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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Leopold Thorner betreffend Verweigerung eines Hausierpatentes für den Kanton Bern.

(Vom 25. März 1904.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde des Leopold T h o r n e r betreffend Verweigerung eines Hausierpatentes für den Kanton Bern, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Am 16. September 1903 beschloß der Regierungsrat des Kantons Bern, nach Kenntnisnahme eines Rekurses des Leopold Thorner, Hausierers, gegen eine Verfügung der bernischen Polizeidirektion, wonach ihm für ein Hausierpatent eine Gebühr von monatlich Fr. 100 verlangt worden ist, auf den Antrag seiner Polizeidirektion : 1. Auf den Rekurs des Leopold Thorner werde nicht eingetreten.

2. Es werde von der Erklärung der Polizeidirektion, daß sie dem Thorner auf sein Verlangen ein Hausierpatent gegen eine Gebühr von Fr. 75 per Monat, ohne Präjudiz für die Zukunft, verabfolgen wolle, Akt genommen.

365 II.

Am 28. September 1903 reichte Leopold Thorner beim Bundesrat einen staatsrechtlichen Rekurs ein, in welchem er das Rechtsbegehren stellte, 1. der Bundesrat möge die Regierung des Kantons Bern veranlassen, dem Rekurrenten gegen eine mäßige Taxe ein Hausierpatent zu verabfolgen; 2. der Bundesrat möge die Höhe dieser Taxe seinem grundsätzlichen Entscheide für die Zukunft unterstellen.

Der Rekurrent führt zur Begründung seines Rechtsbegehrens aus: Mit Beschluß vom 27. Januar 1903 hat der Bundesrat den Regierungsrat des Kantons Bern eingeladen, dem Rekurrenten ein Hausierpatent für den Kanton Bern gegen eine mäßige Patenttaxe zu gewähren. Als auf Grund dieses Bescheides Rekurrent sich an die bernische Polizeidirektion wandte, wurde die Taxe auf Fr. 75 festgesetzt, auf die Verwendung des Rekurrenten beim Regierungsrat hin dann aber auf Fr. 50 ermäßigt mit der Begründung, daß die Verfügung der Polizeidirektion einen Irrtum enthalten habe. Um nun einerseits die Kundschaft nicht zu verlieren und anderseits nicht stets Beschwerde zu führen, machte Rekurrent während eines Vierteljahres den Versuch, mit dem Patent von Fr. 50 per Monat durchzukommen, im Glauben, daß die Differenz in der Höhe der jetzigen Taxe von Fr. 50 und der frühern von Fr. 15 per Monat bei vermehrter Anstrengung wieder einzubringen sei. Darin täuschte sich aber Rekurrent, indem sein Reinverdienst sich verminderte, und seine Familie zu leiden hatte. Als er sich aber nach Ablauf des Vierteljahres bei der Polizeidirektion wieder um ein Patent bewarb, verlangte dieselbe per Monat Fr. 100; auf die Erhebung eines Rekurses hin entschied die Polizeidirektion oder vielmehr der Regierutigsrat, es seien Fr. 75 für das Monatspateut zu verlangen. Wie rechtfertigt sich es nun, daß die Regierung vor einem Vierteljahr die Taxe von Fr. 75 ,,irrtümlich fand", und daß sie sie heute gutheißt? Der Umsatz und Reinverdienst sind eher geringer als Rekurrent sie im ersten Rekurs an den Bundesrat dargestellt hat, denn die kleinen Hausierer, die keine Fuhrwerke mit sich führen, empfinden die Konkurrenz der Warenhäuser immer schwerer.

Die stetige Tendenz zur Erhöhung der Patenttaxe gegenüber den kleinen Hausierern kommt einem Verbote gleich und widerspricht der von Art. 31 der Bundesverfassung gewährleisteten Handelsund Gewerbefreiheit.

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III.

