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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des J. Charrière in Les Carrys oberhalb Sales betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung.

(Vom 6. September 1904.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde des J. C h a r r i è r e in les Carrys oberhalb Sales betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 30. Dezember 1903/4. Januar 1904 hat sich J. Charrière in Les Carrys, oberhalb Sales, Bezirk Greyerz, beim Bundesrat gegen den ihm am 17. November 1903 eröffneten Entscheid des Staatsrats des Kantons Freiburg vom 23. Oktober 1903 beschwert. Durch diesen Batscheid wurde ihm die Erteilung eines Gasthauspatents für sein Haus in Les Carrys verweigert. Er stellte das Begehren, der Bundesrat wolle den genannten Entscheid aufheben, da er mit der durch Art. 31 der Bundesverfassung ge-

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Zur Begründung führte Charrière folgendes an: a. Tatsächliches : Es sei bekannt, daß sich der größte Teil des Verkehrs zwischen «Jen Bergen und der Ebene aus der Haute-Glâne, der HauteVeveyse und dem Romont benachbarten Teil des Kantons Waadt der Straße Romont-Bulle bediene. Die Eisenbahn Romont-Bulle befasse sich fast nur mit Handelstransporten; ihrer hohen Taxen, ihrer Entfernung von den genannten Gegenden und der Lästigkeit des Umladens wegen gäben die Land- und Fuhrleute dem beschwerlicheren Transport auf der Straße den Vorzug. Deshalb habe sich auch der Verkehr auf der Straße seit dem Bestehen der Eisenbahn nicht stark verändert: noch heute beziehe die Glashütte von Semsales ihren in der Nähe von Sales gewonnenen Sand auf diesem Wege, der auch im Frühling und Herbst von den zu Berg ziehenden oder von dort kommenden Viehherden benutzt werde. Dazu komme noch der Verkehr zwischen den einzelnen in diesem Gebiet liegenden Ortschaften.

Zwischen Vuisternens und Vanlruz ziehe sich die wegen ihrer Unebenheit beschwerliche Straße auf einer Strecke von fast zwei Wegstunden einsam, abseits von Wohnstätten dahin, und kein Wii'tshaus sei in der Nähe. Beinahe in der Mitte dieser Wegstrecke liege die Häusergruppe Les Carrys. Charrière habe oft den Reisenden und Wagenführern, die diesen Weg bei jedem Wetter und zu jeder Stunde machen müßten, Hülfe leisten müssen. Aber da die Solidarität ihre Grenzen habe, so sei Charrière bei den Behörden um eine Wirtschaftsbewilligung mit dem Recht, Reisende zu beherbergen und zu speisen, eingekommen, um sowohl ein gutes Werk zu tun, als eine kleine Entschädigung für die Anforderungen seiner Lage zu erhalten. Dies Begehren rechtfertige sich um so mehr, als die Gegend von Les Carrys interessant sei und wegen der Nähe der Bäder des Colombettes ein angenehmer Aufenthalt für diejenigen werden könnte, die sich keinen Aufenthalt in den großen Sommerfrischen leisten können.

Ein gut geführtes Gasthaus in Les Carrys an der großen, abgelegenen Straße sei nützlicher als in Bulle, wo der Staatsrat trotz des ablehnenden Gutachtens der Lokalbehörde solche bewilligt habe. Eine Besichtigung der örtlichkeiten würde die maßgebenden Behörden unwiderleglich davon überzeugen, daß die Er-

963 teiluDg der nachgesuchten Bewilligung einem Bedürfnis entspreche.

Daher hätten sich denn auch die Gemeinderäte der benachbarten an einem solchen Etablissemente interessierten Ortschaften Massonnens, Villaraboud, Mézières, Chavannes-les-Forts, La Magne, Berlens, Les Ecasseys, Porsel, Vuadens, Maules und Romanens zu gunsten der Bewilligung ausgesprochen. Nur der Gemeinderat von Sales mache eine Ausnahme 'hiervon. Die Gründe für seine ablehnende Haltung würden später gewürdigt werden. Diesen offiziellen Zeugnissen schlössen sich die Erklärungen von Privaten an, die mit der Gegend genau vertraut seien. Besondere Beachtung verdienten die Erklärungen von Beamten, wie Statthalter, Großräte, Inspektoren der Greyerzerstraße. Das Zeugnis des Statthalters des Glânebezirks laute folgendermaßen: .,,Als einfacher Bürger erkläre ich auf Wunsch des J. Charrière in Les Carrys, daß dort ein Gasthaus als Haltestelle für die Wagen zwischen Bulle und Romont sehr gut gelegen wäre, da sich sonst an der Straße kein Wirtshaus befindet. Ich selbst hätte ein solches schon oft benützt, wenn es existiert hätte."

