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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde von Gottfried Hofacher und Konsorten, gegen den Regierungsrat des Kantons Aargau, wegen Kassierung der Abstimmung der Einwohnergemeinde Oftringen über die Gemeindewasserversorgung.

(Vom 5. Juli 1904.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde von G o t t f r i e d H o f a c h e r und K o n s o r t e n , gegen den Regierungsrat des Kantons Aargau, wegen Kassierung der Abstimmung der Einwohnergemeinde Oftringen über die Gemeindewasserversorgung ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Die Gemeinde Oftringen, Kanton Aargau, hat seit dem Jahre 1894 nach verschiedenen Plänen, die jeweils den GemeindebUrgern zur Abstimmung vorgelegt wurden, eine geeignete Wasserversorgung einzurichten versucht, da die Wasserversorgung bisher durch drei voneinander gesonderte private Unternehmungen geschah, nämlich:

669 die Quellen und Leitungen der Wasserversorgungsgenossenschaft Oftringen; die Quellen und Leitungen der Gebrüder Roth und die Quellen und Leitungen von Hüssy.

Auf den gegen eine dieser Gemeindeabstimmungen hin erhobenen Rekurs beschloß der Regierungsrat des Kantons Âargau am 1. Mai 1903, der Gemeinderat sei beauftragt, ,,die Frage der Wasserversorgung bis spätestens den 31. Mai 1903 der Einwohnergemeinde zur Behandlung zu unterbreiten und bei Behandlung des genannten Gegenstandes dann den § 18 des Gemeindeorganisationsgesetzes in angegebener Weise zu handhaben".

Die Ausführungen über die Anwendung des § 18 des Gemeindeorganisationsgesetzes, auf welche das Dispositiv des Regierungsratsbeschlusses bezug nimmt, lauten folgendermaßen: ,,Gemäß § 18 des Gemeindeorganisationsgesebses, der hier nicht umgangen werden kann, haben sich, wenn in der Gemeinde die Frage der Übernahme der Wasserversorgung zur Behandlung kommt, nach der Feststellung des Bezirksamtes in Austritt zu begeben : a. sämtliche Genossenschafter und alle diejenigen, die mit einem Genossenschafter in ausschließendem Grade verwandt sind (§ 18 leg. cit.); b. diejenigen Genossenschafter, die ungefähr vor Jahresfrist aus der Genossenschaft ausgetreten, aber gemäß Statuten und Obligationenrecht immer noch haftbar sind ; c. von den Mitgliedern des Gemeinderates haben sich in Austritt zu begeben : Die Herren Gemeindeammann Rot, Gemeinderat Dätwyler (ausgetretener, aber noch haftbarer Genossenschafter) Gemeinderat David Zimmerli, in ausschließendem Grade verwandt mit einem Genossenschafter, und aus demselben Grunde auch Herr Gemeinderat Woodtli.

Herr Vizeammann Meyer kann an der Versammlung teilnehmen, denn ein ausschließendes Verwandtschaftsverhältnis zwischen ihm und Herr Zimmerli-Woodtli besteht nicht."

II.

Die in Ausführung dieses Regierungsratsbeschlusses angesetzte Gemeindeabstimmung über die Wasserversorgung fand am 21. Juni 1903 statt; die Gemeinde lehnte in derselben die Übernahme der Wasserversorgung ab.

Am 26. Juni 1903 wurde auch gegen diese Abstimmung rekurriert, und es wurden bei der aargauischen Direktion des Innern folgende Rechtsbegehren gestellt :

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. IV.

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1. die Schlußnahme der Einwohnergemeinde Oftringen vom 21. Juni 1903 sei als ungültig zu erklären; 2. die Regierung wolle auf ihren Beschluß vom 1. Mai 1903 zurückkommen und mit Rucksicht darauf, daß sonst eine beschlußfähige Gemeinde unmöglich zusammengebracht werden könne, sämtlichen Genossenschaftern und ihren Verwandten mit Ausnahme des Vorstandes der Genossenschaft, die Teilnahme an der Abstimmung über die Wasserversorgungsfrage gestatten; 3. die Regierung wolle durch das Bezirksamt Zofingen eine Gemeinde zur gültigen und endgültigen Beschlußfassung über die Wasserfrage einberufen und durch das Bezirksamt leiten lassen ; 4. eventuell, falls die Regierung das Begehren unter Ziffer 2 abweisen sollte, wolle sie mit tunlichster Beförderung durch unparteiische Organe ein richtiges Verzeichnis über sämtliche nach § 18 des Gemeindeorganisationsgesetzes in Austritt Gehörigen und deren Verwandte anfertigen und durch das Bezirksamt die Gemeindeversammlung sofort einberufen und leiten lassen.

In teil weiser Gutheißung dieser Beschwerde hob die aargauische Direktion des Innern am 2. August 1903 die Gemeindeschlußnahme vom 21. Juni 1903 auf.

Gegen diesen Direktionsentscheid wurde, ohne daß indessen die Anerkennung der Genieindeabstimmung vom 21. Juni 1903 verlangt worden wäre, beim Regierungsrat des Kantons Âargau Beschwerde geführt; diese Behörde erledigte die Beschwerde am 2. November 1903 mit folgendem Beschluß: 1. Die Frage der Übernahme der in der Gemeinde Oftringen bestehenden privaten und genossenschaftlichen Wasserversorgungen durch die Gemeinde ist innerhalb des Monats November neuerdings der Einwohnergemeinde zur definitiven Beschlußfassung vorzulegen.

2. Auf dieselbe ist das Stimmregister vom Gemeinderat im Sinne der Weisungen vom 1. Mai 1903 und der vorstehenden ad l (siehe die unter Ziffer l gegebenen Erwägungen hiernach) genau zu bereinigen, beziehungsweise das Verzeichnis der Austrittpflichtigen anzufertigen und wenigstens 2 Tage vor der Gemeindeversammlung abzuschließen (§ 25 bis 27 des Gemeindegesetzes).

3. Die Gemeinde ist verhandlungsfähig, wenn wenigstens die absolute Mehrheit derjenigen Stimmfähigen anwesend ist, welche bei Behandlung dieses Gegenstandes stimmfähig sind.

4. Der Gemeinderat hat rechtzeitig für einen bei der Wasserfrage unbeteiligten Stellvertreter des Gemeindeschreibers zu sorgen,

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der in der in Aussicht genommenen Gemeindeversammlung das Protokoll zu führen hat.

Die Motive dieses Beschlusses lauten in den Stellen, auf welche das Dispositiv verweist : 1. ,,Es wird verlangt, daß sämtlichen Genossenschaftern und ihren Verwandten, mit Ausnahme des Vorstandes der Genossenschaft, die Teilnahme an der Abstimmung über die Wasserversorgungsfrage zu gestatten sei, weil sonst eine beschlußfähige Gemeinde nicht zusammengebracht werden könne.

Dieses Begehren steht im Widerspruch mit § 18 des Gemeindeorgauisationsgesetzes, wonach bei einer Gemeindeversammlung diejenigen, welche bei der Behandlung eines Gegenstandes ein unmittelbar persönliches Interesse haben, mit ihren Verwandten bis und mit dem Grade von Geschwisterkindern in Austritt gehalten, also nicht stimmberechtigt sind, und es kann demselben daher nicht entsprochen werden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei den Mitgliedern der Wasserversorgungsgenossenschaft ein solches Interesse vorhanden ist. Aber nicht nur bei diesen, sondern auch bei den 1902 ausgetretenen Genossenschaftern, da diese nach den Statuten und nach Obligationenrecht für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft immer noch haftbar sind.