Mit Zuschrift vom 6./9. Oktober 1903 beantragt der Regierungsrat des Kantons Bern die Abweisung des Rekurses Thorner und führt aus : Am 27. Januar 1903 haben Sie einen früheren Rekurs des Leopold Thorner betreffend die Verweigerung eines Hausierpatentes für den Kanton Bern gutgeheißen und uns eingeladen, dem Beschwerdeführer das von ihm verlangte Hausierpatent für Unterkleider und Stoffresten gegen eine den Verhältnissen entsprechende mäßige Patenttaxe zu erteilen. Die Veranlassung zu jenem Rekurse Thorners war eine Verfügung unserer Polizeidirektion gewesen, welche von Thorner die Bezahlung einer Pateuttaxe von monatlich Fr. 200 verlangt hatte. Indem Ihrem Rekursentscheide Rechnung getragen wurde, erteilte unsere Polizeidirektion dem Thorner ein Hausierpatent für den Kanton Bern für monatlich Fr. 50, erhöhte dann aber die monatliche Patenttaxe auf Fr. 100, weil ihr aus sicherer Quelle gemeldet wurde, Thorner hausiere auch für ein großes Zürcher Geschäft, welches die ändern Kantone mit Stoffresten überschwemme, und anzunehmen war, daß. beim Hausieren für dieses Geschäft für Thorner ein ansehnlicher Gewinn resultiere. Hiergegen rekurrierte Thorner an die unterzeichnete Behörde. Mit Beschluß vom 16. September 1903 trat dieselbe auf den Rekurs nicht ein, nahm jedoch Akt von der Erklärung der Polizeidirektion, daß sie bereit sei, dem Thorner in Zukunft ein Hausierpateut gegen eine monatliche Taxe von Fr. 75 zu erteilen.

Diese Erklärung bekundet unseres Erachteas das weitgehendste Entgegenkommen der Staatsbehörden gegenüber Thorner.

Daß der Regierungsrat auf den Rekurs nicht eintrat, war in § 20 der Vollziehungsverordnung vom 13. November 1896 begründet, welcher den Rekurs gegen eine Verfügung der Polizeidirektion in Hausierpatentangelegenheiten an den Regierungsrat nur dann gestattet, wenn dadurch ein Patent verweigert oder entzogen wird, während es sich hier nur um Festsetzung der Höhe der zu bezahlenden Patenttaxe handelt. Soweit sich der Rekurs Thorners gegen unsern Beschluß vom 16. September 1903 richtet, müssen wir daher schon aus dem Grunde Abweisung desselben beantragen, weil der Regierungsrat gemäß der hier einzig maßgebenden kantonalen Gesetzgebung den einzigen Beschluß gefaßt hat, welchen er im vorliegenden Falle überhaupt fassen konnte.

Wir fassen den Rekurs des Thorner aber als in
erster Linie gegen die Verfügung der Polizeidirektion gerichtet auf, wodurch dieselbe, gemäß der von ihr vor dem Regierungsrat abgegebenen Erklärung, die von Thorner zu bezahlende monatliche Patenttaxe auf Fr. 75 festgesetzt hat. Auch in dieser Beziehung ist der Rekurs jedoch abzuweisen.

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Wir stellen in erster Linie fest, daß im allgemeinen die Festsetzung der Höhe der Hausierpatenttaxen, wie die Gesetzgebung über das Hausierwesen überhaupt, in die endliche Kompetenz der kantonalen Behörden fällt und dem Bundesrat eine Kognition darüber nur zusteht, insofern die kantonalen Verfügungen betreffend den Hausierhandel geeignet sind, den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit zu beeinträchtigen (Salis, Bundesrecht, I. Auflage, Band II, Nr. 548, 550, 580, insbesondere 615). So haben Sie denn auch in Ihrem vorerwähnten Entscheide die Höhe der von Thorner zu fordernden Patenttaxe nicht festgesetzt, sondern nur allgemein bestimmt, es solle eiue mäßige Taxe sein.

Wir bestreiten nun, daß die Taxe von Fr. 75 per Monat keine mäßige, also eine übermäßige Patenttaxe sei. Was eine mäßige Patenttaxe ist, läßt sich nicht allgemein, sondern nur nach den Umständen bestimmen. Unter diesen Umständen kommt nicht nur in Betracht, ob ein einzelner Hausierer bei der geforderten Taxe bestehen kann, sondern auch, ob der betreffende Hausierhandel vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus als berechtigt, d. h. einem Bedürfnisse des Publikums entgegenkommend, zu betrachten ist. Letzteres ist nun vorliegend nur in äußerst geringem Maße der Fall. Thorner hausiert insbesondere mit Stoffresten. Die Nachfrage nach solchen ist nicht bedeutend und kann jedenfalls, wo sie besteht, durch seßhafte Handelsleute überall reichlich befriedigt werden. Es besteht also kein Grund, den Hausierhandel mit diesen Gegenständen besonders nachsichtig zu behandeln, um so weniger, als derselbe oft zur Täuschung und Übervorteilung des Publikums führt. Dazu kommt die allgemeine Erwägung, daß unseres Erachtens überhaupt Maßnahmen zum Schütze der seßhaften Handelsleute, mithin zur Einschränkung des Hausierhandels, im Zweifel als berechtigt anzusehen sind.

