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Schweizerisches Bundesblatt.

56. Jahrgang. IV.

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Nr. 29.

20. Juli 1904,

Bundesratsbeschluß betreffend

die Beschwerde des Br. Wiechel, Versicherungsbeamter in Zürich, wegen Verweigerung der Traubewilligung.

(Vom

15. Juli 1904.)

Der schweizerische Bundesrat hat aber die Beschwerde des B r. W i e c h e l , Versicherungsbeamten in Zürich, wegen Verweigerung der Traubewilligung; .auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: 1. Br. Wiechel, deutscher Reichsangehöriger, wohnhaft in Zürich, wurde am 30. Oktober 1903 vom großherzoglichen Landgerichte Mannheim auf Grund des § 1567,1 BGB. (böswillige Verlassung) geschieden und als schuldiger Teil erklärt.

2. Anfang dieses Jahres verlobte er sich mit einer in Zürich wohnhaften Deutschen und beantragte unterm 1. März abbin beim Zivilstandsamte Zürich seine Verkündung, welche daraufhin sowohl in Zürich als auch in Berlin und Trippstadt durchgeführt wurde. Einsprachen dagegen liefen nicht ein.

3. Hingegen verweigerte die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zürich, welcher der Zivilstandsbeamte von Zürich gemäß § 13 der zürcherischen Vollziehungaverordnung zum EinführungsBundesblatt. 56. Jahrg. Bd. IV.

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. gesetz vom 9. November 1875 die Trauungsakteu zur Prüfung mitgeteilt hatte, durch Verfügung vom 28. März 1904 die Traubewilligung auf Grund des Art. 48 des Bundesgesetzes über Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe von* 24. Dezember 1874, weil bei gänzlicher Scheidung wegen eines bestimmten Grundes der schuldige Ehegatte nicht vor Ablauf eines Jahres sich wieder verheiraten dürfe.

Mit Schreiben vom 11. April teilte der Rekurrent der zilrcherischen Justiz- und Polizeidirektion mit, daß er ihre Verfügung vom 28. März nicht anerkenne und weitere Schritte gegen dieselbe unternommen habe.

4. Diese weiteren Schritte bestanden in einer Eingabe desselben vom 20. April 1904 an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, in welcher er bittet : die Verfügung der Direktion der Justiz und Polizei des Kantons Zürich aufzuheben und dieselbe anzuweisen, das hiesige Standesamt zu veranlassen,, die Trauung zu vollziehen.

Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement verständigte indessen den Rekurrenten, daß es nicht Rekursbehörde gegen Verfügungen unterer kantonaler Instanzen sei, sondern daß er,.

Rekurrent, in erster Linie den Entscheid des zürcherischen Regierungsrates anrufen müsse, gegen welchen ihm wiederum der Rekurs an den schweizerischen Bundesrat zustehe.

5. Wiechel richtete nun am 1. Mai eine Beschwerde gegen die mehrerwähnte Verfügung der Justiz- und Polizeidirektion vom 28. März an den Regierungsrat des Kantons Zürich, welcher indessen dem Rekurrenten mit Schreiben seiner Justiz- und Polizeidirektion vom 28. Mai mitteilen ließ, der Rekurs sei nicht innert den gesetzlichen 14 Tagen dem Regierungsrate eingereicht worden, somit verspätet.

6. Dagegen beschwerte sich nun Wiechel mittelst einer am 30. Mai an den Bundesrat gerichteten Beschwerde, in welcher er sich zugleich auf die Anbringen und Begehren seiner früheren Eingabe vom 20. April an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement bezog.

7. In seiner Vernehmlassung vom 16. Juni abhin wies der Regierungsrat des Kantons Zürich in formeller Beziehung darauf hin, daß nach § 13, Abs. 2, des zürcherischen Gesetzes betr: Organisation und Geschäftsordnung des Regierungsrates und seiner Direktionen vom 26. Februar 1899 der Wiechelsche Rekurs vom 1. Mai 1904 verspätet gewesen sei. Die von Wiechel vorgeschützte Gesetzesunkenntnis könne nicht als Entschuldigung dienen.

771 In materieller Beziehung stellte der Regierungsrat sich gänzlich auf den Boden, welchen seine Polizeidirektion eingenommen hatte. Er machte geltend, daß die zürcherische Justizdirektion auf dem Standpunkt stehe, daß für Trauungsabschlüsse von Ausländern, wenn die Vorschriften des internen Gesetzes weiter gehen als die des ausländischen, die Vorschriften des ersteren zu gelten haben. So sei z. B. die nach deutschem Recht zulässige Dispensation von der SOOtägigen Wartefrist der Braut für den schweizerischen Zivilstandsbeamten nicht maßgebend. Der Deutsche in der Schweiz könne an seinem Niederlassungsorte nicht mehr Rechte beanspruchen als die Angehörigen anderer Kantone.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat darauf hingewiesen, daß ein materieller Entscheid seinerseits in Sachen nicht vorliege, da der Rekurrent die kantonalrechtliche Frist zur Weiterziehung des Direktionsentscheides versäumt habe. Er bestreitet damit die formgültige Einlegung des Rekurses beim Bundesrat; denn dieser entscheide nicht über die Verfügungen unterer, sondern nur letztinstanzlicher kantonaler Behörden.