Selbstverständlich erstreckt sich bei den letztern die Austrittspflicht nicht nur auf sie selbst, sondern, wie bei den eigentlichen Genossenschaftern auch auf deren Verwandte. Der zitierte § 18 läßt diesbezüglich keine Ausnahme zu. B e d a u e r l i c h e r w e i s e ist in dieser B e z i e h u n g bei A u s f e r t i g u n g des regierungsrätlichen E n t s c h e i d e s vom l.Mai!903 sub Z i f f e r 2 6 .der M o t i v i e r u n g ein I r r t u m p a s s i e r t , indem dort nur die ausgetretenen Genossenschafter, nicht aber auch deren Verwandte genannt werden. D i e s e r I r r t u m muß n a c h t r ä g l i c h berichtigt werden.

Was die Verhandlungsfähigkeit anbelangt, so richtet sich diese in jedem Falle nach der Zahl der bei Behandlung eines Gegenstandes Stimmberechtigten. Zur Verhandlungsfähigkeit ist notwendig, daß in jedem Falle die absolute Mehrheit derjenigen auf dem Stimmregister figurierenden Stimmfähigen vorhanden ist, welche in einem Spezialfalle stimmberechtigt sind. Ohne diese Auslegung könnte der § 18 zit. in vielen Fällen gar nicht zur Anwendung kommen. Es ist nun allerdings möglieh, daß bei dieser weitgehenden
Ausschlußbestimmung sogar große Minderheiten für die Gemeinde folgenschwere Beschlüsse fassen können.

Gegen solche steht aber jedermann das Beschwerderecht zu, und

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die Aufsichtsbehörden haben darüber zu wachen, daß jene den Interessen der Gemeinde nicht zuwiderlaufen*.

3. ,,Im Entscheid des Regierungsrates vom 1. Mai und in vorstehendem ist gesagt, wer zum Austritt gehalten ist. An der Hand dessen kann die Aufstellung eines für die Behandlung bereinigten und richtiggestellten Stimmregisters nicht mehr schwierig sein, nachdem letzteres für die Verhandlung vom 21. Juni laufenden Jahres nur noch in bezug auf 4 Stimmberechtigte nicht richtig war. Da es sich um eine allgemeine administrative Maßnahme handelt, so ist die Aufstellung des Stimmregisters Sache des Gemeinderates.1*

III.

Zufolge der regierungsrätlichen Anweisung schrieb der Gemeinderat von Oftringen eine neue Gemeindeversammlung auf den 29. November 1903 aus; in der Publikation vom 19. November 1903 wurde bekannt gegeben, daß das Verzeichnis der zum Austritt verpflichteten stimmfähigen Bürger öflenlich aufliege und daß Beschwerden gegen dasselbe bis zum 26. November beim Gerneinderat schriftlich einzureichen seien.

Am 24. November 1903 reichten Gottfried Hofacher und 6 Mitunterzeichner gegen dieses Stimmregister Beschwerde ein, in welcher sie sich darüber beklagten, daß sie vom Stimmrecht ausgeschlossen seien. Sie gaben zu, mit einzelnen Genossenschaftern verwandt zu sein, und daß dieser Umstand für sie ein Hinderungsgrund sei, über den Ankauf der Wasserversorgung der Genossenschaft zu stimmen ; dagegen verlangten sie, soweit es sich um die Übernahme der Wasserversorgung der Gebrüder Roth und derjenigen von Hiissy handle, zur Abstimmung zugelassen zu werden.

Der Gemeinderat wies am 27. November 1903 diese Besehwerde ab.

Die Gemeindeabstimmung fand hierauf auf Grund des aufgelegten Stimmregisters statt, und es wurde in derselben mit 188 gegen 100 Stimmen beschlossen, die Gemeinde habe alle drei Wasserwerke zu übernehmen.

Gegen diesen Gemeindebeschluß wurde vom genannten Gottfried Hofacher und andern Bürgern der Gemeinde Oftriagen eine Reihe von Beschwerden beim Bezirksamt zu Händen des Regierungsrates des Kantons Aargau eingereicht mit dem Begehren um Kassation der Abstimmung.

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Der Regierungsrat hat alle Beschwerden mit Beschluß vom 11. Januar 1904 abgewiesen auf Grund folgender Feststellungen und Erwägungen: ,,1. Eine Gruppe von Beschwerdeführern, an deren Spitze Herr Johann Schweizer steht, sucht ihr Begehren mit Vorgängen, welche an der Gemeindeversammlung selbst vorgekommen sein sollen, zu begründen. Zunächst wird bemängelt, daß die Versammlung ohne Bestellung eines Vizepräsidenten verlaufen sei, sodann wird behauptet, es sei dem sich zum Wort meldenden Herrn Hubeli die Gelegenheit zur Aussprache nicht gegeben worden; des fernem wird gesagt, daß der Präsident des Einwohnervereins durch Lärm unterbrochen und zum Schweigen gebracht worden sei, ohne daß von selten des Präsidiums dagegen eingeschritten worden wäre. Auch habe während der Verhandlung ein beständiges Kommen und Gehen der Bürger stattgefunden. Endlich sei bei der Abstimmung, so wird behauptet, eine heillose Unordnung eingetreten, indem die Abgabe der Stimmzettel regellos und vor Schluß der Austeilung stattgefunden habe.

,,2. Eine zweite Gruppe von Beschwerdeführern, die sich selbst wieder in 3 Unterabteilungen, mit den Herren Gottlieb Roth, Scheibler-Dätwyler und G. Ruesch als Führer, teilt, verlangt die Kassation auf Grund der Vorgänge vor Abhaltung der Gemeindeversammlung. Es wird behauptet, der vom Regierungsrat verfügte Austritt der Beteiligten sei nach zwei Richtungen eine ungesetzliche Handlung gewesen. Zunächst deshalb, weil die ausgetretenen Genossenschafter kein direktes Interesse an der Sache mehr haben und daher samt ihren Verwandten zur Verhandlung hätten zugelassen werden sollen, sodann aber auch deshalb, weil der Austritt allgemein und ohne Bezugnahme auf die drei vorliegenden, den Austritt bedingenden Verträge gehandhabt worden sei. In letzterer Hinsicht wird darauf hingewiesen, daß der Gemeindeversammlung drei Verträge zur Annahme oder Verwerfung vorgelegen haben. Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, daß über diese Verträge einzeln hätte verhandelt und abgestimmt und daß dabei der Austritt der Beteiligten für jeden Vertrag besonders hätte geregelt werden sollen. Sie behaupten nun, daß sie durch die unrichtige Behandlung der Angelegenheit von der Gemeinde ihres Stimmrechtes beraubt worden seien und verlangen deshalb die Kassation des Beschlusses.

Die Untersuchung hat folgendes ergeben : ,,1. Wenn die Versammlung ohne Vizepräsidenten verhandeln mußte, so lag der Grund eben darin, daß nur ein Mitglied

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des Gemeinderates anwesend war; der Verlauf der Verhandlung hat übrigens die Entbehrlichkeit dieses Organes bewiesen. Die Leitung durch den Präsidenten war loyal und energisch, es war unmöglich, den Saal zu sehließen, da die Versammlung von l Uhr an bis abends 5 V* Uhr getagt hat. Zu tadeln ist es und es ist auch vom Bureau aus gerügt worden, daß einzelne Redner durch Lärm unterbrochen worden sind, und daß einem Bürger, welcher sich vor dem Beschluß auf Diskussionsschluß zum Wort gemeldet hatte, die Gelegenheit zum Reden eben durch diesen Beschluß benommen war. Ebenso ist zu rügen, daß das Einsammeln der Stimmzettel am Schlüsse nicht mit der erforderlichen Ruhe vor sich gegangen ist. Es ist aber daran zu erinnern, daß die Versammlung angesichts aller der bekannten Vorgänge und der vorgerückten Zeit ungeduldig geworden war und auf baldigen Abschluß drängte. Solche Vorkommnisse sind in den Gemeinden nicht gerade ohne Beispiel. Ihre Konstatierung kann aber nur dann Veranlassung zur Kassation geben, wenn nachgewiesen werden kann, daß durch sie der Ausgang der Sache maßgebend beeinflußt worden ist. Ein solcher Nachweis ist aber nicht erbracht und wird wohl kaum erbracht werden können, da laut Protokoll bei der Verhandlung anfangs 294 Stimmfähige gezählt und am Schlüsse derselben 289 Stimmzettel abgezählt worden sind. Wenn auch einzelne Unregelmäßigkeiten vorgekommen sein mögen, was aber durchaus nicht zahlenmäßig nachgewiesen ist, so kann ihnen gegenüber dem Abstimmungsergebnis von 188 gegen 100 Stimmen keine maßgebende Bedeutung beigelegt werden.

