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Schweizerisches Bundesblatt.

56. Jahrgang. V.

Nr. 46.

16. November 1904.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 5 Franken.

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Druck und Expedition der Buchdrucker ei Stämpfli & de. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend Mitwirkung des Bundes bei Institutionen für Arbeitsnachweis und für Schutz gegen Arbeitslosigkeit.

(Vom 8. November 1904.)

Tit.

I. Einleitung.

Anläßlich der Verhandlungen über das Initiativbegehren betreffend das Recht auf Arbeit, in der Aprilsession des Jahres 1894, wurden vom Nationalrat einige Postulate, deren Inhalt mit demjenigen jenes Begehrens in Zusammenhang stand, in Beratung gezogen, jedoch am 11. April verworfen. Der Ständerat verschob die Behandlung der Postulate auf die Junisession. In der eidgenössischen Volksabstimmung vom 3. Juni erfolgte inzwischen die Verwerfung des erwähnten Initiativbegehrens mit 308,289 gegen 75,880 Stimmen und durch sämtliche Stände. Es beschloß sodann der Ständerat am 12. Juni und der Nationalrat am 26. Juni folgendes P o s t u l a t : ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten, ob und eventuell in welcher Weise eine Mitwirkung des Bundes bei Institutionen für öffentlichen Arbeitsnachweis und für Schutz gegen die Folgen unverschuldeter Arbeitslosigkeit möglich und gerechtfertigt sei."

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. V.

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Hinsichtlich der Begründung dieses Postulats ist auf das ,,Amtliche stenographische Bulletin11 zu verweisen.

Außerdem überwies uns der Nationalrat am 9. Juni 1894 eine vom 6. Juni gleichen Jahres datierte E i n g a b e der U n i o n H e l v e t i a (Verein schweizerischer Hotelangestellter) zum Bericht, die folgendes Begehren enthielt: ,,Es soll eine eidgenössische Verordnung erlassen werden, welche 1. sämtliche Bureaux, die die Stellenvermittlung erwerbsmäßig betreiben, unter Aufsicht und Kontrolle der zuständigen Polizeibehörde stellt. Diese Bureaux haben Statut und Tarif dem Bundesrate, bezw. der Regierung zur Genehmigung vorzulegen.

2. Als Basis der zu berechnenden Taxen und Einschreibgebühren dient eine in der zu erlassenden Verordnung aufgestellte Formel.

3. Jedes Bureau hat gegen eine festzusetzende Gebühr ein Patent zu lösen ; ausgenommen sind diejenigen Bureaux, die unentgeltlich placieren.

4. Die Placierungstaxe soll zu einer Hälfte vom Placierten, zur ändern vom Engagierenden getragen werden.

5. Zuwiderhandlungen (Mehrforderungen etc.) gegen diese Vorschriften haben eine Geldbuße, im Wiederholungsfalle Patententzug zur Folge."

Die Petition erfolgte unter ausdrücklicher Berufung auf den Antrag der nationalrätlichen Kommission betreffend ein Postulat über Förderung des Arbeitsnachweises durch den Bund, und sie steht auch mit dem Beschluß der Räte vom 12./26. Juni in gewissem Zusammenhange. Wir halten es daher für zweckmäßig, sie in den Rahmen des gegenwärtigen Berichts einzubeziehen.

Was ihre Begründung betrifft, läßt sie sich dahin zusammenfassen, daß die unreelle Ausbeutung der Stellesuchenden durch viele Placierungsburcaux das Einschreiten des Bundes erheische, daß Bureaux zweifelhaften Rufes unterdrückt, der Bezug übertriebener Gebühren und Provisionen verhindert, und daß, ·worauf der Hauptwert gelegt wird, der von den schweizerischen Fachvereinen aufgestellte Maximaltarif gesetzliche Anerkennung finden sollte.

Unser Industriedepartement ersuchte nun mit K r e i s s c h r e i b e n vom 30. November 1894 (Bundesbl. IV, 269) die

719 Kantonsregierungen, den Vorort des schweizerischen Handelsund Industrievereins, den Zentralvorstand des schweizerischen Gewerbevereins und den leitenden Ausschuß des schweizerischen Arbeiterbundes um Berichterstattung sowohl über das Postulat der gesetzgebenden Räte, als auch über die Eingabe der Union Helvetia, indem es, ohne dieser Berichterstattung vorgreifen zu wollen, als einige wesentliche Punkte, auf die Bedacht zu nehmen sein werde, nannte: a. Ursachen, Umfang und Dauer der Arbeitslosigkeit. Hauptsächlich betroffene Berufsarten. Verhältnis der Zahl der Unbeschäftigten zu derjenigen der Beschäftigten nach Berufsarten.

Für die Kenntnis des wirklichen Bedürfnisses wären statistische Angaben sehr wünschenswert. Ist in Ermangelung solcher eine eidgenössische Statistik anzustreben?

6. Bestand, Organisation, Leistungen und Erfahrungen der in der Schweiz bestehenden Institutionen für öffentlichen Arbeitsnachweis und für Schutz gegen Arbeitslosigkeit (inbegriffen die sogenannte Arbeitslosenversicherung). Einnahmen ; Ausgaben. Vorhandene Projekte.

c. Ist eine Beteiligung des Bundes an den genannten bestehenden oder noch zu gründenden Einrichtungen wünschenswert oder notwendig, in welcher Form und unter welchen Bedingungen ?

Eventuelle Maximalleistung des Bundes im Verhältnis zu den anderweitigen Beiträgen (von Gemeinden, Kantonen etc.).

Aufsicht des Bundes; Maßregeln für die Kontrolle und zum Schutz gegen Mißbrauch.

d. Maßnahmen betreffend gegenseitige Unterstützung der Stellen für öffentlichen Arbeitsnachweis, betreffend allfällige Zentralisation des letztern und betreffend Freizügigkeit zwischen den einzelnen Hülfskassen für Arbeitslose.

e. Stellung der Berufsverbände. Verhältnis zu Hülfskassen von Arbeitervereinigungen (Beispiel: Konditionslosenkasse des schweizerischen Typographenbundes).

f. Behandlung der Ausländer.

g. Sollen dem Bund weitergehende Aufgaben zugewiesen werden, eventuell welche? Sind Organisationen für Arbeitsnachweis und gegen Arbeitslosigkeit den Gemeinden und Kantonen

720 oder dem Bund zu überlassen ? Für den letztem Fall in Aussicht zu nehmende Grundsätze. Gewährung von Bundessubventionen oder -Vorschüssen in großen Krisen.

h. Regelung des privaten Arbeitsnachweises (vergleiche Gesuch Union Helvetia).

i. Kompetenz des Bundes für eine Betätigung in dieser oder jener Richtung. Wäre eventuell eine Verfassungsrevision notwendig ?

Es bedurfte mancher Mahnung und Fristverlängerung, bis das gewünschte Material zur Stelle war; der letzte Bericht datiert erst aus dem Jahre 1903. Kurzen Aufschluß über den Stand der Angelegenheit gaben wir jeweilen in unsern Geschäftsberichten, dabei allerdings der Auffassung Raum gebend, daß jene ohne Schaden etwelchen Aufschub erleiden könne, ,,da die einschlägigen Verhältnisse vielfach noch sehr unbestimmter Natur sind und der Gang ihrer Entwicklung unsicher istu ; die ständerätliche Geschäftsprüfungskommission erklärte in ihrem Bericht vom 22. Mai 1897 (Bundesbl. III, 608), daß dieser Standpunkt seine ,,volle Berechtigung"1 habe. Da aber im Nationalrato der wiederholte Wunsch nach baldiger Behandlung des Gegenstandes geäußert worden ist, glauben wir jenem hiermit, wenigstens vorläufig, nachkommen zu sollen, obschon außergewöhnliche Schwierigkeiten einer Lösung entgegenstehen und manche Erwartung daher enttäuscht werden wird.

II. Berichte der Kantonsregierungen.

Ein anschauliches und interessantes Bild der bestehenden Zustände und Ansichten tritt uns in den Berichten der Kantonsregierungen entgegen. Ihr Wert wird durch den Umstand, daß einzelne Partien nicht mehr aktuell sind, nicht wesentlich beeinträchtigt. Wir unterlassen eine bloß auszugsweise Wiedergabe, da sie jenes Bild verwischen würde, halten es vielmehr für geboten, Ihnen nachstehend die Berichterstattung vollständig, nur formell bereinigt, vorzulegen.

Der bessern Übersicht halber lassen wir die hauptsächlichsten S c h l u ß f o l g e r u n g e n , die sich aus den Berichten ergeben, vorangehen. Sie können in folgender Weise zusammengefaßt werden, wobei immerhin zu bemerken ist, daß die erhaltenen Erklärungen mehr oder weniger bestimmt lauten.

721 Es sprechen sich aus für die Ansicht, daß 1. die Fürsorge für Arbeitslose den Kantonen, Gemeinden, Berufsorganisationen u. s. w. zu überlassen, beziehungsweise daß eine gesetzgeberische Aktion des Bundes verfrüht, zu wenig abgeklärt oder kein Bedürfnis sei, 17 Kantone (Luzern, Schwyz, Obwalden, Zug, B'reiburg, Solothurn, Baselstadt, Baselland, Schaffhausen, Appenzell A./Rh., Appenzell I./Rh., St. Gallen, Graubünden, Thurgau, Tessin, Wallis, Genf); 2. der Bund die Fürsorge für Arbeitslose zum Gegenstand seiner Gesetzgebung machen solle, 3 Kantone (Zürich, Aargau, Waadt) ; 3. der Bund Einrichtungen, die der Fürsorge für Arbeitslose dienen, finanziell unterstützen solle, 11 Kantone (Zürich, Luzern, Glarus, Freiburg, Baselstadt, Baselland, Appenzell I./Rh., St. Gallen, Aargau, Thurgau, Tessin} ; 4. der öffentliche Arbeitsnachweis kantonal, lokal, durch Berufsorganisationen zu regeln sei, 10 Kantone (Luzern, Schwyz, Freiburg, Baselland, Appenzell A./Rh., Graubünden, Thurgau, Tessin, Wallis, Genf) ; 5. der öffentliche Arbeitsnachweis vom Bunde zu erweitern sei (Schaffung einer Zentralstelle u. s. w.), 5 Kantone (Zürich, Zug, Baselstadt, Schaffhausen, Aargau); 6. der Bund Einrichtungen, welche dem öffentlichen Arbeitsnachweis, eventuell verbunden mit Naturalverpflegung, dienen, finanziell unterstützen solle, 8 Kantone (Zürich, Glarus, Freiburg, Schaff hausen, Appenzell I./Rh., St. Gallen, Aargau, Tessin) ; 7. für eine Aktion des Bundes im Sinne von Ziffer 2 und 5 die verfassungsmäßige Kompetenz noch zu schaffen sei, 7 Kantone (Zürich, Baselland, Appenzell A./Rh., Appenzell I./Rh., St. Gallen, Aargau, Thurgau) -- im gegenteiligen Sinne liegt keine Äusserung vor -- ; 8. die Postulate der Union Helvetia betreffend Regulierung des privaten Arbeitsnachweises durch den Bund gutzuheißen seien, 7 Kantone (Zürich, Uri, Obwalden, Solothurn, Schaffhausen, Aargau, Waadt) ; 9. die Postulate der Union Helvetia zu verwerfen, bezw.

der private Arbeitsnachweis kantonal zu regeln sei, 5 Kantone (Schwyz, Zug, Freiburg, Appenzell I./Rh., Thurgau).

Es folgen nun die B e r i c h t e der Kantonsregierungen selbst.

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1. Zürich.

(25. Mai 1901.)

Wenn die Regierung des Kantons Zürich erst heute dazu kommt, der Einladung Folge zu leisten, so liegt der Grund einesteils in den in der Zwischenzeit stattgefundenen Wechseln der zuständigen Direktion, andernteils in der außerordentlichen Schwierigkeit, von den unmittelbar beteiligten Kreisen das erforderliche Material erhalten zu können. Bezüglich der Arbeitslosigkeit und deren Bekämpfung ist eigentlich erst in diesem Winter ein greifbares Resultat gewonnen worden, aber auch heute noch bleibt dasselbe ein sehr bescheidenes, da bezügliche Bestrebungen sozusagen schon im Keime erstickt worden sind.

Wir halten uns in der nachfolgenden Berichterstattung an die Reihenfolge der neun Punkte des Kreisschreibens.

a. Die Arbeitslosigkeit ist nicht eine dem wirtschaftlichen Leben der Gegenwart eigentümliche Erscheinung. Sie trat vielmehr schon vor Jahrhunderten regelmäßig bei denjenigen Berufen auf, die ihrer Natur oder der Natur der Verhältnisse nach nur während eines Teiles des Jahres ausgeübt werden können.

Diese p e r i o d i s c h e A r b e i t s l o s i g k e i t konnte aber in früherer Zeit nicht die schlimmen Folgen haben, die ihr heute anhaften; im Altertum nicht, weil die Arbeiter zum Inventar der Unternehmer gehörten, und die arbeitslosen freien Bürger sich von ihren Sklaven oder vom Staate erhalten ließen ; in den Zeiten des Zunftzwanges nicht, weil die Zunftordnung dem Arbeitgeber die Unterhaltungspflicht gegenüber seinen Gesellen vorschrieb.

In neuerer Zeit ist es besonders das Baugewerbe, das Winter für Winter in immer steig'endem Maße unter der Arbeitslosigkeit leidet. Während hier naturgemäß die Witterung zur Einschränkung und auch zur gänzlichen Einstellung der Arbeit zwingt, haben andere Betriebszweige, besonders die verschiedenen Bekleidungsbranchen und andere, unter dem Einfluß der jeweiligen Moderichtung eine kürzere oder längere Saison, die sie veranlaßt, ihr Arbeitspersonal auf unbestimmte Zeit zu vermehren, dasselbe aber zu reduzieren, wenn die sogenannte tote Zeit eintritt. -- Eine Saisonindustrie ganz eigener Art, für die Schweiz von hervorragender Bedeutung, ist die F r e m d e n i n d u s t r i e .

Nach der meist nur einige Monate dauernden Saison mit allerdings gutem Verdienste muß ein ganzes Heer von Angestellten entlassen werden, von denen ein großer Prozentsatz, besonders wenn ihnen spezielle Fachkenntnisse fehlen, arbeitslos wird. --

723 Die Arbeitslosigkeit erfährt eine bedeutende Steigerung durch den Umstand, daß von Jahr zu Jahr mehr a u s l ä n d i s c h e A r b e i t e r , insbesondere Italiener, über den Winter, trotz voraussichtlicher Arbeitslosigkeit, in der Schweiz bleiben und sich hier festsetzen ; hiervon wird Zürich, als die industriellste Stadt der Schweiz, in erster Linie betroffen.

In all diesen Fällen sind die Folgen der Arbeitslosigkeit gewiß empfindliche, da sie aber regelmäßig wiederkehrt, trifft sie den -vorsorglichen Arbeiter nicht unvorbereitet. Anders ist es zu Zeiten g e s c h ä f t l i c h e r K r i s e n . Die heutige Art der Produktion auf industriellem Gebiete, die wilde Konkurrenz der einzelnen Produzenten und ganzer Industriezweige gegen einander, die Konzentration der Geldmittel in den Händen Einzelner oder kleiner aktionsfähiger Kreise (Trusts) erzeugt bald auf diesem, bald auf jenem Arbeitsfeld momentane Störungen, welche zuerst und in verderblichster Weise bei den ökonomisch abhängigen und schwachen Arbeitern sich geltend machen und sie um so schwerer bedrücken, je weniger sie auf die Krise vorbereitet waren und je länger diese anhält. Auch der fleißigste und solideste Arbeiter kann unter diesen Umständen mit den Seinigen in schwere Not geraten, deren Druck ihm um so herber erscheint, als er an der Entstehung unschuldig ist und als ihm die Mittel fehlen, sich derselben zu erwehren. Der Zukunft dürfte es vielleicht gelingen, durch vernünftige Regelung der produktiven Tätigkeit und des Güterverkehrs die Zahl und die Dauer der Krisen zu vermindern.

Am nachhaltigsten und verderblichsten aber wirkt unseres Erachtens die d a u e r n d e A r b e i t s l o s i g k e i t , die wie eine chronische Krankheit unseres heutigen Wirtschaftslebens erscheint und durch die neuzeitliche Umgestaltung der Produktions- und Verkehrsverhältnisse hervorgerufen wurde. Die Entstehung der Fabriken, die Verdrängung der Handarbeit durch die Maschinen, die steigende Verwendung jugendlicher und weiblicher Arbeitskräfte, die bereits erwähnte Überschwemmung durch ausländische Arbeiter, das Verschwinden des Getreidebaues und sein Ersatz durch den der Verwendung von Maschinen günstigeren und sonst schon weniger Arbeitskräfte beanspruchenden Futterbau, -- alle diese Umwandlungen wirtschaftlicher Art haben in Verbindung mit der
Erschwerung unserer Ausfuhr dazu beigetragen, daß das Angebot männlicher Arbeitskräfte die Nachfrage gewöhnlich übersteigt. Von dieser Art der Arbeitslosigkeit werden alle Berufszweige betroffen, vom Erdarbeiter und Baumwollweber bis

724 zum Commis, Architekt und Arzt. Ihre Wirkungen werden durch das Zusammentreffen mit periodischer oder durch eine Krise hervorgerufener Arbeitslosigkeit gesteigert.

Die in der Stadt Zürich in den drei letzten Wintern bezüglich der Arbeitslosigkeit gemachten Erhebungen haben folgendes Resultat geliefert : Winter 1897/1898: Unter 400 angemeldeten Arbeitslosen finden sich Maurer 3 °/o, Handlanger 9 %, Zimmerlcute 4 °/o, Schreiner 6%, Schneider 3%, Commis 6 °/o, Bahnarbeitcr 31/» %> Knechte und Mägde 4 %>, Spetterinnen 7 %, Bauarbeiter total 52,4 % 'i das Verhältnis der Schweizer zu den Ausländern ist 78 zu 22 %, verheiratet sind 57 %, ledig 30 °/o, die ausgefallenen Löhne variieren zwischen 2 bis 6 Franken und betragen durchschnittlich 3 bis 4 Franken.

Winter 1899/1900: Zahl der Anmeldungen 630, das Baugewerbe figuriert hier mit 63,s %, die übrigen Berufe variieren zwischen 3 und 7 °/o, Schweizer 60, Ausländer 40 %. Die ausgerichteten Unterstützungen betragen Fr. 6600 für 23,000 Tage, die Erwerbseinbuße Fr. 94,700.

Winter 1900/1901 : Vom 7., beziehungsweise 19. Dezember 1900 bis und mit 12. Februar 1901. Es werden im ganzen 2429 Personen mit Fr. 15,721. 85 unterstützt; die Zahl der eingeschriebenen Arbeitslosen beträgt 940.

Die Unvollständigkeit und daherige Unzuverlässigkeit der statistischen Angaben spricht sehr für Erhebungen unter eidgenössischer Kontrolle.

b. Nach dem Adreßbuch der Stadt Zürich vom Jahre 1901 zählt sie 32 Stellenvermittlungsbureaux, von denen 19 von einzelnen Personen, 13 von gemeinnützigen Vereinen geleitet werden.

Unter letzteren ist in erster Linie zu nennen dasjenige der Freiwilligen Einwohnerarmenpflege. Von ihm sind uns in Ermangelung von bezüglichen Berichten über die Jahre 1899 und 1900 folgende Mitteilungen gemacht worden : 1899: Arbeitsgesuche: 3094, Arbeitsnachweise: 2791 1900: ,, 3076, ,, 2859 Die Vermittlungsgelegenheit wurde fast ausschließlich von Wäscherinnen, Glätterinnen und Spetterinnen benutzt, von Dienstboten ganz ausnahmsweise. Anmeldungen von männlichen Arbeitsuchenden gingen je nur cirka 400 ein, so daß diese Abteilung füglich hätte eingehen dürfen, sie wird aber vorderhand, weil mit der Naturalverpflegung verbunden, noch weitergeführt.

725 Weitere Vermittlungsbureaux betreiben : Verein schweizerischer Maschinenindustrieller, internationaler Verband der Köche, Genfer Verein, Mädchenheim, Marthaverein, Wirteverein, Kellnerbund, Frauenverband Fraternité, gemeinnütziger Frauenverein, Zentralbureau für Stellenvermittlung des kaufmännischen Vereins und endlich das am 1. August 1900 ins Leben getretene städtische Arbeitsamt. Letzteres, aus der Arbeitskammer Zürich, die ebenfalls Stellen vermittelte und von der Stadt subventioniert wurde, herausgebildet, hat offiziellen Charakter. Die Arbeitsvermittlung ist unentgeltlich, soweit es sich nicht um auswärts wohnende Arbeitgeber handelt, die eine kleine Einschreibgebühr zu entrichten haben. Aus der bezüglichen Verordnung verdient besondere Erwähnung Art. 12, wonach das Arbeitsamt sofort nach Ausbruch eines Streikes die Vermittlung des Stadtpräsidenten anzurufen hat. Wäre letztere ohne Erfolg, so hätte das Arbeitsamt die Stellen-, beziehungsweise Arbeitsvermittlung ohne Rücksicht auf den schwebenden Streik fortzusetzen.

In Winterthur besteht seit 1897 eine Anstalt für Arbeitsvermittlung. Es ergiebt sich aus den Frequenztabellen, daß das Institut beinahe ausschließlich von Arbeitsuchenden benutzt wird.

Daß sich die Arbeitgeber fast gänzlich von ihm fern halten, scheint uns seinen Grund hauptsächlich in der Bestimmung von § 13 der Verordnung vom 16. Februar 1896 zu haben, wonach im Falle von Streik oder Aussperrung die Arbeitsvermittlung zu sistieren ist ; dann aber auch in den lokalen Verhältnissen : die überwiegende Zahl der in Winterthur ansässigen Arbeiter ist in einigen großen Etablissementen beschäftigt und fällt die Anstalt für sie nicht in Betracht, in kleineren Betrieben ist bei austretenden Arbeitern, wenn sie die Stadt nicht verlassen, noch das Umschauen üblich. Die Stellenvermittlung für weibliche Dienstboten liegt, obschon sie in der erwähnten Verordnung der Arbeitsvermittlungsanstalt zugewiesen wurde, wie seit Jahren auch jetzt noch in den Händen des Frauenbundes. Das Institut erfreut sich, dank seiner tüchtigen Leitung, einer ständig steigenden Frequenz.

Die Naturalverpflegung, seit 1887 organisiert durch einen vom Staat subventionierten freiwilligen Kantonal verband, hat eine wesentliche Eindämmung des Bettels erreicht, was an und für sich gewiß ein erfreulicher Erfolg ist. Die
augestrebte gesetzliche Regelung dieser Verhältnisse wird zweifellos auch auf den Arbeitsnachweis ausgedehnt werden ; die bezüglichen Vorarbeiten sind indessen zurückgelegt worden, bis von Seiten des Arbeits-

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amtes der Stadt Zürich einige Erfahrungen über die zweckmäßigste Organisation des Arbeitsnachweises vorliegen werden.

Wie schon bemerkt, hat die Stadt Zürich, beziehungsweise die freiwillige und die Einwohnerarmenpflege, in dieser Richtung keine ermutigenden Resultate zu verzeichnen ; ob das städtische Arbeitsamt mehr Erfulg haben werde, bleibt abzuwarten.

Im Jahre 1898 wurde vom Großen Stadtrat Zürich zur Vorberatung eines Gesetzes betreffend Arbeitslosenversicherung eine Kommission bestellt, die dann beantragte, ihr Entwurf sei als Initiativbegehren dem Kantonsrat einzureichen und demselben auch der Entwurf zu einer Verordnung betreffend Arbeitslosenversicherung in der Stadt Zürich beizulegen. Der Große Stadtrat hat indessen am 9. Juli 1898 beschlossen, es sei auf die Vorlage nicht einzutreten. Es hat also auch im Kanton Zürich an bezüglichen Vorschlägen nicht gefehlt, daß es aber bis jetzt bei bloßen Vorschlägen geblieben ist, darf als ein Beweis für die Schwierigkeit der Lösung dieser Aufgabe, für die ebenfalls noch statistisches Material fehlt, angesehen werden.

c. Ohne Beteiligung des Bundes dürfte die Arbeitslosigkeit nicht mit Erfolg bekämpft werden können. Derselbe wird richtigerweise die Zentralkontrolle zu übernehmen haben. Nur wenn dies geschieht, wird er einen Überblick über den Arbeitsmarkt gewinnen und fördernd in die Vermittlung eingreifen können.

Die von Gemeinden und Vereinen seit Jahren gemachten großen Aufwendungen haben nicht den rechten Erfolg haben können, weil ihnen eben dieser Überblick fehlte ; es fehlte ihnen der Kontakt mit einer leitenden Zentralstelle. Je größer der Kreis, über den man zur Anweisung von Arbeit verfügt, und je mannigfaltiger die Berufsstellung der Arbeitslosen ist, desto leichter wird die Arbeitsvermittlung werden. Dieser Kreis soll aber richtigerweise die ganze Schweiz umfassen. Der Bund wird sich an den Gesamtleistungen der Anstalt entsprechend zu beteiligen haben.

Es wäre billig, daß Bund, Kantone und Gemeinden zusammen an den Kosten zur Hälfte partizipieren und daß die andere Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen würde. Jetzt schon ein genaues Ausmaß der Leistungen jedes Beitragspflichtigen vorzuschlagen, erscheint uns nicht angezeigt ; immerhin halten wir dafür, es sollten die öffentlichen Organe die ihnen zugedachte Leistung ungefähr zu gleichen Teilen tragen.

d. Wie sich schon aus einzelnen Ausführungen zu Punkt b ergibt, halten wir dafür, daß der nur von einzelnen Ortschaften

727 und Kreisen organisierte Arbeitsnachweis durchaus unzureichend ist; er sollte vom Bunde geregelt werden, die einzelnen Nachweisstellen sollten in ständigem gegenseitigem Kontakte stehen, um sich in die Hand zu arbeiten ; in ihren Wirkungskreis wäre richtigerweise auch die Naturalverpflegung einzubeziehen. Durch Herbeiziehung, beziehungsweise Schaffung von Berufsgenossenschaften könnte der Erfolg der Arbeiterversicherung und des Arbeitsnachweises wesentlich gehoben werden, da unzweifelhaft ein Fachmann die Verhältnisse seiner eigenen Branche rascher und richtiger beurteilt, auch im einzelnen Falle richtiger zu .entscheiden im stände ist, als ein ihr Fernstehender.

e. Der Entwurf der großstadträtlichen Kommission für eine Verordnung betreffend Arbeitslosenversicherung bestimmt in Art. 3 : ,,Freiwillige Kassen, die sich unter öffentliche Aufsicht stellen und sämtliche zu ihrem Berufe gehörenden Arbeiter aufnehmen, erhalten einen städtischen Beitrag, der im gleichen Verhältnisse der Barleistungen der Stadt an die städtische Versicherung zu bemessen ist.a Diese Bestimmung wäre nach unserem Dafürhalten aufzunehmen, und dahin zu erweitern, daß Bund und Kantone an die genannten Kassen, wie die Gemeinde (Stadt), entsprechende Beiträge leisten.

f. Die Ausländer gleich von Anfang an den Schweizerbürgern gleich zu stellen, d. h. sie ohne weiteres zur Arbeitslosenversicherung zuzulassen, erscheint uns nicht angezeigt. Wie die Erfahrung lehrt, leidet der Schweizerarbeiter (allerdings aus verschiedenen Gründen) stark unter der Konkurrenz der Ausländer; diese aber durch Gleichstellung bezüglich der Versicherung noch zu begünstigen, wäre nicht gerechtfertigt, zumal, wenn es sich um Ausländer handelt, die nur ganz vorübergehend in der Schweiz ihren Verdienst suchen. Es wird sich daher rechtfertigen, für ihren Eintritt in die Versicherung die Bedingung zu stellen, daß sie sich vorerst über eine bestimmte Dauer ununterbrochenen Aufenthaltes in der Schweiz, vielleicht l bis 2 Jahre, ausweisen.

g. Ob dem Bunde noch weitere Aufgaben zugewiesen werden sollen, wird sich erst ergeben, wenn die Arbeitslosenversicherung einige Zeit funktioniert hat. Diese, sowie der Arbeitsnachweis, werden, wie schon bemerkt, am besten in die Hände der Gemeinde gelegt, und die Zentralkontrolle dem Bunde überlassen.

In Zeiten von ungewöhnlich großen Krisen werden ohne Zweifel Bund, Kantone und Gemeinden in den Fall kommen, ihre Leistungen entsprechend zu erhöhen.

728 h. Der Kanton Zürich besitzt seit dem Jahre 1886 eine Verordnung betreffend die Placierungsbureaux für Dienstboten.

Sie regelt die Stellenvermittlung, die Verabreichung von Kost und das Vermieten von Zimmern, indem sie zugleich schützende Bestimmungen gegen Vorschubleistung zur Unzucht aufstellt. Bei einer Einschreibgebühr von 50 Rp. darf das Maximum der Taxe Fr. 5 nicht übersteigen. Boi Zuwiderhandlung gegen die Verordnung beträgt die Buße Fr. 10 bis 200 ; es wird hinreichende Bücherführung verlangt.

Im Jahre 1894 legte der Stadtrat Zürich dem Regierungsrate einen Entwurf zu Polizeivorschriften betreffend Placicrungs-.

bureaux für Dienstboten zur Genehmigung vor; eventuell beantragte er, es möchte die kantonale Verordnung im Sinne des Entwurfes revidiert werden. (In demselben sind außer den eigentlichen Dienstboten auch Hausdiener, Kutscher, Kellner und Kellnerinnen inbegriffen.) Er sah sich zu seiner Eingabe hauptsächlich durch die überhandnehmende Überforderung der Stellensuchenden durch die Bureaux und die oft geringe moralische Qualität der Inhaber der letzteren veranlaßt. Wie die kantonale Verordnung, sah auch der Entwurf der Stadt Zürich eine Maximaltaxe von Fr. 5 vor; für die Bußen wurde kein Maximum festgesetzt, dagegen im Wiederholungsfälle Entzug der Konzession in Aussicht gestellt; über die Führung der Bücher (Register) wurden detaillierte Bestimmungen aufgestellt. Die Statthalterämter Zürich und Winterthur, sowie der Stadtrat Winterthur, denen der Entwurf zur Begutachtung vorgelegt worden war, erklärten übereinstimmend, daß eine Revision der kantonalen Verordnung einer Genehmigung des stadtzürcherischen Entwurfes vorzuziehen sei, einesteils, weil im letzteren Falle die beiden Verordnungen kollidieren müßten, und andernteils, weil für Kellner und Kellnerinnen, die sich wesentlich besser stellen, als (gewöhnliche) Dienstboten, die Erhebung einer über Fr. 5 hinausgehenden Taxe sich rechtfertige; der Stadtrat Winterthur glaubte, diese dürfte bis auf 2 °/0 des Jahres-, beziehungsweise Saisonverdienstes gehen. Der Regierungsrat hat indessen aus verschiedenen Gründen von einer Revision der kantonalen Verordnung Umgang genommen und dem Entwurfe des Stadtrates Zürich im Jahre 1897 die Genehmigung erteilt.

Um dem Unwesen in den privaten Placierungsbureaux gründlich zu steuern und einer gewissenlosen Ausbeutung der Stellensuchenden ein für allemal ein Ende zu machen, dürfte der Erlaß einer eidgenössischen Verordnung das einzig richtige sein und

729 er könnte wohl im Sinne der Eingabe der Union Helvetia vom 6. Juni 1894 gehalten werden.

i. Ohne Verfassungsrevision wird die Arbeitslosenversicherung nicht eingeführt werden können, ist sie doch nur ein weiterer Ausbau der Arbeiterfürsorge, der die vom Schweizervolke abgelehnte Unfall- und Krankenversicherung zu dienen gehabt hätte.

Für diese aber war auch eine Partialrevision erforderlich.

2. Bern.

Von diesem Kanton liegt kein Bericht vor.

3. Luzern.

(30. April 1902.)

Wir bemerken zum voraus, daß eine solche Berichterstattung nur dann Wert hat, wenn sie sich auf sichere statistische Angaben stützen kann. Diese stehen uns aber nicht zu Gebote, und wir müssen daher vor allem aus dem Wunsche Ausdruck geben, daß eine diesbezügliche eidgenössische Statistik angestrebt werde, und dies um so mehr, als wir kein kantonales statistisches Bureau besitzen.

Was die Arbeitslosigkeit betrifft, so muß konstatiert werden, daß sie im Kanton Luzern noch nie in hohem Grade sich gezeigt hat. Im arbeits- und verdienstarmen Winter 1893/94 sah sich der Stadtrat von Luzern veranlaßt, eine Aufnahme der in der Stadtgemeinde wohnhaften, beschäftigungslosen männlichen Schweizerbürger zu veranstalten. Diese Aufnahme fand am 12. November 1893 statt. Sie sollte als Grundlage für allfällig weiter notwendig werdende Anordnungen dienen. Wir entnehmen dem einschlägigen Berichte des Stadtrates folgendes: Auf eine in den Tagesblättern erschienene Aufforderung meldeten sich an benanntem Tage als arbeitslos an 194 Personen, davon waren wegen körperlicher oder geistiger Defekte arbeitsunfähig 39 ,, bleiben 155 arbeitsfähige, damals aber beschäftigungslose Personen, wovon verehelicht 79 mit 129 Kindern, unverehelicht 76. Dem

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Kanton Luzern gehörten an 139, anderen Kantonen 16 Personen. Diese Arbeitslosen verteilten sich auf folgende Berufsaiten : Bauarbeiter und verwandte Gewerbe (ohne Erdarbeiter und Taglöhner) 19 Angestellte des Handels und Verkehrs 23 Häusliche Gewerbe 13 Landwirtschaft 3 Erdarbeiter und Taglöhner 97 In der Gemeinde Kriens hat auf Veranlassung des dortigen Fortschrittvereines im Spätherbst 1901 eine Zählung der Arbeitslosen stattgefunden. Der Gemeinderat von Kriens berichtet uns darüber: Auf erfolgte Ausschreibung meldeten sich 18 Arbeitslose, und zwar alles Arbeiter ohne erlernten Beruf.

Eine Sichtung derselben ergab: a. daß gut 2/s alt) gebrechlich, und daher mehr oder weniger dauernd arbeits- und erwerbsunfähig waren ; b. daß etwa 2/a Mitglieder von Familien waren, von denen andere Teile, Söhne oder Töchter, ununterbrochen Erwerb hatten ; c. daß also nur etwa 5--6 Personen als wirklich arbeitslos taxiert werden konnten.

Der Stadtrat von Luzern sorgte dafür, daß die Großzahl der Arbeitslosen bei den kurz nach der Zählung in Angriff genommenen Bahnhofbauten und den Entwässerungsarbeiten, welche die Stadtgemeinde auf dem Exerzierfelde ausführen ließ, Arbeit fand. Auch der Gemeinderat von Kriens wußte den Arbeitslosen Beschäftigung zu verschaffen, indem er den Unternehmern von Werken, die auf dem Territorium der Gemeinde ausgeführt werden sollten, wie die Wasserversorgung Dorf Kriens, die Gasmesserfabrik etc., zur Bedingung machte, daß in erster Linie dort ansässige, arbeitslose, aber arbeitsfähige Leute zur Verwendung kommen. In dieser Weise wurden die Übelstände, die mit der Arbeitslosigkeit verbunden sind, mit Leichtigkeit gehoben.

Auch die hierseitige Behörde hat in letzter Zeit die Ausführung eines großen Brückenbaues über die Emme beschleunigt, um zu verhüten, daß eine bedeutende Zahl von Arbeitern in der Fabrik Bell in Kriens die Arbeit einstellen müßte.

Ein Vorbeugungsmittel gegen die Arbeitslosigkeit, sofern es sich nicht um allgemeine wirtschaftliche Krisen oder um solche

731 ganzer Industrie- und Erwerbszweige handelt, liegt nach unserer Auffassung in der Tätigkeit gut geleiteter, mit dem nötigen Zutrauen versehener und möglichst verbreiteter Arbeitsnachweisbureaux. Öffentliche Institutionen für Arbeitsnachweis und für Schutz gegen Arbeitslosigkeit bestehen im Kanton Luzern nicht.

Die gegenwärtig in Luzern bestehenden Arbeitsnachweisbureaux sind ausnahmslos private Einrichtungen. Wir glauben diesen Charakter auch denjenigen Bureaux zulegen zu sollen, die von Vereinen gegründet und unter ihrer Aufsicht geführt werden.

Hierzu gehören : 1. das Stellenvermittlungsbureau des kaufmännischen Vereins ; 2. dasjenige für Hotelpersonal; 3. dasjenige des Gewerkschaftsbundes Luzern; 4. dasjenige des katholischen Mädchenschutzvereins Luzern.

Laut Bericht des Stadtrates sind gegen die Geschäftsführung dieser Bureaux keine Klagen laut geworden. Sie sind gut geleitet und dienen, frei von jeder Nebenabsicht, nur dem ausgesprochenen Zwecke, ohne dabei auf Erwerb auszugehen. Das unter 4 erwähnte Bureau, das sogenannte ,,Marienheim" au der Habsburgerstraße, hat im Jahre 1901 etwa 1400 Gesuche von Herrschaften und 900 Gesuche von Arbeitsuchenden erledigt.

Daneben beschäftigen sich noch einige Placierungsbureaux mit der Unterbringung von Dienstboten, und zwei Herbergen besorgen die Placierung von Handwerkern. Für zureisende Handwerker besteht überdies in der Stadt Luzern die Einrichtung der polizeilichen Utnschaukarten, die indessen die Erwartungen nicht erfüllt hat, denen sie ihre Einführung verdankt. Auch gegen die eigentlichen Placierungsbureaux wird laut Bericht des Stadtrates nur selten Klage geführt; immerhin darf aus den bei der Polizei eingegangenen Reklamationen geschlossen werden, daß Arbeitsuchende, namentlich Dienstboten, die Informationen zu teuer bezahlen müssen, und daß mit der Placierung dann und wann auch das Pfandleihwesen betrieben wird, welch letzteres namentlich Anlaß zu Differenzen und Klagen gibt; ohne Zweifel liegt darin eine Gefährde für den Dienstsuchenden, deren Größe gewöhnlich vom Grade der Gewissenhaftigkeit des Placierungsagenten abhängt.

Um den privaten Arbeitsnachweis zu regeln, hat der Regierungsrat am 25. April 1898 eine neue Verordnung erlassen, die. nach den bis jetzt gemachten Erfahrungen ihren Zweck

732 ziemlich erreicht, indem die Zahl der Arbeitsnachweisbureaux sich reduziert hat und die Führung der noch bestehenden infolge der strengen Kontrolle bedeutend besser geworden ist.

