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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährung eines Kredites von 20 Millionen Franken für die Fortführung der internationalen Hilfswerke.

(Vom 24. Mai 1946.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Anlässlich der Märzsession der Bundesversammlung ist in den beiden Eäten die Frage der Fortführung der internationalen Hilfstätigkeit der Schweiz aufgeworfen worden. Der Bundesrat nahm ein Postulat von Herrn Ständerat Wahlen entgegen und beantwortete eine Interpellation von Herrn Nationalrat Dietschi, Solothurn. Ein entsprechender Bericht und konkrete Anträge wurden für die Junisession in Aussicht gestellt.

Die Schweiz hat sich während des ganzen Krieges fortgesetzt bemüht, nach Kräften zur Linderung des menschlichen Leidens beizutragen. Als Schutzmacht hat sie die Interessen zahlreicher kriegsführender Staaten vertreten.

Mehr als 294 000 ausländische Militär- und Zivilpersonen fanden bei uns ein Asyl. Die Kinder der besetzten Länder genossen in grosszügiger Weise unsere Hilfe ; teils fanden sie in der Schweiz Erholung, teils wurde ihnen an Ort und Stelle geholfen. Ausserdem haben wir das Internationale Komitee vom Boten Kreuz ständig in äusserst mannigfacher Weise unterstutzt.

Ohne die Einstellung der Feindseligkeiten abzuwarten, haben wir uns darauf vorbereitet, den Kriegsopfern nach Massgabe unserer Mittel zu helfen.

Bei Abschluss des Waffenstillstandes waren die Schweizer Spende und das Schweizerische Rote Kreuz bereits seit mehreren Monaten am Werk. Durch unsere geographische Lage begünstigt und dank der Unversehrtheit unseres gesamten Verkehrswesens konnten wir unsere Hilfe schnell und wirksam leisten.

Gewisse von der Schweizer Spende oder in ihrem Auftrag übernommene Aufgaben sind bereits abgeschlossen, andere in der Durchführung begriffen, wieder andere stehen vor ihrer Inangriffnahme. Die finanziellen Mittel der

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Schweizer Spende sind jedoch erschöpft, weil das, was noch nicht ausgegeben worden ist, bereits reserviert ist, um Projekte zu verwirklichen, die im Einvernehmen mit den Ländern, denen geholfen werden soll, beschlossen wurden.

Oft wurden bei uns und anderswo Zahlen zusammengestellt zum Vergleiche der Beiträge der verschiedenen Staaten zugunsten der Kriegsopfer. Da sich die Verhältnisse von Land zu Land stark ändern und die aufgewendeten Summen deshalb kaum verglichen werden können, verzichten wir darauf, diesen Weg zu beschreiten. Die Gesamtleistungen der Schweiz können jedoch auf ungefähr Fr. 453 859 000 geschätzt werden, wobei der Beitrag des Staates ungefähr Fr. 253 685 000 und derjenige von privater Seite Fr. 200 174 000 beträgt. In diesen Zahlen sind weder die kommerziellen Kredite noch die für den Unterhalt der Militärinternierten und entwichenen Kriegsgefangenen aufgebrachten Summen enthalten. Ebenso ist der dem Internationalen Komitee vom Boten Kreuz gewährte Vorschuss von Fr. 7 500 000 nicht Inbegriffen.

Bekanntlich hat die UNBBA 1) den Beitrag an das Nothilfswerk für diejenigen ihrer Mitglieder, deren Staatsgebiet nicht überfallen worden ist, auf ein Prozent ihres Nationaleinkommens festgelegt. Ein zweiter Beitrag zum gleichen Ansatz von l % ist bereits erhoben worden, was zusammen 2 % ausmacht.

Wäre die Schweiz Mitglied der UNBBA, so hätte sie dieser Organisation somit eine Summe von ca. Fr. 180 000 000 leisten müssen. Aber auch hier muss man sich vor Vergleichen hüten. Zunächst haben die Mitgliedstaaten der UNBBA gewiss ihre Solidaritätsleistungen nicht ausschliesslich auf die Bezahlung des statutarischen Anteils an das Budget dieser Organisation beschränkt.