,,2. Die Einwendungen gegen die Verfügungen betreffend Austritt der Interessenten und das darauf sich stützende Kassationsbegehren sind gänzlich unstichhaltig. Die ausgetretenen Genossenschafter haben an dem Verkauf des Genossenschaftsnetzes insofern ein direktes Interesse, als sie trotz ihres Austrittes aus der Genossenschaft für die Verbindlichkeiten derselben immer noch eine gewisse Haftung tragen. Ihr Austritt samt ihren Verwandten ist deshalb gesetzlich begründet, und es muß dieser Einwand im gegenwärtigen Stadium überdies als verspätet angesehen werden. Gegenüber den Anbringen der Beschwerdeführer über die Art der Behandlung des Wasserversorgungstraktandums in der Gemeinde ist festzustellen, daß es sich dabei um die Frage der Übernahme der Wasserversorgung
durch die Gemeinde, also um ein einheitliches Unternehmen gehandelt hat, über welches die Gemeinde nur mit Ja oder Nein antworten konnte. Eine separate Behandlung der drei Verträge war auch aus praktischen Gründen unbedingt verwerflich, weil dabei die Erscheinung hätte zu Tage treten können, daß eine Mehrheit das Wasser gekauft,

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eine andere Mehrheit aber das dazu gehörende Leitungsnetz abgelehnt hätte, oder umgekehrt. Wenn also die Angelegenheit als einheitliches Ganzes betrachtet werden muß, so mußte sie auch in der Gemeinde in diesem Sinne behandelt werden und war damit der Austritt aller Interessenten notwendig und gesetzlich begründet.

,,Mag man nun aber hierüber denken wie man will, so kann dem Kassationsbegehren deshalb nicht entsprochen werden, weil offenbar durch den Austritt der Beschwerdeführer der Entscheid der Gemeinde nicht maßgebend beeinflußt worden ist. Die Mehrheit des 29. November zählt 188 Stimmen, die Minderheit zählte . . . . 100 Stimmen, hierzu die Beschwerdeführer . . 26 fl zusammen 126 _ Mehrheit

62 Stimmen.

.,,Das Ergebnis der Abstimmung wäre also auch dann, wenn die Beschwerdeführer an der Verhandlung hätten teilnehmen können, zu gunsten des Antrages der Wasserversorgungskommission ausgefallen."

IV.

Gottfried Hofacher und mit ihm 255 stimmfähige Bürger von Oftringen haben beim Bundesrate mit Eingabe vom 12. März 1904 gegen diese Schlußnahme des Regierungsrates vom 11. Januar 1904 die staatsrechtliche Beschwerde eingereicht und das Gesuch gestellt, es sei die Abstimmung der Gemeinde Oftringen vom 29. November 1903 als ungültig zu erklären unter Aufhebung des regierungsrätlichen Beschlusses vom 11. Januar 1904; es sei ferner der Gemeinderat von Oftringen vorsorglicherweise anzuweisen, bis zur Erledigung der Beschwerde mit der Vollstreckung der Beschlüsse der Gemeindeversammlung zuzuwarten.

Zur Begründung dieser Beschwerde wird vorgebracht: A. Die sämtlichen Beschwerdeführer sind zu Unrecht von der Gemeindeabstimmung vom 29. November 1903 ausgeschlossen worden; die Entziehung des Stimmrechtes bedeutet daher für sie eine schwere Verletzung der verfassungsmäßig garantierten Rechte.

Der Regierungsrat, an dessen Weisung der Gemeinderat gebunden war, hat § 18 des aargauischen Gemeindeorganisationsgesetzes in einer engherzigen Weise interpretiert, die absolut nicht dem Sinne des Gesetzgebers entsprechen kann. § 18 lautet: ,,Wenn bei einer Verhandlung ein Mitglied der Versammlung unmittelbar per-

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sönliches Interesse hat, so ist dasselbe mit seinen Verwandten im Blute oder durch Verheiratung bis und mit dem Grade von Geschwisterkindern bei der Beratung und Abstimmung zum Austritt gehalten."

Die Vorschrift des § 18 ist jedenfalls eine veraltete -- das Gesetz über die Organisation der Gemeinden datiert vom 26. Wintermonat des Jahres 1841 -- und fragt es sich, ob nicht jene Bestimmung des Organisationsgesetzes als aufgehoben zu betrachten ist durch die Staatsverfassung vom 23. April 1885.

Auch heute begreift man indessen sehr wohl, daß es Gründe gibt, die es geboten erscheinen lassen, daß derjenige, welcher ein unmittelbar persönliches Interesse an dem Gegenstand der Beratung und Abstimmung hat, nicht daran teilnehmen soll. Allzuweit geht indessen de lege ferenda der Ausschluss von Verwandten und Verschwägerten bis und mit dem Grade von Geschwisterkindern. Wenn eine die Freiheit des Stimmrechtes beeinträchtigende Bestimmung schon nach ihrem Wortlaut für unser heutiges Empfinden eine zu große Beschränkung bedeutet, so geht es nicht an, sie noch extensiv in der Weise zu interpretieren, daß auch solchen stimmfähigen Bürgern das Stimmrecht im konkreten Fall entzogen wird, " welche bei strikter Interpretation nicht unter diese Ausnahmebestimmung fallen dürfen.

Maßgebend ist dabei die Bedeutung des Ausdruckes ,, u n m i t t e l b a r p e r s ö n l i c h e s I n t e r e s s e " . Die Beschwerdeführer sind aus verschiedenen Gründen nicht zur Abstimmung zugelassen worden. Es lassen sich folgende Gruppen aufstellen : 1. Die G r u p p e der a k t i v e n M i t g l i e d e r der W a s s e r g e n o s s e n s c h a f t . -- Die Gemeinde hatte darüber abzustimmen, ob das der Wassergenossenschaft gehörende Werk dieser Genossenschaft um einen bestimmten Preis von der Gemeinde Übernommen werden soll. Kontrahenten sind auf der einen Seite die Genossenschaft und auf der andern die Gemeinde. Nach den konkreten Verhältnissen kann nun nicht einmal von dem Genossenschafter gesagt werden, daß er am Zustandekommen oder Nichtzustandekommen des Vertrages zwischen den beiden Kontrahenten ein u n m i t t e l b a r persönliches Interesse hat, und zwar aus folgenden Gründen : Die Genossenschaft ist ein selbständiges im Handelsregister eingetragenes Rechtssubjekt mit eigenem Vermögen und gemäß § 8 der Statuten der
Genossenschaft haften die Mitglieder nur insoweit persönlich für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft, als das Genossenschaftsvermögen nicht hinreicht. Im gegebenen Falle war nun zur Zeit der Abstimmung, vor der Abstimmung

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und auch für die Zeit nach der Abstimmung -- wie immer diese ausgefallen wäre -- der Vermögensstatus der Genossenschaft ein derartiger, daß ein Mitglied der Genossenschaft absolut nicht Gefahr lief, persönlich für Verbindlichkeiten der Genossenschaft belangt zu werden. Jedenfalls kann von einem u n m i t t e l b a r persönlichen Interesse der Genossenschafter nicht gesprochen werden, es ist höchstens ein m i t t e l b a r persönliches Interesse da, eben weil nicht der Genossenschafter, sondern die Genossenschaft als Kontrahent auftritt.

