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Bericht des

Bundesrates an die Kommission des Nationalrates betreffend die Gesuche der Kantone Aargau und Zürich um Erlaß der sogenannten Nationalbahngarantieschuld.

(Vom 17. Mai 1904.)

Tit.

Mittelst Zuschrift vom 23. August 1903 hat uns Ihr Herr Präsident ersucht, uns über die Broschüre des Herrn Nationalrat R. Suter ,,Bin Wort zur Aufklärung über die NationalbahnFrage", sowie über das von Herrn Professor Kinkelin im Auftrag der aargauischen Regierung erstattete Gutachten betreffend die Nationalbahn-Garantieschuld auszusprechen. Indem wir diesem Gesuche nachkommen, benützen wir den Anlaß, Ihnen auch die neueste Kundgebung in dieser Angelegenheit, nämlich eine Eingabe der aargauischen Mitglieder der Bundesversammlung und der Gemeinderäte von Baden, Lenzburg und Zofingen, vom 29. Dezember 1903, mit unserer Vernehmlassung zuzustellen.

I.

Was die z w e i t e B r o s c h ü r e des H e r r n S u t e r betrifft, so konstatieren wir zunächst mit Genugtuung, daß die Behauptung, der Bund habe mit der Erwerbung der ehemaligen Nationalbahnlinien von der Nordostbahn ein gutes Geschäft ge-

580 macht, das ihm erlaube, die Garantieschuld zu erlassen, nicht mehr aufrecht erhalten, sondern daß anerkannt wird, unsere ablehnende Haltung müsse ,,vom praktischen Geschäftsstandpunkt aus" gebilligt werden. Auf einen andern Standpunkt darf man sich aber unseres Brachtens nicht stellen, da man sonst zu Konsequenzen käme, die von jedem unparteiischen Beurteiler als unannehmbar bezeichnet werden müßten.

Herr Nationalrat Suter versucht in der zweiten Broschüre nachzuweisen, der Bundesrat habe die Garantiestädte dadurch dem Verderben preisgegeben (vgl. pag. 42), daß er die Bewilligung zur Inangriffnahme der Obligationsgelder erteilte, obschon der Finanzausweis nicht geleistet war. Wenngleich dieser Vorwurf kein Mitglied des gegenwärtigen Bundesrates trifft, finden wir uns doch veranlaßt, ihn als unbegründet zurückzuweisen.

Der Art. 27 der Verordnung zum Eisenbahngesetz vom 1. Februar 1875, der durch den Beschluß des Bundesrates betreffend die Ergänzung des Finanzausweises der Nationalbahn vom 25. Juli 1876 verletzt worden sein soll, lautet folgendermaßen : ,,Wird das Unternehmen von einer Aktiengesellschaft ausgeführt, so hat dieselbe, insofern nicht die Totalsumme durch Aktien oder diesen gleichkommende Werte gedeckt wird, den über die Aktienzeichnung u. s. w. hinaus restierenden Betrag auszuweisen durch bindende Zusicherungen von Gemeinwesen, Gesellschaften oder Privaten, denselben zum Bau und zur betrieblichen Ausrüstung der Bahn binnen einer bestimmten Frist, beziehungsweise spätestens auf den Zeitpunkt, da das Aktienkapital verwendet sein wird, in effektivem Gelde beschaffen zu wollen."

Nun macht die Broschüre geltend, daß die Garantiestädte nur für die Rückzahlung des Kapitals und der Zinsen des 9 Millionen Anleihens Garantie geleistet hatten und daß diese Garantieleistung nicht als bindende Zusicherung, den Kapitalbetrag der Bahngesellschaft in effektivem Gelde beschaffen zu wollen, aufgefaßt werden dürfte. Auf diesen Punkt sei der Bundesrat namentlich auch durch die Eingaben von Angehörigen der Minderheiten in Lenzburg und in Baden aufmerksam gemacht und ersucht worden, der Bank in Winterthur und der Eidgenössischen Bank in Bern, bei denen die einbezahlten Obligationengelder deponiert waren, deren Verabfolgung zu Händen der Nationalbahn sofort zu untersagen, bis der Bundesrat diese Ver-

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fügung wieder zurückziehe, falls er finde, daß die Nationalbahn den Vorschriften der Verordnung vom 1. Februar 1875 nachgekommen sei.

