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Bundesratsb eschluss über

die Beschwerde des Jacques Wolff, Pfandleihers in Chauxde-Fonds, betreffend die Berechtigung der Behörden, Polizeivorschriften über die Verpfändung von Mobilien zu erlassen.

(Vom 15. März 1904.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t hat

über die Beschwerde des J a c q u e s W o l f f , Pfandleihers in Chaux-de-Fonds, betreffend die Berechtigung der Behörden, Polizeivorschriften über die Verpfandung von Mobilien zu erlassen, auf den Bericht des Justiz- und

Polizeidepartements,

folgenden Beschluß gefaßt: A.

in tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

1. Durch Urteil des Polizeigerichtes von Chaux-de-Fonds vom 1. August 1903 ist Jacques Wolff, Inhaber der ,,Agence Wolff", Pfandleihanstalt in Chaux-de-Fonds, auf Grund der Artikel 13 und 15 des neuenburgischen Gesetzes betreffend die Pfandleiher und Trödler, vom 15. Februar 1883, zu einer Buße von Fr. 50 sowie zu den Kosten des Strafverfahrens verurteilt worden.

Bundesblatt 56. Jahrg. Bd. I.

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814 Art. 13 des Gesetzes lautet: ,,II est défendu aux prêteurs, sur gage de prêter sur les objets mentionnés à l'article 7 ci-dessus, comme aussi sur les objets non finis, tels que des bottes de montre sans mouvement, ou sur des mouvements sans boîte, ainsi que sur des ouvrages de bijouterie, d'horlogerie, d'orfèvrerie ou d'argenterie non achevés, lorsque l'emprunteur n'est pas lui-même fabricant d'horlogerie ou marchand bijoutier. Il est également défendu de prêter sur des objets présentés par des mineurs, des personnes assimilées aux mineurs, des apprentis, des commissionnaires et des domestiques, sans l'autorisation écrite de leurs parents, de leurs tuteurs, curateurs ou de leurs maîtres. Il est en outre interdit de prêter à des ouvriers ou employés, lorsque les; objets présentés sans autorisation écrite sont des objets analogues à ceux du commerce de leurs patrons."

Art. 15: ,,Les contraventions aux dispositions des articles 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12 et 13 de la présente loi seront passibles d'une amende de 5 à 500 francs."1 Das Gerichtsurteil stellt fest, J. Wolff habe zu drei verschiedenen Malen von einem gewissen César Glück in Chaux-de-Fonds im ganzen 4 Uhren als Pfand gegen Darlehen von je Fr. 8 angenommen, ohne die im genannten Gesetze vorgeschriebene Erklärung zu verlangen, und dies, obwohl er gewußt habe, daß Glück Uhren für das Uhrenfabrikationsgeschäft Levaillant & Bloch in Chaux-de-Fonds in Arbeit habe und daß die von Glück versetzten Uhren denjenigen des Hauses Levaillant
2. Eine rechtzeitig gegen das Bußurteil beim Kassationshof' des Kantons Neuenburg eingereichte Beschwerde hat das Gericht am 3. Oktober 1903 verworfen, und J. Wolff zu den Kosten verurteilt; das Urteil ist dem Beschwerdeführer gleichen Tageseröffnet worden.

Gegenüber den beiden ersten Beschwerdepunkten betreffend die Verfassungswidrigkeit des kantonalen Gesetzes vom 15. Februar 1883, die in der Behauptung bestehen, ,,die Bestimmungdieses Gesetzes, wonach es den Pfandleihern verboten ist, Arbeitern oder Angestellten auf Gegenstände, welche den Fabrikationsobjekten ihrer Arbeitgeber ähnlich sind, Geld zu leihen ohne die schriftliche Ermächtigung der letztern, bedeute eine Verletzung der von der Bundesverfassung gewährleisteten Grundsätze der Gleichheit
vor dem Gesetz und der Handelsfreiheit, und der neuenburgische Gesetzgeber habe beim Erlaß dieses Gesetzes die ausschließliche Kompetenz des Bundes mißachtet, über die Verpfändung von Mobilien zu legiferieren"1, stellt das Gericht fest:

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,,daß das Gericht einem formrichtig entstandenen Gesetze die Rechtskraft nicht absprechen kann unter dem Verwand seines verfassungswidrigen Charakters, wenigstens in den Fällen nicht, wo die Verfassungsprinzipien, die es verletzen soll, älter sind als das kantonale Gesetz; ,,daß überdies der schweizerische Gesetzgeber im Art. 45 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs das Recht der Kantone anerkannt zu haben scheint, Pfandleihanstalten unter Sonderbestimmungen zu stellen.

Gegenüber dem dritten Beschwerdepunkte betreffend eine angeblich falsche Anwendung des Gesetzes vom 15. Februar 1883, die darin bestehen soll, ,,daß dieses Gesetz unter dem Ausdruck ,,Arbeiter14 nur diejenigen verstehe, die durch einen D i e n s t v e r t r a g mit einem einzigen Arbeitgeber vertragliche Verpflichtungen eingegangen sind, und nicht auch diejenigen, die kraft eines W e r k v e r t r a g e s , welcher sie keineswegs unter die Aufsicht Eines Arbeitgebers stelle, ihre- Arbeit liefern," stellt das Gericht fest: ,,daß diese Unterscheidung keineswegs im Gesetz enthalten ist, vielmehr der Gesetzgeber dem Wort Arbeiter die Bedeutunggegeben hat, in welcher dasselbe gewöhnlich gebraucht wird, und dies um so mehr, weil andernfalls der Zweck des Gesetzes in einer großen Anzahl von Fällen nicht erreicht werden könnte ; ,,daß daher Jacques Wolff mit Unrecht eine falsche Anwendung des Gesetzes behaupte, weil César GlUck, von welchem er Uhren ohne schriftliche Ermächtigung angenommen hat, mit keinem Arbeitgeber einen Dienstvertrag abgeschlossen habe, wie denn übrigens das Urteil feststellt, daß César Glück als Remonteur angestellt und daß dieses Verhältnis J. Wolff bekannt gewesen ist; ,,daß daher Wolff die Verpflichtung hatte, sich nach dem oder den Arbeitgebern zu erkundigen, für welche Glück arbeitete, und von Glück die schriftliche Ermächtigung des oder der Arbeitgeber zu verlangen."1 II.

In einer beim Bundesrat am 2. Dezember 1903 eingereichten Beschwerde stellt Jacques Wolff das Rechtsbegehren, es sei die gegen ihn auf Grund der Art. 13 und 15 des neuenburgischen Gesetzes über die Pfandleiher und Trödler vom 15. Februar 1883 ausgesprochene Verurteilung aufzuheben.

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Er begründet dieses Begehren im wesentlichen mit folgendem : Das vom neuenburgischen Gesetze über die Pfandleiher und Trödler vom 15. Februar 1883 ausgesprochene Verbot, Arbeitern ohne die schriftliche Ermächtigung ihrer Arbeitgeber auf Pfänder Geld zu leihen, ist verfassungswidrig. Es verletzt in erster Linie gegenüber den Arbeitern den Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz (Art. 4 der Bundesverfassung), denn es ist nicht zulässig, daß die Arbeiter Bedingungen unterworfen werden, denen die Arbeitgeber nicht unterstellt sind. Die Bestimmung verletzt zu gleicher Zeit auch den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 der Bundesverfassung). Denn an was soll man den Arbeiter vom Arbeitgeber oder von eineta ändern Bürger unterscheiden können und wie soll sich der Pfandleiher darüber versichern, daß ihm vorgelegte Gegenstände Eigentum eines Arbeitgebers seien? Natürlich wird der Pfandleiher den Verpfänder darüber fragen; dieser aber wird ihm antworten, was er eben für gut findet. Den Pfandleiher aber trifft entweder Buße (von Fr. 5 bis Fr. 500) oder gar Gefängnis (von 4 Tagen bis 6 Monate).

