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Schweizerisches Bundesblatt

56. Jahrgang. I.

Nr. 6.

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10. Februar 1904.

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zu dem Entwurfe eines Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag.

(Vom 2. Februar 1904.)

Tit.

Im Gebiete des p r i v a t e n V e r s i c h e r u n g s w e s e n s steht dem Bunde verfassungsgemäß die Gesetzgebungshoheit über zwei Materien zu, über die v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e und über die p r i v a t r e c h t l i c h e Seite.

Art. 34, Absatz 2, der Bundesverfassung unterwirft u. a.

,,den Geschäftsbetrieb von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens der Aufsicht und Gesetzgebung des Bundes".

Auf Grund dieser Verfassungsbestimmung wurde am 25. Juni 1885 das Bundesgesetz betreffend Beaufsichtigung von P r i v a t u n t e r n e h m u n g e n im G e b i e t e des Versicher u n g s w e s e n s (im folgenden ,,Aufsichtsgesetz" genannt) erlassen.

Das Aufsichtsgesetz schafft von Bundes wegen e i n e u m f a s s e n d e staatliche K o n t r o l l e ü b e r d a s f i n a n z i e l l e u n d techn i s c h e G e s c h ä f t s g e b a r e n der in unserm Lande arbeitenden p r i v a t e n Versicherungsanstalten. · Die p r i v a t r e c h t l i c h e n Beziehungen der im Versicherungsvertrage engagierten Parteien dagegen läßt das Aufsichtsgesetz völlig unberührt. Es ordnet ausschließlich die Staatsaufsicht, die sich, kraft des vornehmsten Gesetzeszweckes, die L e i s t u n g s f ä h i g k e i t der p r i v a t e n V e r s i c h e r u n g s a n s t a l t e n zu s i c h e r n , nach genau bestimmten Richtungen hin zu betätigen hat.

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. I.

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Das Aufsichtsgesetz hat somit, weil es lediglich die Beziehungen zwischen Staat und privaten Versicherungsanstalten regelt, öffentlichrechtlichen Charakter; es ist ein dem Objekte nach begrenztes P o l i z e i g e s e t z .

Die Gesetzgebungshoheit des Bundes über die p r i v a t r e c h t l i c h e S e i t e des V e r s i c h e r u n g s w e s e n s liegt in Art. 64 der Bundesverfassung begründet. Das private Versicherungsrecht beschlägt die d u r c h den V e r s i c h e r u n g s vertrag begründeten gegenseitigen Leistungen, die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien, des V e r s i c h e r e r s und des V e r s i c h e r u n g s n e h m e r s . Das private Versieherungsrecht bildet somit einen Bestandteil der bundesrechtlichen Materie des O b l i g a t i o n e n r e c h t e s . Aus Gründen der Opportunität sah man seinerzeit bei der Kodifikation des Obligationenrechtes davon ab, das Versicherungsrecht gesetzlich zu ordnen.

Da diese Gründe, wie später darzulegen ist, heute nicht mehr durchschlagen, halten wir es für angezeigt, die gesetzliche Regelung des privaten Versicherungsrechtes nunmehr ungesäumt anzustreben und so eine fühlbare Lücke im Gebiete des Verkehrsrechtes auszufüllen.

Wir beehren uns daher, Ihnen den Entwurf zu einem Bundesgesetze über den Versicherungsvertrag mit folgender Begründung vorzulegen.

A. Überblick über den gegenwärtigen Stand der privatrechtlichen Yersicherungsgesetzgebung ; unsere Vorarbeiten.

Das private Versicherungsrecht besitzt einen ausgeprägt universellen Charakter. Es hat sich in allen Kulturstaaten in den Grundzügen gleichartig entwickelt. Diese uniforme Entwicklung, die in der Gleichheit der rechtsbildenden Faktoren -- Versicherungstechnik und wirtschaftliche Sicherungsbedürfhisse -- begründet liegt, eröffnet an Stelle einer nationalen eine ergiebige internationale Rechtsquelle.

Das private Versieherungsrecht stellt das Recht einer besondern Vertragsart dar. Ihr ordnen sich zahlreiche Erscheinungsformen unter. Die übliche Terminologie sondert zwei Haupttypen

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aus, den S e e v e r s i c h e r u n g s v e r t r a g und den L a n d - o d e r B i n n e n v e r s i c h e r u n g s v e r t r a g (Lebensversicherung, Unfallund Krankenversicherung, Feuerversicherung, Haftpflichtversicherung, Vieh- und Hagelversicherung, Landtransportversicherung, etc.).

Die Entwicklung des Versicherungsrechtes knüpft an die Seeversicherung an. Das materielle Seeversicherungsrecht gestaltete sich in der Hauptsache frei nach den Bedürfnissen des Handelsverkehrs. In den vom Meere bespülten Staaten besteht ein im Laufe der Jahrhunderte völlig durchgearbeitetes, h e u t e m e i s t g e s e t z l i c h f e s t g e l e g t e s Seeversicherungsrecht.

Das Recht der Neubildungen dagegen, das sogenannte L a n d oder B i n n e n v e r s i c h e r u n g s r e c h t , diejenige versicherungsrechtliche Materie also, die, angesichts unserer territorialen Verhältnisse, zunächst der Kodifikation unterliegt, hat mit der Entwicklung des Binnenversicherungswesens nicht Schritt gehalten. Professor E h r e n b e r g schreibt in seinem, 1893 erschienenen Handbuche des Versicherungsreehtes (S. 41) zutreffend : ,,Über viele der wichtigsten Grundsätze hat sich, trotz der Mitarbeit aller Kulturnationen, eine Einigung in Theorie und Praxis noch nicht erzielen lassen, und es ist daher leicht zu verstehen, daß auch die Gesetzgebung sich in den meisten Staaten bisher dem Versicherungsrechte gegenüber noch sehr zurückhaltend gezeigt hat. Wo man eine umfassende Kodifikation versuchte, sind vielfach farblose, allgemeine, nichtssagende oder geradezu verkehrte Rechtssätze herausgekommen ; eine prinzipielle Erfassung der Interessenkonflikte, um die es sich handelt, eine hier besonders notwendige Scheidung von absoluten und dispositiven Rechtsnormen ist selbst in der Literatur kaum versucht worden, und die Praxis der Gerichte, in wichtigen Einzelfragen, wie stets, der Theorie weit vorauseilend, hat naturgemäß selten Veranlassung gehabt, den großen Prinzipienfragen näher zu treten. Während das Versicherungsw e s e n eine technische Vollkommenheit, eine praktische Wirksamkeit ohnegleichen erreicht hat, befindet sich das Versicherungsr e c h t , welches ihm Halt und Sicherheit gewähren sollte, in einem beklagenswerten Zustande innerer und äußerer Unfertigkeit. "· Die Gesetzgebung ist freilich nicht überall untätig
geblieben.

Einige Staaten unterwerfen den V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g s c h l e c h t h i n den seeversicherungsrechtlichen Normen (Code civil, Art. 1964) oder regeln ihn g e m e i n s a m f ü r die Seeund B i n n e n v e r s i c h e r u n g (so u. a. das p r e u ß i s c h e L a n d r e c h t , dessen zutreffende Bestimmungen indessen in der

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Hauptsache schon seit geraumer Zeit teils durch das .deutsche Handelsgesetzbuch, teils durch preußische Sondererlasse außer Kraft gesetzt worden sind). Diese Ordnung der Dinge hat sich nicht bewährt. Die gegebene PräponderanzdeslängstgefestigtenSeeversicherungsrechtes ließ für eine sachgemäße Berücksichtigung der im Binnenversicherungswesen steckenden Besonderheiten nur ungenügend Raum. -- Eine Reihe anderer Staaten hat die Kodifikation des B i n n e n versicherungsrechtes auf selbständiger Grundlage durchgeführt. So P o r t u g a l , Handelsgesetzbuch, 1834, umgearbeitet 1888; die N i e d e r l a n d e , Handelsgesetzbuch, 1838; B e l g i e n , Gesetz von 1874 (Code de commerce, Buch I, Tit.

X und XI); U n g a r n , Handelsgesetzbuch, 1875; I t a l i e n , Handelsgesetzbuch, 1882; S p a n i e n , Handelsgesetzbuch, 1885; R u m ä n i e n , Handelsgesetzbuch, 1887. Unter den zahlreichen Kodifikationen der amerikanischen Staaten ragt namentlich die binnenversicherungsrechtliche Partie des c h i l e n i s c h e n Handelsgesetzbuches (1867) hervor. Auch das neueste Handelsgesetzbuch J a p a n s von 1898 enthält in den Art. 383--430 binnenversicherungsrechtliche Bestimmungen. -- Die übrigen europäischen Staaten, England, Frankreich, Deutschland, Österreich, die n o r d i s c h e n L ä n d e r und die S c h w e i z , entbehren heute noch der Kodifikation des Binnenversicherungsrechtes. E n g l a n d hat durch Sondererlasse einige die Lebensversicherung beschlagende Fragen geordnet. In d e u t s c h e n G l i e d s t a a t e n , namentlich in P r e u ß e n , finden sich gelegentliche Spezialgesetze über einzelne binnenversicherungsreehtliche Materien, insbesondere über die Feuerversicherung. In Ö s t e r r e i c h hat es bei den im bürgerlichen Gesetzbuche (§§ 1267--1269, 1288--1292) niedergelegten Normen sein Bewenden.