Ein unmittelbar persönliches Interesse für den Genossenschafter ist auch deshalb nicht vorhanden, w e i l er nur s u b s i d i ä r h a f t e t , das heißt, nur soweit als die Gläubiger im Gesellschaftskonkurs zu Verlust gekommen sind.

Ganz sicher ist aber, daß die Genossenschafter absolut kein unmittelbar persönliches Interesse haben bezüglich der beiden andern Wasserwerke, desjenigen der Gebrüder Roth und desjenigen von Hüssy, und es war durchaus unzulässig, wegen der Mitgliedschaft bei der Genossenschaft die vielen Genossenschafter von der Verhandlung und Abstimmung über diese beiden andern "Wasserversorgungen auszuschließen.

Die Einwendung ist dabei nicht stichhaltig, daß man nicht getrennt über einzelne Objekte abstimmen könne, weil eben die Gemeinde Oftringen entweder alle drei privaten Wasserversorgungen übernehmen müsse oder keine. Geht man auch von der Annahme aus, daß der Gemeinde Oftringen nur gedient ist mit der Übernahme aller drei Wasserunternehmungen, so hätte sich gleichwohl ein Abstimmungsmodus finden lassen, um die Genossenschafter wenigstens abstimmen zu lassen über die Anlagen der Herren Gebrüder Roth und Hüssy, indessen sie von der Abstimmung über die Übernahme der Wasserversorgung der Genossenschaft ausgeschlossen geblieben wären.

Keineswegs lag von Seiten der Genossenschaft und den Herren Gebrüder Roth und den Herren Hüssy eine einheitliche, unteilbare Offerte vor, so daß aus diesem Grunde einheitlich hätte abgestimmt werden müssen.

2. G r u p p e der V e r w a n d t e n der Genossenschafter. Wenn schon bei den Genossenschaftern das unmittelbar persönliche Interesse bestritten werden muß, so ist dies noch weit mehr der Fall bei den Verwandten der Genossenschafter.

3. G r u p p e der a u s g e t r e t e n e n G e n o s s e n s c h a f t e r .

Hier kann noch weniger von einem unmittelbar persönlichen Interesse gesprochen werden. An einem Gewinn haben sie keinen

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Anspruch, und am Verlust partizipieren sie nur subsidiär nach eingetretenem Konkurse der Genossenschaft und auch nur während zwei Jahren nach dem Austritt aus der Genossenschaft. Wo aber, das u n m i t t e l b a r persönliche Interesse seinsoll, ist unerfindlich.

4. Gruppe der V e r w a n d t e n der a u s g e t r e t e n e n G e n o s s e n s c h a f t e r . So wenig als die ausgetretenen Genossenschafter selbst unmittelbar persönliche Interessen haben und deshalb von der Abstimmung zurückgewiesen werden dürfen, so wenig haben es deren Verwandte, und daß diese nicht einmal über die Offerten der Gebrüder Roth und Hüssy abstimmen dürfen, ·widerspricht jeder veroiinftigen Erwägung.

B. Die B e g r ü n d u n g , w e l c h e der R e g i e r u n g s r a t i n s e i n e m a b w e i c h e n d e n E n t s c h e i d v o m 11. J a n u a r 1904 gibt, tritt auf die einzelnen Beschwerdepunkte gar nicht näher ein. Was die Frage des unmittelbar persönlichen Interesses der bereits ausgetretenen Mitglieder betrifft, so wird diese Frage rein formell abgetan, ohne daß die konkreten guten finanziellen Verhältnisse der Wasserversorgungsgenossenschaft in Betracht gezogen werden, nach welchen es ausgeschlossen erscheint, daß die ausgetretenen Mitglieder irgendwie für die Schulden der Genossenschaft belangt werden.

Durchaus unstichhaltig ist der weitere Abweisungsgrund, wonach die Regierung des Kantons Aargau auf die Beschwerde nicht eintritt, weil ,, o f f e n b a r d u r c h den A u s t r i t t der Beschwerdeführer der Entscheid der Gemeinde nicht m a ß g e b e n d b e e i n f l u ß t w o r d e n sei". Richtig ist allerdings, daß, wenn nur die Beschwerdeführer allein in Betracht gezogen werden, rechnungsmäßig das Ergebnis der Abstimmung ebenfalls zu gunsten der Annahme aller drei Offerten geführt hätte. Dieser Abweisungsgrund ist aber aus folgenden Gründen unstichhaltig : Nicht nur die 26 Beschwerdeführer sind von der Abstimmung ausgeschlossen worden, sondern insgesamt 312 stimmfähige Bürger, während die Zahl der Stimmfähigen der Gemeinde Oftringen überhaupt insgesamt 649 beträgt. Wären die Beschwerdeführer prinzipiell auch bei der angefochtenen Abstimmung zugelassen worden, so hätte man auch alle andern, im gleichen Verhältnis stehenden, aber von der Abstimmung ausgeschlossenen Bürger zur betreffenden Abstimmung
zulassen müssen ; das wären insgesamt weit mehr als 100 Bürger gewesen.

Sodann fällt weiter in Betracht, daß die ausgeschlossenen Bürger im Falle der Zulassung nicht nur durch ihre Stimm-

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Endlich ist auch noch die Behauptung des Regieruogsrates zurückzuweisen, die Beschwerden seien verspätet eingegangen.

Das ist nicht richtig, denn erst am 19. November 1903 wurde durch die Publikation des Gemeinderates den Bürgern eine mit dem 25. November zu Ende gehende Frist zur Einsprache gegen das Stimmregister angesetzt. Vor Ablauf der Frist, am 24. November, wurden die Beschwerden eingereicht und am 27. November wurden sie vom Gemeinderat abweisend beschieden, worauf am 29. November die Abstimmung stattfand. Nach dem allgemeinen Wahlgesetz des Kantons Aargau, § 78, in Verbindung mit § 84, sind Einsprüche gegen Wahlverhandlungen und Abstimmungen binnen sechs Tagen von der Verhandlung an, dem Bezirksamt einzureichen. Nach dem beiliegenden Empfangsschein sind die Beschwerden am 5. Dezember 1903, also rechtzeitig, dem Bezirksamt zu Händen der Regierung eingegeben worden.

Es fällt bei dem Traktandum der Wasserversorgung durch die Gemeinde auch in Betracht, daß für die Genossenschafter und deren Verwandte das persönliche Interesse auf der einen Seite, welches sie zu gunsten der Genossenschaft bestimmen könnte, auf der andern Seite aufgehoben wird durch das Interesse, welches dieselben Personen als Gemeindebürger am Zustandekommen der kommunalen Wasserversorgung haben.

C. Die v i e r t e B e s c h w e r d e , welche vom Regierungsrat zurückgewiesen worden ist, ist besonderer Natur. Sie zeigt deutlich, daß Verhandlung und Abstimmung in höchst ungeordneter, dem Wahlgesetz widerstrebender Weise, vor sich gegangen sind.

Folgende einzelne Beschwerdepunkte sind zu nennen: 1. Das Bureau wurde ungenügend bestellt zufolge U n t e r l a s s u n g der W a h l e i n e s V i z e p r ä s i d e n t e n . Das gibt der Regierungsrat zu, er meint aber, der Verlauf der Verhandlung habe die Entbehrlichkeit dieses Organs bewiesen. Diese Behauptung widerspricht den Tatsachen, indem eben die ganze Gemeindeversammlung sehr stürmisch verlief, was aus der Beschwerdeentscheidung des Regierungsrates selbst deutlich genug hervorgeht.