Ferner kann man die Neutralen nicht auf die gleiche Stufe mit, Staaten stellen, welche, selbst wenn ihnen eine feindliche Besetzung erspart geblieben ist, doch all das Leid und alle die Verluste tragen mussten, die eine Beteiligung am Kriege mit sich bringt. MUSS schliesslich unter den verschiedenen Neutralen diejenige Nation, die direkt im Mittelpunkt des verwüsteten Kontinentes lebt, nicht einen grösseren Beitrag zugunsten von Nachbarn leisten als Völker, die Tausende von Kilometern abseits des Schauplatzes des Kriegsgeschehens liegen? Wir fanden deshalb, dass die Schweiz eine Mission zu erfüllen hatte. Sie, die nicht kämpfen musste, musste sich jetzt in den Kampf werfen gegen das unsägliche Elend der Nachkriegszeit, in den Kampf für die Linderung des menschlichen Leidens. Sie hat das getan und wir können ganz objektiv erklären, dass ihre Beteiligung eine grossmütige war.

Es stellt sich die Frage, die schon im März dieses Jahres aufgeworfen wurde, ob man der Schweizer Spende einen neuen Bundesbeitrag gewähren soll. Wir haben versprochen, diese Frage zu prüfen.

*) United Nations Relief and Rehabilitation Administration (deutsch: Nothilfswerk der Vereinten Nationen).

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Vorerst sei festgehalten, dass die Organisation der Nachkriegshilfe, wofür die Schweizer Spende geschaffen worden war, im gesamten ausgezeichnete Ergebnisse gezeitigt hat. Die Aussetzungen an dieser Institution waren zweifellos zahlreich und sind es weiter geblieben. Ein Teil der Kritik beruht auf Tatsachen, wie die zu langsame und manchmal zögernde Arbeitsmethode, die ungenügende administrative Zusammenarbeit usw. Das muss uns jedoch nicht überraschen bei einem vollständig improvisierten Hilf swerk, das von der Dringlichkeit seiner Aufgaben fast erdrückt wurde, das ausserstande war, sein Personal unter normalen Bedingungen anzustellen und das sich bei seinen Einkäufen einem Kontrollsystem unterziehen musste, welches zwar wirksame Garantien bot, aber notwendigerweise verlangsamend wirkte. Andere Vorwürfe beruhen auf Meinungsverschiedenheiten in Ermessensfragen. Darunter hat es sicher einzelne begründete Beanstandungen, und die leitenden Organe der Schweizer Spende, welche in keiner Weise ihre Unfehlbarkeit behaupten, sind die ersten, um dies zuzugeben. Aber es galt zunächst vor allein sofort zu handeln. Das hat man gemacht; und wenn man sich rückblickend ein Urteil bilden will, so erlaubt die Bilanz der Schweizer Spende, auf einen Erfolg dieses aussergewöhnlichen Unternehmens zu schliessen.

Die Institution, die besteht, hat die Feuerprobe bestanden. Die Schweizer Spende ist im Ausland eingeführt und man kennt sie. Es bestehen Beziehungen, die auf gegenseitigem Vertrauen beruhen. Hinsichtlich der Mängel ihrer Organisation erhielten wir die Zusicherung, dass Abhilfe geschaffen werden wird.

Unsere Schlussfolgerung war, dass in Hauptsache die Schweizer Spende dafür zu sorgen hätte, die zusammengefasste Hilfe für die Opfer des Krieges weiterzuführen in dem Ausinasse, wie dies unsere Mittel gestatten.