Die nach Maßgabe des Art. 896, O.-R., vorbehaltenen k a n t o n a l e n R e c h t e ordnen den Versicherungsvertrag nur vereinzelt. Eingehendere Bestimmungen finden sich lediglich in den Zivilgesetzbüchern der Kantone Z ü r i c h und S c h a f f h a u s e n . Die übrigen Kantone begnügen sich mit der Feststellung einzelner versicherungsrechtlicher Grundsätze oder beschäftigen sich bloß mit der Frage nach der Stellung des Versicherungsvertrages im Rechtssysteme (aleatorische Verträge ;
Nichtanwendbarkeit des Spielverbotes).

Mehrere Staaten versuchten, das Binnenversicherungsrecht zu kodifizieren. So Ö s t e r r e i c h in Form eines 1870 vom J u s t i z m i n i s t e r i u m ausgearbeiteten ,,Entwurfes zu einem österreichischen Versicherungsgesetzeu und in Form eines vom ,,Fachvereine österreichisch-ungarischer Assekurateurea 1889 vor-

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gelegten, bemerkenswerten Gesetzesvorschlages. Auch für die N i e d e r l a n d e und für S k a n d i n a v i e n liegen Entwürfe zu Versicherungsgesetzen vor, die in wichtigen Punkten einen Fortschritt bedeuten. Nachhaltiger waren die Kodifikationsversuche in D e u t s c h l a n d und in der S c h w e i z . Dort bald auf dem Boden der G l i e d s t a a t e n ( W ü r t t e m b e r g e r Entwurf eines Handelsgesetzbuches, 1839; B a y e r i s c h e r Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, 1861), bald auf dem Boden des R e i c h e s (Nürnberger Konferenz; Dresdener Bundeskomm i s s i o n ; B a h r , Entwurf eines Reichsgesetzes über den Versicherungsvertrag, 1892). Ein umfassender Entwurf zu einem deutschen Reichsgesetze über den Binnenversicherungsvertrag ist unlängst erschienen.

Unsere einheimischen Kodifikationsbestrebungen greifen auf den M u n z i n g er'schen Entwurf eines schweizer i s c h e n H a n d e l s r e c h t e s (1864) zurück. Das dritte Buch ordnet unter den wichtigsten Handelsgeschäften auch den Versicherungsvertrag. M u n z i n g e r legt seiner versicherungsrechtlichen Arbeit zwei große Gesichtspunkte zu Grunde, ,,die Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung (ordre publie)01 und ,,den Schutz des Versicherten11. Die Entwurfsbestimmungen, die so wie so nur die a l l g e m e i n e n G r u n d s ä t z e des B i n n e n v o r s i c h e r u n g s r e c h t e s festzustellen suchen, sind daher zwe ckgemäß beschränkt und in der Hauptsache mit zwingender Kraft ausgerüstet. Die Kritik erhob vor allem den Einwand, daß ,,die öffentliche Ordnung a , an sich schon ein wandelbarer, schwer zu fassender Begriff, als Grundlage zivilrechtlicher Normen nicht tauge. Auch das Postulat ,,des Schutzes des Versicherten" müsse für sich allein, losgelöst von der Eigenart der Versicherung, zu unhaltbaren Rechtssätzen führen.-- Der e r s t e E n t w u r f zu einem s c h w e i z e r i s c h e n O b l i g a t i o n e n r e c h t e nahm in der Hauptsache die versicherungsrechtlichen Bestimmungen des 1864er Handelsrechtsentwurfes wieder auf. Die s p ä t e m E n t w ü r f e dagegen modifizierten in wesentlichen Punkten die versicherungsrechtlichen Bestimmungen. Doch erregten auch diese Vorschläge nach ändern Richtungen hin nicht minder schwere Bedenken, denen namentlich die schweizerischen Versicherungsanstalten
und der schweizerische Juristen verein (1877 ; Jahresversammlung in Zürich) Ausdruck gaben. Infolge der in manchen Punkten wohlbegründeten Kritik sah man davon ab, das private Versicherungsrecht gleichzeitig mit dem Obligationenrechte gesetzlich zu ordnen.

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Die gesetzliche Regelung des Versicherungsrechtes sollte indessen nur verschoben, nicht aufgegeben sein. Schon bei der Beratung des Aufsichtsgesetzes wurde aus der Mitte der ständerätlichen Kommission der Antrag gestellt, einen einschneidenden privatrechtlichen Grundsatz aufzunehmen. (Bundesbl. 1885, I, 564.) Der Anregung wurde jedoch keine Folge gegeben, weil, wie der Bundesrat in seiner Nachtragsbotschaft (Bundesbl. 1. c., 564--573) eingehend darlegte, die privatrechtlichen Beziehungen der im Versicherungs v ertrage engagierten Parteien erschöpfend durch ein späteres Spezialgesetz geordnet werden müssen. Der ständerätliche Kommissionalbericht zum Aufsichtsgesetze weist darauf hin, ,,daß erst aus den Erfahrungen der nunmehr in Wirksamkeit zu setzenden Bundesaufsicht über das Versicherungswesen eine gewisse sichere Wegleitung für die materielle Gesetzgebung selbst zu gewinnen sei". (Bundesbl. 1885, I, 630.) -- Auch im Schöße des schweizerischen Juristenvereins machte sich in der Jahresversammlung von 1885 allgemein die Überzeugunggeltend, daß die Kodifikation des privaten Versicherungsrechtes sobald wie möglich durchzuführen sei. Vergi. Zeitschrift für Schweizerisches Recht, n. F., IV, 582.

Die unmittelbare Anregung zu unserm neuesten Kodifikationsversuche ging denn auch vom schweizerischen Juristenvereine aus.

Der Verband diskutierte in seiner 29. Jahresversammlung (Genf, 1891) ,,die Grundlagen einer e i d g e n ö s s i s c h e n G e s e t z g e b u n g über den L e b e n s V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g " . Der Referent, Dr. R e h f o u s , befürwortete ein Spezialgesetz über den Lebensversicherungsvertrag und formulierte bestimmte Thesen.

Der Korreferent, Regierungsrat L i e n h a r d, stellte die Hauptthese auf, ,,der Lebensversicherungsvertrag sei in Verbindung init dem Versicherungs vertrage überhaupt gesetzlich zu ordnen tt .

Der Juristenverein beschloß, den Bundesrat zu ersuchen, die Kodifikation des Versicherungsrechtes ungesäumt an die Hand zu nehmen. Der Bundesrat trat auf das Begehren ein und überwies die Angelegenheit den eidgenössischen Departementen der Justiz und Polizei und der Industrie und Landwirtschaft. Die beiden Departemente bestellten im Jahre 1893 eine Expertenkommission und beriefen in dieselbe Bundesrichter C o r n a z in Lausanne; G r o ß m a n n , Direktor
der ,,Helvetiaa, in St. Gallen; Professor Dr. E u g e n H u b e r in Bern; Professor Dr. K i n k e lin in Basel; Dr. K u m m e r , Direktor des Versicheruugsamtes, in Bern ; Ständerat L i e n h a r d in Bern ; Advokat Dr.

R e h f o u s in Genf; Dr. H. R o e l l i , Chef der rechtlichen Abtei-

247 lung des Versicherung-Samtes, in Bern ; Dr. Leo W e b e r , Sekretär für Gesetzgebung und Justizwesen, in Bern.

Die Kommission trat am 1. Juli 1893 zu einer ersten Beratung zusammen. Sie diskutierte vor allem die Bedürfnisfrage.

Die Kommission sprach sich, nach dem Vorgange des schweizerischen Juristen Vereins, entschieden dahin aus, daß die Ordnung der Rechtsmaterie ein dringendes Bedürfnis der interessierten Kreise befriedige und die notwendige Ergänzung des Bundesgesetzes betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens bilde. Weitere Fragen, insbesondere die Grundlagen und der Umfang der Arbeit, wurden nicht diskutiert. Man äußerte sich überwiegend dahin, es solle dem Redaktor freie Hand gelassen werden, damit er unter seiner Verantwortlichkeit ein Ganzes aus einem Gusse schaffen könne.

Auf den Antrag der Expertenkommission beauftragte der Bundesrat Professor R o e l l i in Zürich, in seiner damaligen Eigenschaft als juristischer Beamter des eidgenössischen Versicherungsamtes, einen Gesetzesentwurf mit Motiven auszuarbeiten.

Der Entwurf, der den Charakter einer privaten Arbeit an sich trug, wurde mit der Begründung "seiner wichtigsten Partien im Januar 1896, der Rest der Motive im August desselben Jahres, dem Justizdepartemente, zu Händen des Bundesrates, eingereicht.

Das Departement unterbreitete die Vorlage zunächst weitern Kreisen, dem Bundesgerichte, den kantonalen Regierungen und Obergerichten, den schweizerischen Rechtsfakultäten, den inländischen juristischen Zeitschriften, den konzessionierten Versicherungsanstalten und den bekanntesten ausländischen Versicherungszeitschriften. Die Publikation förderte eine große Zahl kritischer Eingaben zu Tage.

Sodann verstärkte das Justizdepartement die Expertenkommission durch Direktor de C é r e n v i l l e in Lausanne ; Professor Favey in Lausanne; Nationalrat Dr. F o r r e r in Winterthur; Direktor Längs do r f in Winterthur (nach dessen Tode wurde Direktor M e i e r in Zürich als Vertreter der Unfallversicherungsbranche berufen); Direktor S t e i n in Basel; Bundesrichter H a n s W e b e r in Lausanne.