2. Einem R e d n e r der Opposition, Herrn H u b e l i , w u r d e v o n selten d e s P r ä s i d e n t e n d a s W o r t n i c h t e r t e i l t , obwohl Herr Hubeli das Wort verschiedene Male verlangt hatte.

3. Über die Abstimmung selbst wurde keine sorgfältige Kontrolle ausgeübt, indem beim Einsammeln der Stimmzettel nicht

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darauf gesehen wurde, ob der Abgeber des Stimmzettels stimmberechtigt sei oder nicht. Nach einer nachträglichen Untersuchung des Gemeinderates hat sich nun herausgestellt, daß d i e Z a h l der a bgegebenen Stimmen d i e Z a h l der eingelegten A u s w e i s k a r t e n um 10 o d e r 13 ü b e r s c h r e i t e t . Die Beschwerdeführer berufen sich dafür auf einen Bericht des Gemeinderates von Oftringen. Der Gemeinderat hat nämlich eine besondere Untersuchung des Abstimmungsresultates vorgenommen, und durch diese Untersuchung wurde die gerügte Unregelmäßigkeit entdeckt.

4. Die betreffende Gemeindeversammlung hat abgestimmt über ein besonderes Traktandum, an welchem auch bei extensivster Interpretation von § 18 leg. cit. die von den übrigen Traktanden ausgeschlossenen Burger kein persönliches Interesse haben und gleichwohl wurden diese Bürger gehindert, sich an der Beratung und Abstimmung über diesen Gegenstand zu beteiligen. Es handelte sich darum, ob eine von der Familie Lang unter gewissen Bedingungen offerierte Schenkung von Fr. 2500 an die Gemeinde Oftringen anzunehmen sei oder nicht. Diese. Schenkung ist angenommen worden. Würde es sich um eine vorbehaltlose Schenkung handeln, so hätten auch die ausgeschlossenen Bürger keinen Grund, sich über den Ausschluß von der Abstimmung über die Annahme dieser Schenkung zu beschweren. Nun aber war an diese Schenkung die Bedingung geknüpft, daß bei der Übernahme der Wasserversorgung die Hüssysche Anlage zum Preise von Fr. 24,000 übernommen werdeu müßte. Dieses Geschenk sollte die Bürger über die exorbitante Höhe des Kaufpreises der Hüssysehen Anlage hinwegtäuschen. Tatsächlich hat dann auch die Gemeindeversammlung für diese eine Anlage einen Kaufpreis bewilligt, welcher den ausgeschlossenen stimmfähigen Bürgern zu hoch erscheint.

Schon dieser eine Beschwerdegrund sollte hinreichen, um die ganze Abstimmung der Gemeindeversammlung vom 29. November ungültig erklären zu lassen.

D. Die angefochtene Abstimmung der Gemeinde Oftringen ist aber aus einem weitern Grunde ungültig. Die Gemeinde hat eine Offerte angenommen, welche gar nicht gemacht worden ist.

Die Herren Gebrüder Roth als Eigentümer einer der drei von der Gemeinde zu erwerbenden Wasserversorgungsanstalten haben in zwei Eingaben an den Gemeinderat Oftringen und an das Bezirksamt Zofingen gegen den
betreffenden Beschluß protestiert, da der betreffende Ankauf ihrer Anlage beschlossen worden sei unter Bedingungen, mit welchen sie nie einverstanden gewesen seien.

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V.

Der Bundesrat hat die Regierung des Kantons Aargau zur Vernehmlassung auf die Beschwerde sowie auf das Gesuch um Erlaß einer provisorischen Verfügung eingeladen. Die Regierung teilte hierauf mit, daß sie die Vollziehung der Gemeindebeschlttsse vom 29. November 1903 von sich aus sistiert habe; Ober die Hauptsache sprach sie sich in zwei Zuschriften an den Bundesrat vom 18. April und 6./10. Mai 1904 folgendermaßen aus: A. Aus den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 geht hervor, daß der Bundesrat zur Beurteilung von Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung und kantonale Wahlen nur berechtigt ist, wenn entweder das kantonale Verfassungsrecht oder eine Bestimmung des Bundesrechtes verletzt ist ; sodann, daß nur die politische Stimmberechtigung überhaupt und nicht Ausschlüsse der einzelnen Stimmberechtigten im einzelnen Fall aus Gründen, welche die politische Stimmberechtigung an und für sich nicht antasten, für den Entscheid des Bundesrates in Betracht kommen können.

Die politische Stimmberechtigung der Rekurrenten wird nun durch die Maßnahme der aargauischen Regierung in keiner Weise angetastet, die Rekurrenten sind vielmehr wegen ihrer persönlichen Beteiligung, ihrem persönlichen Interesse bei einer einzelnen Abstimmung von der Teilnahme an derselben ausgeschlossen worden. Es ist auch in Wirklichkeit die Bestimmung des § 18 des Gemeindeorganisationsgesetzes nicht eine solche, welche eine prinzipielle Verneinung des Stimmrechtes der von ihr Betroffenen in sich schlösse; dieselbe ist vielmehr in ihrer ganzen Tendenz dazu bestimmt, der politischen Stimmberechtigung die richtigen Wege im Sinne des Gemeindewohles zu weisen.

Ebenso unrichtig ist es, daß die Bestätigung der GemeindeAbstimmung durch die Regierung kantonales Verfassungsrecht oder Bundesrecht verletzte. Die Rekurrenten beklagen sich in erster Linie über die zu engherzige Auslegung eines kantonalen Gesetzes; dies kann aber offenbar der Beurteilung des Bundesrates nicht unterstellt sein, wenn nicht das Gesetz selbst in seinem Prinzip den Verfassungsbestimmungen des Kantons oder des Bundes widerspricht. Nun enthält zwar die aargauisehe Verfassung und das Bundesrecht keine Bestimmung darüber, in welchen Fällen der stimmberechtigte Bürger sein Stimmreeht nicht ausüben
dürfe ; allein es ist eine Auffassung allgemeinen Rechtes, daß persönlich Beteiligte an einer Abstimmung nicht teilnehmen dürfen, bei denen ihre eigenen Interessen oder diejenigen naher Anver-

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wandter in Frage sind. Man kann aus diesem Grunde auch nicht sagen, daß eine Vorschrift, welche diesen Gedanken zum Ausdruck bringt, eine veraltete sei; es ist diesfalls nur auf Art. 5 der aargauischen Verfassung zu verweisen, nach welchem Verwandte oder Verschwägerte bis und mit dem Grade von Geschwisterkindern nicht Mitglieder der gleichen Behörde sein dürfen, und auf Art. 3 des Bundesbeschlusses vom 21. August 1878, wonach ein ähnlicher Ausschluß in der Organisation des Bundesrates, seiner Departemente und Kanzleien besteht.

Am allerwenigsten kann endlich der Bundesrat überprüfen, ob es an der Gemeindeversammlung vom 29. November 1903 so zugegangen sei, daß aus der behaupteten Unordnung in Verhandlung und Abstimmung eine Verletzung des Wahlgesetzes entstanden sei 5 die gegnerische Darstellung zeigt selbst, daß es sich hier nicht um eine Verfassungsverletzung, sondern um Nichtbeachtung angeblicher kantonaler Gesetzes Vorschriften handelt.