Seit einigen Monaten beschäftigt ein ängstigendes Problem die ganze Welt. Nachdem man ursprünglich nicht mit dem Mangel an wichtigen Lebensmitteln als einer der unmittelbaren Kriegsfolgen gerechnet hatte, ist heute das Gespenst des Hungers aufgetaucht. Im März dieses Jahres hat man in beiden Bäten über diese Lage gesprochen. Der Bundesrat hat sich schon seit Béguin des Jahres mit der Angelegenheit befasst und kündigte am 6. März seine Absicht an, die Mittel bereitzustellen, welche es der Schweiz ermöglichen würden, sich am Kampf gegen diese Gefahr zu beteiligen. Damals glaubten wir, der Bundesversammlung in ihrer Frühlingssession ein Aktionsprogramm unterbreiten zu können. In der Zwischenzeit erfolgte jedoch die Einberufung der «Not-Ernährungskonferenz für Europa», an welche auch die Schweiz zur Teilnahme eingeladen wurde. Dies bewirkte eine Verzögerung unserer vorbereitenden Arbeiten, die erst nach Kenntnisnahme des Berichtes unserer Delegierten nach ihrer Bückkehr aus London Mitte April, also nach Schluss der Session der Bundesversammlung, wieder aufgenommen werden konnten. Ausserdem hielt die UNBBA vom 15.--29. März in Atlantic City ihre vierte Vollversammlung

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ab. Da in diesen Verhandlungen das Problem der Hungersnot dominierte, war es notwendig, das Ergebnis zu kennen. Es war der dringliche Aufruf an alle Völker, so schnell wie möglich den vom Hunger Bedrohten eine Lebensmittelhilfe zu gewähren.

Wie dies bereits angekündigt wurde, hat die Schweiz an der Konferenz der Ernährungs- und Landwirtschaftsminister sich in. aller Form anerboten, mit der Eindeckung der ihr zukommenden Brotgetreidequote für 1946 bis zur neuen Ernte, d. h. bis zum 1. August, zugunsten der notleidenden Völker zuzuwarten.

Auf das Ersuchen des Generaldirektors der UNRBA haben die Bundesbehörden anderseits unter der Bedingung einer Eückvergütung im Laufe des Sommers einen in den Vereinigten Staaten gekauften Posten von 16 000 Tonnen Boggen abgetreten. Ein Teil dieser Ware, der sich bereits an Bord eines Schiffes mit der Bestimmung nach Genua befand, wurde umgeleitet, um der UNBBA zu ermöglichen, sie für ihre Hilfsaktionen in Europa zu verwenden. Dank der Baschheit, mit welcher wir dem Aufrufe La Gaardias Folge leisteten, konnte dieses Versprechen innerhalb von weniger als 48 Stunden verwirklicht werden.

Der Boggen, auf den wir verzichteten, soll in Jugoslawien, der Tschechoslowakei und in Italien verteilt werden.

Dies war der erste Schritt. Der zweite bestand darin, das Lebensmittelquantum zu bestimmen, welches die Schweiz ohne Gefährdung der eigenen Versorgungslage ihren Vorräten entnehmen konnte. So wurde es möglich, 10 600 Tonnen rationierte und unrationierte Lebensmittel aller Art freizugeben, wobei Brot und Getreideprodukte gemäss der in London getroffenen Abmachung ausgeschlossen wurden. Diese 10 600 Tonnen entsprechen 33 Milliarden Kalorien, und ihr Gesamtwert beläuft sich auf 23 Millionen Franken; zwei Drittel davon im Werte von 15 Millionen Franken wurden der Schweizer Spende abgetreten, die damit während 6 Wochen Nahrungsmittel im Nährwert von täglich 500 Kalorien an l Million unterernährter Kinder verteilen kann. Da es sich dabei um eine Bettungsaktion von äusserster Dringlichkeit handelt, die nicht bis Mitte Juni hinausgeschoben werden konnte, sahen wir uns im Einvernehmen mit der eidgenössischen Finanzdelegation gezwungen, einen Vorschusskredit in der Höhe dieses Betrages zu eroffnen. Wir ersuchen die Bäte, die getroffenen Massnahmen zu genehmigen. Nach dem Beifall,
mit welchem unsere Erklärungen im März dieses Jahres aufgenommen wurden, und nachdem wir die einstimmige Auffassung des Parlamentes und der Mehrheit des Schweizervolkes kennen, haben wir die Verantwortung auf uns genommen, diese Leistung im Namen der Eidgenossenschaft zu machen. Wir sind überzeugt, dass man uns die schwersten Vorwürfe gemacht hätte, wenn wir nicht in dieser äussersten Note für die kritische Übergangszeit, die uns von der neuen Ernte trennt, die Hilfe gewährt hätten, die seit vielen Wochen angekündigt worden war und die wir auf Grund unserer Versorgungslage aus unseren Vorräten gewähren konnten.