Es ist allerdings richtig, daß der Bundesrat damals das 9 Millionen Anleihen einem Zahlungsversprechen im Sinne des Art. 27 der Verordnung vom 1. Februar 1875 gleichstellte. Er nahm eben mit dem Eisenbahndepartement an, daß zufolge der Städtegarantie die Begebung der zweiten Anleihensserie ebenfalls gelingen werde. Hat er sich in dieser Annahme getäuscht?

Nein. Auf der gleichen Seite 42, auf welcher die Broschüre die ,,einseitige Stellungnahme" des Bundesrates als ,,geradezu unbegreiflich a bezeichnet,anerkenntsie, daß die O b l i g a t i o n e n gelder sukzessive im Betrage von 9 M i l l i o n e n einb e z a h l t w u r d e n . Der Erfolg hat also dem Bundesrat, der am 25. Juli 1876 das 9 Millionen Anleihen als Zahlungsversprechen berücksichtigte, Recht gegeben. Dieser Tatsache gegenüber sollte man heute nicht mehr mit ,,Wenn1' und mit ,,Aber11 argumentieren und es ist der Behauptung, der Bundesrtit hätte das Unglück der Garantiestädte vermeiden können, wenn er auf die Minderheiten gehört hätte, nicht mehr Bedeutung beizumessen als jedem anderen Argument, z. B. daß die Garantiestädte von der Kalamität verschont geblieben wären, wenn in den Gemeindeversammlungen die Ansicht der Minderheiten obgesiegt hätte !

II.

Nicht viel besser steht es um die auf Seiten 43 ff. der Broschüre aufgestellte Behauptung, durch die sogenannte Bundeshülfe sei den Garantiestädten keine Hülfe gebracht, sondern die Verpflichtung auferlegt worden, den Obligationsgläubigern Fr. 3,060,000 mehr zu bezahlen, als es durch die Lage der Dinge vom geschäftsmäßigen Standpunkt aus geboten war. Man habe nämlich mit den Inhabern der Obligationen Verhandlungen gepflogen, die eine Abfindung mit 66 °/o bezweckten. ,,Durch die von den Bundesbehörden aufgestellte Bedingung der Vonzahlung . . . . wurden alle daherigen Bestrebungen der Garantiestädte vereitelt" (Seite 45 unten).

Diese Darstellung erweckt den Anschein, als hätten sich die Garantiestädte mit den Gläubigern abfinden können, wenn nicht der Bund gekommen, ihnen seine Mithülfe gleichsam aufgezwungen und die Vollzahlung der Obligationen verlangt hätte. G e g e n eine solche Darstellung müssen wir auf Grund der

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A k t e n V e r w a h r u n g e i n l e g e n . Wir erlauben uns, auf die Botschaft des Bundesrates vom 23. November 1883 (Bundesbl.

1883, IV, 524) und auf die Protokolle der Verhandlungen zu verweisen, welche zwischen dem Vertreter des Bundesrates und den Vertretern der Regierungen von Zürich und Aargau am 29. Dezember 1882 und 6. Januar 1883 stattgefunden hatten.

Daraus geht folgendes hervor : Die Versuche, mit den Gläubigern ein Akkomrnodement zu treffen, datierten aus dem Juni des Jahres 1882 und scheiterten schon damals an der Weigerung eines Teiles der Gläubiger, also bevor die Bundesbehördea sich mit der Angelegenheit befaßten.

