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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Gewährleistung von zwei Verfassungsgesetzen des, Kantons Schaffhausen.

(Vom 5. Dezember 1892.)

Tit.

Durch Zuschrift an den Bundesrath vom 15. November 1892; ersuchen Präsident und Regierungsrath des Kantons Schaffhausen um Erwirkung der Bundesgarantie fiir zwei vom dortigen GroßenRathe beschlossene Verfassungsgesetze.

I.

Das Schaffhausen'sche Verfassungsgesetz vom 9. November 1891 enthält einen Zusatz zu Art. 107 der Kantonsverfassung vom 24. März/l 4. Mai 1876. Dieser Artikel bestimmt, daß die theilweise Revision der Verfassung auf dem Wege der Gesetzgebung: stattfinde. In Art. 41 der Verfassung ist gesagt, daß dem Großen Rathe die Gesetzgebung zukomme unter Vorbehalt der Volksrechte, und in Art. 42 wird eine Volksabstimmung über eine Gesetzesvorlage vorgeschrieben, wenn 1000 Aktivbürger dieselbe verlangen,,Damit", sagt der Große Rath in seiner Botschaft an die Stimmberechtigten des Kantons, vom 9. November 1891, ,,ist klar ausgesprochen, daß bisher die theilweise Verfassungsrevision nicht dem obligatorischen, sondern dem fakultativen Referendum unterstellt war.*

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Unter dem 9. November 1891 hat nun der Große Rath von Schaffhausen folgenden Zusatz zu Art. 107 beschlossen : ,,Art. 107bit. Die vom Großen Rathe in theilweiser Revision der Verfassung erlassenen Gesetze sind der obligatorischen Volksabstimmung zu unterbreiten.

,,Für diese Abstimmungen finden die in Art. 42 der Verfassung, Absatz 4 bis Schluß, enthaltenen Vorschriften entsprechende Anwendung."

Dieser Zusatzartikel zur Verfassung sottte unter dem Vorbehalt einer etwaigen Volksabstimmung mit dem 1. Januar 1892 in Kraft treten.

Der Große Rath empfahl dem Volke in der schon erwähnten Botschaft die Revision mit den Worten : ,,Für die Annahme der Vorlage dürfte die einzige Erwägung durchschlagend sein, daß auf dem Wege der theilweisen Verfassungsrevision bisher die allerwesentlichsten Vorschriften der Verfassung hätten abgeändert werden können.11 Der Regierungsrath konstatirt in seiner Zuschrift vom 15. November 1892, daß dieses Gesetz am 18. November 1891 im kantonalen Amtsblatte veröffentlicht worden ist, mit Einspruchsfrist bis zum 18. Dezember 1891, und daß dasselbe, da keinerlei Einsprache erfolgte, am 23. Dezember 1891 in Kraft erklärt wurde.

Der Bundesrath hat in seiner Botschaft vom 17. Juni 1876 an die Bundesversammlung betreffend die Verfassung des Kantons Schaffhausen vom 24. März/14. Mai 1876 die Bestimmung des Art. 107 mit Stillschweigen übergangen. Ebensowenig wurde dieselbe in der Bundesversammlung näher in's Auge gefaßt.

Wir freuen uns, konstatiren zu können, daß der Große Rath des Kantons Schaffhausen eine nach unserm Dafürhalten unhaltbare Verfassungsbestimmung von sich aus abgeändert und durch die, in allen anderen Kantonen bestehende, einzig richtige und auch einzig dem Art. 6, litt, c, der Bundesverfassung volles Genüge leistende Bestimmung ersetzt hat, daß auch partielle Verfassungsänderungen der Volksabstimmung zu unterstellen sind.

II.

Ueber das zweite Verfassungsgesetz, welches vom Großen Rathe Schaffhausens am 22. August 1892 erlassen worden ist und das eine Revision der Art. 5, 6 und 42, Abs. 6, der Kantonsverfassung enthält, spricht sich der Große Rath in seiner Botschaft an die Stimmberechtigten, vom 10. September 1892, dahin aus, daß dieses Gesetz in erster Linie die Vorschriften der Verfassung über den Ausschluß

537 vom Aktivbürgerrecht mit dea durch das eidgenössische Betreibungsund Kookursgesetz bedingten Abänderungen der strafgesetzlichen Bestimmungen betreffend Falliment und Insolvenz in Einklang zu setzen hatte.

