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Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 5.Dezember 1904 zur ordentlichen Wintersession zusammengetreten.

a. Im N a t i o n a l rat sind als neue Mitglieder erschienen: Herr Legier, David, von und in Glarus, ,, Schwander, Albert, von Eptingen, in Birsfelden, ,, Simonin, Henri, von Bémont, in Bern.

Herr Präsident M a r t i n hielt bei der Sessionseröffnung folgende Ansprache : Bevor ich auf die Tagesordnung eintrete, bleibt mir noch eine Pflicht zu erfüllen, die wohl zu den schwersten eines Präsidenten gehört, und zwar muß ich Sie an die Lücken erinnern, die der Tod seit unserer letzten Zusammenkunft in unsere Reihen gerissen hat.

Die Erfüllung dieser Aufgabe wird mir um so schwerer, als es sich heute um den Verlust von Kollegen handelt, die während langen Jahren dem Rate angehört und sich nicht nur durch ihre Talente ausgezeichnet, sondern sich auch durch ihre Leutseligkeit und Liebenswürdigkeit die Zuneigung, ich darf wohl sagen aller ihrer Kollegen erworben haben.

Im Zeitraum von wenigen Tagen sind Herr Bundesrichter Gallati und Herr Nationalrat Fehr hinweggerafft worden.

Herr Gallati war in der letzten Session noch unser Kollege und hat noch in unserer Mitte gesessen. Im Juni zum Bundesrichter ernannt, ließ er sich im Laufe des Sommers in Lausanne nieder, wo er am 3. November an den Folgen eines Unfalles plötzlich gestorben ist. Dieses tragische Ende hat in der ganzen Schweiz einer schmerzlichen Bewegung gerufen, denn R. Gallati war in weiten Kreisen bekannt und seines offenen und jovialen Charakters, seines Humors, seines einfachen leutseligen Wesens halber sehr beliebt; er wurde geschätzt und geachtet von allen denen, die je mit ihm in Verkehr getreten sind.

424 Mit einer hohen Intelligenz und einer großen Energie begabt, hat er schon früh am öffentlichen Leben teilgenommen und im Verlaufe einer Periode von nahezu 40 Jahren einen großen Teil der Ehrenämter bekleidet, die einem Schweizerbürger offen stehen.

Mitglied des Großen Rates seines Heimatkantons während mehr als dreißig Jahren, ist er demselben mehrere Male als Präsident vorgestanden ; während zwanzig Jahren hat er das Amt eines Stadtpräsidenten der Stadt Glarus bekleidet. Allen Sportbestrebungen zugetan, sehen wir ihn als Bergsteiger zum Präsidenten des schweizerischen Alpenklubs und als Schütze zum Präsidenten des schweizerischen Schützenvereins, sowie zum Präsidenten des eidgenössischen Schützenfestes in Glarus vorrücken.

Als Militär endlieh widmete er sich mit großem Eifer der Entwicklung unseres Militärwesens und wurde als Oberstbrigadier mit dem Kommando der Gotthardbefestigungen betraut.

Überall hat er tiefe Spuren seiner Tätigkeit und seines Organisationstalentes hinterlassen.

Im Jahre 1887 wurde er zum Mitglied des Nationalrates gewählt, dessen Präsidium ihm im Jahre 1891 übertragen wurde.

Ich glaube, davon absehen zu dürfen, mich über das was er uns gewesen ist und über den Einfluß, den er im Rate ausgeübt hat, weitläufiger zu verbreiten.

Mit einer glänzenden Rednergabe, soliden juristischen Kenntnissen, reichen Erfahrungen in Verwaltungsangelegenheiten ausgestattet und allem Fortschritte hold, hat er, sich mit ebensoviel Talent als Tatkraft mit allen wichtigen Fragen befaßt, die in diesem Saale zur Verhandlung gelangt sind. Als Mitglied sozusagen aller wichtigen Kommissionen hat er sich durch sein klares Urteil und seinen ausnehmend praktischen Verstand hervorgetan.

Ein merkwürdiger Zufall will es, daß wir morgen über den letzten Bericht des Verstorbenen, den er nach reiflichem Studium als Kommissionspräsident ausgearbeitet hat und der Ihnen gedruckt ausgeteilt worden ist, zu beraten haben werden.

Zum Mitglied des Bundesgerichtes gewählt, war er von seinen neuen Kollegen mit Genugtuung willkommen geheißen worden. Sie erblickten in ihm einen Mitarbeiter, der nebst seiner Arbeitsfreudigkeit den Nimbus seiner Vergangenheit und den reichen Schatz seiner Erfahrungen in öffentlichen und privaten Angelegenheiten mitbrachte.