Dem gegenüber stütze sich der Staatsrat auf das ablehnende Gutachten des Gemeinderats von Sales. Da nun aber der Staatsrat in seiner bisherigen Praxis das empfehlende Gutachten des Gemeinderats nicht zur unumgänglichen Voraussetzung der Erteilung eines Patents gemacht habe, so liege darin, daß dies im vorliegenden Fall geschehe, eine rechtsungleiche Behandlung des Rekurrenteo. Das Gutachten der Gemeinde Sales sei außerdem sehr eigennützig und verfolge den Zweck, ein Monopol zu gunsten der Gemeinde zu schaffen. Vor einigen Jahren noch habe in der Gemeinde nur eine Privatwirtschaft bestanden. Die Gemeinde habe dann eine Wirtschaftsbewilligung begehrt und erhalten.

Später habe die Gemeinde ciuf ihre Wirtschaft verzichtet und die am Bahnhof gelegene erworben. Da sei es nun sehr begreiflich, daß sie keinen Konkurrenten haben wolle. Das Gutachten der Gemeinde behaupte aber überdies nicht, die verlangte Wirtschaftsbevvilligung widerspreche dem öffentlichen Wohl, sondern sage nur, das projektierte Gasthaus könne seiner isolierten Lage wegen .kaum Gewinn abwerfen. Zwischen der Frage des öffentlichen Wohls und derjenigen, ob der Rekurrent mit seinem Gasthaus Geschäfte machen werde, bestehe aber kein rechtlicher Zusammenhang.
Ein Gemeindemonopol, wie es von Sales angestrebt werde, zu sanktionieren, widerspreche der Handels- und Gewerbefreiheit, und wenn man behaupte, ein zweites Wirtshaus sei nicht nützlich, trotzdem früher ein zweites bestand, so widerspreche man sich selbst und verfalle in Willkür.

964 b. Rechtliches : Nach dem vom Bundesrat stets anerkannten Prinzip genüge es nicht, daß die begehrte Wirtschaftsbewilligung nicht vom öffentlichen Wohl verlangt werde, vielmehr müsse sie ihm widersprechen. Ein solcher Widerspruch gehe aus dem angefochtenen Entscheid in keiner Weise hervor, und im gemeinderätlichen Gutachten werde nur gesagt, daß die Eröffnung des neuen Gasthauses vom öffentlichen Wohl in keiner Weise verlangt werde. Die Angaben über den Verkehr und die anderen Opportunitätsgründe, die gegen die Eröffnung des Gasthauses sprechen sollen, stünden im Widerspruch zu den vorgelegten Beweisen. Indem er trotzdem an ihnen festhielt, habe der Staatsrat einen aktenwidrigen Entscheid gefallt. Der Bundesrat müsse nicht nur dann einen kantonalen Entscheid aufheben, wenn er ihm willkürlich erscheine, sondern auch wenn die kantonale Behörde bei Beurteilung des Tatbestandes die Beweiskraft der ihr vorgelegten Beweismittel offenbar verkannt habe. Die gegenteilige Theorie führe einfach zur Willkür. Nach allgemeinen Rechtsregeln dürfe das Gutachten des Gemeinderats von Sales nicht berücksichtigt werden, da er an der Sache interessiert sei. Für die Gemeinde Sales liege die Sache so : Als sie neben einem Privaten eine Bewilligung verlangte, habe das öffentliche Wohl eine weitere Wirtschaft erfordert, jetzt, wo neben der Gemeinde eine Bewilligung verlangt werde, erfordere das öffentliche Wohl keine weitere Wirtschaft mehr.

II.