Soweit es sich um einen staatsrechtlichen Rekurs nach den Bestimmungen des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege handelt, ließe sich allerdings die Frage aufwerfen, ob der Rekurrent sein Rekursrecht nicht dadurch eingebüßt habe, daß er die abweisende Entscheidung der kantonalen Justizdirektion in Kraft treten ließ (vrgl. die Entscheidungen bei v. Salis, Bundesrecht, II. Aufl., 2. Bd., Nr. 280 bis 286).

Die Frage braucht aber nicht gelöst zu werden, da dem Bundesrat nach Art. 12 des Zivilstandsgesetzes ein allgemeines Aufsichtsrecht über Zivilstandssachen gegeben ist. Demnach ist der Bundesrat befugt, ,,da, wo sich Mängel oder Übelstände erzeigen, nach Erfordernis einzuschreiten und gegebenen Falles auf Kosten des betreffenden Kantons das Nötige anzuordnen11.

Dieses Aufsichtsrecht des Bundesrates schließt aber zugleich die Pflicht der Aufsicht in sich. Der Bundesrat ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, einzuschreiten, wenn er durch eine Beschwerde auf die unrichtige Anwendung des Zivilstandsgesetzes im Einzelfalle aufmerksam gemacht wird. Er entscheidet dann nicht als Rekursbehörde über die erhobene Beschwerde, sondern

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erteilt als oberste Aufsichtsbehörde der kantonalen Behörde eine Weisung über die Art, wie zu verfahren ist.

Demnach braucht die Beschwerde Wiechel nicht als staatsrechtliche Beschwerde aufgefaßt zu werden, sondern es ist die in der Beschwerde aufgeworfene Frage über die Anwendung einer Vorschrift des Zivilstandsgesetzes gegenüber einem Ausländer vom Bundesrat als Aufsichtsbehörde im Zivilstandswesen von Amtes wegen zu prüfen.

II.

Die der Entscheidung des Bundesrates unterstellte Frage läßt sich dahin fassen : Ist die im Ausland nach Maßgabe des ausländischen Gesetzes wegen eines bestimmten Grundes ausgesprochene Ehescheidung eines Ausländers für diesen in der Schweiz als ein temporäres Ehehindernis im Sinne des Art. 48 des Zivilstandsgesetzes auch dann zu betrachten, wenn das heimatliche Recht des Ausländers dem Scheidungsurteile diese Wirkung nicht beilegt ?

Der genannte Artikel bestimmt: ,,Bei gänzlicher Scheidung wegen eines bestimmten Grundes darf der schuldige Ehegatte vor Ablauf eines Jahres nach der Scheidung kein neues Ehebündnis eingehen.

Die Frist kann durch richterliches Urteil selbst bis auf 3 Jahre erstreckt werden.a Art. 48 enthält ein temporäres Eheverbot, welches von Gesetzes wegen mit jedem Urteil eines schweizerischen Gerichtes verknüpft ist, das eine Scheidung wegen eines bestimmten Grundes (Art .46) ausspricht. Der Richter ist befugt, die gesetzliche Frist von einem Jahr auf 3 Jahre zu erhöhen. Wenn auch der Richter die in Art. 48 des Gesetzes bestimmten Folgen nicht ausdrucklich ausspricht, so bilden diese nichtsdestoweniger eine gesetzliche Folge seines Urteils. Das Bundesgericht spricht sich in Bd. IV, p. 549/4, der amtlichen Sammlung seiner Entscheidungen über den Charakter der Bestimmung folgendermaßen aus: ,,Offenbar ist die Vorschrift des Art. 48 des Bundesgesetzes Über Zivilstand und Ehe nicht im Interesse des andern, verletzten Ehegatten, sondern im öffentlichen Interesse zur Wahrung der Würde der Ehe erlassen worden, und sie hat daher durchaus keinen privatrechtlichen, sondern, abweichend von den übrigen die Ehescheidung beschlagenden Bestimmungen, einen rein öffentlich-rechtlichen Charakter, wie denn auch der Richter in dieser Hinsicht nicht an den Antrag einer Partei gebunden ist, sondera von Amtes wegen auf die Wartefrist zu erkennen hat."