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Er schien dazu berufen, in seinem neuen Wirkungskreise dem Vaterlande noch viele Dienste zu leisten. Die Vorsehung hat es anders bestimmt.

Wenige Tage nach dem Hinscheide des Herrn Gallati erfolgte derjenige unseres Kollegen, Herrn Fehr, welcher am 10. November in Frauenfeld einer langwierigen Krankheit erlag, die ihn schon letztes Jahr verhindert hatte, einer unserer Sessionen beizuwohnen.

Er war dem Anscheine nach vollständig hergestellt wieder hierhergekommen, so daß wir hoffen durften, ihn noch lange in diesem Rate zu sehen.

Geboren in Frauenfeld im Jahre 1848, hat Alfred Fehr seine juristischen Studien in Zürich, München, Heidelberg und Berlin absolviert, war nachher ein Jahr an der schweizer. Gesandtschaft in Paris tätig und ließ sich schließlich in seiner Geburtsstadt nieder. Dort hat er sich mit großer Hingebung der Entwicklung des öffentlichen Erziehungswesens und der Verwaltung der Bürgergemeinde gewidmet, deren Präsident er sieben Jahre lang gewesen ist. Mitglied des Großen Rates während 30 Jahren, hat er denselben zu drei Malen präsidiert; ein Vierteljahrhundert hindurch gehörte er dem Kantonsgerichte an, wo er seit 1889 ununterbrochen das Amt eines Präsidenten bekleidete.

Seine militärische Laufbahn, die bei der Infanterie ihren Anfang genommen hatte, setzte der Verstorbene beim Justizstab fort. Als Großrichter wurde er im Jahre 1900 zum Oberstlieutenant befördert.

Im Jahre 1889 trat er in den Nationalrat ein und erwarb sich sofort die Zuneigung seiner Kollegen durch seinen milden und leutseligen Charakter, seine Liebenswürdigkeit und sein rücksichtvoll.es Auftreten.

Er war nicht nur eines der fleißigsten Mitglieder der Behörde, sondern auch einer derjenigen, auf deren Rat am meisten gehört wurde. Er studierte eingehend alle zur Behandlung gelangenden Vorlagen und widmete sich mit Vorliebe den juristischen Fragen. Er war im Besitze einer ausgedehnten Bildung, einer scharfen Urteilskraft und reicher Erfahrungen. Seine Ansichtsäußerungen fanden immer weitgehende Beachtung.

Die Lücke, die durch den Tod Alfred Fehrs gerissen wurde, wird sich hauptsächlich bei Anlaß der bevorstehenden Beratung des Entwurfes zu einem Zivilgesetzbuch bemerkbar machen.

426 Rudolf Gallati und Alfred Fehr waren ausgezeichnete Kollegen, hervorragende Magistrate und Bürger, die unserem Lande zur Ehre gereichen.

Indem wir den hartgeprüften Familien unser Beileid aussprechen, wollen wir auch das Andenken der Verstorbenen ehren.

Ich lade Sie, meine Herren, ein, sich zu diesem Zwecke von ihren Sitzen zu erheben.

Der N a t i o n a l r a t hat folgende Wahlen vorgenommen: Präsident : Herr Josef S c h o b i n g e r, von und in Luzern, bisher Vizepräsident.

Vizepräsident : ,, Joh. H i r t e r, von Bern und Mühlethurnen, in Bern.

Im S t ä n d e r a t eröffnete Herr Präsident Lachenal die Session mit folgenden Worten: Seit dem Monat Juni hat kein Ereignis von hoher Bedeutung für die Öffentlichkeit in unserm Lande stattgefunden, keine Volksabstimmung und, abgesehen vom eidgenössischen Schützenfeste, das in gewohntem Glänze in St. Gallen gefeiert wurde, keine die öffentliche Meinung aufregende Angelegenheit. Die Dezembersession beginnt in vollkommenster Ruhe, doch betrauert sie den Verlust von zwei teuren Dahingeschiedenen.

Rudolf G al l a t i wurde im Jahre 1845 in Glarus geboren und verunglückte am 3. November dieses Jahres in Lausanne auf traurige Weise. Er gereichte seinem Heimatkanton zur Ehre und genoß im Bunde das Ansehen eines beliebten und geachteten Magistraten. Er war früh ins öffentliche Leben eingetreten und gehörte seit 1887 dem Nationalrat an. Er präsidierte den Rat im Jahre 1896 und verließ ihn erst vor wenigen Monaten infolge seiner Wahl zum Bundesrichter.

Er war in seinem innersten Wesen ein Demokrat, voll Aufrichtigkeit und voll gesunden Menschenverstandes, und zeichnete sich nicht nur als vortrefflicher Jurist, als hervorragender Redner in politischen Fragen aus, sondern machte auch eine schöne militärische Laufbahn, in der er seine Entschlossenheit und Charakterstärke zu zeigen Gelegenheit fand.