In seiner Antwort vom- 5./16. Februar 1904 beantragte der Staatsrat des Kantons Freiburg Abweisung der Beschwerde aus folgenden Gründen: Trotzdem die Straße Romont-Bulle lange vor der diese Ortschaften verbindenden Eisenbahn gebaut worden sei, habe bisanhin niemand die Eröffnung einer Wirtschaft in Les Carrys oder seiner Umgebung verlangt, was doch gewiß geschehen wäre, wenn die Sachlage wirklich so wäre, wie der Rekurrent sie schildere.

Vor dem Wirtschaftsgesetz von 1888, als die Zahl der Wirtschaften im Kanton noch nicht beschränkt war, vor dem Bau der Eisenbahn, als der Verkehr auf der Straße Romont-Bulle noch in voller Blüte stand, sei niemand auf diese Idee gekommen. Der Rekurrent stehe wohl mit seiner Ansicht allein, daß der Verkehr auf der Straße sich trotz der Eisenbahn nicht vermindert habe.

In Wahrheit habe die Straße heute nur mehr lokale Bedeutung, indem sie den Bedürfnissen der Gemeinden jenes Gebiets, die alle

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eine Wirtschaft hätten, und dem Auf- und Abtrieb des Viehs nach und von den Bergen diene.

Nur ausnahmsweise benützten Reisende auf der Strecke Vuisternens-Vaulruz statt der Bahn die große Straße. Ein Fußweg vermeide den Umweg über Les Carrys und führe ganz in der Kähe des Wirtshauses von Sales vorbei. Die Distanz zwischen Vuisternens und Vaulruz betrage übrigens auch auf der großen Straße nur 6,5 km., und der Reisende, der eine Stärkung nötig habe, könne sie mit kleinem Umweg in La Joux oder Sales finden.

Charrière habe nichts Neues, was für sein Begehren spräche, anführen können. Der Verkehr auf der Eisenbahn nehme stetig zu. Die neue elektrische Bahn Palézieux-Châtel-Bulle werde den Straßenverkehr ebenfalls vermindern und ebenso die schon dekretierte Straße Le Crêt-La Sionge-Vaulruz, die unter Umgehung von Les Carrys die Haute-Veveyse mit den Bahnhöfen von Vaulruz verbinden werde. Eine Zunahme des Straßenverkehrs stehe also nicht in Aussicht, und wenn sie eintreten sollte, so müßte die Straße korrigiert und über die Mühle von Mounaz und durch die Ortschaften Rueyres und Sales geführt werden, wodurch Les Carrys noch mehr beiseite gesetzt würde.

Für Fremde bilde Les Carrys keinen besonderen Anziehungspunkt, und die Bäder von Colombettes nähmen Pensionali zu den bescheidensten Bedingungen auf.

Auch vom speziell lokalen Gesichtspunkt aus rechtfertige sich die Eröffnung eines Gasthauses in Les Carrys in keiner Weise, da die Gegend rein agrikol sei. Ein lebhafter Austausch von Produkten nach dem Greyerzerland könne von dort aus nicht stattfinden, und wenn wirklich eine Ausfuhr stattfinde, so nehme sie eher die Richtung nach Romont.

Die Vertreter der Glashütte von Semsales hätten sich zu dem Begehren Charrières folgendermaßen vernehmen lassen: ,,Das von J. Charrière in La Joux zu dem Zweck, eine Gasthausbewilligung zu erhalten, angerufene Argument ist, soweit es die Fuhrleute betrifft, von denen aus dem Steinbruch von Rueyres Sand zur Glashütte geführt wird, ohne irgend welchen Wert.

Diese Leute stehen nicht in unserm Lohn; es sind Landleute, die uns diesen Sand zu einem festen Preis zuführen. Unter ihnen finden sich oft sehr junge Personen und sogar Frauen.

Wir glauben daher nicht, daß diese Leute unter dem Mangel einer Wirtschaft an diesem von dem Steinbrueh 15--20 Minuten entfernten Platz leiden. Sie haben schon ohnedies zu viel Gelegenheit, sich während des Wegs zu stärken, sei es nun, daß sie auf

966 dem Weg von La Joux oder auf der Straße von Sales und Vaulruz hierher kommen. Sie sind im allgemeinen keine Trinker, aber es wäre nicht nötig, ihnen eine Gelegenheit mehr zu bieten, es zu werden.* An dieser Situation könnten auch die Empfehlungen mehrerer Lokalbehörden und Privater nichts ändern, denen übrigens eine Gegenpetition einer ganzen Reihe von Bürgern gegenüberstehe.

