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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen vorsätzlicher Eisenbahngefahrdung verurteilten Johann Gautschy von Reinach, Kanton Aargau, Gefängnissträflin in Liestal.

(Vom 13. Juni 1904.)

Tit.

Am 5. Dezember 1900, abends, entgleiste der in Basel 10 Uhr 5 Minuten abfahrende Pariserschnellzug zwischen der Eisenbahnbrücke Mönchenstein und der Station Mönchenstein.

Die Untersuchung ergab, daß eine 55 kg. schwere eiserne Schwelle auf der Baslerseite auf dem Bahnkörper gelegen hatte, die von der Lokomotive erfaßt nnd über die Brücke gestoßen wurde.

Die Lokomotive entgleiste und es entstand einiger Schaden an Kollmaterial und Geleise.

Die schwere eiserne Schwelle stammte von einem Haufen solchen Materials, der in der Nähe der Bahnbrücke gelagert war.

Unzweifelhaft war sie absichtlich auf das Geleise verbracht worden, und zwar in der Zeit zwischen 9 Uhr 53 Minuten, da ein anderer Zug noch ungefährdet den nämlichen Schienenstrang feefahren hatte, und der Durchfahrt des Pariserschnellzuges, der in Mönchenstein nicht anhält. Das Auflegen der Schwelle geschah offenbar, um diesen Zug zum Entgleisen zu bringen und setzte dessen Personal und Passagiere, sowie den Zug selbst in die denkbar größte Gefahr.

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Der Verdacht der Täterschaft richtete sich gegen den im Basel wohnhaften Johann Gautschy, einen arbeitsscheuen Mensehen, der sich noch um 9 Uhr 45 Minuten am fraglichen Abend bei und im Bureau der Station Mönchenstein herumgetrieben hatte und vom Stellvertreter des Stationsvorstandes dort weggewiesen werden mußte. In Untersuchung gezogen, verwickelte sich Gautschy in Widersprüche über seinen Aufenthalt nach dem Verlassen der Station Mönchenstein, uqd es ergab sich eine ganze Reihe von Indizien objektiver Art für seine Schuld; insbesondere deutete die Vergleichung der vom Täter hinterlassenen Fußspuren mit den von Gautschy getragenen Schuhen und der Zustand seines Rockes auf ihn als Urheber des Verbrechens. Das. Kriminalgericht des Kantons Baselland erklärte in einem wohlmotivierten Urteil vom 13. Februar 1901 den Gautschy der absichtlichen Eisenbahngefährdung schuldig und verurteilte ihn zu fünf Jahren Gefängnis, gerechnet vom Tage des Urteils an, und zu den Prozeßkosten.

Gautschy richtete bereits Ende des Jahres 1901 ein längeres Schreiben an die Bundesversammlung, in welchem er den Spruch des Gerichtes von Liestal bemängelt und sich als Opfer eines Justizmordes darstellt, mit dem Gesuch, ihm den Rest der Strafe gütigst erlassen zu wollen. Er bemerkt dabei : Um konsequent zu bleiben, könne er die Behörde nicht um Gnade anflehen und um sein Recht und seine Unschuld zu beweisen fehlen ihm zur Zeit jede Mittel.

Der Bundesrat beantragte bei der Bundesversammlung, das Gesuch abzuweisen, mit der Begründung, Gautschy sei vom kompetenten Richter rechtskräftig verurteilt worden und verbüsse eine Strafe, welche der Schwere des ihm zur Last gelegten Verbrechens und der gesetzlichen Vorschrift durchaus entspreche.

Es liege nichts vor, das geeignet wäre, die vom urteilenden Richter gewürdigten Schuldindizien zu entkräften und die Art, wie Gautschy seine Bitte um Strafnachlaß zu begründen versuche, lasse ihn mehr als einen Menschen erscheinen, der begangenes Unrecht abzuleugnen bestrebt sei, denn als -einen schuldlos Verurteilten. Er scheine daher der Begnadigung nicht 'würdig.

(Bundesbl. 1901, IV, 1007 ff.)

Am 12. Dezember 1901 hat die'Bundesversammlung diesen Antrag zum 'Beschluß erhoben.

Am 21. September 1903

stellte Gautscby ein eigentliches

551 Begnadigungsgesuch mit der Bitte, ihm den Strafrest vom 6. Dezember 1903 an zu erlassen. Dabei vermied er jede Anspielung auf Schuld oder Nichtschuld und beschränkte sich darauf zu konstatieren, daß mit dem erwähnten Zeitpunkt drei schrecklich lange Jahre verflossen seien, seit er seiner Freiheit beraubt worden. Er glaube, das Versprechen geben zu können, daß er sich der Gnade wert erzeigen werde, da es sein fester Vorsatz sei, nach Entlassung ein geordnetes und zurückgezogenes Leben zu führen.

Die Bundesanwaltschaft veranlaßte in diesem Stadium den Direktor der Strafanstalt zu einer Vernehmlassung darüber, ob Gautschy endlich zugebe, die Tat, wegen welcher er bestraft wurde, begangen zu haben und ob er diese Tat endlich bereue, ob er ihre Verwerflichkeit und Strafbarkeit eingesehen habe.

