechnung bezahlt werden, ausgenommen im Falle von Personen im Anstellungsverhältnis, wo die Beiträge ganz oder teilweise von ihren Arbeitgebern bezahlt werden können.

79. Die nicht durch die Beiträge gedeckten Kosten des ärztlichen Beistandsdienstes sollten von den Steuerzahlern getragen werden.

80. Arbeitnehmerbeiträge werden zweckmässigerweise von den Arbeitgebern erhoben, ,

844 81. Wo für eine Gruppe Selbständigerwerbender die Zugehörigkeit zu einem Berufsverband oder der Besitz eines Bewilligungsausweises vorgeschrieben ist, kann der Verband oder die den Ausweis ausstellende Behörde mit der Erhebung der Beiträge dieser Erwerbsgruppe betraut werden.

82. Mit der Erhebung der Beiträge Selbständigerwerbender, die in einem Steuerregister aufgeführt sind, kann die Zentral- oder die Ortsbehörde betraut werden.

: 88. Wo ein Sozialversicherungssystem mit Barleistungen besteht, empfiehlt es sich, die unter diesem System und die auf Grund des ärztlichen Beistandsdienstes geschuldeten Beiträge gleichzeitig zu erheben.

Schaffung

von Fonds zur Deckung der Kosten eines öffentlichen Beistandsdienstes,

84. Die Kosten des ärztlichen Beistandsdienstes sollten aus öffentlichen Geldern bestritten werden.

85. Wo der ärztliche Beistandsdienst die gesamte Bevölkerung umfasst und alle Zweige des Gesundheitsdienstes einer einzigen zentral und regional geordneten Verwaltung unterstehen, ist es angezeigt, die Kosten des ärztlichen Beistandsdienstes aus den allgemeinen Staatseinkünften zu decken.

86. Wo die Verwaltung des ärztlichen Beistandsdienstes von der des allgemeinen Gesundheitsdienstes unabhängig ist, ist es angezeigt, die Kosten des ärztlichen Beistandsdienstes durch eine Sondersteuer zu decken.

87. Die Sondersteuer sollte in einen besonderen Fonds fliessen, der einzig für die Deckung der Kosten des ärztlichen Beistandsdienstes bestimmt ist.

88. Die Sondersteuer sollte progressiv gestaltet und so berechnet sein, dass ihr Ertrag für die Deckung der Kosten des ärztlichen Beistandsdienstes genügt.

89. Personen, deren Einkommen das Existenzminimum nicht übersteigt, sollten die Sondersteuer nicht zahlen müssen.

90. Die Sondersteuer wird zweckmässigerweise von den Behörden erhoben, die mit der Erhebung der allgemeinen Einkommenssteuer betraut sind, oder, falls keine allgemeine Einkommenssteuer besteht, von den Behörden, welche die Ortssteuern erheben.

Beschaffung

von Geldmitteln,

91. Ausser der Bereitstellung der regelmässigen Geldmittel zur Deckung der Kosten des ärztlichen Beistandsdienstes sollten Massnahmen getroffen werden, um das Vermögen von Sozialversicherungsanstalten oder aus andern Quellen stammende Mittel für die Deckung ausserordentlicher Ausgaben heranzuziehen, din durch die Ausdehnung und Verbesserung des Beislandsdienstes veranlasst werden, namentlich durch den Bau oder die Ausstattung von Krankenhäusern und ärztlichen Zentralen.

845 VI. Aufsicht und Verwaltung dea ärztlichen Beistandsdienstes.

Einlieitlichkeü des Gesundheitsdienstes und demokratisch gestaltete Aufsicht, 92. Alle Zweige des ärztlichen Beistandsdienstes und des allgemeinen Gesundheitsdienstes sollten durch eine einzige Stelle beaufsichtigt und nach sanitären Bezirken im Sinne von Absatz 24 verwaltet werden. Die Beistandsberechtigten des ärztlichen Beistandsdienstes sowie die Ärzteschaft und die darin mitwirkenden verwandten Berufe sollten an der Verwaltung des Dienstes teilnehmen..

Vereinheitlichung der Zentralverwaltung.

93. Die Aufstellung allgemeiner Bichtünieu des Gesundheitswesens und die Aufsicht über alle Dienstzweige des ärztlichen Beistandsdienstes und des allgemeinen Gesundheitsdienstes sollten Sache einer Zentralbehörde sein, die das Gemeinwesen vertritt. Vorbehalten bleibt die Beiziehung der Ärzteschaft und verwandter Berufsgruppen und die Zusammenarbeit mit ihnen in allen beruflichen Fragen sowie die Beiziehung der Beistandsberechtigten, soweit die allgemeinen Bichtlinien und die Verwaltung des ärztlichen Beistandsdienstes in Betracht stehen.

94. Wo der ärztliche Beistandsdienst die Gesamtheit oder die Mehrheit der Bevölkerung uinfasst und eine Dienststelle der Begierung alle Zweige des ärztlichen Beistandsdienstes und des allgemeinen Gesundheitsdienstes beaufsichtigt oder verwaltet, kann der Vorsteher dieser Stelle als Vertreter der Beistandsberechtigten gelten.

95. Die Dienststelle der B-egierung sollte mit den Beistandsberechtigten durch Vermittlung beratender Körperschaften in ständiger Verbindung sein.

In diesen Körperschaften sollten Organisationen der verschiedensten Bevölkerungsgruppen vertreten sein, wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Handelskammern, Bauernverbände, Frauenvereine und Vereine für den Kinderschutz.

96. Wo der ärztliche Beistandsdienst nur einen Ausschnitt der Bevölkerung uinfasst und eine Dienststelle der Begierung alle Zweige des ärztlichen Beistandsdienstes und des allgemeinen Gesundheitsdienstes beaufsichtigt, sollten bei allen Fragen, welche die allgemeinen Bichtlinien des ärztlichen Beistandsdienstes betreffen, Vertreter der Versicherten vorzugsweise durch Vermittlung beratender Ausschüsse an dieser Aufsicht teilnehmen.

97. Die Dienststelle der Begierung sollte die Vertreter der Ärzteschaft und verwandter
Berufe vorzugsweise durch Vermittlung beratender Ausschüsse bei allen Fragen beiziehen, die mit den Arbeitsbedingungen von Angehörigen der arn Beistandsdienst mitwirkenden Berufe zusammenhängen, ebenso wie bei allen andern Fragen vorwiegend beruflicher Art, wie insbesondere bei der Aus arbeitung von. Gesetzen und Verordnungen über Art, Umfang und Verwaltung der vom Beistandsdienst gebotenen Leistungen.

Buudeäblatt.

98, Jahrg.

Bd. I.

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98. Wo der ärztliche Beistandsdienst die Gesamtheit oder die Mehrheit der Bevölkerung umfasst und ein repräsentatives Organ alle Dienstzweige des ärztlichen .Beistandsdienstes und des allgemeinen Gesundheitsdienstes beaufsichtigt oder verwaltet, sollten die Beistandsberechtigten unmittelbar oder mittelbar in einem solchen Organ vertreten sein.

99. In diesem Falle sollten die Ärzteschaft und die verwandten Berufe in dem repräsentativen Organ vertreten sein, vorzugsweise in gleicher Stärke w'e die Beistandsberechtigten oder die Eegierung. Die berufliehen Mitglieder des Organs sollten entweder von den betreffenden Berufskreisen gewählt oder durch Berufsvertreter vorgeschlagen und von der Eegierung ernannt werden.

100. Wo der ärztliche Beistandsdienst die Gesamtheit oder die Mehrheit der Bevölkerung umfasst und eine durch Gesetz oder Stiftungsurkunde eingesetzte, aus Fachleuten bestehende Körperschaft alle Dienstzweige des ärztlichen Beistandsdienstes und des allgemeinen Gesundheitsdienstes beaufsichtigt oder verwaltet, ist es angezeigt, .dass eine solche Körperschaft sich gleichmassig aus Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe und aus sachverständigen Laien zusammensetzt.

101. Die beruf hohen Mitglieder der Faehkörperschaften sollten von der Eegierung aus Anwärtern ernannt werden, die von den Vertretern der Ärzteschaft und verwandter Berufe vorgeschlagen sind.

102. Das mit dem Vollzug betraute repräsentative Organ oder die Fachkörperschaft, welche die Dienstzweige des ärztlichen Beistandsdienstes und des allgemeinen Gesundheitsdienstes beaufsichtigt oder verwaltet, sollte der Begierung gegenüber für ihr allgemeines Tätigkeitsprogramm verantwortlich sein.

103. Im Falle eines Buhdesstaates kann die in den vorausgehenden Absätzen erwähnte Zentralbehörde eine Bundesbehörde oder eine einzelstaatliche Behörde sein.

Ortsverwaltung.

104. Die Ortsverwaltung der Dienstzweige des ärztlichen Beistandsdienstes und des allgemeinen Gesundheitsdienstes sollte im Sinne von Absatz 24 in hiefür geschaffenen Bezirken vereinheitlicht oder übereinstimmend geordnet werden. Dabei wäre der ärztliche Beistandsdienst eines Bezirkes entweder von Organen, welche die Beitragsberechtigten vertreten und denen Angehörige der Ärzteschaft und der verwandten Berufe als Mitglieder oder Berater angehören, oder im
Einvernehmen mit solchen Organen zu verwalten, damit die Interessen der Beitragsberechtigten und der beteiligten Berufe gewahrt und die technische Wirksamkeit des Dienstes und die berufliche Freiheit der mitarbeitenden Ärzte sichergestellt werden.

105. Wo der ärztliche Beistandsdienst die Gesamtheit oder die Mehrheit der Bevölkerung in den sanitären Bezirken umfasst, ist eine einzige Bezirksverwaltung für alle Dienstzweige des ärztlichen Beistandsdienstes und des allgemeinen Gesundheitsdienstes angezeigt.

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106. Wo in diesem Falle die Bezirksverwaltung den Gesundheitsdienst im Namen der Beistandsberechtigten verwaltet, sollten Angehörige der Ärzteschaft und der verwandten Berufe an der Verwaltung teilnehmen. Es sollte dies vornehmlich durch Vermittlung technischer Ausschüsse geschehen, die von den Berufsgruppen gewählt oder aber von der Bezirksbehörde oder der Zentralregierung auf Grund von Vorschlägen der beteiligten Berufsgruppen eingesetzt werden.

107. Wo ein die Gesamtheit oder die Mehrheit der Bevölkerung des sanitären Bezirkes umfassender ärztlicher Beistandsdienst durch ein repräsentatives Organ verwaltet wird, sollten die Bezirksbehörde als Vertreterin der Beistandsberechtigten und die Ärzteschaft sowie die verwandten Berufe in einem solchen Organ, vorzugsweise gleich stark, vertreten sein.

108. Wo der ärztliche Beistandsdienst durch Bezirkszweigstellen oder durch der Zentralverwaltung unterstellte Bezirksbeamte verwaltet wird, sollten Angehörige der Ärzteschaft und der verwandten Berufe im Bezirk an der Verwaltung teilnehmen, vorzugsweise durch Vermittlung technischer Ausschüsse, denen der Vollzug obliegt und die gemäss Absatz 106 gewählt oder eingesetzt worden sind.

109. Wie auch immer die Bezirksverwaltung gestaltet sein mag, sollte die den ärztlichen Beistandsdienst verwaltende Behörde durch Vermittlung beratender, im Sinne von Absatz 95 durch repräsentative Organisationen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen gewählter Organe in ständiger Verbindung mit den Beistandsberechtigten des Bezirkes stehen.

110. Wo der ärztliche Beistandsdienst der Sozialversicherung untersteht und nur einen Ausschnitt der Bevölkerung umfasst, ist es angezeigt, diesen Dienst durch ein repräsentatives Organ mit Vollziehungsbefugnis verwalten zu. lassen, das der B.egierung gegenüber verantwortlich ist und dem Vertreter der Beistandsberechtigten, der im Dienste mitwirkenden Ärzteschaft und der verwandten Berufe sowie der Arbeitgeber angehören.

Verwaltung sanitärer Betriebseinheiten.

111. Sanitäre Betriebseinheiten, die zum ärztlichen Beistandsdienst gehören und von diesem betrieben werden, wie medizinische oder sanitäre Zentralen oder Krankenhäuser, sollten unter demokratischer Aufsicht verwaltet werden. Diese Aufsicht sollte unter Beteiligung der Ärzteschaft oder ganz oder vorwiegend von Ärzten ausgeübt werden,
die von den im Dienst mitwirkenden Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe gewählt oder im Einvernehmen mit diesen unter Beizug aller Ärzte der betreffenden Betriebseinheit ernannt worden sind.

Berufungsrecht.

112. Die Beistandsberechtigten oder die Angehörigen der Ärzteschaft und verwandter Berufe, die eine Klage bei der in Absatz 63 genannten Schlichtungs-

848 stelle eingereicht haben, sollten gegen..den Entscheid dieser Stelle das Recht der Berufung an einem unabhängigen Gerichtshof haben.