Was Thorner über seine Verhältnisse und die Geringfügigkeit seines Verdienstes sagt, wird gänzlich bestritten, ebenso daß die Forderung "£> einer Taxe von monatlich Fr. 75 einem Hausierverbot gleichkomme und daher eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit involviere.

IV.

Thorner repliziert am 15. Oktober folgendermaßen: Es ist zu bestreiten, daß die Auferlegung einer Taxe im Betrage von Fr. 50 und 75 ein Entgegenkommen bedeutet; diese Frage ist eben dem Entscheide des Bunflesrates
unterstellt. Bei der Bemessung der Höhe der Patenttaxe ist auch zu berücksichtigen, daß jede Gemeinde noch eine Gebühr bezieht, deren Höhe sieh nach der kantonalen Taxe richtet.

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Unrichtig ist auch, daß Rekurrent für ein zürcherisches Geschäft hausiert und daher großen Gewinn beziehe ; nur ein neidischer Hausierer oder ansäßiger Krämer konnte dem bernischen Kegierungsrat solche falsche Angaben machen. Rekurrent hat von jeher die ihm notwendigen Waren gekauft,'und hausiert überhaupt nur mit gekaufter Ware. Über die Möglichkeit, die Bedürfnisfrage aufzustellen, hat der Bundesrat bereits in seinem Beschluß vom 27. Januar 1903 entschieden. Rekurrent hausiert seit Jahren im Kanton Bern ; wären seine Waren minderwertig, so könnte er sich seinen Kunden nicht immer wieder vorstellen. Seine Erwerbsverhältnisse sind nicht bestritten worden und ebensowenig, daß die Konkurrenz überall gewachsen ist.

V.

In der Duplik endlich führt der Regierungsrat aus: Es wird bestritten, daß für die Bemessung der Höhe der Hausierpatenttaxe durch die Staatsbehörden der Umstand, daß in dem betreffenden Zweig des Hausiergewerbes große Konkurrenz herrscht, irgendwie in Betracht fallen kann, es sei denn, daß gerade die große Zahl der Hausierer in einer bestimmten Brauche zur Erhöhung der Patenttaxe führen würde. Völlig unerheblich ist es, wenn Thorner behauptet, er kaufe die Waren, mit welchen er hausiere ; dasselbe werden auch die Hausierer tun, die eben im Interesse großer Handelshäuser reisen, wie dies auch von Thorner vermutet wurde und noch vermutet wird; sichere Beweise dafür besitzen wir allerdings nicht.

Wenn Thorner behauptet, seine Angaben über seine Erwerbsverhältnisse seien nicht bestritten worden, so irrt er; denn in unserer Rekursbeantwortung haben wir ja alle seine, zur Begründung des Rekurses angebrachten Behauptungen bestritten. Wenn bezügliche Angaben seinerseits bei Anlaß seines frühern Rekurses von uns nicht bestritten sein mögen, so ist dies für den gegenwärtigen Rekurs gleichgültig. Auf alle Fälle bestreiten M'ir, daß die Erwerbsverhältnisse Thorners gegenwärtig noch dieselben sind wie zur Zeit seines ersten Rekurses.

Endlich bestreiten wir, unter Verweisung auf früher Gesagtes, den Bundesbehörden die Kompetenz, die Taxe, welche der Staat Bern von Thorner für ein Hausierpatent fordern darf, festzusetzen.

VI.

Auf die Anfrage des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes um Angabe des Datums der Verfügung, in welcher die bernische Polizeidirektion sich bereit erklärt habe, dem Thorner ein Hausierpatent für Fr. 75 per Monat zu gewähren, antwortet

369 dieselbe am 6. November 1903, eine eigentliche Verfügung der Polizeidirektion sei nicht erfolgt; dagegen habe die Polizeidirektiou in der Sitzung des Regierungsrates vom 16. September 1903 die Erklärung abgegeben, daß sie bereit sei, dem Thorner ein Hausierpatent gegen eine Taxe von monatlich Fr. 75 zu verabfolgen.

Diese Erklärung bilde einen Bestandteil des Regierungsratsbeschlusses, durch welchen ferner beschlossen wurde, es sei auf Thorners Rekurs an den Regierungsrat nicht einzutreten.

In einem Schreiben vom 13. Dezember 1903 führt dagegen Thorner aus, die Mitteilung über die Erhöhung seiner Hausiertaxe auf Fr. 100 sei ihm mündlich auf der Polizeidirektion des Kantons Bern am 5. September 1903 eröffnet worden, worauf er am 6. September den Rekurs an den bernischen Regierungsi-at und hierauf gegen den Entscheid dieser Behörde an den Bundesrat ergriffen habe.

VII.