Das sind wahre Fesseln des Pfandleihgewerbes, und Gefahren für den Pfandleiher.

Die genannte ueuenburgische Gesetzesbestimmung ist aber auch verfassungswidrig im Hinblick auf Art. 64 der Bundesverfassung, der das Gesetzgebungsrecht über alles, was den Handel und den Mobiliarverkohr betrifft, in die Hand des Bundes gelegt hat; weder in der Bundesverfassung noch im Obligationenrecht ist ein Vorbehalt zu gunsten kantonalen Rechtes hinsichtlich des Pfandrechtes und des Berufes des Pfandleihers gemacht worden.

Der Große Rat des Kantons Neuenburg war daher nicht kompetent, das einem Pfandleiher übergebene Pfand vom gemeinen Recht auszunehmen und besondere Vorschriften hierüber zu erlassen. Einzig das Obligationenrecht ist anwendbar, wenn es sich um die Wirkung eines Verkaufs oder einer Verpfändung von Mobilien handelt, und um die Frage, ob der Verkauf, die Verpfändung rechtsgültig seien oder nicht.

Zur Erhärtung des Gesagten ist hier auf die Entscheidungen des Bundesrates zu verweisen, welche derselbe am 17. September 1874 und 3. April 1877 gefällt hat. In der ersten hat er festgestellt, daß die Bestimmung des urnerischen Landrechtes, wonach dem Fremden das Strahlen im Lande verboten sein soll,
eine Rechtsungleichheit schaffe und daher eine unzulässige Schranke der Handels- und Gewerbefreiheit sei (Salis, Bundesrecht, 2. Aufl., II, 520, Nr. 743) ; in der zweiten Entscheidung vom 3. April 1877 hat er aus dem gleichen Grunde eine andere gesetzliche

817 Bestimmung des Kantons Uri aufgehoben, wonach kein Holz an Fremde verkauft oder sonst außer Landes getan werden dürfe (Salis, Bundesrecht, 2. Aufl., II, 530, Nr. 749).

Man wird nun vielleicht einwenden, J. Wolff sei selbst nicht Arbeiter, und habe daher auch kein Recht, sich über eine angeblich den Arbeitern angetane Rechtsungleichheit zu beschweren.

Darauf ist aber zu antworten, daß J. Wolff deshalb ein Interesse daran hat, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung aufgehoben vverde, weil er auf Grund derselben verurteilt worden ist. Übrigens ist zu bemerken, daß, wenn man dem Pfandleiher das Beschwerderecht verweigern würde, die angefochtene Bestimmung dann unanfechtbar wäre, weil es nicht der Arbeiter, sondern der Pfandleiher ist, der auf Grund des Gesetzes bestraft wird.

Es ist endlich noch auf die Entscheidung des Bundesrates vom 11. Februar 1887 zu verweisen, in welcher der Bundesrat erklärt hat, die Vorschriften des Kantons Basel-Stadt über das Trödler- und Pfandleihergewerbe vom 17. November 1882 enthalten nichts der Handels- und Gewerbefreiheit Zuwiderlaufendes ; die Bundesversammlung hat diesen Beschluß am 29. April/7. Juni 1887 bestätigt. Die einzelnen Bestimmungen dieses Gesetzes schrieben vor: a. eine polizeiliche Bewilligung, deren Erteilung an die Voraussetzung eines Wohnsitzes in Basel, guten Leumund des Pfandleihers sowie die Erlegung einer Taxe geknüpft waren ; b. Verpflichtung der Anzeige an die Polizei, falls verdächtige Angebote gemacht würden; c. Verbot des Geschäftsverkehrs mit Minderjährigen; d. Verpflichtung, eine bestimmte Buchführung zu halten; e. das Recht des jederzeitigen Zutritts der Polizei in die Lokale der Pfandleiher; f. Strafbestimmungen bei Übertretung dieser Vorschriften.