113. Angehörige der Ärzteschaft und verwandter Berufe, gegen welche die in Absatz 64 genannte Aufsichtsbehörde Diaziplinartnassnahmen getroffen hat, sollten gegen den Entscheid dieser Behörde das Eecht der Berufung an einen unabhängigen Gerichtshof haben.

114. Wo die in Absatz 64 genannte Aut'sichtsstelle in einer ihr von der Schlichtungsstelle nach Absatz 65 unterbreiteten Sache kein Disziplinarverfahren eingeleitet hat, sollten die beteiligten Parteien das Recht der Berufung an einen unabhängigen Gerichtshof haben.

Empfehlung (Nr. 70) betreffend Mindestnormen der Sozialpolitik in abhängigen Gebieten.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vorn. Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Philadelphia einberufen wurde und am 20. April 1944 zu ihrer sechsundzwanzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Mindestnormen der Sozialpolitik in abhängigen Gebieten, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 12. Mai 1944. die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend Sozialpolitik in abhängigen Gebieten, 1944, bezeichnet wird.

Die Konferenz geht davon aus, -dass die wirtschaftliche Entwicklung und der soziale Fortschritt der Völker in abhängigen Gebieten zu den dringendsten Aufgaben der für ihre Verwaltung verantwortlichen Staaten gehört.

Sie zieht in Erwägung, dass die Internationale Arbeitsorganisation seit ihren Anfängen bestrebt gewesen ist, Regierungen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer in ihren Bemühungen um diese Aufgabe zu unterstützen.

Sie weist darauf hin, dass die Atlantik Charta den Willen der Unterzeichner zum Ausdruck gebracht hat, «die umfassendste wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Nationen herbeizuführen, um für alle bessere Arbeitsbedingungen, wirtschaftlichen Fortschritt und soziale Sicherheit zu erzielen».

Sie stützt sich darauf, dass sie durch eine am 5. November 1941 angenommene Entschliessung den Grundsätzen der Atlantik Charta beigepflichtet und zu ihrer Verwirklichung die volle Mitarbeit der
Internationalen Arbeitsorganisation zugesichert hat.

.Sie zieht in Betracht, dass die Internationale Arbeitsorganisation bei verschiedenen Gelegenheiten Übereinkommen und Empfehlungen, die sich mit gewissen Seiten der Lebens- und Arbeitsbedingungen in abhängigen Gebieten

849

befassen, angenommen und nach Art. 35 der Verfassung der Organisation die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen allgemeiner Art auf diese Gebiete gefördert hat.

Sie ist sich bewusst, dass die weitere Wohlfahrt -und Entwicklung der abhängigen Völker durch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den abhängigen Gebieten und der übrigen Welt ebenso wie durch die innerhalb dieser Gebiete selber ergriffenen Massnahmen beeinflusst wird.

Sie hält es für wünschenswert, die wesentlichen Grundsätze der Sozialpolitik, in abhängigen Gebieten festzulegen und dafür zu sorgen, dass die international geltenden Mindestnormen in ihrer Anwendung auf diese Gebiete ausgedehnt und zur Förderung der oben genannten Zwecke ausgebaut werden.

Die Konferenz empfiehlt daher, was folgt: 1. Jedes Mitglied der Organisation sollte die in seiner Befugnis liegenden Massnahmen treffen oder fortsetzen, um die Wohlfahrt und die Entwicklung der Völker der abhängigen Gebiete durch die wirksame Anwendung der allgemeinen Grundsätze in Teil I des Anhanges zu dieser Empfehlung sicherzustellen.

2. Jedes Mitglied der Organisation, dem ein abhängiges Gebiet untersteht, sollte alle in seiner Befugnis liegenden Massnahmon treffen, um in diesem Gebiete die wirksame Anwendung der in Teil II des Anhanges zu dieser Empfehlung enthaltenen Mindestnormen sicherzustellen. Insbesondere sollten die Mitglieder diese Empfehlung der Behörde oder den Behörden unterbreiten, die für die wirksame Anwendung der in Teil II des Anhanges aufgeführten Mindestiiormen in diesem Gebiete zuständig sind.

3. Jedes Mitglied der Organisation, das der vorliegenden Empfehlung zustimmt, sollte dem Direktor des Internationalen Arbeitsamtes bekanntgeben, dass es die in Teil I des Anhanges aufgeführten Grundsätze annimmt. Es sollte ihm so früh wie möglich die einzelnen Massnahmen zur Kenntnis bringen, die es getroffen hat, um die in Teil II des Anhanges erwähnten Mindestnormen in jedem abhängigen Gebiet, das ihm untersteht, wirksam zu gestalten. Schliesslich sollte das Mitglied dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates von Zeit zu Zeit über die zur Durchführung der Empfehlung getroffenen Massnahmen Bericht erstatten.

4. Die in Teil II des Anhanges zu dieser Empfehlung aufgeführten Normen sind als Mindcstnormen zu betrachten,
die irgendwelche Verpflichtungen zur Einhaltung von Normen mit höheren Anforderungen, die für ein Mitglied auf Grund der Verfassung der Organisation oder auf Grund eines von ihm ratifizierten Internationalen Arbeitsübereinkommens bestehen, in keiner Weise berühren oder einschränken und keinesfalls so auszulegen oder anzuwenden sind, dass sich daraus eine Minderung des gesetzlichen Schutzes ergibt, der den in Betracht kommenden Arbeitnehmern bereits gewährt wird.

850 Anhang.

Teil I. Allgemeine Grundsätze.

Artikel 1.

1. Jede zur Durchführung in abhängigen Gebieten bestimmte Politik soll vor allem auf die Wohlfahrt und Entwicklung der Völker solcher Gebiete und auf die Förderung ihrer eigenen Bemühungen um den sozialen Fortschritt gerichtet sein.

2. Bei politischen Planungen von mehr allgemeiner Tragweite ist den Rückwirkungen dieser Politik auf die Wohlfahrt abhängiger Völker Rechnung zu tragen.

Artikel 2.

1. Zur Förderung der Wirtschaft und somit zur Schaffung der Grundlage des sozialen Fortschrittes sind alle Anstrengungen zu machen, um auf internationaler, regionaler, nationaler oder territorialer Grundlage die wirtschaftliche Entwicklung abhängiger Gebiete unter der Aufsicht der Ortsbehörde in einer Weise finanziell und technisch zu fördern, welche die Wahrung der Interessen der in diesen Gebieten wohnenden Völker gewährleistet.

2. Eines der Ziele der behördlichen Sozialpolitik soll sein, für die Bereitstellung genügender Geldmittel zu sorgen, um die wirtschaftliche Entwicklung abhängiger Gebiete unter Bedingungen zu fördern, die den Völkern dieser Gebiete die volle Xutzniessung einer solchen Entwicklung sichern.

3. Gegebenenfalls sind internationale, regionale oder nationale Massnahmeri zu treffen zur Herstellung von Handelsbedingungen, die ausreichen, um leistungsfähigen Erzeugern der wesentlichen Ausfuhrprodukte abhängiger Gebiete einen angemessenen Stand der Lebenshaltung zu gewährleisten.

Artikel 8.

Durch angemessene internationale, regionale, nationale oder territoriale Massnahmen ist alles irgendwie Mögliche vorzukehren, um die Herbeiführung von Verbesserungen auf Gebieten wie den folgenden zu fördern: öffentliches Gesundheitswesen, Wohnungswesen, Ernährung, öffentliche Erziehung, Kinderhilfe, Frauenfragen, Arbeitsbedingungen, Lohn- und Ver dienstfragen, Schutz der Wanderarbeiter, soziale Sicherheit, Leistungsgrad der öffentlichen Dienste und Gütererzeugung im allgemeinen. Diese Vorkehrungen sollen in Ländern, denen abhängige Gebiete unterstehen, auch angemessene handelspolitische Massnahmen einschliessen.

Artikel 4.

Es soll mit allen Mitteln darauf hingewirkt werden, dass die Völker abhängiger Gebiete bei der Ausarbeitung und Durchführung von Massnahmen des sozialen Fortschrittes in inassgebeiader Weise beteiligt sind, vorzugsweise durch Vermittlung der von ihnen gewählten eigenen Vertreter, wo ein solches Verfahren geeignet und möglich ist.

851 Teil II. Mindestnornien.

Abschnitt 1. Sklaverei.

Artikel 5.

Entsprechend dem Ziele der freien Arbeit in einer freien Welt wird der Grundsatz aufgestellt, dass Sklavenhandel und Sklaverei jeder Art in allen abhängigen Gebieten untersagt und wirksam unterdrückt werden soll.

Abschnitt 2. Opium.

Artikel 6.

1. Angesichts der Gefahr, die der Gesundheit, der Arbeitskraft und der allgemeinen "Wohlfahrt der Völker abhängiger Gebiete durch das Opium und andere Gifte droht, wird der Grundsatz aufgestellt, dass die Interessen der Arbeitnehmer durch eine strenge Überwachung des Handels mit diesen Giften in vollem Masse zu schützen seien.

2, In allen abhängigen Gebieten, in denen das Opiumrauchen noch gestattet ist, soll in Erwägung gezogen werden, ob für das Opium nicht ein Bauch verbot zu erlassen und die staatlichen Verkaufsmonopole abzuschaffen seien.

Abschnitt 3. Zwangs- oder

Pflichtarbeit.

Artikel 7.

1. Die Anwendung von Zwangs- oder Pflichtarbeit in abhängigen Gebieten, die im Zusammenhang mit den ausserordentlichen Verhältnissen des gegenwärtigen Krieges aufgekommen sein mag, soll innerhalb kürzester Frist vollständig abgeschafft werden. Unterdessen sind in den abhängigen Gebieten alle Massnahmen zur Steigerung des freiwilligen Arbeitsangebotes zu treffen.

2. Die Anwendung von Zwangs- oder Pflichtarbeit jeder Art ist innerhalb kürzester Frist xu unterdrücken.

3. Wo in abhängigen Gebieten vorübergehend und ausnahmsweise von Zwangs- oder Pflichtarbeit Gebrauch gemacht wird, sind die Bedingungen und Sicherungen des Übereinkommens über Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1980, einzuhalten. In keinem Fall ist die Verwendung von Zwangs- oder Pflichtarbeit durch private Arbeitgeber statthaft, gleichviel, ob diese Arbeitgeber Staatsaufträge besitzen oder nicht.

4. Es ist zu prüfen, ob die Bewilligung von Ausnahmen in der Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens über Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930, auf abhängige Gebiete nicht aufzuheben oder zurückzuziehen sei.

5. Es ist zu prüfen, ob das Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930, nicht auf abhängige Gebiete anzuwenden sei, wo Zwangs- oder Pflichtarbeit noch vorkommen mag oder wo das genannte Übereinkommen noch nicht in Kraft ist.

852

6. Es ist zu prüfen, ob nicht die Ratifikation des Übereinkommens über Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1980, durch Staaten angezeigt wäre, die dieses noch nicht ratifiziert haben und denen abhängige Gebiete unterstehen, wo Zwangs- oder Pfhchtarbeit noch vorkommen mag.

Artikel 8.

Damit eine Ausbreitung von Verfahren mittelbaren Zwangs, zur Arbeit verhütet werde, ist der Anwendung der in der Empfehlung betreffend den mittelbaren 'Zwang zur Arbeit, 1930, enthaltenen Grundsätze Eechnung zu tragen.

Abschnitt 4. Anwerben von

Arbeitnehmern.

Artikel 9.

1. Eines der Ziele der Sozialpolitik soll darin bestehen, die Anwerbung von Arbeitnehmern abzuschaffen und durch Vorkehrungen zu ersetzen, die, obschon auf dem freiwilligen Arbeitsangebot durch freie staatlich beaufsichtigte Vermittlungsstellen fusseiid, ärztliche Untersuchung, Transporterleichterungen, Nahrung und Wohnung und alle andern Vergünstigungen umfassen.

die der Arbeitnehmer nach der jetzigen Begehung erhält.

2. Bis zur Aufstellung anderer Vorschläge betreffend Verfahren zur Gewinnung von Arbeitskräften und im Hinblick auf einen leichteren und rascheren Übergang zu dem in Aussicht genommenen neuen Verfahren soll die Möglichkeit geprüft werden, die in der Empfehlung betreffend die allmähliche Abschaffung der Anwerbung, 1936, enthaltenen Grundsätze anzuwenden.

Artikel 10.

1. Es ist zu prüfen, ob es nicht möglich ist, das Übereinkommen über die Anwerbung eingeborener Arbeitnehmer, 1936, in den abhängigen Gebieten anzuwenden, wo eine solche Anwerbung vorkommen mag und das Übereinkommen noch nicht in Kraft ist.

2. Die Staaten, denen die Verantwortung für abhängige Gebiete zufällt, wo die Anwerbung vorkommen mag, und die das Übereinkommen über die Anwerbung eingeborener Arbeitnehmer, 1936, noch nicht ratifiziert haben, sollen die Möglichkeit der Ratifikation prüfen.

Abschnitt 5. Besondere Arten des A r b e i t s v e r t r a g e s .