Das Justizdepartement ließ sich in den Kommissionsberatungen durch seinen jeweiligen Abteilungscheffür Gesetzgebung und Rechtspflege, Professor von S a l i s und Professor R e i c h e l, vertreten.

Im September 1896 trat die Expertenkommission zu einer zweiten Beratung zusammen. Sie beschloß, auf den Entwurf ein-

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zutreten und die Vorarbeiten unter drei Kommissionen (technische, volkswirtschaftliche und juristische Subkommission) zu verteilen. Die Beratungen begannen im Jahre 1897 und endigten im Jahre 1901. Jede Subkommission diskutierte in eingehender Beratung den ganzen Entwurf. Nachdem die Subkommissionen ihre Arbeiten beendigt hatten, trat die Gesamtkommission, unter dem Vorsitze von Bundesrichter H a n s W e b e r , zu einer Schlußberatung zusammen. Über alle Kommissionsverhandlungen wurden einläßliche, von Zivilgerichtspräsident Dr. O s t e r t a g , in Basel, ausgefertigte Protokolle geführt.

In seiner 37. Jahresversammlung in Freiburg (1899) hörte der schweizerische Juristenverein ein Referat des Entwurfsverfassers über ,,die Vorarbeiten für ein Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag"1 an. Der Verein erklärte in seiner Resolution den Entwurf als geeignete Grundlage für die Kodifikation des privaten Versicherungsrechtes (vergi. Zeitschrift für Schweizerisches Recht, n. F., XVIII, 766).

Unsere Vorlage hält sich in der Hauptsache an die Fassung, in der die Expertenkommission den Gesetzesentwurf definitiv bereinigt und in der Schlußabstimmung vom 1. Oktober 1901 einstimmig angenommen hat.

B. Die allgemeinen Gesichtspunkte der Kodifikationsarbeit.

1. Die Bedürfnisfrage.

Das private Versicherungsrecht bildet einen Bestandteil des Obligationenrechtes. S c h o n d i e a l l g e m e i n e n G r ü n d e , d i e seinerzeit die einheitliche Regelung der wichtigsten Verkehrsgeschäfte des täglichen Lebens f o r d e r t e n , drängen auch zur K o d i f i k a t i o n des Vers i c h e r u n g s r e c h t e s hin. Die Versicherung ist längst über den Rahmen eines Hülfsgeschäftes des Handelsverkehres hinausgewachsen ; sie nimmt im heutigen "Wirtschaftsleben eine durchausselbständige, volkswirtschaftlich bedeutsame Stellung ein. Auf Ende 1900 beträgt beispielsweise der s c h w e i z e r i s c h e Versicherungsbestand d e r u n t e r B u n d e s a u f s i c h t s t e h e n d e n L e b e n s v e r s i c h e r u n g s a n s t a l t e n Fr. 683,524,569. -- an Kapitalversicherungen und Fr. 2,480,581. -- an jährlichen Rentenleistungen. Die p r i v a t e n F e u e r v e r s i c h e r u n g s g e s e l l s e h a f t e n weisen auf dieselbe Zeit einen s c h w e i z e r i s c h e n Versicherungsbestand von netto Fr. 7,847,276,173. -- auf. Die

249 sämtlichen von Bundes wegen konzessionierten Versicherungsanstalten erzielten im Jahre 1900 in der S c h w e i z eine Gesamtprämieneinnahme von Fr. 50,732,886. -- oder Fr. 15. 26 auf den Kopf der Bevölkerung.

Art. 896, O.-R., v e r w e i s t i n d e r H a u p t s a c h e a u f ein l e e r e s B l a t t . Die meisten Kantone entbehren jeglicher versicherungsrechtlichen Kodifikation. Die da und dort geltenden allgemeinen oder besondern Normen des kantonalen privaten Versicherungsrechtes sind teils veraltet, teils ungenügend, teils, vom Standpunkte der heutigen Rechtslage aus, geradezu verkehrt.

Schon 1864 rügte M u n z i n g e r , S. 324 seiner Motive zum Handelsrechtsentwurfe, die vielen ,,nichtssagenden"1 versicherungsrechtlichen Bestimmungen des z ü r c h e r i s c h e n privatrechtlichen Gesetzbuches. Die 1887 durchgeführte Revision des Gesetzbuches schuf nicht Wandel. ,,Es sind11, schreibt S c h n e i d e r in seinem Kommentare zum revidierten P.-G.-B., III. Buch, Abschnitt VII, Versicherungsvertrag, ,,in der Erwartung des in Art. 896, O.-R., vorgesehenen Bundesgesetzes die bisherigen Bestimmungen unverändert gelassen worden.a A b e r a u c h v o l l k o m m e n e r e kantonale Gesetzgebungen v e r m ö c h t e n nicht zu g e n ü g e n . Das Versicherungsgeschäft bedarf, weil es den planmäßigen Großbetrieb fordert (unten S. 260), mehr, wie jedes andere Verkehrsgeschäft, auf ohnehin kleinem Staatsgebiete der einheitlichen Ordnung. Der Kodifikation auf eidgenössischem Boden kommt der derzeitige Stand der kantonalen Gesetzgebung insofern zu statten, als dem bundesgesetzgeberischen Vorgehen aus den Kantonen heraus äußere, im angestammten Rechte wurzelnde Schwierigkeiten nicht erwachsen können.

Die gesetzliche Regelung des Versicherungsr e c h t e s e n t s p r i c h t w e i t e r einem d r i n g e n d e n Bedürfn i s s e der i n t e r e s s i e r t e n K r e i s e . Das Versicherungsgeschäft bedarf schon seiner Besonderheiten wegen, die in der eigenartigen Verbindung technischer und wirtschaftlicher Momente wurzeln, der gesetzlichen Konsolidierung. Wesen und Funktion der Versicherung werden von den Wenigsten erfaßt. Auf das mangelnde Verständnis ist eine Reihe wirklich unbegründeter landläufiger Klagen zurückzuführen. So stößt sich beispielsweise der Unkundige daran, daß der Feuerversicherer
bei einem Totalschaden nicht kurzweg die Versicherungssumme bezahlt, daß der Lebensversicherer bei vorzeitiger Vertragsauflösung nicht die einbezahlten Prämienbeträge unverkürzt restituiert, etc. Nur die g e s e t z l i c h e Feststellung der Rechte und Pflichten der

250 Vertragsparteien vermag hier Wandel zu schafi'eri. Sie erhöht das Zutrauen des Publikums zur Versicherungsinstitution und fördert damit die Entwicklung des Versicherungswesens. Nach diesen beiden Richtungen hin sind der Sicherungsbedürftige, die Versicherungsanstalten und die gemeine Wohlfahrt an der Kodifikation interessiert. Vor allem erwächst aus ihr dem Versicherton psychische und materielle Sicherheit, dem Versicherer mächtige moralische Hülfe. -- W e i t e r ist d e r G e s e t z g e b e r berufen, die zwischen Versicherer und Versichertem gegenwärtig gegebene Rechtslage in dem Sinne zu v e r r ü c k e n , daß er dem Versicherten zu denjenigen Rechten v e r h i l f t , welche aus dem Wesen und der Zweckbestimmung der Versicherung resultieren und die der Berechtigte, unter der H e r r s c h a f t e i n e r s c h r a n k e n l o s e n V e r t r a g s fr e i h e i t , h e u t e v i e l f a c h u n b e s e h e n p r e i s g e b e n m u ß . I m Versicherungsverkehre ist die Vertragsfreiheit in Tat und Wahrheit ,,Freiheit11 nur für den Versicherer. Der Sicherungsbedürftige ist zunächst regelmäßig nicht in der Lage, den Inhalt der meist umfangreichen Versicherungsbedingungen zu durchdringen und deren Sinn und Tragweite zu erfassen, zumal dann nicht, wenn er diese Bedingungen ei'st noch aus den, mit einer Menge organisatorischer Vorschriften beschwerten Statuten und Reglementen des Versicherers herauszusuchen hat. Der Sicherungsbedürftige verzichtet daher, nach allgemeiner Übung, gleich darauf, die Propositionen sich überhaupt näher zu besehen, und begnügt sich mit den Anleitungen und Belehrungen des sachkundigen Geschäftsvermittlers, des Agenten, ' für dessen Handlungen der Versicherer indessen zum voraus jegliche Verantwortlichkeit abzulehnen pflegt.

Aber auch der Sachkundige muß sich, wenn er der notwendigen Sicherung nicht entbehren will, kritiklos alle Bedingungen gefallen lassen. Die Versicherungsgesellschaften sind mit einem faktischen Monopole ausgerüstet; ihrem Drucke vermag sich der Einzelne nicht zu entziehen.