Art. 5, litt, a, der Verfassung von Schaffhausen lautet : ,,Ein Ausschluß vom Aktivbürgerrechte findet statt a. durch gerichtliches Urtheil : 1. wegen entehrender Verbrechen oder Vergehen; 2. wegen selbstverschuldeten Konkurses. a Ziff. 2 ist nun dahin revidirt werden, daß sie lautet : ,,2. wegen leichtsinnigen Konkurses oder leichtsinnigen Schuldenmacnens."

In Bezug auf die Rehabilitation bestimmte der nämliche Verfassungsartikel, daß dieselbe eintrete a. durch Begnadigung (litt, a, Ziff. 1); fe. durch Befriedigung der Gläubiger (litt, a, Ziff. 2).

An die Stelle der Worte ,,durch Befriedigung der Gläubiger11 treten nun die Bestimmungen von Art. 26, Abs. 2, des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, vom 11. April 1889.

Die Botschaft des Großen Rathes macht zu Art. 5 in materieller Hinsicht die einzige Bemerkung, daß die vielbestrittene Frage der Insolvenzbestrafung, d. h. die Bestrafung eines nicht dem Konkurse unterworfenen zahlungsunfähigen Schuldners, verfassungsmäßig geordnet worden sei. Dies ist geschehen durch Aufnahme der Vorschrift, daß der Ausschluß vom Aktivbürgerrechte stattfinde ,,wegen leichtsinnigen Schuldenmachens a .

Sodann besehlägt das Verfassungsgesetz; vom 22. August 1892 noch eine anderweitige Materie, nämlich die Art. 6 und 42 der Kantonsverfassung. Der Große Rath sagt hierüber in seiner Botschaft : ,,Diese Artikel hatten vorgesehen, daß Abstimmungen über gesetzgeberische Vorlagen in den Hauptorten der Wahlkreise vorzunehmen seien. Einige Ortschaften unseres Kantons machen nämlich zusammen einen Wahlkreis aus. Nach der zitirten Verfassung^O Vorschrift mußten nun z. B. die Stimmberechtigten von Büttenhardt in Lohn über Gesetze abstimmen, während sie andere politische Rechte in ihrer Ortschaft ausüben konnten. Es wurde dies als eine unnöthige und inkonsequente Last empfunden, und einer Vorstellung der Betroffenen nachkommend, entschloß sich die gesetzgebende Behörde, auf die Revision einzutreten dadurch, daß sie den Art. 6 und 42 eine Fassung gab, welche die Abstimmung am Wohnort als allgemeine Regel aufstellt."

Btmdesblatt 44. Jahrg. Bd. V.

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Der Regierungsrath theilt mit, daß die Volksabstimmung über dieses zweite Gesetz, bereits in Gemäßheit des ersten Gesetzes, am 16. Oktober 1892 stattgefunden hat, und daß von 7637 landesanwesenden Stimmberechtigten 6368 sich daran betheiligt haben : 4934 Annehmende, 1130 Verwerfende und 304 mit ungültiger, beziehungsweise keiner Stimmgebung. Das Gesetz ist somit vom Volke mit großem Mehr angeoommen worden.

III.

Wir theilen im Anhange den Wortlaut der beiden Verfassungsgesetze mit.

Wie Sie sehen, stellt das eine die volle Uebereinstimmung des kantonalen Verfassungsrevisionsrechts mit Art. 6, litt, c, der Bundesverfassung her, während das andere mit, dem Bundesrechte in durchaus keinem Widerspruche stehende Neuerungen enthält.

Wir beantragen daher, es sei diesen. Verfassungsgesetzen die Bundesgarantie nach unten folgendem Beschlussesentwurfe zu ertheilen.

Genehmigen Sie, Tit., auch bei diesem Anlasse die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 5. Dezember 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Häuser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Anhang.

I.

Verfassungsgesetz betreffend

die Eevision des Art. 107 der Verfassung vom 24. März/14. Mai 1876.

(Vom 9. November 1891.)

Der Grosse Kath, in Anwendung der Art. 106 und 107 der Verfassung, beschließt als Gesetz was folgt: Art. 1.