Artikel 11.

1. Es soll eines der Ziele der Sozialpolitik sein, langfristige Beschäftigung mittels schriftlicher Verträge zu regeln, wo das Übereinkommen über die Arbeitsverträge eingeborener Arbeitnehmer, 1939, dies vorsieht, und zwar entsprechend den Bestimmungen dieses Übereinkommens.

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2. Es ist zu prüfen, ob es nicht möglich ist, das Übereinkommen über die Arbeitsverträge eingeborener Arbeitnehmer, 1939, auf solche abhängige Gebiete anzuwenden, wo Beschäftigung auf Grund langfristiger Verträge vorkommt, ohne dass das Übereinkommen für sie schon in Geltung wäre..

8. Die Staaten, denen die Verantwortung für abhängige Gebiete zufällt, wo die Beschäftigung mittels langfristiger Verträge vorkommen mag, und die das Übereinkommen über die Arbeitsverträge eingeborener Arbeitnehmer, 1989, noch nicht ratifiziert haben, sollen die Möglichkeit der. Ratifikation prüfen.

Artikel 12.

.

Im Hinblick auf die genaue Begrenzung einer vertraglich festgesetzten Dienstzeit ist zu prüfen, ob die in der Empfehlung betreffend die Arbeitsverträge eingeborener Arbeitnehmer, 1939, aufgestellten Grundsätze angewendet werden können.

Artikel 13.

1. Es sind alle in Betracht kommenden praktischen Massnahmen zu treffen, am Angebot und Nachfrage' in Gegenden, in denen ein gewisses Mass von Gelegenheitsarbeit unvermeidlich ist, auszugleichen und um jeden unerwünschten Anreiz auf Gelegenheitsarbeiter zum Aufsuchen von Arbeitszentren mit unregelmassigeri Aibeitsrnöglichkeiten zu verhüten.

2. Um die höchstmögliche Beschäftigung zu sichern, die in'solchen Arbeitszentren gewöhnlich beschafft werden kann, sind geeignete Massnahmen zu prüfen, wie beispielsweise kurzfristige Arbeitsverträge.

Artikel 14.

1. Die Übung, Arbeitskarten oder Arbeitshefte, die der Arbeitnehmer von Gesetzes wegen auf sich tragen muss, mit Eintragungen subjektiver Art über das Verhalten oder die beruflichen Fähigkeiten des Arbeitnehmers zu versehen, sollte unterdrückt werden.

2. Der Gebrauch von Arbeitskarten oder Arbeitsheften sollte in einer Weise geregelt werden, die ihre Verwendung zur Einschüchterung oder zur Ausübung eines Druckes bei der Arbeit ausschliesst, Artikel 15.

Wo ein verheirateter Mann in seinem Heimatstaate vertraglich angestellt ist, jedoch in beträchtlicher Entfernung von seiner Heimstätte, soll die zuständige Behörde im geeigneten Falle alle in Betrachl. kommenden praktischen Massnahraen treffen, damit ihm, falls er es wünscht, jede Möglichkeit geboten wird, sich von seiner Ehefrau und seiner Familie begleiten zu lassen.

854 Abschnitt 6. Strafmassnahmen.

Artikel 16.

1. Es soll eines der Ziele der Sozialpolitik sein, Strafmassnahmen wegen Vertragsbruchs im Sinne von Art. l des Übereinkommens über Strafmassnahmen gegen eingeborene Arbeitnehmer. 1939, vollständig abzuschaffen.

2. Es ist zu prüfen, ob es nicht möglich ist, das Übereinkommen über Strafmassnahmen gegen eingeborene Arbeitnehmer, 1939, in den abhängigen Gebieten anzuwenden, wo Strafmassnahmen vorkommen mögen und das genannte Übereinkommen noch nicht in Kraft ist.

3. Die Staaten, denen die Verantwortung für abhängige Gebiete zufällt, wo Strafmassnahmen vorkommen mögen, und die das Übereinkommen über Strafmassnahmen gegen eingeborene Arbeitnehmer, 1989, noch nicht ratifiziert haben, sollen die Möglichkeit der Eatifikation prüfen.

Abschnitt

7. B e s c h ä f t i g u n g

von Kindern und

Jugendlichen.

Artikel 17.

1. In den abhängigen Gebieten sind, ,wo die örtlichen Verhältnisse es gestatten, im grösstmöghchen Umfang Massnahmen zu treffen, um nach und nach ein ausführliches Programm der Erziehung, der beruflichen Ausbildung und der Lehrlingsschulung zu entwickeln mit dem Ziel, den Analphabetismus bei Kindern und jungen Leuten zu beseitigen und diese wirksam zu einer nützlichen Beschäftigung vorzubereiten.

2. Damit die Kinder von den bestehenden Möglichkeiten der Schulung Gebrauch machen können und damit der Ausbau dieser Möglichkeiten nicht durch eine Nachfrage nach Kinderarbeit gehemmt werde, soll die Beschäftigung von Kindern im schulpflichtigen Alter in Gebieten untersagt werden, wo für die Mehrheit solcher Kinder ausreichende Schulungsmöglichkeiten bestehen.

Artikel 18.

1. Kinder unter 12 Jahren sollen bei keiner Tätigkeit beschäftigt werden, ausgenommen bei leichten landwirtschaftlichen oder häuslichen Arbeiten, bei denen sich nur die Mitglieder der Familie des Arbeitgebers betätigen, oder bei leichten landwirtschaftlichen Arbeiten, die gemeinschaftlich durch die Angehörigen der Ortsgcmeinde ausgeführt werden. Das genannte Alter ist nach und nach zusammen mit dem Alter des Schulaustrittes zu erhöhen.

2. Wo die Versetzung von Kindern in die Familie eines Arbeitgebers nach dem herrschenden Brauche zulässig ist, sind die Bedingungen der Versetzung und der Beschäftigung streng zu regeln und zu überwachen, gleichviel, ob das Kind mehr oder weniger als 12 Jahre all isl. Die fortschreitende Abschaffung aller Versetzungen dieser Art soll eines der Ziele der Sozialpolitik in allen abhängigen Gebieten sein.

855 Artikel 19.

Es ist verboten, Kinder unter 15 Jahren in gewerblichen Betrieben oder Nebenbetrieben zu beschäftigen oder arbeiten zu lassen.

Artikel 20.

Es ist verboten, Kinder unter 15 Jahren an Bord von Schiffen KU beschäftigen.

Artikel 21.

1. Es ist verboten, Jugendliche unter 16 Jahren bei Untertagarbeiten in Bergwerken zu beschäftigen.

2. Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren dürfen bei Untertagarbeiten in Bergwerken nur auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses beschäftigt werden, das ihre Eignung für solche Arbeit bescheinigt und das von einem durch die zuständige Behörde anerkannten Arzt unterzeichnet ist.

Artikel 22.

1. Es ist verboten, Jugendliche unter 18 Jahren als Kohlenzieher (Trimmer) oder Heizer an Bord von Schiffen zu beschäftigen.

2. Falls ein Kohlenzieher (Trimmer) oder Heizer in einem Hafen benötigt wird, wo keine Arbeiter dieser Art im Alter von mindestens 18 Jahren zu finden sind, kann die Stelle durch Jugendliche von unter 18 und über 16 Jahren besetzt werden. Doch sind in diesem Falle zwei Jugendliche an Stelle des benötigten Kohlenziehers (Trimmers) oder Heizers einzustellen.

8. Immerhin gelten die Bestimmungen dieses Artikels nicht für a. die Arbeit Jugendlicher auf Schiffen, die nicht mit Dampf betrieben werden ; l>. die Arbeit Jugendlicher von mindestens 16 Jahren, deren körperliche Tauglichkeit durch ein ärztliches Zeugnis bescheinigt ist und die als Kohlenzieher (Trimmer) oder Heizer auf Schiffen beschäftigt werden, die lediglich den Küstenverkchr besorgen.

Artikel 23.

Die Bestimmungen der Artikel 18, 1), 19 und 20 beziehen sich nicht auf die Arbeit, die von Kindern oder Jugendlichen auf Schulschiffen ausgeführt werden oder in behördlich anerkannten öffentlichen oder privaten technischen Schulen, die einen vorgeschriebenen Stundenplan haben und die Dauer der Schulung oder der Lehrzeit ihrer Schüler angemessen begrenzen, vorausgesetzt, dass diese Arbeit unter Billigung und Aufsicht der zuständigen Behörde verrichtet wird.

856 Artikel 24.

1. Im Falle gesundheitsschädlicher, gefährlicher oder schwerer Arbeiten ist das Mindestalter höher als nach den Artikeln 18,1), und 19 festzusetzen,, oder es sollen für die Arbeitsdauer bei Kindern zwischen dem Mindestalter für die Zulassung zur Arbeit und einem angemessenen höheren Alter besondereBeschränkungen gelten, oder es sind sonstwie besondere Schutzmassnahmen zu treffen.

2. Ein besonderer Schutz ist den Kindern zu gewähren, denen es gestattet ist, ausserhalb 'ihres Heimes eine Beschäftigung anzunehmen, Artikel 25.

1. Es ist verboten, Jugendliche unter 18 Jahren zur Nachtzeit in gewerblichen Betrieben oder Nebenbetrieben zu beschäftigen.

2. Vorbehalten bleibt die Beschäftigung Jugendlicher über 16 Jahren zur Nachtzeit unter Ausnahmebedingungen, die von der zuständigen Behörde festzusetzen sind, Artikel 26.

1. Jugendliche unter 18 Jahren dürfen an Bord von Schiffen nur auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses beschäftigt werden, das ihre Eignung für solche Arbeit bescheinigt und von einem durch die zuständige Behörde anerkannten Arzt unterzeichnet ist.

2. In dringenden Fällen kann die zuständige Behörde einem Jugendlichen unter 18 Jahren die Einschiffung ohne vorausgehende ärztliche Untersuchung gestatten, unter der Bedingung jedoch, dass diese Untersuchung im ersten Hafen, den das Schiff anläuft, auf Kosten des Arbeitgebers nachgeholt werde, und unter der weitern Bedingung, dass, wenn das Arztzeugnis ungünstig ausfällt, der Jugendliche als Passagier auf Kosten des Arbeitgebers in den Hafen oder an den Ort, wo seine Anstellung stattfand, oder zu seinem Heim -- je nachdem., welches Ziel am nächsten liegt ·-- zurückgebracht werde.

Artikel 27.

Bei der Verwirklichung von Erziehungsplänen, die den wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Kollektivität angepasst sind, ist soweit wie möglich und unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse den Grundsätzen der Empfehlung betreffend die Berufsausbildung, 1939, Bechnnng zu tragen, Artikel 28.

Durch die Schaffung von Verwaltungsstellen oder die Ernennung von Beamten ist die Anwendung der Bestimmungen dieses Abschnittes zu erleichtern. Dies soll auf Grund von Verfahren geschehen, die sich in den Mutterstaaten oder den abhängigen. Gebieten bewährt haben.

857

A b s c h n i t t 8. B e s c h ä f t i g u n g von Frauen.

Artikel 29.

Eines der Ziele der Sozialpolitik für alle zuständigen Behörden soll darin "bestehen, unter gebührender Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse geeignete praktische Massnahmen zu treffen, 11111 den Frauen folgendes zu gewährleisten: angemessene Möglichkeiten der allgemeinen Bildung, beruf hohe Ausbildung und Beschäftigung, Sicherungen gegen gesundheitsschädlicheArbeits"bedingungen und wirtschaftliche Ausbeutimg, einschliesslich des Mutterschaf tsschutzes, Schutz gegen irgendwelche besondere Arten der Ausbeutung sowio gerechte und gleichartige Behandlung im Vergleich zu den Männern hinsichtlich Entlöhnung und anderer Arbeitsbedingungen.

Artikel 30.

Es sind alle in Betracht.kommenden praktischen Massnahmen zu treffen, um die soziale und wirtschaftliche Stellung der Frauen in abhängigen Gebieten zu verbessern, in denen Gesetz oder Überlieferung die Frauen in einem Zustande der Dienstbarkeit halten.

Artikel 81.

1. Bin Mutterschaftsschutz ist so rasch wie möglich für Frauen einzuiühren, die in gewerblichen oder Handelsbetrieben tätig sind.

2. Dabei ist unter dem Vorbehalt örtlich bedingter Abweichungen die Verwirklichung der Bestimmungen des Übereinkommens über die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft, 1919, und namentlich der ·folgenden Grundsätze anzustreben: ' a. das Recht der Frauen, der Arbeit vor und nach der Niederkunft fernzubleiben; 6. das Recht der Frauen auf ärztlichen Beistand und auf eine Unterstützung während 'dieser Abwesenheit.

Artikel 32.

1. Es ist verboten, Frauen zur Nachtzeit in gewerblichen Betrieben oder Nebenbetrieben zu beschäftigen.

2. Die Beschäftigung von Frauen zur Nachtzeit ist jedoch zulässig: a, in Fällen, in denen es sich um Arbeit an Rohstoffen oder in Bearbeitung stehenden Stoffen handelt, die raschem Verderb ausgesetzt sind; b, wenn sich ausnahmsweise und unvermutet in einem Betrieb ein Notfall von nicht regelmässig wiederkehrender Art ereignet.