Diesem Stande der Dinge entspricht denn auch im allgemeinen die Ausgestaltung der Versicherungsbedingungen. -- Besondere, im gewöhnlichen Verkehre ungebräuchliche und umständliche, sachlich zwar begründete Verrichtungen (wie z. B. die Beurteilung von Zuständen und Tatsachen),
die je nach der individuellen Auffassung und dem Bildungsstande des Urteilenden zu verschiedenen Schlüssen berechtigen, werden dem Versicherten, ohne ihm irgendwelche orientierende Anleitung zu gewähren, zur peinlichsten Pflicht

251 gemacht und jede Mißachtung dieser vielfach recht dehnbaren Vorschriften kurzer Hand mit dem Verluste aller Anspruchsrechte bedroht. Zu diesen Verrichtungen gehört weiter, neben dem für die Feststellung und Liquidation des Schadens vorgesehenen, gelegentlich recht komplizierten Verfahren, insbesondere die Erfüllung zahlreicher Anzeigepflichten, die i n h a l t l i c h vielfach unbestimmt, hinsichtlich F o r m und Z e i t ihrer Erfüllung dagegen minutiös geordnet sind. Dies gilt namentlich von der Anzeigepflicht über G e f a h r s ä n d e r u n g e n , die während der Dauer der Versicherung eintreten mögen. Was soll der Versicherte beispielsweise mit folgenden Bedingungen anfangen: ,,Si le risque se trouve modifié d'une manière quelconque . . ."· (aus der Unfallbranche) ; ,,wenn im Laufe der Versicherung die Feuergefährlichkeit sich erhöht. . .*·'· (aus der Feuerbranche); ,,jede Veränderung, die während der Dauer der Versicherung in den Verhältnissen, namentlich in der Beschäftigung oder Berufsart des Versicherten eintritt. . ."· (aus der Lebensbranche)? -- T h a t s a c h e ist f e r n e r , d a ß m a n c h e Bedingungen den Versicherten auch materiell ung e b ü h r l i c h b e n a c h t e i l i g e n . -- Zu all dem kommt, daß die Versicherungspraxis das vertraglich normierte Verhalten der Parteien selbst vielfach ignoriert. Hier wird z. B. der Charakter der Prämie als Bringschuld ausgesprochen, ihre Abholung durch den Agenten untersagt und gleichzeitig geduldet. Dort wird die Lokalbfesichtigung oder die Beantwortung des üeklarationsformulares durch den Agenten geduldet oder gar gefördert, aber gleichzeitig der Versicherte des Rechtes beraubt, sich auf die Wahrnehmungen und Belehrungen des Agenten zu berufen.

Gegen die vertragliche Bestimmung, daß die Police nur gegen Bezahlung der ersten Prämie ausgehändigt werden soll, wird tagtäglich verstoßen und der Versicherte im Glauben gelassen, er sei, weil er die Police in Händen habe, versichert. Zu spät entdeckt der Versicherte vielleicht, daß die Versicherung nicht schon mit der Aushändigung der Police, sondern erst mit der Prämienzahlung wirksam wird. --· Daß der Versicherer vielfach ohne Not vom gemeinen Verkehrsrechte abweicht oder daß der ausländische Versicherer, statt sich in ein paar Fragen unseres Rechtes zu vertiefen, sein heimisches
Recht mit sich schleppt, erhöht die Konfusion und Rechtsunsicherheit.

Bedeutsame Resultate hat freilich die Rechtsprechung gezeitigt. Aber die Schranke, die der Grundsatz der Vertragsfreiheit schaff't, entzieht gerade die großen Prinzipienfragen der richterlichen Würdigung und weist ihr meist lediglich Einzel-

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fragen zu. Daß der Richter, angesichts des mißlichen Rechtszustandes, zu verkehrsrechtlich ungewöhnlichen Interpretationsregeln griff und die ,,rigoristische" Auslegung gewisser Versicherungsbedingungen zurückwies, darf ihm kein Einsichtiger verdenken. Doch verträgt sich auf die Dauer diese Praxis mit der Rechtssicherheit nicht.

Endlich ist die Kodifikation mit Rücksicht auf die sichere A u s f ü h r u n g des Aufsichtsgesetzes anz u s t r e b e n . Nach Maßgabe der Art. 2 und 4 des Aufsichtsgesetzes sind dem Bundesrate u. a. die allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen. Die gesetzlich festzulegenden Normen sollen den Maßstab liefern, mit dem die vorlagepflichtigen Materialien zu messen sind. Zur Stunde beschränkt sich die Aufsichtsbehörde darauf, zu prüfen, ob die Versicherungsbedingungen gegen zwingende bundesrechtliche Normen (des Aufsichtsgesetzes, der industriellen Haftpflichtgesetze und des Obligationenrechtes) verstoßen. Diese Prüfungsmethode vermag natürlich die Interessen des Sicherungsbedürftigen nur ungenügend zu wahren.

Die Kodifikation ist nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die intensive Konkurrenz der Versicherungsgesellschaften im Laufe der Zeit manche harte und willkürliche Versicherungsbedingung (namentlich in der Lebensversicherung) beseitigt hat.

Wie oben dargelegt wurde, bleibt hier noch viel zu tun übrig, was verständigerweise nicht der zufälligen und gelegentlich planlosen Arbeit der Konkurrenz überlassen werden darf. Die Übelstände, die daraus entspringen, daß die Beziehungen der Parteien nicht klar und meist -- auch in den best redigierten Verträgen -- nicht erschöpfend geordnet sind, kann nur das Gesetz beseitigen. Daß es gleichzeitig Richter und Anwalt über die grundlegenden Momente eines Rechtsgebildes orientiert, dessen wissenschaftliche Ausbildung mit der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung der Institution nicht Schritt gehalten hat, wird nur von gutem sein.

Über die Bedürfnisfrage hat sich unsere E x p e r t e n k o m m i s s i o n folgendermaßen ausgesprochen.

,,Es wird ferner e i n s t i m m i g zu Händen der Bundesbehörden der dringende Wunsch ausgesprochen, die Gesetzgebung auf Grund des Entwurfes möglichst beförderlich durchzuführen und nicht etwa die Revision des Obligationenrechtes oder das

253 Inkrafttreten der gesamten Zivilgesetzgebung abzuwarten. Die Notwendigkeit einer beförderlichen Kodifikation wird sowohl im Interesse des Publikums, als auch speziell im Hinblick auf die Aufgaben des Versicherungsamtes und die Bedürfnisse der Versicherungsgesellschaften betont. Das Versicherungsamt bedarf einer Grundlage für die Prüfung der Zulässigkeit der allgemeinen Versicherungsbedingungen. Die Versicherungsgesellschaften suchen häufige Veränderungen ihrer allgemeinen Versicherungsbedingungen möglichst zu vermeiden und haben, in Voraussicht der durch die Einführung des Gesetzes notwendig werdenden Revision, einzelne Änderungen, die sie vorzunehmen gedenken, bis zu jener allgemeinen Revision zurückgelegt; sie dringen daher ebenfalls darauf, daß der jetzige Zustand sein Ende nehme.11 2. Die Ausführbarkeit der Kodifikation.

Es ist rückhaltlos zuzugeben, daß der spröde Stoff die Arbeit ungleich erschwert und sorgfältig abgewogene, den wirtschaftlichen und technischen Bedürfnissen entsprechende Dispositionen erheischt.

Dieser Aufgabe ist jedenfalls der schweizerische Gesetzgeber gewachsen. Sind auch die ausländischen Kodifikationen des Binnenversicherungsrechtes im allgemeinen wenig mustergültig, so ragen doch da und dort klare, zweckentsprechende Normen hervor.

Unserm Gesetzgeber stehen zunächst, im Guten wie im Bösen, diese Vorbilder und sodann die Erfahrungen einer beinahe achtzehnjährigen Staatsaufsicht zur Seite. Die Staatsaufsicht verschafft den ausführenden Beamten die Möglichkeit, sich in alle Details des Versicherungsgeschäftes einzuarbeiten. Diese Tatsache garantiert dem Gesetzgeber zuverlässige Vorarbeiten.

Dem Gesetzgeber steht weiter die ergiebige Quelle eines i n t e r n a t i o n a l e n G e w o h n h e i t s r e c h t e s zur Verfügung.

Vor allem aus zahlreichen Verkehrserscheinungen und richterlichen Entscheidungen des Auslandes haben sich Rechtsüberzeugungen herausgeschält, denen der heimische Gesetzgeber sich unbedenklich anschließen darf. -- Auch die für die verschiedenen Versicherungszweige ausgearbeiteten a l l g e m e i n e n V e r s i c h e r u n g s b e d i n g u n g e n bieten ein wertvolles Material, das sorgfältig geprüft und gewürdigt werden muß. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen enthalten die typische Gestaltung des Vertragsinhaltes; sie sind mitunter Zeugnisse bestehenden oder doch werdenden Gewohnheitsrechtes, namentlich da, wo zahlreiche

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Versicherer deren Wortlaut gemeinsam festgestellt haben. Doch darf der Wert, der den allgemeinen Versicherungsbedingungen für die gesetzgeberische Arbeit zukommt, nicht überschätzt werden. In den, für den Binnenversicherungsbetrieb bestimmten allgemeinen Vertragsbedingungen prägen sich vielfach die mit der Versicherung verknüpften wirtschaftlichen Bedürfnisse und die Anschauungen des Versicherungsverkehres nicht rein aus; in ihnen kommt regelmäßig nur die Auffassung des e i n e n Interessenten, des Versicherers, zum Ausdrucke. Die verschiedene soziale Machtstellung der Parteien und die durchweg mangelnde Sachkunde des Sicherungsbedürftigen lassen es erklären, daß in der B i n n e n v e r s i c h e r u n g -- nicht aber in der Seeversicherung, in der gleich gewandte Kaufleute sich gegenüberstehen -- der Versicherte den ihm unbekannten, nicht verständlichen oder nicht leserlichen Bedingungen sich kritiklos zu unterziehen pflegt.