Zur Ergänzung der gemachten Angaben ersuchte das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement den Rekurrenten Thorner ferner, er solle zahlenmäßig und in beglaubigter Form angeben, welches sein Verdienst im Jahre 1903 war, für wie viel er Waren bezogen, was er aus den Waren erlöst habe, und wie hoch der Betrag der Steuern sei, den er im Jahre 1903 in seiner Gemeinde und dem Kantou Aargau bezahlt habe.

Thorner antwortete am 17. Januar 1904, unter Einlegung eines beglaubigten Buchauszuges der Firma Ettlinger & Kohn in Zürich, die er als sein einziges Lieferungshaus angibt, daß sein Warenbezug im Jahre 1903 sich auf Fr. 4968. 15 belaufe, wovon aber die Waren abgehen, die er für seinen in Zürich wohnenden Vater gekauft habe im Betrage von Fr. 1358, so daß ihm im ganzen Waren für Fr. 3610. 15 verblieben seien. Der Vertrieb habe zum Teil nach den Kantonen St. Gallen, Thurgau, Zürich und im Juni bis September 1903 nach dem Kanton Bern stattgehabt; immerhin habe er nicht alle Waren abzusetzen vermocht.

Der Gewinn aus dieser Ware beziffere sich auf 15 bis 20°/o, d. h.

auf zirka Fr. 650 ; für den täglichen Verdienst könne er keine Aufstellung geben, da er des Schreibens unkundig sei und von der Hand in den Mund lebe. Im Kanton Aargau und der Gemeinde Lengnau habe er laut eingelegten Quittungen folgende Steuern bezahlt : Va Staatssteuer mit Fr. 2. 05; l1/« Schulsteuer mit Fr. 6. 15; !3/4 Polizeisteuer mit Fr. 7. 20; l'/2 Kultussteuer mit Fr. 6. 15; und endlieh Militärsteuer mit Fr. 8. 05, d. h. im ganzen Fr. 29. 60.

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Vili.

Der Regierungsrat des Kantons Bern hat sich auf die Mitteilung dieser Angaben im Schreiben vom 1. Februar 1904 folgendermaßen geäußert: Die Angabe Thorners über die Menge der Warenbezüge bei dem Hause Ettlinger in Zürich wird angesichts des vorgelegten, behördlich beglaubigten Buchauszuges nicht bestritten und wir haben heute keine Gründe, die Versicherung Thorners, daß er seine Waren eiuzig von jenem Hause beziehe, zu bezweifeln. Ob der von ihm erzielte jährliche Gewinn die von ihm angegebene Höhe erreicht oder überschreitet, entzieht sich ebenfalls unserer Kognition.

Nun aber muß bei der Pestsetzung der Hausierpatenttaxe die Regel gelten, daß für eine bestimmt umgrenzte Gattung von Waren von jedem Hausierer die nämliche Taxe gefordert wird.

Denn es ist selbstverständlich, daß die Taxe nicht für jeden einzelnen Hausierer nach Maßgabe der Größe des Warenabsatzes und des Gewinnes, der ja im Moment der Erteilung des Hausierpatentes weder der Behörde noch dem Hausierer selbst bekannt ist, festgesetzt werden kann. Die Anwendung dieser Regel ist gegenüber den Hausierern mit Stoffresten um so gerechtfertigter, weil gerade bei dem Hausierhandel mit Stoffresten minderwertige Ware vertrieben und das Publikum getäuscht und übervorteilt wird. Mit Rücksieht indessen darauf, daß dem Thorner im letzten Jahr ein Hausierpatent zum Preise von Fr. 50 per Monat verabfolgt worden ist, erklärt sich unsere Polizeidirektion bereit, demselben für die Zukunft ein Patent zum gleichen Preise zu erteilen.

Diese Taxe ist jedenfalls als eine mäßige zu bezeichnen. Im übrigen wiederholen wir in bezug auf die Kompetenz der kantonalen Behörden zur Festsetzung der Hausiertaxen die Ausführungen in unserer Antwort vom 16. Oktober 1903.

Mit Schreiben vom 5. Februar hat Thorner die Annahme des Anerbietens des bernischen Regierungsrates, die Patenttaxe auf monatlich Fr. 50 zu ermäßigen, unter Berufung auf seine bescheidenen Verhältnisse abgelehnt.;B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Die vorliegende Beschwerde riehtet>'sich materiell gegen die Auferlegung einer Hausierpatenttaxe von Fr. 100 per Monat durch die bernische Polizeidirektion, sowie gegen die Erklärung des bernischen Regierungsrates, daß die Patenttaxe für die Zukunft --

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ohne Präjudiz -- auf Fr. 75 respektive auf Fr. 50 monatlich festgesetzt werden solle: sie entspricht in formeller Hinsicht den in Art. 178 des Organisationsgesetzes über die Bundesreehtspflege für die Einreichung staatsrechtlicher Beschwerden aufgestellten Vorschriften.