3. Ausserdem kann das Verbot der Nachtarbeit vorübergehend aufgehoben -werden, wenn das öffentliche Wohl es infolge einer besonders schweren Notlage erfordert.

858

4. Die Bestimmungen dieses Artikels gelten nicht für Frauen, die sich in verantwortungsvollen leitenden Stellungen befinden und gewöhnlich keine körperliche Arbeit verrichten.

Artikel 88.

1. Es ist verboten. Frauen bei Untertagarbeiten in Bergwerken zu beschäftigen.

2. Von diesem Verbot kann die zuständige Behörde Ausnahmen gestatten für a. Frauen in leitender Stellung, die keine körperliche Arbeit verrichten; b. Frauen; die im Dienste des Gesundheitswesens und der Fürsorge tätig sind ; c. Frauen, die im Hinblick auf ihre berufliche Ausbildung eine bestimmteStudienzeit in einem unter Tage gelegenen Teil eines Bergwerkes verbringen ; d. alle anderen Frauen, die gelegentlich die unter Tage gelegenen Teile eines Bergwerkes zur Ausübung einer nicht körperlichen Tätigkeit betreten müssen.

Artikel 34.

Zur Förderung der Massnahmeii, die sich auf die Beschäftigung, die wirtschaftliche Stellung und die Wohlfahrt der Frauen beziehen, sind dort, wo Fragen, die namentlich die Frauen berühren, zur Erörterung stehen, Frauen als.

technische Eatgeber beizuziehen. Diese weiblichen Eatgeber sind womöglich der Ortsbevölkerung zu entnehmen.

Abschnitt 9. Entlöhnung.

Artikel 35.

1. Die Verbesserung der Lebenshaltung soll das Hauptziel im Plane der wirtschaftlichen Entwicklung sein.

2. Es sind alle den örtlichen Verhältnissen angepassten praktischen Massnahmen zu treffen, um selbständigen Produzenten und Lohnarbeitern dauernd einen Mindeststand der Lebenshaltung, gestützt auf amtliche Untersuchungen, über die Lebensbedingungen, zu gewährleisten und um ihnen zu gestatten,, diesen Stand der Lebenshaltung durch eigene Anstrengung zu verbessern.

8. Wirtschaftliche Unternehmungen, die so geartet sind, dass sie von ihren.

Heimen entfernt wohnende Arbeitnehmer benötigen, haben die aus den Familien Verhältnissen dieser Arbeitnehmer sich ergebenden Bedürfnisse zu berücksichtigen.

4. Wo vorübergehend Arbeitskräfte aus einem Gebiete zugunsten eines, andern Gebietes eingesetzt werden, sind Massnahmen zu treffen, um die Übermittlung eines Teiles der Löhne und Ersparnisse der Arbeitnehmer aus dem.

Gebiete, in dem diese beansprucht werden, nach den Gebieten, die sie zur Verfügung gestellt haben, zu erleichtern.

859

5. Wo Arbeitnehmer und ihre Familien aus Gebieten mit niederen Lebenskosten in solche mit höheren Lebenskosten ziehen, ist der Erhöhung der Lebenskosten, die sich aus einem solchen Wohnungswechsel ergibt, Rechnung zu tragen.

6. Ein ganz oder teilweise gewährter Ersatz der Löhne für Arbeitsleistungen in Gestalt von Alkohol oder andern geistigen Getränken ist zu verbieten.

Artikel 86.

Bei allen öffentlichen Arbeiten, gleichviel ob sie unmittelbar durch eine Behörde oder ob sie auf Grund eines Vertrages zwischen einer Behörde und einem Unternehmer ausgeführt werden, sollen der Forderung Genüge geschehen, dass die Lohnsätze und allgemeinen Arbeitsbedingungen nicht ungünstiger sind als die üblichen Lohnsätze und Arbeitsbedingungen und dass sie womöglich nach Befragung der in Betracht kommenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer festgesetzt werden.

Abschnitt 10.

Gesundheitswesen, Wohnungswesen und soziale Sicherheit.

Artikel 37.

1. Es sind alle in Betracht kommenden praktischen Maßnahmen zu treffen, um den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern. Diesem Zwecke sollen dienen: die weitere Verbreitung ärztlicher Hilfe, die Entwicklung von Programmen des Gesundheitswesens, Erhebungen über epidemische und endemische, in abhängigen Gebieten vorherrschende Tropenkrankheiten und Massnahmen zu ihrer Bekämpfung, ferner Propagierung der Gesundheitspflege und Verbesserung von Nahrung und Wohnung.

2. Es sind alle in Betracht kommenden praktischen Massnahmcu zu treffen, um durch Erhebungen die Nahrungserfordernisse der Bevölkerung und die Mittel zur Verbesserung der Ernährung sowie zur Verwirklichung einer Ernährungspolitik auf Grund der Ergebnisse dieser Erhebungen festzustellen.

Ferner sind der Frage der Ernährung dienende nationale Organisationen zu schaffen und mit angemessenen Geldmitteln und den notwendigen Erleichterungen und Vollmachten. auszustatten.

3. Die zuständige Behörde soll für die Schaffung und Erhaltung befriedigender Wohnverhältnisse die Verantwortung tragen. Die allgemeine Kegel sou sein, dass Arbeitnehmer, die gewöhnlich auf ihr Lohneinkommen angewiesen sind, unter befriedigenden Verhältnissen wohnen, und zwar auf Grundstücken, die nicht Eigentum ihres Arbeitgebers sind.

4. Falls Arbeitskräfte durch ein Unternehmen in einem Gebiete beschäftigt werden, in dem keine befriedigenden Wohngelegenlieilen bestehen, kann das Unternehmen unter angemessenen Bedingungen zur Bereitstellung solcher Wohngelegenheiten genötigt werden. In einem solchen Falle wird die zu-

860 .ständige Behörde die an die Wohnungen zu stellenden Mindestanforderungen festsetzen und eine strenge Aufsicht über die Einhaltung dieser Anforderungen ausüben. Die zuständige Behörde wird auch die Bechte des Arbeitnehmers bei einer mit einem Stellenwechsel verbundenen Aufgabe seiner Wohnung umschreiben. Der Schutz dieser Bechte soll durch alle erforderlichen Mittel sichergestellt werden.

Artikel 38.

Soweit dies möglich ist, sind unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse Vorkehrungen zu treffen für den Unterhalt und die Behandlung der Kranken und für die Pflege der Greise, der Invaliden und der hinterbliebenen Angehörigen von Personen, die jenen gegenüber eine Unterstützungspflicht erfüllt haben.

Artikel 39.

1. Vorzusehen ist die Auszahlung gesetzlicher Entschädigungen an Arbeitnehmer im Falle von Arbeitsunfähigkeit infolge eines während der Anstellung erlittenen Arbeitsunfalles sowie die Auszahlung solcher Entschädigungen an die unterstützungsberechtigten Hinterbliebenen des Arbeitnehmers, sofern der Unfall zum Tode führt. Ebenso ist den Opfern solcher Unfälle ärztlicher Beistand gesetzlich zu gewährleisten.

2. Die Gesetzgebung über die Entschädigung bei Betriebsunfällen hat sich auf alle Arbeiter, Angestellten und Lehrlinge zu erstrecken, die auf Schiffen oder in Betrieben der Industrie, des Handels oder der Landwirtschaft beschäftigt . sind.

8. Ausnahmen können vorgesehen werden für a. Personen, die in keinem Zusammenhange mit der Geschäftstätigkeit des Arbeitgebers stehende Gelegenheitsarbeiten verrichten; l>. Heimarbeiter: c, Mitglieder der Familie des Arbeitgebers, die ausschliesslich für dessen Bechmmg arbeiten und unter seinem Dache wohnen; d, Arbeitnehmer, die keine körperliche Arbeit verrichten und deren Verdienst eine gesetzlich festzusetzende Grenze übersteigt.

Artikel 40.

1. Bine Entschädigung nach den allgemeinen für die Entschädigung bei Berufskrankheiten geltenden Grundsätzen ist den Arbeitnehmern auszurichten, die infolge von Berufskrankheiten arbeitsunfähig werden, oder ihren unterstützungsberechtigten Hinterbliebenen, falls eine solche Krankheit zum Tode führt.

2. Immerhin kann diese Entschädigung auf die hauptsächlichen Berufskrankheiten, die in dem in Betracht stehenden Gebiete vorkommen, beschränkt werden.

861 Abschnitt 11. V e r b o t der Benachteiligung von Arbeitnehmern auf Grund von Farbe, Religion oder andern derartigen Unterscheidungsmerkmalen.

Artikel 41.

1. Die in jedem Lande geltenden Bechtsgrundsätze zur Eegelung der Arbeitsbedingungen sollen allen Arbeitnehmern, die zum Aufenthalt oder zur Arbeit im Lande gesetzlich säugelassen sind, eine -wirtschaftlich gerechte Behandlung gewährleisten.

2, Jede Benachteiligung von Arbeitnehmern bei ihrer Anstellung in öffentlichen oder privaten Diensten auf Grund von Easse, Farbe, Eeligion oder Stammeszugehörigkeit soll verboten sein.

8. Es sind alle unter Berücksichtigung der Örtlichen Verhältnisse in Betracht kommenden praktischen Massnahmen zu treffen, um eine wirkliche Gleichbehandlung bei der Anstellung zu gewährleisten, und zwar durch Erleichterungen der beruflichen Ausbildung, durch die Bekämpfung ungleicher Behandlung in Verbindung mit Verhandlungen über Gesamtarbeitsverträge oder mit gewerkschaftlicher Mitgliedschaft und durch andere zweckdienliche Mittel.

Abschnitt 12. Arbeitsaufsicht.

Artikel 42.

1. In den Gebieten, in denen noch kein Arbeitsaufsichtsdienst besteht, ist ein solcher einzurichten. Die Aufsichtsbeamten sollen gehalten sein, ihre Kontrollbesuche in kurzen Zeitabständen durchzuführen.

2. Die Aufsichtsbeamten dürfen weder unmittelbar noch mittelbar an den Betrieben beteiligt sein, die ihrer Aufsicht unterstehen.

8. Den Arbeitnehmern und ihren Vertretern ist jede Erleichterung zu gewähren, damit sie ungehindert mit den Aufsichtsbeamten verkehren können.

Abschnitt 18. Berufliche Organisation.

Artikel 48.

1. Das Veremigungsrecht für alle nicht gesetzwidrigen Zwecke ist den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern durch geeignete Massnahmen zu gewährleisten.

2. Es sind alle in Betracht kommenden praktischen Massnahmen zu treffen, um die Vertreter von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden bei der Schaffung und im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Einrichtungen des Schiedswesens, der Schlichtung, der Festsetzung von Mindestlöhnen und der Arbeitsaufsicht befragen und zur gemeinsamen Mitarbeit heranziehen zu können. Wo sich noch keine massgebenden Vertretungen der Arbeitnehmer herausgebildet haben, soll die zuständige Behörde Personen bezeichnen, die besonders geeignet sind, ala Vertreter "1er Arbeitnehmer zu wirken und durch Rat und Anleitung die Anfangsentwicklung von Arbeitnehmerorganisationen zu fördern.

ßundesblatt.

98. Jahrg.

Bd. I.

57

862 S. Es sind alle in Betracht kommenden Massnahmen zu treffen, um Berufsverbänden, welche die beteiligten Arbeitnehmer vertreten, das Eecht zu gewährleisten, Gesamtarbeitsverträge mit den Arbeitgebern oder den Verbänden der Arbeitgeber abzuschliessen. : Artikel 44.

1. Es sind so rasch wie möglich Verfahren für die Beilegung kollektiver Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu schaffen.

2. Vertreter der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, einschliesslich von Vertretern der beidseitigen Verbände, wo solche bestehen, sollen wenn immer möglich bei der Anwendung dieser Verfahren mitwirken. Dies soll in der Art und in dem Ausma&se geschehen, wie die zuständige Behörde es festgesetzt hat, unter allen Umständen aber so, dass beide Parteien in gleicher Zahl vertreten sind und gleiche Eechte- besitzen.

Abschnitt 14. Genossenschaftliche Organisationen.

Artikel 45.

1. Die zuständigen Behörden sollen in ihre Wirtschaftsprogramme die Unterstützung und den Ausbau der Genossenschaften, einschliesslich der- Genossenschaften von Arbeitnehmern zur Förderung des Gesundheits-, des Wohnungs- und des Erziehungswesens, aufnehmen. Wo immer es angezeigt ist, sollen die geplanten Massnahmen eine finanzielle Hilfe einschliessen.