Im Dezember 1882 beauftragte der Bundesrat den Vorsteher des Eisenbahndepartements, mit Abgeordneten der Regierungen von Zürich und Aargau die Angelegenheit zu besprechen. Die erste Konferenz, an welcher beide Regierungen durch je zwei Mitglieder vertreten waren, fand am 29. Dezember statt, nachdem am 20. gleichen Monats der Nationalrat über die Motion Brunner zur Tagesordnung übergegangen ·war. In dieser Konferenz äußerte sieh der Vertreter des Bundesrates, er könne nicht eine Erklärung abgeben, daß und in welcher Form der Bundesrat eventuell eine materielle Hülfe aus Bundesmitteln beantragen werde. Als Voraussetzungen, die nach seiner, des Vertreters, Ansicht für die Bundeshülfe maßgebend wären, bezeichnete er: 1. daß die Hülfe von Seiten der Beteiligten n a c h g e s u c h t werde; 2. daß die Verpflichtungen, welche Gemeinden und Kantone zur Lösung des Bürgschaftsverhältnisses auf sich nehmen, in fertiger Weise vorliegen müssen, bevor ein Antrag an die Bundesversammlung gestellt werden könne. Es war also selbst damals von Seiten des Bundesrates noch nicht die Rede von einer Vollzahlung. Dagegen ergibt sich aus dem Protokoll jener Konferenz, daß schon vorher in den Verhandlungen, die zwischen den Regierungen von Aargau und Zürich gepflogen worden waren, die letztere ,,die unbedingte Zahlungspfliehta in den Vordergrund gestellt hatte. ,,Erst als ·wir uns überzeugten," heißt es in der Wiedergabe des Votums des einen zürcherischen Vertreters, ,,daß bei den aargauisehen Interessenten mit diesem Gedanken nicht durchzudringen sei, hat man sich zürcherischerseits den Konversionsbestrebungen anbequemt, welche von Aargau ausgingen und mit denen den Gläubigern ungefähr
zwei Dritteile ihres Guthabens geboten wurden.

. . . . Das K o n v e r s i o n s a n e r b i e t e n h a t t e a b e r k e i n e n Erfolg; der zw e i t e A n l a u f scheiterte s c h l i m m e r als d e r e r s t e , u n d e s i s t a n z u n e h m e n , d a ß w e i t er e Ver-

583 s u c h e a u f diesem W e g b e s s e r n E r f o l g nicht hätten. a Und in der zweiten Konferenz vom 6. Januar 1883 erklärte der Vertreter des Bundesrates wiederholt, ,,daß von Seiten des Bundes das Anerbieten eines Anleihens nicht gemacht worden isttt.

Erst als diese Verhandlungen resultatlos blieben und die Regierung des Kantons Zürich am 20. Januar 1883 an den Bundesrat, unter Berufung auf Art. 14 der Bundesverfassung, ein förmliches Interventionsbegehren stellte, sah er sich veranlaßt, einzugreifen, indem er zunächst die Verhältnisse der Garantiestädte durch eine Expertenkommission untersuchen ließ. Daß sich dann der Bundesrat ebenfalls auf den Standpunkt der vollen Befriedigung der Gläubiger stellte, wird man nach dem Gesagten und aus den auf der achten Seite der Botschaft vom 23. November 1883 angeführten Gründen begreifen.

Nach dieser aktenmäßigen Darstellung haben wir nicht mehr nötig, die auf Seite 7 der Eingabe der aargauischen Nationalund Ständeratsmitglieder vom 29. Dezember 1903 wiederholte Behauptung von der nachteiligen Wirkung der Bundeshülfe auf die Verhandlungen zwischen Garantiestädten und Gläubigern besonders zu widerlegen.

IIL

Es bleibt uns noch übrig, uns über das Gutachten auszusprechen, das Herr Professor Kinkelin an den Regierungsrat des Kantons Aargau erstattete.

Der Verfasser sagt, es müsse daran festgehalten werden, daß den Garantiestädten vom Bund ein Opfer von Fr. 600,000 Wert E n d e 1883 bewilligt wurde und daher als ursprüngliche wirkliche Schuld an den Bund statt Fr. 2,400,000 nur Fr. 1,800,000 angerechnet werden dürfen.

Wenn wirklich am 21. Dezember 1883 beim Bundesrate und bei den eidgenössischen Räten d i e s e Meinung geherrscht hätte, so hätte es logischerweise keinen Sinn gehabt, im Bundesbcschlusse von D a r l e h e n im Betrage von Fr. 2 , 4 0 0 , 0 0 0 zu sprechen und sodann den Kanton Zürich mit Fr. 800,000, Aargau mit Fr. 1,600,000 zu belasten. Man würde zweifellos die Fr. 600,000 als Subvention an genannte Kantone in die Ausgaben der Staatsrechnung eingestellt und die von ihnen dem Bunde übergebenen Schuldtitel entsprechend herabgesetzt haben oder, wenn auf ihrem jetzigen Annuitätenbetrag belassen, die Amortisationsfrist von 51 Jahren um etliche reduziert haben.