Der Durchführung der Kodifikation steht nicht im Wege, daß die Entwicklung des Versicherungswesens noch nicht völligabgeschlossen sein mag, daß insbesondere die versi eher baren Gefahrsarten möglicherweise noch nicht erschöpft sind. Wer hieraus ein Argument gegen die Kodifikation als solche herzuholen vermag, entzieht der gesetzgeberischen Tätigkeit im Gebiete des Verkehrsrechtes überhaupt den Boden. Sache der Gesetzgebungspolitik ist es, den im Laufe der Zeit veränderten Bedürfnissen nachzugehen und rechtzeitig einzugreifen, so daß die Gesetze das Leben begleiten, nicht ihm nachhinken.

Auch der Einwand, daß die nationale Gesetzgebung den fremden Versicherer bedrohe, ist unbegründet, wenn das Gesetz sachgemäß disponiert, wenn es nur solche Rechte und Pflichten feststellt, die mit den Grundlagen des Versicherungsgeschäftes vereinbar sind und daher von jedem Versicherer im internationalen Betriebe übernommen werden können. Wie nichtig übrigens dieser Einwand tatsächlich ist, geht daraus hervor, daß die internationalen Versicherer über die kunterbunten Rechtszustände, so wie sie heute auf dem Kontinente bestehen, keine Klagen laut werden lassen und emsig immer weitere Gebiete umspannen.

Die einen Staaten haben das Versicherungsrecht mehr oder weniger eingehend kodifiziert. Diese Gesetze differieren vielfach nicht bloß in nebensächlichen, sondern auch in grundlegenden Fragen.
Die anderen Staaten, die der Kodifikation entbehren, unterstellen den Versicherungsvertrag überwiegend dem gemeinen Verkehrsrechte. Auch hier liegt die Möglichkeit, daß eine und dieselbe Rechtsfrage verschieden gewürdigt wird, recht nahe.

255 Diese Ausführungen wenden sich natürlich nicht etwa gegen den Gedanken einer internationalen Verständigung über die für das private Versicherungswesen grundlegenden Rechtsfragen. Gegenteils stehen wir einer derartigen Verständigungsympathisch gegenüber, weil wir überzeugt sind, daß sie nicht nur das Versicherungsrecht, sondern namentlich auch das Versicherungswesen überhaupt mächtig fördern würde.

3. Der Umfang der Kodifikation.

Die Grenzlinien sind gegeben.

a. Die erste Abgrenzung resultiert aus unsern t e r r i t o r i a l e n Verhältnissen. Gegenstand der Kodifikation ist das B i n n e n v e r s i c h e r u n g s r e c h t . Nach s p e z i e l l s e e v e r s i c h e r u n g s r e c h t l i c h e n Vorschriften besteht kein Bedürfnis. Dagegen finden auf den Seeversicherungsvertrag die zutreffenden Bestimmungen des Gesetzes gleichfalls Anwendung.

b. Die zweite Abgrenzung wurzelt im p r i v a t r e c h t l i c h e n G e h a l t e und im Z w e c k e des zu s c h a f f e n d e n Gesetzes.

Gegenstand der Kodifikation ist der Versicherungsvertrag. O.-R., Art. 896. Er untersteht, als Verkehrsgeschäft, den verkehrsrechtlichen Normen, soweit nicht die Besonderheiten der Vertragsart Abweichungen bedingen. Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden und den Charakter des Spezialgesetzes zu markieren, hat die Kodifikation im Anschlüsse an das O.-R. zu erfolgen. (Art. l des Gesetzesentwurfes.)

Damit scheidet aus der Kodifikationsarbeit aus : aa. Die Ordnung derjenigen Rechtsverhältnisse, die aus öffentlichen oderaus staatlich organisierten, mith i n a u f ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e r B a s i s r u h e n d e n Vers i c h e r u n g s a n s t a l t e n r e s u l t i e r e n (kantonale Immobiliarund Mobiliarfeuerversicherungsanstalten, staatlich organisierte Alters-, Witwen- und Waisenkassen, etc.).

Diese Verhältnisse sind, wie der öffentlichrechtlichen Kontrolle des Bundes, so auch seiner privatrechtlichen Regelung entrückt.

Art. 34 und 64 der Bundesverfassung.

66. Weiter scheiden aus, weil das Gesetz an das O.-R. anschließt, d i e b u n d e s g e s e t z l i c h b e r e i t s g e o r d n e t e n v e r t r a g s r e c h t l i c h e n B e z i e h u n g e n , soweit nicht die Eigenart des Vertragstypus besondere Dispositionen erheischt.

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Schwieriger ist die Frage, wie das Gesetz sich gegenüber den g e s e l l s c h a f t s r e c h t l i c h e n Normen des O.-R. zu verhalten habe. In Betracht fallen die Assoziationstypen der Aktiengesellschaft und der Genossenschaft.

Der gegenseitige Versicherungsverein ist bundesrechtlich als Genossenschaft zu konstituieren. In das Aktienrecht und Genossenschaftsrecht hat das Bundesaufsichtsgesetz wichtige Breschen gelegt, namentlich hinsichtlich des finanziellen Gebarens. So wurde von Aufsichts wegen die durch Art. 656, Ziffer l, O.-R., vorgesehene terminierte Amortisation der Organisationskosten abgelehnt, der gleichzeitige Betrieb gewisser Versicherungsbranchen (z. B. der Lebens- und Feuerversicherung) verboten, von Gegenseitigkeitsanstalten die statutarisch geordnete Nachschußpflicht gefordert, etc. Gehört die Ordnung derartiger Fragen in das Gesetz über den Versicherungsvertrag und soll es insbesondere auch die überhaupt unzureichenden genossenschaftsrechtlichen Normen des O.-R., die für die Versicherung vielfach nicht zutreffend sind, ergänzen? Wir glauben nicht. Das gesamte finanzielle und technische Geschäftsgebaren der Versicherungsanstalten beschlägt das Gemeinwohl und unterliegt somit öffentlichrechtlicher Einwirkung; die Kontrolle dieses Gebarens bildet das vornehmste Pensum der Staatsaufsicht. Soweit Reformen von A u f s i c h t s w e g e n notwendig erscheinen, sind sie Sache des ohnehin revisionsbedürftigen Aufsichtsgesetzes. -- Auf Grund dieser Erwägung fällt, nach dem Vorgange ausländischer Gesetzgebungen, insbesondere die Regelung wichtigster Verhältnisse der gegenseitigen Versicherungsanstalt als solcher in das Gebiet des Aufsichtsrechtes. Soweit dagegen die Stellung der Genossenschaft als Versicherer und des einzelnen Genossenschafters a l s V e r s i c h e r t e r i n Frage k o m m t , s o l l u n s e r G e s e t z A n w e n d u n g f i n d e n . Auf diesem Wege werden die praktisch bedeutsamsten privatrechtlichen Beziehungen zwischen der Genossenschaft und ihren Mitgliedern geordnet. Lücken wären nach Maßgabe der Art. 678 fg., O.-R., zu ergänzen. Ein mehreres mag bei einer umfassenden Revision des Genossenschaftsrechtes getan werden.

c. Die dritte und letzte Abgrenzung hat gegenüber d e n j e n i g e n G e b i e t e n d e s P r i v a t r e c h t e s z u erfolgen, d i e nicht
schon heute von Bundes wegen gesetzlich geo r d n e t sind, s o n d e r n z u n ä c h s t n o c h v o m k a n t o n a l e n R e c h t e b e h e r r s c h t w e r d e n . Diese Abgrenzung beruht auf Erwägungen der Zweckmäßigkeit. Es empfiehlt sich nicht, a l l g e m e i n g e l t e n d e p r i v a t r e c . h t l i c h e N o r m e n

257 e i n e m S p e z i a i g e s e t z e e i n z u v e r l e i b e n . Auf Grund dieser Erwägung haben wi* es abgelehnt, die mit der V e r s i c h e r u n g z u g u n s t e n D r i t t e r (Art. 67 fg. des Gesetzesentwurfes) verknüpften a l l g e m e i n e n zivilrechtlichen Fragen (Charakter der Zuwendung, Kollationspflicht, pflichtwidrige Schenkung, Schicksal bei Gütergemeinschaft) im Gesetzesentwurfe zu entsclieiden. Aus demselben Grunde wurde auch die V e r scho 11 e n h e i t s f r â g e , insbesondere die rechtliche Stellung des Versicherers zum verschollenen Versicherten, nicht geordnet und in Art. 52 des Gesetzesentwurfes ein Vorbehalt zu gunsten des kantonalen Rechtes aufgenommen.

d. Der Wirksamkeit des Gesetzes bestimmte Schranken zu ziehen, scheint uns nicht angezeigt. Insbesondere möchten wir der Frage, w i e d a s G e s e t z i n ö r t l i c h e r B e z i e h u n g a n z u w e n d e n sei, in keiner Weise vorgreifen. Es muß der Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen bleiben, die Voraussetzungen festzustellen, unter denen in zweifelhaften Fällen der Versicherungsvertrag unter das Gesetz fällt. Dieser Grundsatz wurde auch bei der Kodifikation des Obligationenrechtes befolgt; er hat sich praktisch bewährt.

Co Der Gesetzesentwurf.