Bezüglich der Frage, ob Organisationen für Arbeitsnachweis und gegen Arbeitslosigkeit den Gemeinden und Kantonen, oder dem Bunde überlassen werden sollen, halten wir dafür, daß es in erster Linie Sache der Gemeinden und der Kantone ist, dem Übel der Arbeitslosigkeit zu steuern, und daß der Bund erst dann helfend eingreifen soll, wenn die Arbeitslosigkeit größere Dimensionen angenommen hat. Dabei setzen wir voraus, daß der einzelne Arbeiter bestrebt ist, sich selbst zu helfen, und nicht gleich nach staatlicher Hülfe zu rufen, bevor er nur die geringste Anstrengung gemacht, Arbeit zu suchen.

4. Uri.

(16. März 1895.)

Es kann hierlands von einer eigentlichen Arbeitslosigkeit, die ein Einschreiten des Bundes erfordert, noch kaum die Rede sein. In unserm Kanton haben wir wenigstens solche Wahrnehmungen nicht gemacht, und können wir diesbezüglich keine Angaben machen.

Was den weitern Punkt betreffend Mitwirkung des Bundes bei Institutionen für öffentlichen Arbeitsnachweis und das damit verwandte Gesuch der Union Helvetia betrifft, so erachten wir eine Regelung und Kontrolle durch den Bund im Interesse sowohl der Arbeitgeber als der Arbeitsuchenden als wünschenswert und angezeigt.

S. Sclvwyz;(6./10. Dezember 1894.)

1. Der Kanton Schwyz besitzt keine gesetzlichen Vorschriften für öffentlichen oder privaten Arbeitsnachweis und für Schutz gegen Arbeitslosigkeit.

2. Klagen über Arbeitslosigkeit sind bisher in unserm Kanton nicht erhoben worden. Die industriellen Geschäfte ziehen, außer den einheimischen, noch viele fremde Kräfte bei. Bei der landwirtschaftlichen Bevölkerung ist für jeden, der arbeiten will, genug Arbeitsgelegenheit geboten.

0

733

3. Uns erscheint zurzeit ein staatliches Eingreifen in diese Angelegenheit weder als nützlich, noch als notwendig.

6. Obwalden..

(26. September 1895.)

Unser Kanton hat als ein vorzüglich Landwirtschaft, beziehungsweise Viehzucht treibender nie irgend etwas von Arbeitslosigkeit verspürt, vielmehr hat jedermann auf seine Art genügende Arbeit, und ist beim Heuen jedes Jahr ein eigentlicher Mangel an Arbeitern, und wenn bei öffentlichen Bauten u. s. w. in erster Linie Einheimische beschäftigt werden wollten, so meldeten sich bis jetzt noch niemals genügende taugliche Arbeitskräfte von Hiesigen, vielmehr mußten, trotz direkter Bevorzugung der letztern, stets Ausländer, meistens Italiener, eingestellt werden. Hiermit wollen wir durchaus nicht sagen, wir hätten in dieser Beziehung ideale Zustände. Mancher Ungeschickte oder Paullenzer jammert nach Verdienst, aber ohne ihn zu suchen, und manchem armen Bäuerlein, das stundenweit vom Dorf auf einem Berggut wirtschaftet, wäre es zu gönnen, es könnte die paar unbeschäftigten Werktage, die es ihm während des Jahres trifit, in gut bezahltem Taglohn zubringen ; aber alles so einrichten, wie es einem am besten scheint, kann man einmal nicht auf der Welt; es wäre ungerecht, wenn der Dumme und Faule gleich gut gelohnt wäre, wie der Fleißige und Geschickte, und der arme Bergbewohner abseits der Arbeitszentren hat schon einen Finanzausgleich indirekt gefunden, indem er sein Bergwesen viel weniger teuer bezahlen muß, als ein gut gelegenes Heimwesen. Wir wollen nun nicht gerade bahaupten, daß man in hiesigen bäuerlichen Kreisen dem ,,Recht auf Arbeit1* unsympathisch entgegenstehe -- wir gönnen jedem die Arbeit -- aber anderseits ist man sich doch klar, daß durch ähnliche Bestrebungen, beziehungsweise deren Realisierung, Arbeiter vom Lande immer mehr abgezogen und nach den städtischen Zentren gelockt werden; ob dieses zum Vorteil sei, wird die Zukunft lehren. · Was die Anfrage betreffend Stellenvermittlungsbureaux betrifft, so hat diese für hiesigen Kanton schon eher Interesse, doch fühlen wir uns hier so wenig, wie im ersten Fall, veranlaßt, direkte Vorschläge zu machen; in unserm ganzen Kanton existierte bis jetzt kein einziges derartiges Institut und auch keine diesbezüglichen Gesetze oder polizeilichen Vorschriften.

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. V.

49

734

Anderseits aber sind wir überzeugt, daß ein eidgenössisches Gesetz oder eine Verordnung nur vom Guten sein würde, und würden ein solches eher begrüßen als nicht.

V» IVicl-waldexi.

(18. Dezember 1894.)

Wir leben diesbezüglich hierseits in sehr einfachen und ziemlich geordneten Verhältnissen.

Wer hier arbeiten will und arbeiten kann -- wir haben vorzüglich die männliche Bevölkerung im Auge -- der findet stets Arbeit. Der Beweis hierfür liegt in dem Umstände, daß, um alle Arbeitsbedürfnisse befriedigen zu können, im Lande stets eine große Anzahl Italiener und Tiroler, teils als Meister, teils als Arbeiter, sich aufhalten.

Es fällt auch in Betracht, daß unsere meisten Arbeiten der landwirtschaftliche Betrieb erfordert.

Wir haben schon auch etwas Fabrikindustrie. Hier sind oft Personen mit besonderer Bildung zu verwenden, die sich unsere Angehörigen nicht angeeignet haben.

Darüber, daß bei möglicher Anstellung unsere Bürger ändern Arbeitern nachgestellt würden, können wir nicht klagen.

Entsteht Mangel an Arbeit in den Fabriken, so gehen auswärtige Arbeiter heim zu ihrer Familie oder sie suchen Arbeit in ändern Etablissementen, die unsrigen gehen hier zu ihrer Familie, so daß eine eigentliche Arbeitsnot nicht in größerem Maßstab zu Tage tritt.

Was den Arbeitsnachweis betrifft, so besteht im Kanton kein Arbeitsnachweisbureau. Plätze für Viehwärter nach Deutschland oder Dienstbotennachweise werden von einigen wenigen Privatpersonen vermittelt, letztere jedoch meistens von Familie zu Familie oder von der Anstellung suchenden Person zu den Familien.

Diese unsere Zustände zeigen, daß wir nicht befähigt sein können, das Kreisschreiben einläßlich zu beantworten oder die gewünschten Anträge zur Regelung vorwürfiger Angelegenheiten zu stellen.

735

Ä. Grlarus.

(19. September 1895.)

Die dem Kreisschreiben zu Grunde liegenden Postulate beziehen sich nur zu einem äußerst geringen Teil auf unsere glarnerischen Verhältnisse und haben offenbar mehr Bezug auf größere Städte. Wir besitzen daher hierorts auch wenig Erfahrung, die den Bundesorganen als geeignetes Material dienen könnte. Erst seit dem Jahre 1892 besteht in unserm Kanton das Institut der Arbeitsvermittlung, und zwar im wesentlichen nur für Placierung fremder Handwerksgesellen. Von ein paar Vermittlungen für Dienstmädchen, die in G-larus bestehen, glauben wir nicht weitläufig reden zu sollen. Die erste Arbeitsvermittlung wurde von den polizeilichen Organen an die Hand genommen, und hatte in der Hauptsache den Zweck, eine Minderfrequenz der NaturaiVerpflegung herbeizuführen, beziehungsweise ihre mißbräuchliche Inanspruchnahme zu beseitigen. Es ist dies zum Teil auch gelungen, und es hat diese Stellenvermittlung ziemlich gute Dienste geleistet. Dabei hat sich freilich herausgestellt, daß in dein Zeitpunkte, da unsere Handwerksmeister tüchtige Kräfte nötig hätten, solche sich hierorts nicht oder nur in beschränktem Maße einfinden, während dann in einer für die Arbeitgeber ungelegenen Zeit ein großer Zudrang waltet. Offenbar suchen Arbeitslose zuerst größere Zentren auf, bevor sie in unser Land kommen. Für die Stellenvermittlung wurde bis jetzt die bescheidene Taxe von Fr. l berechnet und dem Arbeitgeber überbunden.

Sie wurde jedoch nur in solchen Fällen erhoben, wo dann wirklich eine Stelle vermittelt wurde, d. h. ein Dienstvertrag zu Stande kam. Einen großen Umfang hat übrigens auch dieses Institut nicht angenommen.

Ist angesichts dieser tatsächlichen Verhältnisse betreffend den hiesigen Arbeitsnachweis über alles weitere auch äußerst wenig zu sagen, so wollen wir doch noch mit einigen Worten auf die übrigen, im Kreisschreiben berührten Fragen eintreten, und zwar folgendermaßen : Von einer eigentlichen" und regelmäßig auftretenden Arbeitslosigkeit kann glücklicherweise bis jetzt in unserm Lande nicht gesprochen werden, wenn auch gegenwärtig ein Industriezweig, nämlich die Kattundruckerei, in einzelnen Branchen darniederliegt. Die daherige Stockung dauert schon seit mehreren Jahren an. Über ihre Ursachen können wir uns nicht weiter verbreiten und nennen als solche einzig die allzu große Konkurrenz,

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sowie auch die schwierigen Zoll Verhältnisse. Die Arbeitslosigkeit war indessen nie eine vollständige, sondern betraf einen mehr oder weniger großen Bruchteil 'der Zeit. Wann wieder Gelegenheit sich zeigte, wurden alle bisherigen Arbeiter möglichst zur Arbeit herbeigezogen. Eine bezügliche Statistik existiert nicht, wäre auch etwas schwierig aufzunehmen, und wir halten dafür, daß auch diese eidgenössische Statistik mit Schwierigkeiten verbunden wäre, da eben die gegenwärtige Erscheinung eine ganz abnormale ist und binnen kurzen Fristen wechselt.

Organisation gegen Arbeitslosigkeit, wie besonders auch die sogenannte Arbeitslosenversicherung existieren bei uns nicht.

Gegenüber den oben erwähnten bedauernswerten Verhältnissen kann umgekehrt konstatiert werden, daß sozusagen alle ändern Industriezweige vollauf beschäftigt sind, und daß sehr viele fremde Arbeitskräfte in unser Land kommen. Auch an landwirtschaftlichen Arbeitern hat man bei uns eher Mangel, als Überfluß, trotz der bedeutenden Löhne, die von den Bauern bezahlt werden. Hervorheben wollen wir auch noch, daß bei längerer Arbeitslosigkeit unsere im ganzen ziemlich gut situierten Gemeindon es von jeher und auch in der letzten Zeit wieder als ihre Aufgabe betrachteten, mit öffentlichen Arbeiten der Verdienstlosigkeit entgegen zu treten. Über die Frage, ob der Bund sich an den Institutionen betreffend Arbeitsnachweis und Schutz gegen Arbeitslosigkeit beteiligen solle, sind wir mit Rücksicht auf den Mangel an praktischen Erfahrungen nicht im Falle, uns einläßlicher auszusprechon, da sie, wie eingangs bemerkt, sich in erster Linie offenbar auf städtische Verhältnisse bezieht. Einmal angefragt, glauben wir aber, daß allerdings der Bund solchen Institutionen bedeutende Aufmerksamkeit schenken und sich hieran auch in hervorragender Weise finanziell beteiligen sollte.

Selbstverständlich wäre damit auch ein Aufsichtsrecht des Bundes mit Maßregeln für Kontrolle und Schutz gegen Mißbrauch zu verbinden, wobei freilich den eigenartigen Verhältnissen der verschiedenen Kantone und der einzelnen Arbeitszweige Rechnung getragen werden müßte.

Was diejjBehandlung der Ausländer mit Bezug auf die Versicherung gegen die Arbeitslosigkeit betrifft, so erscheint es uns als wünschbar, daß die vom Bunde getroffenen Wohlfahrtseinriehtungen den Ausländern nur dann zu
gute kommen sollten, wenn vom Heimatsstaate Gegenrechtszusicherung erhältlich ist, denn wenn z. B. den Ausländern die unentgeltliche Verbeiständung in Haftpflichtfallen gewährt wird, während umgekehrt

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der Schweizer im Auslande diesen Rechtsschutz nicht genießt, so scheint uns damit die Humanität des Bundes fast zu weit getrieben zu sein.

Mit bezug auf den privaten Arbeitsnachweis halten wir in Übereinstimmung mit der im Kreisschreiben angeführten Eingabe der Union Helvetia dafilr, daß eine polizeiliche Kontrolle geübt werden sollte. Wie gesagt, beschlägt zwar auch diese Frage unsere hiesigen Verhältnisse nicht. Daß der Bund die Kompetenz hat, sich nach der bezeichneten Richtung zu betätigen, halten wir für zweifellos und glauben nicht, daß eventuell dazu eine Verfassungsrevision notwendig wäre.

9. Zaig.

(26. Juli 1895.)

Vor allem glauben wir, konstatieren zu dürfen, daß erhebliche Klagen über Arbeitslosigkeit im Kanton Zug bisher nicht laut geworden sind, wenn es auch selbstverständlich ist, daß der Winter überall gewisse Arbeiten verunmöglicht oder beschränkt, und die davon betroffenen Arbeiter [und deren Familien darunter leiden.

Als ein Linderungsmittel für solche Notstände darf für die meisten Einheimischen der Korporationsnutzen betrachtet werden, dem ja, weil allen gleichberechtigten Bürgern zukommend, der Charakter einer Armenunterstützung durchaus abgeht. Der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit ist aber die im ganzen gedeihende, jedenfalls ununterbrochene Industrie- und Gewerbetätigkeit, sowie der Wille der Arbeiter, sich den Verhältnissen anzubequemen, und im Notfall da Arbeit zu nehmen, wo sie in tunlichst geeigneter Weise zu haben ist.

Zu den gestellten Fragen ist folgendes zu bemerken :' Was die Ursachen, den Umfang und die Dauer der Arbeitslosigkeit, die hauptsächlich betroffenen Berufsarten u. s. w. betrifft,so können wir hierauf mangels aller bezüglichen Anhaltspunkte und Erhebungen nicht eintreten. Wir sind nur im Falle, zwei statistische Tabellen über die Ergebnisse der Naturalverpflegung, beziehungsweise über die wandernden Arbeitslosen, pro 1893 und 1894 vorzulegen:

738

Statistik der Naturalverpflegungsstation Zug pro 1893.

Im Jahre 1893 wurde die Naturalverpflegung an 3283 durchreisende Handwerksburschen verabreicht. Darunter befanden sich: Schlosser 331 Landarbeiter und Taglöhner 234 Schreiner 231 Bäcker 220 Metzger 181 Schuster 180 Schneider 173 Schmiede 126 Maler 126 Spengler 120 Erd- und Stcinarbeiter 105 Zimmerleute .

99 Maurer 92 Mechaniker 87 Sattler 79 Buchbinder 66 Fabrikarbeiter 64 Wagner 51 Hotelbedienstete 49 Gärtner 44 Buch- und Steindrucker 43 Küfer 42 Konditoren 40 Müller 35 Hafner 33 Bierbrauer 31 Weber 28 Schriftsetzer 27 Gerber 23 Dachdecker 23 Commis 22 Tapezierer 20 Glaser 19 Drechsler 19 Bürsten- und Korbmacher 18 Säger 18 Färber 13 Übertrag

3112

739

Übertrag

3112 10 9 9 143

Total

3283

Coiffeure Käser Kaminfeger Verschiedene gegenüber 3893 im Jahre 1892.

Nach der Nationalität waren es: Schweizer Deutsche Österreicher Italiener Franzosen Dänen Schweden Belgier Holländer Russen

1755 1111 284 69 32 18 6 4 3 l Total

3283

Nach Monaten verteilten sich die verabfolgten Unterstützungen, wie folgt: Januar 454 Februar 350 März 278 April 173 Mai 264 Juni 207 Juli 275 August 276 September . . . . 2 3 5 Oktober 228 November . . . . 2 4 3 Dezember . . . . 3 0 0 Total

3283

Statistik der Naturalverpflegungsstation Zug pro 1894.

Monat« I

Schweizer .

Deutsche Österreicher Italiener Dänen Franzosen Holländer Schweden Beieier Russen Spanier Luxemburger

II

III

IV

V

VI

VII VIII

IX

X

XI

XII

Total

. . . . 194 171 127 105 103 80 125 125 102 114 144 154 1544 63 81 89 91 101 153 116 118 116 96 105 81 1210 254 19 26 22 21 27 28 29 23 12 16 13 18 3 9 4 2 2 5 2 5 9 59 8 10 2 2 1 4 3 8 4 5 40 4 7 1 3 2 2 1 3 2 8 7 35 3 3 2 2 2 6 4 2 1 1 1 2 1 2 2 1 1 2 1 1 1 1

293 299 250 234 237 271 279 277 237 241 273 269 i Total

3160

Gewerbe

Anzahl

Anzahl

Gewerbe Übertrag

i

Schlosser Bäcker Knechte und Taglöhner Schneider Metzger Schreiner Maler Schmiede Schuster . . . .

Sattler Spendier Zimtnerleute Maurer Mechaniker . . . .

Buchbinder . . . .

Hotelbedienstete .

218 197 180 170 144 136 135 104 88 72 64 63 62 55

Übertrag

2244

313 243

Gärtner Dreher Wagner. . . . * ?

Fabrikarbeiter .

Konditoren . . . .

Setzer Hafner Küfer . . . . . .

Kaufleute .

Uhrenmacher, Goldarb Buchdrucker . . .

Tapezierer .

Gießer . . . .

Brauer Färber Steinhauer

.

.

.

.

Übertrag

Übertrag

2244

48 41 41 39 38 37 37 34 34 34 32 30 30 29 29 25 2802

Anzahl

Gewerbe

Gerber Drechsler Kupferschmiede Müller .

.

Kaminfeger .

Säarer Glaser Coiffeure Weber . . .

Tischler Feilenhauer .

Zie^ler Dachdecker Korbmacher .

Verschiedene .

.

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

Total

2802

25 24 23 21 19 18 17 17 17 13 11 11 11 8 123

3160 !

-3

742 Was den Arbeitsnachweis betrifft, so liegt derselbe wesentlich in Händen verschiedener Privatbureaux. Das Bedürfnis, ihn zu einem öffentlichen und, soweit möglich, einheitlichen umzugestalten, wurde schon wiederholt besprochen, ohne bisher dem Ziele näher zu rücken. Die Konkurrenz der Privatbureaux, die Kleinheit unseres Gebietes, sowie die Anschauung, daß, wenn etwas Rechtes geschaffen werden wolle, mit einem unentgeltlichen oder wenigstens möglichst billigen Arbeitsnachweisbureau auch geeignete Unterkunftslokale, besonders für das weibliche Geschlecht, geschaffen werden sollten, schreckten bisher zurück.

Eine wenigstens das ganze Gebiet des Kantons Zug umfassende, auf zuverlässiger, solider und gemeinnütziger Grundlage beruhende Organisation des Arbeitsnachweises erscheint aber sowohl für die Arbeitgeber als die Arbeitsuchenden als ein dringendes Bedürfnis, da die vielen kleinen Privatbureaux meist ungenügend geführt sind, zu kleine Kreise umfassen und natürlich meist zu sehr als auf das eigene Interesse bedacht erscheinen. Diese Neugestaltung in kantonalen Kreisen wird aber unseres Erachtens eine kantonale Sache sein und bleiben müssen, und, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, mit Unterstützung des Staates und interessierter und gemeinnütziger Vereine bei gutem Willen durchführbar sein. Soll aber der Arbeitsnachweis im Gesamtvaterlande möglichst vollkommen ausgebildet werden, so werden auch die kantonalen noch so gut eingerichteten Nachweisstellen kaum genügen. Ein interkantonaler Ausgleich wird nötig werden. Sache des Bundes kann es eventuell sein, diesen interkantonalen Ausgleich zu besorgen, und im Falle großer Krisen, deren Bewältigung den Kantonen nicht möglich ist, in geeigneter Weise, sei es, wenn möglieh, durch Gewährung von Arbeit, sei es durch entsprechende Unterstützung, einzutreten.

Ob die Arbeitslosenversicherung eine Zukunft haben wird, wagen wir nicht zu entscheiden. Offen gestanden, will uns scheinen, daß sie ohne Einbeziehung weiter Kreise zu den obligatorischen Beiträgen schwere Krisen kaum zu bestehen im Falle sei, durch die Nötigung von wenig oder ganz unbeteiligten Kreisen zur Beitragsleistung aber doch zu einer Art Armehunterstützung werde, deren Schein vermieden werden will. Ein Zwang bestimmter Kreise zum Beitritt erscheint uns als unberechtigt, und die Pflicht
des Staates, in Notfällen mit milden Unterstützungen nach Maßgabe der Steuerkräfte einzutreten, als ein viel willkommeneres, gerechteres und leichter durchführbares Prinzip. Jedenfalls dürfte es unseres Ermessens nicht Sache des Staates sein, für einen

743

Versuch, der vermehrte Klassentrennung zur Folge zu haben scheint, lebhaft im Vordertreffen zu stehen und sich zu engagieren.

Was die Anregung der Union Helvetia betrifft, so dürfte gegen den Inhalt der vorgeschlagenen Verordnung in der mitgeteilten allgemeinen Form nicht viel einzuwenden sein, soweit sie private Stellenvermittlungsbureaux betrifft. Aufsicht und Kontrolle der Polizeibehörde, Genehmigung der Statuten und Tarife, für die gewisse Sehranken am Platze sind, die Teilung der Taxe, die Strafbestimmungen, das alles sind Dinge, die behufs Ausübung der staatlichen Aufsicht der gesetzgeberischen Festsetzung bedürfen. Es kann nur die Frage sein, ob diese legislatorische Arbeit Sache des Bundes sei, oder nicht.

Es mag zugegeben werden, daß eine gewisse Einheitlichkeit als wünschenswert erscheint. Sie ist vielleicht auch unter Wahrung der kantonalen Befugnisse durch einen sachentsprechendcn Vorentwurf und bezügliche Verhandlungen wenigstens einigermaßen erzielbar. Indes halten wir dafür, daß die einschlägigen Verhältnisse in den verschiedenen Kantonen so verschiedene seien, daß es sehr schwer halten dürfte, selbe durch eidgenössische, allgemein verbindliche Vorschriften in befriedigender Weise zu ordnen.

Deshalb sind wir der Meinung, es möchte besser sein, gesetzgeberische Kompetenzen in dieser Beziehung dem Bunde nicht zu erteilen.

IO. Fribourg-.

(Le 17 juillet 1895.)

Nous croyons devoir vous faire observer tout d'abord que, notre canton étant essentiellement agricole, la question du chômage ne présente pas chez nous le caractère d'acuité qu'elle revêt dans les centres industriels. Une statistique sur le chômage, pour ótre complète et offrir quelque utilité, devrait donc porter, en premier lieu, sur la profession agricole. Or, il est très difficile d'obtenir sur ce sujet des indications statistiques exactes.

Nous préférons donc nous en tenir aux généralités plutôt que de vous transmettre des renseignements statistiques dont nous ne pourrions pas vous garantir l'exactitude rigoureuse.

Ces considérations émises, nous avons l'honneur de répondre comme suit aux différentes questions posées dans votre circulaire: a. Les causes communes du chômage, à savoir l'excédent de l'offre de travail sur la demande, la surabondance de la main-

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d'oeuvre pai- l'afflux des ruraux dans les villes, les charges et aléas croissants qui astreignent l'industriel à diminuer les frais généraux pour obtenir la baisse, les changements des procédés et du machinisme, la répercussion de malaises sociaux en appauvrissement des commandes et en atonie de l'esprit d'entreprise, la décadence des petits métiers, l'instabilité réciproque des relations entre employés et employeurs, toutes ces causes agissent dans des proportions diverses dans notre canton.

Nous relevons, en particulier, les cas de chômage provenant de l'affluence des ruraux en ville et la décadence des petits métiers. Ces cas se présentent surtout dans la ville de Fribourg.

Chaque année, un certain nombre de familles rurales, qui ont éprouvé des revers de fortune ou qui sont poussées par l'appât d'une vie plus facile ou d'un gain plus élevé, émigrent en ville. Le père et les enfants majeurs ne connaissent aucun métier. Ils ne peuvent s'occuper qu'à des travaux de manoeuvres, de terrassiers, à moins qu'ils ne parviennent à se faire admettre en qualité d'ouvriers dans une fabrique ou dans un atelier. Pendant la bonne saison, les manoeuvres, les terrassiers, les ouvriers du bâtiment trouvent suffisamment d'ouvrage, d'autant plus que le nombre des constructions nouvelles augmente sensiblement à Fribourg depuis quelques années. Vienne l'hiver, une bonne partie de ce monde est sans travail assuré.

Nous avons dit qu'une autre cause du chômage consiste dans la décadence du petit métier. Cette décadence, qui a pour cause principale l'introduction du machinisme et la liberté trop absolue du commerce et de l'industrie, résulte également de la perte des méthodes en matière d'apprentissage. En ce qui nous concerne, nous nous sommes appliqués à y suppléer, par l'élaboration d'une loi sur les apprentissages, par l'organisation d'ócoles professionnelles, par les encouragements donnés aux associations de métiers, à l'union fribourgeoise des métiers et arts industriels, par exemple. C'est là, en effet, un excellent moyen de prévenir le chômage. Bon nombre de jeunes gens, qui auraient eu un avenir assuré dans l'exercice de tel ou tel métier, préfèrent gagner quelque argent comme manoeuvres ou comme ouvriers dans une fabrique. Tandis que l'on recherche de bons chefs d'état, l'offre de travail excède la demande
dans l'industrie du bâtiment et dans nos fabriques. Il en résulte que les ouvriers sans travail sont obligés de quémander quelques journées, comme coupeurs de bois, etc. La situation devient encore plus critique

745

Thiver, ainsi que nous le faisions remarquer plus haut. Nous croyons -- et c'est vers ce but que nous dirigeons tous nos efforts -- que le relèvement des petits métiers contribuera à diminuer cette cause de chômage.

Ce que nous avons dit jusqu'ici s'applique exclusivement à la ville. En ce qui concerne la campagne, non seulement la question du chômage n'y existe pas, pendant l'été, mais la demande de travail y dépasse l'offre. Bon nombre d'agriculteurs éprouvent de sérieuses difficultés à trouver un nombre suffisant d'ouvriers pour l'exploitation de leurs domaines. Il en est tout autrement pendant la saison d'hiver. Un grand nombre d'ouvriers agricoles ne sont engagés que pour les travaux d'été. Au seuil de l'hiver, ils manquent complètement d'occupation et viennent chercher en ville un gagne-pain qu'ils n'y trouvent pas. Ils accroissent de la sorte l'armée des sans-travail. Plusieurs s'installent définitivement en ville et occasionnent ainsi, pendant la saison d'été, une surabondance de la main-d'oeuvre.

Statistique fédérale. L'établissement d'une statistique fédérale est nécessaire pour l'étude approfondie des besoins réels nés du chômage. Il est, en effet, indispensable que l'enquête et les procédés de l'enquête soient uniformes pour toute la Suisse, si l'on veut pouvoir tirer de la comparaison des chiffres obtenus, des conclusions certaines.

b. Il n'existe pas, dans notre canton, de bureaux de placement officiels, organisés par l'Etat ou la commune.

En dehors des bureaux privés de placement, qui font métier de fournir des renseignements sur le travail, nous connaissons chez nous deux institutions qui s'occupent gratuitement du placement. L'une est organisée par une association charitable ; l'autre a été créée par l'Union fribourgeoise des métiers et arts industriels. Ces deux bureaux offrent les plus sérieuses garanties au double point de vue moral et matériel.

Action publique. Bons de travail. Dans le domaine de l'assistance, nous signalons l'institution des bons de travail, qui a fonctionné, à Fribourg, pendant les mois rigoureux de l'hiver 1894/1895. Ces bons de travail étaient remis, contre paiement, par la Direction de police locale aux particuliers ou aux sociétés de bienfaisance, qui les délivraient aux personnes sans travail et sans moyens de subsistance. Les porteurs de bons n'avaient qu'à les présenter au bureau de police locale, qui leur fournissait du travail.

746

c. Nous répondrons à cette question en même temps qu'à celle formulée sous la lettre
d-e. Une action commune des bureaux de placement présente de précieux avantages ; les offres et les demandes de travail aboutissent à un résultat d'autant plus prompt qu'elles s'adressent à un plus nombreux public.

Comment atteindre ce but? Il nous paraît tout d'abord que la centralisation pure et simple de tous les bureaux publics de placement, quel qiie soit leur mode d'organisation, serait difficilement réalisable. La centralisation par canton existe, en fait, dans la plupart des cantons, dans le canton de Fribourg, par exemple, où les deux bureaux publics de placement dont nous parlions plus haut fonctionnent pour tout le canton. Mais il importe aussi que les bureaux des cantons entrent en relations les uns avec les autres. Pour favoriser la réalisation de ces rapports intercantonaux, la Confédération devrait en faire une condition dans l'octroi de ses subsides. Un des moyens d'atteindre le but serait, par exemple, l'organisation de bureaux de placement attachés à une catégorie déterminée de professions. La création de syndicats professionnels aurait facilité grandement la réalisation de cette idée. Il y aurait un bureau central pour tous les sjrndicats de la même catégorie de métiers, bureau qui concentrerait les renseignements des bureaux régionaux.

Les institutions de bienfaisance, l'Union suisse des arts et métiers, la Société suisse des commerçants, les différentes associations industrielles et ouvrières, sont à même d'y suppléer, on organisant des bureaux de placement régionaux avec un bureau central ou Vorort de l'association. Ce bureau central centraliserait toutes les demandes et les offres parvenues aux bureaux de section et les publierait dans un organe spécial. Au besoin, les différentes associations pourraient, à l'effet de centraliser davantage les renseignements, entretenir à frais communs un bureau central de renseignements. C'est là une question qui mérite un sérieux examen de la part des intéressés.

Quant aux caisses de secours et d'assurance contre le chômage, elles doivent, en évitation des abus, exercer une surveillance
rigoureuse sur leurs membres. Elles doivent, en outre, s'efforcer de prévenir le plus possible les causes du chômage. A cet effet, l'organisation de bureaux de placement par les caisses

747

de secours et d'assurance est tout indiquée. Le bureau de placement réalise un double but: il contrôle les membres et il prévient les causes du chômage.

En ce qui concerne la liberté de changement de domicile pour les membres des caisses d'assurance contre le chômage (Freizügigkeit), la manière dont elle peut être obtenue dépend du mode d'assurance adopté. La question nous paraît mériter l'attention des spécialistes. En la résolvant, on éviterait que des ouvriers sans travail, qui en trouveraient ailleurs, ne restent dans la localité qu'ils habitent, afin de percevoir leur indemnité.

La solution adéquate consisterait' dans l'adoption par toutes les caisses de statuts modèles établis sur la môme base, ce qu'il serait très difficile d'obtenir. Il est à remarquer, en effet, qu'une caisse ofirant toute sécurité et subventionnée, en outre, par un canton ou une commune, n'accepterait la réciprocité qu'avec une caisse offrant les mêmes garanties.

f. Il est difficile de se prononcer en principe. En ce qui concerne les placements, il faut laisser les institutions qui s'en occupent apprécier les circonstances. Par contre, l'assurance contre le chômage en faveur des étrangers présenterait de sérieux inconvénients. Elle aurait pour résultat immédiat l'affluence des ouvriers étrangers sur notre territoire, et, par contre-coup, la diminution du prix de la main-d'oeuvre, l'augmentation de la concurrence, l'accroissement du chômage, au grand détriment des travailleurs indigènes.

g. Il s'agit d'examiner là l'action des pouvoirs publics et, en particulier, de la Confédération, en ce qui a trait aux moyens de remédier au chômage. Il y a quatre moyens connus: 1° le placement; 2° l'assistance par le travail ; 3° les caisses de réserve pour secours; 4° l'assurance.

Ad 1. Le placement. Il peut être exercé, soit par des bureaux ou agences de spéculation, soit par des syndicats professionnels, soit par des municipalités, soit par des associations de mutualité ou de philanthropie.

Nous dirons, en répondant à la question h quelles sont, à notre avis, les mesures à prendre en ce qui concerne les bureaux privés de placement.

748

Gonfiò aux syndicats professionnels, aux associations ouvrières, le placement s'effectuera efficacement. Ces corporations sont très bien placées pour concentrer les offres et les demandes de travail. Il serait, en outre, désirable que le service du placement fût combiné avec l'assurance contre le chômage, l'organisation de caisses de secours pour les membres sans travail.

Il nous paraît également que les municipalités peuvent adjoindre à leur service public des bureaux de placement gratuits.

Elles offrent aux sans-travail des garanties d'impartialité. Elles sont, tout aussi bien que les associations professionnelles, à même de recevoir les renseignements.

Pratiqué, enfin, par des associations de mutualité ou de philanthropie, le placement présente, comme dans le cas précédent, toute sûreté, au point de vue du but recherché, de l'honnêteté des procédés et de la moralité publique.

Le rôle de la Confédération, en ce qui concerne les bureaux de placement, est connexe avec la question des assurances.

Admet-on, en effet, que la Confédération doive, à l'instar de l'assurance contre les maladies et les accidents, organiser l'assurance obligatoire contre le chômage, il ne paraît pas que la Confédération puisse, dans ce cas, se désintéresser de la question des bureaux de placement.

Abstraction faite de ce point de vue, les communes et les cantons sont certainement plus aptes que la Confédération à remplir cette mission, soit en subsidiant les bureaux créés par l'initiative des associations professionnelles, philanthropiques ou de mutualité, soit en organisant des bureaux officiels de placement.

Les cantons et les communes sont, en effet, plus à même de se rendre compte des causes du chômage, qui varient suivant les régions, et d'y apporter les remèdes appropriés aux circonstances. Il importe toutefois qie la Confédération subventionne largement ces institutions, tout en exigeant d'elles certaines garanties de bon fonctionnement.

Ad 2. L'assistance par le travail. L'organisation d'un travail provisoire, à la disposition de l'inemployé, dans des chantiers, des ateliers, des colonies, doit être l'oeuvre d'associations philanthropiques et des communes.

L'assistance publique, sous réserve de l'article 48 C. F., étant de la compétence cantonale, la Confédération ne peut intervenir que par des subventions, qui devraient être en proportion

749 de l'importance et de l'utilité des sacrifices faits on faveur de semblables entreprises.

Ad 3. Les caisses de réserve pour secours, proprement dites, qui donnent des subsides, en général, facultatifs, proportionnés à leurs ressources et subordonnés à des conditions morales et professionnelles, doivent être laissées à l'initiative des associations professionnelles. Ou sont là de véritables sociétés de secours, qui ne renferment pas les éléments constitutifs de l'assurance. Elles peuvent toutefois être subsidiées par l'Etat cantonal ou fédéral dans les cas de crise intense.

Ad 4. L'assurance contre le chômage involontaire est évidemment la solution la plus directe et la plus satisfaisante.

Nous disons chômage involontaire, car nous excluons du bénéfice de l'assurance le manque de travail résultant d'une cause voulue par l'inemployé, de l'abandon injustifié d'emploi, du refus de travail offert ou du congédiement mérité.

On doit, tout d'abord, se demander si le chômage peut être matière à assurance. L'affirmative nous paraît évidente, car il renferme tous les éléments constitutifs de l'assurance, à savoir : 1° un dommage possible, déterminé dans ses conséquences.

Le chômage est une menace, un danger qui est soumis à des probabilités, qui atteint l'un ou l'autre assuré, tout en épargnant la pluralité. C'est bien là la notion du risque professionnel ; 2° une prime d'assurance ; 3° la garantie résidant dans la possibilité où doit se trouver la société de faire face à ses obligations ; 4° une indemnité, soit le secours de chômage, accordé lors de la réalisation du dommage prévu.

Comment cette assurance est-elle possible? On en a cherché la réalisation par l'Etat seul, par les travailleurs, ou par le concours de divers facteurs.

1° Par l'Etat seul (Confédération, canton ou commune).

C'était le voeu des auteurs de la demande d'initiative tondant à l'introduction dans la constitution d'un article garantissant le droit au travail. Ils demandaient que la Confédération réalisât ce droit, notamment en assurant d'une façon suffisante les travailleurs contre les suites du manque de travail, soit par une Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. V.

50

750 assurance publique, soit en assurant les ouvriers à des institutions privées à l'aide des ressources publiques.

2° Par les travailleurs eux-mêmes.

Jusqu'à présent, l'initiative des travailleurs, dans ce domaine, ne s'est guère manifestée que par la fondation de caisses de secours (caisse de secours pour les membres sans travail de la fédération suisse des typographes, société de secours des typographes allemands, les Trades Unions anglaises).

Nous ne connaissons pas de société d'assurance contre le chômage, dans le sens strict du mot, fondée par les travailleurs seuls. Il semble donc bien que l'organisation de l'assurance sur cette base, sans l'intervention de l'Etat, des patrons, de sociétés philanthropiques, présente de sérieuses difficultés.

3° Par le concours des travailleurs et de divers facteurs.

Ces facteurs divers sont, comme nous le disions plus haut, les patrons, les sociétés philanthropiques, l'Etat.

Il s'agit d'examiner, tout d'abord, le rôle qu'il conviendrait d'attribuer à la Confédération en matière d'assurance contre le chômage.

Il nous paraît que l'étude ou tout au moins l'examen pratique de cette question très complexe et sur laquelle l'expérience de législations étrangères ne peut nous fournir aucune donnée, ne doit pas être pour autant relégué à l'arrière-plan. L'attention que semble absorber l'assurance contre la maladie et les accidents, se trouvera aussi en face de la vieillesse et de l'invalidité.

En matière d'assurance contre le chômage, le concours de la Confédération s'exercerait indirectement et par le moyen efficace de subsides suffisants. Tandis que le risque résultant de la maladie ou des accidents du travail est sensiblement le même partout, il n'en est pas de même du risque résultant du chômage.

Certaines contrées industrielles, certaines industries peuvent être périodiquement atteintes, tandis que d'autres contrées, d'autres industries en sont complètement indemnes.

Aussi bien, pour le moment du moins, les solutions mixtes, avec initiative et prépondérance de la commune ou du canton, qui ont d'ailleurs la charge de l'assistance publique, nous paraissent préférables. Les premiers essais faits à Berne, à St-GalI, à Baie, à Zurich, doivent être étudiés de près.

751 La Confédération devrait subventionner les institutions d'assurance établies sur ce pied, en les envisageant comme entreprises d'utilité publique.

h. Exercé par des agences de spéculation, qui en font métier, le placement prête à de nombreux abus.

Les abus principaux sont l'exploitation du pauvre et les placements sans garantie morale ou matérielle de la part des personnes auprès desquelles il a lieu.

C'est afin d'obvier à ces inconvénients, surtout pour mettre fin aux envois de jeunes filles à l'étranger dans de mauvaises conditions, que les cantons de Berne, Fribourg, Vaud, Valais, Neuchâtel et Genève ont conclu, en mai 1875, un concordat pour la protection des jeunes gens placés à l'étranger.