Auch wegen Verspätung kann der Bundesrat auf die Beschwerde nicht eintreten, da nach den Bestimmungen des Organisationsgesetzes eine Beschwerde binnen 60 Tagen, von der Eröffnung oder Mitteilung der Verfügung oder des Erlasses an gerechnet, schriftlich einzureichen ist. Nun richtet sich die Beschwerde in Wirklichkeit gar nicht gegen die Entziehung des Stimmrechtes durch den aargauischen Regierungsrat. Der Regierungsrat traf die Verfügung, die hier in Wirklichkeit angefochten wird, schon am 1. Mai 1903 und wiederholte dieselbe am 2. November 1903; in diesen beiden Schlußnahmen sind alle diejenigen gemäß § 18 des Gemeindeorganisationsgesetzes zum Austritt verhalten, die tatsächlich bei der Verhandlung vom 29. November 1903 bei Behandlung des betreffenden Gegenstandes zum Austritt gezwungen wurden. Die betreffende Verfügung wurde den Stimmberechtigten schon vor, oder doch an der Einwohnergemeindeversammlung vom 21. Juni 1903 eröffnet, und in dieser Gemeinde wurde der § 18 nach Mitgabe der regierungsrätlichen Verfügung vom 1. Mai 1903 gehandhabt, wenn auch, wie sich nachträglich ergab, nicht in der vom Regierungsrat angeordneten Art und Weise. Da also die Austrittsverfügung des Regierungsrates zweifellos den Beschwerdeführern spätestens am 21. Juni 1903 eröffnet worden ist, so hätten die Rekurrenten innert 60 Tagen von jenem Zeitpunkt an an den Bundesrat rekurrieren
sollen; da sie dies nicht getan haben, so ist ihr Rekurs verspätet. Der Umstand, daß die Rekurrenten nun die regierungsrätliche Schlußnahtne vom 11. Januar 1904 anfechten, vermag hieran nichts zu ändern.

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Es kommt zwar beim Entscheide des Bundesrates über die Beschwerde nicht darauf an, ob der Rekurrehten und Vollmachtgeber etwas mehr oder weniger seien; der Regierungsrat will aber nicht unterlassen, hinsichtlich der Legitimation der Rekurrenten zu bemerken, daß wie sich aus den beigelegten Akten ergibt, 3 derselben die Erklärung abgaben, daß sie zur Unterschrift der Vollmacht betreffend Beschwerdeführung durch die Angabe bewogen worden seien, es sei an der betreffenden Gemeindeversammlung betrogen worden und die gegnerische Partei habe sich Stimmen erkauft ; daß ferner 37 Gemeindebürger ihre Unterschrift zur Vollmacht wesentlich aus dem Grunde gaben, weil man ihnen vorspiegelte, durch die Einrichtung der Wasserversorgung werde die Polizeisteuer erhöht.

B. In materieller Beziehung ist neben dem in den frühern Beschlüssen Gesagten noch folgendes anzuführen.

Es ist allerdings richtig, daß 312 stimmfähige Bürger auf Grund dés § 18 des Gemeinde-Organisationsgesetzes bei der Behandlung der Wasserversorgungsfrage in der Gemeindeabstimmung vom 29. November 1903 ausgeschlossen wurden, und daß .diese 312 an der Abstimmung auch tatsächlich nicht teilgenommen haben.

Ob nun die Mitglieder der Genossenschaft oder ausgetretene Mitglieder einer solchen an einer Schlußnahme ein unmittelbares persönliches Interesse haben, das beurteilt sich nach folgenden Gesichtspunkten : a. Nach den Statuten der Wasserversorguogsgenossenschaft haften die Mitglieder der Genossenschaft persönlich und solidarisch für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft, sofern das Genossenschaftsvermögen nicht hinreicht. Dieselben haben somit ein persönliches Interesse daran, daß die Übernahme der Wasserversorgung in einer Art und Weise geschieht, daß sie keine Zahlung mehr zu machen haben; dieses Interesse ist trotz der nur subsidiären Haftung doch ein unmittelbares, ebenso wie ein unmittelbares Interesse beim Bürgen vorhanden wäre, wenn über seine Entlassung aus einer Bürgschaft abgestimmt werden sollte.

b. Nach Art. 691 und 693 S. 0. R. haften ausgetretene Genossenschafter noch zwei Jahre für die Verbindlichkeit der Genossenschaft, resp., wenn die Genossenschaft innert zwei Jahren in Konkurs gerät, noch ein Jahr über die Beendigung des Konkurses hinaus; die Rekursbeschwerde behauptet nirgends, daß bezüglich irgend eines der ausgetretenen Genossenschafter diese Fristen abgelaufen und daher einer von ihnen von seiner subsidiären Haftung befreit gewesen sei.

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Das persönliche Interesse war um so größer, als nach den vorliegenden Akten-zwischen der Wasserversorgungsgenossenschaft und den Gebrüdern Roth ein Konkurrenzkampf entbrannt war, dessen Resultat nicht abzusehen und welcher jedenfalls gerade für die Wassergenossenschaft noch große Opfer gefordert hätte. Mögen daher die finanziellen Verhältnisse der Wassergenossensohaft im Momente auch gute sein, so schließen dieselben fUr die Zukunft eine Gefahr für die Genossenschafter nicht aus, und zwar um so weniger, als auf Veranlassung der Gebrüder Roth bereits ein Massenaustritt der Genossenschafter (39) stattgefunden hat. Es ist zu befürchten, daß es den Gebrüdern Roth gelinge, noch weitere Genossenschafter zum Austritt zu veranlassen und in dieser Weise die Genossenschaft in kürzester Zeit zu ruinieren. Es ist bei dieser Sachlage geradezu merkwürdig, daß Mitglieder der Wassergenossenschaft gegen die Schlußnahme der Gemeinde ankämpfen, welche den Interessen der Wassergenossenschaft entspricht, und welche die Genossen und die gewesenen Genossen von ihrer subsidiären Haftbarkeit zu befreien geeignet ist.

c. Gegenüber der Bestimmung des § 8 der Statuten der Genossenschaft verschlägt es nichts, dp,ß die Genossenschaft, weil eingetragen, eine juristische Person ist und daß die Genossenschafter nur subsidiär haften ; auch die Entlastung von einer subsidiären Haftbarkeit liegt zweifellos im unmittelbaren persönlichen Interesse des Entlassenen.

Das unmittelbare persönliche Interesse besteht auch bei Behandlung der Verträge bezüglich der beiden andern Wasserwerke.

Wenn der Gemeinde Oftringen nur mit der Übernahme aller drei Wasserwerke gedient ist, wie die Beschwerde voraussetzt, so hängt eben die Annahme des Kaufantrages des einen Wasserwerks an der Annahme des andern und so liegt es im unmittelbaren Interesse der Interessenten am einen, daß auch das andere angenommen werde. Es ist übrigens gegenüber der Rekursdarstellung vorab noch darauf aufmerksam zu machen, daß ein Antrag auf getrennte Abstimmung über die einzelnen Teile, aus der die Gemeindewasserversorgung zusammengesetzt werden soll, nie gestellt wurde. Nehmen wir aber auch an, es wäre die Abstimmung über die einzelnen Teile angeordnet worden, so mußten die Mitglieder der Wassergenossenschaft nicht bloß bei der Frage der Übernahme ihrer Wasserversorgung,
sondern auch bei der Frage des Ankaufes der Hüssy-Zürcherschen Anlage den Austritt nehmen, weil die Wassergenossenschaft an ihre Offerte die Bedingung geknüpft hatte, daß auch die Hüssysche Anlage in die Gemeindewasserversorgung einbezogen werde. Die Gebrüder Roth und ihre Verwandten aber (kaum 10 au der Zahl) kamen sowohl bei der

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Frage der eigenen Wasserabgabe, als bei derjenigen des Ankaufs der Wasserversorgung der Genossenschaft in Austritt, bei letzterer, weil Gebrüder Roth als ausgetretene Wassergenossen unmittelbar interessiert waren.

d. Was endlich die Verwandten der Genossen und ausgetretenen Genossenschafter anbetrifft, so ist das Gesetz, welches das unmittelbare Interesse dieser voraussetzt, so deutlich, daß darüber kein Wort mehr verloren zu werden braucht.