Die sich widersprechenden Erklärungen seien nichts weiter als bedeutungslose Gefälligkeiten.

Der gesetzlich zur Begutachtung verpflichtete Gemeinderat von Sales habe sich über das Begehren ablehnend ausgesprochen.

Der Staatsrat halte sich übrigens nicht allein an diese Meinungsäußerung, sondern prüfe selbst jeden einzelnen Fall gründlich.

Ein Gasthaus in Les Carrys würde keinem Bedürfnis von Sales entsprechen, da die Bevölkerung des Orts die Wege des entlegeneren Teils der Gemeinde sehr wenig benütze.

Bezüglich der rechtlichen Ausführungen der Beschwerde werde auf den Geschäftsbericht des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartements vom Jahr 1899, Seite 25, verwiesen, wo der Bundesrat sich ganz anders über die Bedürfnisfrage äußere, als der Rekurrent behaupte.

Was den Vorwurf der Aktenwidrigkeit des angefochtenen Entscheids und der unrichtigen Beurteilung der vorgelegten Beweismittel anbelange, so seien diese Beschwerdepunkte in keiner Weise begründet.

III.

Der Beschwerde Charrières lagen außer dem angefochtenen Entscheid bei je ein Zeugnis eines gewissen Kontrolleurs G-auderon in Gumefens und eines gewissen H. Gapany, Tierarzt in Vuisternens, sowie eine mit vielen Unterschriften von Borgern von Sales und umliegenden Ortschaften bedeckte Petition an den Staatsrat des Kantons Freiburg, alle zu gunsten der Errichtung der projektierten Wirtschaft lautend. Da der Rekurrent sich noch auf andere Kundgebungen berief und den Bundesrat ersuchte, sie von der Vorinstanz einzufordern, und da der Staatsrat die zwei Aktenstücke, auf die er selbst sich in seiner Antwort gestützt hatte, nämlich eine Gegenpetition und das Gutachten des Gemeinderats von Sales, seiner Vernehmlassung nicht beigeschlossen hatte, so erbat sich mit Schreiben vom 26. Februar und 11. März 1904 das Justiz- und Polizeidepartement vom Staatsrat die Übersendung des ganzen Akten materiate des Falles. Mit Zuschrift vom 15./23. März

967 1904 teilte der Staatsrat mit, daß er die vom Rekurrenten erwähnten Aktenstücke nicht besitze, und gab im übrigen die Auffassung kund, alle derartigen von Privaten stammenden Zeugnisse könnten für die Entscheidung nicht in Betracht kommen; die einzige nach Gesetz zur Begutachtung des Wirtschaftsbegehrens kompetente Instanz sei der Gemeinderat von Sales, der sich ungünstig darüber geäußert habe. Dabei unterließ es der Staatsrat, mit seinem Schreiben dieses Gutachten einzusenden. Das Justizdepartement bestand sodann in einem Schreiben vom 29. März 1904 an den Staatsrat auf der Binsendung des eine gesetzliche Grundlage des angefochtenen Entscheids bildeoden gemeinderätlichen Gutachtens und wies, als keine Antwort erfolgte, in einem neuen Sehreiben vom 21. April 1904 darauf hin, daß bei längerem Zögern an den Bundesrat die Frage herantreten würde, welche Bedeutung der Weigerung, die gesetzlich nötigen Aktenstücke vorzulegen, eventuell zu gunsten der Angaben des Rekurrenten beizumessen sei. In einem Schreiben vom 29. April/2. Mai 1904 übermittelte der Staatsrat sodann eine Abschrift des Gutachtens.

IV.

Dieses Aktenstück wurde dem Vertreter des Rekurrenten wie die Beschwerdeantwort zugestellt, der hierauf in seiner Replik vom 13. Mai 1904 noch folgeudes ausführte: Wenn es in der vom Staatsrat eingelegten Abschrift des gemeinderätliehen Gutachtens unter Ziffer 5 heiße, die Gemeinde Sales habe das Eigentum am dortigen Gasthaus zu einem sehr hohen Preise erworben, und zwar mit dem Zweck, die Eröffnung einer neuen Wirtschaft im Ort zu verhindern, und ferner, die projektierte Wirtschaft würde trotz ihrer Abgelegenheit unvermeidlich der Gemeindewirtschaft schaden und ihren Pachtwert verringern, so beweise dies die Behauptung des Rekurrenten, daß die Gemeinde eben ein mit der Handels- und Gewerbefreiheit nicht vereinbares Monopol festhalten wolle. Auch sei es sehr begreiflich, daß der Gemeinderat unter diesen Umständen nicht daran gedacht habe, im vorliegenden Fall ein ebenso günstiges Gutachten auszustellen, als zur Zeit, da er selbst, ohne Rücksicht auf den früheren Wirt, ein Patent verlangt und erhalten habe.