Les mesures qu'il prévoit, bien qu'elles visent spécialement le placement des jeunes gens à l'étranger, s'appliquent indifféremment, sauf certaines dispositions, aux placements dans l'intérieur de la Suisse. Le concordat fournit, sous ce rapport, aux législateurs cantonaux, d'excellentes indications.

Dans notre canton, la matière est réglée par l'arrêté du 10 février 1888 édicté en application du concordat du 5/20 mai 1875 précité et de la loi du 16 novembre 1876 sur le même objet.

L'arrêté, en conformité du règlement d'exécution du concordat, astreint celui qui veut ouvrir un bureau ou une agence de placement à l'obtention d'une patente.

Les personnes qui veulent obtenir une patente doivent garantir la stricte exécution de leurs engagements par dépôt de titres ou espèces, ou par cautionnement auprès de la Direction de police. Elles doivent, en outre, joindre à leur demande un certificat de bonnes moeurs délivré par le conseil communal.

Les bureaux de placement sont astreints à la tenue d'un registre où sont consignées leurs opérations. Ils ont à en remettre un extrait à la préfecture, le 5 de chaque mois, etc., etc.

Ces prescriptions correspondent, en partie, aux propositions formulées par l'Union-Helvetia, société suisse des employés d'hôtel, dans sa pétition du 6 juin 1893, sauf toutefois en ce qui concerne la proposition n° 4, relative au mode de paiement de la taxe.

La taxe perçue par les bureaux peut être cependant contrôlée par la préfecture, puisqu'elle figure au registre et sur l'extrait mensuel.

752

La réglementation des bureaux privés de placement rentrant dans le domaine de la police, peut être entreprise par la législation cantonale. Une législation fédérale sur la matière n'apparaît donc pas comme nécessaire.

En résumé nous estimons que la coopération de la Confédération doit s'étendre pour le moment aux points suivants: 1° Etablissement d'une statistique fédérale portant sur les causes, l'étendue, la durée du chômage.

2° Subventionnement par la Confédération des institutions d'utilité publique destinées à remédier au chômage.

3° Participation au moins équivalente de la Confédération aux dépenses des cantons en faveur de l'enseignement professionnel.

11. Solothurn.

(21. August 1896.)

Wir haben der Schwierigkeit des Gegenstandes wegen und um möglichst viel Material zur Beantwortung der im Kreisschreiben aufgeworfenen Fragen zu gewinnen, uns in konsultativer Weise an die in unserm Kanton bestehenden Vereine und Organisationen gewendet, von denen wir annehmen konnten, daß sie sich um die Fragen interessieren und hierüber ein sachgemäßes Urteil besitzen. Leider sind wir trotz mehrfacher Rechargen von der Großzahl derselben ohne Antwort geblieben, was die Beantwortung des Kreisschreibens verzögert hat. Es mag das Ausbleiben der Antworten, was wir uns freilich von Anfang an nicht verhehlt hatten, nicht zum mindesten darin seinen Grund haben, daß die Materie eine schwierige und wenig abgeklärte ist. Immerhin sind uns aus industriellen Kreisen einige schätzenswerte Antworten zugekommen, die wir zu Ihrer Verwendung beilegen.

Was zunächst die Eingabe der Union Hclvetia betrifft, so haben wir grundsätzlich, sowie auch gegen die in Vorschlag gebrachten Einzelbestiinmungen nichts einzuwenden, um so weniger, als wir ähnliehe Bestimmungen in unserm Kanton schon besitzen.

(Verordnung vom 1. Juli 1885.)

Bezüglich des Postulates der gesetzgebenden Rate haben wir folgendes zu bemerken. Außer der periodisch eintretenden Arbeitslosigkeit bei einzelnen Berufsarten (Maurer, Handlanger, Tag-

753 löhner, die zum Zwecke des bessern Fortkommens während des Winters den Städten und großen Ortschaften nachgehen), haben wir Arbeitslosigkeit in unserrn Kanton nicht zu verzeichnen.

Wir rechnen hierzu selbstverständlich die infolge von Streikes, z. B. bei dem großen Uhrmacherstreik im Leberberg im Frühling 1895, entstandene Arbeitslosigkeit nicht. Wir würden es als wünschenswert erklären, wenn zum Zwecke der genauen Kenntnis der Zahl der Arbeitslosen eine Statistik aufgenommen werden könnte. Wir bemerken noch, daß solche Personen, die während des Winters keine Arbeit haben, in. den größern Ortschaften so weit möglich zu Gemeindearbeiten verwendet werden.

Institutionen für öffentlichen Arbeitsnachweis und für Schutz gegen Arbeitslosigkeit besitzen wir in unserm Kanton nicht, weil sich bis jetzt weder für die private Initiative, noch für die Öffentlichkeit ein Bedürfnis hierfür herausgestellt hat. Bei den bestehenden industriellen Verhältnissen regelt sich das Angebot und die Nachfrage von Arbeit ohne staatliche Dazwischen kunft. Im übrigen können wir uns betreffend die Frage, ob der Bund in bezug auf die Arbeitslosigkeit legislatorisch vorgehen solle, kurz dahin aussprechen, daß wir den Zeitpunkt zu einer Anhandnahme dieser Materie nicht für geeignet halten.

l^i. Basel-Stadt.

(1. Juni 1895 und 28. Dezember 1903.)

Bevor wir auf die einzelnen Punkte eintreten, müssen wir erwähnen, was in unserm Kanton in Bezug auf Arbeitsnachweis und Versicherung gegen Arbeitslosigkeit bis jetzt gethan worden ist.

Wir haben ein ö f f e n t l i c h e s A r b e i t s n a c h w e i s b u r e a u , das seit Juli 1890 in Betrieb ist. Über Organisation und Tätigkeit desselben geben Gesetz, Réglemente, sowie die drei letzten Jahresberichte Auskunft, die wir diesem Schreiben beilegen.

Das Gesetz vom 23. November 1899 betreffend Errichtung einer Versicherungskasse für A r b e i t s l o s e wurde nach erfolgtem Referendumsbegehren in der Volksabstimmung vom 18. Februar 1900 mit 5458 gegen 1120 Stimmen verworfen. Seit 1901 besteht eine vom Kanton subventionierte Arbeitslosenkasse des Arbeiterbundes Basel, seit 1902 eine vom Regierungsrat eingesetzte Arbeitslosenkommission. Der Bericht des kantonalen statistischen Amtes über die Arbeitslosigkeit im Winter 1902/1903

754 enthält folgende Angaben : Eigentliche Arbeitslose 1008, Leute mit ungenügendem Verdienst 94, zusammen 1102, wovon 628 Schweizer, 281 Deutsche, 168 Italiener, 25 aus ändern Staaten; die 1008 zerfallen in 47,6% ungelernte, 52,4% gelernte Arbeiter; durchschnittliche Arbeitslosigkeit aller Arbeitslosen 54 Tage.

Im e i n z e l n e n haben wir zu berichten, was folgt.

Ursachen, Umfang und Dauer der Arbeitslosigkeit.

Die Ursachen sind sehr verschieden. Bei der Seidenindustrie ist einmal die Ungunst der Mode, ein anderes Mal die Überproduktion Ursache der Stockung; im Baugewerbe ist es meistens die Ungunst der Winterszeit, die den Betrieb unterbricht; in allen übrigen Industrien ist die Arbeitslosigkeit eine seltene und kann nicht berechnet werden. Ebenso verschieden ist der Umfang der Arbeitslosigkeit. In der Seidenindustrie hängt er ab von der Schwere der jeweiligen Krisis und ist geringer oder stärker. Oft handelt es sich nur um eine Arbeitsunterbrechung von wenigen Tagen. Im Baugewerbe wird die Arbeitslosigkeit gewöhnlich ziemlich allgemein, da bei niederer Temperatur nicht nur die Maurer- und Steinhauerarbeit, sondern auch meist alle Nebenarbeiten ruhen, welch letztere von den ersteren abhängig sind. Mit der Dauer verhält es sich ebenso ; beim Baugewerbe ist die Dauer der Kälte entscheidend; je nach diesen Umständen schwankt die Dauer der Arbeitslosigkeit zwischen 6 Wochen und 2 bis 3 Monaten. Wie aber bei dem Baugewerbe der Beginn sowohl als auch das Aufhören der arbeitslosen Zeit bis zu einem gewissen Grad absehbar sind, so herrscht dagegen in dieser Beziehung bei der Textilindustrie eine Ungewißheit; die Lage kann für die Betroffenen schlimmer werden, weil die Krisis gewöhnlich eine ganze Saison hindurch andauert. Zu einer totalen Arbeitslosigkeit kommt es indes in der Textilindustrie selten oder nie, die Arbeitgeber arbeiten in kritischen Zeiten entweder auf Lager, oder sie nehmen Bestellungen an zu niedrigeren Preisen, um ein Einstellen des Betriebs zu vermeiden. Tritt infolge Arbeitsmangels die Notwendigkeit ein, daß ein Teil der Arbeiter feiern muß, so wird so viel als möglich abgewechselt, damit die Verdienstlosigkeit nicht ausschließlich auf den einen laste.

Die Unterstützung von Arbeitslosen mittelst Sammlung von Gaben beim Publikum und mittelst Staatsbeiträgen fand seit vielen Jahren hier statt, in den ersten Jahren ausschließlich auf

755 dem Weg der Privattätigkeit, seit dem Winter 1890/91 unter der Aufsicht von Hilfskomitees, die meist vom Staat bestellt wurden. Über die bezüglichen Leistungen aus den Zeiten vor 1890/91 fehlen uns alle Angaben ; dagegen können wir aus den seitherigen Zeiten folgendes anführen : Im Winter 1890/91 herrschte infolge strenger und lange andauernder Kälte Arbeitslosigkeit im Baugewerbe. Von privater Seite wurden Liebesgaben im Gesamtbetrage von über Fr. 25,000 gespendet; von diesen wurden Fr. 21,000 Unlerstützungsgelder ausgegeben.

Im Winter 1891/92 herrschte im Baugewerbe neuerdings Arbeitslosigkeit, zwar weniger drückend und kürzer dauernd.

An die Betroffenen wurden Fr. 6462 verteilt, herrührend von dem Saldo des vorigen Jahres und einem Staatsbeitrag von Fr. 2000.

Der Winter 1892/93 war ebenfalls von einer Arbeitslosigkeit im Baugewerbe begleitet. Der Staat bezahlte an Unterstützungen den Gesamtbetrag von Fr. 9631. Unterstützt wurden 515 Gesuchsteller (zusammen 1750 Personen).

Im Winter 1893/94 wurden 1339 Personen, die unter dem matten Geschäftsgang der Textilindustrie litten, mit einem Gesamtbetrag von Fr. 47,044 unterstützt. An diese Summe wurden von Privaten Fr. 36,;226, vorn Staat Fr. 11,500 beigetragen.

Im Winter 1894/95 wurden an 1757 Personen, die unter der hauptsächlich im Baugewerbe herrschenden Arbeitslosigkeit zu leiden hatten, vom Staat zusammen Fr. 9995 an Unterstützung ausgegeben.

Verhältnis der Zahl der Unbeschäftigten eu derjenigen der Beschäftigten nach Berufsarten.

Weitere statistische Angaben, als die obigen, stehen uns nicht zur Verfügung. Wollte man in Zeiten der Arbeitsstockung die Tätigkeit der mit dem Unterstützungswerk beauftragten Komitees oder Behörden auch noch auf eigentliche statistische Erhebungen erstrecken, so würde die Förderung des eigentlichen Zweckes, der möglichst baldigen Unterstützung der Notleidenden, gar zu leicht gehemmt. Und wenn eine Statistik, die über die Verhältnisse großer Bevölkerungsklassen Auskunft geben soll, statistisch-technisch nicht ganz richtig und unantastbar ist, so ist ihr Nutzen nur von zweifelhafter Beschaffenheit. Nicht nur die Verdienstlosen, sondern auch die Beschäftigten derselben Berufs-

756

arten müßten statistisch dargestellt werden. Wenn aber die Arbeitslosen in der kalten Jahreszeit doppelt schwer leiden, so handelt es sich vor allem darum, die Anmeldungen entgegenzunehmen, sie auf ihre Berechtigung zu prüfen, den Unterstützungsmodus zu beraten und dabei so bald als möglich zu helfen.

Beteiligung des Sundes.

Die Anstalten für öffentlichen Arbeitsnachweis können nach unserer Überzeugung ohne Unterstützung seitens des Bundes bestehen. Allerdings könnte in anderer Weise der Bund die Arbeiten und Zwecke der Arbeitsnachweisbureaux wesentlich fördern, wenn er eine Zentralstelle schaffen und gewisse leitende Vorschriften erlassen würde, welche die Verbindung zwischen den einzelnen Anstalten regeln und gleichmäßige Anleitungen zu statistischen Arbeiten geben würden.

Die Anstalten oder Versicherungskassen zum Schutz gegen Arbeitslosigkeit dagegen können eine Bundessubvention sehr wohl gebrauchen, da sie einerseits von den Versicherten nur mäßige Prämien erheben können, anderseits bedeutende Unterstützungen ausbezahlen müssen, und somit ohne größere Zuschüsse von Seiten des Staates nicht bestehen können. Der Arbeiter findet auch die kleinste Prämie, die er entrichten muß, zu groß, die Unterstützung, die er erhält, dagegen zu klein, und wird deshalb für eine Versicherungskasse, die ihn in den Tagen der Arbeitslosigkeit nur zum kleinern Teil schadlos hält, nie große Sympathie empfinden.

Die Zuwendung von Bundessubventionen würde den Versicherungskassen ermöglichen, die Unterstützungsgelder zu erhöhen, oder die Prämien niedriger zu halten.

Regelung des privaten Arbeitsnachweises.

In dieser Beziehung verweisen wir auf den Großratsbeschluß betreffend Zusatz zum Polizeistrafgesetz vom 24. Oktober 1887 und auf die Verordnung über gewerbsmäßige Stellenvermittlung vom 8. Juli 1903.

13. Basel-Land..

(13. März 1895.)

Wir haben durch unsere Polizeidirektion in sämtlichen Gemeinden durch ein besonderes Fragenschema Erhebungen

757

machen lassen über das Vorkommen von Arbeitslosigkeit, über die Ursachen, den Umfang und die Dauer derselben, sowie über allfällig bestehende Institutionen für den Schutz gegen Arbeitslosigkeit oder für öffentlichen Arbeitsnachweis.

In den aus sämtlichen 74 Gemeinden eingegangenen Antworten äußern sich 35 Gemeindevorstände dahin, daß in ihren Gemeinden von Arbeitslosigkeit nicht gesprochen werden könne, indem, wenn einmal einzelne Einwohner ganz vorübergehend ihrer gewöhnlichen Beschäftigung nicht nachgehen könnten, es für sie ein leichtes sei, für die betreffende Zeit anderweitige Arbeit zu erhalten. Aus den übrigen Gemeinden gehen die Berichte dahin, daß allerdings für gewisse Kategorien von Arbeitern in den Wintermonaten Arbeitslosigkeit eintrete, und hier kommen in erster Linie die um Basel gelegenen Gemeinden in Betracht, soweit es sich um Bauhandwerker (Gipser, Maurer, Zimmerleute und dergleichen) und sodann um Erdarbeiter handelt.

Diese Leute können während der strengen Winterszeit in ihrem Berufe nicht arbeiten ; dagegen finden auch sie vielfach anderweitige Beschäftigung, indem sie entweder landwirtschaftliche Winterarbeiten verrichten, oder zum Holzmachen, sowie namentlich bei der Eisgewinnung verwendet werden. Die Zahl der in Frage kommenden Bauhandwerker und Erdarbeiter beträgt je nach der Größe der Gemeinden zwischen 10--40; einzig für die großen Gemeinden Binningen und Birsfelden wird eine größere Ziffer von 80--150 angegeben, worin jedoch auch Textilarbeiter, Seidenfärber und andere Inbegriffen sind. In den Bezirken Liestal, Sissach und Waldenburg ist die Zahl der vorübergehend Arbeitslosen sehr gering, sofern nicht etwa die Hausposamenterei, die namentlich in den beiden letztern Bezirken den Haupterwerbszweig bildet, ins Stocken gerät. Aber auch in diesem Falle wird eine vorübergehende Krisis nicht schwer empfunden, und es kann nicht von einer vollständigen Arbeitslosigkeit gesprochen werden, indem in den meisten Fällen neben der Posamenterie noch Landwirtschaft betrieben wird. In einzelnen größern Fabrik etablissernenten kommt es bei flauem Geschäftsgang vor, daß die tägliche Arbeitszeit reduziert, oder daß nur 4 oder 5 Tage in der Woche gearbeitet wird, so z. B. in den Uhrenfabriken in Waldenburg und Umgebung, sowie in den Chappespinnereien Ariesheim und Niederschönthal. Daß
auch in den Gemeinden des obern Kantonsteils einzelne Handwerker den Winter über nicht immer vollauf in ihrem Berufe beschäftigt sind, ist selbstverständlich 5 jedoch auch hier können dann nach

758 den eingegangenen Berichten vielfach Haus- und Feldarbeiten verrichtet werden.

Aus der vorstehenden kurzen Darlegung geht hervor, daß in unserm Kanton mit seinen hauptsächlich ländlichen Verhältnissen einstweilen von einer allgemeinen Arbeitslosigkeit, wie sie in einzelnen größern Städten, namentlich zur Winterszeit, regelmäßig einzutreten pflegt, nicht gesprochen werden kann. Ebenso ist naheliegend, daß bei dieser Sachlage genaue statistische Angaben über die Arbeitslosigkeit nicht wohl gemacht werden können, und wir müssen uns deshalb heute schon gegen die Vornahme einer eidgenössischen Statistik aussprechen. Wir besitzen ferner bis jetzt auch keine Institutionen für öffentlichen Arbeitsnachweis oder für den Schutz gegen Arbeitslosigkeit, und können Ihnen demnach keine Angaben über diesbezügliche Erfahrungen machen. Wir glauben auch kaum, daß eine Gemeinde von sich aus die Regelung der vorliegenden Fragen an Hand nehmen wird; aber ebenso ist der Erlaß von kantonalen Vorschriften bei uns in der nächsten Zukunft nicht wahrscheinlich, schon aus dem Grunde nicht, weil das Volk einer bezüglichen Vorlage, da hierfür ein dringendes Bedürfnis nicht vorliegt, voraussichtlich seine Zustimmung versagen würde. Die gleiche Stellung würde unsere Bevölkerung offenbar auch einem eidgenössischen Gesetze gegenüber einnehmen, und deshalb müssen wir die Frage, ob der Bund auf diesem Gebiete jetzt schon legislatorisch eingreifen solle, soweit unser Kanton in Frage kommt, in verneinendem Sinne beantworten. In jedem Falle müßte für einen gesetzgeberischen Erlaß im Sinne einer einheitlichen Regulierung der in Frage kommenden Maßnahmen vorerst die verfassungsmäßige Kompetenz geschaffen werden, wie dies z. B. auch für die Kranken- und Unfallversicherung hat geschehen müssen, während die Verabfolgung von Subventionen an bestehende kantonale Einrichtungen zweifellos ohne Verfassungsänderung durch Gesetz oder Bundesbeschluß geregelt werden könnte. Wir sind nicht in der Lage, nach der einen oder ändern Richtung eingehendere Vorschläge zu machen, sprechen uns aber zum Schlüsse unseres Berichtes dahin aus, daß sich der Bund zurzeit in jedem Falle darauf beschränken sollte, die in den Kantonen bereits bestehenden Einrichtungen zum Schütze gegen Arbeitslosigkeit finanziell zu unterstützen, beziehungsweise die Neubegründung solcher Institutionen durch Zusicherung von angemessenen Subventionen zu fördern.

759

14. Schaff iiaxiseïi.

(27. Februar 1896.)

Öffentlicher

Arbeitsnachweis.

Immer allgemeiner, und zwar in allen Berufskreisen, macht sich bei den heute bestehenden sozialen und gewerblichen Verhältnissen der Arbeitsnachweis der Vermittlungsstelle unentbehrlich 5 er hat die Aufgabe, dazu beizutragen, sowohl den Arbeitsuchenden Gelegenheit zu bieten, auf einfache und billige Weise entsprechende Beschäftigung zu finden, als auch dem Arbeitgeber die wünschbaren Arbeitskräfte zuzuführen.

Wie anderwärts, bestanden auch in der Stadt Schaffhausen schon seit längerer Zeit derartige Vermittlungsstellen, die sich auf privatem Wege mit dem Arbeitsnachweis beschäftigten ; mit der Zeit konnten sie jedoch den heute gestellten Anforderungen nicht mehr entsprechen. Abgesehen davon, daß diese privaten Vermittlungsbureaux nur einen ganz kleinen Bevölkerungskreis zu bedienen im Falle waren, sich auch zumeist nur der Vermittlung von weiblichen Dienstboten zuwandten, entbehren solche jeden autoritativen Charakters, der für eine derartige Stelle gefordert wird. Auch in Anbetracht der schlimmen 'Erfahrungen, die mit solchen privaten Stellenvermittlungsbureaux gemacht wurden, des Mangels jeglicher Gewähr für loyale Arbeitsvermittlung, der moralischen Nachteile, die sich oftmals für die Stellesuchenden ergaben, sowie besonders der finanziellen Ausbeutung seitens solcher Vermittlungsbureaux erschien es als sehr wünschenswert, daß mit dem bisherigen System gebrochen werde, und daß der Staat durch Errichtung einer öffentlichen Zentralstelle den Arbeitsnachweis in geeigneter Weise einzuführen sich bestrebe.

Die Überzeugung, daß die bisherige Arbeitsvermittlung den Arbeiterkreisen und dem Handwerker- und Gewerbestand keineswegs entspreche, hatte sich in allen Kreisen Bahn gebrochen.

Einer Anregung des Gewerbevereins und des Grütlivereins Schaffhausen Folge gebend, wurde daher in einer im Jahre 1890/1891 stattgehabten Konferenz die Errichtung eines ,,öffentlichen Arbeitsnachweisbureaua für die Stadt Schaffhausen als dringendes Bedürfnis erklärt, und die erforderliche Vorarbeit an Hand genommen.

Um dieser Arbeitsvermittlung eine öffentliche und allgemeine Bedeutung zu verleihen, wurde das Unternehmen auf möglichst

760

breite Basis gestellt, und durch den Beizug der verschiedenen Korporationen, wie Stadtrat, Meistervereine, Arbeitergewerkschaften, ihm der Charakter eines gemeinsam geführten öffentlichen Instituts gegeben, das Vertrauen verdient. Nachdem die Mitwirkung der verschiedenen interessierten Kreise zugesichert war, die Vorarbeiten über die Organisation und den Betrieb in ,,Statuten und Reglement für das öffentliche Arbeitsnachweisbureau in Schaffhausena festgestellt worden waren, konnte dieses Institut seine Tätigkeit beginnen. Es wurde am 1. Juni 1891 eröffnet. Als Lokal wurden von der Regierung die Verwaltungsräumlichkeiten der kantonalen Gewerbehalle zur Verfügung gestellt.

Schon gleich bei der Eröffnung und in der Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 1891 zeigte die Frequenz, daß ein solcher öffentlicher Arbeitsnachweis allseitig als ein Bedürfnis empfunden wurde. Dem Kommissionsberichte hierüber entnehmen wir, daß vom 1. Juni bis 31. Dezember 1891 im ganzen Arbeitsgesuche und Arbeitsangebote eingegangen sind : a. in der männlichen Abteilung 226 b. in der weiblichen Abteilung 211 in 7 Monaten 1891 Total 437 Wir bemerken hier, daß gleich von Anfang an die Führung einer weiblichen Abteilung vorgesehen war, die auch, wie die folgende Zusammenstellung zeigt, ausgiebig benutzt worden ist.

Die gesamte Frequenz des Arbeitsnachweisbureaus ergiebt nach den Berichten der Kommission folgende Zahlen : Männliche Abteilung.

Arbeitsnachfragen Entsprochen wurde Arbeitsangebote Davon entsprochen

1892 88 42

1893 95 69

1894 207 182

71 39

173 89

227 168

Weibliche Abteilung.

Arbeitsnachfragen Entsprochen wurde

232 .

73

180 97

209 153

Arbeitsangebote Davon entsprochen

202 75

236 107

254 161

761 1892

1893

1894

81 148

158 204

329 314

229

362

643

Es meldeten sich zur Arbeitsvermittlung im ganzen : Männliche Abteilung Weibliche Abteilung

159 434

268 416

477 435

Total

593

684

912

Im ganzen wurden placiert:

Männliche Abteilung Weibliche Abteilung

Bei dieser Steigerung der Arbeitsgesuche und der Arbeitsangebote darf ohne weiteres, angenommen werden, daß sich diese öffentliche Institution bewährt, und von unserer Bevölkerung immer mehr und mit Erfolg in Anspruch genommen wird. Immerhin sind die noch sonst hier privat bestehenden Stellenvermittlungsund Placierungsbureaux von wesentlichem Einfluß auf die Benutzung ganz besonders der weiblichen Abteilung, da diese Bureaux zumeist für die Dienstboten auch Unterkunftsstätten bieten für die Zeit, während welcher sie keine Arbeit haben.

Auch in der Kommission des Arbeitsnachweisbureaus wurde m Jahr 1892 die Präge besprochen, ob nicht in Verbindung mit dem Bureau eine Einrichtung getroffen werden solle, wodurch den weiblichen Dienstboten für die Zeit ihrer Nichtbeschäftigung eine Unterkunftsstelle geschaffen würde. Es sollte dies ein Mittel sein, die privaten Placierungsbureaux zu entlasten, und den Verkehr mehr dem öffentlichen Arbeitsnachweisbureau zuzuführen.

In diese Zeit fiel dann die rege Anteilnahme an diesen Verhältnissen seitens des hiesigen Frauenvereins ,,der Freundinnen junger Mädchen", der an die Kommission das Gesuch stellte, die Regelung dieser Angelegenheit ihm zu überlassen. Mit regem Eifer nahm sich der Frauenverein der Sache an, und er gründete als vorübergehende Aufenthaltsstätte das ,,Marina-Heim", das unter vorzüglicher Leitung hiesiger Damen seinem Zwecke nach jeder Richtung entspricht und als eine große Wohltat anerkannt wird.

Immerhin gibt es noch eine Anzahl solcher Dienstboten, die von diesem Mädchenheim keinen Gebrauch machen, sondern sich an die unkontrollierbaren privaten Placierungsbureaux wenden.

Obschon nun das Bedürfnis nach einem solchen öffentlichen Arbeitsnachweisbureau durch die sich täglich mehrende Be-

762

nutzung klar erwiesen ist, und dieser Arbeitsnachweis sich in erfreulicher Weise immer allgemeiner einbürgert, so bleibt doch noch manches zu verbessern, um die Institution noch populärer zu machen und die Inanspruchnahme allen Kreisen nahe zu legen. Vor allem dürfte eine Reduktion der zu erlegenden Gebühren angestrebt werden, oder es sollte -- wenn wir dem Vorbilde der Arbeiterkreise nachkommen wollen -- die Arbeitsvermittlung unentgeltlich sein. Ganz besonders für Arbeitsuchende würde sich dieser Modus empfehlen, wenn darauf Wert gelegt wird, daß das öffentliche Arbeitsnachweisbureau auch von Seiten der Berufsarbeiter benützt werde. Gewiß dürfte es im Interesse der Bevölkerung, sowie der Gewerbetreibenden liegen, wenn durch den Wegfall der Gebühren das öffentliche Arbeitsnachweisbureau als Zentralstelle für Arbeitsvermittlung herangezogen werden könnte, als eine Institution, -die in allen Fällen vollständig neutral und unabhängig funktionieren und amten würde.

Dieses läßt sich jedoch nur erreichen, wenn das Institut finanziell unterstützt wird. In dieser Beziehung wäre es empfehlenswert, wenn der Arbeitsnachweis durch eine allgemeine Organisation in der ganzen Schweiz zur Durchführung käme, in dem Sinne, daß die einzelnen Bureaux unter sich in Verbindung stehen würden, und so ein Ausgleich zwischen den Arbeitsuchenden, dem Begehren und der Nachfrage stattfinden könnte.

Bei einer solchen Organisation müßten der Bund, die Regierungen, die Gemeindebehörden und die interessierten Korporationen finanziell ihren Teil beitragen. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn der Bund, der bis jetzt in Sachen nichts leistete, diesen Vermittlungsstellen durch Organisation freizügigen Arbeitsnachweises offiziellen Charakter verleihen, und die Tätigkeit der Kantonsregierungen und Gemeindebehörden in dem Bestreben nach rationeller Regelung der Verhältnisse unterstützen würde.

Auf einen wichtigen Punkt in der Frage dieses Arbeitsnachweises, der allerdings erst in den letzten Jahren aktiv zu Tage trat, glauben wir, noch besonders hinweisen zu sollen. Er betrifft das seitens der Arbeitergewerkschaften sich geltend machende Bestreben, in den einzelnen Fachvereinen einen besonderen, ganz unter ihrer speziellen Kontrolle und Verwaltung stehenden Arbeitsnachweis durchzuführen, und damit die Arbeitgeber zu zwingen, bei Bedarf
von Arbeitskräften sich nur ihrer Vermittlung zu bedienen. Dieses Bestreben hat augenscheinlich die Tendenz, daß durch das alleinige Patronat der Arbeitsvermittlung die Gewerkschaften und Fachvereine eine gewaltige

763

Macht auf dem Arbeitsmarkte werden für alle die Arbeitsleistung betreffenden Verhältnisse. Besonders wird sich dies zeigen bei entstehenden Differenzen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, bei welcher Gelegenheit die Arbeitsausübung gesperrt und Arbeitsuchenden keine Arbeit nachgewiesen wird. Bei weiterer Ausdehnung solcher Arbeitsvermittlungen, die durchaus nicht neutral bleiben, sondern ihre Berufsinteressen verfechten, werden allerdings öffentliche, staatliche Arbeitsnachweise illusorisch, und hier dürfte an die staatlichen Organe die Aufgabe herantreten, Bestimmungen zu treffen, um solche ungesunde Verhältnisse zu beseitigen oder wenigstens deren Einfluß herabzumindern.

Was nun die privaten Stellenvermittlungsbureaux betrifft, so halten wir dafür, daß für den Betrieb solcher eine eidgenössische Verordnung erlassen werden sollte. Wir stimmen in dieser Beziehung der Eingabe der Union Helvetia vollkommen bei. Sowohl die kontrollierende Aufsicht der zuständigen Behörden, die Vorlage von Statuten und Tarifen, als auch die Lösung eines Patentes für den Betrieb von Stellenvermittlungen halten wir -- als im Interesse der Bevölkerung liegend -- für vollständig gerechtfertigt. Ein solches Vorgehen würde auch auf die öffentlichen Arbeitsnachweisbureaux wohltätig wirken, deren Vorteile erkennen lassen, und die Frequenz fördern, diese öffentlichen Bureaux überhaupt zum Mittelpunkte des Arbeitsmarktes machen.

Arbeitslosigkeit.

Wir wissen, daß sich zu bestimmten Jahreszeiten und in bestimmten Berufsarten Arbeitslosigkeit geltend macht zum Nachteil der betreffenden Gemeinden. Dieser Zustand ergibt sieh meistens in größeren Städten, und es sind hauptsächlich die Saisonarbeiter, Leute ohne bestimmten Beruf, die darunter leiden.

Im Kanton und in der Stadt Schaffhausen waren wir bis jetzt nicht im Falle, eine solche stereotype Arbeitslosigkeit kennen zu lernen in dem Umfange, wie er anderwärts vorzukommen pflegt, und es kann auf Grund bisheriger Beobachtungen konstatiert werden, daß eigentliche Arbeitslose, Leute, die Arbeit suchen und nicht erhalten können, bei uns nicht vorkommen. Es wird im allgemeinen getrachtet, in der hier in Betracht kommenden Winterszeit staatliche und städtische Arbeiten zur Ausführung zu bringen, bei welcher Gelegenheit man oft Mühe hat, genug Leute zu erhalten. Bauhandwerker, wie Maurer und Handlanger, auch Stein-

764

hau er etc., welch erstere sich größtenteils aus Italienern und Tirolern rekrutieren, verlassen beim Eintritt kälterer Witterung ihr Geschäft, um erst im nächsten Frühjahr bei milderer Witterung zur Arbeit zurückzukehren.

Es ist nicht zu verkennen, daß den Bestrebungen zum Schütze gegen eine solche in einzelnen Städten beständig wiederkehrende Arbeitslosigkeit in sozialer Beziehung ein humaner Zweck zu Grunde liegt, und auch wir sind der Meinung, daß da, wo solche Übelstände bestehen, für Abhülfe gesorgt werden soll.

Doch läßt sich dies in denjenigen Gemeinden, die hiervon betroffen sind, im einzelnen Falle für sich durchführen, ohne daß eine allgemeine Organisation für die ganze Schweiz einzutreten hätte. Für unseren Kanton und die Stadt Schaffhausen müßten wir uns gegen eine derartige Organisation verwahren, weil wir befürchten, daß dann die Leute, die bis jetât die beschäftigungslose Zeit in ihrer Heimat verbrachten, zu Lasten des Staates und der Gemeinde hier verblieben, und daß mancher Arbeiter durch eine solche Einrichtung Veranlassung nähme, sich selbst arbeitslos zu machen. Wir sprechen uns also bezüglich des Schutzes gegen Arbeitslosigkeit gegen eine allgemein gültige Organisation aus und würden die Ordnung dieses Verhältnisses den betreffenden Gemeinden überlassen.

In Zusammenfassung unseres Berichtes gelangen wir zu folgenden Schlußnahmen : 1. Wir unterstützen und empfehlen die Einführung der Institution für öffentlichen Arbeitsnachweis in dem Sinne, daß die Kosten durch Beiträge des Bundes, der Kantone und der Gemeinden aufgebracht werden, so daß die Arbeitsvermittlung unentgeltlich stattfinden kann.

2. Für die Stellenvermittlungsbureaux, die erwerbsmäßig betrieben werden, sollte eine eidgenössische Verordnung erlassen werden, die diesen Geschäftszweig unter die Kontrolle des Staates stellt, und worin die Fragen des Patentes, der Taxen etc. zu regeln wären.

3. Von einer allgemeinen schweizerischen Regelung des Schutzes gegen Arbeitslosigkeit ist Umgang zu nehmen; sie ist den einzelnen Gemeinden anheimzustellen.

765

1£>. .Äjppenzell -A-u.sserrltiod.en..

(29. Juni 1895.)

Wir haben über den Inhalt des Kreissohreibens zunächst die Kantonspolizeidirektion zur Berichterstattung eingeladen. Dieselbe giebt ihre Ansicht dahin kund : ,,1. Das Begehren des Vereins schweizerischer Hotelangestellter erscheint uns als sehr zeit- und sachgemäß. Wir hatten in unserer Praxis vielfach Gelegenheit, zu beobachten, daß speziell weibliche Dienstboten unnötigerweise hingehalten und ausgebeutet wurden, daß es Stellenvermittlungsbureaux gibt, welche die Ausbeutung systematisch betreiben und zur Erreichung des Zweckes sogar verwerfliche, unmoralische Mittel nicht scheuen.

Es liegt sowohl im Interesse des einzelnen, als auch im Interesse der öffentlichen Ordnung, wenn Abhülfe getroffen wird, was richtig und mit Erfolg nur durch einheitliche polizeiliche Maßregeln geschehen kann.

,,2. Der öffentliche Arbeitsnachweis und die Unterstützung des Bundes kann hier nicht als Bedürfnis empfunden worden.

Wer in unserer Gegend ernstlich der Arbeit nachgehen will, findet solche, zumal auf den Herbergen immer Auskunft erhältlich ist. In Herisau gibt die Polizei schon seit Jahren den arbeitsuchenden Handwerksgesellen, Dienstboten etc. u n e n t g e l t l i c h Anleitung. Die Frage berührt in der Hauptsache große, gewerbliche Orte, und da mag die Organisation des Arbeitsnachweises, eventuell auch die pekuniäre Unterstützung des Bundes am Platze sein. Heute befinden wir uns in einem Versuchsstadium, und bis praktische Erfolge nachweisbar vorhanden sind, dürfte hinsichtlich der Kosten teilnähme eine reservierte Stellung eingenommen werden."

Die Polizeidirektion hat, wie aus obigem hervorgeht, vorzugsweise an zureisende Arbeitskräfte (Gesellen, Dienstboten) gedacht, nicht aber an Arbeitslosigkeit infolge von Krisen in Handel und Industrie. Auch mit Bezug hierauf können wir konstatieren, daß die Beschäftigungslosigkeit im herwärtigen Kanton sozusagen unbekannt ist. Die Krisen, die bald diese, bald jene Industriebranche (Stickerei und Weberei) trafen, waren glücklicherweise nie so intensiv, daß sie zu einer eigentlichen Arbeitslosigkeit führten, selbst die schwere Stickereikrisis im Winter 1890/91 hatte eine solche, dank den Anordnungen des Stickereiverbandes und dem Eingreifen unserer wohlorganisierten gesetzlichen und freiwilligen Armenpflege, nicht im Gefolge.

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. V.

öl

766

Wir gehen damit einig, daß die Unterstellung der Bureaux, welche die Stellenvermittlung gewerbsmäßig betreiben, unter die Aulsicht der zuständigen Polizeibehörden wünschbar erscheint.

Unseres Erachtens ließe sich das indes kantonal regeln.

Auch'bezüglich der Organisation des öffentlichen Arbeitsnachweises teilen wir die Ansicht unserer Polizeidirektion. Ein Bedürfnis hierfür ist höchstens in unserer bevölkertsten und industriellsten Gemeinde des Landes, in Herisau, wahrzunehmen.

Zureisende Arbeitskräfte finden, wie schon bemerkt, schon jetzt bei den Polizeiämtern die nötige Auskunft. Wo sich die Notwendigkeit zeigte und die Tätigkeit der Polizei nicht genügte, haben sich die Gemeinden selbst geholfen durch Einrichtung von Naturalverpflegungsstationen und Herbergen, die auch den Arbeitsnachweis besorgen. Die Frage, ob der Bund auf Grund der heutigen Verfassung ohne weiteres kompetent sei, sich in dieser oder jener Richtung in Sachen zu betätigen, glauben wir deshalb verneinen zu müssen, weil die Bundesverfassung die Aufgaben, die der Bund auszuführen hat, speziell nennt, unter diesen aber die Regelung des Arbeitslosenwesens nicht aufführt.

16. .A.ppexizell. Innerrhoclen.

(1. August 1896.)