Der Versuch der Beschwerdeführer, die Sache so aufzufassen, daß durch das allgemeine Interesse das persönliche Interesse des abstimmenden Bürgers gewissermaßen aufgewogen und ausgeglichen werde, widerspricht der Auffassung des Gesetzes.

Ob ein Vizepräsident gewählt wurde, der nicht zum Funktionieren gekommen ist, ob ein Redner nicht zum Worte gekommen, das kann doch eine Verfassungsverletzung, wie sie vom Bundesrat einzig zu prüfen ist, nicht begründen. Es ändert dies jedenfalls auch am Resultate der Gemeindeabstimmung nichts.

Die Unregelmäßigkeiten, die im übrigen vorgekommen sein aollen, werden in dem Berichte des Bureaus vom 19. Dezember 1903 des bestimmtesten bestritten. Dieser Bericht kann nicht durch ein Protokoll widerlegt werden, welches zwei Mitglieder des Gemeinderates zwei Tage nach der Gemeinde über die Ausweiskarten im Abstimmungslokale zu Lauterbach aufgenommen haben, denn es kann ja ohne Beisein des Bureaus nicht festgestellt werden, ob die betreffenden Karten noch so beieinander sich befanden, wie sie am 29. November 1903 gezählt und ausgeschieden worden sind. Dazu kömmt aber noch, daß auf Veranlassung der im Austritt befindlichen Mitglieder des Gemeinderates das Bezirksamt Zofingen Ausweis- und Stimmkarten ebenfalls untersuchte und eine irgendwie erhebliche Differenz nicht fand.

Wenn endlich das Geschenk der Familie Lang auch ein bedingtes war, so konnte es doch nicht geeignet sein, die Versammlung über den Preis der Hüssyschen Anlage irgendwie zu täuschen. Dieser Preis ist ja deutlieh auf Fr. 24,000 bestimmt worden. Jeder Stimmberechtigte konnte also ausrechnen, daß der Preis durch eine Schenkung von Fr. 2500 auf Fr. 21,500 reduziert werde. So viel Einsicht wird man doch den Bürgern von Oftringen noch zutrauen und nicht annehmen, dieselben können durch ein solches Rechenexempel getäuscht werden. Diese Schenkung aber stand ebenfalls im
direkten Zusammenhange mit dem ganzen Projekte und konnte daher nur von denjenigen entgegengenommen werden, die sich über das Ganze auszusprechen hatten.

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. IV.

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686 Gerade die Verweigerung dieses Geschenkes konnte ja die ganze Schlußnahme gefährden, die Anlage Hilssy einer Mehrheit zu teuer erscheinen lassen.

Die Einwendung endlich, die Gebrüder Roth hätten in Wirklichkeit diejenige Offerte nicht gemacht, welche von der Gemeinde akzeptiert worden, kann unter keinen Umständen die Schlußnahme der Gemeinde ungültig machen. Die Gemeindegchlußnahme hat den Sinn, daß die Wasserversorgung der Genossenschaft und diejenige von Hüssy gekauft sind, daß dagegen die Schlußnahme bezüglich des Wasserankaufs von Gebrüder Roth nur eine Gegenofferte an die Gebrüder Roth ist; die Zukunft wird zeigen, ob dieselben die Offerte annehmen oder nicht.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Durch die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde, die beim Bundesrate am 12. März 1904 anhängig gemacht worden ist, wird die Aufhebung eines Beschlusses des Regierungsrates des Kantons Aargau vom 11. Januar 1904, und damit die Aufhebung einer Abstimmung der Einwohnergemeinde von Oftringen im Kanton Aargau vom 29. November 1903 verlangt, in welch letzterer die Gemeinde unter gewissen Bedingungen die Übernahme der Wasserversorgung beschlossen hatte.

Die Beschwerdegründe sind : es sei 312 Bürgern von Oftringen durch eine extensive Interpretation des aargauischen Gemeindeorganisationsgesetzes vom 26. Wintermonat 1841 bei jener Gemeindeabstimmung das Stimmrecht entzogen worden; es hätten zur Wahrung des Stimmrechtes statt einer einzigen Abstimmung mehrere Abstimmungen (insbesondere über die Frage der Annahme des Geschenkes einer Familie Lang) angeordnet werden sollen ; es seien Verhandlung und Abstimmung bei der Gemeinde vom 29. November 1903 in höchst ungeordneter, dem Wahlgesetz widersprechender Weise (Unterlassung der Wahl eines.

Vizepräsidenten, Verweigerung des Wortes an einen Stimmberechtigten vor der Abstimmung) vor sich gegangen ; es habe die Zahl der abgegebenen Stimmkarten die Zahl der eingelegten Ausweiskarten um 10 oder 13 überschritten, und es habe endlich die Gemeinde in dem genannten Beschluß eine Offerte angenommen, die ihr gar nie gemacht worden sei.

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L Es ist in erster Linie die von der aargauischen Regierung erhobene Einrede dei mangelnden ,,Legitimation" der Beschwerdeführer zu prüfen.

Die Regierung hat mit dieser Einrede die Unterschriften eines Teiles der Bürger, welche Vollmacht zur Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde beim Bundesrat gegeben haben, bemängelt, weil diese Bürger ihre Unterschrift aus bestimmten, auf der Vollmacht niedergeschriebenen Gründen (aus Furcht vor Erhöhung der Polizeisteuern, wegen angeblich vorgekommener Wahlbetrügereien u. s. w.) gegeben hätten, und diese Beweggründe auf Irrtum beruhen. Es steht aber fest, und das ist das einzig wesentliche in der Sache, daß die Personen, deren Unterschrift angefochten wird, diese Unterschrift wirklich gegeben und damit den Willen ausgesprochen haben, daß durch ihren Bevollmächtigten Beschwerde geführt werde. Welche Gründe sie zu dieser Willenserklärung veranlaßt haben, ist für die Rechtsbeständigkeit der Vollmachterteilung unwesentlich. Es kann deshalb nicht Sache des Bundesrates sein, zu untersuchen, welches, neben den vor der Rekursinstanz behaupteten Beschwerdegründen die persönlichen Motive eines Beschwerdeführers waren, die ihn zur Erhebung der Beschwerde veranlaßt haben, und ob diese Motive irrige waren oder nicht. Auch von einem Rückzug der Beschwerde durch jene Bürger kann so lange nicht gesprochen werden, als nicht der einzelne Beschwerdeführer den Rückzug seiner eingelegten Unterschrift ausdrücklich erklärt hat.

Ebenso kann der Einwendung des Regierungsrates nicht beigetreten werden,, wonach nur die politische Stimmberechtigung überhaupt und nicht der Ausschluß des einzelnen Stimmberechtigten im einzelnen aus Gründen, welche mit dem politischen Stimmrecht nicht im Zusammenhang stünden, für den Entscheid des Bundesrates in Betracht kommen können. Sobald ein Bürger behauptet, daß er in verfassungswidriger Weise vom politischen Stimmrecht ausgeschlossen worden sei, ist der Grund zu einem staatsrechtlichen Rekurse gegeben.

U.

Gegenüber dem ersten Beschwerdegrund, den Ausschluß von 312 Bürgern von der Gemeindeabstimmung vom 29. November 1903 betreffend, hat die Regierung sodann die Einrede der Verspätung geltend gemacht, weil die Verfügung, durch welche der Ausschluß jener Bürger angeordnet worden, schon am 1. Mai 1903

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und 2. November 1903 vom Regierungsrat beschlossen worden sei, und diese Beschlüsse den Stimmberechtigten spätestens bei der Gemeindeversammlung und -abstimmung vom 21. Juni 1903, respektive vom 29. November 1903 bekannt geworden seien.