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Auffallig und unverständlich ist es auch, daß in genanntem Gutachten mehrfach von einer 4 °/o Verzinsung die Rede ist, die dem Bunde als Gläubiger übel anstehe, da er seine dermaligen Anleihen nur zu 3V2°/o verzinsen müsse, währenddem die V e r z i n s u n g d u r c h die P e t e n t e n vom e r s t e n Tage anbekanntlich nur 2*/2 % beträgt.

Nach einer Berechnung, welche das Finanzdepartement an Hand der Amortisationstabelle fraglichen Darlehens aufgestellt hat, beläuft sich die Zinsdifferenz von l °/o (2*/2 % gegenüber 3^2 %) f ur àie 19 verflossenen Jahre -- bis und mit 1. Mai 1903 -- schon auf rund Fr. 426,000 und würde bis zum Auslauf der 51jährigen Amortisationsfrist rund Fr. 745,000 betragen.

Der Bund besitzt noch jetzt in seinen Wertschriften und in den Spezialfonds mindestens 5 Millionen 4 °/oige Titel und ha£ auch im Laufe dieses Frühjahrs noch über · eine halbe Million solcher erworben. Von ersteren ist in letzter Zeit allerdings eia Teil zur Konversion in 3s/4 % gekündet worden, was jedoch durchaus nicht ausschließt, daß im Geldmarkt während den noch verbleibenden 31 Jahren -- bis zur vorgesehenen gänzlichen Amortisation der Fr. 2,400,000 -- erhebliche Verteurungen eintreten können.

Der Einfachheit halber wurde, wie erwähnt, nur ein Zinsausfall von l °/o angenommen; wäre statt des Zinsfußes von 3Va % auch nur während den Jahren 1884--1894 4 °/0 und von 1894--1904 33/4 °/o berechnet worden -- was vollauf gerechtfertigt wäre -- so würde sich die Leistung des Bundes noch beträchtlich höher summieren und das von ihm übernommene Opfer von Fr. 600,000 wäre, ohne die weitere Zinseinbuße bis 1935, schon heute als vollständig geleistet zu betrachten.

Daß hierbei Rücksichten genommen werden sollten auf die kürzlich erfolgte Konversion der S1/^ % eidgenössischen Anleihen in 3 % -- die aber infolge Kursdifferenz u. a. m. einer Verzinsung von netto 8,20 °/o gleichkommen -- ist von vorneherein ausgeschlossen, da über die daherige Ersparnis bereits von den eidgenössischen Räten verfügt worden ist (eidgenössische Schulsubvention u. a. m.}.

Es darf noch beiläufig bemerkt werden, daß der Bund ein finanzielles Opfer nicht nur dadurch bringt, daß er einerseits die Darlehenssumme u n t e r dem Zinsfuß ausleiht, zu dem es ihn als Anleihensschuldner zu stehen kommt, sondern indem ihm anderseits die Möglichkeit benommen ist, sie zu vorübergehenden höhern Erträgen anderwärts zu plazieren.

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Wir haben in letzter Zeit wiederholt mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß ijn Bundeshaushalt größtmöglichste Ökonomie absolut geboten sei, und verweisen bezüglich der von Aargau nachgesuchten Schenkung auf die bereits in unserm Berichte betreffend die sogenannte Nationalbahngarantieschuld vom 29. April 1902 (Bundesbl. 1902, II, 995) hervorgehobenen ernsten Konsequenzen.

Wir halten es somit nicht für gerechtfertigt, den eidgenössischen Räten den Nachlaß einer großen Darlehensschuld oder eine weitere Reduktion des durch Bundesbeschluß festgesetzten Zinsfußes von 21/2 % zu befürworten.

Wir schließen mit dem Antrage, auf die Gesuche der Regierung des Kantons Aargau nicht einzutreten und benützen auch diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 17. Mai 1904.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Comtesse.

Der I. Vizekanzler: Schatzmaim.

-^K^^

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Bericht des Bundesrates an die Kommission des Nationalrates betreffend die Gesuche der Kantone Aargau und Zürich um Erlaß der sogenannten Nationalbahngarantieschuld.

(Vom 17. Mai 1904.)

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25.05.1904

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