2. Zu diesem Zwecke ist in Betracht zu ziehen : a. der Erlass einer entsprechenden, in ihrem Vollzug einfachen und wenig kostspieligen Gesetzgebung, die alle Formen genossenschaftlichen Zusammenschlusses umfasst ; b. die Schaffung besonderer Dieiistssweige mit dem Zweck, die Entwicklung von Genossenschaften zu fördern und zu überwachen und die Erziehung im genossenschaftlichen Geiste zu unterstützen.

8. In geeigneten Fällen sollen die Genossenschaften eine wirksame Vertretung in Ämtern und amthchen Kommissionen erhalten, deren Tätigkeit ihren Aufgabenkreis berührt.

Abschnitt 15. Begriffsbestimmungen und Anwendungsgebiet.

Artikel 46.

Für diesen Teil des vorliegenden Anhanges gelten folgende Begriffsbestimmungen : a: Der Begriff «landwirtschaftlicher Betrieb» kann so umschrieben werden, dass er die im Betrieb für die Erhaltung und den Versand der landwirtschaftlichen Erzeugnisse des Betriebes ausgeführten Tätigkeiten umfasst, es sei denn, dass man diese Tätigkeiten als Teile eines gewerblichen Betriebes zu bezeichnen wünscht.

b. Der Begriff «Handelsbetrieb» umfasst:

863 I. Handelsbetriebe und Bureaus einschliesslich der Betriebe, die sich ganz oder hauptsächlich mit dem Verkauf, dem Kauf, der Verteilung, der Versicherung, der Vermittlung, dem Verleih oder der Verwaltung von Gutem oder Dienstleistungen irgendwelcher Art befassen; II. Betriebe für Behandlung und Pflege namentlich von Greisen, Kranken, Invaliden, Bedürftigen oder Geistesschwachen; III. Hotels, Gastwirtschaften, Pensionen, Klubs, Kaffeehäuser und andere Verpflegungsstätten ; IV. Theaterbetriebe und Vergnügungsstätten; V. alle anderen Betriebe ähnlicher Art wie die in den Unterabsätzen I, II, III und IV hievor aufgeführten.

c. Der Begriff «Gewerblicher Betrieb» umfasst: I. Betriebe, in denen Gegenstände hergestellt, umgeändert, gereinigt, ausgebessert, verziert, fertiggestellt, verkaufsbereit gemacht, zerstört oder abgerissen werden, oder in denen Stoffe umgearbeitet werden, einschliesslich des Schiffsbaus, der Erzeugung, Umformung und Übertragung von Elektrizität, der Erzeugung oder Verteilung von Gas oder Treibstoffen irgendwelcher Art, der Klärung und Verteilung von Wasser sowie der Heizungsunternehmen; II. Betriebe für den Bau, den Wiederaufbau, die Instandhaltung, die Ausbesserung, den Umbau oder den Abbruch von Bauwerken, Eisenbahnen, Strassenbahnen, Flughäfen, Häfen, Docks, Hafendämmen, Werken zum Schutze gegen Wasser und Erosion, Kanälen, Anlagen für die Binnen-, die See- oder die Luftschiffahrt, Strassen, Tunneln, Brücken, Strassenüberführungen, Abwasserkanälen, Brunnenschächten, Bewässerungs- oder Entwässerungsanlagen, Einrichtungen für den Fernverkehr, Einrichtungen für die Erzeugung oder Verteilung von Elektrizität oder Gas, Eöhrenleitungen, Wasserwerken, sowie Unternehmungen, die sich mit andern ähnlichen Arbeiten oder mit den Vor- oder Fundierungsarbeiten dazu befassen; III. Bergwerke, Steinbrüche und andere Anlagen zur Gewinnung von Bodenschätzen ; IV. Unternehmungen für die Beförderung von Personen oder Gütern mit Ausnahme der Handbeförderung, es sei denn, dasa diese Unternehmungen als Teile eines landwirtschaftlichen oder eines Handelsbetriebes betrachtet werden.

d. Die Begriffe «landwirtschaftlicher Betrieb», «Handelsbetrieb» und «industrieller Betrieb» umfassen die öffentlichen und die privaten Betriebe, e. Der Begriff «Schiff» umfasst Schiffe und Fahrzeuge jeder Art, gleichviel
ob in öffentlichem oder privatem Besitz, die der Seeschiffahrt dienen, mit Ausnahme der Kriegsschiffe. Es können davon Schiffe unter einer bestimmten Tonnenzahl und mit einer Besatzung, die eine bestimmte Stärke nicht erreicht, ausgeschlossen werden.

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/. Der Begriff «Nacht» bezeichnet eine Zeitspanne von mindestens elf aufeinander folgenden Stunden. In tropischen Ländern, in denen .die Arbeit in der Mitte des Tages eine Weile unterbrochen -wird, kann jedoch der Begriff der Nachtzeit verkürzt werden, falls als Ersatz eine Ruhezeit am Tage gewährt wird.

g. Bestimmungen über das Mindestalter können, wo die Geburtsdaten nicht sicher feststellbar sind, als auf ein augenscheinliches Mindestalter bezüglich ausgelegt werden.

Art. 47.

Die zuständige Behörde kann die Unternehmungen und die Schiffe, bei denen zufolge ihrer Natur und ihrer geringfügigen Grosse eine genügend wirksame Überwachung nicht möglich sein dürfte, von der Anwendung der Bestimmungen dieses Teiles des vorliegenden Anhanges ausnehmen.

Empfehlung (Nr, 71) betreuend Regelung des Arbeitsmarktes beim Übergang vom Krieg zum Frieden, Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Philadelphia einberufen wurde und am 20. April 1944 zu ihrer sechsundzwanüigsten Tagung zusammengetreten ist.

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Eegelung des Arbeitsmarktes beim Übergang vom Krieg zum Frieden, eine Frage, die den dritten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt, heute, am 12. Mai 1944, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend Arbeitsmarkt (Übergang vom Krieg zum Frieden), 1944, bezeichnet wird.

Die Konferenz geht davon aus, dasa die Förderung der Vollbeschäftigung zur Befriedigung des lebensnotwendigen Bedarfs der Völker und zur Erhöhung des Lebensstandardes auf der ganzen Erde ein Hauptziel der Internationalen Arbeitsorganisation darstellt.

Sie ist sich klar darüber, dass zur Erzielung der Vollbeschäftigung die wirtschaftlichen Massnahmen zur Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten durch eine wirksame Organisation zu ergänzen sind, die dazu beiträgt, den Arbeitgebern die geeigneten Arbeitskräfte, den Arbeitnehmern die geeignete Beschäftigung zu verschaffen und ganz allgemein dafür zu sorgen, dass die erforderlichen geschulten Arbeitskräfte in jedem Zeitpunkt zur Verfügung stehen und in befriedigender Weise auf die verschiedenen Produktionszweige und Landesgegenden verteilt sind.
Sie zieht in Betracht, dass Art und Umfang der in der Übergangszeit vom Krieg zum Frieden notwendigen Anpassungen besondere Massnahmen erfordern, hauptsächlich um die Wiedereingliederung folgender Personengruppen in den Arbeitsprozess zu erleichtern : Demobilisierte, aus der Kriegswirtschaf t entlassene

865 Arbeitnehmer sowie Personen aller Art, deren regelmässige Beschäftigung infolge des Krieges, infolge von Handlungen des Feindes und von Widerstand gegen den Feind oder gegen die vom Feinde abhängigen Behörden unterbrochen worden ist. Durch diese Massnahmen sollte den Betroffenen geholfen werden, unverzüglich die für sie geeignete Beschäftigung zu finden.

Die Konferenz empfiehlt deshalb den Mitgliedern der Organisation, die folgenden allgemeinen Grundsätze anzuwenden, und unter Berücksichtigung der Verhältnisse eines jeden Landes die für ihre Durchführung vorgeschlagenen Arten des Verfahrens zu berücksichtigen sowie dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die zur Verwirklichung dieser Grundsätze getroffenen Massnahmen zu berichten.

Allgemeine Grundsätze.

I. Im Hinblick auf eine möglichst rasche Wiedereinschaltung und -einordnung aller Arbeit suchenden Personen in eine passende Beschäftigung sollte jede Regierung alle nötigen Unterlagen sammeln über die Arbeitnehmer, die eine Stelle suchen oder zu suchen inutmasslich in die Lage kommen, und über die voraussichtlichen Arbeitsmöglichkeiten.

II. Die Demobilmachung der Wehrmacht und der ihr gleichgestellten Dienste und die Wiederheimschaffung von Kriegsgefangenen, Verschleppten und anderen ausserhalb ihrer Heimat befindlichen Personen sollte in einer Weise vorbereitet werden, die jedem einzelnen tunlichst gerechte Behandlung sichert und ihm jede Möglichkeit verschafft, im Zivilleben wieder in befriedigender Weise unterzukommen.

III. In Verbindung mit den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer ist eine nationale Planung für eine Demobilmachung und Umstellung der Industrie vorzubereiten. Auch sind weitere zweckdienliche Massnahmen zu treffen, um möglichst rasch zur Vollbeschäftigung in der Erzeugung und Verteilung der notwendigen Güter zu gelangen.

IV. Zur Herbeiführung von Vollbeschäftigung während der Übergangszeit und in der Folge sollten die Arbeitgeber, die Arbeitskräfte benötigen, und die Arbeitnehmer, die Beschäftigung suchen, durch die zuständigen Behörden und durch die Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer veranlagst werden, den Arbeitsnachweis in möglichst weitgehender Weise zu benutzen.

V. Jede Regierung sollte soweit wie immer möglich öffentliche Stellen zur beruflichen Beratung
Stellensüchender einrichten, um diesen auf der Suche nach der geeignetsten Beschäftigung behilflich au sein.

VI. Berufliche Schulungs- oder Umschulungspläne sollten in weitestem Umfang ausgebaut werden, um den Bedürfnissen der Arbeitnehmer zu genügen, die zur Arbeit zurückzuführen oder in einer neuen Beschäftigung unterzubringen sind.

VII. Um übermässige Verschiebungen von Arbeitskräften von einem Gebiet zum andern zu verhüten und der Gefahr einer in bestimmten Ge-

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bieten auftretenden Arbeitslosigkeit zu begegnen, sollte jede Regierung in Verbindung mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden in Fragen des industriellen Standortes und der Verteilung der verschiedenartigen wirtschaftlichen Tätigkeiten eine aufgeschlossene Politik verfolgen. Auch sollten die Eegierungen Massnahmen treffen, um die erforderliche Beweglichkeit von Arbeitskräften unter beruflichen und geographischen Gesichtspunkten zu erleichtern.

VIII. Während der Übergangszeit sollte kerne Mühe gescheut werden, um Jugendlichen und Arbeitern in jungen Jahren, die infolge des Krieges ihre berufliche Bildung überhaupt nicht beginnen oder nicht vollenden konnten, jede mögliche Gelegenheit zu geben, berufliche Fähigkeiten zu erlangen. Auch sollten Anstrengungen gemacht werden, um die Bildung und den Gesundheitsschutz Jugendlicher zu verbessern.

IX. Die Wiedereingliederung weiblicher Arbeitskräfte in die Wirtschaft eines jeden Landes sollte nach dem Grundsatz erfolgen, dass für die Einstellung, unter Berücksichtigung der Fähigkeiten, der Geschicklichkeit und der Erfahrung des einzelnen Stellensuchenden, volle Gleichheit zwischen Männern und Frauen besteht. Auch sollten Massnahraen getroffen werden, um die Aufstellung von Lohnsätzen nach der Art der Arbeit, ohne Unterschied des Geschlechts des Lohnempfängers, zu fördern.

X. Körperlich behinderten Arbeitnehmern, welches auch der Ursprung dieser Behinderung sein mag, sollte in weitestem Umfang Gelegenheit zu spezialisierter Berufsberatung, zur Schulung und Umschulung, zur Wiedererlangung ihrer körperlichen und beruflichen Fähigkeiten und zur Beschäftigung bei nützlicher Arbeit geboten werden.

XI. In Industrien und Beschäftigungszweigen mit unregelmässiger Arbeit sollten Massnahmen getroffen werden, um die Beschäftigung regelmässiger zu gestalten und die vorhandenen Arbeitskräfte voll auszunützen.

Verfahren, I. Vorherige Sammlung von Unterlagen.

1. Jede Begierung sollte für eine systematisch geordnete Sammlung und Auswertung möglichst vollständiger und auf dem neuesten Stand beruhender Unterlagen in Bezug auf folgende Fragen sorgen: a. Zahl, Bildungsgrad, beruflicher Entwicklungsgang, frühere und gegenwärtige Fähigkeiten und berufliche Absichten von Angehörigen der Wehrmacht und der ihr gleichgestellten Dienste und soweit möglich aller Personen,
deren regelmässige Beschäftigung infolge von Handlungen des Feindes oder von Widerstand gegen den Feind oder die vom Feind abhängigen Behörden unterbrochen worden ist; b. Zahl, geographische Verteilung, Gliederung nach Beruf und Geschlecht, berufliche Fähigkeiten und Absichten von Arbeitnehmern, die während des Übergangs vom Krieg zum Frieden ihre Stelle wechseln müssen;

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c. Zahl und Gliederung der altern Arbeitnehmer, der Frauen und Jugendlichen, die nach Wegfall der besonderen kriegsbedingten Voraussetzungen voraussichtlich jede bezahlte Tätigkeit aufgeben, und Zahl der Jugendlichen, die nach dem Schulaustritt voraussichtlich eine Beschäftigung suchen.