1. Das System.

Der Entwurf zerfällt in vier Teile: Allgemeine Bestimmungen (Art. l---43), besondere Bestimmungen über die Sachversicherung (Art. 44--63), besondere -Bestimmungen über die Personenversicherung (Art. 64--78) und Schlußbestimmungen (Art. 79--83).

Die Aussonderung der Sachversicherung und Personenvorsicherung ist eine äußerliche. Doch sprechen Erwägungen der Zweckmäßigkeit für die vorgeschlagene Einteilung. Nur so ist es möglich, die allen Versicherungsarten gemeinsamen Rechtssätze zusammenzufassen, in einem besondern Titel voranzustellen und damit dem Gesetze Übersichtlichkeit zu verschaffen. Gegen dieses Vorgehen ist so lange nichts einzuwenden, als nicht die Unmöglichkeit gemeinsamer Regelung aller Branchen und damit die Unrichtigkeit vorgeschlagener Normen dargetan sind. Die Terminologie ,,Sachversicherung", ,,Personenversicherunga ist absichtlich gewählt. Sie enthebt den Gesetzgeber der Notwendigkeit, Bundesblatt.

56. Jahrg.

Bd. I.

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den Schulstreit zu schlichten, ob die Lebensversicherung Schadensversicherung sei oder nicht.

* Der Entwurf berücksichtigt die verschiedenen Binnenversicherungszweige gleichmäßig. Die allgemeinen Bestimmungen gelten, soweit ihre Anwendung nicht ausdrücklich beschränkt ist, für alle Versicherungsverträge; ebenso die besondern Bestimmungen über die Sachversicherung für alle Sachversicherungsbranchen.

In der Personenversicherung sind, neben einigen allgemeinen Normen, der wirtschaftlichen Bedeutung der Branchen entsprechend vor allem die für die Lebens- und Unfallversicherung charakteristischen Rechtssätze entwickelt.

2. Die Technik.

Von Definitionen ist bewußt abgesehen. Gesetze sollen nicht deflniercn, namentlich da nicht, wo, wie hier, eine flüssige Rechtsmaterie in Frage steht. Wesentliche begriffliche Merkmale der Versicherung stehen nicht fest. Der Entwurf definiert, wo besondere Gründe dies erheischen, namentlich da, wo Rechtsvoraussetzungen oder Rechtswirkungen begrifflich festzulegen sind. Vergi, Art. 46 und dazu Art. 55, Abs. l, 60, Abs. 2, 62, Abs. l ; Art. 67.

Der Entwurf hat sowohl im allgemeinen Teile, wie in den besondern Abschnitten zunächst die großen Rechtsprinzipien zu erfassen gesucht. Detailliert disponiert er nur da, wo die Eigenart des Vertragstypus und die Besonderheiten der verschiedenen Versicherungszweige Einzelvorschriften fordern oder wo einer unhaltbaren Praxis entgegengetreten werden muß. Überall wurde ein Ausgleich widerstreitender Interessen zu erzielen versucht. Für dieses Vorgehen sprechen triftige Erwägungen. Vor allem muß der Gesetzgeber eine gewisse Reserve beobachten hinsichtlich noch nicht oder doch noch nicht völlig erschlossener Versicherungszweige. Sodann ist mit den grundverschiedenen Anschauungen über die Zweckrichtung der Kodifikation zu rechnen. Schon die Einigung über die allgemeinen Grundsätze hält außerordentlich schwer, da recht viele Versicherer schlechthin jeden die Materie beschlagenden gesetzgeberischen Erlaß als lästige Fessel zu empfinden pflegen. Ein eingehenderes Projekt würde noch größern Schwierigkeiten begegnen. Die Vorlage versucht, wie ihr Inhalt und Umfang zeigen, das Binnenversicherungsreeht in umfassender Weise zu kodifizieren. Der Entwurf bedeutet für uns immerhin

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nur die erste Etappe ; er räumt dem versicherungsbedürftigeri Volke diejenigen Konzessionen ein, die dermalen billigerweise gefordert werden dürfen.

3. Die leitenden Gesichtspunkte.

a. Das G e s e t z ist z u n ä c h s t auf den G r u n d l a g e n des V e r s i c h e r u n g s w e s e n s a u f z u b a u e n . -- Die Grundlagen sind t e c h n i s c h e r und w i r t s c h a f t l i c h e r Natur; sie beschlagen die Gefahr-(das Risiko) und die S i c h e r u n g des E r s a t z w e r t e s (die Versicherungsleistung). Diese beiden Elemente verleihen in ihrer Verbindung dem Versicherungswesen sein charakteristisches Gepräge und garantieren den Versicherungszweck : die rationelle Verteilung der Schäden auf eine g r o ß e A n z a h l g l e i c h a r t i g b e d r o h t e r Personen. -- D a s w i r t s c h a f t l i c h e Element liegt in der umfassenden Gefahrsgemeinschaft, welche die Möglichkeit bietet, die Schäden auf eine so große Anzahl gleichartig bedrohter Personen zu repartieren, daß das vom Einzelnen geforderte Opfer innerhalb der Grenze der Leistungsfähigkeit des Sicherungsbedürftigen bleibt. -- Doch hätte die Versicherung lediglich dadurch, daß sie zahlreiche Gefahrsgenossen zu einer Gefahrsgemeinschaft zusammenfaßte, keine namhaften Erfolge erzielt. Den Assoziationsgedanken teilt sie mit vielen ändern Gebilden des wirtschaftlichen Lebens. Was die Versicherung als eigenartige Pürsorgeeiurichtung charakterisiert und von ändern ähnlichen Institutionen scharf abgrenzt, ist ihre T e c h n i k , die Art und Weise, wie die Versicherung ihr Verteilungsamt unter den G efahrsgenossen ausübt, wie sie Leistung und Gegenleistung verteilt. Die Versicherungstechnik gipfelt in jener genialen Einrichtung, die mit Hülfe der Statistik und der Wahrscheinlichkeitsrechnung eine eben so sichere wie rationelle Schädenverteilung ermöglicht. Die technischen Grundlagen sind das Produkt wissenschaftlicher Arbeiten, das rechnerische Resultat statistischer Massenbeobachtungen über die Häufigkeit und die Art und Weise des Eintreffens bestimmter Ereignisse. Die Mortalitätsstatistik z. B. gibt an, in welcher Weise sich das Absterben einer Anzahl beobachteter Personen gleichen Alters vollzogen hat; die Unfallsstatistik zeigt, wie viele der beobachteten Individuen von Unfällen getroffen worden sind und in welchem Grade
(Tod, dauernde oder vorübergehende, gänzliche oder teilweise Erwerbsunfähigkeit).

Ähnliche statistische Erhebungen liegen den übrigen Versicherungsbranchen zu Grunde. Die statistischen Beobachtungsresultate sind

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mithin Erfahrungen. Sie verschaffen dein Versicherer nicht dio Gewißheit, sondern nur die je nach der gewählten strengeren oder laxeren Reobachtungsmethode höhere oder geringere Wahrscheinlichkeit, daß die Ereignisse auch künftighin in ähnlicher Weise in Erscheinung treten werden. Der Eintritt des befürchteten Ereignisses ist für den e i n z e l n e n Bedrohten, allerdings stets ein unberechenbarer Zufall. Aber die Erfahrung lehrt, daß bei einer großen Anzahl gleichartig bedrohter Personen (Risiken) das Verhältnis der Geschädigten zu den Gefährdeten nur innerhalb enger Grenzen zu schwanken pflegt und daß auf die möglichen Abweichungen das Gesetz der großen Zahlen angewendet werden darf. Nach diesem Gesetz sind die Schwankungen relativ um so geringer, je größer die Zahl der versicherten Risiken ist. D a m i t ist praktisch die Notwendigkeit des G r o ß b e t r i e b e s des V e r s i c h e r u n g s g e w e r b e s g e g e b e n . Die Anwendbarkeit des Gesetzes der großen Zahlen setzt voraus, daß die einzelnen Risiken von einander und von jeder dritten gemeinsamen Schadensursache unabhängig sind. Diese Voraussetzung kann nur mit Hülfe besonderer Maßnahmen des Geschäftsbetriebes (Vermeidung der zu Massenunfällen geneigten Risikenhäufung) erfüllt werden.

H i e r a u s e r g i e b t sich die N o t w e n d i g k e i t , daß das Ver sicher u n gsg eschäft r a t i o n e l l b e t r i e b e n w e r d e n muß ( p l a n m ä ß i g e r Großbetrieb). Nur unter dieser Voraussetzung ist der Versicherer .in der Lage, mit Hülfe der technischen Grundlagen sich eine zutreffende Erwartung über die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes des befürchteten Ereignisses zu bilden und die Nettoprämie, das rechnungsmäßige Äquivalent des Risiko, mit annähernder Sicherheit zu bestimmen. .Die Versicherungstechnik ermöglicht mithin dem planmäßigen Großbetriebe die korrekte Risikenwertung und die erforderliche Prämienberechnung.

