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Schweizerisches Bundesblatt.

56. Jahrgang. IV.

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Nr. 36.

7. September

1904.

Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Schmaoff Jaffe und des Mosel Feldmann in Bözingen, gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern vom 16. April 1904, betreffend Hausierpatentverweigerung.

(Vom 6. September 1904.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde des Schmanoff Jaffe und des Mosel Feldmann in Bözingen, gegen den Entscheid des Regierungsrats des Kantons Bern vom 16. April 1904, betreffend Hausierpatentverweigerung, auf den Bericht seines Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Im März 1904 hatten die Rekurrenten an die Polizeidirektion des Kantons Bern das Gesuch gerichtet : ,,Es sei das Hausierpatentbureau anzuweisen, dem Schmanoff Jaffe und dem Mosel Feldmann, beide aus Konpisch (Rußland), Hausierpatente für KurzBundesblatt. 56. Jahrg. Bd. IV.

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waren auszustellen ohne Rücksicht darauf, ob von den Gesuchstellern eine Gegenseitigkeitserklärung des russischen Staates beigebracht werde."

Die Polizeidirektion wies am 23. März 1904 das Gesuch ab.

Hiergegen rekurrierten die Beschwerdeführer an den Regierungsrat des Kantons Bern unter Wiederholung des oben mitgeteilten Begehrens. Der Rekurs wurde aber vom Regierungsrat am 16. April 1904 aus folgenden Gründen abgewiesen : 1. Unbestritten ist, daß die Voraussetzungen der Anwendbarkeit des schweizerisch-russischen Niederlassungs- und Handelsvertrags und, an sich, einer Erteilung eines Hausierpateates an Schmanoff Jaffe und Mosel Feldmann vorliegen, wenn letztere wie Schweizerbürger zu behandeln sind.

2. Fraglich ist nur, welche Rechte der mehrerwähote Staatsvertrag den in der Schweiz niedergelassenen Russen in bezug auf das Hausiergewerbe zugesteht. In dieser Beziehung fällt zunächst Art. l, Schlußabsatz, des Vertrages in Betracht, welcher lautet: ,,Dabei bleibt indessen verstanden, daß die vorstehenden Bestimmungen den in jedem der beiden Staaten bestehenden besondern Gesetzen, Verfügungen' und Reglementen über Handel, Industrie und Polizei, die auf alle Fremden überhaupt ihre Anwendung finden, keinen Eintrag tun.tt Demgemäß behält sich also jeder der beiden kontrahierenden Staaten vor, die in seinem Gebiete niedergelassenen Angehörigen des andern Vertragsstaates in bezug auf Handel, Industrie und Polizei anders zu behandeln als die eigenen Staatsangehörigen, insofern er die betreffenden Beschränkungen allen Fremden gegenüber eintreten läßt. Bezügliche Bestimmungen der schweizerischen, beziehungsweise bernischen Gesetzgebung über das Hausierwesen können also immer noch gegenüber im Kanton Bern niedergelassenen Russen angewandt werden. Eine solche Bestimmung besitat der Kanton Bern in § 4 seines Hausiergesetzes vom 24. März 1878, Schlußabsatz. Derselbe lautet: ,,Angehörigen fremder Staaten, welche kein Gegenrecht halten, kann das Patent verweigert werden.tl Diese Bestimmung findet allgemein auf alle Fremden Anwendung; sie ist auch in bezug auf diejenigen Staaten, mit welchen die Schweiz Niederlassungs- und Handelsverträge abgeschlossen hat, nicht außer Kraft gesetzt; nur wird, wenn die Gegenrechtszusicherung im betreffenden Staatsvertrage selbst liegt -- was meistens der Fall ist -- die Beibringung einer speziellen Be-

955 scheinigung in dieser Beziehung nicht verlangt und auch nicht verlangt werden können. Im russisch-schweizerischen Niederlassungs- und Handelsvertrag liegt aber die Zusicherung des Gegenrechts im Hausierwesen eben nicht, gerade infolge der Bestimmung des Art. l, Schlußabsatz.

3. Art. 7 des mehrerwähnten Vertrages bestimmt nun aber, daß ,,in allem, was den Handel, die Niederlassung und die Ausübung industrieller Berufsarten anbetrifft "·, die beiden kontrahierenden Staaten sich gegenseitig versprechen, ,,einem dritten Staate kein Vorrecht, keine Vergünstigung oder Immunität zu gewähren, welche nicht auch und sofort auf ihre respektiven Untertanen und Bürger ausgedehnt würde, und zwar unentgeltlich, wenn das Zugeständnis des dritten Staates unentgeltlich erfolgt, und gegen den nämlichen Entgelt, oder gegen ein mit beiderseitiger Zustimmung bestimmtes Äquivalent, wenn jenes Zugeständnis an Bedingungen geknüpft war".