Der Gemeinderat sei sich übrigens der Ungeheuerlichkeit seiner Anmaßung bewußt, was sich in folgendem gezeigt habe.

Der Rekurrent habe vom Gemeindeschreiber von Sales eine Kopie des gemeinderätlichen Gutachtens verlangt und auch sofort erhalten. Wie sich nun aus der Vergleichung dieser Abschrift mit

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der vom Staatsrat vorgelegten ergebe, sei in jener die oben angeführte Erwägung 5 einfach weggelassen worden.

Es sei denn doch gewiß sehr eigentümlich, daß die selbst wirtende Gemeindebehörde die Begehren um Erteilung der Bewilligung zur Eröffnung einer Konkurrenzwirtschaft zu begutachten habe.

V.

In seiner Duplik vom 27. Mai/2. Juni 1904 führte der Staatsrat folgendes aus: Der Gemeindeschreiber von Sales habe dem Rekurrenten bei Übergabe der Gutachtensabschrift bemerkt, sie sei unvollständig, da eine im Protokoll nicht enthaltene Erwägung anläßlich der Beisetzung der Unterschriften auf Anordnung des Gemeindevorstehers- hinzugefügt worden sei. Der Vertreter des Rekurrenten habe den Gemeindeschreiber dann brieflich angefragt, ob er nicht in dem Charrière übergebenen Schriftstück eine Erwägung vergessen habe, worauf der Gemeindeschreiber sich beeilt habe, zu antworten, er glaube wirklich, daß eine die Gemeindewirtschaft betreffende Erwägung auf dem Original beigefügt und in der Abschrift nicht wiedergegeben worden sei; der Rekurrent müsse sich nach Freiburg wenden, um den authentischen Text des Gutachtens zu erhalten.

Charrière habe schon früher ein Gutachten verlangt, das am 20. Juli 1899 durch den Gemeinderat von Sales beschlossen worden sei. Hierin habe sich der Gemeinderat unter anderem darauf berufen, daß die Gemeinde schon eine den örtlichen Bedürfnissen genügende Wirtschaft besitze. Die Gemeinde habe ihr finanzielles Interesse daran, daß auf ihrem Gebiet keine neue Wirtschaft entstehe, nie verhehlt. Dieses Motiv sei sehr beachtenswert, wenn es auch vom verfassungsmäßigen Standpunkt aus nicht festgehalten werden könne. Aber die Gemeinde rufe noch andere Gründe an, die vom Staatsrat angenommen worden seien. Der Vertreter Charrières mache ein großes Wesen aus der Weglassung der Erwägung 5 des gemeinderätlichen Gutachtens; er selbst schweige aber über die seinem Klienten bei Übergabe des Aktenstückes erteilten Aufklärungen und erwähne auch den Briefwechsel zwischen ihm und dem Gemeindeschreiber nicht, dessen guter Glaube aus seiner Antwort klar hervorgehe. Die Vergeßlichkeit des Vertreters des Rekurrenten sei aber ebenso bedauerlich, wie die den Gemeindebehörden von Sales vorgeworfene.

Im übrigen sei jede weitere Diskussion überflüssig. Niemand, der mit den Örtlichkeiten vertraut sei, werde es einfallen, in

969 Les Carrys eine Wirtschaft zu errichten, die der vom l Va Stunden entfernten Landjägerposten zu besorgenden polizeilichen Überwachung völlig entginge. Mit der Bewilligung der projektierten Wirtschaft würde ein unerklärlicher Präzedenzfall geschaffen.

VI.