Aus diesen Darlegungen folgt sofort, daß das Versicherungsgeschäft nicht, wie regelmäßig die Industriezweige unseres wirtschaftlichen Lebens, in beliebiger Weise betrieben werden kann ; e s s e t z t vielmehr bestimmte, vom individuellen Ermessen u n a b h ä n g i g e E i n r i c h t u n g e n , d i e s o g e n a n n t e n techn i s c h e n G r u n d l a g e n , n o t w e n d i g voraus. Diese G r u n d lagen
sind die u n e n t b e h r l i c h e , meist gesetzlich g e f o r d e r t e und k o n t r o l l i e r t e Basis des Versicher u n g s g e s c h ä f t e s . (Vgl. Aufsichtsgesetz, Art. 2, 5 und 6J Kraft ihrer Funktion kommen die technischen Grundlagen bei der Regelung einer Reihe wichtiger Rechtsfragen wirksam zur

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Geltung. Einmal insoweit, als auf ihnen die Berechnungen des Versicherers über den Urnlang der Gefahr und über das erforderliche Äquivalent (Risikoprämie) beruhen. Diese Berechnungen sind, weil technisch festgelegt und. dem Belieben des Versicherers entzogen, nicht einseitig geschäftliche, sondern bilden die feststehende, auch dem Versicherungsnehmer gegenüber verbindliche Basis für eine Reihe von Maßnahmen (wie hinsichtlich Anzeigepflicht, Gefahrsänderungen, Reservebestellung, Rückkauf, Umwandlung, etc.), die für die Gestaltung des Vertragsverhältnisses bedeutungsvoll sind. Die technischen Grundlagen fordern, wie dargelegt wurde, weiter den rationellen Geschäftsbetrieb. Die Notwendigkeit des planmäßigen Großbetriebes zwingt den Versicherer, von den Satzungen des gemeinen Verkehrsrechtes da abzugehen, wo die Bedürfnisse des Großbetriebes besondere Vorschriften erheischen.

M u ß h i e r n a c h z u g e g e b e n w e r d e n , d a ß das t e c h n i s c h e E l e m e n t im V e r s i e h e r u n g s g e s c h a f t e zur G e l t u n g z u k o m m e n h a t , s o i s t k o n s e q u e n t e r w e i se die Durchführung der durch die technischen Grundlagen b e d i n g t en Vor k e h r e n r e c h t l i c h zu s i c h e r n .

In diesem Sinne erledigt der Gesetzesentwurf vorerst die wichtigen Fragen über L e i s t u n g und G e g e n l e i s t u n g .

Art. 18 - 22, 24, 25, 26, 35, 36, 40, 48, 60,66 und 74-- 78. Weiter gehören hierher die a u s der versicherungstechnischen B e h a n d l u n g u n d W e r t u n g d e s R i s i k o (Gefahr) r e s u l t i e r e n d e n Rechtssätze. Art. o, 6, 8, 11,28, 29 und 32.

Von fundamentaler Bedeutung ist die F r a g e n a c h d e m U m f a n g e der Versicherungsgefahr Der Gesetzesentwurf ordnet diese Frage durch Art. 32. Der Rechtssatz ist später zu begründen.

b. Eine Reihe weiterer Normen resultiert aus der e i g e n artigen Z w e c k b e s t i m m u n g der V e r s i c h e r u n g überh a u p t (Art. 15) und aus der b e s o n d e r n Z w e c k b e s t i m m u n g der S a c h v e r s i c h e r u n g (Art. 44, 46, 49, 50, 51, 53, 56 und 63) und der P e r s o n en V e r s i c h e r u n g (Art. 64, 65, 71, 72 und 73}.

c. Der Entwurf beachtet die R ü c k s i c h t e n auf ö f f e n t l i c h e I n t e r e s s e n (gemeine Wohlfahrt; Treue und Glauben), soweit dies
Sache eines Zivilgesetzes sein kann. Art. 8, 11, 14, 44, Absatz 2, 47, 54, 55, 62, 64, Absatz 1.

d. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Entwurf den Bedürfnissen des wirtschaftlichen Lebens, soweit

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sie ihre Befriedigung in der Versicherung suchen m ü s s e n . Art. 2, 3, 4, 12, 13, 16, 17, 33, 34, 44, 62, 67--70.

e. Bedeutungsvoll ist Art. 80 des Gesetzesentwurfes. Er stellt d i e z w i n g e n d e n B e s t i m m u n g e n z u s a m m e n u n d zwar im ersten A b s ä t z e die s c h l e c h t h i n z w i n g e n d e n N o r m e n und im zweiten Absätze diejenigen Vorschriften, die nicht zu ungunsten des Versicherungsnehmers oder F o r d e r u n g s b e r e c h t i g t e n a b g e ä n d e r t w e r d e n k ö n n e n . . Die Beschränkung der Vertragsfreiheit ist, wie sich aus früheren Darlegungen ergiebt, überall da notwendig, wo nicht, wie bei der Seeversicherung und Rückversicherung, entweder wirtschaftlich gleich starke oder doch geschäftsgewandte Parteien einander gegenüber stehen. Sie wird von allen unbefangenen Sachkundigen gefordert. Die Vertragsl'reiheit ist namentlich da zu durchbrechen, wo der Gesetzgeber der herrschenden Versicherungspraxis entgegentreten muß. Andernfalls bleibt der gesetzgeberische Wille toter Buchstabe. Unser Vorgehen ist nicht unerhört. ,,Wirtschaftliche Anstalten, die einen stark monopolisierenden Charakter haben (wie z. B. die Eisenbahnen) oder die zur Kartellbildung hinneigen, wie zahlreiche Gewerbe mit beschränkter Konkurrenz, besonders wenn sie zugleich von großer sozialer Bedeutung sind, die Masse des Volkes also ihre Benutzung nicht umgehen kann, haben sich in alter und neuer Zeit solche Einschränkungen gefallen lassen müssen. Die schrankenlose Vertragsfreiheit kann -- gleich mancher ändern Freiheit -- in ihr Gegenteil umschlagen, nämlich zur Knechtung des Kleinen durch den Großen führen ; sie tut dies da, wo der sozial Schwächere sich auf den Vertragsabschluß mit dem sozial Stärkeren notwendig angewiesen sieht und wo zugleich der Segen der Konkurrenz durch Kartellbildungen ausgeschlossen wird. Hier ist die ,,Freiheit" in Wahrheit nur für den Stärkern da; sie führt zur Unterdrückung des schwächern Interessenten, dem die ,,Vertragsbedingungen" einfach aufgenötigt werden. Nicht ein ,,sich vertragen" -- wie das Wort besagt -- sondern ein ,,vorschreiben" und ,,befolgen" ist das Wesen dieser sogenannten Vertragsfreiheit. Der Gegensatz zwischen scheinbarer Freiheit und wirklichem Zwange durchzieht die positive Gestaltung fast des gesamten Binnenversicherungsrechtes,
wie es in den Versicherungsbedingungen seinen Ausdruck findet. Selbst die Bildung zahlreicher Gegenseitigkeitsgesellschaften hat ihn nicht auszugleichen vermocht. Es w i r d d a h e r d i e w i c h t i g e A u f g a b e d e r G e s e t z g e b u n g sein, d u r c h eine m a ß v o l l e A u f s tel-

263 iung absoluter Rechtssätze den Versicherten zu schützen und damit zugleich den Versicherungsgesellschaften selbst den besten Dienst zu erweise n.^ ( E h r e n b e r g , Versicherungsrecht I, S. 82 und 83.) -- .,,Der Gesetzgeber muß Sonne und Wind gleich verteilen ; w o es n o t w e n d i g ist, muß er d u r c h z w i n g e n d e R e c h t s sätze dem Schwachen Schutz gewähren; er kann aber nicht seine Aufgabe dem Billigkeitsgefühl ·oder d e n K o n k u r r e n z r ü c k s i c h t e n e i n e s V e r t r a g s t e i l e s ü b e r l a s s e n . " · (Minister S t e i n b a c h , in Ehrenzweigs Assekuranz-Jahrbuch, 1885, S. 258.) -- Nicht minder entschieden forderte in der 1885er Jahresversammlung des schweizerischen Juristen Vereins Bundesrichter H a n s W e b e r zwingende Rechtsvorschriften. (Vergi. Zeitschrift für Schweizerisches Recht, n. F., IV, 585.)

Die Frage, ob der Entwurf in der Setzung zwingenden Rechtes Maß und Ziel halte, haben die Expertenkommission und die wissenschaftliche Kritik bejaht. ,,Besonders durch die Aufstellung einer großen' Anzahl z w i n g e n d e r Normen hat der Entwurf den Weg gewiesen, den jede Gesetzgebung auf dem Gebiete des Versicherungswesens zu beschreiten hat, wenn sie wirklich den Versicherten einen ausreichenden Schutz gewähren will" ( E h r e n b e r g , Kritische Besprechung des Entwurfes, S. 7). Die besondern Gründe, aus denen einzelne Rechtssätze mit zwingender Kraft ausgerüstet werden, sind bei der Motivierung der Entwurfsbestimmungen darzulegen.

D. Die Begründung der Entwurfsbestimmungen.

I. Die allgemeinen Bestimmungen. Art. l--43 und Art. 79--83.

1. Verschiedene Vorschriften.

·a. Der Charakter des Gesetzes ; sein Verhältnis gum Obligationenrechte.

Art. 1.

Das G-esetz ist ein Spezialgesetz, aber kein erschöpfendes.