Danach muß also der in der Schweiz niedergelassene Russe in der Tat in bezug auf 'das Hausierwesen gleich behandelt werden, wie nach dem schweizerisch-französischen Vertrage von 1882 der Franzose und nach dem schweizerisch-deutschen Vertrage von 1890 der Deutsche, d. h. gleich wie Schweizerbürger, vorausgesetzt, daß den Franzosen und Deutschen jene Vergünstigung unentgeltlich zugesichert oder aber von Rußland ein den von Frankreich und Deutschland gemachten Leistungen gleichwertiges Äquivalent geboten wurde.

Die betreffende Vergünstigung haben nun Franzosen und Deutsche nicht «umsonst^ erhalten, sondern gegen die Zusicherung des Gegenrechts, die Deutschen mindestens gegen die Zusicherung, daß das Hausieren in Deutschland den Schweizern überhaupt und zwar unter den für die Deutschen bestehenden Bedingungen gestattet sei. Die Schweiz hat also von Frankreich und Deutschland ein Äquivalent im Sinne der erwähnten Bestimmung des schweizerisch-russischen Vertrages erhalten. Davon, daß Rußland ein auch nur dem von Deutschland gebotenen gleichwertiges Äquivalent zugesichert habe, ist nichts von vornherein bekannt. Die in der Schweiz niedergelassenen Russen haben also erst dann Anspruch darauf, im Hausierwesen wie Schweizer behandelt zu werden, wenn sie mindestens den Nachweis durch eine authentische Bescheinigung erbringen, daß Rußland den in seinem Gebiete niedergelassenen Schweizern die Ausübung des Hausiergewerbes gestattet.

4. Geht man vom Standpunkte des bernischen Rechts oder von demjenigen des erwähnten Staatsvertrages aus, so gelangt

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man also ungefähr zum nämlichen Ergebnisse, nämlich demjenigen, daß die beiden Rekurrenten keinen Anspruch darauf haben, 'wie Schweizerbürger im Kanton Bern zum Hausierhandel zugelassen zu werden, wenn sie nicht die Bescheinigung einer kompetenten russischen Behörde beibringen, daß den in Rußland niedergelassenen Schweizern der Hausierhandel überhaupt und zu den für die Russen bestehenden Bedingungen gestattet sei.

II.

Gegen diesen Entscheid beschwerten sich Schmanoff Jaffe und Mosel Feldmann mit Eingabe vom 13./15. Juni 1904 beim Bundesrat und stellten dabei folgendes Begehren: ,,Es seien in Abänderung des Beschlusses des Regierungsrates des Kantons Bern, d. d. 16. April 1904, von den zuständigen Organen des Kantons Bern den Herren Schmanoff Jaffe und Mosel Feldmann, beide aus Konpisch (Rußland) und wohnhaft in Bözingen, Hausierpatente für Kurzwaren und zwar gegen eine den Verhältnissen entsprechende, mäßige Patenttaxe zu erteilen.a Zu dessen Begründung führten sie im wesentlichen folgendes an: Der schweizerisch-russische Niederlassungsvertrag derogiere dem kantonalen Recht. Demnach müßten die russischen Staatsangehörigen in Anwendung der Art. 31, 43 ff. und 60 der Bundesverfassung hinsichtlich der Ausübung von Handel und Gewerbe im Kanton Bern wie Schweizer anderer Kantone gehalten werden.

Folglich dürfe ihnen, trotz Bestimmung des § 4, letztes Alinea, des Gesetzes über den Marktverkehr und den Gewerbebetrieb im Umherziehen vom 24. März 1878, ein Hausierpatent nicht verweigert werden.

Der Beschluß des Regierungsrats beruhe auf der rechtsirrtümlichen Annahme, das letzte Alinea des Art. l des schweizerisch-russischen Niederlassungs- und Handelsvertrags bilde eine Einschränkung der Alinea l und 2 jenes Artikels. Vielmehr komme diesem Alinea, da es Selbstverständliches enthalte, eine große Bedeutung überhaupt nicht zu.