Herr Direktor Heinis berichtete : Gautschy bleibe trotz wiederholter Vorstellungen bei der Behauptung, unschuldig verurteilt worden zu sein und erwidere stets, daß er die Tat zugeben würde, wenn er sie begangen hätte. Da dies aber nicht der Fall sei, könne er sie nicht eingestehen und auch nicht bereuen. Dem Berichterstatter steigen oft Zweifel auf, über die Richtigkeit der Verurteilung Gautsehys, besonders da er ihn als einen Menschen kennen gelernt habe, der eine Tat ohne längeres Zögern zugebe und, wenn er die Unrichtigkeit einsehe, auch bereue. Es wäre daher anzunehmen, daß er auch das ihm zur Last gelegte Verbrechen bei Richtigkeit der Anklage eingestehen würde, da ihm das nur Vorteile bieten könnte. Sein Leugnen sei, im ·Falle wirklicher Schuld, ein psychologisches Rätsel. -- Im Kanton Baselland sei die Stellung von Begnadigungsgesuchen an :keine Frist gebunden ; nach der Praxis des Landrates als Begnadigungsbehörde, werde aber nur entsprochen, wenn 8/* der Strafzeit, mindestens l J /2 Jahre, erstanden seien.

Nach einem persönlichen Verhör durch den Bundesanwalt zog Gautschy dieses Begnadigungsgesuch zurück in der Meinung, es nach Verfluß von 2/s der Strafzeit erneuern zu dürfen.

Mit Eingabe vom 26. April 1904 bittet Gautschy um Erlaß des Strafrestes vom 13. Juni dieses Jahres an gerechnet, an welchem Tage er mit 42'Vs Monaten zwei Dritteile der 'Strafzeit erstanden haben werde. Zur Begründung führt er an: Er habe in der langen Zeit des Strafvollzuges gar manche bange und trübe Stunde erlebt, doch sei es stets sein inniges Bestreben gewesen,

552 durch Gehorsam und Fleiß die Zufriedenheit seiner Vorgesetzten zu erwerben. Er beabsichtige auch, nach der Entlassung ein geordnetes und zurückgezogenes Leben zu führen. Im fernem bittet er Rücksicht zu nehmen auf seine Eltern, die gar froh wären, wenn er sie unterstutzen könnte.

Der Direktor der Strafanstalt Liestal bestätigt, daß Gautschy am 13. Juni 2/s seiner Strafzeit erstanden hat mit dem Beifügen, der Verurteilte stelle trotz wiederholter Zuspräche, die verbrecherische Tat noch immer in Abrede. Gautschy sei in der Strafanstalt nach Verbüssung der Einzelhaft mit Strohflechten und Kopierarbeiten beschäftigt worden und habe sich während der Strafzeit im ganzen gut gehalten, weshalb er zur Begnadigung empfohlen werde. Disziplinarisch sei er nur einmal bestraft worden, und zwar im Juni 1903 wegen einer unbegründeten und in unzulässiger Form geltend gemachten Beschwerde, die er über die Anstaltsdirektion bei der kantonalen Polizeidirektion angebracht habe.

Das Kriminalgericht des Kantons Baselland bemerkt nach Einsicht des neuesten Gesnches von Gautschy, daß es das ausgesprochene Urteil auch jetzt noch für wohlbegründet halte, sowohl was die Schuldigkeitserklärung als was das Strafmaß betreffe.

Das Institut der bedingten Entlassung von Sträflingen auf Wohlverhalten sei im dortigen Kantone nicht bekannt.

Trotz des fortgesetzten Leugnens des Potenten ist auch gegenwärtig noch als festgestellt zu betrachten, daß er das Verbrechen begangen habe, das den Grund seiner Bestrafung bildete.

Es handelte sich dabei um eine vorsätzliche Eisenbahngefährdung, die geeignet war, ein Unglück herbeizuführen, ähnlich demjenigen vom 14. Juni 1891 beim Einsturz der Birsbrilcke in Mönchenstein. Wenn aber Gautschy am 5. Dezember 1900 wirklich die schwere Eisenbahnschwelle auf den Bahnkörper vor der jetzigen Brücke gelegt hat, so ist auch nicht zu bezweifeln, daß ihm dabei der frühere Unglücksfall noch im Gedächtnis schwebte und daß er also mit Bewußtsein den Schnellzug, dessen baldige Fälligkeit ihm ebenfalls bekannt war, samt seinen Insassen der denkbar größten Gefahr der Entgleisung aussetzte. Für eine derartige Übeltat ist, wie auch der urteilende Richter in den Motiven über die Strafzumessung ausführte, eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren durchaus nicht zu hoch und die Verstocktheit, welche der Verurteilte durch sein Verhalten während der Strafzeit be-

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kündete, läßt ihn einer Milderung seiner verdienten Strafe durch Begnadigung auch gegenwärtig nicht würdig erscheinen.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den Antrag: Es sei das Begnadigungsgesuch des Johann Gautschy abzuweisen.

B e r n , den 13. Juni 1904.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Blngier.

--53-0-SÏ-

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. IV.

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22.06.1904

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