Das Gutachten des Gemeinderates von Sales, vom 25. Februar 1903, lautet nach einem vom Staatsrate des Kantons Freiburg mitgeteilten Auszuge aus dem Protokoll des Gemeinderates: Considérant : 1° que la nécessité d'ouvrir à l'endroit procité un établissement public ne s'impose pas, vu la proximité des auberges de Vuisternens et de Vaulruz, et que la circulation sur la route cantonale est généralement faible sur ce tronçon; 2° que parmi les communes, citées dans la pétition, lesquelles, dit-on, réclament un établissement aux Carrys, il s'en trouve plusieurs qui n'y ont aucun intérêt, car leurs habitants ne peuvent se servir de cette route ni pour se rendre à Romont, ni pour se rendre à Bulle.

En donnant leur appui à la demande de M. Charrière, elles n'ont fait que condescendre aux désirs de ce dernier; 3° que lorsque le tronçon de la route de la Haute-Veveyse, Le Crêt-La Sionge sera construit, toutes les populations de la partie haute de ce district suivront la nouvelle route, de sorte que la circulation par Les Carrys sera encore amoindrie; 4° qu'il circule en ce moment une pétition tendant à obtenir la correction de la route cantonale de Mézières à Vaulruz. Le tracé actuel serait modifié et la nouvelle route passerait directement par le village de Sales. Que deviendrait alors l'ancienne route? elle serait délaissée et la circulation y serait presque nulle; 5° que la commune de Sales s'est rendue propriétaire de l'auberge de Sales pour un prix très élevé et dans le but d'empêcher l'ouverture d'un nouvel établissement. dans la localité.

L'auberge projetée, malgré son isolement, nuirait inévitablement à celle de la commune, qui perdrait ainsi de sa valeur locative; 6° que tout en reconnaissant la parfaite honorabilité de M.

Charrière, sa conduite exemplaire, ainsi que celle de sa famille, qui offre en cela toutes les garanties désirables, il se pourra toujours que l'auberge projetée passe ensuite de vente en d'autres mains. Alors, grâce à sa situation isolée, cet établissement pourBundesblatt. 56. Jahrg. Bd. IV.

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rait devenir un refuge des buveurs de la contrée, car la surveillance en serait très difficile. Le Conseil communal émet donc un préavis défavorable à la demande précitée.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Bei Prüfung der vorstehenden rechtzeitig erhobenen Beschwerde, zu deren Beurteilung der Bundesrat gemäß Art. 189, Ziff. 3, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege kompetent ist, muß zunächst der Auffassung des.Rekurrenten entgegen getreten werden, als genüge zur Abweisung eines Wirtschaftspatentbegehrens unter der Herrschaft des Bedürfnisartikels nicht schon der Nachweis, daß die neue Wirtschaft vom öffentlichen Wohl nicht verlangt werde, sondern erst die bewiesene Behauptung, die Eröffnung der Wirtschaft würde dem öffentlichen Wohl widersprechen. Der Bundesrat hat vielmehr, wie aus dem Geschäftsbericht des Justiz-und Polizeidepartements vom Jahr 1899, Kapitel Handels- und Gewerbefreiheit, Unterabteilung Wirtschaftswesen, lit. g, ersichtlich ist, in konstanter Praxis die Auffassung vertreten, daß, wenn einmal für eiue neue Wirtschaft ein Bedürfnis nicht bestehe, damit auch festgestellt sei, daß die Errichtung einer solchen dem öffentlichen Wohl zuwiderläuft.

Sodann kann der Bundesrat auch den seitens des Rekurrenten und des Staatsrates übrigens nur zum Teil vorgelegten Zeugnissen und Gutachten von Gemeinderäten und Privatpersonen, ausgenommen das Gutachten des Gemeinderates von Sales, kein Gewicht beilegen, da sie nicht gesetzliche Grundlagen des angefochtenen Entscheids bilden und bekanntermaßen meist nur als unverbindliche bedeutungslose Gefälligkeiten gegenüber dem Patentbewerber aufzufassen sind. Immerhin können einzelne dieser Zeugnisse soweit in Betracht fallen, als sie sich auf Tatsachen beziehen, welche der Aussteller in amtlicher Stellung wahrzunehmen in der Lage war.

II.