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Im vorliegenden Falle hat man es aber nicht mit dem Urteil eines schweizerischen, sondern eines ausländischen (deutschen) Gerichtes zu tun. Das in Betracht fallende ausländische Recht (Deutsches bürgerliches Gesetzbuch) kennt die dem schweizerischen Rechte eigentumliche Wirkung des Ehescheidungsurteils, das auf einen bestimmten Scheidungsgrund gestutzt ist, nicht. Das deutsche Recht hat vielmehr nur beim bestimmten Grund des Ehebruches ein zeitlich unbegrenztes Eheverbot für den schuldigen Gatten aufgestellt, das aber durch Dispensation gehoben werden kann (Art. 1312 des D. B. Gr.)- Die Scheidung wegen böslicher Verlassung begründet nach deutschem Rechte kein Eheverbot für den schuldigen Gatten. Es ist auch bei Verkündung der Ehe gegenüber Wiechel ein Einspruch von Seiten der deutschen Behörden nicht erfolgt, und es besteht, soweit aus den Akten ersichtlich ist, kein Zweifel darüber, daß die neue Ehe des Wiechel nach deutschem Rechte gültig sein würde.

Es fragt sich also nur noch, ob die Bestimmung des Art. 48 so ausgelegt werden muß, daß sie auch auf Ausländer Anwendung findet, welche nach ihrem heimischen Rechte gültig von einem ausländischen Gerichte geschieden sind, ohne daß ihr Heimatrecht dem Ehescheidungsurteile die Wirkung eines temporären Eheverbotes beilegt.

Diese Frage ist zu bejahen.

Das Zivilstandsgesetz regelt die Eheschließung der Ausländer in Art. 31, Abs. 4 und 5, und Art. 37, letzter Absatz. Diese Regelung bezieht sich aber nur auf die notwendige Anerkennung der Ehe des Ausländers in seinem Heimatstaate. Ein Ausländer darf, abgesehen von dem Dispensationsrechte der Kantonsregierungen, die Ehe in der Schweiz nur abschließen, wenn der Nachweis geleistet ist, daß seine Ehe in seinem Heimatstaat anerkannt wird. Dieser Nachweis beseitigt aber für seine Eheschließung in der Schweiz keineswegs die Verbindlichkeit der im schweizerischen Rechte aufgestellten Eheverbote. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die in Art. 28 aufgezählten Eheverbote auch dem Ausländer gegenüber gültig sind. Denn Art. 34 des Zivilstandsgesetzes gilt auch dem Ausländer gegenüber. Eine auf Art. 28 des Gesetzes gestützte Einsprache gegen den Eheabschluß muß der Zivilstandsbeamte auch dem Ausländer gegenüber berücksichtigen. Zuzugeben ist, daß das Eheverbot des Art. 48 in Art. 28 nicht aufgenommen worden ist. Es
ist aber schon durch die Praxis anerkannt (vgl.

Handbuch für die Zivilstandsbeamten, p. 302, Ânm. 1), daß dies als eine Auslassung anzusehen ist und daß auch ein Einspruch, der sich auf Art. 48 stutzt, zugelassen werden muß. Das Gesetz macht die Wartefrist der geschiedenen Ehefrauen und Witwen zu einem

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zwar temporären, aber absoluten Ehehindernis. Art. 48, Absatz l, führt eine Wartefrist für den schuldigen Ehegatten als gesetzliche Folge des Ehescheidungsurteils ein, wenn die Ehe aus einem bestimmten Grunde geschieden ist. Es ist nicht einzusehen, warum diese Wartefrist des schuldigen Ehegatten anders zu behandeln ist als die andern Wartefristen, zumal das Bundesgericht der Vorschrift des Art. 48 öffentlich-rechtlichen Charakter vindiziert. Es bleibt allerdings die Inkongruenz bestehen, daß, da der ausländische Richter nicht in der Lage ist, Art. 48, Absatz 2, zur Anwendung zu bringen, das ausländische Urteil immer nur die beschränkte Wirkung vom Absatz l ausüben und die Wartefrist für den Ausländer ein Jahr nicht übersteigen kann. Aber dieses gesetzliche Minimum der Wartefrist muß auch der Ausländer in der Schweiz sich gefallen lassen, da das Eheverbot des Art. 48 für alle in der Schweiz abgeschlossenen Ehen als gesetzliche'Folge des Scheidungsurteils absolute Wirkung besitzt, gleichgültig, ob die Scheidung durch ein schweizerisches oder ein ausländisches Gericht erfolgt ist.

Demnach wird erkannt: Der Beschwerde des B. Wiechel betreffend Verweigerung der Trauungsbewilligung wird keine Folge gegeben.

B e r n , den 15. Juli 1904. " Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Comtesse.

Der I. Vizekanzler :

Schatzmann.

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Bundesratsbeschluß betreffend die Beschwerde des Br. Wiechel, Versicherungsbeamter in Zürich, wegen Verweigerung der Traubewilligung. (Vom 15. Juli 1904.)

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