2. 1) Vor Kriegsende sollten in allen Hauptindustrien -- im Ganzen wie auch in ihren wesentlichen Untergruppen -- umfassende Unterlagen über den mutmasslichen Bedarf an Arbeitskräften, was Umfang und Zeitpunkt betrifft, gesammelt und verarbeitet werden.

2) Wo eine öffentliche Verwaltung solche Unterlagen besitzt, sollte sie diese den Stellen bekannt geben, die besonders beauftragt sind, die vorläufig erhältlichen Auskünfte über Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu sammeln oder auszuwerten.

8) Die Unterlagen über die Nachfrage nach Arbeitskräften sollten insbesondere folgende Punkte berücksichtigen : n. mutmasslicher Bückgang der Nachfrage als Folge der Schliessung von Rüstungsbetneben ; b. mutmassliche Grosse des Bückganges in den Beständen der Wehrmacht und der ihr gleichgestellten Dienste nach Beendigung der Feindseligkeiten ; c. mutmassliche, gebietweise bedingte Schwankungen und Änderungen in der Zusammensetzung der Arbeitskräfte der einzelnen Industrien oder Unternehmungen, die ohne Unterbruch oder nach einer Zeitspanne der Umstellung für den Friedensbedarf weiterarbeiten werden; d. mutmassliche Nachfrage nach Arbeitskräften in Industrien, die sich mit der Einstellung auf den Friedensbedarf ausdehnen, hauptsächlich in Industrien, deren Erzeugung besonders dringlich ist, um den Stand der Lebenshaltung der Arbeitnehmer zu heben, ferner mutmassliche Nachfrage nach Arbeitskräften für öffentliche Arbeiten, und zwar sowohl solche der üblichen Art, als auch solche, die zurückgestellt werden, um zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten in Zeiten der Krise zur Verfügung zu haben; e. mutmassliche Nachfrage nach Arbeitskräften in den hauptsächlichen Industrien und Berufen unter der Voraussetzung der Vollbeschäftigung.

8. Die massgeberiden Behörden sollten das voraussichtliche Angebot und die voraussichtliche Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt in den verschiedenen Gegenden ständig überwachen, um die Eückwirkungen des Krieges und den mutmasslichen Einfluss der Beendigung der Feindseligkeiten auf die Lage des Arbeitsmarktes
in jeder dieser Gegenden festzustellen.

4. Die Mitgliedstaaten sollten zum Zwecke der Sammlung von Unterlagen über die Fragen in Absatz 1), a), bj und c) mit Bezug auf Personen, die als Folge des Angriffs der Achsenmächte aus ihrem Heimatland vertrieben worden sind, zusammenarbeiten. Jede Regierung sollte solche Auskünfte geben, die sich

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auf die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten beziehen, sofern diese Personen auf ihrem Gebiete oder in Gebieten leben, die den Achsenmächten gehören oder von ihr besetzt sind, und auf ihre Heimschaffung -warten. Solche Auskünfte sind auch dann zu geben, wenn sie nur allgemeiner Art sind.

II. Demobilmachung der Wehrmacht.

5. Um die möglichst rasche Wiederbeschäftigung der in Frage kommenden Männer und Frauen sicherzustellen, sollten der Arbeitsnachweis und die Behörden, die mit der Demobilmachung der Wehrmacht und der ihr gleichgestellten Dienste sowie mit der Heimschaffung Kriegsgefangener und Verschleppter betraut sind, eine enge Verbindung herstellen und aufrechterhalten.

6,1) Mass and Reihenfolge der Demobilmachung sollten nach klar umschriebenen Grundsätzen geregelt werden, und diese Grundsätze sollten zum Zwecke des deutlichen Verständnisses weitgehend bekanntgemacht werden.

2) Bei der Demobilmachung, die als Ganzes so rasch durchgeführt werden sollte, als die militärischen Erfordernisse und die Verkehrsmittel es erlauben, sollten folgende Punkte berücksichtigt werden: a. Wünschbarkeit, den Strom der Demobilisierten so zu regeln und zu verteilen, dass Ansammlungen von Demobilisierten, die mit der örtlichen Aufnahmefähigkeit, Anstellungsmöglichkeit oder beruflichen Ausbildungsmöglichkeit nicht vereinbar sind, vermieden werden.

b. Wünschbarkeit, nötigenfalls für eine baldige Entlassung von Arbeitnehmern zu sorgen, die wegen ihrer Fähigkeiten für dringende Aufbauarbeiten unentbehrlich sind.

7. 1) Soweit die veränderten Nachkriegsverhältnisse dies erlauben, sind Pläne aufzustellen und durchzuführen, um Personen, deren gewöhnliche Beschäftigung infolge von Militärdienst, Handlungen des Feindes oder von Widerstand gegen den Feind oder die vom Feind abhängigen Behörden unterbrochen worden ist, in ihre frühere Beschäftigung wieder einzugliedern, 2) Diesen Männern und Frauen sollte unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten die Möglichkeit der Anstellung und der Beförderung in weitestem Umfange durch Eegierungsmassnahmen oder durch Gesamtarbeitsvertrag gewährleistet werden.

· 3) Arbeitern, die infolge Durchführung dieser Pläne ihre Beschäftigung verlieren sollten, ist sofort andere Beschäftigung zuzuweisen.

8. Abgesehen vom Plane für die Wiederbeschäftigung von Arbeitnehmern sollte in allen Fällen,
in denen den Beteiligten dadurch die Möglichkeit geboten wird, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sofort die Gewährung einer angemessenen Beihilfe in bar oder anderswie erwogen werden, die es Demobilisierten mit entsprechenden Fähigkeiten gestattet, sich der Landwirtschaft zuzuwenden oder erneut darin FUSS zu fassen, einen freien Beruf zu ergreifen oder zu einem solchen zurückzukehren, oder sich einer andern selbständigen Tätigkeit zu widmen.

869 III. Industrielle Demobilmachung und Umstellung.

9. 1) Jede Regierung sollte in Verbindung mit den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer einen Landesplan für die industrielle Demobilmachung und Wiederumstellung ausarbeiten mit dem Ziel, eine rasche und geordnete Umstellung der Wirtschaft vom Kriegs- auf den Friedensbedarf während der Zeit des Wiederaufbaues zu erleichtern. Dabei ist den dringenden Bedürfnissen kriegsverwüsteter Länder Eechnung zu tragen und Vollbeschäftigung in kürzester Frist anzustreben. Alle Unterlagen bezüglich des Planes für die Demobilmachung und Wiederumstellung sollten den Behörden zugänglich gemacht werden, die beauftragt sind, die vorläufig erhältlichen Auskünfte über Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte zu sammeln.

2) Bei der Aufstellung geeigneter Gesamtpläne für die industrielle Demobilmachung und Wiederumstellung in gewissen Industrien und Gegenden mit dem Ziele, den Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft bei einem Mindestmass vorübergehender Arbeitslosigkeit zu fördern, sollten die Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zur Mitarbeit herangezogen werden.

10.1) Jede Eegierung sollte soweit wie möglich vor Beendigung der Feindseligkeiten ihre Politik festlegen hinsichtlich des Gebrauchs, der in Friedenszeiten von den dem Staate gehörenden kriegsbedingten Produktionsmitteln und den überschüssigen Materialvorräten zu machen ist.

2) Besonders ist darauf Bedacht zu nehmen, dass Fabriken und Materialvorräte, die für die Warenerzeugung und die berufliche Ausbildung in Friedenszeiten dringend notwendig sind, rasch freigegeben werden.

3) Im allgemeinen sollten Fabriken, Einrichtungen oder Materialvorräte, die sich für die Erzeugung von Gutem eignen, die bei einer der Vollbeschäftigung entsprechenden Nachfrage zu angemessenen Preisen Absatz finden würden, nicht zerstört werden oder unbenutzt bleiben, solange beim Verbraucher noch unbefriedigte Bedürfnisse bestehen.

11. Bei Festsetzung der Politik und des Vorgehens zur Auflösung oder Änderung kriegswirtschaftlicher Verträge sollte jede Eegierung besonders darauf achten, ob Möglichkeiten bestehen, die betroffenen Arbeitnehmer auf ihrem Arbeitsplatze weiter zu beschäftigen oder ihnen rasch sonst einen Arbeitsplatz zu beschaffen, oder ob sich günstige Gelegenheiten bieten, sie anderswo
unterzubringen. Die Eegierungen sollten auch für eine schnelle Eegelung von Entschädigungsforderungen sorgen, die sich aus der Auflösung von Verträgen ergeben, damit die Arbeitsbeschaffung nicht durch finanzielle Schwierigkeiten der Unternehmer unnötig verzögert wird. In gegenwärtig besetzten Ländern sollten Unternehmer, die freiwillig zugunsten des Feindes gearbeitet haben, nicht in den Genuss solcher Massnahmen gelangen.

12. 1) Es ist Vorsorge zu treffen, dass die Verwaltungsbehörden so 'früh wie möglich den Arbeitsnachweis und die Unternehmer von allen Umständen unterrichten, die zur Einschränkung oder Einstellung der Arbeit führen können.

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2) Stellen für die Vermittlung von Lieferungen sollten den inländischen und ausländischen Unternehmern und dem Arbeitsnachweis so früh wie möglich Beschränkungen kriegswirtschaftlicher Aufträge anzeigen. In keinem Fall sollte die Anzeigefrist kürzer als zwei Wochen sein.

3) Die Arbeitgeber sollten dem Arbeitsnachweis geplante Entlassungen mindestens zwei Wochen zuvor anzeigen, falls sie mehr als eine bestimmte Zahl von Arbeitern betreffen, damit der Arbeitsnachweis in der Lage ist, andere Arbeitsmöglichkeiten für die entlassenen Arbeitnehmer ausfindig zu machen.

4) Die Arbeitgeber sollten dem Arbeitsnachweis mindestens zwei Wochen zuvor alle geplanten Arbeitseinstellungen vorübergehender Art anzeigen, falls sie mehr als eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern betreffen, unter Angabe der voraussichtlichen Dauer der Arbeitseinstellung, damit der Arbeitsnachweis in der Lage ist, zeitweilige Arbeits- oder Schulungsmöglichkeiten in öffentlichen oder privaten Betrieben für die vom Arbeitsimterbruch betroffenen Arbeitnehmer ausfindig zu machen. Die Arbeitgeber sollten diesen Arbeitnehmern soweit wie möglich die voraussichtliche Dauer des Arbeitsunterbruches bekannt geben.

IV. Arbeitsangebot und -nachfrage.

18. 1) Offene Stellen in öffentlichen Betrieben und in Unternehmungen, die mindestens zu 75 vom Hundert öffentliche Aufträge ausführen, sollten durch Vermittlung des Arbeitsnachweises besetzt werden.

2) Zu prüfen wäre, ob es sich nicht empfiehlt, in bestimmten Industrien oder Gegenden die Arbeitgeber zu verpflichten, sich ihre Arbeitskräfte durch Vermittlung des Arbeitsnachweises zu beschaffen, um den Ausgleich auf dem Arbeitsmarkte zu erleichtern.

8) Die Arbeitgeber sollten ermuntert werden, ihren Bedarf an Arbeitskräften dem Arbeitsnachweis im voraus bekanntzugeben.

14. Personen, die sich um eine Anstellung bei staatlich geförderten Arbeiten oder um die Zulassung zu einer Öffentlich unterstützten Einrichtung des beruflichen Bildungswesens oder um eine Versetzungsentschädigung oder um eine Arbeitslosenentschädigung oder -Unterstützung bewerben, sollten verpflichtet sein, sich beim Arbeitsnachweis einschreiben zu lassen.

15. Besondere Anstrengungen sollten gemacht werden, um für die Demobilisierten und die kriegswirtschaftlichen Arbeitskräfte die ihrer Eignung am besten entsprechende Beschäftigung
zu finden, wobei ihren während des Krieges erworbenen Fähigkeiten soweit wie möglich Bechnung zu tragen ist.

16. Die öffentliche Verwaltung und insbesondere der Arbeitsnachweis sollten in Verbindung mit den Arbeitgeber- und don Arboitnehnaerverbänden alles tun, um die möglichst ausgedehnte Benützung des Arbeitsnachweises durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu fördern.

871 V. B e r u f s b e r a t u n g .

17. Es empfiehlt sich, der Entwicklung im Verfahren und in der Technik der Berufsberatung für erwachsene Arbeitnehmer sofortige besondere Beachtung zu schenken.

18. Bei dauerndem Bezug von Arbeitslosenentschädigungen oder -Unterstützungen in Fällen längerer Arbeitslosigkeit sollte die Benützung des Berufsberatungsdienstes zur Voraussetzung gemacht werden.