Die meisten kantonalen Wirtschaftsgesetze, in denen der Bedürfnisartikel enthalten ist, schreiben vor, daß das Begehren um Errichtung einer neuen Wirtschaft von der Gemeindebehörde der betreffenden Ortschaft in erster Linie zu begutachten sei. Diese Vorschrift beruht auf zwei einleuchtenden Erwägungen, nämlich

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auf der Gewißheit, daß die Gemeindebehörde die beste Übersicht über die Verhältnisse der Ortschaft und ihr Bedürfnis nach Schankstellen hat, und sodann auf der Annahme, daß die Behörde die Bedürfnisfrage möglichst objektiv beurteilen werde. Dies setzt aber voraus, daß die Gemeinde als solche kein direktes und namentlich kein finanzielles Interesse daran habe, ob eine neue Wirtschaft auf ihrem Gebiet entstehe oder nicht.

Auch das freiburgische Wirtschaftsgesetz enthält den Bedürfnisartikel und in Verbindung damit das Erfordernis der gemeinderätlichen Begutachtung der Patentbegehren. Im Kanton Freiburg besteht aber eine ganz singuläre Art des Wirtschaftsbetriebes insofern, als dort die Gemeinden als solche Inhaberinnen eines Wirtschaftsrechts sein können, und so ist auch die Gemeinde Sales Patentinhaberin. Diese Gemeindewirtschaftsrechte werden auf dem Weg der Steigerung verpachtet. Der Gemeindekasse liegt selbstverständlich alles daran, daß die Pachtsumme möglichst hoch sei und bleibe. Die Gemeindebehörde wird daher nach Möglichkeit jede Schmälerung des Pachtertrags zu verhindern suchen ; sie hat namentlich ein ganz direktes finanzielles Interesse daran, ihrem Etablissement jede Konkurrenz fernzuhalten. Damit aber geht ihr die wesentlichste Eigenschaft einer zur Begutachtung 0 von Wirtsehaftsbegehren berufenen Behörde ab, nämlich die absolut notwendige Objektivität. Ihre Gutachten werden, sobald eine Gemeinde selbst eine Wirtschaft betreibt, in den meisten Fällen den Charakter von Parteiäußerungen annehmen, die keinen Anspruch darauf machen können, im Streitfall als rein sachliche behördliche Peststellungen gewürdigt zu werden. Dies ist ganz besonders dort der Fall, wo, wie unter Ziffer 5 des hier in Frage stehenden Gutachtens des Gemeinderats von Sales, das finanzielle Interesse der Gemeinde an der Nichtbewilligung des Patents für die projektierte Konkurrenzwirtschaft so scharf betont wird, daß daraus deutlich die vom Standpunkt der Handels- und Gewerbefreiheit verwerfliche Absicht der Monopolisierung des Wirtschaftsbetriebs im Gemeindeetablissement spricht. Die Art und Weise, wie jene Erwägung in das Gutachten hineingekommen ist, die Tatsache, daß sie in das Protokoll des Gemeinderats nicht aufgenommen wurde und auch dem Rekurrenten in der von ihm verlangten Abschrift nicht zur Kenntnis gebracht wurde, spricht dafür, daß die Gemeindebehörde selbst sich bewußt ist, mit ihrem Gutachten vom Gebiet objektiver Feststellung abgewichen zu sein.

III.

Von den übrigen Gründen, die den Staatsrat veranlaßten, das Begehren Charrières abzuweisen, müssen diejenigen von vornherein

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außer Betracht fallen, die nicht auf die gegenwärtige, sondern auf eine zukünftige Gestaltung der maßgebenden Verhältnisse sich beziehen. Hierher gehört der Hinweis darauf, daß sich der Straßenverkehr bei Les Carrys nach Fertigstellung der Straße Le CrêtLa Sionge-Vaulruz verringern und daß dasselbe eintreten werde, wenn die Straße Romont-Bulle einmal korrigiert und dann über die Mühle von Monnaz und die Ortschaften Rueyres und Sales geführt werde. Das freiburgische Wirtschaftsgesetz gibt in Art. 9 dem Staatsrat die Möglichkeit, solchen veränderten Verhältnissen seinerzeit durch Nichterneuerung der Konzession Rechnung zu tragen.