Bei unserer einheimischen Bevölkerung, die sich fast durchwegs mit Viehzucht und Landwirtschaft oder dann mit Handund Maschinenstickerei, die beide zu den Hausindustrien gezählt werden, abgibt, kommt die Arbeitslosigkeit höchst selten vor, und hier vollzieht sich der Ausgleich zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage von selbst. Bei einzelnen Berufsarten, wie den Feldarbeitern, Dachdeckern, Malern u. s. w., deren Haupterwerb auf die Sommermonate fällt, gleicht sich die Sache in der Weise aus, daß sie im Winter (in ihrer saison morte) von den Ersparnissen des Sommers leben. Die weniger rühmenswerten Ausnahmen, nämlich solche, die es zur Zeit der Ernte übersehen, für die schlimmem Tage zu sorgen, fallen dann allerdings der örtlichen Armenpflege zur Last. -- Übrigens besteht der freiwillige und für Lehrlinge, Handwerksgesellen, Dienstboten und Sticker, die nicht familienmäßig leben und als Aufenthalter in der Polizeikontrolle aufgetragen sind, obligatorische Krankenhausverband, der ihnen Gelegenheit bietet, für Krankheitsfälle unentgeltliche Aufnahme und Verpflegung im Krankenhause sich zu sichern.

767

Bezüglich der durchreisenden Professionisten wird uns vom Kontrollbureau mitgeteilt, daß hauptsächlich Bäcker und Metzger zum sogenannten Umschauen sich anmelden, manchmal 3--4 an einem Tage von jeder dieser beiden Berufsarten. Früher soll der Zudrang von Maurern und Zimmerleuten auch sehr stark gewesen sein, der indessen bedeutend nachgelassen habe.

Für die Klasse der durchreisenden Professionisten besteht übrigens die durch Art. 8 der kantonalen Polizeiverordnung geregelte Naturalverpflegungsstation Appenzell.

Von dieser Station wird uns berichtet, daß als Zweig dieser Institution ein Arbeitsnachweisbureau errichtet sei, welches das ganze Jahr über oft in die Lage komme, nicht nur in Appenzell, sondern auch in benachbarte appenzell-außerrhodische Gemeinden hinaus Arbeitern Stellen zu vermitteln.

Die Kosten dieses Arbeitsnachweisbureaus sind in diejenigen der Naturalverpflegung einbezogen, und findet der Arbeitsnachweis deshalb ohne Kosten sowohl für Arbeitgeber als Arbeitnehmer statt.

Weitere Arbeitsnachweisbureaux kennt Appenzell Innerrhoden nicht, mit Ausnahme eines unter polizeilicher Aufsicht stehenden privaten Placierungsbureaus für Mägde.

Alles das führt uns bei unsern kleinen Verhältnissen im allgemeinen zu der Bemerkung, daß in bezug auf die in Frage liegende Angelegenheit in unserm Kanton sich bisher noch keine besondern Mängel oder Übelstände fühlbar gemacht haben, und wir daher das maßgebende Wort vorläufig jenen Kantonen tiberlassen müssen, in deren Hauptstädten sich ein größerer Zudrang von den in Betracht fallenden Elementen geltend macht und daher die Wünschbarkeit einer eidgenössischen Intervention diesfalls eher an den Tag tritt.

Sollen wir nun aber hinsichtlich zukünftiger Mitwirkung des Bundes bei diesbezüglichen Einrichtungen unserer Anschauung doch Ausdruck geben, kann dieses kurz in nachstehendem geschehen.

Nachdem das Initiativbegehren betreffend die Gewährleistung des Rechtes auf Arbeit mit immenser Mehrheit abgelehnt worden, wurde der Wert des Postulates vom 12./26. Juni 1894 vielfach so taxiert, wie wenn man einen im unendlichen Weltenraume sich verlierenden Kometen am äußersten Ende seines Schweifes noch erfassen und zurückhalten wollte. Wir dagegen können dem Postulate eine gewisse innere Berechtigung nicht absprechen, wenn wir auch gestehen müssen, daß der Zeitpunkt für ein

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legislatorisches Einschreiten des Bundes noch nicht als gegeben betrachtet werden kann. Auch über das Wie eines bezüglichen Vorgehens, wofür die jetzige Zeit wohl als die möglichst ungünstige anzusehen wäre, herrscht noch zu wenig Klarheit.

Was dann speziell die Eingabe der Union Helvetia betrifft, deren Inhalt das Gebiet der kantonalen Polizei hauptsächlich berührt, könnten wir ihr keinen besondern Erfolg versprechen, zumal zur Zeit, da sich ein intensiver föderalistischer Zug geltend macht. Wir halten deshalb dafür, daß hier durch Maßnahmen auf kantonalem Gebiete geholfen werden sollte, wenn man überhaupt diesfalls etwas erreichen will, abgesehen davon, daß auch in diesem Punkte eine Verfassungsrevision, die dem Bunde die daherigen Kompetenzen einräumen würde, vorausgehen müßte, die wohl wenig Aussicht auf ihr Gelingen hätte.

Bei dieser Sachlage und da wir immerhin den Gegenstand der Prüfung wert halten, müßten wir unsere Ansicht doch dahin aussprechen, daß man vorläufig und zum Zwecke der bessern Abklärung auf die Sammlung des bezüglichen Materials und auf die Frage sich beschränke : ob und wie Arbeitsnachweis und Arbeitslosenversicherung, analog ändern ähnlichen Institutionen, vom Bunde subventioniert werden sollten.

IV. St. Oallen.

(28. Juli 1896.)

Wir glauben uns in der Berichterstattung in der Hauptsache darauf beschränken zu können, Ihnen unter Beigabe der einschlägigen Drucksachen in Kürze mitzuteilen, welches Schicksal die angeregten öffentlichen Fragen bisanhin im Kanton St. Gallen gehabt haben.

Schute gegen die Folgen unverschuldeter Arbeitslosigkeit.

Im Jahre 1894 erließ der st. gallische Große Rat, in der Absicht, den politischen Gemeinden die Einführung der obligatorischen Versicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit zu ermöglichen, ein Gesetz betreffend die Versicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit. Die Gründe, die zum Erlaß des Gesetzes geführt haben, sind in unserer bezüglichen Botschaft vom 24. April 1894 einläßlich auseinandergesetzt.

Leider blieben die Bemühungen, auf Grund dieses Gesetzes für die Gemeinden St. Gallen, Tablât und Straubenzell einen

769 gemeinsamen Versicherungsverband zu gründen, ohne Erfolg, und so beschloß denn die politische Bürgerversammlung der Gemeinde St. Gallen für sich allein die Gründung einer Arbeitslosenversicherungskasse, für die der Gemeinderat unter Mitwirkung der interessierten Kreise die Lokalstatuten aufstellte.

Am 1. Juli 1895 trat dieser Verband ins Leben. Der für die Arbeitslosenversicherung zurzeit zur Verfügung stehende Subventionskredit beträgt Fr. 3000. Da mit dem 1. laufenden Monats erst das 1. Arbeitslosenversicherungsjahr zu Ende geht, und der offizielle gemeinderätliche Bericht über dasselbe zurzeit noch aussteht, erlauben wir uns über die Wirksamkeit des neu eingeführten Institutes noch kein Urteil abzugeben*).

Eine zusammenhängende Darstellung über die ,,Arbeitslosigkeit in St. Gallen" wurde verfaßt von Polizeidirektor C. Zuppinger in St. Gallen.

Arbeitsnachweis.

Der Arbeitsnachweis als öffentliche Institution ist in unserm Kanton zuerst in der Stadtgemeinde St. Gallen eingeführt worden, und zwar wurde im Jahr 1887 durch die gemeinnützige Gesellschaft in Verbindung mit interessierten Vereinen ein städtisches Arbeitsnachweisbureau mit je einer Abteilung für Männer und Frauen eingerichtet.

Das kantonale Gesetz betreffend die Verpflegung bedürftiger Durchreisender vom 20. November 1889 bestimmt in Art. 2: ,,Zum Zweck, den Durchreisenden nicht nur Verpflegung, sondern auch Arbeit zu verschaffen, sind mit den Verpflegungsstatioaen Arbeitsnachweisbureaux zu verbinden''-, und der Art. 10 der Vollziehungsverordnung zu diesem Gesetze lautet : ,,Behufs Anweisung von Arbeit an Durchreisende ist mit jeder Verpflegungsstation ein Arbeitsnachweisbureau zu verbinden. Dasselbe kann dem Verwalter der Station oder einer besondern Persönlichkeit unterstellt werden. a Eine einheitliche Regelung der Organisation dieser Arbeitsnachweisstellen hat bis jetzt nicht stattgefunden. Die Arbeitsvermittlung dieser Stellen ist eine sehr bescheidene, weil die *) In der Gemeindeabstimmung vom 8. November 1896 wurde, entgegen dem Antrage des Gemeinderates, den Entscheid über den Fortbestand der Arbeitslosenversicherungskasse um ein Jahr zu verschieben, beschlossen, eie auf den 30. Juni 1897 definitiv aufzuheben. Der Versuch wurde seither nicht erneuert.

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große Mehrzahl der Arbeitsvermittlungen durch die von den Gewerkschaften ins Leben gerufenen, im ganzen ihren Zweck zur Zufriedenheit der Meister und der Arbeiter erfüllenden Arbeitsnachweisstellen besorgt wird; gleichwohl ist seit 1891 bis ins laufende Jahr eine fortwährende Steigerung der Zahl der vermittelten Arbeitsanweisungen bei gleichzeitiger jährlicher Abnahme der Zahl der die Naturalverpflegung in Anspruch nehmenden Durchreisenden zu konstatieren.

StellenvermitÜungsbureaux.

Die sogenannten Placierungsbureaux, die von Privaten betrieben werden (Haupttätigkeit: Dienstbotenverdingung), stehen bis zur Stunde unter keiner staatlichen Kontrolle. Bine Enquête, die wir im Jahre 1889 über die Wünschbarkeit der staatlichen Überwachung dieses Geschäftsbetriebes veranstalteten, rechtfertigte ein gesetzgeberisches Vorgehen nicht. In neuerer Zeit haben einige größere Gemeinden das Begehren um staatliche Regelung dieser Stellenvermittlungsbureaux gestellt, und es wird deshalb die Frage, ob und in welcher Weise dieselbe einzutreten habe, den st. gallischen Großen Rat beschäftigen müssen. -- Was nun die Stellungnahme des Bundes zu den drei angeregten Fragen betrifft, so halten wir den Zeitpunkt für ein l e g i s l a t o r i s c h e s Einschreiten des Bundes noch nicht für gegeben, ganz abgesehen davon, daß ihm eine V e r f a s s u n g s r e v i s i o n , die dem Bunde vorerst die nötigen Kompetenzen einräumen müßte, vorauszugehen hätte.

Dagegen scheint uns die Frage Ihrer gefälligen Prüfung wohl wert zu sein, ob bestehende Organisationen für Arbeitsnachweis und gegen Arbeitslosigkeit nicht vom Bunde s u b v e n t i o n i e r t werden sollten. Wie bei zahlreichen ändern Bundessubventionen dürfte die Kompetenz hierzu aus Art. 2 der Bundesverfassung hergeleitet werden können. Der fördernde, heilsame Einfluß der Bundesunterstützung, wie er bei allen Unternehmungen, die ihrer teilhaftig werden, zu Tage tritt, würde auch bei den in Frage liegenden Institutionen sich gewiß bald geltend machen.

18. Grx*a/at>fk.n.den..

(13./18. Dezember 1895.)

Nachdem wir im Januar 1895 den Vorstand des hiesigen Grütlivereins, beziehungsweise dessen Arbeitslosenkommission er-

771 sucht hatten, uns über ihre Organisation, Tätigkeit, Erfahrungen Bericht zu erstatten und sich im allgemeinen über die in Ihrem JKreisschreiben aufgeführten Punkte zu äußern, erhielten wir unterm 12. November nachstehende Mitteilungen : Ursache der Arbeitslosigkeit war der strenge Winter und die infolgedessen eintretende Geschäftsstockung. Arbeitslos waren in Chur 80 erwerbsfähige Personen, wovon 53 Verheiratete, "2 Witwer, l Witwe und 24 Ledige. Die Gesamtzahl der arbeitaund nahrungslosen Personen betrug, die Familienglieder inbegriffen, 260. Sämtliche waren Einwohner von Chur.

Nach den Berufsarten verteilt, ergeben sich folgende Zahlen : Taglöhner 60 = 75 % Maler 4 = 5% Maurer 4 = 5% Schuhmacher . . . .

3 = 3,6 % Verschiedene . . . .

9 = 11,6 % Total =

100%

Eine eidgenössische Statistik wäre sehr zu begrüßen.

Staatlich eingerichtete Arbeitsnachweisstellen bestehen hier keine, dagegen für die Holzarbeiter die Einrichtung, daß in einigen Herbergen Tafeln angebracht sind, auf denen die Meister die vakanten Plätze angeben.

Der Berichterstatter bezeichnet die Konditionslosenkasse des schweizerischen Typographenbundes als eine sehr wohltätige Institution, die von ändern Gewerben eingeführt werden sollte, und verweist schließlich auf die durch das Zentralkomitee des schweizerischen GrütliVereins abgegebenen Berichte.

Wir haben unserseits dem Berichte nichts beizufügen. Da unsere Bevölkerung in der Mehrzahl dem Kleinbauernstande angehört und in kleinen Gemeinden und Höfen zerstreut wohnt, ist die Mitwirkung des Bundes bei Institutionen für öffentlichen Arbeitsnachweis und für Schutz gegen die Folgen unverschuldeter Arbeitslosigkeit einerseits nicht von so großer Aktualität, wie bei großen industriellen Zentren, und anderseits ließe sie sich kaum mit wirksamem Erfolge ein- und durchführen.

772

IO. .A.arg-au.

(18. Juli 1895.)

Die Notstände größerer oder kleinerer Volksschichten drängen in der Gegenwart mächtig zu sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Maßregeln positiver Art, zu einer versorgenden Sozialund Wirtschaftspolitik. Die Notstände entspringen den Störungen im Erwerbskampfe, und führen zur Massenarmut, die das Staatswesen schwächt. Es liegt daher im vitalen Interesse desselben, daß Maßregeln der Vorbeugung getroffen werden. Die geeignetste Maßregel ist die Sicherung deä Mittels des Erwerbes, der Arbeit, und die Sicherung gegen die Folgen der Arbeitsund Erwerbslosigkeit.

Erscheint es nun auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen als ein Ding der Unmöglichkeit, jedem Menschen ein Recht auf Arbeit zuzugestehen, so bleibt die Fürsorge für Arbeit und die Erleichterung des Arbeitens doch eine Hauptaufgabe der Staats- und Gemeindebehörden, sowie der Vereins- und Privatwohltätigkeit.

Das Hauptmittel zur Verhütung der Arbeitslosigkeit ist die Sicherung des lohnenden Absatzes der Produkte der Arbeit, wie er sich im Güteraustausch und Verkehr vollzieht. Diese werden ihrerseits wieder mehr oder weniger beeinflußt vom Weltmarkt und von internationalen Verträgen. Ferner kommt hierbei auch die wirtschaftliche Tüchtigkeit und Fähigkeit eines Volkes in Betracht. Die hohe Wichtigkeit einer auf den Schutz der einheimischen Arbeit gerichteten Handelspolitik, sowie der größtmöglichen Förderung der Volksbildung und der speziellen Fach- und Berufsbildung als Vorbeugungsmittel gegen die Arbeitslosigkeit ist demnach einleuchtend.

Neben diesen Maßregeln, die einer weiterblickenden Gesetzgebung und Staatskunst obliegen, gibt es noch eine Reihe von Mitteln der innern Staats- und Gemeindeverwaltung, sowie der Gemeinnützigkeit von Vereinen und Privaten, um die Arbeitslosigkeit, wenn nicht ganz zu beseitigen, so doch zu lindern, oder ihre schädlichen Wirkungen abzuschwächen. Solche innere administrative oder gemeinnützige Maßregeln sind staatliche und kommunale oder Privatbauten, Anlagen von Straßen, Verkehrsverbesserungen und Werkstätten zur Beschaffung von Gütern auf Vorrat, ferner amtliche Arbeitsnachweise oder nicht amtliche Arbeitsvermittlungsstellen, und endlich Einrichtungen, zur Versicherung gegen Arbeitslosigkeit.

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Richtige Wegleitung für alle diese Hülfsmaßregeln zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geben Erhebungen und Ermittlungen der Zahl der Arbeitslosen und der Ursachen der Arbeitslosigkeit.

An Hand des Schemas des eidgenössischen Industriedepartements sollen nun nachstehend alle diese Maßregeln im einzelnen besprochen werden.

a. Über die Arbeitslosigkeit in unserem Kanton sind bis jetzt direkte Erhebungen nicht gemacht worden, weil in Industrie und Gewerbe hauptsächlich infolge ihrer starken Dezentralisation solche schweren Krisen nicht auftreten, die eine Massenentlassung von Arbeitern zur Folge hätten. Es lassen sich demnach nur auf indirektem Wege Schlüsse über jene Arbeitslosigkeit ziehen, wie sie auch in normalen Zeiten überall aufzutreten pflegt. Anhaltspunkte geben vor allem diejenigen Veranstaltungen, die den Zweck verfolgen, der Arbeitslosigkeit oder wenigstens ihren Folgen vorzubeugen. Es kommen hierbei vornehmlich die Institute der Naturalverpflegung und die Armenpflege in Betracht. Fernere indirekte Nachrichten verschaffen die Jahresberichte der wirtschaftlichen und sozialen Verbände, wie Handels- und Industrievereine, Handwerker- und Gewerbevereine, sowie der Arbeitervereine. Es sind indessen bei Informationen, die aus diesen Quellen über die Arbeitslosigkeit geschöpft werden, teilweise Vorbehalte zu machen.

Bei der Naturalverpflegung bezeichnet schon der Name ,,Passantena als Zweck dieses Instituts die Unterstützung wandernder Arbeitsloser, zu denen nicht nur das eigene, engere und weitere Staatsgebiet, sondern auch die Nachbarländer ihr Kontingent stellen.

Es wäre daher gewagt, aus der Zahl der in den Stationen eines Kantons verpflegten Passanten ein Urteil über den Stand der Arbeitslosigkeit im Kanton zu fällen. Von den 15,000 bis 20,000 Passanten, die von den Naturalverpflegungsstationen im Kanton unterstützt werden, sind die meisten mehrfach gezählt, weil sie auf ihrer Tour mehrere Stationen besuchen, ferner sind l/a bis zur Hälfte davon Ausländer, und von den Schweizerbürgern nur J /8 bis zur Hälfte Aargauer. Auf der ändern Seite begeben sich nicht alle Arbeitslosen auf die Wanderschaft oder melden sich bei den Stationen. Ist es demnach schwierig, aus der Frequenz der Naturalverpflegungsstationen das Verhältnis der Zahl der Unbeschäftigten zu derjenigen der Beschäftigten festzustellen, so bieten sich doch wenigstens Anhaltspunkte über die Ursachen

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der Arbeitslosigkeit und über ihr Vorkommen bei den verschiedenen Berufsarten. Aus der Statistik der Passantenverpflegung im Aargau geht nämlich hervor, daß die Klasse der Handwerker durch weitaus den größten Prozentsatz vertreten ist, und unter diesen sind es wiederum einzelne bestimmte Berufe, wie Bäcker, Schuster, Schneider, Schreiner, Metzger und Schmiede, die in unverhältnismäßig großer Zahl auftreten. Ganz zweifellos ist diese Erscheinung wenigstens zum Teil auf Überfiillung der betreffenden Gewerbe zurückzuführen, die manche Meister zum guten Teil selbst verschuldet haben. Man kann nämlich in einzelnen der erwähnten Gewerbe die Beobachtung machen, daß viele Meister zwar Lehrlinge regelmäßig halten und oft in größerer Zahl beschäftigen, als nach dem Umfange ihres Geschäftes zu erwarten ist, daß sie hingegen auf die Mithülfe ausgelernter Gesellen grundsätzlich verzichten. Bei solcher Geschäftspraxis ist es unausbleiblich, daß allmählich eine Überzahl von Gesellen ausgebildet wird. Schon diese Erscheinung zeigt, daß die Arbeitslosigkeit nicht mit einem Universalheilmittel bekämpft werden kann, sondern je nach den Ursachen auf verschiedenen Wegen eingedämmt werden muß.

Etwas auffällig ist auf den ersten Blick bei den fortwährenden Klagen über Mangel an Arbeitskräften auf dem Land der erhebliche Prozentsatz von Landarbeitern und Taglöhnern unter den unterstützten Passanten. Es darf aber nicht übersehen werden, daß die Landarbeiten zu den sogenannten ,,Saisonarbeiten" gehören, die im Winter stocken, und infolgedessen Arbeitslosigkeit veranlassen.

Die Fabrikarbeiter sind unter den unterstützten Passanten nur in geringem Prozentsatz vertreten. Die Erklärung für diese Erscheinung ist darin zu suchen, daß ein großer Teil dieser Arbeiter zur Textilindustrie gehört, die erfahrungsgemäß in normalen Zeiten sehr wenig Arbeitslohn aufweist. Im allgemeinen leidet allerdings die aargauische Industrie, wie aus den Berichten der verschiedenen Branchen hervorgeht, unter den Zollverhältnissen und ändern verschiedenartigen ungünstigen Verhältnissen, wenn sie aber nicht in einem so allgemeinen Maße betroffen wird, wie dies anderwärts der Fall ist, so hat dies seinen Grund m der Mannigfaltigkeit der bei uns bestehenden Fabrikationszweige, die namentlich in kritischen Zeiten doppelt wohltuend zu wirken veranlagt ist. Ferner ist zu berücksichtigen, daß in den eigentlichen industriellen Distrikten die Arbeiterbevölkerung nicht in eigenen städtischen Vierteln zusammenwohnt,

775 sondern auf die Nachbardörfer ringsum sich verteilt, und dort vielfach noch etwas Landwirtschaft treibt, worin sie bei allfälligen zeitweiligen Arbeitseinstellungen oder Arbeitsreduktionen mehr oder weniger Ersatz findet. Weitere große Gruppen bilden neben den Textilarbeitern die Arbeiten in den Baugewerben und u in den verschiedenen Gewerben für Kleidung ö und Putz.

Was die Baugewerbe betrifft, so gehören diese zu den Saisonbetrieben, die im Winter häufig zu Arbeitslosigkeit Anlaß geben. Wenn trotzdem in unserem Kanton die Zahl der Arbeitslosen in diesen Branchen nicht so groß ist, so rührt dies daher, daß bei großem Unternehmungen vielfach italienische Arbeiter eingestellt werden, die im Herbst regelmäßig wegziehen, die übrigen Arbeiter aber zum größten Teil in Landgemeinden wohnen, wo sie sich den Winter hindurch mit den Ersparnissen oder auch mit teilweiser Hülfe der Armenpflege so gut als möglich durchzuschlagen suchen.

Von den Arbeitern in den Gewerben für Bekleidung und Putz bilden namentlich diejenigen der Strohindustrie ein großes Kontingent. Hier führen die wechselnden Launen der Mode allerdings ein fortwährendes Schwanken der Produktion mit sich, das um so unangenehmere Folgen hat, als der Mode gegenüber jede Berechnung hinfällig wird. Wenn trotzdem auch hier die Arbeitslosigkeit nicht in starkem Maße sich geltend macht, so liegt der Grund hauptsächlich darin, daß die Industrie zum größten Teil Hausindustrie ist und eine Art Nebenbetrieb zur Landwirtschaft bildet.

Kann demnach in unserem Kanton von herrschenden eigentlichen industriellen Krisen, welche die Massenarbeitslosigkeit erzeugen, nicht gesprochen werden, so muß doch jener wirtschaftlich und sozial ebenfalls bedenklichen Erscheinung gedacht werden, welche die Landbevölkerung in die großen industriellen Mittelpunkte treibt, und im Aargau eine Bevölkerungsabnahme zur Folge hatte, wie die eidgenössische Volkszählung von 1888 nachwies.

Die Art, wie sich die Bevölkerungsvermehrung in den Hauptanziehungspunkten Zürich und Basel aus den Zuzügen rekrutiert, läßt darauf schließen, daß dieser Zug vom Land nach der Stadt immer noch fortdauert. Die Hauptursache dieser starken innern Wanderung liegt ohne Zweifel im Zurückgehen der Rentabilität der Landwirtschaft im allgemeinen, und im besondern in der Einschränkung des Getreidebaues infolge der überseeischen und ost-

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europäischen Getreidekonkurrenz, und der daherigen Reduktion der Arbeitskräfte. Diese Einflüsse mußten sich in unserem Kanton um so stärker geltend machen, als der Grundbesitz sehr zersplittert und überwiegend Kleingrundbesitz ist, dem durch die maschinelle Entwicklung der Industrie ein guter Nebenverdienst in der Hausindustrie -- man denke nur an das Verschwinden der Handweberei -- teilweise entzogen wurde. Es ist Sache einer weisen Agrarpolitik, dem Landwirt und namentlich dem Kleinbauer wieder einen festern Boden zu verschaffen, um der Entvölkerung und der Verarmung des Bauernstandes vorzubeugen.

Es kann aber nicht bestritten werden, daß zum Zug vom Land nach der Stadt auch bei uns nicht ausschließlich Arbeitslosigkeit Veranlassung giebt, sondern ebenfalls jener Reiz, den die Stadt gegenüber dem Land hinsichtlich ihrer höhern Löhne und größern Vergnügungsanlässe bietet. Insofern sich diese Wanderung zum größten Teil innerhalb des Staatsgebietes erstreckt, erleidet der Gesamtstaat, also in unserem Falle der Bund, keine Einbußen, wohl aber der Kanton, wenn hinsichtlich der Fürsorge für die Fälle der Verarmung verschiedene Systeme der-Unterstützung zur Anwendung kommen, so daß beispielsweise unser Kanton die Wandernden aufzieht und schult, und sie dann verliert, wenn er von ihnen Nutzen haben sollte, im Verarmungsfalle aber dieselben wieder zur Versorgung zurückspediert erhält.

Solche Zustände müssen auf die Dauer namentlich für die Landgemeinden drückend werden, und lassen sich nur beseitigen durch eine einheitliche eidgenössische Regelung der Armenfilrsorge, mit welcher im Zusammenhange die eidgenössische Versicherung gegen die Fälle, die Armut erzeugen, steht.

Als weitere Quellen für Erhebungen über den Umfang der Arbeitslosigkeit können in unserem Kanton die Aufzeichnungen der Armenpflege dienen. Das Formular für die Armenrechnungen sieht eine besondere Tabelle vor, worin für alle Unterstützten die Ursache der Unterstützung anzugeben ist. Nach diesen Tabellen beträgt die Zahl der infolge Arbeitslosigkeit unterstützten Armen 5 % der Gesamtzahl, also 500. Diese Angaben sind aber unvollständig, weil die Zahl der abgewiesenen Arbeitslosen nicht registriert ist. Außerdem fehlen die Nachweisungen der privaten Unterstützungen. Der größte Mangel einer so gewonnenen Statistik liegt aber darin, daß
die beschäftigungslosen Arbeiter, soweit sie nicht zu den Arbeitsunfähigen gehören, sich erklärlicherweise nur im alleräußersten Notfall herbeilassen, die Armenpflege in Anspruch zu nehmen, und daher nur ein ganz

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geringer Bruchteil der Arbeitslosen auf diesem Wege statistisch erfaßt werden kann. Die Arrnenunterstützung wird zum weitaus größten Teil den Arbeitsunfähigen, nicht den eigentlichen Arbeitslosen zu teil ; daß bei so unsichern Quellen für die Kenntnis des wirklichen Bedürfnisses direkte Erhebungen sehr wünschenswert wären, läßt sich nicht bestreiten. Solche ließen sich wohl am leichtesten jeweilen mit der eidgenössischen Volkszählung oder speziellen Berufs- und Gewerbezählung verbinden. Es werden ja stets besondere Erhebungen gemacht über die Art der Beschäftigung der Bevölkerung, und es sollte bei diesem Anlaß nicht schwer halten, gleichzeitig Fragen zu formulieren, die über Ursachen, Umfang und Dauer der Arbeitslosigkeit der bei der Zählung ohne Arbeit Befindlichen genügende und zuverlässige Auskunft verschaffen. Da solche Zählungen aber nur in größeren Perioden wiederkehren, plötzlich auftretende Krisen dagegen Arbeitslosigkeit verursachen, gegen welche Abhülfe dringend nötig wird, so sind natürlich in solchen Fällen jeweilen spezielle Zählungen notwendig. Auch sollte darauf hingewirkt werden, daß aus den interessierten Kreisen bessere und regelmäßige Auskunft über die Arbeitslosigkeit erteilt wird, was bei Abfassung der Jahresberichte sehr leicht geschehen kann. Es sollten demnach die Handels- und Industrievereine, die Gewerbevereine und die Arbeiterverbände nicht nur über die allgemeine Geschäftslage Auskunft geben, sondern auch über den Zustand des Arbeitsmarktes, über die Ausdehnung der Arbeitslosigkeit, ihre Dauer und Ursachen, und über den Prozentsatz der Arbeitslosen im Vergleich zu den Beschäftigten.

b. Als Institution für öffentlichen Arbeitsnachweis und für Schutz gegen Arbeitslosigkeit kommt im Aargau einzig in Betracht die Naturalverpflegung bedürftiger Wanderer. Einrichtungen für Arbeitsnachweis sind teilweise mit dieser verbunden, auch gibt es vereinzelte Arbeitsvermittlungsstellen von Vereinen, wie z. B. vom Frauenverband in Aarau, doch vollzieht sich die Arbeitsvermittlung zum größten Teil durch das Mittel der Zeitungsannonce.

Der Einführung der Arbeitslosenversicherung ist man noch nirgends näher getreten, weil, wie bereits erwähnt, eigentliche Krisen in der Industrie nicht aufgetreten sind, und das Bedürfnis sich daher nicht in der Weise geltend macht, wie in Großstädten, wo die Arbeiterbevölkerung zusammenwohnt.

Was speziell die Organisation der Naturalverpflegung in unserem Kanton betrifft, so erlauben wir uns, auf eine Arbeit

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zu verweisen, die der Vorsteher unseres statistischen Bureaus vor ein paar Jahren hierüber veröffentlicht hat (Das Naturalverpflegungswesen in der Schweiz. Von E. Näf.). Es besteht gegenwärtig die Absicht, die Naturalverpflegung zu verstaatlichen, und der bezügliche regierungsrätliche Entwurf hat bereits die erste Beratung im Großen Rate passiert. Das Gesetz sieht im besondern die Organisation der Arbeitsanweisung und Arbeitsvermittlung vor. Die letztere war bis jetzt einzig beim Naturalverpflegungsverband des Bezirks Zofingen organisiert; bei den übrigen Stationen vollzog sich die Arbeitsvermittlung bloß etwa so, daß diejenigen Arbeitgeber, die Arbeitskräfte suchten, sich in der Herberge, beziehungsweise auf der Verpflegungsstation einschrieben.

Es muß nun aber gerade auf die Arbeitsvermittlung und Arbeitsanweisung das Hauptgewicht gelegt werden, wenn die Naturalverpflegung ihren Zweck vollständig erreichen soll. Darum ist beabsichtigt, bei Ausführung des Gesetzes mit jeder Verpflegungsstation eine Arbeitsvermittlungsstelle zu verbinden, und da nach der Natur des Arbeitsnachweises gute Erfolge nur da erzielt werden, wo in einem weit abgemessenen Kreise Angebot und Nachfrage sich gegenüberstehen, so soll die Leitung des Arbeitsnachweises bei einer Hauptstation zentralisiert werden.

Es läßt sich nicht bestreiten, daß, wenn die Naturalverpflegung auf solche Weise organisiert wird, sie dem Wanderbettel verschiedenen Abbruch tut und tausenden von Arbeitslosen die Wohltat erweist, arbeitend ihren Unterhalt sich wenigstens zum Teil verdienen zu können. Auch manche dauernde Arbeitsstelle kann ihnen durch den mit verschiedenen Stationen verbundenen Arbeitsnachweis vermittelt werden. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind die Naturalverpflegungsstationen geradezu unentbehrlich; ihre Erhaltung und Förderung liegt im öffentlichen Interesse und ist eine Pflicht des Staates. Es zeigt sich nämlich je länger je mehr, daß die freiwillige Liebestätigkeit hier auf die Dauer nicht ausreicht. Die Stationen müssen über das ganze Staatsgebiet zweckmäßig verteilt, und die daherigen Lasten auf die Gemeinden in gerechter und billiger Weise repartiert werden.

Wo nur einzelne Gemeinden die Lasten einer Einrichtung tragen müssen, von welcher der ganze Landesteil Nutzen hat, da erlahmt die Opferwilligkeit bald, es entstehen
Lücken im Stationsnetz, und die ganze so wohltätige Einrichtung wird in Frage gestellt.

Eben so nachhaltig, wie die Verpflegungsstationen, können die Arbeiterkolonien für die arbeitslosen Wanderer wirken und das

779 Vagabundieren beseitigen helfen. Beide Systeme müssen einander ergänzen. Anfänge zur Gründung von Arbeiterkolonien sind bereits gemacht, es bedarf nur der Erweiterung und der zweckmäßigen Anlage eines Netzes von solchen Kolonien. Mit der bloßen Arbeitsvermittlung ist es aber nicht getan, da das Angebot von Arbeit oft größer sein kann, als die Nachfrage. Indem die Arbeiterkolonien dauernde Arbeit gewähren, machen sie das planlose Wandern, das nur zu leicht zur Vagabundage führt, unnötig und bieten ein weiteres gutes Mittel, die Arbeitswilligen von den Arbeitsscheuen zu sondern und entsprechend zu behandeln.

In das gleiche Gebiet gehören die Veranstaltungen von Notarbeiten zur Beschäftigung der Arbeitslosen; dahin fallen die Ausführung öffentlicher Bauten, als Anlegung von Straßen, Kanälen, Flußkorrektionen, Aufführung von Hochbauten, die Arbeiten in den Waldungen, Ent- und Bewässerungsanlagen durch Staat und Gemeinden. Diese Arbeiten sollen jedoch nur unternommen werden, wenn sie als notwendig oder doch als nützlich anerkannt sind, und in nicht ferner Zeit hätten ausgeführt werden müssen.

Es läßt sich nicht bestreiten, daß in dieser Hinsicht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit noch vieles getan werden könnte, doch bleibt die Hauptsache immer die Fürsorge, die Sicherstellung der Ständigkeit des Erwerbs. Staat und Gemeinden können diese insofern herbeiführen helfen, als sie die von ihnen zu veranstaltenden Arbeiten, bei denen Beschäftigungslose aller Art, insbesondere auch ungelernte Arbeiter, Verwendung finden, wenn immer möglich in Zeiten legen, in denen Mangel an Arbeitsgelegenheit zu erwarten ist. An größern Orten sollten, ähnlich den Arbeiterkolonien, Stellen geschaffen werden, wo neben der Arbeitsvermittlung kürzer oder länger dauernde Arbeitsgelegenheit für diejenigen, die keine Arbeit finden, verschafft wird, Einrichtungen, wie sie an einzelnen Orten in der Schweiz, so in Basel und Genf, schon längst bestehen. Solche Einrichtungen in Form von Arbeitshöfen oder Arbeitswerkstätten gestatten es, die Beschäftigung der Arbeitslosen in Berücksichtigung ihres Berufes mehr oder weniger zu spezialisieren, was absolut nötig ist, da beispielsweise nicht alle Arbeitslosen zur Vornahme von schweren Bauarbeiten körperlich befähigt sind.

Es wird aber in vielen Fällen nicht immer möglich sein, den
Arbeitslosen entweder Arbeit zu vermitteln, oder sie direkt zu beschäftigen. Der Ausfall des Verdienstes hat für diese die Folge, daß sie in den Zustand der Not und der Armut fallen.

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Allerdings tritt dann die Armenpflege in die Lücke; allein diese ist bei größern industriellen Krisen nicht im stände, genügend zu helfen, und zudem liegt auf dieser Art Hülfe ein Makel, vor dem man den ohne sein Verschulden arbeitslos Gewordenen bewahren sollte. Das Mittel bietet die Arbeitslosenversicherung.

Nach dem Vorgang der Krankenversicherung, wo der Arbeiter in gesunden Tagen Beiträge leistet, damit ihm in Krankheitsfällen gehörige Verpflegung und Ersetzung des Verdienstausfalles zu Teil werde, kann der Arbeiter auch in den Tagen des Verdienstes etwas beiseite legen für die Tage der Verdienstlosigkeit. Die Arbeitslosenversicherung bildet demnach ein Glied in der Kette der Arbeiterversicherung ; es muß darauf hingewirkt werden, daß mit der Zeit alle Lohnarbeiter gegen Krankheit, Unfall, Invalidität, Arbeitslosigkeit versichert sind. Diese verschiedenen Versicherungsformen werden aber auf verschiedene Weise ihre Lösung finden müssen. Die Arbeitslosenversicherung ist z. B. nicht für alle Arbeiter gleich dringlich. Man würde nur die bereits in Vorarbeit begriffenen Versicherungsorganisationen (Kranken- und Unfallversicherung) gefährden, wollte man heute zugleich auch allgemein die Arbeitslosenversicherung einfuhren. Die Hauptträger dieser Versicherung müssen naturgemäß Arbeiter und Arbeitgeber sein, die bereits durch die Krankenund Unfallversicherung finanziell stark in Anspruch genommen werden.

Nötig ist die Arbeitslosenversicherung vor allem da, wo größere Industrien sich konzentrieren, also in größern Orten und industriellen Zentren, demnach in der Regel dort, wo die bereits erwähnten Bureaux zur Vermittlung und Beschaffung von Arbeit eingerichtet werden sollten, und zwar gerade in Verbindung mit der Arbeitslosenversicherung ; denn wenn diese Versicherung nicht ein Faß ohne Boden werden soll, so darf sie nur solche Arbeitslose unterstützen, für die wirklich keine Arbeit und Beschäftigung sich findet.

Über die beste Art der Einrichtung der Arbeitslosenversicherung fehlen noch Erfahrungen ; schon deswegen wäre ihre allgemeine Einführung heute noch etwas gewagt. Etwa folgende Normen würden sich empfehlen: Es soll durch kantonales oder besser eidgenössisches Gesetz größeren industriellen Orten ermöglicht werden, für ihren Kreis die Arbeitslosenversicherung einzuführen, und zwar obligatorisch für alle Lohnarbeiter oder für einzelne Berufsklassen. Ohne Ob-

781 ligatorium läßt sich die Versicherung nur schwer durchführen und die unbillige Verteilung der Lasten vermeiden. Die Beiträge wären billig zu verteilen auf Arbeiter und Arbeitgeber, wobei je nach dem Risiko der größern oder geringern Arbeitslosigkeit der einzelnen Berufe (z. B. Baugewerbe) Beitragskategorien aufzustellen wären, aber nur ganz wenige. Gemeinde und Staat hätten angemessene Beiträge zu leisten. Die Unterstützung müßte unter gewissen Voraussetzungen erfolgen, wie z. B. betreffend Aufenthalt, Karenz, Lohnmaximum, etwa im Sinne der an der Delegiertenversammlung des schweizerischen Gewerbevereins in Biel bereinigten Thesen.