Diese Einschränkungen, die alle von allgemeiner Tragweite sind, hat der Bundesrat geschützt, weil durch sie der Gewerbebetrieb ,,bestimmten, im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Sittlichkeit liegenden Bedingungen"1 unterworfen wurde, und die Steuer eine angemessene Grenze nicht überschritt fSalis, Bundesrecht, 1. Aufl., II, 154 ff., Nr. 550, und 2. Aufl., II, 574, Nr. 774).

Die Einschränkungen der angefochtenen Gesetzesbestimmung des Kantons Neuenburg liegen aber nicht im allgemeinen und öffentlichen Interesse.

Der willkürliche und ausnahmsweise Charakter dieser Bestimmung tritt um so mehr zu Tage, wenn man bedenkt, daß das

818 Interesse der Arbeitgeber schon durch die Bestimmungen des schweizerischen Obligationenrechtes in wirksamer Weise geschützt ist; denn wenn ein Arbeiter einem Arbeitgeber einen Gegenstand entwendet und ihn dann versetzt hat, so kann der Arbeitgeber sein Eigentum beim Pfandleiher vindizieren auf Grund der Art. 213 und 206 des Obligationenrechtes. Hier liegt das gewerbliche Risiko des Pfandleihers; es ist vom eidgenössischen Gesetzgeber normiert, und ist ausgedehnt genug, um auszuschließen, daß ein kantonaler Gesetzgeber das Gewerbe der Pfandleiher mit Ausnahmsbestimmuugen noch dornenvoller gestalte, und den Beruf verunmögliche.

III.

Der Staatsrat des Kantons Neuenburg beantragt mit Zuschrift vom 21. Dezember 1903 die Abweisung der Beschwerde Wolfi unter Kostenfolge, weil der angefochtene gesetzliche Erlaß vom 15. Februar 1883 als eine polizeiliche Maßregel nicht über die legislatorische Kompetenz des Kantons hinausgehe, und daher nicht verfassungswidrig sei.

Zur nähern Begründung ihres Standpunktes beruft die Regierung sich auf die Zuschriften des Präsidenten des Kassationsliofes des Kantons Neuenburg vom 15. Dezember 1903, und des Staatsanwaltes des Kantons Neuenburg vom gleichen Datum, welchen beiden Eingaben folgendes zu entnehmen ist: ,, I. Wie weit geht die Urteilskompetenz des Kassationshofes?

Abgesehen von Formfehlern und Unregelmäßigkeiten des Verfahrens urteilt der Kassationshof in Strafsachen Über jede behauptete falsche Anwendung des Gesetzes (Organisationsgesetz von 1874, Art. 50; Gesetz über das Verfahren im Strafprozeß, Artikel 495).

Die Frage, ob das Gericht das Recht hat, ein formrichtig erlassenes Gesetz als unverbindlich zu erklären, weil dieses Gesetz mit einem Grundsatz der kantonalen oder Bundesverfassung in Widerspruch wäre, wird durch keinen Gesetzestext beantwortet; aber es ist ein Grundsatz des Gewohnheitsrechtes im Kanton Neuenburg, daß die Gerichte die Anwendung von Gesetzen unter dem Vorwande, daß dieselben in Widerspruch mit der Verfassung stehen, nicht verweigern können.

II. Inwieweit hat die Erklärung der Kassation die Weiterziehung des Urteils der I. Instanz vom 1. August 1903 bewirkt?

819 Die Einlegung der Beschwerde in Strafsachen wirkt suspensiv.

-Die Verurteilung wird definitiv und vollziehbar erst, wenn die Frist für die Einreichung einer Beschwerde abgelaufen ist, ohne daß der Verurteilte von seinem Beschwerderecht Gebrauch gemacht hat, oder seine Beschwerde verwarfen worden ist. Diese Rechtsfolge tritt im vorliegenden Falle ein kraft Art. 526 Strafprozeß.