Diese Einrede ist begründet. Es ist durch die ins Recht gelegten Akten festgestellt, daß die Regierung des Kantons Aargau bereits in der Schlußnahme vom 1. Mai 1903 von der Abstimmung über die Wasserversorgungsfrage ausgeschlossen hat: ,,sämtliche Genossenschafter und alle diejenigen, die mit einem Genossenschafter in ausschließendem Grade verwandt sind (§18 des Gemeindeorganisationsgesetzes), sowie diejenigen Genossenschafter, die ungefähr vor Jahresfrist aus der Genossenschaft ausgetreten, aber gemäß Statuten und Obligationenrecht immer noch haftbar sindtt, und daß im Beschluß vom 2. November 1903 in die Kategorie der Ausgeschlossenen noch ,,die Verwandten der ausgetretenen Genossenschafter"1 einbezogen worden sind. Da nun der erste Beschluß den Gemeindebürgern in amtlicher Form, und der Voraussetzung des Art. 178, Ziffer 3, des Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege entsprechend, spätestens an der Gemeindeversammlung vom 2. Juni, der zweite Beschluß an der demselben folgenden Gemeindeversammlung vom 29. November 1903 eröffnet worden ist, so lief die Frist zur Anfechtung der ersten Verfügung beim Bundesrat spätestens am 1. August 1903, die Frist zur Anfechtung der zweiten Verfügung am 28. Januar 1904 ab (Art. 178, Ziffer l, leg. cit.). Soweit die heutige Rekurseingabe vom 12. März 1904 die beiden Ausschließungsmaßnahmen der Regierung zum Gegenstaude der Beschwerde macht, kann also auf dieselbe nicht eingetreten werden.

Allerdings haben einzelne Beschwerdeführer, und unter ihnen auch Gottfried Hofacher, beim Gemeinderat gegen das von demselben auf Grund der Anweisung der zitierten Regierungsratsbeschlüsse ausgefertigte Register der bei der Wasserversorgungsfrage Stimmberechtigten Beschwerde erhoben, und nach Abweisung durch den Gemeinderat die Beschwerde an den Regierungsrat weitergezogen : damit glauben die Rekurrenten, ihr Rekursrecht an den Bundesrat hinsichtlich des in Frage stehenden Streitpunktes gewahrt zu haben. Es ergibt sich aber, daß diese Beschwerde nicht aus dem Grunde erhoben worden war, weil der Gemeindernt die Regierungsratsbeschlüsse
vom 1. Mai und 2. November 1903 falsch angewendet hätte, weil er etwa Bürger, die nicht Genossenschafter waren, oder die bereits vor Jahren aus der Genossenschaft ausgetreten waren, noch als haftpflichtige Genossenschafter ausgeschlossen hätte, oder weil er etwa solche, die in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis zu den heutigen oder ge-

689 wesenen Genossenschaftern stunden, als Verwandte bezeichnet hätte. Es ist vielmehr aus der heutigen Rekursschrift an den Bundesrat zu entnehmen, daß die Beschwerdeführer zugaben, ,,mit einzelnen Genossenschaftern verwandt zu sein", und vom Regierungsrat Zurückkommen .auf seine Entscheidung vom 2. November 1903, respektive 1. Mai 1903, und einen andern Modus der Abstimmung begehrten. Ihrer Natur nach kennzeichnete sich diese ,,Beschwerde" sonach entweder als eia Wiedererwägungsgesuch an den Regierungsrat, und dann brauchte die Regierung auf dasselbe nicht einzutreten, oder aber, sie war ein Rekurs gegen die Auflage der Stimmregister durch die Gemeinde, und dann war sie nach den kantonalen Vorschriften über das Rekursverfahren, wie der Regierungsrat sich in seinem Entscheid vom 11. Januar 1904 ausdrückt, verspätet; in beiden Fällen aber wurde die Frist zur Anhebung der staatsrechtlichen Beschwerde beim Bundesrat nicht unterbrochen.

Wenn übrigens der Rekurs auch rechtzeitig eingereicht worden wäre, so hätte der Bundesrat auf den ersten Beschwerdepunkt wegen Inkompetenz nicht eintreten können, da die 312 Bürger von der Abstimmung vom 29. November 1903 nicht auf Grund einer Bestimmung der Verfassung des Kantons Aargau, sondern der Bestimmung des aargauischen Gemeindeorganisationsgesetzes (§ 18) ausgeschlossen wurden, und auch nirgends Willkür oder Ungleichheit bei der Interpretation dieses Gesetzes behauptet wird.

in.

Mit dem ersten Beschwerdepunkt fällt aus dem gleichen Grunde der Verspätung der zweite, wonach die Vorlage der Gemeindeabstimmung hätte zerlegt und mehrere Abstimmungen an Statt einer einzigen hätten angeordnet werden sollen. Die Beschwerde ist verspätet, da die einheitliche Abstimmung über die Wasserversorgungsvorlage -- und hierzu gehört nach den Ausführungen des Regierungsrates unbedingt auch die Abstimmung über die Annahme oder Verwerfung der Langschen Offerte -- bereits in den Regierungsratsbeschlüssen vom 1. Mai 1903 und 2. November 1903 angeordnet war, somit gegen diese Erlasse hätte rekurriert werden sollen.

IV.

Gegenüber den beiden weitern Beschwerdepunkten, es sei bei der Gemeindeabstimmung vom 29. November 1903 die Be-

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Stellung eines Vizepräsidenten unterlassen worden, und es sei einem ' stimmberechtigten Bürger vor der Abstimmung trotz wiederholten Verlangens das Wort verweigert worden, ist zu bemerken, daß die Rekurrenten selbst diese Tatsache als Verletzung des Wahlgesetzes bezeichnen.

Wenn damit die Inkompetenz des Bundesrates gegeben ist (siehe Ziffer III hiervor), so bliebe immer noch zu untersuchen, ob die angeblich aus dem Mangel eines Vizepräsidiums entstandene U n o r d n u n g bei der Gemeindeabstimmung Grund zum Einschreiten der Rekursbehörde geben könnte. Dies ist aber nicht der Fall, da die Behauptung der Unordnung mit Ausnahme der unter Ziffer V zu behandelnden Tatsache mit nichts belegt wird, und eine Beeinträchtigung der Stimmfreiheit nicht einmal behauptet wird.

V.

Gegenüber der Behauptung der Beschwerdeführer, daß die Zahl der bei der Gemeindeabstimmung abgegebenen Stimmkarten die Zahl der eingelegten Ausweiskarten um 10 oder 13 überschritten habe, hat die Regierung eingewendet, eine amtliche Untersuchung ergebe, daß eine nennenswerte Differenz nicht bestanden habe. Wenn aber die von den Rekurrenten angegebene Zahl auch den Tatsachen entspräche, so könnten dieselben doch keinen Grund für die Kassation der Gemeindeabstimmung abgeben, da die Differenz zwischen den annehmenden und verwerfenden Stimmen am 29. November 1903 88 Stimmen betrug, der behauptete Fehler also, auch wenn man alle überzähligen Stimmen von den annehmenden abziehen würde, für das Abstimmungsresultat ohne Belang wäre.

VI.

Der letzte Beschwerdepunkt endlich, die Gemeinde habe eine Offerte angenommen, die ihr gar nie gemacht worden sei, bezieht sich auf die zivilrechtliche Folge der Abstimmung vom 29. November 1903; zur Prüfung dieser Verhältnisse ist aber der Bundesrat nicht zuständig.

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Demnach wird e r k a n n t : Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

B e r n , den 5. Juli 1904.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluß über die Beschwerde von Gottfried Hofacher und Konsorten, gegen den Regierungsrat des Kantons Aargau, wegen Kassierung der Abstimmung der Einwohnergemeinde Oftringen über die Gemeindewasserversorgung. (Vom 5. Juli 1904.)

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1904

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4

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27

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

06.07.1904

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668-691

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10 021 061

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