Einleuchtend ist ferner, daß ein Mittel im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und ihre Folgen auch die Verkürzung der Arbeitszeit und die Erhöhung des Lohnes bildet, und daher sind dahin zielende Bestrebungen,, wenn sie hinsichtlich der internationalen Konkurrenz möglich und durchführbar sind, von den Behörden zu unterstützen. Die Verkürzung der Arbeitszeit wird bereits häufig, allerdings vielfach nur mit entsprechender Verkürzung des Lohnes, als Mittel gegen die Arbeitslosigkeit angewandt. Die Arbeitslosigkeit namentlich in den Saisongewerben zu überwinden, dient ferner die Verbindung von landwirtschaftlicher und industrieller Beschäftigung. Es ist bereits gezeigt worden, daß es dieser Verbindung zuzuschreiben ist, wenn in unserm Kanton die Arbeitslosigkeit nicht in dem Maße auftritt, wie anderwärts. Dies gilt aber, wohlbemerkt, nur für jene Bezirke, wo sich diese Verbindung findet, in den übrigen überwiegend landwirtschaftlichen Bezirken vollzieht sich jene Wanderung vom Land nach der Stadt, welche die bereits erwähnte Abnahme der Bevölkerung des Kantons zur Folge hat.

c. Es bedarf keines nähern Nachweises für das Interesse, das der Gesamtstaat, der Bund, an all den erwähnten Institutionen für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und ihrer Folgen hat. Daraus ergibt sich aber auch mit Notwendigkeit die Folgerung, daß der Bund diesen Instituten nicht nur seine platonische Sympathie zeigen, sondern sie auch finanziell unterstützen soll, dies um so mehr, als die Kantone nur über beschränkte Einnahmsquellen verfügen, und infolgedessen vielfach gehindert sind, die notwendigen sozialen Einrichtungen einzuführen.

Die finanzielle Unterstützung des Bundes hätte auch insofern
ihre Berechtigung, als sie da, wo einzelne Kantone unbillig Lasten für andere tragen müssen, ausgleichend wirken kann. Es sei beispielsweise nur daran erinnert, wie infolge der Wanderungen Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. V.

52

782 von Land zu Stadt die einen Kantone nur den Schaden, die ändern dagegen den Nutzen haben, wie ferner bei der Passantenunterstützung die Stationen eines Kantons die Kosten der Naturalverpflegung anderer Kantone einseitig tragen müssen. Diese Wanderungen sind aber eine Folge der von der Bundesverfassung garantierten Niederlassungsfreiheit, die zur richtigen Entwicklung und Verteilung von industrieller uüd gewerblicher Tätigkeit nötig ist und dem Gesamtstaat Nutzen bringt. Um so eher ist es dann aber Pflicht des Gesamtstaates, den einzelnen Teilen, den Kantonen, die unter solchen Einrichtungen leiden, unter die Arme zu greifen.

Die finanzielle Unterstützung von Seiten des Bundes ist nun allerdings für die vorerwähnten Institutionen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht überall gleich dringlich. Wo die Lasten nicht über ein Maß hinausgehen, das die zunächst beteiligten Gemeinden und Kantone zu tragen vermögen, wird die Bundessubvention weniger nötig werden. Dies gilt z. B. bei der Naturalverpflegung, obgleich sie sich insofern rechtfertigen würde, als die kantonsfremden Passanten oft mehr als die Hälfte der Unterstützten ausmachen. Eher nötig wäre die Bundessubvention für Einrichtung der Arbeiterkolonien und derjenigen Veranstaltungen an den größern Orten, die, mit oder ohne Verbindung mit Naturai Verpflegung, Zentralstellen sind für die Arbeitsvermittlung, die Arbeitsbeschaffung und die Arbeitslosenversicherung. Da diese Stellen, die man kurzweg als Arbeitsämter bezeichnen kann, gewissermaßen den Zentralpunkt bilden für alle die Veranstaltungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, so sollte durch finanzielle Mithülfe von Seiten des Bundes ermöglicht werden, diese Institute rationell und zweckentsprechend einzurichten. Diese Ämter wären gleichzeitig auch die geeignetsten Informationsstellen über die Situation des Arbeitsmarktes und den Stand der Arbeitslosigkeit. Die finanzielle Beteiligung des Bundes an diesen Instituten und an den Arbeitskolonien sollte sich, wie bei der Subvention der Anstalten zur Förderung des gewerblichen Bildungswesens, richten nach der Höhe der Leistungen der Kantone und Gemeinden, und wenigstens im gleichen Verhältnis zu denselben stehen. Hierbei müßte sich allerdings der Bund eine gehörige Kontrolle über die richtige Verwendung der Subvention vorbehalten, wie es auch
beim gewerblichen Bildungswesen geschieht.

Der Bund sollte seine Subventionen an bestimmte Postulate betreffend zweckmäßige Einrichtung der zu subventionierenden Institutionen knüpfen.

783

d. Der Bund kann noch weiter gehen und hat es mit seinen finanziellen Subventionen in der Hand, zu verlangen, daß die von ihm unterstützten Stellen für öffentlichen Arbeitsnachweis miteinander in Verbindung treten und einander ihre Listen regelmäßig zusenden, daß eine Art organischer Verbindung unter ihnen eintreten müsse. Der Bund kann ferner durch seine finanzielle Unterstützung der Arbeitslosenversicherung verlangen, daß die Versicherungskassen gegen Arbeitslosigkeit ihren Versicherten gegenseitig Freizügigkeit zusichern. Die Aufsicht und Kontrolle über diese Institute wird am besten unter Oberaufsicht des Bundes von den Gemeinden und Kantonalbehörden ausgeübt werden, etwa in der Weise, wie die Vollziehung des Fabrikgesetzes unter Oberaufsicht des Bundes durch die gleichen Organe besorgt und überwacht wird.

e. Hinsichtlich der Stellung der Berufsverbände muß hervorgehoben werden, daß eigentlich sie vor allem berufen wären, für die Arbeitsvermittlung in ihrem Beruf und für den Unterhalt ihrer arbeitslosen Berufsgenossen zu sorgen. Unbestritten wären die Berufsgenossenschaften am besten befähigt, den Arbeitsnachweis und die Arbeitslosenversicherung den wirklichen Bedürfnissen entsprechend zu organisieren. Alle die Vorteile, die Herr Schindler-Huber in der Delegiertenversammlung des schweizerischen Handels- und Industrievereins vom 27. April abbin in seinem Referate vorgebracht hatte, müssen als zutreffend bezeichnet werden. Man braucht übrigens einzig auf den guten Einfluß hinzuweisen, den eine bessere Organisation der Berufsverbände auf die Regelung des Lehrlingswesens, namentlich aber auch auf die bessere Ausbildung der Lehrlinge und das Halten der Lehrlinge haben müßte, wodurch es möglich würde, der Überfüllung von einzelnen Berufen, wie sie durch die Naturalverpflegung konstatiert wird, entgegenzuarbeiten.

Das Ideal wäre, daß für alle sogenannten geschulten Arbeiter die Fürsorge für die Arbeitslosigkeit in Form von Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung durch die Berufsgenossenschaften übernommen, und nur die Fürsorge für die ungeschulten Arbeiter der Gemeinnützigkeit oder dem Gemeinwesen anheimfallen würde. Allein von diesem Ideal sind wir noch weit entfernt. Mit einzelnen ehrenwerten Ausnahmen, wie die Konditionslosenkasse des schweizerischen Typographenbundes, dieStellenvermittlungsbureaux
und Unterstützungskassen der kaufmännischen und Geschäftsreisenden-Vereine und des Vereins der Hotelangestellten u. a. m., haben wir als berufsgenossenschaftliche Fürsorge

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für die Arbeitslosigkeit fast nichts, was sich den großartigen Leistungen der englischen Gewerkvereine oder auch einer Reihe von deutschen Berufsverbands- und Innungskassen irgendwie an die Seite stellen könnte. Ja, wo von gemeinnützigen Vereinen oder vom Staat bereits Institutionen der Fürsorge für Arbeitsvermittlung und für Arbeitslosigkeit bestehen, finden diese bei den zunächst betroffenen Berufskreisen oft eher Opposition, als Unterstützung. Man denke nur an die Haltung der Handwerker gegenüber der Naturalverpflegung, trotzdem diese sie von der drückenden Gepflogenheit der .,,Umschau"1 befreit und ihnen bei der Arbeitsvermittlung große Dienste leistet. Der Grund dieser unbegreiflichen Apathie liegt ohne Zweifel in der Zersplitterung der einzelnen Berufsarten, im Mangel an fester Organisation, an geschlossenen Vereinigungen. Auf eine wirksame Mithülfe von Seiten der Berufsgenossenschaften in der Fürsorge für die Arbeitslosigkeit wird demnach erst zu zählen sein, wenn durch ein eidgenössisches Gewerbegesetz für die gewerblichen Berufsverbände ein fester Boden geschaffen wird, in der Weise, daß sie gewissen Normativbedingungen unterstellt werden, und gewisse Rechte und Kompetenzen erhalten, die sich mit einer vernünftigen Gewerbefreiheit vertragen.

Aber dann noch werden bei unsern kleinen Verhältnissen und der großen Zersplitterung der Berufe zahlreiche Berufsgenossen nicht in Verbände eingereiht werden können, und somit hinsichtlich der Fürsorge für Arbeitslosigkeit an die Einrichtungen des Gemeinwesens zu weisen sein.

Die Frage der Fürsorge bei Arbeitslosigkeit wird demnach nicht dadurch gelöst, daß man diese Fürsorge ausschließlich den Berufsgenossenschaften zuweist, sondern es werden neben den Institutionen der Berufsgenossenschaften nach wie vor auch solche des Staates und der Gemeinden nötig werden. Von Wichtigkeit ist nur, daß diese verschiedenen Stellen einander ergänzen und miteinander in Fühlung stehen.

f. Bei einzelnen Institutionen zur Fürsorge für die Arbeitslosigkeit sind die Ausländer bis jetzt den einheimischen Arbeitern gleichgestellt worden, so bei der Naturalverpflegung und der damit verbundenen Arbeitsvermittlung, gleiches geschieht auch vielfach bei mehr oder weniger öffentlichen speziellen Arbeitsvermittlungsbureaux. Es würde sich demnach nur fragen, ob die Ausländer auch bei der Arbeitslosenversicherung zugelassen werden sollen. Da es sich hier um beträchtliche Opfer von Seiten

785 der Gemeinden und des Staates handelt, wird man wohl zunächst für die einheimischen Arbeiter gehörig versorgen müssen. Von den Ausländern könnten höchstens die eigentlichen Niedergelassenen und die verheirateten Arbeiter in Betracht kommen. Bei der großen Zahl von in der Schweiz beschäftigten fremden Arbeitern müßte die Hereinbeziehung aller Ausländer in die Versicherung diese selbst erschweren, wenn nicht verunmöglichen. Weitherziger könnte man dagegen sein, wo die Mittel genügend vorhanden sind und die Nachbarstaaten Gegenrecht halten.

g. Sollen die vorerwähnten Institutionen der Fürsorge für die Arbeitslosigkeit ihren Zweck vollständig erfüllen, so genügen bloße finanzielle Unterstützungen von Seiten des Bundes nicht, sondern es sind ihm weitergehende Aufgaben zuzuweisen. So wird die Naturalverpflegung, wenn sie sich bloß über einzelne Kantone erstreckt, bei weitem nicht das erreichen, was sie könnte, wenn ein rationelles, über die Schweiz ausgebreitetes Netz von Stationen vorhanden wäre, die mit Stellen für Arbeitsanweisung und Stellenvermittlung verbunden sind. Was für die Verstaatlichung der Naturalverpflegung in den einzelnen Kantonen gilt, das gilt Satz für Satz auch für die Verstaatlichung auf dem Gebiete der ganzen Eidgenossenschaft. Es besteht allerdings bereits ein interkantonaler Verband der Naturalverpflegungsvereine, allein eine Reihe von Kantonen gehören ihm nicht an, weil dort die Naturalverpflegung nur mangelhaft oder gar nicht durchgeführt ist. Infolge dieser Lücken wird das segensreiche Wirken der Naturalverpflegung namentlich hinsichtlich der damit verbundenen Arbeitsvermittlung stark beeinträchtigt. Eine gedeihliche Entwicklung des Arbeitsnachweises kann nur erwartet werden von Organisationen, die sich auf größere örtliche Gebiete und einen weit bemessenen Kreis von Berufstätigkeiten erstrecken; daß eine Entwicklung dieser Art sich im Werke befindet, geht aus den mancherlei Ansätzen hervor, die in den letzten Jahren an den verschiedensten Orten hiezu genommen worden sind. Eine derartige Entwicklung können nun allerdings die Verpflegungsstationen nicht hervorbringen, aber sie können ihre Einrichtungen so treffen, daß eine solche Entwicklung und der Anschluß der Verpflegungsstationen an dieselbe begünstigt werde, das geschieht im Wege größerer Zentralisierung der
Verpflegungsstationen und der Anbahnung größerer Gleichartigkeit in ihren Einrichtungen; alles dies ist aber, wie bemerkt, nur unter der Voraussetzung der Durchführung des gesetzlichen Zwanges für das ganze Gebiet der Schweiz zu erhoffen.

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Man braucht hierbei nicht an eine eigentliche Bundeseinrichtung für die Naturalverpflegung zu denken. Es handelt sich nur darum, für das ganze Gebiet der Schweiz eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, auf welcher als Hauptträger der Lasten Kantone und Gemeinden die Naturalverpflegung nach gleichen Grundsätzen einzuführen hätten.

Auf solche Weise würde es möglich, in Verbindung mit der Naturalverpflegung die Arbeitsvermittlung für das ganze Gebiet der Schweiz rationell und einheitlich zu regeln, wobei sie dann allerdings nicht nur den wandernden Arbeitsuchenden, sondern auch den seßhaften ihre Dienste zu gewähren hätte.

Das Vorgehen wäre kein neues, finden wir doch in Deutschland ganz ähnliche Bestrebungen für die gesetzliche Regelung der Naturalverpflegung in den Einzelstaaten und im Reich.

Werden auf diese Weise dem Bund auf dem Gebiete der Fürsorge für die Arbeitslosigkeit finanzielle Verpflichtungen und gesetzgeberische Aufgaben zugewiesen, so ist es fast unvermeidlich, daß er ein Organ aufstellen muß, das die Kontrolle und Aufsicht führt. Ein solches Organ würde am besten in Form eines eidgenössischen Arbeitsamtes geschaffen. Diesem Amt würden neben der Aufsicht und Kontrolle über die Bundessubventionen und den Vollzug der erlassenen Gesetze die Begutachtung aller auf das Arbeiterwohl bezüglichen Fragen zufallen.

Es würde die notwendige Ergänzung zum schweizerischen Arbeitersekretatiat bilden. Dem eidgenössischen Arbeitsamt wäre in Verbindung mit dem eidgenössischen statistischen Bureau die Arbeitsstatistik zu übertragen. Es hätte alle die Informationen, die von den Korporationen und ändern hierfür geeigneten Auskunftsstellen über den Arbeitsmarkt einlaufen, zu sammeln und zu veröffentlichen, wie es seit Jahren in mustergültiger Weise vom Arbeitsdepartement des englischen Handelsamtes geschieht.

Das Amt müßte Zentralpunkt der Arbeitsstatistik und Arbeitsvermittlung, kurz aller Bestrebungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und ihrer Folgen sein. Es ist nämlich notwendig, die verschiedenen Mittel und Wege zur Abwehr oder Linderung der Arbeitslosigkeit, wie Zählung der Arbeitslosen, Einrichtung von Arbeitsvermittlungsstellen, Naturalverpflegungsstationen, Arbeiterkolonien und Arbeitslosenversicherung, gleichmäßig zu berücksichtigen und immer das rationelle systematische Ineinandergreifen aller Maßregeln zur Abhülfe des Übels im Auge zu behalten. Es kann dabei den mitwirkenden Behörden, Korpo-

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rationen, Vereinen und Privatpersonen immerhin eine gewisse Selbständigkeit in der Fürsorge für die Arbeitslosen gewahrt bleiben, wenn nur die Einheit des Hülfsplanes gewahrt wird.

h. Die gesetzliche Ordnung des privaten Stellenvermittlungswesens, wie es die Union Helvetia anregt, kann angesichts der vielen Mißbräuche, die hier vorkommen, nur begrüßt werden.

Vielfach handelt es sich um eine Ausbeutung, der von Staats wegen der Riegel gestoßen werden sollte. Das beste Mittel gegen solche Auswüchse ist freilich die Einrichtung von Arbeitsvermittlungsstellen mit möglichst kostenfreien Diensten durch Vereine und Behörden.

i. Die Kompetenzen des Bundes für eine Betätigung in Hinsicht auf die angedeuteten finanziellen Subventionen und gesetzgeberischen Erlasse bezüglich Naturalverpflegung, Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenversicherung, eidgenössisches Arbeitsamt u. s. w. ließen sich vielleicht am besten bei Revision des Gewerbeartikels, die so wie so bald wieder kommen muß, schaffen.

Hier wäre dann gleichzeitig auch der Anlaß geboten, für eine bessere Organisation der Berufsverbände zu sorgen, und deren Pflichten gegenüber den Arbeitslosen ihres Berufs festzusetzen, wie es in einer Eingabe des Vereins schweizerischer Buchdruckereibesitzer, des schweizerischen Typographenbundes und der Société federative des typographes de la Suisse romande an die Bundesversammlung verlangt worden ist. Es erscheint uns als eine des Bundes würdige Aufgabe, die Bestrebungen, wie sie sich in den Kantonen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zeigen, fördernd zu unterstützen und sie dadurch, daß er Einheit und planmäßiges Vorgehen in sie bringt, zu rechtem Ende zu führen, denn die unheilvollen Folgen der Arbeitslosigkeit machen nicht nur für die davon direkt betroffenen Personen, sondern für das gesamte wirtschaftliche und sittliche Leben des Volkes die Arbeitslosenfrage zu einer Angelegenheit, die nicht nur einzelne Kreise, sondern die Gesamtheit angeht. Je mehr es gelingt, die Arbeitslosigkeit und ihre Folgen zurückzudämmen, desto mehr wird der soziale Friede befestigt und gekräftigt.

3O. Tlnirgan.

(14. Juni 1895.)

a. Die unverschuldete Arbeitslosigkeit leistungsfähiger und arbeitswilliger Personen war und ist in unserem Kanton, der nur

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wenige kleine Städte besitzt, abgesehen von der Krisis, die vor einigen Jahren die Stickereibranche vorübergehend betroffen hat, wohl nur eine ganz ausnahmsweise und vereinzelte Erscheinung. Es ist vielmehr eine unbestreitbare Tatsache, daß namentlich in geschäftsreichen Zeiten unserer Landwirtschaft mancherorts die nötigen Arbeitskräfte häufig fehlen.

Bestehen deshalb hierorts keinerlei ständige Institutionen für öffentlichen Arbeitsnachweis und für Schutz gegen Arbeitslosigkeit -- die demnächst zu eröffnende Arbeiterkolonie in Herdern mit interkantonalem Charakter wird nicht eigentlich hierher zu zählen sein --, so dürfte sich auch in Zukunft, wenigstens noch für längere Zeit, ein wirkliches Bedürfnis nach solchen Einrichtungen, mit Einschluß der sogenannten Arbeitslosenversicherung, im allgemeinen kaum geltend machen.

Speziell für die Stickereiindustrie, über welche ähnliche schwere Krisen, wie die vergangene, wieder hereinbrechen können, wäre zwar eine Schutzeinrichtung gegen Arbeitslosigkeit wünschenswert; sie hätte sich jedoch auf den Boden einer freiwilligen, auf Gegenseitigkeit beruhenden Versicherungskasse zu stellen, und wenn auch, im Hinblick auf die große Zahl der Stickereiarbeiter in unserm Kanton, ein angemessener Staatszuschuß gerechtfertigt wäre, so ließe die Erfahrung, daß das durch die letzte Notlage der Stickerei hervorgerufene Projekt einer solchen Versicherungskasse, trotz der bereits beschlossenen Subvention von Fr. 5000 seitens des Stickereiverbandes und fast sicher in Aussicht stehender Zuschüsse mehrerer Kantone, nicht zur Verwirklichung gelangte, auch für einen neuen Versuch auf dem Boden der Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit kaum ein günstigeres Resultat erwarten.

Von der Einführung der Versicherung gegen Arbeitslosigkeit einzig für die Arbeiter der Stickereibranche auf dem Wege der Gesetzgebung könnte aber von vorneherein keine Rede sein, und für die Einrichtung einer allgemeinen Versicherung dieser Art liegt, wie bereits bemerkt wurde, zur Zeit wenigstens, kein eigentliches Bedürfnis vor.

&. Ob diese Bedürfnisfrage für die Kantone mit größern Städten oder mit vorwiegend industrieller Bevölkerung anders liegt und deshalb anders zu beantworten ist, braucht hier nicht untersucht zu werden ; es dürfte jedoch auch in den betreffenden Kantonen, beziehungsweise Städten, die Organisation der Arbeitslosenversicherung ausschließlich diesen zu überlassen sein, und

789 die eventuelle Mitwirkung des Bundes sich auf eine finanzielle Unterstützung im Bedürfnisfalle, in einem angemessenen Verhältnisse zur eigenen Leistung, zu beschränken haben. Der Gewährung von Bundessubventionen dieser Art an Kantone, Gemeinden oder Berufsvorbände hätte wohl eine Ergänzung der Bundesverfassung vorauszugehen, wie eine solche unzweifelhaft stattzufinden hätte, wenn der Bund -- wie die Kranken- und Unfallversicherung -- so auch die Arbeitslosenversicherung selbst einrichten wollte.

c. Das letztere gilt wohl auch in bezug auf die Mitwirkung des Bundes bei Institutionen für öffentlichen Arbeitsnachweis, insofern er diese Aufgabe zu der seinigen machen oder entsprechende Organisationen von Gemeinden und Kantonen finanziell unterstützen wollte ; dagegen würde der Erlaß einer eidgenössischen Verordnung über die Regelung des privaten Arbeitsnachweises im Sinne des Gesuchs der Union Helvetia kaum einer Ergänzung der Bundesverfassung rufen, da deren Art. 31 in litt, e dem Bunde die Verfügungen über Ausübung von Gewerben vorbehält, insofern sie den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen ; das letztere wäre bei der Stellung der erwerbsmäßigen Stellenvermittlung unter Polizeiaufsicht, der Einführung einer Patentgebühr und der Normierung der Placierungstaxe nicht der Fall. Es dürfte aber auch hier die Beantwortung der Bedürfnisfrage und die eventuelle Organisation des öffentlichen Arbeitsnachweises, sowie die polizeiliche Überwachung den Gemeinden und Kantonen anheimgestellt, und die Bundesbehörde, der ohnehin allzuviel Detailkrämerei zugemutet wird, nicht damit behelligt werden ; dies gilt namentlich in bezug auf die Regelung des privaten Arbeitsnachweises, zu dessen Beaufsichtigung die Kantone -- speziell der Kanton Thurgau gemäß § 15 der Kantonsverfassung -- ohnehin berechtigt sind, insofern das allgemeine Recht es erfordert.

d. Solange das große Werk der Unfall- und Krankenversicherung nicht gesichert ist, muß es als inopportun und sogar gefährlich erscheinen, den öffentlichen Arbeitsnachweis und die Arbeitslosenversicherung auf dem Wege der Verfassungsergänzung oder der Gesetzgebung von Bundes wegen einzurichten, oder gar mit der erstem in Verbindung zu bringen.

790 SI. Ticino.

(Li 16 Settembre 1895.)

Il postulato 12/16 Giugno 1894 e le proposte fatte dall' UnionHelvetia formarono oggetto di una specie d' inchiesta, sulle condizioni degli operaj nel nostro Cantone in quanto si riferisce alle questioni sollevate colle proposte stesse. Fu nostra premura di far constatare innanzi tutto se nel Cantone si fossero veriflcati, rispetto alle professioni che possono esercitarsi nel paese, dei casi di disoccupazione generale o per lo meno estesa a date professioni, e se già esistono uffici od agenzie allo scopo di dare informazioni agli operai in cerca di lavoro, oppure di soccorrerli nei periodi di disoccupazione. E fummo accertati che da noi le crisi nel lavoro e detti uffici di collocamento sono cose completamente sconosciute.

Nel nostro Cantone, dove non havvi sovrabbondanza di personale in confronto delle occupazioni o dei lavori che la sua condizione economica può offrire e dal quale emigrano in grande proporzione gli operai, ben difficilmente possono verificarsi casi o nascere periodi di disoccupazione generale o limitata a date professioni, né d'altra parte rilevasi la necessità di speciali uffici destinati a rimediare a simili mali. Da noi la mano d'opera che resta nel Cantone, o per certi mestieri proviene da altro paese, è in certo qual modo proporzionata alla necessità di lavoro.

Esistono casse di soccorso, mantenute da società composte di membri che pagano una certa tassa, dette società (operaie) di mutuo soccorso ; esse hanno però principalmente per iscopo di venire in aiuto dei membri che cadono ammalati od alle famiglie dei defunti5 l'idea di soccorrere in caso di disoccupazione comincia appena a farsi strada presso qualche società di recente costituzione.

Data questa speciale situazione del Cantone, noi non possiamo presentarvi un rapporto nel quale sieno formulate delle proposte precise, corrispondenti alle esigenze del paese. Riconosciamo tuttavia che l'istituzione d'uffici destinati a facilitare la ricerca di lavoro ed a soccorrere gli operai può tornare di vantaggio anche ai nostri concittadini che cercano occupazione nei Cantoni confederati, e sotto questo rapporto noi vorremmo che fosse lasciata la più grande libertà ali' iniziativa privata ; la Confederazione dovrebbe solo intervenire mediante sussidi da accordarsi e destinarsi secondo le norme che si vorranno stabilire.

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22. Vaud.

(Le 19 juillet 1895.)

Nous sommes partisan de soumettre les bureaux de placement à une surveillance sérieuse et continue, pareille à celle qui est exercée sur les agences d'émigration.

A ce propos nous rappellerons que les cantons de Berne, Fribourg, Vaud, Valais, Neuchâtel et Genève ayant reconnu les abus dont beaucoup de bureaux se rendaient coupables, surtout dans le placement de jeunes gens à l'étranger, ont conclu, déjà en 1875, un concordat pour la protection de ces jeunes gens et qu'ils ont, à cet effet, soumis les bureaux de placement à l'obligation de prendre une patente et à une certaine surveillance.

Un règlement fédéral consacrerait ce qui existe déjà dans ces cantons et, en rendant la surveillance obligatoire et générale en Suisse, l'améliorerait et la rendrait plus efficace ; à cet égard nous accueillerons favorablement les propositions présentées aux autorités fédérales par la société suisse des employés d'hôtel ,,Union-Helvetia".

En ce qui concerne la protection à accorder aux ouvriers contre les conséquences du chômage involontaire, nous pensons qu'il y a lieu de prendre des mesures analogues à celles projetées pour le chômage dû à la maladie ou aux accidents, en créant une assurance spéciale dont les ressources seraient demandées en premier lieu aux ouvriers, puis à la Confédération et, peut-être, aux cantons et aux communes.

Il nous paraît qu'une pareille institution devrait être conduite par les autorités fédérales au même titre que les assurances contre les accidents et les maladies en voie d'étude et dont elle forme le complément; elle devrait, pour les mêmes motifs, être aussi obligatoire pour les ouvriers dont le salaire n'atteint pas un certain chiffre.

Les ouvriers valides, capables de travailler, devraient seuls être admis à bénéficier de cette assurance, et, pour jouir de ses bienfaits, on devrait encore exiger qu'ils aient versé des contributions pendant un temps déterminé.

Cette question est très importante et mérite une étude approfondie de la part des autorités afin d'établir une institution viable et dont les conséquences pécuniaires peuvent être considérables pour les pouvoirs publics.

792 Les documents réunis pour l'étude de l'assurance contre les accidents peuvent donner des renseignements précieux et les travaux faits à cette occasion doivent aussi pouvoir servir de guide pour l'étude de l'assurance contre le chômage, assurance qui nous paraît devoir être entreprise par la Confédération.

23. Valais.

(Le 11 septembre 1895.)

Les questions dont il s'agit n'ont aucune actualité pratique dans notre canton agricole. Il n'existe en ce moment aucun bureau de placement; les industriels, maîtres d'hôtels, etc., ont recours aux agences établies dans les cantons voisins. -- Le chômage volontaire ou involontaire est inconnu en agriculture et nos établissements industriels ne sont pas encore assez nombreux et importants pour justifier les mesures proposées.

Nous regrettons dès lors de ne pouvoir vous donner des renseignements sur les questions posées dans la circulaire du 30 novembre 1894.

34. IVeuchâtel.

(Le 4 novembre 1902.)

Nous avons l'honneur de vous adresser ci-inclus le rapport de notre Chambre cantonale du Commerce, de l'Industrie et du Travail sur l'enquête à laquelle elle a procédé sur les bureaux publics de placement et les mesures à prendre contre le chômage involontaire dont le résumé est le suivant: Comme nous le disons au commencement de ce rapport d'enquête, il n'est pas possible d'en sortir des conclusions rigoureuses et précises.

Rien n'émerge de ce fouillis de réponses contradictoires, dont plusieurs ne s'adaptent pas à la question posée.

Il n'est pas même indiqué d'additionner les réponses dans un sens et dans l'autre et de déduire, de la comparaison, de quel côté se trouve la majorité des voeux exprimés. En effet, des réponses individuelles ne peuvent justement être ajoutées à des réponses d'associations. Il est de plus à remarquer que les réponses individuelles, sauf une, émanent d'ouvriers, et qu'ainsi

793 elles peuvent faire double emploi avec celles des organisations professionnelles auxquelles ils appartiennent.

Reprenons les questions principales: Les causes de chômage indiquées sont si multiples qu'elles comprennent tous les risques auxquels les industries sont exposées.

Les unes, comme le trop grand nombre d'apprentis, l'emploi d'ouvriers étrangers, l'extension des machines, ne comportent que des remèdes pires que le mal.

La réglementation des heures de travail -et l'augmentation du nombre des établissements soumis à la loi des fabriques sont plus à notre portée. Mais la réglementation des heures de travail, demandée dans le sens d'une réduction, peut avoir pour conséquence le renchérissement du produit; et si elle n'est pas appliquée aux industries similaires de l'étranger, elle place nos industries dans une situation d'infériorité.

L'état général des affaires, les guerres et autres causes de portée générale, échappent à notre action.

Une statistique fédérale du chômage est jugée inutile par les uns et préconisée par les autres.

Ce qu'il convient surtout de faire ressortir, c'est qu'une seule association patronale, groupant les intéressés d'une seule localité, a répondu, et aux deux premières questions seulement; le monde patronal, dans notre canton, semble donc se désintéresser de ces questions.

Les réponses d'associations ouvrières ou d'ouvriers, contradictoires sur bien des points, se peuvent résumer comme suit: Les ouvriers se montrent, en général, partisans de l'extension du rôle de l'Etat dans tous les domaines de l'activité nationale, et l'ont manifesté à propos de l'enquête sur les bureaux publics de placement et les mesures à prendre contre le chômage involontaire.

Ils y voient une .occasion de rompre une lance en faveur de l'une de leurs plus chères revendications: les syndicats obligatoires, auxquels ils voudraient voir conférer des pouvoirs étendus dans les institutions créées ou subventionnées par l'Etat.

Quant à l'assurance contre les risques de chômage involontaire, elle est demandée par: 2 particuliers, 2 associations mixtes, 4 associations ouvrières,

794

avec participation de la Confédération, des cantons et des communes ; 2 particuliers, sans participation de la Confédération, des cantons et des communes.

25. Genève.

.

(Le 24 décembre 1895.)

D'une manière générale, nous nous associons aux conclusions du rapport ci-joint, adressé par la Chambre de commerce de Genève au vorort suisse du commerce et de l'industrie, et qui a été élaboré sur la base d'enquêtes et de renseignements recueillis par elle.

Toutefois, l'opinion émise par la Chambre de commerce, que l'ouvrier peut, par sa prévoyance, atténuer dans une large mesure les conséquences du chômage, nous paraît un peu exagérée.

Nous convenons volontiers que l'ouvrier sobre et rangé est en général suffisamment prémuni par lui-même, ou par son milieu, pour pouvoir traverser, sans en trop souffrir, une période temporaire de chômage.

Il est certain que l'ouvrier rencontre de grandes difficultés pour faire face aux conséquences du chômage dont les manifestations sont si diverses et parfois si imprévues.

Le chômage régulier, qui revient périodiquement enlever aux ouvriers de la terre, du bâtiment, etc., une partie de ce que leur travail a produit, est moins funeste que le chômage imprévu et indéterminé, qui provient du manque de commandes, des modifications dans les moyens de production, des inventions nouvelles, des crises économiques ou politiques.

Lorsqu'il se répète souvent ou qu'il se prolonge un peu trop, le chômage produit la ruine et la démoralisation. Mais le chômage le plus douloureux est certainement celui qui est forcément amené par la diminution des forces, les infirmités et la vieillesse.

En ce qui concerne plus spécialement les circonstances dans lesquelles se trouve actuellement notre population, il est certain que, sans parler des grandes industries qui ne sont pas chez nous très nombreuses, nos petits industriels ont vu leurs sources

795 de gain diminuer par le développement de la concurrence étrangère Bt par le fait que, depuis un certain nombre d'années, plusieurs objets qui étaient auparavant exécutés par la main même de l'ouvrier, sont aujourd'hui confectionnés en fabrique.

Comme la Chambre de commerce, nous pensons que les institutions privées peuvent à l'égard de la question qui nous occupe exercer une influence salutaire et efficace, et que l'intervention indirecte de l'Etat, sous la forme de subsides à accorder soit aux institutions existantes, soit en vue de la création d'institutions analogues, serait justifiée ; cependant, à notre avis, les institutions privées et après elles, l'Etat, ne doivent intervenir que lorsque les efforts que l'ouvrier peut et doit faire lui-même pour se prémunir contre le chômage, sont restés infructueux.

L'ouvrier et les siens doivent nécessairement prévoir le chômage et se prémunir contre ses effets; laisser l'Etat intervenir, ne serait-ce pas risquer de compromettre les efforts individuels et, comme le dit M. Numa Droz, tuer cette responsabilité individuelle, qui est à la fois le nerf et le frein de toute entreprise privée ?

D'autre part, des tentatives d'organisation analogue sont faites actuellement dans divers cantons: ne serait-il pas opportun d'attendre les résultats de ces expériences pour en tirer parti ?

Quant à l'état de choses existant à Genève en cette matière, les données que peut fournir notre ville sont des plus succinctes.

Dans notre industrie horlogère et bijoutière, le chômage ne frappe en général que les employés aux pièces que l'on congédie dès que le travail diminue, ou ceux que l'âge, une infirmité quelconque ou un manque d'aptitude rendent impropres à un travail rapide et soigné. Le chômage normal, en dehors des mortes saisons et des crises, a été évalué au 2 °/o du nombre total des travailleurs; le chômage périodique est en moyenne de trois mois par année, et atteint approximativement le 30 à 35 °/o des ouvriers. Il n'y a pas d'institution contre le chômage.

Le syndicat des typographes et l'association des commis de Genève, sont les deux seules sociétés dont les statuts prévoient une indemnité en cas de chômage : les typographes reçoivent i fr. 50 par jour pendant 6 semaines seulement, les commis fr. 2 pendant 3 mois, sauf en cas de démission, et seulement après un mois de chômage non indemnisé.

796 II est à remarquer que ces deux professions ne sont guère exposées qu'au chômage accidentel et individuel de ceux Qui en font partie. Il n'y a pas pour eux de morte saison proprement dite, ni de chômage général.

Il existe dans le canton de Genève 23 bureaux de placement, qui sont sous la surveillance de l'Etat et soumis au règlement du 26 mai 1893.

En outre, de 1887 à 1891, a fonctionné à Genève une maison de travail qui avait pour but de procurer provisoirement du travail à nos nationaux sans ouvrage. Elle dut se fermer en 1891, en raison, d'abord, des difficultés de faire vivre artificiellement les petits industriels concurrencés par l'industrie privée déjà établie, puis de la mauvaise qualité d'une main-d'oeuvre improvisée.

Dès lors, l'adresse-offîce et le chantier du Pré-1'Evêque ont été créés pour fournir du travail à ceux qui n'en avaient pas, le premier offrant des travaux de bureau (copies, expéditions, etc.), le second des travaux manuels fsciage de bois) à ceux qui venaient lui demander une occupation plus en rapport avec la profession ou le métier qu'ils exerçaient. Ces deux institutions fonctionnent bien; la première rend certainement des services au public, mais à un public très restreint ; la seconde est destinée en général à venir en aide à des malheureux qui sans cela tomberaient à la charge de la charité publique.

Ajoutons qu'il existe à Genève quantité d'institutions philanthropiques qui, cultivant largement les sentiments de solidarité sociale, viennent au secours des familles qui sont dans le besoin, et qui, incomplètement sans doute, mais avec une efficacité certaine, tendent à porter remède au mal qu'il s'agirait de combattre.

En résumé, et pour conclure, nous n'estimons pas qu'en l'état il y ait lieu pour la Confédération d'intervenir. D'ailleurs nous sommes d'avis que l'assurance contre le chômage, pour avoir quelque efficacité, devrait être organisée dans des proportions si vastes et si onéreuses, qu'elle constituerait inévitablement un acheminement à un état social sur les conséquences duquel il est impossible de se prononcer.

Enfin, nous croyons que notre population accueillerait avec faveur toutes les tentatives qui seraient faites pour augmenter le bien-être industriel, mais qu'elle verrait de mauvais oeil l'introduction de toute mesure qui porterait atteinte à l'indépendance

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personnelle, et nous doutons qu'elle se plie docilement à une assurance obligatoire contre le chômage, imposée par la Confédération, avant que les avantages réels de cette organisation nouvelle soient parfaitement démontrés.

III. Berichte der Berufsverbände.

Wir resümieren nachstehend, in der Reihenfolge des Eingangs, die Antworten der schweizerischen Berufsverbände auf das Kreisschreiben unseres Industriedepartements vom 30. November 1894 (s. Ziff. I).

1. Bericht und Gutachten betreffend Arbeitslosigkeit und Arbeitsnachweis. Auf Grund der vom S c h w e i z e r i s c h e n G e w e r b e v e r e i n veranstalteten Erhebungen erstattet vom .Zentralvorstand. Ausgearbeitet von Dr. jur. Arthur Curti.

Der von Ende September 1895 datierte Bericht gelangt zu folgenden ,,Resultaten" : ,,Im Interesse einer wesentlichen Kürzung unserer Darlegungen fixieren wir zunächst den Zielpunkt, dem in der Arbeitslosenfrage zugesteuert werden muß, damit wir eine möglichst rationelle Lösung erreichen, und erst nachher werden wir den Weg, den der Staat dabei zu begehen hat, etwas näher beleuchten.