Die gegen J. Wolff vom Polizeigericht von Chaux-de-Fonds ·am 1. August 1903 ausgesprochene Verurteilung ist somit erst durch das Urteil des Kassationsgerichtshofes vom 3. Oktober 1903 vollziehbar geworden.

III. Was die materielle Seite des Rekurses betrifft, so kann sieh der Staatsrat im wesentlichen auf die folgenden Erwägungen berufen : Der Rekurrent behauptet, daß Art. 13 des neuenburgischen Gesetzes vom 15. Fet>ruar 1883 über die Pfandleiher und Trödler, wonach es verboten sein soll, daß an Arbeiter oder Angestellte Geld geliehen werde, wenn die ohne schriftliche Ermächtigung zur Verpfändung angebotenen Objekte ähnlich denjenigen sind, die ihre Arbeitgeber produzieren, im Widerspruche mit dem in Art. 31 der Bundesverfassung ausgesprochenen Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit stehe. Dies ist eine irrige Auffassung. Die angefochtene Gesetzesbestimmung hindert Wolff keineswegs, sein Gewerbe als Pfandleiher auszuüben ; er kann im Gegenteil alle Geschäftsoperationen vornehmen, die in den Rahmen dieses Gewerbes fallen. Dagegen hat der neuenburgische Gesetzgeber aus Gründen öffentlich rechtlicher'Natur die Beobachtung gewisser Formvorschriften bei einer Reihe von bestimmten Geschäften vorgeschrieben; nach diesen Vorschriften werden die Pfandleiher, wenn sie von Arbeitern oder Angestellten Pfänder annehmen, zur Beobachtung von gewissen Vorsichtsmaßregeln gezwungen, die ihre Rechtfertigung in einem polizeilichen Interesse finden.

Die einzige Frage, die sich somit im vorliegenden Falle erhebt, ist die, ob die kantonalen Behörden zum Schütze der Interessen, welche die Polizei zu wahren hat, Vorschriften, wie diejenige im angefochtenen Art. 13 des Gesetzes über die Pfandleiher und Trödler, aufstellen können. Wir glauben ja; denn nicht nur erlaubt Art. 45 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs den Kantonen, die Pfandleihanstalten unter Sonderbestimmungen zu stellen, sondern die Bundesbehörden haben ihnen
noch in neuester Zeit das Recht zuerkannt, die Handels- und Gewerbefreiheit dadurch einzuschränken, daß sie das Verbot des Vorkaufs Kugelassen haben (Bundesratsbeschluß in Sachen Wenger gegen Bern).

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Der Rekurrent Wblff beruft sich zur Unterstützung seiner Ansicht noch auf die Entscheidungen des Bundesrates vom 17. September 1874 und 3. April 1877. Es besteht aber keine Analogie zwischen diesen beiden Fällen und dem heute vorliegenden. In dea beiden erstzitierten Fällen verbot der Gesetzgeber von Uri den Abschluß bestimmter Handelsgeschäfte vollständig und dieses Verbot involvierte offenbar einen unzulässigen Eingriff in die Handelsfreiheit. Das neuenburgische Gesetz dagegen enthält ein diesem ähnliches Verbot nicht; es läßt das Geschäftsgebiet der Pfandleiher unberührt, verlangt aber, ausschließlich zum Zweck, Mißbräuchen vorzubeugen und Diebe und Betrüger zu verhindern, daß sie allzuleicht die Fruchte ihrer unredlichen Handlungen genießen, die Erfüllung bestimmter gesetzlicher Vorschriften, die keineswegs bestimmt sind, den Handel zu beeinträchtigen, sondern demselben die -Ehrenhaftigkeit und Ehrlichkeit wahren sollen.

IV.