Der Best der freigegebenen Lebensmittel kann, wie dies in einem Communiqué vom 8. Mai bekanntgegeben wurde, von der Schweizer Spende, dem

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Schweizerischen Boten Kreuz und anderen schweizerischen Hilfsorganisationen zur Verteilung in den Notgebieten gegen Bezahlung aber ohne Abgabe von Rationierungsmarken beschafft werden.

Auf Grund der vorstehenden Überlegungen und in Anbetracht der Opfer, welche die Schweiz auf andern Gebieten bringen muss, halten wir dafür, dass der Bund sich bei der Finanzierung der Schweizer Spende darauf beschränken sollte, den ursprunglichen Beitrag von 100 Millionen Franken um weitere 15 Millionen Franken für die Errettung der hungernden Kinder zu erhöhen.

Wir beantragen deshalb der Bundesversammlung, die Gewährung des Beitrages von 15 Millionen nachträglich zu genehmigen. Ausserdem ersuchen wir die Bundesversammlung, dem Bundesrat einen Kredit bis zu 5 Millionen für Werke internationaler Hilfe einzuräumen. Diese Art Eeserve soll es dem Bundesrat erlauben, nötigenfalls die Kosten humanitärer Werke, deren Durchführung ihm als eine dringende Pflicht für die Schweiz erscheint, ganz oder teilweise zu decken, ohne dass dabei von neuem vom ordentlichen Weg der Kreditbewilligung abgegangen werden müsste.

Der Beschluss, den die Bundesversammlung zu fassen hätte, geht also insgesamt auf einen Betrag von 20 Millionen Franken, wovon 15 Millionen bereits für die Beschaffung einheimischer Produkte zugunsten der unterernährten1 Kinder bestimmt sind, während die restlichen 5 Millionen die vorgehend erwähnte Reserve bilden sollen.

Wir beehren uns demgemäss, Ihnen zu empfehlen, dem beigelegten Entwurf zu einem Bundesbeschluss zuzustimmen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 24. Mai 1946.

Im Xamen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Kobelt.

Der Bundeskanzler: Leimgruber.

330 (Entwurf.)

Bundesbescliluss betreifend

die Gewährung eines Kredites von 20 Millionen Franken für die Fortführung der internationalen Hilfswerke.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 24. Mai 1946, beschliesst :

Art. 1.

Für die Fortführung der internationalen Hilfswerke wird dem Bundesrat ein Kredit von 20 Millionen Franken bewilligt.

Art. 2.

Die Vorschussleistung des Bundesrates von 15 Millionen Franken, welche für die Bettung einer Million von Hunger bedrohten Kinder durch die Fürsorge der Schweizer Spende bestimmt war, wird genehmigt in Anrechnung an den in Art. l genannten Kredit.

Die Bestsumme von 5 Millionen Franken steht zur Verfügung des Bundesrates für die Finanzierung humanitärer Werke auf internationalem Boden, deren Durchführung ihm eine gebieterische Pflicht für die Schweiz erscheint.

Art. 8.

Dieser Beschluss tritt als nicht allgemein verbindlicher Natur sofort in Kraft.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährung eines Kredites von 20 Millionen Franken für die Fortführung der internationalen Hilfswerke. (Vom 24.

Mai 1946.)

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Jahr

1946

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12

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5023

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06.06.1946

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325-330

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