Für uns ist unzweifelhaft jenes Ziel die staatliche Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Wie verschiedene Krankheiten des menschlichen Körpers mit veränderten gesellschaftlichen Zuständen «ine größere Verbreitung gefunden haben, so verhält es sich auch mit vielen Krankheiten im Wirtschaftsleben der Völker, vor allem mit der Erscheinung der Arbeitslosigkeit. Wie jene Krankheiten, so läßt sich auch diese nicht mehr völlig aus der Welt schaffen.

Der Staat hat gegen jene schon viele Vorkehrungen zur Verhütung und Milderung getroffen, in neuester Zeit strebt er danach, auch die Krankheiten des sozialen Körpers möglichst zu beschränken. Wie dort, so wird auch hier der Arbeiter gegen den wirtschaftlichen Ausfall zur Zeit seiner Verdienstlosigkeit versichert werden müssen. Jeder, der arbeiten will und subjektiv auch arbeiten kann, ferner derjenige, der wirklich gearbeitet hat, die beide aber infolge von zufälligen (d. h. von ihrer Person unabhängigen) Tatsachen oder Ereignissen von der Arbeit aus-' geschlossen sind, d. h. von Arbeit, die ihnen den Lebensunterhalt bringt, sollen es nicht dem Mitleid, der Barmherzigkeit ihrer Bundesblatt.

66. Jahrg. Bd. V.

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798 Mitmenschen oder des Staates zu verdanken haben, wenn ihnen das Weiterleben auch ferner ermöglicht wird. Sie haben vielmehr ein R e c h t auf den Beistand des Staates, ohne daß sie ihm zu besonderem Danke verpflichtet wären. Der Staat hat die Pflicht, diesen Angehörigen auszuhelfen. Mit ändern Worten : Die genannten Kategorien von Arbeitern sollen nicht als ,,almosenarm engenössiga behandelt werden. Sie sind scharf von den Arbeitsscheuen, von den Vagabunden, von den Streikenden u. s. f. zu trennen. Erst in neuester Zeit hat man freilich jene Pflicht anerkannt.

Der Staat hat ein hohes Interesse daran, den Arbeiter gegen die immer mehr um sich greifenden Zufälligkeiten, denen seine Existenz ausgesetzt ist, sicherzustellen. Der Arbeiter wird gegen Unfall und Krankheit versichert. Daraus resultiert ohne weiteres auch die Pflicht des Staates zur Versicherung des Arbeitsfähigen gegen Arbeitslosigkeit, denn in den ersten Fällen ist Grund der Versicherung nicht die Krankheit, nicht der Unfall an sich, sondern der wirtschaftliche Ausfall, den der Arbeiter infolge jener Tatsachen erleidet. Dieser wirtschaftliche Ausfall oder entgangene Gewinn ist aber ganz der nämliche, wenn er die Folge mangelnder Arbeitsgelegenheit ist. Hier wie dort liegt Zufall vor. Freilich kann hier der Zufall weniger gut konstatiert werden, als in jenen Fällen. Darunter soll aber nicht der betroffene Arbeiter leiden. Der Staat muß dafür sorgen, daß möglichst rasch bestimmt werden kann, ob Zufall vorliegt oder nicht. Mit ändern Worten : in den ersten Fällen kann sofort erkannt werden, ob die objektive Möglichkeit zum Arbeiten wirklich ausgeschlossen ist, wird dort ja in vielen Fällen sogar ein Laie ein entscheidendes Urteil abgeben können ; im Falle der Arbeitslosigkeit des Arbeitsfähigen dagegen muß zunächst nach negativen Tatsachen geforscht werden, danach, ob wirklich keine Arbeitsgelegenheit vorhanden ist. Der Betroffene selbst hat dazu nicht die nötige Übersicht: der Staat muß ihm dabei helfen. Wie in den ersten Fällen der Arzt die Unmöglichkeit, zu arbeiten, aus positiven Erscheinungen konstatiert, so wird im letzten Fall der Staat, z. B. durch gut organisierte Arbeitsnachweisbureaux, Arbeitsämter u. s. f., das Fehlen von Arbeitsgelegenheit festzustellen haben. Diese Aufgabe ist freilich schwieriger, deshalb wohl auch die
Gefahr der ,,Simulation"1 hier bedeutend größer. Das darf aber nicht davon zurückhalten, danach zu streben, die Arbeitsfähigen, welche wie kranke und ,,verunfallte" Personen durch Zufall wirtschaftliche Verluste

799 erleiden, diesen gleichzustellen. Ja, nach e i n e r Richtung ist der Zustand des Nichtverdienenkönnens für den Betroffenen wie für die Gesellschaft und den Staat weit schlimmer bei voller Arbeitsfähigkeit, als bei Krankheit und Invalidität; zur Gefahr des materiellen kommt die Gefahr des moralischen Ruins hinzu.

Die vorhandenen Arbeitskräfte haben das Bestreben, sich zu betätigen -- geordnete Arbeit ist ihnen versagt, sie finden ungeeignete Verwendung -- der Arbeitslose beginnt einen unordentlichen Lebenswandel Aber noch aus einem ändern Grund ergiebt sich die Notwendigkeit einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit : eine geordnete Durchführung der staatliehen Unfall- und Krankenversicherung setzt die regelmäßige Prämienzahlung des arbeitsfähigen Versicherten voraus. Wo soll dieser aber die erforderlichen Mittel hernehmen, wenn er keinen Verdienst hat und nicht auf Almosen angewiesen werden soll? eine staatliche Unfall- und Krankenversicherung will aber ja gerade das Almosenwesen beschränken ! Angenommen, das Gesetz über Unfall- und Krankenversicherung trifft die Anordnung, daß der unverschuldet Arbeitslose keine Prämiengelder bezahlen müsse, so würde eine solche Bestimmung doch eher einem Almosen gleichkommen, überdies aber die Durchführung jener Versicherungen wesentlich erschwert werden.

Die Beantwortung der Frage, w e r versichert werden soll, liegt nach den bisherigen Ausführungen nahe : Alle diejenigen, welche gegen Unfall und Krankheit versichert werden, müssen es auch gegen Arbeitslosigkeit ; denn diese Versicherung ist ja eine Voraussetzung jener Versicherungsarten. Miteinander werden dann alle drei an Ausdehnung und Bedeutung gewinnen. Als letztes Glied in die Reihe der verschiedenen Arten der Volksversicherung sollte sodann noch die A l t e r s v e r s i c h e r u n g aufgenommen worden ; sie wird wie die Unfall- und Krankenversicherung zu gunsten von Arbeitsunfähigen durchgeführt.

Als Versicherungsgebiet für die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit kann nur die g a n z e Schweiz in Betracht kommen.

Das Gebiet der einzelnen Städte, der Kantone ist zu klein, um diese Versicherung rationell durchzuführen. Einheitliche Organisation in der ganzen Schweiz ist unbedingt notwendig und zwar mit Anlehnung an die Versicherung gegen Krankheit und Unfall, welche Verbindung sehr zur Vereinfachung beitragen mußte.

800

Der Beitritt wäre obligatorisch für alle gegen Krankheit und Unfall Versicherungspflichtigen. Die Beitragspflicht der Arbeitgeber und Arbeiter würde keineswegs eine drückende sein; die Prämien wären ganz unbedeutend, da es ja -- jetzt wenigstens noch -- in der Schweiz nur wenige Arbeitslose während eines kürzeren Zeitraumes gibt; sie wären um so kleiner, wenn die Versicherungskasse -- wie zu erwarten ist -- Zuschüsse des Bundes, der Kantone und gemeinnütziger Gesellschaften, wie auch von Privaten bekommen würde. Da die Arbeitslosenversicherung diese Verbände stark entlastet, werden sie in der angedeuteten Weise kaum zurückstehen. Freilich soll der versicherungstechnische Charakter des Unternehmens durch solche Mitwirkung nicht verwischt werden. Die Kantone würden beträchtliche Erbschaftssteuern hauptsächlich diesen Kassen zuwenden, wodurch der ungerechten Verteilung der Güter in mancher Beziehung die Härte genommen werden könnte. Auf solchem friedlichen Wege wäre eher eine Beruhigung der verschiedenen sozialen Parteien zu erwarten.

Der ganze Versicherungsverband hat eine schweizerische Zentralstelle, in den Kantonen kantonale Zentralstellen, die wieder eine Reihe von Bezirkskassen u. s. f. umfassen würden.

Eine solche Versicherung kann nur dann auf festem Boden stehen, wenn der Staat regelmäßig genaue Übersicht über den Arbeitsmarkt hat, wenn er Einblick in Arbeitsangebot und -nachfrage erhält. Deshalb müssen auch die A r b e i t s v e r m i t t l u n g s s t e l l e n mit den Versicherungsbureaux in Verbindung gebracht werden, was wohl ohne weiteres ebenfalls deren staatliche Organisation und Zentralisation zur Folge hätte. Anderseits müßte auch Verbindung gesucht werden mit den N a t u r a l v e r p f l e g u n g s s t a t i o n e n , und diese sollten tunlichst überall Arbeitsh ü t t e n einrichten.

Die Organisation von B e r u f s g e n o s s e n s c h a f t e n müßte auch für die staatliche Versicherung gegen Arbeitslosigkeit von Einfluß sein, indem die Berufsgenossenschaften gegebene Verbände für Versicherung und Stellenvermittlung wären.

Durch eine solche Verstaatlichung, resp. Zentralisation auf allen Gebieten, die mit der Arbeitslosenfrage zusammenhängen, würden Arbeitsscheue ferngehalten, fast alle Arbeitsfähigen erhielten Arbeit, weiterhin würde die Zersplitterung der bisherigen Arbeitsvermittlung, sowie des bisherigen Unterstützungswesens und die Vergeudung vieler Kräfte aufgehoben.

801 Wie es bei der Unfall- und Krankenversicherung der Fall war, kann auch die Versicherung gegen die Arbeitslosigkeit erst nach erfolgter partieller Verfassungsrevision durchgeführt werden.

Es wäre in die Bundesverfassung ein Artikel 34ter einzufügen: .,,Der Bund ist befugt, auf dem Wege der Gesetzgebung die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit einzuführen und die Arbeitsvermittlung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsklassen zu organisier en. "· Sieht man von der Versicherung ab, so dürfte doch auch schon wegen der Beaufsichtigung und Organisation der Arbeitsvermittlung die Aufnahme eines bezüglichen Artikels in die Bundesverfassung nötig sein.

In solchen Gegenden, wo kein Arbeitsmangel konstatiert wird oder wo sich sogar Mangel an Arbeitskräften geltend macht, verhält man sich jetzt eher noch ablehnend gegen eine staatliche Arbeitslosenversicherung. Aber mit Unrecht; denn für solche Arbeitsplätze könnten gerade durch eine gut organisierte Arbeitslosenversicherung die fehlenden Arbeiter zur Stelle geschafft werden. Bevor ein Arbeiter, der wirklich z. B. in Zürich keine Arbeit findet, von der Kasse in Zürich unterstützt wird, weist man ihn zunächst auf die vorhandene Arbeitsgelegenheit in auswärtigen Ortschaften (z. B. in Zurzach, Schwyz) hin, und solange er dort eine seinen Verhältnissen entsprechende Arbeit finden kann, wird kein Unterstützungsbeitrag entrichtet. So werden auch Ortschaften, die, vom großen Verkehr abseits, bisher wegen f e h l e n d e r Arbeitskräfte klagten, die nötigen Arbeiter eher erhalten. Und diese Erwägung wird dazu beitragen, daß sich auch solche Kreise mit dem Gedanken der allgemeinen Versicherung gegen Arbeitslosigkeit befreunden können, die d i r e k t kein Bedürfnis dazu empfinden.

Das Zukunftsbild, das mit wenig Strichen gezeichnet wurde, ist nicht ein Ideal, das nicht zu erreichen wäre, wenn wir freilich die Bedeutung der verschiedenen Hemmnisse, welche sich den Bestrebungen zur Erreichung dieses Zieles in den Weg stellen, nicht unterschätzen. Wir haben noch kurz den Weg dorthin näher zu beschreiben.

Aus den Mitteilungen des ersten Teiles über die gegenwärtigen Zustände wissen wir, daß Arbeitsvermittlung und Unterstützung (resP- Versicherung) in der Schweiz bereits in ausgedehntestem Umfang praktiziert werden, daß aber der Gesamterfolg in keinem Verhältnis zu den aufgewendeten Mitteln steht.

802 Woher kommt das? Einzig und allein von den engen Grenzen, die der Wirksamkeit der bestehenden Institutionen gesteckt sind.

An der Gemeindegrenze hört die Übersicht über den Arbeitsmarkt und die Kontrolle über den unterstützten Arbeitslosen auf.

Dieser Übelstand wird überall schwer empfunden und man ist auf Abhülfe bedacht, und immer mehr bricht sich die Überzeugung Bahn, daß der Arbeitslosigkeit nur durch gemeinsames Vorgehen im ganzen Schweizerland wirksam entgegengetreten werden könne. Diesem Bestreben verdankt auch der von vielen Kantonen geschlossene Verband für Naturalverpflegung seine Entstehung; deshalb haben auch schon Beratungen zwischen Delegierten der verschiedenen Interessenkreise der ganzen Schweiz über allgemeine zentrale Stellenvermittlung stattgefunden. Auch die Fachvereine der verschiedenen Gegenden treten in engere Verbindung, hauptsächlich um rationelle Arbeitsvermittlung zu erhalten.

Es liegt auf der Hand, daß dem Arbeitslosen am besten geholfen wird, wenn er Arbeit erhält. Der Staat wird daher alle jene Institutionen, die dabei erfolgreich mitwirken, unterstützen müssen, z. B. die öffentlichen Vermittlungsstellen, Arbeiterkolonien, Arbeitshütten, V)Notstandsarbeitena. Der Staat soll auch mit seinen Subventionen nicht zurückhalten, wo es sich um Hebung und Erweiterung der Berufsbildung handelt ; es zeigt sich ja die Arbeitslosigkeit hauptsächlich nur bei ungelernten Arbeitern. Wird ihre Zahl kleiner, so vermindert sich auch die Arbeitslosigkeit. Je besser die durch Handarbeit hergestellte Ware, um so schwieriger die Konkurrenz der Fabrikware. Die Tätigkeit von Institutionen aber, die anscheinend ebenfalls in angedeuteter Richtung vorgehen, die aber, objektiv betrachtet, eher hindernd als fördernd ^arbeiten", hat der Staat einer genauen Kontrolle zu unterziehen und zu beschränken. Private Placierungsbureaux sollen möglichst bald verschwinden und an deren Stelle sind kantonale, kommunale und berufsgenossenschaftliche zu unterstützen. Aber auch sie sind staatlicher Aufsicht zu unterstellen und miteinander in Verbindung zu bringen. Die Lösung der Frage, ob allgemeine, kommunale oder aber nach Berufen begrenzte Vermittlungsstellen einzurichten seien, setzt in jedem einzelnen Fall genaue Untersuchung der speziellen Verhältnisse voraus.

Eine Hauptaufgabe dieser Bureaux ist es, statistisches zuverlässiges Material über die Verhältnisse von Angebot und Nachfrage in den einzelnen Berufszweigen, über die Arbeitslosenfrage

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au sammeln. Erst wenn auf diese Weise die maßgebenden staatlichen Organe die wahre Erkenntnis der Lage der Arbeitslosen geschöpft haben, kann an eine rationell ausgeübte Hülfe des Staates durch Unterstützung und Versicherung der Arbeitslosen gedacht werden. Erst auf Grundlage sicherer, einheitlich durchgeführter statistischer Erhebungen wird der Staat erfolgreich gegen die ihrer ganzen Natur nach nunmehr bekannte soziale Krankheit der Arbeitslosigkeit vorgehen können, die uns heute wegen ihrer unbestimmten Umrisse noch ganz gespensterhaft erscheint. Ja, es fragt sich, ob nicht schon der staatlichen Organisation der Arbeitsvermittlung diese statistischen Erhebungen vorauszugehen haben. Jedenfalls wird es gut sein, wenn der Bund jetzt schon für solche Erhebungen Musterfragebogen zusammenstellen läßt, damit die statistischen Aufnahmen -- die ja in den letzten Wintern in den größern Industriezentren überall bereits stattgefunden haben -- mehr und mehr nach dem gleichen Schema erfolgen, was eine Vergleichung und gleichzeitig damit eine Erkenntnis der Arbeitslosigkeit in allen Gebieten der Schweiz wesentlich erleichtern würde. Keine Statistik ist so schwer durchzuführen, wie die Arbeitslosenstatistik, um so mehr bedarf es «ines Leitfadens, der selbst wieder auf gewissenhaften Studien basiert sein müßte."

Der Bericht schließt mit folgenden ,,Vorschlägen" des Zentrulvorstandes, vom 10. Februar 1896, die von den ,,Resultaten" -des erstem teilweise abweichen: a. ,,Der Bund sollte für eine zuverlässige, einheitlich durchgeführte Statistik über Arbeitslosigkeit sorgen.

b. Die Gründung öffentlicher Arbeitsvermittlungsstellen ist vom Bunde, den Kantonen und den Gemeinden zu unterstützen.

c. Die Arbeitsnachweisstellen sind unter staatliche Kontrolle zu stellen.

·d. Die Bureaux für Arbeitsnachweis sollen zum Zwecke des allseitigen Ausgleiches zwischen Angebot und Nachfrage regelmäßigen Verkehr miteinander unterhalten (z. B. durch Bulletins).

·s. Diese Bureaux erstatten an die Behörden periodischen Bericht über das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, über die Zahl der Arbeitslosen u. s. f. Sie sind auch die Kontrollstellen für die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit.

f. Mit den Naturalverpflegungsstationen sollte die Errichtung von Arbeitshütten ins Auge gefaßt werden.

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g. Arbeiterkolonien sind von Bund und Kantonen finanziell zu unterstützen.

h. Die Frage der obligatorischen Versicherung gegen Arbeitslosigkeit kann nur in Verbindung mit derjenigen betreffend die Berufsgenossenschaften rationell gelöst werden.

i. Die Arbeitslosenversicherung ist einstweilen nach Möglichkeit zu fördern durch die kantonalen und städtischen Behörden in Verbindung mit den Berufsverbänden. tt 2. Sparzwang, Arbeitslosenstatistik und Arbeitsnachweis.

Gutachten erstattet vom Vorort Zürich des s c h w e i z e r i s c h e n Handels- und Industrievereins.

Der Vorort faßt das Resultat seiner Umfrage dahin zusammen, daß die Idee der Arbeitslosenversicherung innerhalb des Kreises der Sektionen mit einer großen Zurückhaltung behandelt werde, daß ferner die Notwendigkeit einer schweizerischen Versicherung vielfach bestritten sei, und daß eine alleBerufe gleich belastende Versicherung auf entschiedenen Widerstand rechnen müßte. Einige Sektionen möchten den Bund ganz, aus der Sache lassen, andere ihm, zum Teil neben den Kantonen, nur eine sekundäre Aufgabe zuweisen, indem ihm die Kontrolle, Organisierung u. s. w. überlassen würde. Wieder andere endlich wollen die Angelegenheit ganz auf eidgenössischem Boden durchführen.

Der Bericht erörtert sodann ungefähr in folgender Weise die ,,Nachteile der Arbeitslosenversicherung"1 : Die Ursache, weshalb die Idee der Arbeitslosenversicherungtrotz lebhafter Agitation noch nicht mehr Boden zu gewinnen vermocht hat, besteht größtenteils darin, daß, streng genommen, die Arbeitslosigkeit nicht die Grundlage einer Versicherung bilden kann, und daß sich hieraus für die Praxis Mängel ergeben, die einerseits das Zustandekommen solcher Versicherungen sehr erschweren, anderseits schon zur Wiederaufhebung derartiger Einrichtungen geführt haben.

Der Eintritt der Arbeitslosigkeit ist in der Regel Folge einer willkürlichen Handlung; von Unfall und Krankheit sei hier abgesehen. Die willkürliche Handlung kann entweder vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer ausgehen. Kündigt der Arbeiter,, so entziehen ihm die meisten der bestehenden und der projektierten Arbeitslosenversicherungen den Anspruch, es müßte denn sein, daß der Arbeitgeber sich Ungebührlichkeiten gegen den Arbeiter hätte zu schulden kommen lassen. Aber auch so kann

805 die materiell richtige Grenze zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nicht festgelegt werden, denn der Arbeiter kann seine Entlassung auch durch den Arbeitgeber herbeiführen, sie provozieren.

Der Begriff der unverschuldeten Arbeitslosigkeit ist in der Praxis unbestimmt und unsicher. Bei Aufstellung des Postulates einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit wurde zunächst nur an die Arbeiter gedacht, die arbeitslos werden durch Krisen, Modenwechsel, Zollkriege, Betriebsstörungen u. s. w., oder weil ihr Beruf ein Saisonberuf ist. Dies sind Ursachen, die außerhalb der Persönlichkeit des Arbeiters liegen und auf die er keinen Einfluß hat. Von solchen Ursachen der Arbeitslosigkeit können aber sehr oft andere Kündigungsgründe nicht getrennt gehalten werden, die mehr oder weniger in das Gebiet der nicht unverschuldeten Arbeitslosigkeit übergreifen. Tritt z. B. eine Stockung in der Produktion ein, so wird der Arbeitgeber in erster Linie die am wenigsten tüchtigen Arbeiter entlassen, Arbeiter, die er wegen der Art ihrer Leistungen am ehesten entbehren kann, oder die er wegen ihrer persönlichen Eigenschaften bei Gelegenheit zu entlassen beabsichtigte. Sehr zahlreich sind die Fälle, wo ein persönliches Verschulden den äußern Anlaß bildet zu einer Entlassung, deren eigentliche Ursache keine Beziehung zur Person des Entlassenen hat, oder wo umgekehrt eine solche Ursache den äußern Anstoß bildet zu einer durch Verschulden des Arbeiters schon vorher in Aussicht genommenen Kündigung.

In solchen Fällen, in denen beide Arten von Entlassungsgründen zusammentreffen, wird es selbst einer ganz unparteiischen Instanz sehr oft nicht möglich sein, das Vorwiegen der einen oder ändern Art klarzustellen. Eine Menge unerquicklicher Streitigkeiten müßte die unausbleibliche Folge sein, wie schon die bei der St. Galler Arbeitslosenversicherung gemachten Erfahrungen gezeigt haben.

Wohl bestehen schon lange Arbeitslosigkeitsversicherungskassen innerhalb der Berufsverbände, namentlich in England.

Aber diese Institute sind ganz Sache der Arbeiter, sie allein tragen die Lasten, sie allein entscheiden, ob die Arbeitslosigkeit verschuldet sei. Anders jedoch bei den öffentlichen Versicherungen, wie sie heute geplant werden. Man geht über den Rahmen der privaten Anstalten hinaus, man will vor allem auch die
Arbeitgeber zur Zahlung von Beiträgen heranziehen. Da wird die Verschiedenheit in der Auffassung des Begriffs der unverschuldeten Arbeitslosigkeit Hader und Streit hervorrufen. An

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dieser Klippe dürften scheitern.

die projektierten Versicherungen wohl

Aber auch der entgegengesetzte Fall, E i n v e r s t ä n d n i s zwischen Arbeiter und Arbeitgeber in bezug auf die Entlassungsursache, kann der Versicherungskasse unter Umständen schweren Schaden zufügen : die Zahl der Unterstützungsansprüche kann unverhältnismäßig groß werden, wenn der Arbeitgeber einen wegen Verschuldung entlassenen . Arbeiter als unverschuldet arbeitslos ausgibt, um ihn wenigstens nicht der Unterstützung verlustig gehen zu lassen.

Ist es so den interessierten Parteien möglich, Eintritt oder Nichteintritt der Voraussetzung der zur Unterstützung berechtigenden Arbeitslosigkeit wesentlich zu beeinflussen, und ist ferner in einer Unzahl von Fällen der Eintritt dieser Voraussetzung überhaupt ungewiß, so muß sich die Versicherungskasse durch zahlreiche Vorsichtsmaßregeln schützen, will sie nicht Gefahr laufen, vor nicht vorausberechenbare Anforderungen gestellt zu werden.

Das muß aber vielfach die Verwirklichung des Versicherungszweckes erschweren, und bildet wiederum die Ursache von zahllosen Streitigkeiten.

Wird auch zugegeben, daß der Eintritt der Arbeitslosigkeit in sehr vielen Fällen durch die Willkür des Arbeitslosen bestimmt oder mitbestimmt ist, so wird dies doch in bezug auf deren Dauer bestritten. Das ist theoretisch richtig ; in der Praxis stellt sich die Sache jedoch weniger einfach. Es ist unumgänglich notwendig, daß eine Versicherungskasse auch für die Arbeitsbeschaffung tätig sei, um die Arbeitslosigkeit zu vermindern, und um nicht völliger Ausbeutung sich auszusetzen. Sie kann jedoch vom Arbeiter billigerweise nur verlangen, daß er angemessene Arbeit annehme, d. h. solche, die seinem Können und Wissen einigermaßen entspricht, und der er physisch gewachsen ist. Auch kann von ihm nicht verlangt werden, daß er leichthin seinen Wohnort wechsle. Will man nun den Arbeiter, der die angebotene Arbeit ausschlägt, der Vorteile der Versicherung verlustig gehen lassen, so ist der Zweck der Zwangsversicherung wieder vereitelt. An einen Zwang zur Annahme der Arbeit ist aber gar nicht zu denken. Verliert der Arbeiter bei Nichtannahme seinen Anspruch, nachdem er vielleicht lange Zeit Beiträge geleistet hat, so wird er beharrlich behaupten, daß die angebotene Arbeit keine angemessene sei. Die Entscheidung hierüber dürfte in vielen Fällen eine sehr schwierige sein. Die

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Dauer der Arbeitslosigkeit ist demnach, gleich wie deren Eintritt, in sehr vielen Fällen nichts Klares, Unzweideutiges, leicht Festzustellendes: auch sie bietet wieder Anlaß zu Streitigkeiten.

Eine weitere große Schwierigkeit der Arbeitslosenversicherung zeigt sich bei Ausständen. Wird den durch Streik arbeitslos Gewordenen Unterstützung gewährt, so wird der Grundsatz, daß freiwillige Arbeitsniederlegung nicht bezugsberechtigt mache, verletzt, und zwar für den vielleicht wichtigsten Fall; ferner würde dadurch die Versicherungskasse in wirksamster Weise die Ausständigen unterstützen : sie wäre eine Partei-, eine Streikkasse. Unterstützt sie dagegen die Streikenden nicht, wie dies übrigens richtigerweise bei allen öffentlichen Arbeitslosenkassen der Fall ist, so wird von selten der Arbeiterschaft eine starke Opposition nicht ausbleiben, und, wie die Erfahrung in St. Gallen gezeigt hat, die Tätigkeit der Versicherungskasse sehr erschweren.

Die an die öffentliche Kasse zu leistenden Beiträge werden dann von den Arbeitern noch lästiger empfunden werden, zumal Beiträge für die privaten Vereinskassen doch noch daneben hergehen.

Eine Unterstützung von durch die Arbeitgeber ausgesperrten Arbeitern ist ebensowenig zulässig, wie eine solche von Streikenden, besonders wenn die Arbeitgeber zu Beiträgen verpflichtet sind. Nichtgewährung der Unterstützung in diesem Falle wird aber zu noch erbitterteren Streitigkeiten führen, als wenn es sich sonst um verschuldete Arbeitslosigkeit handelt.

S c h i e d s g e r i c h t e für den Fall von Ausstand, der auf Kontraktbruch beruht, sind gänzlich unannehmbar und nicht diskutabel, solange man auf dem Boden der heutigen Rechtsordnung steht; denn Einsetzung solcher Schiedsgerichte von Staats wegen, also zwangsweise, nicht durch freien Kompromiß im einzelnen Falle, bedeutete nicht mehr und nicht weniger als Anerkennung eines Rechtes auf Kontraktbruch. Darauf können aber die Arbeitgeber nie eintreten.

Höchst lästig dagegen wäre die in intensivster Weise ü beidie Versicherten zu führende und durchaus unentbehrliche Kont r o l l e , um dem Mißbrauche zu begegnen, daß sich einer als arbeitslos ausgiebt, während er ausreichenden sogenannten Nebenverdienst hat. Ein Denunziersystem würde großgezogen, hätten die an der Kasse Interessierten sich gegenseitig zu kontrollieren.

Da bei der obligatorischen Arbeitslosenversicherung vielfach Gelegenheit zu Betrug gegeben ist, vor allem hinsichtlich der Dauer

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der Arbeitslosigkeit, und da gerade diejenigen die Versicherungsgelder am meisten mißbräuchlich in Anspruch nehmen würden, die am wenigsten an sie beigetragen haben, so wären sehr scharfe Strafbestimmungen fast unvermeidlich, die bei dem eigentümlichen Charakter der Arbeitslosenversicherung verbitternd wirken müßten.

Alle diese lästigen Bestimmungen gegen Ausbeutung der Kasse und die davon herrührenden Streitigkeiten sind aber unvermeidlich, wenn nicht die beitragenden Interessenten, Arbeiter und Arbeitgeber, von vorneherein jede Lust verlieren sollen, an die Kasse etwas beizutragen.

Der W i d e r w i l l e eines großen Teils der A r b e i t e r s c h a f t gegen eine allgemeine obligatorische Versicherungskasse hat sich in St. Gallen, wie aus Mitteilungen des Herrn 0. Bärlocher, Sekretär der Arbeitslosenversicherung, hervorgeht, deutlich gezeigt. Eine Versicherung muß, um nicht als unnütze Last empfunden zu werden, auf dem Gefühle des Versicherten beruhen, daß der Fall, für den er versichert wird, für ihn einmal mit einem ziemlich hohen Grade von Wahrscheinlichkeit eintritt.

Bei einer Arbeitslosenversicherung mangelt dieses Gefühl in jenen weiten Kreisen der Arbeiterschaft, unter denen keine eigentliche Arbeitslosigkeit vorkommt. Ihnen ist die Anwendung des sogenannten Solidaritätsprinzips auf die Arbeitslosenversicherung sehr lästig.

Diese Antipathie hat denn auch die St. Galler Arbeitsloseaversicherungskasse zu Fall gebracht, und zwar hat die Arbeiterschaft in ihrer großen Mehrzahl an deren Untergang gearbeitet.

Die Abneigung gab sich kund in dem beharrlichen Widerstreben der Arbeiter gegen die obligatorische Versicherung. Auf dringlichste Einladung zur Stellung und Einschreibung erschien kaum die Hälfte; es bedurfte persönlicher Vorladungen, sogar Polizeibußen und Zwangsvollstreckungen mußten angewandt werden.

Die Hälfte der Versicherten war mit ihren Prämien im Rückstande und ging deshalb ihres Anspruches verlustig. Diejenigen aber, die ihren Verpflichtungen nachkamen, beschwerten sich über die Säumigkeit der ändern. Sie mußten einen zum Teil drückenden Beitrag an eine Kasse geben, die ihnen unsympathisch war, und von der sie nichts zu erwarten hatten. Ein Drittel der Be/mgsberechigten waren überdies Ausländer. Viele drängten sich zur Kasse heran und erreichten durch Unverschämtheit, was ihnen nicht gebührte. Das Beziehen von Unterstützungen

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wirkte ansteckend. Damit mußte aber die Versicherungskasse mehr und mehr den Charakter einer Unterstützungskasse annehmen, was sie bei den bessern Arbeitern erst recht unbeliebt machte.

Die lehrreichen Mitteilungen des Herrn Bärlocher bestätigen eben einfach, was man bei jeder Arbeitslosenversicherung voraussehen kann.

Noch ein weiterer schwerwiegender Grund spricht gegen die Arbeitslosenversicherung. Nach den Voten der Sektionen wäre eine Versicherung b e r u f s w e i s e zu organisieren. Wir glauben, daß diese Forderung berechtigt ist. Aber die Einteilung der Arbeiter in gelernte, halbgelernte und ungelernte, die durchaus keine scharfe sein kann, würde wieder eine große Zahl von Streitigkeiten verursachen. Ein Mangel eines solchen Systems bestände auch darin, daß eine sehr bedeutende Zahl von solchen Berufsorganisationen ins Leben zu rufen wäre, von denen manche infolge zu geringen Umfangs nicht lebensfähig sein würden.

Eine sehr große Zahl von Versicherungspflichtigen wäre überhaupt nicht in diesen Verbänden unterzubringen ; es müßten deshalb allgemeine staatliche Hülfskassen errichtet werden, und zwar für diejenigen Klassen von Arbeitern, die wirtschaftlich am schwächsten sind, deren Tätigkeit am unbeständigsten ist, und die sich einer Kontrolle fast völlig entziehen. Aber gerade diese Leute sind es, welche die größte Arbeitslosigkeit aufweisen; unter ihnen wird man auch am meisten diejenigen vertreten finden, die hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit, ihrer Ausdauer und ihres Fleißes zurückstehen. Daß eine solche Kasse überhaupt finanziell bestehen könnte, ist kaum anzunehmen, sofern nicht Dritte ausgiebige Beiträge leisten. Aber gerade hier sind die Arbeitgeber am wenigsten geneigt, etwas beizutragen, da es sich um Arbeiter handelt, die ihre Stellung sehr oft wechseln, und an deren Verhältnissen sie zumeist nur wenig Interesse nehmen.

Würde dagegen der Staat die Kasse stark dotieren, so wäre diese eben eine Unterstützungskasse. Für eine solche ist jedoch der komplizierte Apparat einer Versicherung nicht nötig. Dazu kommt dann noch, daß eine Übertragung der Arbeitslosenversicherung -- und damit notwendigerweise auch des Arbeitsnachweises -- an Berufsverbände irgendwelcher Art eine große Gefahr und ein Schritt von unabsehbarer Tragweite wäre.

Die Arbeitslosenversicherung leidet hauptsächlich an dem Fehler, daß ihr feste, unzweideutige Begriffe fehlen : unverschuldete

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Arbeitslosigkeit, Mangel an Arbeitsgelegenheit sind Begriffe, die nicht in eine starre Formel gebracht werden können, die allein volle Gerechtigkeit gewährleistet. -- Einerseits diese Erwägungen, anderseits die wenig günstigen Ergebnisse der bisher in der Schweiz unternommenen Versuche veranlaßten den Vorort, nach einem ändern Mittel gegen die Wirkungen der Arbeitslosigkeit zu suchen. Ein solches glaubte er in dem von Professor Dr Georg Schanz in Würzburg angeregten S p a r z w an g zu finden. Der Bericht des Vororts erörtert das Wesen und die praktische Durchführung dieses Systems in sehr eingehender Weise ; wir müssen uns' darauf beschränken, an dieser Stelle folgende Hauptpunkte herauszugreifen.

Der Ausgangspunkt ist der individualistische Gedanke, daß jeder für sich selber sorge. Der Sparzwang rechnet so: Ist ein Arbeiter während des ganzen Jahres beschäftigt, und erhält er also während dieser ganzen Zeit Lohn, so mag der Tagesverdienst für den Tageskonsum aufgezehrt werden. Ist er aber während eines Teils des Jahres arbeitslos, und somit ohne Lohn, so muß sich der Lohn der übrigen Zeit auf das ganze Jahr verteilen. In diesem Satze ist das Prinzip des Sparzwangs enthalten.

Es braucht nur noch dem Muß der Charakter einer Rechtspflicht verliehen zu werden. Es soll für alle erzwungen werden, was freiwillig jeder vorsichtige Hausvater tut. Zwang hat deshalb einzutreten, weil viele nicht die Energie haben, die nötigen Ersparnisse zu machen, oder weil ihnen der Sinn für das Sparen überhaupt abgeht, noch mehr vielleicht, weil ihre Einnahmen sich nur wenig über das Existenzminimum erheben. Der Sparzwang bedeutet für alle, die sich nicht auf die Unterstützung durch andere verlassen wollen, nichts neues. Wenn nun aber zu dem zwangsweise Ersparten in gewissen Fällen noch ein Beitrag des Arbeitgebers tritt, wenn der Staat die Sparsummen unentgeltlich verwaltet und, wenn auch bescheiden, verzinst, so bietet der Sparzwang dem Sparpflichtigen entschiedene Vorteile gegenüber dem jetzigen Zustande.

Das Prinzip des Sparzwanges ist demnach folgendermaßen zu definieren : Während der Zeit, da der Arbeiter arbeitet und gelöhnt wird, sind vom Lohne eine Anzahl Bruchteile abzuziehen, um zu einem Guthaben zusammengelegt zu werden, das mindestens auf einen solchen Betrag zu bringen ist, daß der betreffende Sparpflichtige bis auf die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit

811 seiner Berufslohnklasse davon täglich einen Bezug, der in der Regel nicht unter das Existenzminimum herabgehen soll, abheben kann.

Da es unmöglich ist, die Arbeitslosigkeit eines bestimmten Individuums zum voraus zu bestimmen, werden diejenigen Sparpflichtigen eines Berufes, deren Löhne nur um kleine Differenzen von einander abweichen, zu Lohnklassen, d. h. Berufslohnklassen, zusammengefaßt.

Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit einer solchen Lohnklasse wird statistisch ermittelt.

Die Einzahlungen müssen einerseits für den A r b e i t e r erschwinglich sein, andrerseits sollen die Bezüge in der Regel nicht unter das Existenzminimum sinken, aber auch nicht so groß sein, daß mancher in seinem Guthaben eine Gelegenheit zum Nichtstun erblicken könnte. Sparpflichtige, welche nicht einmal die für die niedrigsten Bezüge benötigten Einzahlungen machen können, sind Personen, denen das Existenzminimum nicht für das ganze Jahr gesichert ist. Hier müssen Beiträge Dritter, nämlich der A r b e i t g e b e r , hinzukommen. Grundsätzlich soll jedoch der Arbeiter den größern Teil leisten. Es soll ein Verteilungsmaßstab angenommen werden, nach welchem der Arbeiter um so mehr zu bezahlen hat, einen je geringern Bruchteil die gesamte Einzahlung von seinem Lohn ausmacht, und umgekehrt der Arbeitgeber um so mehr leistet, je stärker der Arbeiter belastet ist. Dabei sollen die Beiträge des Arbeitgebers erst beginnen, wenn das Verhältnis zwischen Lohn und Einzahlung eine gewisse Höhe erreicht hat, d. h. die Arbeitgeber haben durchaus nicht in allen Fällen Beiträge zu leisten. Dies geschieht, um die Selbständigkeit des Arbeiters beim Sparzwang tunlichst zu wahren und diesem den Schein der Unterstützung zu nehmen. Ferner sind für die Beiträge beider Teile Maxima festzusetzen. Sind diese erreicht, so ist damit auch die obere Grenze des täglichen Bezuges festgelegt. Als oberste Grenze für die ganze Einlage werden angenommen 15 °/o des Lohnes, wovon für den Arbeiter 10%,'für den Arbeitgeber 5%.

Der Einwand der zu starken B e l a s t u n g des Sparpflichtigen beim Sparzwang verliert sehr an Bedeutung, wenn man in Betracht zieht, daß die Spareinzahlungen etwas ganz anderes sind, als die Prämien des Versicherten bei der Arbeitslosenversicherung. Der Sparpflichtige hat die alleinige V e r f ü g u n g über sein Guthaben; nur er kann etwas davon nehmen. Er ist aber in der Ausübung seines Rechtes am Guthaben beschränkt durch die Normen, die das Wesen des Sparzwangs bedingt.