Art. 107 der Verfassung vom 24. März/14. Mai 1876 erhält folgenden Zusatz: Art. 107 K Die vom Großen Rathe in theilweiser Revision der Verfassung erlassenen Gesetze sind der obligatorischen Volksabstimmung zu unterbreiten.

Für diese Abstimmungen finden die in Art. 42 der Verfassung, Absatz 4 bis Schluß, enthaltenen Vorschriften entsprechende Anwendung.

Art. 2.

Dieser Zusatzartikel zur Verfassung tritt unter dem Vorbehalt einer etwaigen Volksabstimmung mit dem 1. Januar 1892 in Kraft.

S c h a f f h a u s e n , den 9. November 1891.

Im Namen des Grossen Rathes, Der Präsident: H. Bolli.

Der Sekretär: E. Frauenfelder.

540

II.

Verfassungsgesetz betreffend

die Revision von Art, 5, Art, 6 und Art, 42, Abs. 6, der Verfassung, (Vom 22. August 1892.)

Der Grosse Rath, in Anwendung der Art. 106, 107 und 107bis der Verfassung, beschließt als Gesetz was folgt:

Art. I.

Die Art. 5, Art. 6 und Art. 42, Abs. 6, der Verfassung vom 24. März/14. Mai 1876 erhalten folgende Fassung:· Art. 5.

Ein Ausschluß vom Aktivbürgerrecht findet statt : «. Durch gerichtliches Urtheil : 1. wegen entehrender Verbrechen oder Vergehen;] 2. wegen leichtsinnigen Konkurses oder leichtsinnigen Schuldenmachens.

b. Infolge von Bevormundung wegen Verschwendung oder geistigen Gebrechens, auf die Dauer der Bevormundung.

c. Wegen dauernder Almosengenössigkeit, wenn dieselbe durch Urtheil der zuständigen Armenbehörde als selbstverschuldet erklärt worden ist -- auf die Dauer der Almosengenössigkeit.

Der Entzug des Aktivbürgerrechtes darf in keinem Falle auf Lebenszeit ausgesprochen werden.

Vor Ablauf der Zeit, für welche der Entzug des Aktivbürgerrechtes erkannt wurde, tritt die Rehabilitation ein:

541 a. Durch Begnadigung (litt, a, Ziff. 1); b, wenn der Konkurs widerrufen wird oder wenn sämmtliche zu Verlust gekommene Gläubiger befriedigt sind oder der Rehabilitation beistimmen (litt, a, Ziff. 2; zu vergleichen Art. 26 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs).

Vorbehalten bleiben die Bestimmungen der Bundesgesetzgebung.

Art. 6.

Der Aktivbürger übt seine politischen Rechte ausschließlich an seinem Wohnorte aus.

Art. 42, Abs. 6.

Die Abstimmung selbst geschieht in den Gemeinden.

Betheiligung bei der Abstimmung ist obligatorisch.

Die

Art, II.

Dieses Verfassungsgesetz tritt mit dem 1. November in Kraft.

1892

Uebergangsbestimmung.

Der Regierungsrath wird beauftragt, dieses Verfassungsgesetz, der Abstimmung des Volkes in den Großraths-Wahlkreisen zu unterbreiten und im Falle der Annahme die Genehmigung des Bundes einzuholen.

S c h a f f h a u s e n , den 22. August 1892.

Im Namen des Grossen Rathes, Der Präsident: A. Richli.

Der Sekretär: E. Frauenfelder.

542

(Entwurf.)

Bnndesbeschlnß betreffend

die eidgenössische Gewährleistung der Verfassungsgesetze des Kantons Schaffhausen vom 9. November 1891 und 22. August 1892.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 5. Dezember 1892 über die zwei Verfassungsgesetze des Kantons Schaffhausen vom 9. November 1891 und 22. August 1892, in B e t r a c h t : daß diese Gesetze nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Widersprechendes enthalten ; daß sie auf Grund und nach Maßgabe des kantonalen Verfassungsrechtes vom Großen Rathe des Kantons Schafihausen erlassen und vom Volke angenommen sind ; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschließt: 1. Den beiden Verfassungsgesetzen wird die Bundes-garantie ertheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Gewährleistung von zwei Verfassungsgesetzen des Kantons Schaffhausen. (Vom 5. Dezember 1892.)

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07.12.1892

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