Mit Schreiben vom 24./3l. Dezember 1903 teilte das Bundesgericht dem Bundesrat mit, daß Jacques Wolff gegen das Urteil des Kassationshofes des Kantons Neuenburg vom 3. Oktober 1903 eine staatsrechtliche Beschwerde eingereicht habe, in welcher er sich über eine Verletzung der Art. 4, 31 und 64 der Bundesverfassung beklage; unter Darlegung seiner Rechtsauffassung und unter Berufung auf Art. 194 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 ersuchte das Bundesgericht den Bundesrat um seine Meinungsäußerung über die Kompetenzfrage hinsichtlich der einzelnen Beschwerdepunkte.

In der hieraus folgenden Korrespondenz haben das Bundesgericht und der Bundesrat sich dahin geeinigt, daß dem Bundesrat die Priorität der Behandlung der Beschwerde zufalle, und daß er zuständig.sei, über die behaupteten Verletzungen der Art. 4 und 31 der Bundesverfassung zu entscheiden, während dem Bundesgerichte, falls die Beschwerde vom Bundesrat nicht gutgeheißen werden sollte, die Entscheidung über die angebliche Verletzung des Art. 64 der Bundesverfassung zukomme.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Die vorliegende Beschwerde des Jacques Wolff wird beim Bundesrat wegen Verletzung der Art. 4, 31 und 64 der Bundesverfassung erhoben, die im Urteil des Kassationshofes des Kantons

821« Neuenburg vom 3. Oktober 1903 enthalten sein soll. Dieses Urteil hat eine Kassationsbeschwerde des Jacques Wolff gegen eine Buße von Fr. 50 für unbegründet erklärt, die Wolff wegen Mißachtung der Vorschriften des Art. 13 des neuenburgischen Gesetzes über die Pfandleiher und Trödler vom 15. Februar 1883 betreffend die Verpfändung von Fabrikationsgegenständen durch Arbeiter auferlegt worden ist.

II.

1. Die Frist zur Einreichung staatsrechtlicher Beschwerden,, die von Art. 178 des Organisationsgesetzes, Ziffer 3, auf 60 Tage seit der Mitteilung des angefochtenen Erlasses bestimmt wird, ist von der vorliegenden Beschwerde, die am 2. Dezember 1903 bei der Rekursinstanz eingereicht worden ist, gegenüber dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Oktober 1903 eingehalten.

2. Über die Kompetenz des Bundesrates zur Entscheidung; der Beschwerde ist folgendes zu sagen : Was vorerst die Art. 4 und 31 der Bundesverfassung betrifft, deren Verletzung die Rekursschrift behauptet, so ist zu bemerken, daß hinsichtlich des Art. 31, die Wahrung der Handelsund Gewerbefreiheit betreffend, Art. 189, Ziffer 3, des Organisationsgesetzes ausdrücklich die Kompetenz des Bundesrates ausspricht.

Die Kompetenz des Bundesrates erstreckt sich aber auch auf die behauptete Verletzung der Rechtsgleichheit (Art. 4 der Bundesverfassung). Dieselbe wird in der Rekurseingabe nicht als eine selbständige Rechtsverletzung behandelt, sondern nur unter dem Gesichtspunkt, daß die Gewerbefreiheit des Rekurrenten darunter leide. Die unter den zwei verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten aufgestellten Behauptungen der Verletzung von Art. 31 und der Verletzung von Art. 4 der Bundesverfassung sind somit insofern konnex, als sie beide auf die Behauptung einer materiellen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit zurückgeführt werden können. Damit ist die Kompetenz des Bundesrates für die Prüfung und Entscheidung beider Rechtsfragen gegeben.

Für die Beurteilung des aus einer Verletzung von Art. 64 der Bundesverfassung abgeleiteten Beschwerdepunktes ist dagegendie Kompetenz des Bundesrates abzulehnen. Eine Verletzung des Art. 64 der Bundesverfassung wird nicht nur im Zusammenhang; mit Art. 31 der Bundesverfassung behauptet, sondern die Auffassung des Rekurrenten ist die, daß durch das Verbot des Artikels 13 des neuenburgischen Gesetzes Art. 64 der Bundesver-

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fassung direkt verletzt werde, da dieses Verbot sich gegen die Vertragsschließung direkt richte, .die kantonale Gesetzgebung aber nicht einen Vertrag verbieten könne, welcher vom eidgenössischen Obligationenrecht in allen seinen Wirkungen beherrscht sei. Diese Frage ist daher selbständig von der zuständigen Behörde zu entscheiden.