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Außer dem Willen, Bezüge zu machen, müssen auch die formellen Voraussetzungen der Bezugsberechtigung gegeben sein.

Immerhin kann gesagt werden, daß er unbedingt und allein verfügungsberechtigt sei, da er durch eine von seinem Willen allein abhängige Handlung, nämlich durch Aufgabe der Arbeit, die Voraussetzungen der Bezugsberechtigung herbeiführen kann.

Wird der Sparpflichtige nie arbeitslos, beziehungsweise macht er sich nie arbeitslos, so sind die Bedingungen der Bezugsberechtigung nie gegeben, außer für einen allfällig die Sperrsumme übersteigenden Betrag. Er kommt alsdann nicht zum Genüsse seines Guthabens, solange er sparpflichtig bleibt. Das Sparguthaben ist für ihn nichts anderes, als eine kleine Vermögensanlage, von der er keine Zinsen und kein Kapital wegnehmen darf.

Das Sparguthaben dient dem Sparpflichtigen dann als ein Notpfennig für die Zeit, da er nicht mehr arbeiten kann, oder es ist, wenn dieser Fall nicht eintritt, ein den nächsten Erben zukommendes, sicher angelegtes Kapital.

Der U m f a n g des S p a r z w a n g e s wird in folgender Weise definiert: Alle in der Schweiz und innerhalb einer bestimmten Grenzzone der Nachbarstaaten ihren rechtlichen Wohnsitz habenden, unselbständig erwerbenden männlichen und weiblichen Personen, die auf schweizerischem Gebiete oder vorübergehend im Ausland im Auftrag eines in der Schweiz domizilierten schweizerischen Arbeitgebers in inländischen (Verkehrs-, industriellen, gewerblichen, kaufmännischen, land- und forstwirtschaftlichen) Betrieben oder in inländischen Zweigniederlassungen ausländischer Betriebe genannter Art arbeiten, sowie die Taglöhner inländischer Arbeitgeber und die Dienstboten inländischer Haushaltungen sind vom zurückgelegten 14. Altersjahr an sparberechtigt und sparpflichtig, sofern ihr jährliches Einkommen nicht weniger als Fr. 600 und nicht mehr als Fr. 1800 beträgt, wobei einen Teil des Lohnes ausmachende Naturalleistungen eingerechnet werden.

N i c h t s p a r p f l i c h t i g ist, wer durchschnittlich weniger als Fr. 2 während eines Normalarbeitsjahres täglich verdient, oder wessen Bareinkommen nicht Fr. 200 im Jahr beträgt, da angenommen wird, daß solche Personen nicht im stände sind, die für die Spareinzahlungen erforderlichen Geldbeträge aufzubringen.

Die Fürsorge für die nichtsparpflichtigen Personen ist eine Aufgabe der Armengesetzgebung ; denn es wird sich hier rege.lmässig ·um solche handeln, deren Einkommen das absolute Existenz-

813 minimum nicht erreicht, und die somit auf die Unterstützung durch Dritte angewiesen sind.

Wer nicht dauernd in der Schweiz Aufenthalt nehmen will und in der Absicht, nur vorübergehend da zu arbeiten, hineinkommt, ist nicht sparpflichtig.

Damit die Bezugsberechtigung auf ein formelles Moment abgestellt werden kann, soll jeder Sparpflichtige gewisse Legitimationspapiere haben, die er, wenigstens zum Teil, seinem Arbeitgeber bei der Anstellung auszuhändigen hat; dieser behält sie, solange der betreffende Sparpflichtige bei ihm arbeitet. Solange also der Sparpflichtige die dem Arbeitgeber auszuliefernden Papiere in Händen hat, wird er als arbeitslos behandelt, und gilt deshalb als bezugsberechtigt. Jeder Sparpflichtige erhält von der Sparbehörde der Gemeinde, in der er seinen rechtlichen Wohnsitz hat, ein Spar- und Arbeitsbüchlein, sowie eine Sparkarte, von deren Verabfolgung die genannte Behörde derjenigen des Heimatortes des Sparpflichtigen Anzeige macht. Bei letzterer ist derselbe dadurch subsidiär angemeldet, d. h. sein Guthaben wird von ihr geführt, wenn dies, mangels eines festen Wohnoder Arbeitsortes, durch keine andere Sparbehörde zu geschehen hat.

Es können nun allerdings auch beim Sparzwang nicht alle Fälle von Arbeitslosigkeit gleich behandelt werden, da nicht sämtliche Einlagen von den Arbeitern allein herrühren. Wo keine Einlagen von Arbeitgebern im Guthaben sind, da ist alle Arbeitslosigkeit gleich, d. h. es besteht unbedingte Bezugsberechtigung, wenn die formellen Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit gegeben sind. Wo dagegen Einlagen Dritter vorhanden sind, muß man unter Umständen von den formellen auf die materiellen Voraussetzungen zurückgehen. Beruht die Arbeitslosigkeit auf A u s s t a n d oder A u s s p e r r u n g , so kann der Arbeitgeber verlangen, daß das Guthaben nur so weit frei sei, als es aus Einlagen des Arbeiters besteht.

Es wird der Einwand gemacht werden, daß bei der vorgesehenen Bezugsberechtigung ziemlich leicht M i ß b r a u c h getrieben werden könne, namentlich dann, wenn Arbeiter und Arbeitgeber einander dazu behülflich sein wollen. Notiert der Arbeitgeber Entlassung und liefert er dem Arbeiter die Sparkarte aus, so ist dieser formell arbeitslos und kann ohne weiteres Bezüge machen. Auf diese Weise können beide sich den täglichen Einlagen entziehen. Immerhin ist nicht anzunehmen, daß dieser Fall oft eintrete.

Bundesblatt.

66. Jahrg. Bd. V.

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814 Ein anderer Einwand, der gegen das Sparzwangsystem gemacht werden wird, ist der, daß es eines s e h r g r o ß e n ßea m t e n p e r s o n a l s bedürfe und viele S c h r e i b e r e i e n verursache. Dies ist eine wohl unvermeidliche Folge einer so großen Verwaltungseinrichtung. Einer Arbeitslosenversicherung, die ebenso umfassend wäre, wie der geplante Sparzwang, und bei der auch die Arbeitgeber beteiligt wären, würde dieser Nachteil in gleich starkem Maße anhaften.

Zu einem Haupteinwand gibt die D a u e r der B e z u g s b e r e c h t i g u n g Anlaß. Bei der Arbeitslosenversicherung hat der Versicherte das Recht, bis zu einer bestimmten, für alle Versicherten gleich bemessenen Maximaldauer während seiner Arbeitslosigkeit Bezüge zu machen. Selbstverständlich ist es eine Ausnahme, wenn die Arbeitslosigkeit gleich der genannten Maximaldauer ist, denn sonst würde die Kasse bald zahlungsunfähig werden, sofern sie nicht eben so hohe oder noch höhere Beiträge, wie beim Sparzwang, verlangen wollte. Beim letztern richten sich die Einzahlungen nach der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit der Berufslohnklasse jedes einzelnen Sparpflichtigen. Ist deren Dauer kurz, z. B. 5 Tage jährlieh, so wird zunächst nur ein für 5 Tage ausreichendes Guthaben angesammelt. Bei der Versicherung dagegen könnte ein Arbeitsloser der gleichen Berufslohnklasse, der unter Umständen noch kleinere Einzahlungen macht, als der Sparpflichtige, doch bis zur Maximalzahl der Unterstützungstage -- z. B. 90 Tage -- Bezüge bei der Kasse erheben, eben deshalb, weil diese langdauernde Arbeitslosigkeit eine Ausnahme wäre. Scheinbar liegt nun hier ein geradezu bedenklicher Mangel des Sparzwangs vor ; denn diejenigen, welche arbeitslos werden, sind es sehr oft für längere Zeit, als sie es nach der Durchschnittszahl einer Berufslohnklasse sein sollten, da sich dieser Durchschnitt aus der Zusammenrechnung großer und kleiner Zahlen ergibt. Ein solches Bedenken ist aber nicht gerechtfertigt, denn bei Berufen mit großer Arbeitslosigkeit weicht die Durchschnittszahl in der Regel wenig ab von den effektiven individuellen Arbeitslosigkeitszeiten. Hier wird es also selten vorkommen, daß jemand länger arbeitslos ist, als sein normales Guthaben hinreicht. Betrifft es dagegen Berufe mit seltener, vielleicht nur in Zwischenräumen von mehreren Jahren
wiederkehrender Arbeitslosigkeit, so wird sie, wenn sie einen Sparpflichtigen trifft, in der Regel länger dauern, als die kurze Durchschnittszeit. Hier wäre das Guthaben, weil tatsächlich zu klein, von sehr beschränktem Nutzen. Da aber in solchen Fällen die

614 Einzahlungen gering sind, müssen und können dann auch sehr wohl die Sparpflichtigen selbst nach Erreichung des für die durchschnittliche jährliche Arbeitslosigkeitsdauer berechneten Guthabens weitersparen bis zu einer Summe, die auch hinreicht für außerordentliche Fälle. Bei Berufen mit jährlich wiederkehrender, lange dauernder Arbeitslosigkeit wird in der Regel nicht über die der durchschnittlichen jährlichen Arbeitslosigkeit der Berufslohnklasse entsprechende Sperrsumme hinaus gespart werden. Wo aber die Arbeitslosigkeit von kurzer Dauer ist, wo daher auch die Einzahlungen gering sind, ist das Weitersparen keine Last.

Auf diese Weise wird nach Verlauf von einigen Jahren die Sparzwangverwaltung jedem einzelnen Sparpflichtigen ein auch für eine länger dauernde individuelle Arbeitslosigkeit ausreichendes Guthaben zur Verfügung halten können.

Dabei besteht gegenüber der Arbeitslosenversicherung der Unterschied, daß der Sparzwang alsdann allen Sparpflichtigen während der Maximaldauer der Bezugsberechtigung zu helfen im stände ist, da für jeden Einzelnen tatsächlich ein Fonds existiert, die Versicherung dagegen so lange dauernde Unterstützungszeiten nur ansetzen kann, weil aus den Wahrscheinlichkeitsberechnungen sich ergibt, daß diese selten sind. Die Versicherung muß demnach versagen, wenn einmal sehr viele während der Maximaldauer arbeitslos sind.

Alles in allem ist der Vorort der Ansicht, daß die Mängel des Sparzwangs durch seine Vorteile mehr als aufgewogen werden.

Als eine notwendige Voraussetzung jeglicher Maßnahmen gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit betrachtet der Vorort die unmittelbare Bekämpfung der letztern durch Verbesserung des Arbeitsnachweises. Er legt dar, wie dessen Organisation im Rahmen der vorgeschlagenen Sparzwangverwaltung sich durchführen lassen würde. In der Folge wäre es vor allem eine Aufgabe städtischer Gemeinden, Nachweisbureaux zu schaffen. Das Bedürfnis nach solchen Instituten wird sich fast ausschließlich in Städten zeigen, und es ist deshalb der Staat, d. h. Bund oder Kanton, erst dann in Anspruch zu nehmen, wenn die zunächst interessierten Kreise der Aufgabe nicht gewachsen sind. Vorläufig aber wird der Staat ein Genügendes getan haben, wenn er durch ein Bulletin die Verbindung aller dieser Institute herstellt. Will der Staat auf beruflicher Basis den Arbeitsnachweis einrichten, so stehen ihm zwei Wege offen : entweder wird der Nachweis in den schon bestehenden Berufsverbänden erweitert und vom Staat subven-

816 tioniert, oder es werden für jeden Beruf vom Staate neue, speziell für diesen Zweck zu schaffende Verbände errichtet. Gegen ein Vorgehen des Staates auf einem dieser Wege erheben sich aber schwere Bedenken, die auch bei der nach Berufsverbänden zu organisierenden Arbeitslosenversicherung in gleicher Weise geltend gemacht werden können.

Sollen die schon bestehenden oder noch aus der Initiative der Arbeiter entstehenden Gewerkschaften u. s. w., die sich allerdings zu einer wirksamen Arbeitsvermittlung auf privater Grundlage als befähigt erwiesen haben, die Träger des vom Staate zu organisierenden Arbeitsnachweises werden, so wird dadurch diesen Verbänden gegenüber den Arbeitgebern ein gewaltiges Übergewicht verliehen. Diese Berufsverbände betrachten den Arbeitsnachweis als eines der wichtigsten Kampf- und Machtmittel in den wirtschaftlichen Kämpfen der Gegenwart. Niemals können die Arbeitgeber darauf eingehen, daß ihnen Arbeiter aufgezwungen werden von Verbänden, in denen sie nicht nur nicht mitzusprechen haben, sondern die sogar den ihrigen entgegengesetzte wirtschaftliche und politische Ziele verfolgen. Sofern es sich um Verbände handelt, in denen beide Teile eine gleich starke Vertretung haben, kann der Staat -- will er seine neutrale Stellung festhalten -- den Arbeitgebern keine Pflichten gegenüber solchen Arbeitsnachweisstellen auferlegen ; sonst würde er eine der weitesttragenden, in den Augen der Arbeitgeber unberechtigten Forderungen der Arbeiter verwirklichen, und die Arbeiter-Berufsgenossenschaften zu entscheidenden Paktoren in den wirtschaftlichen Fragen des Landes machen. Denn der Arbeitsnachweis würde sicherlich von parteipolitischen Gesichtspunkten aus betrieben, und es wäre auch nicht möglich, zu kontrollieren, ob die staatlichen Subventionen ausschließlich für den Arbeitsnachweis verwendet werden. Eine Mitwirkung der Arbeitgeber auf dem Boden der Arbeiterverbände ist ausgeschlossen.

Der Staat kann demnach nicht nur diesen Verbänden keine Zwangskompetenzen gegenüber den Arbeitgebern verleihen, sondern er darf sie auch nicht subventionieren, sofern er nicht Gefahr laufen will, damit politische Parteien finanziell zu unterstützen.

Wenn hingegen die Arbeiter von sich aus in ihren Organisationen, denen die Arbeitgeber völlig frei gegenüberstehen, den Arbeitsnachweis verbessern,
so ist dies sehr zu begrüßen.

Berufsgenossenschaften, die der Staat organisiert, um. den Arbeitsnachweis und, wie vielfach auch gefordert wird, die Arbeitslosenversicherung durchzuführen, sind nichts anderes, als

817 moderne Zünfte, auf die nach und nach die ganze, sich mehr und mehr von dem Prinzip der Gewerbefreiheit abwendende Tätigkeit des Staates auf dem Gebiet der Arbeiterpolitik konzentriert würde. Es handelt sich da um prinzipielle Standpunkte.

Diese machen sich nicht nur hier geltend, sondern auch da, wo es sich um öffentliche Verbände der Arbeitgeber oder um gemischte Verbände mit staatlichen Zwangskompetenzen handelt.

Der Vorort ist grundsätzlicher Gegner solcher modernen Zünfte, denn mit deren Einführung stellt der Staat sich in seiner Wirtschaftspolitik auf eine von der bisherigen ganz verschiedene Grundlage. Wer von beiden Parteien, selbst in gemischten Verbänden, schließlich die Oberhand behielte, kann in Anbetracht des politischen Zuges der jetzigen Zeit kaum zweifelhaft sein.

Der Schritt wäre folgenschwer, Änderung schwierig, denn die Partei, die infolge der beruflichen Organisation des Staates die wichtigste Rolle spielte, würde nicht leichten Kampfes sich ihre Macht schmälern lassen. Würden die Arbeiter dem Arbeitsnachweis durch ihre Verbände nicht eine gewaltige Bedeutung beimessen, so würden nicht Ausstände, die diesen Zweck .verfolgen, mit solcher Energie durchgeführt werden.

Da ein Zwangsarbeitsnachweis mit der Verpflichtung des Arbeitgebers, einen ihm vom Nachweisbureau zugewiesenen Arbeiter anzustellen, für die Arbeitgeber gänzlich unannehmbar ist, so kann es sich also nur darum handeln, beiden Teilen, Arbeitern und Arbeitgebern, Nachfrage und Angebot bekannt zu machen, und allfällig mit beider Zustimmung den Arbeitsvertrag direkt abzuschließen. Hierfür ist aber der gefährliche, komplizierte und zum Teil kostspielige Apparat der staatlichen Berufsverbände nicht nötig. Zudem könnten diese Korporationen auch nicht alle Arbeiter umfassen ; die ungelernten ständen außerhalb derselben. Ferner sind viele Gewerbe und Industrien zu klein, um lebensfähige Organisationen bilden zu können.

Staatliche Organisation des Arbeitsnachweises auf der Grundlage von Verbänden der Arbeitgeber hat heutzutage von vornherein keine Aussicht auf Verwirklichung.

Was endlich die Postulate der Union Helvetia betrifft, so werden sie vom Vorort unterstützt.

Der Vorort erklärt, daß das vorliegende Gutachten nur seine eigene Meinungsäußerung sei, und daß er sich vorbehalte, uns seinerzeit die Ansichten der Sektionen über dasselbe zur Kenntnis zu bringen. Eine solche Mitteilung ist noch nicht erfolgt.

818

3. Arbeitslosenunterstützung und Arbeitsnachweis. Bericht des s c h w e i z e r i s c h e n A r b e i t e r s e k r e t a r i a t s , vom Juni 1901.

Das bemerkenswerte ,,Vorwort11 lautet: Diese Arbeit wird schon lange erwartet und es hat an Tadel wegen ihres langen Ausbleibens nicht gefehlt. Man sprach sogar von Saumseligkeit. Das entsprang einem Irrtum. Es waren Bedenken schwerer Art, die sich der Vollendung der Arbeit, die schon verschiedene Male ernsthaft vorgenommen wurde, in den Weg stellten.

Der Bericht des Arbeitersekretariats soll doch nicht nur eine akademische Erörterung sein, sondern auf praktisch verwertbare Schlüsse hinauslaufen. Begnügt man sich nun nicht etwa bloß mit einer bureaukratischen Regelung oder einer Aktion für den vorübergehenden Notstand, sondern sollen organische Einrichtungen geschaffen werden, die permanent und vorbeugend oder vorsorgend wirken, so zeigen sich Hindernisse der verschiedensten Art. Einmal in der Willensrichtung der beteiligten Faktoren, sodann aber in der Zielrichtung der zu schaffenden Institutionen.

Nach beiden Richtungen haben wir Enttäuschungen erlebt.

Einrichtungen, die wenigstens des Versuches wert erschienen, prallten entweder am Widerstand der einen oder ändern wirtschaftlichen Gruppe ab, oder sie erfüllten ihren Zweck nicht, oder sie ließen sich nicht verallgemeinern. Ein Bericht des Arbeitersekretariats konnte sich nicht damit begnügen, solche Erscheinungen einfach zu konstatieren, sondern er sollte zeigen, wie man's besser machen kann.

Es wird Sache des Berichtes selbst sein, zu zeigen, welche Schwierigkeiten sich den verschiedenen Vorschlägen entgegenstellen. Eine grundsätzliche Lösung mit großen sozialen Gesichtspunkten stößt auf einen Widerstand, der heute noch als unüberwindlich zu betrachten ist. Man darf sich auch nicht verhehlen, daß wir seit geraumer Zeit in einer sozial rückläufigen Atmosphäre leben. Paßt man sich der nicht an, dann arbeitet man für den Papierkorb, sich aber dieser sozial rückläufigen Stimmung anzupassen, erfordert ein Maß von Selbstüberwindung, über das ein Mann von Charakter nicht leicht hinwegkommt.

Diese Bemerkungen werden vielleicht genügen, um vorurteilslosen Lesern erklärlich zu machen, warum diese Arbeit nicht früher aus den Händen des Verfassers kam. Möge sie für den

819 praktischen Zweck nur nicht etwa trotzdem noch zu früh kommen.

Dem sehr ausführlichen Bericht entnehmen wir folgende Darlegungen :

a. Arbeitslosenfrage.

Fragt man nach dem Schlußergebnis der Nachforschungen nach dem G r a d e der A r b e i t s l o s i g k e i t , so ist darauf zu antworten : Die über eine längere Zeit sich erstreckenden Beobachtungen weisen darauf hin, daß die Zeiten, wo jeder, der arbeiten will, auch Arbeit findet, außerordentlich selten sind, in der Regel vielmehr immer ein gewisser Überschuß von Arbeitern, selbst von gelernten, vorhanden ist, der .je nach dem Beruf und der Geschäftslage verschieden ist. Das ist der Boden, auf dem die zeitweise greller auftretende Erscheinung der Arbeitslosigkeit einsetzt. Wenn zu gewissen seltenen Zeiten und in einzelnen Berufen und Gegenden sich Arbeitermangel zeigt, so ist das eine Ausnahmeerscheinung, welche die Regel nur bestätigt.

Wenn es Berufs- oder Erwerbszweige gibt, in denen die Klage über Arbeitermangel ständig wiederkehrt, so bilden diese keinen Gegenbeweis, sondern sie zeigen nur, wie unzulänglich die Arbeitsverhältnisse in diesen Berufen oder Erwerben sind, wie wenig sie den heutigen Ansprüchen der Arbeiter entsprechen, so daß sie wo immer möglich diese Berufe oder Erwerbe fliehen.

Die Ü b e r s p e k u l a t i o n und Ü b e r p r o d u k t i o n liegt im ganzen Wesen des heutigen Wirtschaftssystems, ist von ihm unzertrennlich ; daher ist die notwendigerweise nachfolgende und liquidierende Krise ein nicht zu vermeidender Schlußstein in diesem Gebäude, und ihre Folgeerscheinung, die Arbeitslosigkeit, nicht eine Folge persönlicher Verschuldungen, sondern eine unvermeidliche Begleiterscheinung der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung. Wenn die infolge Arbeitslosigkeit Notleidenden Anklagen erheben, dann können diese sich richtigerweise nicht gegen , Einzelpersonen oder Personengruppen, sondern nur gegen die wirtschaftlichen Zustände erheben, deren Folgeerscheinung die Arbeitslosigkeit ist.

Das Problem der Arbeitslosigkeit ist ein soziales, ein gesellschaftlich-wirtschaftliches. Klarheit darüber ist nicht nur notwendig für die Arbeiterklasse, den am schwersten darunter leidenden Teil der Gesellschaft, sondern ebenso für die ändern Klassen der Gesellschaft. Denn das Problem birgt seine Gefahren in sich.

820 In ihrer chronischen Form wirken Not und Elend abstumpfend, in ihrer akuten Form aber wirken sie aufreizend. Und die Arbeitslosigkeit ist eine akute Form des Elends.

Im Vordergrund steht hier eine große Frage : Ist unter dem heutigen Wirtschaftssystem eine gänzliche Verhütung der Arbeitslosigkeit möglich? oder: Ist unter der kapitalistischen Produktionsweise die Verhütung der Überproduktion und Überspekulation möglich? Diese Frage ist in letzter Zeit von verschiedenen Seiten eingehend behandelt worden. Unter dem Eindruck einer mehrjährigen außergewöhnlichen Prosperität wurde die Hoffnungausgesprochen, auch unter Beibehaltung des freien Wettbewerbes; werde die Vervollkommnung des Nachrichtendienstes über den Stand des Weltmarktes, die Verfeinerung des Barometers der Börse und die solidere Ausgestaltung des Kreditwesens die Produzenten in den Stand setzen, die Produktion dem Weltmarkte besser anzupassen, und sie verhindern, planlos den Markt zu; überfüllen.

Während dieser Diskussion brach die Krise aus; sie enthüllte wiederum eine großartige Überproduktion und Überspekulation, und in ihrem Geleite einen so großartigen Schwindel, wie er vorher als unerhört erschien. Die Tatsachen gaben damit jenen recht, die behauptet hatten, die Überproduktion sei von dem Walten der freien Konkurrenz untrennbar; solange die kapitalistische Produktionsweise herrsche, so lange werde sie auch Überproduktion und damit Arbeitslosigkeit im Gefolge haben.

Eine Frage, wie die oben aufgestellte, kann wirklich nicht durch bloße Theorien beantwortet werden, sondern nur durch Tatsachen und durch auf solche sich stützende Theorien. Bis jetzt haben die Tatsachen die gestellte Frage verneint. Möglich aber ist wenigstens eine Milderung der Arbeitslosigkeit.

Man anerkennt glücklicherweise mehr und mehr allgemein die Pflicht der Gemeinwesen, in Zeiten von Arbeitslosigkeit durch B e s c h a f f u n g von A r b e i t zu helfen. Man sieht mehr und mehr ein, daß nur durch Arbeit bei den gewöhnlichen und nicht' Notstandslöhnen das wirtschaftliche, körperliche und moralische Herabsinken eines Teils der Bürger auf eine tiefere Stufe verhütet werden kann, daß für die ganze Gesellschaft und für die Gemeinwesen die Beschaffung von Arbeit für die Arbeitslosen nicht nur die beste, sondern auch die billigste Hülfe ist. Demzufolge muß auch der Wirtschaftsplan der Gemeinwesen sich daraufhin einrichten, um auf die Arbeitslosigkeit gerüstet zu sein.

821 Die Verhältnisse sind derart verschieden, daß" es nicht gerade leicht ist, genau anzugeben, wie es gemacht werden sollte.

Im allgemeinen aber wäre folgendes anzugeben. Es sollte für jedes größere Gemeinwesen, für den Bund, die Kantone und wenigstens für die Gemeinden mit mehr als 10,000 Einwohnern, ein F o n d s angelegt werden, gespeist aus jährlichen Beiträgen, die mindestens 5 °/o des Budgets der öffentlichen Bauten betragen. Dieser Fonds wäre zu reservieren für Arbeiten zur Zeit der Arbeitslosigkeit, und zwar für die Arbeitslöhne, so daß der Fonds nicht durch andere Ausgaben, wie Landerwerb, Materialkosten u. s. w. aufgebraucht würde, und für die Arbeitslöhne nichts oder nicht genug bliebe. Eine solche Einrichtung wäre nicht schwer zu treffen, sie belastete die Voranschläge nicht sehr stark, und böte die Sicherheit, daß zur Zeit der Arbeitslosigkeit auch die Mittel vorhanden sind, um Arbeiten vornehmen zu können.

Diese Arbeiten müßten natürlich rechtzeitig vorbereitet werden.

Planvorlagen, Kostenberechnungen und Beratungen durch die zuständigen Behörden, sowie die verfassungsmäßigen Kreditbewilligungen müßten geordnet sein, bevor die Arbeitslosigkeit in unmittelbare Sicht kommt, so daß dannzumal keine Verzügerungen eintreten. Denn gerade die Verzögerungen erregen stets die Erbitterung der notleidenden Arbeitslosen.

Als Regel muß aufgestellt werden : Die Arbeitslosigkeit ist vom Arbeiter nicht verschuldet. Nur ausnahmsweise mag ein Verschulden des Einzelnen veranlassen, daß gerade ihn die Arbeitslosigkeit mit erfaßt hat, aber das kommt für die ganze Erscheinung nicht in Betracht; denn wäre gerade dieser in Arbeit geblieben, so hätte eben ein anderer vom Platze weichen müssen.

Die Gesamtzahl der Arbeitslosen wird durch die Krise und den Arbeitsmangel bestimmt, und nicht durch das Verhalten der einzelnen Arbeiter.

Wenn also die ganze Gesellschaft die Verantwortlichkeit für die Arbeitslosigkeit trägt, so ergibt sich daraus auch die Pflicht der Gesellschaft, für den Schaden der Arbeitslosigkeit aufzukommen durch H ü l f e für die Arbeitslosen. Soweit diese Hülfe nicht durch Beschaffung von Arbeit geleistet werden kann, muß sie durch Unterstützung der Arbeitslosen geleistet werden, und man darf ein vollständiges Recht der Arbeitslosen auf Unterstützung durch die Gesellschaft aufstellen. Die Organe der Gesellschaft, die diese Pflicht zu erfüllen haben, sind der Staat und seine Einheiten: der Bund, die Kantone und die Gemeinden.

822

Damit ist nicht beabsichtigt, den Arbeiter zum Pfründner der Gesellschaft und ihrer staatlichen Organisation zu machen, und sein Verantwortlichkeitsgefühl zu untergraben. Bei der Entwicklungstendenz der kapitalistischen Produktionsweise müßte das zu einer modernen Sklaverei führen, die viel entsetzlicher wäre, als die vergangener Zeiten, und in seiner Folge führte es zum Untergang der Gesellschaft selbst.

Die ganze Fortentwicklung der Gesellschaft beruht darauf, daß die Arbeiterschaft aus der heutigen leidenden, passiven Stellung heraustritt und zu einem mitbestimmenden Faktor wird, bewußt seiner Stellung in der Gesellschaft und der damit verbundenen Verantwortlichkeit. Wir wehren uns gegen die Auflegung einer individuellen Verantwortlichkeit nur unter Umständen, wo sie nicht auferlegt werden kann und wo alle Mittel zur Erfüllung fehlen, wo der Einzelne gegenüber den mächtigen wirtschaftlichen Erscheinungen ohnmächtig ist. Solange dies der Fall ist, hat die Gesellschaft und ihre staatliche Organisation die Pflicht, helfend einzutreten. Aber diese Hülfe ist nur ein vorübergehend anzunehmender Notbehelf, wie wir viele solcher haben und wozu die mannigfache Hülfe für Landwirtschaft, Gewerbe u. s. w.

auch gehört.

Ziel aller Maßnahmen bei Arbeitslosigkeit muß sein, die Arbeiterschaft nach und nach in den Stand zu setzen, sich selbst zu helfen.

Für eine zwangsweise Einführung der A r b e i t s l o s e n v e r s i c h e r u n g ergeben sich keine günstigen Aussichten.

Zwar sprechen für das Obligatorium verschiedene wichtige Gründe. Einmal ist in der heutigen Wirtschaftsordnung niemand sicher vor dem Schicksal der Arbeitslosigkeit. Arbeiter, die sich in Stellungen befanden, die ihnen für die Lebenszeit gesichert erschienen, sahen sich eines Tages plötzlich auf dem Pflaster, sei es wegen irgend eines Konflikts im Geschäft, sei es wegen Aufgabe oder Zusammenbruchs des Geschäfts, oder wegen zeitweisen Geschäftsstillstands, oder weil das Geschäft in andere Hände überging u. s. w. Das Bewußtsein der Unsicherheit ist aber keineswegs der Mehrzahl der Arbeiter eigen geworden, und darum denken sie nicht daran, sich freiwillig gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit zu versichern.

Mit der freiwilligen Versicherung werden gerade diejenigen Schichten der Arbeiterklasse nicht getroffen, für welche die Versicherung am n ö t i g s t e n ist. Es verhält sich hier ähnlich,

823 wie bei der Krankenversicherung und wie beim Gewerkschaftswesen. Hier ist es aber noch viel verhängnisvoller, weil die Arbeitslosigkeit als Massenerscheinung akut auftritt, wie eine Epidemie. Eine Krankheit trifft heute den und morgen den ändern, eine akute Arbeitslosigkeit wirft auf einmal innerhalb weniger Wochen ganze Seharen ins Elend. Ist ein Teil freiwillig versichert, so sieht er eine Mehrzahl von Unversicherten sich gegenüber, wie eine zurückgebliebene Klasse. Es kann zu ernstlichen Konflikten zwischen den beiden Klassen kommen, wenn es sich dann darum handelt, was das Gemeinwesen nun tun soll. Hat es Arbeiten für den Fall vorbereitet, welche Arbeiter sollen in erster Linie berücksichtigt werden, die versicherten oder die unversicherten? Werden die Versicherten bevorzugt, so müssen die Unversicherten sonst unterstützt werden.

Werden aber die Unversicherten bei der Einstellung bevorzugt, dann sind die Versicherten stark im Nachteil, denn die Leistung der Versicherung wird stets unter dem ortsüblichen Lohne bleiben, an dem bei solchen Arbeiten festgehalten werden muß.

Das Obligatorium hat aber auch seine schweren Bedenken.

Mit der bloßen gesetzlichen Anordnung, daß jeder Arbeiter gewisser Kategorien verpflichtet sei, sich gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit zu versichern, wäre es natürlich nicht getan, denn eine solche Anordnung würde nur auf dem Papier stehen. Um sie auszuführen, muß das Gemeinwesen selbst eine entsprechende Versicherungskasse einrichten, und deren Organisation, Verwaltung, Mittelbeschaffung und Leistungen festsetzen. Dabei wird zunächst die zu unterstützende Arbeitslosigkeit zu definieren sein, d. h. man wird die Bedingungen aufstellen, unter denen bei Arbeitslosigkeit Unterstützung geleistet wird. Die entsprechenden Vorbehalte wollen dem Mißbrauch der Arbeitslosenversicherung steuern, und deren "Notwendigkeit muß zugegeben werden.

Wie unbefangen man aber die in Betracht fallenden Bestimmungen beurteilen mag, jedenfalls bedrohen sie die Freiheit des Arbeiters in der Wahl seiner Arbeitsstelle, sie legen ihm Beschränkungen auf in der Möglichkeit, eine ihm nicht zusagende Arbeitsstelle zu verlassen, sie sind dazu angetan, daß er sich selbst Verschlechterungen seiner Stellung unterzieht, namentlich bei sinkendem Geschäftsgang, damit er nicht den Anspruch auf die
Leistungen der Versicherung verliere. Diese Bestimmungen halten aber auch die Arbeiter ab, sich selbst gegen allgemeine Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen durch einen Streik zu wehren.

824

Nun ist die Bewegungsfreiheit des Arbeiters auch seine einzige Verteidigungswaffe für die Wahrung seiner Lebenshaltung, individuell kann er sich höchstens dadurch um sie wehren, daß er die Arbeitsstelle flieht, in der er seine Existenz nicht mehr findet. Dieser passive Widerstand wird auch von der großen Masse der Unorganisierten ganz unwillkürlich geführt, daher die Klagen der Berufszweige mit schlechten Arbeitsbedingungen über beständigen Arbeitermangel. Und andrerseits ist die Koalition das einzige Schutz- und Trutzmittel ganzer Arbeitergruppen für ihre Lebenshaltung. Bedroht man beides in der Arbeitslosenversicherung mit der Strafe des Ausschlusses von der Unterstützung, so fügt man der Arbeiterschaft einen Schaden zu, der weit größer ist, als der Nutzen der Unterstützung, und man macht sie je länger je mehr unterstützungsbedürftig.

Das vom Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins vorgeschlagene S p a r z w a n g s y s t e m (s. oben Ziffer 2) stellt sich die Sparpflichtigen vor als eine Korporation, die eine manchesterlich vom Staat getrennte Rechtspersönlichkeit wäre.

Diese Korporation ist aber nur das Gespenst einer ,,Rechtsperson", sie bildet keinen lebendigen Körper, sie hat keine Organe der Selbsttätigkeit, alle Funktionen vollziehen sich nach genauen Berechnungen ganz automatisch. Der Sparpflichtige merkt auf seinem Zahltagzettel, daß ihm etwas zum Sparen abgezogen wird ; während er an einem Arbeitsorte beschäftigt ist, hat er auch nicht die mindeste Kontrolle, was mit dem abgezogenen Geld geschieht, denn Sparkarte und Spar- und Arbeitsbüchlein befinden sich in den Händen des Geschäftsherrn ; erst wenn er aus einer Stelle entlassen wird, bekommt er die Ausweise in die Hände und sieht, was aus seinem Eigentum geworden ist.

Findet er keine neue Stelle, dann meldet er sich zum Bezüge und verbraucht in den ihm verabfolgten Raten seine Ersparnisse, bis er wieder Arbeit findet, oder bis sie aufgebraucht sind. Was im letztern Falle aus ihm wird, namentlich wenn die Ersparnisse noch klein sind, darum kümmert sich niemand -- er hat ja für sich selber gesorgt! Das ist natürlich für die Arbeitsherren ganz bequem und enthebt sie allem ändern, sie haben damit die große gesellschaftliche Verantwortlichkeit für die Arbeitslosigkeit als. Massenerscheinung wenigstens von ihren Schultern abgewälzt -- und jeden Arbeiter nur auf sich verwiesen, sorgfältig verhütet, daß er sich als Glied einer Gemeinschaft fühle und sich als solches betätige.

825

Diesen Vorschlag muß die Arbeiterschaft unbedingt und mit aller Entschiedenheit ablehnen.

Will man sicher gehen, dann darf man keine Unklarheiten aufkommen lassen. Nach allen den gemachten Erfahrungen halten wir unter den heutigen Umständen bei uns in der Schweiz irgend eine Art der Arbeitslosenversicherung oder des Sparzwanges, bei der die Unternehmer und Gewerbeinhaber zu Beiträgen verpflichtet werden, für a u s s i c h t s l o s . Solche Projekte würden höchstens dann eine Mehrheit in den Räten oder in der Volksabstimmung finden, wenn sie Bestimmungen enthielten, die für die Arbeiter unannehmbar wären.

Wer eingehender über die ganze Frage nachgedacht hat, der wird ohne weiteres zugeben, daß eine allseitig befriedigende Lösung bis jetzt noch nicht gefunden ist, daß also jede Lösung nur als Versuch betrachtet werden und erst durch den Versuch sich in seiner Wirkung zeigen kann. Einen größern Anspruch macht auch u n s e r V o r s c h l a g nicht.

Er geht von der grundsätzlichen Voraussetzung aus, daß eine Arbeitslosenversicherung nur dann ihre Aufgabe ganz erfüllen kann, wenn sie auf die O r g a n i s a t i o n und die o r g a n i s i e r t e S e l b s t t ä t i g k e i t der A r b e i t e r s c h a f t abstellt. An dieser Voraussetzung dürfen wir um so mehr festhalten, als die einzig befriedigende Lösung der Frage der Arbeitslosenunterstützung bis jetzt in den Gewerkschaften erreicht wurde, allerdings nur im Kreise dieser Gewerkschaften selbst. Ihre Einrichtungen sind verschiedenartig, aber auch das Bedürfnis ist es. Ob ihre Bedingungen strenger oder laxer sind, hängt ganz vom Willen der Beteiligten ab, sie können sie abändern ganz nach ihrem Belieben. Da sie frei in der Wahl ihrer Vorstände und Angestellten sind, steht auch die Ausführung der mehr oder weniger strengen Bestimmungen stets unter der Kontrolle der Mitglieder, und sie hat sich bis jetzt stets den Umständen angepaßt. Das ist offenbar für die Beteiligten ein befriedigender Zustand, und die einzige Sorge mag zeitweise die Beschränktheit der Mittel machen.

Freilich sind heute die Gewerkschaften noch nicht so weit, auch nur die Mehrzahl der Berufsgenossen in sich zu vereinigen.