Am 27. Januar 1903 hat der Bundesrat eine Beschwerde des heutigen Rekurrenten Leopold Thorner vom 17. August 1902 insofern gutgeheißen, als er eine demselben vom Regierungsrat des Kantons Bern auferlegte Hausierpatenttaxe von Fr. 200 per Monat oder Fr. 600 per Vierteljahr als verfassungswidrig aufhob, und die Regierung zur Ausstellung einer Bewilligung ,,gegen eine den Verhältnissen entsprechende mäßige Patenttaxe"1 verhielt. Auf Grund dieses Entscheides ist von den bernischen Behörden die Patenttaxe in der oben angegebenen Höhe angesetzt worden (Bundesbl. 1903, I, 236).

Gleich wie die frühere Taxe im Betrag von Fr. 200 per Monat, ficht der Beschwerdeführer auch die heutige Hausierpatenttaxe mit der Behauptung an, daß sie den Hausierhandel verunmögliche, und daher im Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfassung stehe ; denn die Erwerbsverhältnisse seien noch schlechter geworden, als der Bundesrat in seinem Beschlüsse vom 27. Januar 1903 festgestellt habe.

Die Regierung von Bern, welche ursprünglich den Erklärungen des Thorner jede Glaubhaftigkeit absprechen wollte, hat nach der letzten mit Belegen versehenen Darstellung der Verhältnisse die Richtigkeit der Ausführungen des Rekurrenten nicht mehr bestritten. Der Verdienst Thorners ist danach so beschaffen, daß ihm die Entrichtung der früheren Patentgebühr von Fr. 15 per Monat oder Fr. 45 per Quartal schon große Mühe verursachte, so daß diese Gebühr als das Maximum erseheint, was unter solchen Verhältnissen vernünftigerweise gefordert werden sollte. Aus den Ausführungen der bernischen Regierung ist aber zu entnehmen, daß die von den Behörden jetzt dem, Rekurrenten auferlegte oder in Aussieht gestellte Taxe prohibitiv wirken soll.

Es ist auch zweifellos, daß dieselbe, zumal noch eine von den Gemeinden zu erhebende Taxe in Betracht kommt, eine solche ist, die unter Würdigung aller Verhältnisse dem Rekurrenten jede Möglichkeit benimmt, seinen Hausierhandel zu betreiben. Die Regierung führt zur Begründung der Höhe der Taxe aus, es komme bei der Festsetzung derselben (neben den
persönlichen Verhältnissen des Hausierers) in Betracht, ob der betreffende Hausierhandel als einem Bedürfnis des Publikums entgegenkommend zu betrachten sei, und es seien überhaupt Maßnahmen

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zum Schütze der seßhaften Handelsleute und zur Einschränkung des Hausierhandels im Zweifel als berechtigt anzusehen. Im Gegensatz zu dieser Auffassung hat die Bundesverfassung in Art. 31 die Freiheit des Handels und der Gewerbe festgesetzt und damit die Erhebung der Bedürfnisfrage (mit Ausnahme des Wirtschaftsbetriebes, der aber dafür durch besondere Kautelen geschützt ist) bei konzessionierten Gewerben verboten, und die Unterdrückung und Einschränkung des einen Gewerbes zu gunsten eines konkurrierenden, ebenso wie die Bevorzugung eines Händlers vor einem ändern durch obrigkeitliche Maßnahmen untersagt (vergleiche Salis, Bundesrecht, II. Auflage, II, Nr. 735 und 875). Die dem Beschwerdeführer abverlangten Taxen von Fr. 100 respektive Fr. 75 und Fr. 50 sind somit, weil damit das Gewerbe des Rekurrenten in einer der Bundesverfassung widersprechenden Weise eingeschränkt werden soll, verfassungswidrig.

Demnach wird er k a nnt: Die Beschwerde ist begründet.

Der Regierungsrat des Kantons Bern wird neuerdings eingeladen, dem Beschwerdeführer das von ihm verlangte Hausierpatent gegen eine den Verhältnissen des Hausierhandels und des Rekurrenten angepaßte Patenttaxe zu erteilen.

B e r n , den 25. März 1904.

Im Namen des Schweiz. JBundesrates, Der Vizepräsident:

Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Leopold Thorner betreffend Verweigerung eines Hausierpatentes für den Kanton Bern. (Vom 25. März 1904.)

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30.03.1904

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