III.

Bei der Prüfung der materiellen Berechtigung der erhobenen Beschwerde ist zuerst zu untersuchen, ob das angefochtene Urteil des Kassationshofes des Kantons Neuenburg vom 3. Oktober 1903 Überhaupt als ein Bußurteil kann aufgefaßt werden, oder ob nicht die Beschwerde vielmehr, innert der gesetzlichen Frist gegen das Urteil der ersten Instanz, nämlich das Urteil des Polizeigerichtes von Chaux-de-Fonds, vom 1. August 1903, hätte gerichtet werden sollen.

Die Informationen der kompetenten kantonalen Behörde llber die Natur der vom Rekurrenten erhobenen sogenannten .,,Kassationsbeschwerde11 haben in dieser Richtung ergeben, daß die Einreichung der Beschwerde beim Kassationshof die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils suspendierte, daß der Kassationshof kompetent ist, die Frage der richtigen Anwendung der kantonalen Gesetze zu prüfen, daß vom Kassationskläger eine solche Frage, nämlich diejenige der richtigen Anwendung des Art. 13 des Gesetzes vom 15. Februar 1883 als Kassationsgrund gestellt wurde, und daß endlich das Urteil vom 3. Oktober 1903 die materielle Berechtigung der von der ersten Instanz Über den Rekurrenten verhängten Polizeibuße geprüft hat. Auf Grund dieser Auskunft muß der Bundesrat annehmen, daß die dem Beschwerdeführer auferlegte Buße in formeller und materieller Beziehung erst mit dem Erkenntnis des Kassationshofes eine endgültige wurde; die staatsrechtliche Beschwerde vor der gegenwärtigen Instanz ist somit in richtiger Weise gegen dieses Urteil angehoben worden.

2. Der Bundesrat und die Bundesversammlung haben in konstanter Praxis unter den in der heutigen lit. e des Art. 31 der Bundesverfassung den Kantonen vorbehaltenen ,,Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben1* solche polizeiliche Maßregeln der Kantone geschützt, durch welche Täuschung und Betrug im Verkehr verhindert und die Sicherheit des Publikums vor unredlichem Geschäftsgebahren hergestellt wurde. Diese Praxis bedarf einer weitern Begründung nicht. Der Rekurrent beruft sich übrigens selbst, unter Hinweis auf die Entscheidung 'des

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Bundesrates im Rekurs gegen die Bestimmung des baselstädtischen Gesetzes über das Trödler- und Pfandleihgewerbe, auf diese Praxis.

3. Solche Interessen hatte der Gesetzgeber des Kantons Neuenburg im Auge, als er in Art. 13 des Gesetzes vom 15. Februar 1883 über die Trödler und Pfandleiher bestimmte, daß der Pfandleiher einem Arbeiter auf Gegenstände, welche den Fabrikationsobjekten des Arbeitgebers des Verpfänders ähnlich sind, Geld nur gegen die Vorlage einer schriftlichen Verpfandungsermächtigung des Arbeitgebers leihen soll.

4. Es fragt sich, ob diese Vorschriften des neuenburgischen Gesetzes im v o r l i e g e n d e n Falle den Grundsätzen der Bundesverfassung konform waren, d. h. erstens ob nicht mit der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften auf den dem Urteil vom 3. Oktober 1903 unterliegenden Tatbestand die Ausübung des Gewerbes des Rekurrenten in einer Art. 31 der Bundesverfassung widersprechenden Weise beschränkt wurde, und zweitens, falls dies nicht der Fall, ob nicht seine Unterstellung unter diese Vorschriften eine Art. 4 der Bundesverfassung verletzende Rechtsungleiehheit im Verhältnis zu ändern Bürgern geschaffen hat.