Man denkt bei Besprechung der Arbeitslosenfrage auch fast gar nicht daran, ihnen die Arbeitslosenversicherung zu übertragen, da sie nur einen Teil, und in den meisten Berufen nur einen kleinen Teil der Berufsgenossen umfassen. Man hat doch immer nur die allgemeine, alle Arbeiter umfassende Arbeitslosen versiehe-

826 rung im Auge. Aber eben diese allgemeine Versicherung bietet große Schwierigkeiten, niemand kann behaupten, daß sie in naher Zeit verwirklicht werden könne. Ist es da nicht angezeigt, die vorhandenen Keime und Organe heranzuziehen, zu benützen und zu unterstützen, damit sie fröhlich ans Werk gehen können, um Erfahrungen zu sammeln und einen Teil der Arbeiterschaft für die Aufgabe zu schulen?

Der schweizerische Gewerbeverein umfaßt auch nur einen kleinen Teil der Berufsangehörigen, ebenso der schweizerische landwirtschaftliche Verein. Und doch werden beide schon seit Jahrzehnten vom Staate als Organe ihrer Berufs- und Interessengruppen anerkannt, und sie erhalten sehr namhafte Beiträge zu allerhand Verbesserungen für das Gewerbe und für die Landwirtschaft im allgemeinen. Bei diesen Vereinen hat man auch nicht den Einwand erhoben, sie umfaßten nur einen kleinen Teil der betreffenden Bevölkerungsklassen und darum könnten sie nichts Umfassendes bewirken und verdienten auch keine Unterstützung. Darum gleiches Recht auch für die bestehenden wirtschaftlichen Arbeiterorganisationen.

Freilich haben bis jetzt nur sehr wenige schweizerische Gewerkschaften die Arbeitslosenversicherung eingeführt, aber die Frage ist in der Diskussion. Man fürchtet hauptsächlich, die Mittel nicht aufbringen zu können. In dieser Beziehung muß also Anregung und Unterstützung geboten werden. Und das läßt sich mit relativ bescheidenen Aufwendungen erzielen, mit Aufwendungen, die bei weitem nicht die Höhe dessen erreichen, was ändern Berufsgruppen geboten wird.

Als Ziel sollte daher aufgestellt werden, die Arbeitslosenversicherung durch die Gewerkschaften so anzuregen und zu fördern, daß sie mit der Zeit für alle Arbeiter eingeführt werden kann. In den Gewerkschaften ist es möglich, die verschiedenartigen Verhältnisse in den verschiedenen Berufs- und Erwerbsgruppen zu berücksichtigen, den nach Berufen und Landesgegenden so ungleichen Löhnen Rechnung zu tragen, kurz, sich nach ihren Verhältnissen einzurichten, ohne in zu weitgehende Komplikationen zu verfallen. Nicht alles, was technisch richtig, ist auch leicht in die Praxis zu übersetzen.

Der Erfolg kann nur ein guter sein; opfert man für die Verbesserung des Viehstandes schon so bedeutende Summen, so wird man gewiß gern auch für die Hebung der Arbeiterklasse eine bescheidene Summe hergeben, weiß man doch unter allen

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Umständen, daß die Arbeiter selbst jedenfalls den gleichen Betrag aus eigenen Mitteln aufbringen, und unterstützt man dadurch doch einen großen erzieherischen Zweck. Ist es nicht das Opfer wert, wenn man bedenkt, daß in einiger Zeit 100,000 Arbeiter und mehr ganz anders dastehen, als heute?

Aber heißt das nicht die Streikkassen aus Bundesmitteln stärken? So wird man von verschiedenen Seiten rufen. Wir antworten mit nein. Der Bund zahlt keinen Rappen in die Streikkassen. Nach wie vor werden die Mittel für Streiks besonders aufgebracht werden müssen, und sie werden auch immer in bewunderungswürdiger Opferwilligkeit aufgebracht werden, ob der Bund die Arbeitslosenversicherung der Gewerkschaften unterstütze oder nicht.

Nun kann man aber die Arbeitslosenversicherung zugleich an einem ändern Ende anpacken, und wir glauben, der Versuch sollte wieder gemacht werden mit einer o b l i g a t o r i s c h e n V e r s i c h e r u n g a u f d e m G e m e i n d e g e b i e t m i t Kantonsund B u n d e s u n t e r s t ü t z u n g . Ein großer Teil der Bedenken kann überwunden werden, sobald man die Unternehmer und Gewerbsinhaber mit einer obligatorischen Beitragspflicht beiseite läßt.

Die Organisation der Versicherung könnte ruhig den Kantonen und Gemeinden überlassen werden. Man braucht es gar nicht überall gleich zu machen, und kann die eigenartigen örtlichen Verhältnisse durchaus berücksichtigen. Nur müssen überall auch die Arbeiterorganisationen gehört werden und in den Verwaltungen die Mehrheit erhalten, denn sie werden nicht nur dazu durch ihren höhern Beitrag berechtigt sein, sondern auch die besten Kräfte zur Verwaltung stellen können. Die Arbeitervertretung in der Verwaltung wird auch dafür sorgen können, daß die kommunale und die gewerkschaftliche Arbeitslosenversicherung sich nicht gegenseitig Schwierigkeiten machen -- eine Doppel Versicherung geht natürlich nicht an --, sondern möglichst Hand in Hand arbeiten, um diesen Versicherungs- und Unterstützungszweig aufs beste auszubauen.

Beide Versicherungsarten, die gewerkschaftliche und die kommunale obligatorische, werden sehr gut neben einander bestehen können, denn voraussichtlich werden beide erst nach und nach eine weitere Ausbreitung erringen. Aber es wäre doch möglich, in etwa einem Jahrzehnt dahin zu kommen, daß in den Gewerkschaften und in den 18 städtischen Gemeinwesen* * S. Anmerkung Seite 835.

828 etwa 200,000 Arbeiter gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit gesichert wären und mit größerer Beruhigung dem Eintritt einer schwereren Arbeitslosigkeit entgegensehen könnten.

Ib. Arbeitsnachweis.

Betrachten sich die Gewerbetreibenden als legitimiert in ihrem Kampfe um den Markt, und daran besteht bei ihnen kein Zweifel, dann müssen sie auch die Legitimität der Arbeiter, als Verkäufer der Arbeitskraft, im Recht auf ihren Markt, den Arbeitsmarkt, anerkennen. Dies dürfte um so mehr verlangt werden, als sowohl die Stellung der Ware Arbeitskraft, wie die ihres Verkäufers, des Arbeiters, ohnehin viel ungunstiger ist, als die jeder ändern Ware.

Der Arbeitsmarkt, der Arbeitsnachweis, gehört also in die Hände und unter die Selbstverwaltung der Arbeiter, und der Staat hat die Pflicht, die dazu nötigen Mittel zu liefern.

So wohl motiviert dieser Grundsatz durch die wirtschaftlichen Tatsachen ist, darf man sich doch keine Illusionen machen, ihn in dem größten Teile der Eidgenossenschaft bald verwirklicht zu sehen. Gelänge es noch, die Einsicht der Behörden dafür zu gewinnen, so ist doch der Widerstand der Gewerbsinhaber und Unternehmer zu groß, und das Verständnis der Gesamtbevölkerung noch zu weit zurückgeblieben, um diese wirtschaftliche Notwendigkeit einzusehen.

Bei privaten Placierungsbureaux bilden die hohen Gebühren bei Vermittlung einer Stelle eine Ausbeutung der Not des Arbeit- oder Dienstsuchenden. Daher kämpft die Arbeiterschaft für das vollständige Verbot des privaten gewerbsmäßigen Stellenvermittlungswesens. Diese Forderung ist vollauf berechtigt, und wir stehen nicht an, sie hier ebenfalls zu erheben. Voraussetzung dazu ist freilich, daß der Bund durch eine Revision von Art. 31 der Verfassung die Befugnis erhält, bezügliche Bestimmungen zu erlassen. Nur dadurch kann der Ausbeutung auf diesem Gebiet ernstlich gesteuert werden.

Sollten die Behörden sich nicht entschließen können, ein vollständiges Verbot der gewerbsmäßigen Stellenvermittlung auszusprechen -- was sehr zu bedauern wäre --, so bilden die Wünsche der ,,Union Helvetia" wohl das Minimum der Vorschriften, die zum Schutz der Arbeitsuchenden erlassen werden sollten.

829

Alle bisherigen Erfahrungen haben bewiesen, daß man den Arbeitsnachweis nicht gegen den Widerstand der Gewerbetreibenden und noch weniger gegen den Widerstand der Arbeiter, namentlich der organisierten, einrichten kann. In beiden Fällen führt es nur zu Stückwerk, wo nicht zu eigentlichem Kampf, mindestens aber zu passivem Widerstand der Seite, die nicht einverstanden ist. Nun beruht aber die Wirksamkeit eines Arbeitsnachweises auf der Voraussetzung, daß beide Teile ihn benützen. Zwang kann nicht ausgeübt werden, folglich muß ein Boden gesucht werden, auf dem beide Teile zusammen wirken können. Das ist die Grundlage, auf der die Behörden vermittelnd und fördernd eingreifen können. Als die geeignete Form ergibt «ich die Errichtung ö f f e n t l i c h e r A r b e i t s n a c h w e i s e oder A r b e i t s ä m t e r , als Zweige der öffentlichen Verwaltung, aber unter Mitwirkung von Vertretern der Verbände der Arbeiter und Gewerbsinhaber.

Von Seiten der Gewerbsinhaber werden die öffentlichen Arbeitsnachweise oft als hauptsächlich für ungelernte Arbeiter zweckmäßig bezeichnet, während sie für gelernte Arbeiter unzulänglich seien, da ihren Verwaltern die fachmännische Sachkenntnis mangle, um derartigen Aufträgen genügend entsprechen zu können.

Dieser Einwand läßt sieh nicht ganz abweisen, er zeigt eine Lücke in der Organisation der Arbeitsnachweise, die zu ergänzen wäre, indem man die Fachorganisationen der Arbeiter und Gewerbsinhaber zu einer Fachkontrolle herbeiziehen würde. Es mag schon öfter vorgekommen sein, daß man einem Arbeitsuchenden eine Stelle zuwies, die nicht der gesuchten Arbeit entsprach, oder daß man einem Gewerbsinhaber einen Arbeiter anwies, der für seine Arbeit ungeeignet war. Die Organisation einer solchen Fachkontrolle ist nicht gerade leicht, aber sie wird im Auge behalten werden müssen. Man kann ja auch den Versuch erst in einigen Fächern machen, um ihn später, wenn er gelungen ist, auf weitere auszudehnen.

Wie soll sich der öffentliche Arbeitsnachweis bei einem Streik verhalten? Soll er den Arbeitsnachweis für die betreffende Gruppe einstellen oder weiterführen? Grundsätzlich ist zu sagen, daß er im ersten Falle den Arbeitern und im zweiten den Gewerbsinhabern hilft, was zwar gar nicht gehindert hat, daß die Meisterorganisationen wiederholt erklärten, es sei eine ,,neutrale"
Haltung, wenn der Arbeitsnachweis auch bei einem Streik weitergeführt wird. Das ist doch wohl so lächerlich, daß man nicht weiter darauf einzutreten braucht. Wird das erste als eine PaileiBuudesblatt. 56. Jahrg. Bd. V.

56

830

nähme erklärt -- und darüber sind die Gewerbsinhaber sofort einig --, so ist es ohne Zweifel auch das zweite. Die Logik des gesunden Menschenverstandes erlaubt keinen ändern Schluß.

An manchen Orten besteht die Einrichtung, daß beim Ausbruch eines Streiks beide Parteien von einer öffentlichen Stelle zu einer Vermittlung durch ein Schiedsgericht eingeladen werden.

Wo das noch nicht der Fall ist, könnte man der Verwaltungsoder Aufsichtskommission des öffentlichen Arbeitsnachweises diese Aufgabe zuteilen. Je nach dem Verhalten der Parteien könnte dann die Haltung des Arbeitsnachweises bestimmt werden. Wollen die Gewerbsinhaber von einer Vermittlung nichts wissen, so wird der Arbeitsnachweis für sie eingestellt, zeigen sich die Arbeiter gegen eine Vermittlung renitent, dann wird der Arbeitsnachweis fortgeführt, immerhin unter Bekanntgabe des Tatbestandes an die Arbeitsuchenden. Bei solchem Verfahren hat es die Kommission mit einer festen Tatsache zu tun, und sie besitzt ein für allemal ihre Richtschnur.

Lokale öffentliche Arbeitsnachweise können ihre Aufgabe nur halb erfüllen. Diesem Mangel kann nur dadurch abgeholfen, werden, daß die öffentlichen Arbeitsnachweise in allen Landesteilen eingerichtet, und mit einander in organische Verbindung gebracht werden. Die lokalen öffentlichen Arbeitsnachweise müssen auf dem Wege des Bundesbeschlusses vermehrt, und in einen Zentralverband zusammengebracht werden. Der Bund würde auch eines der Bureaux als Zentralstelle bezeichnen, sei es dasjenige in der Bundesstadt, sei es das nach seiner Wirksamkeit bedeutendste. Diese Zentralstelle nimmt die Wochenrapporte der Arbeitsnachweise entgegen, und gibt ein wöchentliches Bulletin heraus, dem die größtmögliche Verbreitung gegeben werden soll.

Auf diese Weise würde es möglich sein, beständig den Arbeitsmarkt zu kennen, Arbeitsuchende würden in möglichst kurzer Zeit erfahren, ob und wo Arbeit für sie vorhanden ist, und Arbeitersuchende fänden am ehesten Gelegenheit, ihre Gesuche bekannt zu machen, ohne inserieren zu müssen. Die Zureisenden erführen schon an den Grenzstationen, wie es mit der Arbeitsgelegenheit steht, und ersparten sich unnütze Reisekosten.

Wenn Gemeinden, Kantone und der Bund Anstrengungen machen, den öffentlichen Arbeitsnachweis möglichst zweckentsprechend zu organisieren, und dabei nicht nur den Arbeitern, sondern auch den Gewerbsinhabern und Unternehmern eine Mit-

831 wirkung zusichern, um den Arbeitsnachweis zu einem neutralen zu gestalten, so haben sie
Welchen Schaden der förmliche Import von Wanderarbeitern auf dem Arbeitsmarkte anrichten kann, das ist früher schon dargelegt worden. Es wäre eine Sisyphusarbeit, wollte man den Arbeitsmarkt sanieren, ohne diesem Import entgegentreten zu können. Das wird nun kaum durch ein Verbot geschehen können, denn dagegen gäbe es Hintertüren genug. Aber man kann diesem Import doch dadurch entgegentreten, daß man solche Unternehmer von der Vergebung öffentlicher Arbeiten ausschließt, die geflissentlich den öffentlichen Arbeitsnachweis nicht benützen.

Das läßt sich durch die Arbeitsämter leicht konstatieren.

Die Organisation des öffentlichen Arbeitsnachweises wird sich nicht plötzlich in aller Vollkommenheit herstellen lassen, sie wird das Werk einer Entwicklung sein, die aber möglichst gefördert werden soll. Auch auf einer zu erhoffenden Höhe ihrer Entwicklung werden wahrscheinlich die öffentlichen Arbeitsnachweise oder Arbeitsämter nicht den Arbeitsmarkt so in die Hände bekommen, daß aller und jeder Stellenwechsel durch sie vermittelt werde ; sie erfüllen auch ihre Aufgaben schon dann, wenn sie die schädlichen Vermittlungsformen beseitigen und überflüssig machen können.

Aber für die Hauptfrage, für das Problem der Arbeitslosigkeit, werden sie von großem Werte sein, und darum kann auch die organisierte Arbeiterschaft die an sich gewiß berechtigten Bedenken gegen den öffentlichen Arbeitsnachweis beiseite setzen : Die einmal zweckmäßig eingerichteten Arbeitsämter werden soziale Observatorien sein, die uns Woche für Woche den Stand des Arbeitsmarktes anzeigen..

"&*·

c. Zusammenstellung der Postulate.

1. ZMV Milderung der Arbeitslosigkeit.

a. Unter der Bedingung einer gleichberechtigten Mitwirkung beider Teile ist den freiwillig organisierten ßerufsgenossenschaften der Gewerbsinhaber und der Arbeiter das Recht zu verleihen, bei drohendem Arbeitsmangel eine für ihre ganze Industrie oder ihr ganzes Gewerbe, oder für einzelne ihrer Zweige verbindliche allgemeine Reduktion der Arbeitszeit zu beschließen, wobei die

832 betroffenen Arbeiter für Minderverdienst eine Entschädigung erhalten sollen. Beschwerden gegen eine solche Maßregel werden zunächst durch das schweizerische Industriedepartement, in zweiter Instanz durch den Bundesrat entschieden.

b. Unter der Bedingung einer gleichberechtigten Mitwirkung beider Teile ist den freiwillig organisierten Berufsgenossenschaften 'der Gewerbsinhaber und der Arbeiter das Recht zu verleihen, für ihre ganze Industrie oder ihr ganzes Gewerbe, oder für einzelne ihrer Zweige verbindliche Vorschriften über die höchste Zahl der in einem Betriebe im Verhältnis zu den darin regelmäßig beschäftigten Arbeitern zulässigen Lehrlinge aufzustellen.

Solche Vorschriften unterliegen der Genehmigung durch das schweizerische Industriedepartement, das auch über Beschwerden endgültig entscheidet.

Diese beiden Postulate sind durch ein Bundesgesetz über das Gewerbewesen zu erledigen, zu welchem Zwecke die Wiederaufnahme einer Revision von Art. 31 der Bundesverfassung auf Grundlage des Bundesbeschlusses vom 20. Dezember 1893 angezeigt ist.

c. Der Bundesrat erläßt eine Weisung an die Fabrikinspektoren und eine Einladung an die Kantonsregierungen, bei Gesuchen um Überzeitbewilligung in Zeiten von Arbeitsmangel -- sofern es sich nicht um eigentliche Notarbeiten handelt -- die betreffenden Berufsorganisationen der Arbeiter anzuhören über die Frage, ob sich die Überzeitarbeit durch Einstellung von Arbeitslosen des betreffenden Berufes verhüten lasse.

2. '/MT Beschaffung

von Arbeit für Arbeitslose.

Der Bundesrat erteilt seinen Departementen die Weisung und richtet an die Kantonsregierungen für sich und zu Händen der Gemeinden die Einladung, durch geeignete Vorbereitung und zweckmäßige Einteilung ihrer nötigen und nützlichen öffentlichen Arbeiten dafür besorgt zu sein, daß solche Arbeiten bei stärkerer Arbeitslosigkeit in Regie ausgeführt werden können, um den dazu befähigten niedergelassenen Arbeitslosen, vorzugsweise den Schweizerbürgern, Arbeit anweisen zu können, die zum ortsüblichen Lohne bezahlt wird. Gemeinden und Kantone, die bei größerer Arbeitslosigkeit außergewöhnliche Arbeiten vornehmen, die sie in außerordentlichem Maße belasten, sollen unter näher zu bezeichnenden Bedingungen durch Bundessubvention unterstützt werden.

833

3. Zur Unterstützung der Arbeitslosen.

Der Bundesrat richtet an die Kantonsregierungen zu Händen der Einwohnergemeinden die Einladung, niedergelassene Arbeiter, die durch Arbeitslosigkeit ohne grobes Selbstverschulden in Not geraten sind, und denen nicht ihren Fähigkeiten und Kräften angemessene Arbeit angewiesen werden kann, in zweckmäßiger Weise zu unterstützen. Diese vorübergehende Notstandsunterstützung soll nicht als Almosengenössigkeit gelten, sie soll gleichgestellt sein der Unterstützung von Landwirten bei Elementarschäden. Niedergelassene verheiratete Ausländer sind gleich wie die Schweizerbürger zu unterstützen. Wanderarbeiter sind von der Unterstützung ausgeschlossen. Der Bund sichert unter näher festzusetzenden Bedingungen eine Subvention an die aus dieser Unterstützung erwachsenen Ausgaben zu.

4. Zftir Arbeitslosenversicherung.

a. Der Bund leistet an organisierte, durch Statuten und Mitgliederzahl ausgewiesene Gewerkschaftsverbände der Arbeiter, die behufs Einführung der Arbeitslosenversicherung ihre Mitgliederbeiträge um 10 Rp. per Woche oder mindestens 40 Rp.

per Monat erhöhen, einen Beitrag an den Gründungsfonds von Fr. 2 per Mitglied, zahlbar, nachdem die erhöhten Beiträge ein halbes Jahr lang von den Mitgliedern bezahlt wurden. Die Verbände haben sowohl ihre Unterstützungsvorschriften, als auch alljährlich die Rechnungen mit den Belegen für die ausbezahlten Unterstützungen an Arbeitslose dem zuständigen Departement einzureichen. Nach deren Gutheißung erhalten sie einen Bundesbeitrag, welcher der Hälfte der ausbezahlten Unterstützungen entspricht.

b. Der Bund leistet einen Beitrag an die Gemeinden, welche die obligatorische Arbeitslosenversicherung einführen, unter folgenden Bedingungen : 1. Die versicherten Arbeiter leisten ungefähr 60 °/o der aufzubringenden Beiträge, die Einteilung in Klassen ist Sache der betreffenden Gemeinde.

2. An den Rest der aufzubringenden Beträge leistet der Bund einen Drittel, sofern die Gemeinde und der Kanton auch je einen Drittel beitragen.

3. Die Gewerbsinhaber werden nur zu einer entsprechenden Beitragsleistung für Wanderarbeiter herangezogen.

834

4. Die versicherten Arbeiter wirken an der Verwaltung durch Vertreter mit, deren Zahl dem Verhältnis ihrer Beitragsleistung entspricht.

o. Die Statuten und Vevsicherungsbedingungen sind dem Bundesrat zur Genehmigung vorzulegen.

5, Zur Organisation des Arbeitsnachweises.

a. Der private gewerbsmäßige Betrieb von Arbeitsnachweisen, Stellenvermittlungen oder Placierungsbureaux ist durch ein Bundesgesetz über das Gewerbewesen zu verbieten. Eventuell, d. h. wenn auf das absolute Verbot nicht eingetreten werden will, sind alle diese Bureaux unter Konzessionszwang und ständige gewerbepolizeiliche Kontrolle zu stellen ; es sind ihnen Maximaltaxen und Gebühren vorzuschreiben, die höchstens zur Hälfte VOD den in Stellen gebrachten Arbeitern oder Dienstpersonen bezogen werden dürfen. Mehrforderungen ist strenge Strafe, im Wiederholungsfall Konzessionsentzug anzudrohen. An der Aufsicht über diese Bureaux sind die Arbeiterorganisationen durch Vertreter /u beteiligen.

b. Der Bund regt, die Errichtung von öffentlichen Arbeitsämtern durch die Gemeinden an, bei denen die Verbände der Arbeiter und der Gewerbsinhaber in gleicher Zahl von Vertretern an der Verwaltung und Aufsicht mitwirken. Als Regel ist anzunehmen, daß die Gemeinde 60 °/o, Bund und Kanton je 20 °/o der Kosten tragen. Für Arbeitsämter in kleinem Grenzgemoinden kann der Bundesbeitrag erhöht werden. Der Bund liefert nach einheitlichem Schema die für Buchführung;ö und Ausweise erf'orderliehen Drucksachen. Die Arbeitsämter sind verpflichtet, allwöchentlich Rapporte einzuliefern.

c. Der Bund beauftragt eines der Arbeitsämter mit den Aufgaben einer Zentralstelle für den öffentlichen Arbeitsnachweis, oder er errichtet selbst ein eidgenössisches Arbeitsamt. Die Zentralstelle oder das eidgenössische Arbeitsamt hat die Rapporte der lokalen oder kantonalen Arbeitsämter zu sammeln, in einem wöchentlich herauszugebenden Bulletin zu veröffentlichen, und das gesammelte Material über den Arbeitsmarkt statistisch zu bearbeiten.

d. Der Bund erwirkt für Übersiedlung nach einem angewiesenen Arbeitsplatz eine Ermäßigung der Fahrkosten ,auf die Hälfte, und bewilligt die Mittel zu Reiseunterstiitzungen an Bedürftige.

835

e. Der Bundesrat erteilt seinen Departementen die Weisung und richtet an die Kantonsregierungen für sich und zu Händen der Gemeinden die Einladung, von der Vergebung öffentlicher Arbeiten auszuschließen : 1. Unternehmer, die als Mitglieder von Verbänden an solchen Arbeitsnachweisen beteiligt sind, die ausschließlich in den Händen der Gewerbsinhaber und Unternehmer sind, und bei denen de« Arbeitern keine Mitwirkung auf dem Fuße der Gleichberechtigung eingeräumt ist; 2. Unternehmer, die den öffentlichen Arbeitsnachweis geflissentlich nicht benützen, und dadurch die volle Kenntnis des Arbeitsmarktes verunmöglichen ; 3. Unternehmer, die das verfassungsmäßig gewährleistete Vereinsrecht der Arbeiter dadurch verletzen, daß sie solche wegen der Zugehörigkeit zu einer Organisation entlassen oder von der Beschäftigung ausschließen.

d. Mutrnassliche finanzielle Belastung des Bundes.

Arbeitslosenversicherung : a. Subvention an Gewerkschaften.

Wenn alle jetzt bestehenden Gewerkschaften mit 30--35,000 Mitgliedern die Arbeitslosenversicherung einführen, dann beträgt die Leistung an den Gründungsfonds Fr. 60,000 bis Fr. 70,000 i-.nd der Jahresbeitrag Fr. 56,000. Steigt die Zahl der gewerkschaftlich gegen Arbeitslosigkeit versicherten Arbeiter im Lauf der Jahre auf 100,000 an, so ist der Jahresbeitrag des Bundes auf Fr. 100,000 zu veranschlagen. -- b. Subvention an die obligatorische Arbeitslosenversicherung in den Gemeinden. Wenn alle 18 städtischen Gemeinden mit über 10,000 Einwohnern* eine solche Arbeitslosenversicherung eingeführt haben werden, dann ist der jährliche Bundesbeitrag auf Fr. 150,000 zu veranschlagen.

Erst im Verlauf von Jahren würde also die Gesamtbelastung des Bundes für die Arbeitslosenversicherung auf jährlich Fr. 310,000 ·ansteigen.

Arbeitsnachweis: Rechnet man 30 Arbeitsämter mit einer durchschnittlichen Jahressubvention von je Fr. 2000, so ergibt das einen Gesamtbetrag von Fr. 60,000. Es kommen hinzu die Kosten einer Zentralstelle oder eines eidgenössischen Arbeitsamtes mit Fr. 40,000, so daß die Gesamtbelastung des Bunde» Die Zahl dieser Gemeinden beträgt nunmehr 21.

836 auf Fr. 100,000 zu veranschlagen sein wird. Dieser Betrag wird aber erst im Verlauf der Jahre erreicht werden.

IV. Eingaben von Einzelpersonen.

Wir verzeichnen folgende Eingaben, die in der Angelegenheit an uns oder an das zuständige Departement gerichtet worden sind: 1. W. A i m e r a s in Genf, 28. August 1894 und 23. Februar 1895, befürwortet als Lösung der Frage der Arbeitslosigkeit die Reorganisation der gesamten Produktion und des Warenabsatzes.

2. A. F. J u n g e n , Angestellter der städtischen Armendirektion in Bern, 26. September 1894, verlangt ein eidgenössisches Armengesetz und eidgenössische Zentralanstaltcn, wo auch Arbeitslosen Beschäftigung verschafft würde.

3. A. L a u r e r , Vermittlungscomptoir, Zürich, 24. Dezember 1895, behandelt einige den Arbeitsnachweis betreffende Punkte.

4. Dr. N. W a s s i l i e f f , Arbeitersekretär, in Bern, 24. November 1899. Dessen Publikation ,,Ein kommunales Arbeitsamt (Arbeitslosenkasse, Arbeitsnachweis, Einigungsamt)'1 berührt die Wünschbarkeit von Bundesbeiträgen für das Zusammenwirken eines Netzes von Arbeitsämtern der Gemeinden.

5. E. B o h n y , Verwalter des städtischen Arbeitsamtes Zürich, 8. Juni 1901, empfiehlt die Förderung der Arbeitsvermittlung unter unparteiischer Leitung, und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Beschaffung von Arbeit, nicht durch Unterstützungen, die den Betroffenen verabfolgt werden.

6. E. B ohny, Verwalter des städtischen Arbeitsamtes Zürich, 28. Juni 1904. Vgl. dessen Schrift ,,Die Arbeitslosenfürsorge/'

T. Schlussfolgerung.

Das Studium des vorliegenden, lehrreichen Materials, sowie die Beobachtung der einschlägigen Vorgänge im In- und Auslande lassen erkennen, daß es sich um Erscheinungen im wirtschaftlichen Leben handelt, die von ernster und weittragender Bedeutung sind, und der Aufmerksamkeit des Staates dringend bedürfen.

Bei Prüfung der Frage, zu welchen praktischen Maßnahmen dieser schreiten solle, ergibt sich, daß zwei Gebiete, gegenseitig zwar nahe verwandt, voneinander zu unterscheiden sind : einerseits die Fürsorge für Arbeitslosigkeit, anderseits der Arbeitsnachweis.

837

1. Fürsorge für Arbeitslosigkeit. Abgesehen vom Arbeitsnachweis, von dem nachher die Rede sein wird, sind eine Reihe von Lösungen der Frage teils theoretisch aufgestellt, teils praktisch versucht worden; wir verweisen auf die vorangehenden Abschnitte des gegenwärtigen Berichts. Sicher ist, daß bis jetzt eine umfassende und befriedigende Lösung des Problems nicht gefunden worden ist. Bezeichnender Weise werden von unsern Berichterstattern gegenseitig die vorgebrachten Projekte als unannehmbar bekämpft, so die viel besprochene Arbeitslosenversicherung, der Sparzwang. Es hat keinen Sinn, hier die Argumente pro und contra zu wiederholen, wir greifen daher nur einige Hauptpunkte heraus.

Die naheliegendste und beste Abhülfe für Arbeitslosigkeit, ist die Beschaffung von Arbeit. Eine Verpflichtung hierzu kann nur der Gemeinde und dem Staat auferlegt werden, und die Erfüllung dieser Verpflichtung ist an wesentliche Beschränkungen hinsichtlich der Aufbringung der finanziellen Mittel und der Bereithaltung für die verschiedenen Berufe geeigneter Arbeit gebunden.

Auch hier schon, wie bei ändern Aushülfsrnitteln, bietet die Unterscheidung zwischen verschuldeter und unverschuldeter Arbeitslosigkeit große Schwierigkeiten.

Die direkte Unterstützung der Arbeitslosen mit Geldbeträgen ist lokal zu regeln. Der periodisch erscheinende Notstand aus Arbeitslosigkeit ist überhaupt vorwiegend lokaler Natur, und haftet den Städten an, während die landwirtschaftlichen Gegenden davon verschont sind, und im Gegenteil über Mangel an Arbeitskräften und über deren Anziehen seitens der Städte klagen. Die Geldverteilung ist nicht eines der empfehlenswertesten Mittel, denn sie ist der Armenunterstützung zu ähnlich, aber sie wird oft unvermeidlich sein. Dann aber sind es gerade die lokalen Organe, die am besten darüber wachen können, daß die Hülfeleistung nur denen zukomme, die sie wirklich verdienen, und mißbräuchliche Inanspruchnahme sich nicht einschleichc. Damit ist nicht gesagt, daß bei großen Krisen, die ganze Landesteile erfassen, nicht auch der Staat (Kantone, Bund) von Fall zu Fall einspringen solle, wenn die lokalen Hülfsmittel nicht ausreichen.

Der Arbeitslosenversicherung wird vielfach der Charakter der Versicherung abgesprochen, weil technische Grundlagen fehlen ; in der Tat sind die Ursachen, der Umfang, der Beginn
und das Ende der Arbeitslosigkeit schwerlich berechenbar. Jedenfalls verspricht nur eine obligatorische ,,Arbeitslosenversicherung"' einen durchgreifenden Erfolg; beim System der Freiwilligkeit bleiben^

838 die guten Alimente und ein bedeutender Teil der in schwankenden Erwerbs Verhältnissen Stehenden fern. Das Obligatorium ist aber auf längere Zeit hinaus bei uns nicht zu verwirklichen, denn das Solidaritätsgefilhl ist nicht so weit ausgebildet, daß der Arbeiter mit einigermaßen sichern! Verdienst die Versicherungskasse zu gunsten eines ändern, der von ihr den Nutzen haben wird, ohne Widerstand speist. Da die einen Berufsarten im ganzen von Arbeitslosigkeit verschont bleiben, andere, z. B. das Baugewerbe, sie regelmäßig erleiden, widerstreben die erstem dem Ansinnen, das Risiko der letztern decken zu helfen. Die Erfahrungen, die man bei uns an verschiedenen Orten (Zürich, Basel, St. Gallen) mit dem Versuche, die obligatorische Arbeitslosenversicherung einzuführen, gemacht hat, sind denn auch keineswegs ermutigend. Auch die freiwillige Versicherung hat sehr wenig Boden gefaßt, und bietet mehr den Charakter einer Unterstiitzungskasse. Einen bedeutenden Einfluß übt in diesen Dingen zwar der Umstand aus, daß die Löhne der Arbeiter vielfach kaum an das sogenannte Existenzminimum heranreichen, und daß auch geringe Leistungen an die Versicherung schwer oder gar nicht aufzubringen sind. Übrigens ist der Begriff der Arbeitslosigkeit ein weiter, dehnt er sich, doch auf der gesellschaftliehen Skala vom Erdarbeiter aus bis zum Arzte -- man spricht nicht umsonst vom geistigen Froletariate, -- und wenn eine Pflicht des Gemeinwesens besteht, seinen notleidenden Angehörigen zu helfen, so muß diese Unterstützung, falls sie sich nicht willkürlicher Weise auf einzelne Klassen von Personen beschränkt, einen Umfang annehmen, den die in Betracht fallenden Faktoren unmöglich zu bewältigen vermögen.

Der Sparzwang stellt ein eng geschlossenes, starres System mit einem sehr komplizierten und weitläufigen Apparat dar, das für unsere Verhältnisse augenscheinlich nicht paßt. Auch hier gilt, daß die für die Einlage vorgesehene, bedeutende Lohnquote vom Arbeiter im allgemeinen nicht entbehrt werden kann, abgesehen davon, daß er sich eine so weitgehende zwangsweise Einschränkung in der Verfügung über sein Eigentum nicht gefallen lassen will, ebensowenig, wie die Auslieferung seiner Ausweis·papiere an den ihn beschäftigenden Betriebsinhaber. Es kann nicht die Rede davon sein, dieses System gegen den ausgesprochenen Willen der
Arbeiterschaft einzuführen. Eine erhebliche Unvollkomrnenheit des Sparzwanges besteht übrigens auch darin, daß er die am schlechtesten gelöhnten Arbeiter, die keine Einlagen zu erübrigen vermögen, der Armenpflege überlassen

839 muli, und daß die Fürsorge für die den berechneten Durchschnitt übersteigende Arbeitslosigkeit ganz ungenügend ist, indem sie auf freiwillige Einlagen, die sehr oft ausbleiben werden, abstellt.

Die vorliegenden Verhältnisse sind derart, daß wir noch nicht im Falle sind, Ihnen bestimmte und positive Vorschläge zu unterbreiten. Es mag denn auch die Frage einer Verfassungsrevision einstweilen unberührt bleiben. Zu verhehlen ist sodann nicht, daß unser Land nicht stark genug ist, gleichzeitig die Lasten großer Werke der sozialen Hülfe auf sich zu nehmen : man wird einstweilen zufrieden sein müssen, wenn es gelingt, den Gedanken der Fürsorge für Krankheit und Unfall zur Tat werden zu lassen. Wird später ein weiterer Schritt unternommen, so dürfte immerhin der Invaliden-, Alters-, Witwen- und Waisenversicherung der Vorrang gebühren. Übrigens ist der Bund in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht ganz untätig geblieben, gehört doch zu ihrer Verhütung eine tüchtige Erlernung der gewerblichen und industriellen Berufe, sowie die hauswirtschaftiiche und berufliche Bildung des weiblichen Geschlechts ; zur Förderung dieser Zwecke hat der Bund bis jetzt über 12 Millionen Franken ausgegeben. So oder anders werden wir es aber als unsere Pflicht betrachten, der sonstigen Fürsorge für Arbeitslosigkeit, einer der schwierigsten und größten Fragen der Gegenwart, unsere stete Aufmerksamkeit zu widmen.

2. Arbeitsnachweis. Er ist ein wirksames Mittel, um die Arbeitslosigkeit zu verringern, läßt sich aber sehr wohl als etwas für sich bestehendes behandeln, und es kann auf diesem Gebiete schon jetzt etwas erreicht werden. Die Wichtigkeit einer gut angelegten Arbeitsvermittlung wird allseitig hervorgehoben. So, wie sie jetzt an den verschiedenen Orten funktioniert, bietet sie den großen Nachteil, daß unter den einzelnen Stellen keine Verbindung besteht, beziehungsweise daß eine allgemeine Übersicht über den Arbeitsmarkt fehlt. Es dürfte die dankbare Aufgabe des Bundes sein, die gegenseitige Verbindung und Unterstützung der Nachweisstelleu oder Arbeitsämter herbeizuführen, eine Zentralstelle zu bezeichnen, welche die Nachrichten über Angebot und Nachfrage erhält und in einem Wochenbulletin veröffentlicht, oder in anderer Weise die umfassende Verwertung der von den einzelnen Stellen gesammelten Informationen zu
sichern. Es wird auch ein bedeutendes Material zusammenkommen, dessen statistische Bearbeitung wichtige Anhaltspunkte für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bietet. Zu untersuchen ist noch, auf welche Grundlage (Gemeinden, berufliche Organisationen) die Arbeits-

840

ämter zu stellen seien, in welcher Weise der Bund die Gründung und den Betrieb solcher fördern solle, wie das Verhältnis zur Naturalverpflegung zu regeln sei u. s. w. Es wird sich anschließen die Prüfung der Frage, was in bezug auf den privaten Arbeitsnachweis (Gesuch der Union Helvetia) zu geschehen habe. -- Bevor wir weiter gehen, möchten wir doch zuvor die Gewißheit erlangen, ob unser Standpunkt Ihre Billigung finde ; wir bedürfen Ihrer Wegleitung, um nicht Gefahr zu laufen, viele Zeit und Mühe auf ein als unfruchtbar sich herausstellendes Gebiet zu verwenden, und dabei in weiten Kreisen Hoffnungen zu erwecken, die nachher unerfüllt bleiben.

Wir unterbreiten Ihnen demnach den Antrag, zu beschließen : 1. die gesetzgebenden Räte nehmen vom Bericht des Bundesrates in zustimmendem Sinne Kenntnis ; 2. der Bundesrat wird beauftragt, über die Förderung des Arbeitsnachweises im Sinne von Ziffer V, 2, seines Berichtes eine Vorlage einzubringen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den S.November 1904.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschait r Eingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend Mitwirkung des Bundes bei Institutionen für Arbeitsnachweis und für Schutz gegen Arbeitslosigkeit. (Vom 8.

November 1904.)

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Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1904

Année Anno Band

5

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46

Cahier Numero Geschäftsnummer

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16.11.1904

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717-840

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10 021 181

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