19. Die zuständigen Behörden sollten in Verbindung mit den beteiligten privaten Einrichtungen dafür sorgen, dass angemessene Möglichkeiten zur Schulung von Berufsberatern geschaffen und erhalten werden.

VI. Schulungs- und

Umschulungsprogramme.

20. Jede Begierung sollte, gestützt auf die Unterlagen über Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt in der Nachkriegszeit, in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden ein nationales Schulungs- und Umschulungsprogramm aufstellen, das der Nachkriegswirtschaft angepasst ist und den veränderten Anforderungen an die verschiedenen beruflichen Erfordernisse in den einzelnen Industrien Bechnung trägt.

21. Zur Erleichterung beruflicher Umstellung sollten alle Massnahmen getroffen werden, die erforderlich sind, um das Angebot an Arbeitskräften mit dem gegenwärtigen und künftigen Bedarf in Einklang zu bringen.

22. Schulungs- und Umschulungsprogramme sollten auf die Bedürfnisse der Demobilisierten, der aus der Kriegswirtschaft Entlassenen und aller Personen überhaupt ausgedehnt und ausgerichtet werden, deren gewöhnliche Beschäftigung infolge des Krieges, infolge von Handlungen des Feindes oder von "Widerstand gegen den Feind oder die vom Feind abhängigen Behörden unterbiochen worden ist. Besondere Beachtung ist Schulungskursen auf Tätigkeitsgebieten zu schenken, die eine dauerhafte Beschäftigung versprechen.

28. In Ergänzung zum Programm der Lehrlingsausbildung sollten systematische Massnahmen für die Schulung, Umschulung und Weiterbildung von Arbeitnehmern getroffen werden, um, den Nachkriegsbedürfnissen entsprechend, die Reihen des geschulten Personals wieder aufzufüllen und zu erweitern, 24. Personen, die Schulungskurse besuchen, sollten wenn nötig Entschädigungen oder Beihilfen in ausreichender Höhe empfangen, um zu solcher Schulung oder Weiterschulung veranlasst .zu werden und dabei eine angemessene Lebenshaltung beibehalten zu können.

25, Personen, deren höhere Schulung oder Ausbildung durch einen kriegsbedingten Dienst militärischer oder ziviler Art oder durch Handlungen des Feindes oder durch ihren Widerstand gegen den Feind oder die vom Feinde abhängigen Behörden verhindert oder unterbrochen worden ist, sollten in die Lage versetzt werden, diese Schulung oder Ausbildung zu beginnen oder fortzusetzen

872 und zu ergänzen, vorausgesetzt, dass sie den Beweis für Begabung und stetigen Fortschritt erbringen. Während der Dauer ihrer Schulung und Ausbildung sollten ihnen Beihilfen ausbezahlt werden.

26. 1) Gut ausgewiesene Lehr- und Instruktionskräfte, die während des Krieges ausserhalb des beruflichen und technischen Bildungswesens tätig gewesen sind, sollten ermuntert werden, sobald wie möglich ihre frühere Beschäftigung wieder aufzunehmen.

2) Nötigenfalls sind Sonderkurse zu veranstalten zur Auffrischung der Kenntnisse von a. Lehrkräften des beruflichen Bildungswesens, die nach längerer Abwesenheit zu ihrer Tätigkeit zurückkehren; b. für die Unterweisung in neuen Verfahren und technischen Methoden, 8) Neue Lehr- und Unterweisungskräfte sollten in genügender Zahl herangebildet werden, um den Bedürfnissen der beruflichen Schulungs- und Umschulungsprogranune zu entsprechen.

4) .Die Mitgliedstaaten sollten nötigenfalls zusammenarbeiten, um das berufliche Schulungs- und Umschulungswesen wieder auf- und auszubauen.

Dafür kommen namentlich folgende Mittel in Betracht : a. Auslandskurse zur Heranbildung von Lehrern, veranstaltet für Personen, die sich weitere technische Kenntnisse oder eine Schulung aneignen möchten, die sie in der Heimat nicht erwerben können; fe. leihweise Abtretung von geschultem Lehr- und Unterweisungspersonal des beruflichen Bildungswesens eines Landes an ein anderes Land, um diesem bei einem Mangel an Lehrpersonal oder bei neuen Bedürfnissen der Industrie auszuhelfen; c. Erleichterung der Heimkehr von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, die in einem Gebiet eines andern Mitgliedstaates leben, falls sie sich dazu eignen, in der Heimat eine Stelle als Lehrer zu bekleiden; d. Beschaffung von Lehrbüchern und anderem Lehrmaterial, das für die Lehrer und die Teilnehmer an Schulungskursen von Nutzen ist.

27. Die Einrichtungen der Berufsbildung und Umschulung sollten eine einheitliche Ordnung auf nationaler, regionaler und örtlicher Grundlage erhalten.

Sie sollten auf allen Stufen eng verbunden sein mit der Berufsberatung, dem Arbeitsnachweis und den Bestrebungen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden im Gebiete des Bildungswesens.

VII. Versetzbarkeit.

28. Zur Erleichterung der notwendigen Versetzbarkeit von Arbeitskräften sollte der Arbeitsnachweis Massnahmen treffen, um
die Hindernisse zu beseitigen, die sich der Versetzung von Arbeitnehmern aus einer Gegend in eine andere entgegenstellen, und um die Arbeitskräfte dorthin zu leiten, wo Nachfrage nach

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ihnen besteht. Dadurch sollen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zusammengebracht und Arbeitslosigkeit verhütet werden.

29. 1) Wird ein Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitsnachweises oder im Einverständnis mit diesem versetzt, so sind Vorkehrungen zu treffen, um dem Arbeitnehmer die Beisekosten zu vergüten und um durch die Gewährung oder den Vorschuss einer nach den Verhältnissen bemessenen Summe seine Anfangsauslagen am neuen Arbeitsort decken zu helfen.

2) Wo eine durch Vermittlung des Arbeitsnachweises herbeigeführte vorübergehende Versetzung den Haushaltungsvorstand von seiner Familie trennt, sollten Vorkehrungen getroffen werden für die Gewährung einer angemessenen Entschädigung zur Deckung der Kosten, die sich aus d«r Führung eines doppelten Haushaltes ergeben.

VIII. Beschäftigung j u n g e r Leute.

30.1) Alle Länder sollten als eines der wesentlichen Elemente ihrer Arbeitsbeschaffungspolitik der Übergangszeit die Frage prüfen, ob nicht das Alter für den Schulaustritt und die Zulassung zur Arbeit zu erhöhen sei.

2) Für die Dauer der verlängerten Schulpflicht im Sinne des vorausgehenden Absatzes sollten die zuständigen Behörden den Eltern Beihilfen an den Unterhalt gewähren.

31. Durch die Schaffung von Stipendien sollte es jungen Leuten, die das schulpflichtige Alter überschritten haben, ermöglicht werden, ihre Schulung mit einem Vollpensum in Fortbildungsschulen und weiterhin, bei nachweislicher Begabung und stetigem Fortschritt, in technischen oder andern höheren Schulen oder Kursen fortzusetzen.

82.1) Allen jungen Leuten sollte vor und bei ihrem Schulaustritt ein ihren Bedürfnissen angepasster und durch die Schule oder durch den Arbeitsnachweis vermittelter Berufsberatungsdienst zur Verfügung stehen.

2) Vor Antritt ihrer ersten Stelle sollten alle jungen Leute kostenlos ärztlich untersucht werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in einem Zeugnis niederzulegen, das als Grundlage für weitere regelmässige Untersuchungen ihres Gesundheitszustandes während einer gesetzlich festgesetzten Zeitdauer zu dienen hat, 8) In Ländern, in denen die Rriegsverhältnisse und die feindliche Besetzung die Gesundheit der Jugend untergraben haben, sollte die ärztliche Untersuchung der jungen Leute beim Antritt ihrer ersten Stelle und während der Zeit ihrer Angewöhnung an die Arbeit
besonders sorgfältig sein und nötigenfalls mit Massnahmen zur Herstellung ihrer Gesundheit verbunden werden.

4) Die Herstellung der Gesundheit im Sinne von Absatz 8 sollte dadurch erleichtert werden, dass die Mitgliedstaaten auf Verlangen zusammenwirken, um die Heranbildung des ärztlichen und des KraukenpÜlegepernüiials oder die Ausleihung von Ärzten und Chirurgen mit Erfahrung und von geschultem Krankenpflegepersonal sowie von zweckdienlichen Einrichtungen zu sichern.

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38. 1) Jugendliche, deren Lehrvertrag durch den Krieg unterbrochen worden ist, sollten das Eecht haben, ihre Lehre nach Beendigung ihres Kriegsdienstes wieder aufzunehmen.

2) Jugendliche, die im Sinne von Absatz l ihre Lehre wieder aufnehmen, sollten eine öffentliche Beihilfe erhalten, die ihnen ein angemessenes Einkommen sichert. Dabei ist ihrem Alter und der Entlöhnung Eechnung zu tragen, die sie bekommen hätten, falls ihre Lehre nicht unterbrochen worden wäre.

3) In allen Fällen, in donen Militärdienst, Knappheit an Eohstoffen, Handlungen des Feindes oder andere kriegsbedingte umstände jugendliche Arbeitnehmer verhindert haben, eine Lehre zu beginnen oder fortzusetzen, sollten diese Arbeitnehmer, sobald die Verhältnisse es gestatten, ermuntert werden, einen qualifizierten Beruf zu erlernen oder ihre unterbrochene Lehre wieder aufzunehmen.

4) Um Jugendliche zur Wiederaufnahme ihrer Lehre zu ermuntern, sollten Vorkehrungen getroffen werden, um die Lehrverträge zu überprüfen und ihre Bedingungen abzuändern, wo dies unter Berücksichtigung der beruflichen Schulung, der Fähigkeiten und der Erfahrungen, die sich solche Jugendliche während ihres Kriegsdienstes angeeignet haben, billig erscheint.

5) Bestehende Lehrpläne sollten in Zusammenarbeit mit den Arbeitgeberund Arbeitnehmerverbänden überprüft werden, um jugendlichen Arbeitnehmern, die infolge des Krieges in keine Lehre haben eintreten können, weitgehende Möglichkeiten zur Erlernung eines qualifizierten Berufes zu bieten.

Namentlich sollten Vorkehrungen getroffen werden, um Einschränkungen in Bezug auf die Zulassung zu einer Lehre abzuändern und um die berufliche Schulung, die Fähigkeiten oder die Erfahrungen zu berücksichtigen, die sich diese Jugendlichen während des Krieges haben aneignen können, .

34. Die Arbeitgeber sollten ermuntert werden, für eine systematische Planung der beruflichen Schulung innerhalb ihrer Betriebe zu sorgen, um allen von ihnen beschäftigten jugendlichen Arbeitnehmern die Möglichkeit zu geben, eine Schulung zu erlangen oder ihre Fähigkeiten zu verbessern und ihre Kenntnisse der verschiedenen Arbeitsvorgänge innerhalb des Ganzen des Betriebes zu erweitern. Solche Pläne sollten in Verbindung mit den Arbeitnehmerverbänden aufgestellt und angemessen überprüft werden, 85. In Ländern, die während des Krieges besetzt worden
sind, und in denen Jugendliche gezwungen wurden, ihre Arbeit aufzugeben, oder ohne Eücksicht auf ihre Fähigkeiten und Wünsche für den Feind zu arbeiten, sollte der Aufgabe, diese Jugendlichen wieder an die Arbeit zu gewöhnen und ihre berufliche Ausbildung zu ergänzen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

IX. B e s c h ä f t i g u n g von Frauen.

36. Die Wiedereingliederung weiblicher Arbeitskräfte in die Friedenswirtschaft sollte sich nach den Grundsätzen vollständiger Gleichstellung von Männern und Frauen gegenüber den bestehenden Arbeitsmöglichkeiten, ge-

875 stützt auf Begabung, Geschick und Erfahrung des einzelnen Arbeitnehmers, vollziehen, unbeschadet der Bestimmungen der Übereinkommen und Empfehlungen der Internationalen Arbeitskonferenzen betreffend die Arbeit der Frauen.

87. 1) Um die Frauen auf dem Arbeitsmarkt mit den Männern gleichzustellen und damit einen für alle nachteiligen Wettbewerb zwischen den stellensuchenden Arbeitnehmern zu verhüten; sollten Massnahmen getroffen werden, um die Aufstellung von Lohnsätzen zu begünstigen, die sich ohne Unterschied des Geschlechtes nach der Art der Arbeit richten.

2) Um genaue und sachliche Eichthnien zur Bestimmung der Art der Arbeit aufstellen zu können, die ohne Kücksicht auf das Geschlecht des Arbeitnehmers als Grundlage für die Festsetzung der Lohnsätze dienen sollen, sind Erhebungen in Verbindung mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden durchzuführen.

38. Die Unterbringung von Frauen in Industrien und Beschäftigungszweigen, die herköinmlicherweise in starkem Masse weibliche Personen beschäftigen, sollte durch Massnahmen erleichtert werden, die darauf zielen, den Stand solcher Berufe zu heben und die Arbeitsbedingungen sowie die Stellenvermittlung in ihnen zu verbessern.