Inwiefern sodann die neueröffnete elektrische Bahn PalézieuxChâtel St. Denis-Bulle eine Verringerung des Verkehrs von Sales herbeiführen sollte, ist bei einem Blick auf die Karte nicht ersichtlich. Denn die durch die Bahn entlasteten großen Straßen Palezieux-Semsales und Châtel St. Denis-Semsales und ihre Fortsetzung von dort erreichten schon bisher, ohne Sales oder Les Carrys zu berühren, die Bahnlinie Romont-Bulle in Vaulruz. Ihr Verkehr konnte also schon bisher für die Strecke Vaulruz-Vuister nens schwerlich in Betracht kommen.

Der gewichtigste Einwand gegen das Begehren Charrières ist der, daß durch Erbauung der Bahn Romont-Bulle der Verkehr auf der Landstraße wesentlich abgenommen habe, so daß die Straße eigentlich nur mehr lokale Bedeutung habe. Immerhin wird zugegeben, daß sie zum Auf- und Abtrieb des Viehs von und nach den Alpen benützt werde. Auch spricht gegen die rein lokale Bedeutung der Straße der Umstand, daß sie, trotzdem die Bahn schon recht lange besteht, bisher noch nicht deklassiert worden ist, wie z. B. die Straße Murten-Freiburg nach Erstellung der gleichnamigen Bahnstrecke. Auch mag immerhin die Bescheinigung des zuständigen Straßeninspektors (contrôlleur des routes) erwähnt werden, der infolge seines Amtes den Stand des Verkehrs zu beurteilen in der Lage ist und der erklärt, die Straße werde bei Les Carrys vielfach von den Fuhrwerken, die Sand nach der Glashütte von Semsales bringen, benutzt.

Allein der Einwand des Staatsrats verliert seine ganze Tragweite, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Behauptung des Rekurrenten unwidersprochen geblieben ist, wonach seinerzeit dem Gemeinderat von Sales das Wirtschaftsrecht, das er für die Gemeinde verlangte,
erteilt wurde, trotzdem in der Ortschaft schon eine private Wirtschaft bestand. Und zwar geschah dies zu einer Zeit, da die Bahn Romont-Bulle schon existierte, die Verkehrsverhältnisse also für die Gemeinde Sales die gleichen waren, wie heute. Unter den nämlichen Verhältnissen, unter denen heute dem

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privaten Bewerber gegenüber die Frage des Bedürfnisses nach einer zweiten Wirtschaft in der Gemeinde Salea verneint wird, wurde sie damals zu gunsten der Gemeinde bejaht. Dieses Vorgehen steht aber in unvereinbarem Widerspruch mit dem Prinzip der rechtsgleichen Behandlung der Bürger vor dem Gesetz. Was damals der Gemeinde Recht war, muß heute bei gleichen Verhältnissen dem Rekurrenten billig sein, wenn nicht Art. 4 der Bundesverfassung verletzt werden soll. Die Abweisung des Begehrens des Rekurrenten erscheint daher als willkürlich.

Was endlieh die Schwierigkeit der Polizeiaufsicht über die projektierte Wirtschaft anbelangt, so ist allerdings zu sagen, daß die Häusergruppe Les Carrys ziemlich weit von dem eigentlichen Dorf Sales entfernt liegt. Dagegen beträgt die Entfernung von La Joux, wo auch eine Wirtschaft besteht, wohl kaum mehr als 7--10 Minuten. Außerdem käme die Wirtschaft direkt an die Kantonsstraße zu stehen. Es ist also nicht abzusehen., welche besondern Schwierigkeiten der polizeilichen Überv^achung hier entgegenstehen sollten, da ja die nicht an der großen Straße liegenden Etablissemente von Sales und La Joux auch überwacht werden müssen und können. Übrigens ist nach der bundesrechtlichen Praxis die bloße Überwachungsschwierigkeit kein hinreichender Grund zur Patentverweigerung (vgl. Salis, Bundesrecht, II. Aufl. II, Nr. 954, Ziffer 4).

Demgemäß wird erkannt: Die Beschwerde wird als begründet erklärt und der Staatsrat des Kantons Freiburg unter Aufhebung des Entscheids vom 23. Oktober 1903 eingeladen, dem Rekurrenten das nachgesuchte Herbergspatent zu erteilen. Dabei bleiben die vom freiburgischen Baudepartement für das projektierte Wirtschaftsgebäude aufgestellten Bedingungen vorbehalten.

B e r n , den 6..September 1904.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Kochet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des J. Charrière in Les Carrys oberhalb Sales betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung. (Vom 6. September 1904.)

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