5. Die Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung erblickt Rekurrent darin, daß eine unerfüllbare Forderung aufgestellt werde, wenn das Gesetz verlange, daß der Pfandleiher bei jeder Geschäftsofferte sich zuerst darüber zu vergewissern habe, ob die Person, welche einen Gegenstand zur Verpfändung anbietet, dem Stande der Arbeiter angehöre, und, zutreffenden Falles, ob das angebotene Objekt ein solches ist, welches den Fabrikationsgegenständen des Arbeitgebers des Verpfänders ähnlich ist.

Diese Einrede ist von der Rekursinstanz in dem Umfange ·zu prüfen, als zu untersuchen ist, ob und inwiefern die behauptete Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, das Vorhandensein der polizeilichen Voraussetzungen für die Ermächtigung der Verpfändung festzustellen, den Rekurrenten im vorliegenden Falle an der Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften gehindert und damit seine Bestrafung bewirkt hat. Nun ergeben aber die Feststellungen der beiden Urteile vom 1. August und 3. Oktober 1903, daß diese Schwierigkeit für den Beschwerdeführer überhaupt nicht bestand, daß derselbe vielmehr sowohl von der Eigenschaft des Verpfänders der Uhren als eines Arbeiters für ein Uhrenfabrikationsgeschäft
von Chaux-de Fonds Kenntnis hatte, als auch wußte, daß die vom Verpfänder ihm angebotenen Uhren solche dieses Fabrikationshauses waren. Damit ist die Nichtigkeit der Einrede, erwiesen.

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6. Die Verletzung der Rechtsgleichheit '(Art. 4 der Bundesverfassung) hat Rekurrent darin erblickt, daß die Arbeiter durch die angefochtene Gesetzes Vorschrift gegenüber den Arbeitgebern schlechter gestellt werden; er selbst aber, der Rekurrent, werde dadurch in seiner Gewerbefreiheit benachteiligt, indem diese Schlechterstellung der Arbeiter ihm die heutige Buße eingetragen habe.

Bezüglich der Behauptung der Schlechterstellung des ArbeiterStandes gegenüber den Arbeitgebern ist der Rekurrent zur Beschwerde nicht legitimiert, weil er selbst nicht Arbeiter ist. Betreffend die Behauptung, daß die durch die angefochtene Vorschrift bewirkte Verminderung der Geschäfte ihn selbst ungleich ändern treffe, ist kein Beweis erbracht, gegenüber welchen ändern Gewerbegenossen oder Bürgern die Ungleichheit bestehen soll.

7. Auf das von der Regierung des Kantons Neuenburg gestellte Begehren betreffend Eostenfolge tritt der Bundesrat nach konstanter Praxis nicht ein (vgl. Salis, Bundesrecht, 2. Aufl., II, Nr. 333).

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 15. März 1904.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,, Der Bundespräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:.

Ringier.

-~K>-<-

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# S T #

Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde von Hildebrand-Pfeiffer & Cie., Damenkonfektionsgeschäft in Schaffhausen, wegen Auferlegung einer Patenttaxe für einen Saisonausverkauf.

(Vom 15. März 1904.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat ü hat über die Beschwerde von H i l d e b r a n d - P f e i f f e r & Cie..

Damenkonfektionsgeschäft in Schaffhausen, wegen Auferlegung einer Patenttaxe für einen Saisonausverkauf, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Die Firma Hildebrand - Pfeiffer & Cie., Damenkonfektionsgeschäft in Schaffhausen, hatte im Schaffhauser Intelligenzblatt ein Inserat folgenden Wortlautes erlassen: ,,Vorgerückter Saison halber werden alle noch vorhandenen Sommerartikel zu äußerst

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Jacques Wolff, Pfandleihers in Chaux-deFonds, betreffend die Berechtigung der Behörden, Polizeivorschriften über die Verpfändung von Mobilien zu erlassen. (Vom 15. März 1904.)

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16.03.1904

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