X. B e s c h ä f t i g u n g von Invaliden.

39. Für die berufliche Schulung und die Stellenvermittlung invalider Arbeitnehmer sollte deren Arbeitsfähigkeit massgebend sein, gleichviel welches die Ursache der Invalidität ist.

40. Die ärztlichen Dienstzweige für Invalide und die Dienstzweige der beruflichen Umschulung und der Stellenvermittlung sollten aufs engste zusammenarbeiten.

41. Die Berufsberatung sollte für die Invaliden in besonderer Gestalt ausgebaut werden, damit die Arbeitsfähigkeit jedes Invaliden bestimmt und ihm die geeignetste Art der Beschäftigung zugewiesen werden kann.

42. 1) Wo immer möglich sollten invalide Arbeitnehmer zusammen mit körperlich unbehinderten Arbeitnehmern unter gleichen Bedingungen und bei gleicher Bezahlung geschult werden.

2) Die berufliche Schulung sollte soweit verfolgt werden, bis der Invalide in der Lage ist, als voll leistungsfähiger Arbeitnehmer eine Stelle in dem Gewerbe oder Berufe anzutreten, wofür er geschult worden ist.

8) Wo immer tunlich sollten Anstrengungen gemacht werden, um invalide Arbeitnehmer für ihren früheren oder einen diesem verwandten Beruf, in dem
sie ihre einstigen Fähigkeiten nutzen können, neu zu schulen, 4) Arbeitgeber mit geeigneten Schulungseinrichtungen sollten veranlasst werden, eine angemessene Zahl von invaliden Arbeitnehmern zu schulen.

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5) Für Invalide, die eine eigens für sie bestimmte berufliche Schulung benötigen, sollten besondere Zentren der beruflichen Schulung geschaffen werden, die einer angemessenen ärztlichen Aufsicht unterstehen.

43.1) Besondere Massnahmen sollten getroffen werden, um invalidenArbeitnehmern entsprechend ihrem Arbeitsvermögen dieselben Arbeitsmöglichkeiten wie den andern Arbeitnehmern zu sichern. Die Arbeitgeber sollten durch weitgehende Werbung oder andere Mittel und wenn nötig durch Zwang veranlasst werden, eine angemessene Zahl invalider Arbeitnehmer zu beschäftigen.

2) Bei gewissen Beschäftigungen die sich besonders für schwerinvalide Arbeitnehmer eignen, sollten diese Arbeitnehmer vor allen andern den Vorrang haben.

3) Es ist in enger Verbindung mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden darnach zu trachten, invalide Arbeitnehmer gegen jede Benachteiligung zu schützen, die in keiner Beziehung zu ihrem Arbeitsvermögen und ihrer Arbeitsleistung steht, und um Hindernisse für ihre Anstellung, einschliesslich der Möglichkeit zusätzlicher Belastung aus der Unfallversicherung, zu überwinden.

4) Für invalide Arbeitnehmer, die sich nicht für eine gewöhnliche Beschäftigung umschulen lassen, sollten in besonderen Zentren Möglichkeiten zu nützlicher Arbeit ohne Gefahr des Wettbewerbes für die übrigen Arbeitnehmer geboten werden.

44. Der Arbeitsnachweis sollte Unterlagen sammeln über Beschäftigungen, die für verschiedene Arten körperlicher Behinderung besonders geeignet sind, und über Zahl, örtliche Verteilung und Arbeitsfähigkeit derart behinderter Arbeitnehmer.

XI. Lenkung der Beschäftigung in einzelnen Industrien.

45. Bei unregelmässigen Arbeiten, wie sie das Baugewerbe und die Tätigkeit -. der Hafenarbeiter aufweisen, sollten die während des Krieges von den Mitgliedstaaten eingeführten oder ausgebauten Verfahren der Lenkung der Beschäftigung nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände beibehalten und den Verhältnissen der Friedenszeit angepasst werden.

Empfehlung (Nr. 72) betreffend den Arbeitsnachweis.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Philadelphia einberufen wurde, und am 20. April 1944 zu ihrer sechsundzwanzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Arbeitsnachweis, eine Frage, die zum dritten Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

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Die Konferenz nimmt heute, am 12. Mai 1944, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend den Arbeitsnachweis, 1944, bezeichnet wird.

Die Konferenz geht davon aus, dass die Durchführung der Empfehlung betreffend Eegelung des Arbeitsmarktes (Übergang vom Krieg zum Frieden), 1944, das Bestehen und die Entwicklung eines leistungsfähigen Arbeitsnachweises erfordert.

Sie zieht in Betracht, dass das Übereinkommen über Arbeitslosigkeit, 1919, die Errichtung eines «Systems öffentlicher Arbeitsvermittlungsstellen, die unter der Aufsicht einer Zentralbehörde stehen und unentgeltlich arbeiten», vorsieht.

Sie ist sich bewusst, dass die Verwirklichung der in der Empfehlung betreffend Eegelung des Arbeitsmarktes (Übergang vom Krieg zum Frieden), 1944, genannten Aufgaben eine neue und weitergefasste Begriffsbestimmung der Verantwortlichkeiten, der Tätigkeit und der Arbeitsverfahren des Arbeitsnachweises erheischt.

Sie vertritt die Auffassung, dass diese Begriffserweiterung wichtig ist für die Ausarbeitung und Durchführung einer langfristigen Politik der Vollbeschäftigung. Die Konferenz empfiehlt deshalb den Mitgliedstaaten, die folgenden allgemeinen Grundsätze anzuwenden und dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die zur Verwirklichung dieser Grundsätze getroffenen Massnahmen zu berichten.

1. Die Hauptaufgabe des Arbeitsnachweises sollte darin bestehen, in Zusammenarbeit mit den andern beteiligten öffentlichen und privaten Stellen die bestmögliche Organisation zur Beschäftigung industrieller, landwirtschaftlicher oder anderer Arbeitnehmer im Eahmen eines nationalen Planes für die volle Ausnützung der Produktionskräfte zu sichern.

2. 1) Zur Erfüllung dieser Aufgabe sollten Massnahmen getroffen werden, um den Arbeitsnachweis und die damit verbundenen Dienststellen zu verstärken.

2) Diese Dienststellen sollten mit folgenden Aufgaben betraut werden: a. Sammlung und Bereitstellung von Unterlagen über Arbeitsangebot, Arbeitsmöglichkeiten, Anforderungen für besondere Arbeiten, Änderungen in den Anforderungen bei den verschiedenen Industrien, Tendenzen des Arbeitsmarktes, Eegulierung der Beschäftigung und Ursachen der Arbeitslosigkeit sowie alle andern Unterlagen zur Förderung einer Politik der Vollbeschäftigung; b. Arbeitsvermittlung, die den Arbeitnehmern
zu geeigneter Arbeit und den Arbeitgebern zu geeigneten Arbeitskräften verhilft; c. Unterstützung des Ausbaues und der Programmgestaltung von beruflichen Schulungs- und Umschulungskursen; d. Ausarbeitung von Verfahren zur Erleichterung allfällig notwendiger Versetzungen von Arbeitskräften aus einem Beruf in einen andern oder aus einer Gegend in eine andere; Bundesblatt.

98. Jahrg. Bd. I.

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878 e: Förderung der bestmöglichen Verteilung von Arbeitskräften innerhalb einer jeden Industrie und Gegend; /. Mitarbeit im Bedarfsfall bei der Verwaltung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge; g. Unterstützung anderer öffentlicher und privater Stellen bei Planungen, die den Standort industrieller Betriebe, öffentliche Arbeiten, den Wohnungsbau, die sozialen Dienste und andere soziale und wirtschaftliche Massnahmen betreffen.

8. Der Arbeitsnachweis sollte mit den andern Behörden, die auf die Arbeitsmarktlage Einfluss haben, einschliesslich.der Behörden, die berufen sind, das Zeitmass für den Einsatz öffentlicher Arbeiten entsprechend der Beschäftigungslage und dem Stande der Arbeitslosigkeit zu beschleunigen oder zu verlangsamen, in Fragen, die das ganze Land oder einzelne Gegenden oder örtlichkeiten berühren, möglichst eng zusammenarbeiten.

4. 1) Abgesehen von den in Art. 2 des Übereinkommens über Arbeitslosigkeit, '1919, zur Beratung vorgesehenen gemischten Ausschüssen sollte der Arbeitsnachweis mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden eng zusammenarbeiten. Durch ein geeignetes Verfahren ist diesen Verbänden die Möglichkeit zu geben, bei der Ausarbeitung und Durchführung von Massnahmen der Arbeitsmarktpolitik mitzuwirken.

2). Der Arbeitsnachweis sollte mit allen gemischten industriellen Ausschüssen, die zur Lösung von Spezialfragen in bestimmten Industrien eingesetzt werden, zusammenarbeiten.

Empfehlung (Nr. 73) betreffend Landesplanung Öffentlicher Arbeiten, Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Philadelphia einberufen wurde und am 20. April 1944 zu ihrer sechsundzwanzigsten Tagung zusammengetreten ist, : hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Landesplanung öffentlicher Arbeiten, eine Frage, die zum dritten Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 12. Mai 1944, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend öffentliche Arbeiten (Landesplanung), 1944, bezeichnet wird.

Die Konferenz geht davon aus, dass die Empfehlung betreffend öffentliche Arbeiten (einzelstaatliche Durchführung), 1937, vorschlägt, alle von den Behörden unternommenen oder
finanzierten Arbeiten zeitlich so zu verteilen, dass Schwankungen der Wirtschaftslage möglichst verringert werden und vor allein dio Finanzierung der zur Belebung der Wirtschaft geeigneten öffentlichen Arbeiten durch Anleihen in Zeiten ungünstiger Wirtschaftslage in Erwägung zu ziehen, sowie auch die Befolgung einer Geldpolitik, welche die zur Beschleuni-

879 gung solcher Arbeiten erforderliche Kreditausweitung erlaubt und "einen möglichst niedrigen Zinsfuss für die Anleihen gewährleistet.

Sie ist sich bewusst, dass die Behörden am Ende des Krieges vor der gebieterischen Notwendigkeit stehen werden, die Kriegsschäden wieder gut zu machen, die Einrichtungen bestehender öffentlicher Betriebe wiederherzustellen oder zu ersetzen und neue Einrichtungen zu schaffen.

Sie zieht in Betracht, dass öffentliche Arbeiten einen wesentlichen Bestandteil des wirtschaftlichen Lebens aller Völker bilden und dass Planung und Ausführung öffentlicher Arbeiten ein wirksames Mittel darstellen, um die Produktionskräfte zu steigern und den Lebensstand aller Völker zu verbessern.

Sie ist sich bewusst, wie wichtig es ist, in der Übergangszeit vom Krieg zum Frieden die öffentliche und die private Initiative aufeinander abzustimmen, um eine rasche und systematische Auswertung menschlicher und sachlicher Hilfskräfte sicherzustellen, so dass einerseits eine allzu stürmische Materialnachfrage mit nachfolgenden Versorgungsschwierigkeiten für die Unternehmer anderseits aber auch eine ungenügende Entwicklung der Nachfrage vermieden wird.

Die Konferenz empfiehlt deshalb den Mitgliedern der Organisation, die folgenden, allgemeinen Grundsätze anzuwenden und dem Internationalen Arbeitsamt, entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die Durchführung dieser Grundsätze getroffenen Massnahmen, zu berichten: 1. Jedes Mitglied sollte ein Aufbauprogramm auf lange Sicht aufstellen, das sich je nach der Arbeitsmarktlage in den verschiedenen Landesteilen rascher oder langsamer durchführen lässt.

2, Die Bedeutung des Zeitpunktes für die Ausführung der Arbeiten und die Materialbestellungen sollte besondere Beachtung finden, damit die Nachfrage nach Arbeitskräften bei Vollbeschäftigung beschränkt und bei Arbeitslosigkeit gesteigert werde.

8. Bei Durchführung dieser Politik ist nicht nur der Arbeitsmarktlage des Landes als Ganzem Bechnung zu tragen, sondern auch der Lage in jeder Landesgegend und den verschiedenen Arten von verfügbaren Arbeitskräften in einer Gegend.

. 4. Ortsbehörden und andere Amtsstellen, die mit der Ausarbeitung von Arbeitsbeschaffungsplänen betraut sind, sollten von der Zentralbehörde so früh wie möglich über die zu erwartende finanzielle Hufe unterrichtet werden.
Dadurch sollen Ortsbehörden und technische Dienste in der Lage sein, ohne Verzug mit der Aufstellung ihrer Pläne zu beginnen und die praktischen Massnahmen vorzubereiten, dank denen eine grosse Zahl demobilisierter Soldaten, sobald sie verfügbar sind, vom Arbeitsmarkt aufgenommen werden könnten.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die 26. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz. (Vom 1. April 1946.)

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1946

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Cahier Numero Geschäftsnummer

4979

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