Es unterliege keinem Zweifel, daß die Schweiz, trotz des Versprechens der Gleichstellung, nicht darauf verzichte, wie jeder andere Staat, der Landeskinder nicht ausweise,. Angehörige eines Vertragsstaats, die ihm lästig fallen, des Landes zu verweisen, oder ihnen die Niederlassung zu verweigern. Alle Gesetze, die Bestimmungen über Ausweisung von Fremden enthalten, seien

957 demnach Gesetze über Polizei, welche auf alle Fremden überhaupt ihre Anwendung finden.

Das nämliche lasse sich von § 4, letztes Alinea, des bernischen Hausiergeselzes nicht behaupten, denn er finde, wie die bernischen Behörden selbst zugeben, auf Deutsche, Franzosen und Niederländer keine Anwendung.

Zwischen den Verträgen der Schweiz mit Deutschland, Frankreich und den Niederlanden und dem schweizerisch-russischen Vertrag bestehe aber hinsichtlich der Gegenseitigkeit kein Unterschied.

Was die Meistbegünstigungsklausel des schweizerisch-russischen Vertrags anbelange, so sei nicht recht verständlich, was die bernischen Behörden unter dem Äquivalent verstünden, das Rußland der Schweiz für die Nichtanwendbarkeit des Fremdenvorbehalts im bernischen Hausiergesetz auf Russen hätte bieten sollen. Mehr als das, was Rußland im Staatsvertrag geboten habe, nämlich vollständige Gleichstellung der Russen und der Schweizer in Rußland, könne es nicht wohl bieten. Mehr sei auch in den Verträgen mit dem Deutschen Reich, Frankreich und den Niederlanden nicht geboten.

Es erübrige noch ein Wort betreffend die Palenttaxe beizufügen für den Fall, daß die Beschwerde vom Bundesrat gutgeheißen werde. Die Auflage einer übermäßig hohen Patenttaxe würde die Rekurrenten nötigen, nochmals im Beschwerdeweg, unter Aufwand großer Kosten, alle Instanzen zu durchlaufen. Um dies zu verhindern, solle im Dispositiv des bundesrätlichen Entscheids die bernische Regierung eingeladen werden, die Patente gegen eine den Verhältnissen entsprechende mäßige Taxe zu erteilen.

III.

In seiner Rekursantwort vom 24./2S. Juni 1904 stellte der Regierungsrat des Kantons Bern folgenden Antrag: ,,Es sei auf dea Rekurs des Schmanoff Jaffe und des Mosel Feldmann nicht einzutreten, soweit damit ein Entscheid des Bundesrates über die Höhe der von den Rekurrenten allenfalls zu fordernden Hausierpatenttaxe veranlaßt werden soll; im übrigen sei der Rekurs abzuweisen."1 Zur Begründung berief er sich im wesentlichen auf die Motive des angefochtenen Entscheids.

958 Aus seinen übrigen Anbringen ist noch folgendes hervorzuheben : In bezug auf die Höhe der von den Rekurrenten allenfalls einmal zu fordernden Hausierpatenttaxe sei bisher ein Entscheid der bernischen Behörden nicht erfolgt. Es lägen also in dieser Hinsicht die Voraussetzungen des staatsrechtlichen Rekurses gemäß Art. 189 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege nicht vor. Er, der Regierungsrat, verwahre sich daher gegen die Aufnahme einer die Patenttaxe betreffenden Bestimmung in das Dispositiv des bundesrätlichen Entscheids.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: L Über die Zuständigkeit des Bundesrates besteht ein Zweifel nicht, da es sich um eine Beschwerde über die Anwendung der Bestimmung eines Staatsvertrags handelt, die nach Art. 189, letzter Absatz, des Bundesgesetzes über die Organisation der ßundesrechtspflege in die Kompetenz des Bundesrates fällt.

II.

Streitig ist, ob der letzte Absatz des Art. i des schweizerisch-russischen Staatsvertrages vom 26./14. Dezember 1872 die bernische Regierung auf Grund des kantonalen Hausiergesetzes berechtigt, von russischen Staatsangehörigen, als welche die Rekurreaten erscheinen, den Nachweis zu verlangen, daß Rußland Schweizern gegenüber für Erteilung der Hausierpatente die Gleichbehandlung eintreten läßt. Diese Frage ist in Bestätigung der von der bernischen Regierung angenommenen Erwägungen zu bejahen.