Er liebte das Volk und die patriotischen Manifestationen, er war die humorreiche Seele engerer oder weiterer vertrauten Ver-

427 einigungen ; er war lange Zeit, bis zu seinem Tode, Mitglied des Vorstandes des Schweizerischen Schützenvereins, und er trug durch Wort und Schrift und noch mehr durch sein Beispiel zur Verbreitung und Vervollkommnung dieser nationalen Übung bei. Vor wenigen Monaten noch, in St. Gallen, richtete er im Namen der Schützenveteranen an die schweizerische Jugend eine kraftvolle Ansprache, die bei seinen Zuhörern einen Beifallssturm entfesselte.

Bald darauf kehrte er an den Sitz des Bundesgerichts zurück, an den schönen See, an dessen Ufern er lange Tage in Frieden und in Arbeit zu verleben hoffte und wo der unerbittliche Tod auf ihn harrte. Die Bürger aller Kantone und aller politischen Parteien in der Schweiz waren schmerzlich betroffen, als sie vernahmen, wie in einer Minute ein so schönes Leben vernichtet worden war.

Gallati war aufs beste vorbereitet für die höchste Richterwürde des Landes und stellte den rechten Typus eines Bundesrichters dar. Er besaß neben seiner hohen Redlichkeit die Tiefe des juristischen Wissens, die Sicherheit und Feinheit des Urteils und einen Reichtum an Erfahrung, die er in seiner langjährigen Praxis als Advokat gesammelt hatte.

Er war glücklich, umgeben von einer liebevollen Familie, von Freunden, die ihn liebten, von Kollegen, die ihm mit lebhafter Zuneigung entgegenkamen. Widmen wir den Angehörgen, die ihn beweinen, unser schmerzliches Mitgefühl und bekennen wir laut, ohne sie trösten zu wollen, daß Rudolf Gallati in seinem teuren Kanton Glarus und in der Eidgenossenschaft das Andenken eines guten Bürgers, eines hervorragenden Magistraten, eines edeln Mannes und eines würdigen und treuen Vertreters des demokratischen Gedankens hinterläßt.

Kaum ging die Woche, die uns diese Trauerkunde gebracht, zu Ende, als ein neuer grausamer Schlag die Bundesversammlung traf, der Tod von Alfred F ehr in Frauenfeld.

Geboren im Jahre 1848, war Fehr eine Zierde seines Kantons Thurgau. Er machte seine juristischen Studien in der Schweiz und vervollständigte sie in Heidelberg, wo zahlreiche gleichaltrige Freunde, die heute in der Bundesversammlung sitzen, sich erinnern, ihn gekannt zu haben, wie er sehr jung, eifrig dem Studium obliegend, und bescheiden, wie er sein ganzes Leben blieb, die Vorlesungen der Wangerow, Renaud, Bluntschli und anderer berühmter Lehrer folgte, welche damals die alte Universität am Neckar zierten.

428 Fehr war Advokat. Doch war er, seiner Natur nach, nicht sowohl für den Kampf als für die klare Ruhe richterlicher Tätigkeit bestimmt, und so führte ihn seine Neigung sehr bald zur richterlichen Laufbahn. Seit langer Zeit war er Präsident des Obergerichtes des Kantons Thurgau. Er war auch Großrichter des Militärgerichts der VII. Division und Ersatzmann bei dem Bundesgerichte, wo sein Wissen hochgeschätzt war.

Dem Nationalrate hat er während 15 Jahren angehört, nämlich seit 1889, und hatte sich dort der gemäßigten Linken angeschlossen.

Alfred Fehr war ein klarer, tätiger und gemäßigter Charakter, ein überzeugter Demokrat, mit welchem zu verkehren eine Freude war. Er ist zu früh seiner tiefbetrübten Familie, seinen Mitbürgern und seinen Miteidgenossen entrissen worden. Sie alle werden das teure Bild des Entschlafenen in ihrem Herzen bewahren.

Ich bitte Sie, meine Herren, sich zum Zeichen Ihrer Trauer und um das Gedächtnis unserer beiden verstorbenen Kollegen zu ehren, von Ihren Sitzen zu erheben.

Der S t ä n d e r a t hat sein Bureau wie folgt bestellt : Präsident: Herr E. I s l e r , von Wohlen, in Aarau, bisher Vizepräsident.

Vizepräsident: ,, A. A m m an n, von und in Schaff hausen.

Stimmenzähler: .,, E. D ä h l e r , von und in Appenzell.

,, H. S i m o n , von Ste-Croix, in Grandson.

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