Art. 4 des bernischen Hausiergesetzes bestimmt, daß ein Patent Angehörigen fremder Staaten, welche kein Gegenrecht halten, verweigert werden kann. Dies ist also eine Handel, Industrie und Gewerbe betreffende gesetzliehe Bestimmung, welche auf ,,alle Fremden überhaupt (en général)"1, wie Art. l, letzter Absatz, des schweizerisch-russischen Vertrages sich ausdrückt, Anwendung findet. Von dieser allgemein gegebeneu Anwendung werden einzig die Angehörigen derjenigen Staaten nicht betroffen, welche mit der Schweiz vorbehaltslose Niederlassungsverträge abgeschlossen haben, durch welche vollkommene Gleichstellung unter den beiderseitigen Staatsangehörigen bewirkt wird. Auf alle andern Fremden

959 findet sonst Art. 4 des bernischen Hausiergesetzes Anwendung, es ist ein für Fremde allgemein geltendes Gesetz, trotzdem infolge von Staatsverträgen einzelne Ausnahmen von dessen allgemeiner Gültigkeit bestehen.

Das Hausiergesetz gehört zu den besondern auf Handel und Polizei bezüglichen Gesetzen, deren Gültigkeit und Anwendbarkeit in Art. l, letztern Absatz, des' Staatsvertrages vorbehalten ist.

Dieser Vorbehalt enthält durchaus nicht, wie die Rekurrenten annehmen, etwas Selbstverständliches, sondern in Abweichung von den Staatsverträgen mit absoluter Gleichstellung die Berechtigung der kontrahierenden Staaten, trotz des Staats Vertrages die im letzten Absatz von Art. l genannten besondern Gesetze zur Anwendung zu bringen. Ebensowenig ist der Hinweis der Rekurreuten auf die nach andern Niederlassungsverträgen bestehende Ausweisüngsberechtigung stichhaltig. Denn diese Berechtigung beruht gerade auf dem Vorbehalt der Armen- und Polizeigesetzgebung, wie sie in die Niederlassungsverträge aufgenommen zu werden pflegt. (Vgl. z. B. Vertrag mit Frankreich, Art. 5, mit Italien, Art. 2, mit Deutschland, Art. 4.)

Auch die Ausführungen des bernischen Regierungsrates über die im schweizerisch-russischen Staatsvertrage (Art. 7) enthaltene Meistbegunstigungsklausel sind durchaus zutreffend. Diese ist für die Schweiz nicht unbedingt verpflichtend, sondern wenn dem dritten Staate eine Vergünstigung gegen ein Äquivalent eingeräumt wurde, so muß Rußland entweder das nämliche Äquivalent leisten oder es bedarf eines gemeinsamen Übereinkommens, um das Äquivalent festzusetzen welches Rußland zu leisten hat, um die gleichen Vergünstigungen beanspruchen zu können. (Moyennant la même compensation ou un équivalent fixé d'un commun accord, si la concession a été conditionnelle.) Die · vorbehaltlose Niederlassung, wie sie in gewissen Verträgen von der Schweiz andern Staaten eingeräumt wurde, ist immer an die Gegenleistung geknüpft, daß der Schweizer in diesen Staaten die gleichen Rechte wie der Inländer genießt. Bevor ein russischer Staatsangehöriger sich also auf die Meistbegunstigungsklausel berufen könnte, müßte der Nachweis in offizieller Form erbracht sein, daß Rußland Schweizern gegenüber Gegenrecht leistet und dem Schweizer in Rußland gegenüber in Beziehung auf Hausierpatente keine schwerern Bedingungen aufstellt,
als gegenüber den eigenen Staatsangehörigen.

Dieser Nachweis ist von den Rekurrenten nicht erbracht; daher war die bernische Behörde berechtigt, die Patenterteilung bis zur Erbringung dieses Nachweises zu verweigern, und der Rekurs ist als unbegründet abzuweisen.

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Über das zweite Begehren, das nur eventuell auf den Fall der Gutheißung des Rekurses gestellt war, braucht somit nicht geurteilt zu werden. Es wäre dasselbe aber sowieso verfrüht gewesen, da eine Entscheidung der bernischen Regierung über die Höhe der Patentgebühren noch gar nicht vorlag.

Demnach wird erkannt: Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 6. September 1904.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Schmanoff Jaffe und des Mosel Feldmann in Bözingen, gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern vom 16. April 1904, betreffend Hausierpatentverweigerung. (Vom 6. September 1904.)

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07.09.1904

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