Die zutreffenden allgemeinen und besondern Bestimmungen des O.-R. sollen, soweit das Spezialgesetz nicht anders verfügt, auch für den Versicherungsvertrag gelten. Demgemäß sind vor allem die allgemeinen verkehrsrechtlichen Fragen (O.-R., Art. l--28, Art. 77--198) nicht besonders zu ordnen. Im Hinblicke auf die Bestimmungen der Art. 110 fg., O.-R., verzichtet das Spezialgesetz

264 auch darauf, die Folgen der Nichterfüllung gesetzlicher Verbindlichkeiten (vergi, namentlich Art. 47, Absatz l, Art. 58, Absatz l, und Art. 62, Absatz 3) festzustellen. -- Der enge Zusammenhang, in dem das Gesetz zum O.-R. steht, erscheint äußerlich dadurch markiert, daß der Entwurf der Verweisung auf das O.-R. die erste Stelle einräumt. -- Die Direktive, daß das Spezialgesetz durch das O.-R. zu ergänzen ist, scheint geboten. Die Anwendungallgemein verkehrsrechtlicher Grundsätze versteht sich, einem Spezialgesetze gegenüber, zunächst nicht von selbst, wie insbesondere die Rechtsprechung im Gebiete des industriellen Haftpflichtrechtes lehrt. Der Richter soll aber, soweit dies mit dem Versicherungsrechte vereinbar ist, auf das gemeine Verkehrsrecht zurückgreifen.

Der Entwurf hat es abgelehnt, die Gültigkeit des Versicherungsvertrages von der Beobachtung der schriftlichen Form abhängig zu machen. Das moderne Rechtsleben ist Formalgeschäften abhold. Sie beengen die Parteien und schaffen die Gefahr, daß ernstgemeinten Willenserklärungen wegen Formwidrigkeit die Rechtskraft versagt wird. Der Charakter des Formalvertrages müßte zudem die Auslegung des Vertragsinhaltes nachteilig beeinflussen. Der Richter hätte vor allem am geschriebenen Worte zu haften. -- Zwingende Gründe, die schriftliche Form gesetzlich zu sanktionieren, bestehen nicht. Gegenteils fordert gerade die Sicherheit des Versicherungsverkehres, der mit häutigen Vertragsmodifikationen rechnen muß, Formfreiheit. Die unnatürlichen Fiktionen, zu denen manche Gesetze, u. a. U n g a r n , H. G. B., § 468, Z ü r c h e r G. B., § 497, greifen mußten, illustrieren dies treffend. Es kann aber auch nicht Sache des Spezialgesetzes sein, die schriftliche Vertragsform etwa deshalb vorzuschreiben, um der Verschiedenheit kantonalrechtlicher Beweisgrundsätze zu begegnen. -- Entscheidend ist die Erwägung, daß es den Parteien unbenommen bleibt, von den Bestimmungen des O.-R. abzugehen, sei es, daß sie nach Art. 14, O.-R., für die Vertragsvollendung geradezu die schriftliche Form vorbehalten, sei es, daß verabredet wird, der Versicherer erkläre die rechtsverbindliche Annahme des Antrages durch Ausstellung der Police (O.-R., Art. 14, Abs. 2).

Vergleiche dazu Art. 12 des Entwurfes und Motive.

b. Das Verhältnis des neuen Rechtes zum alten Hechte. Art. 81.
Die zeitlichen Kollisionen sind auf Grund der sinngemäß anzuwendenden gemeinrechtlichen Vorschriften, Art. 882 und 883, O.-R., zu erledigen. Art. 81, Abs. 2, faßt Verträge ins Auge,

265 die nicht auf b e s t i m m t e Zeit abgeschlossen sind, sondern nur b e i H i n z u t r e t e n v e r t r a g s m ä ß i g e r K ü n d i g u n g aufgelöst wei'den. Dieser Art sind, von der Lebensversicherung abgesehen, die meisten Versicherungsverträge. Sie müßten an Hand der in Art. 882, O.-R., ausgesprochenen Norm grundsätzlich nach dem alten Rechte beurteilt werden. -- Für die Frage der Gesetzesrückwirkung sind, unseres Erachtens, hauptsächlich Erwägungen der Zweckmäßigkeit maßgebend. Mit Rücksicht auf die Sicherheit des Versicherungsverkehres sind die alten Verträge dem neuen Rechte tunlichst bald anzupassen. Diesen Zweck erreicht die Entwurfsbestimmung, ohne berechtigte Sonderinteressen zu verletzen.

c. Die NicManwendbarlteit des Gesetzes auf die sogenannten Versicherungsvereine. Art. 79.

Die technischen Grundlagen verleihen, wie früher dargelegt wurde, dem Versicherungswesen sein charakteristisches Gepräge.

Sie beeinflussen in wichtigsten Punkten die Ausgestaltung des Versicherungsrechtes. Oben, S. 261. -- Zahlreichen kleinern Verbänden (Sterbekassen, Unterstützungskassen, etc.) ist nun e i n e der V e r s i c h e r u n g ä h n l i c h e ö k o n o m i s c h e Z w e c k r i c h t u u g -- Sicherung unserer wirtschaftlichen Existenz -- eigen.

Diese sogenannten Versicherungsvereine entbehren jedoch aller Technik und Erfahrungen ; sie begnügen sich damit, die Schäden p l a n l o s unter die Verbandsmitglieder zu repartieren. Die Tätigkeit dieser Verbände hat daher mit der Versicherung; nichts zu o schaffen. Die von derartigen Vereinen ausgehenden Verträge können nicht unter das Versicherungsgesetz fallen. Tatsächlich wären gerade die wichtigsten, auf die Versicherungstochnik gegründeten Bestimmungen auf sie nicht anwendbar. Um jeden Zweifel zu beseitigen, erscheint eine ausdrückliche Disposition als* geboten. -- Über die wirtschaftliche Daseinsberechtigung der Versicherungsvereine hat nicht das Gesetz über das private Versicherungsrecht zu entscheiden. Dies ist vielmehr Sache des Aufsichtsgesetzes (Art. l, Abs. 2).

d. Die Mitteilungen der Parteien; Meldestelle.

Art. 41.

Dem Versicherten oder sonstigen Forderungsberechtigten, z. B. den Hinterlassenen, wird, meist bei Vermeidung schwerster Rechtsfolgen (Verwirkung des Versicherungsanspruches), die p r o m p t e und g e h ö r i g e n O r t e s zu erstattende Anzeige ver-

266 schiedener Umstände (Gefahrsänderungen, Eintritt des befürchteten Ereignisses, etc.) zur Pflicht gemacht. Vielfach verfügen die Versicherungsbedingungen, daß diese oder jene Anzeige bald dem A g e n t e n , bald unmittelbar der A n s t a l t s d i r e k t i o n oder gar dem Agenten u n d der Direktion gleichzeitig zu erstatten ist.

Derartige Vorschriften verwirren namentlich dann, wenn die Meldung an einen a u s l ä n d i s c h e n Direktionssitz gefordert wird. Der Interessent, der seine Rechte meist innert kürzester Frist zu wahren hat, ist gefährdet. Man darf daher mit Fug und Recht mindestens e i n e dem Versicherten bekanntgegebene, inl ä n d i s c h e Meldestelle verlangen. Art. 41, Abs. 2. Die Vorschrift ist zwingender Natur. Art. 80, Abs. 2.

Art. 41, Abs. l, beseitigt die praktischen Schwierigkeiten der dem Versicherer obliegenden Meldepflichten.

e. Die Fristversäumnisse.

Art. 42.

Die Versicherungspraxis bedroht die Versäumung der durchweg kurzen Fristen vielfach mit den schwersten Nachteilen, gleichgültig, ob die Säumnis entschuldbar ist oder nicht. In diese Praxis hat die Rechtsprechung eine Bresche gelegt, indem sie der schuldlosen Säumnis gegenüber die angedrohte Rechtswirkung ablehnt. Dieser Auffassung schließt sich der Entwurf an. Art. 42, der zu ungunsten des Versicherten nicht abgeändert werden darf (Art. 80, Abs. 2), stellt fest, daß der Berechtigte die schuldlos versäumte Handlung nach Beseitigung des Hindernisses o h n e V e r z u g , also nicht etwa binnen der ursprünglich vorgesehenen Frist, nachholen kann.

f. Die Anspruclisbegründung und die Fälligkeit des Ver Sicherung sanspruches. Art. 38 und 39.

Die Anspruchsbegründung (Art. 38) ist eine Besonderheit des Versicherungsgeschäftes. Die bloße Schadensanzeige kann dem Versicherer regelmäßig nicht genügen. Es müssen ihm vielmehr diejenigen Tatsachen zur Kenntnis gebracht werden, die ihn von der Auslösung seiner Ersatzpflicht nach vernünftigem Ermessen überzeugen können. Die Anspruchsbegründung ist somit nicht etwa prozessuale Beweisführung, sondern formale Voraussetzung der Ersatzpflicht des Versicherers. -- Der Versicherer präzisiert den Inhalt der Anspruchsbegründung regel-

267

mäßig in der Police (Aufführung der beizubringenden Belege oder Ausweise, etc.)- Der Gesetzgeber kann nur das Prinzip sanktionieren ; die Details muß er, innerhalb sachlich gegebener Grenzen, der vertraglichen Ordnung überlassen. -- Art. 38, Ziffer l, geht von der Erwägung aus, daß der Versicherer ein wichtiges Interesse daran hat, die anspruchsbegriindenden Tatsachen tunlichst bald kennen zu lernen, um möglichen Verschleierungen zu begegnen. Unbillige Härten verhindert Art. 42 des Entwurfes.

Andererseits fordert die gebotene Rücksichtnahme auf den Versicherungsnehmer, daß ihm die Anspruchsbegründung nicht über ·Gebühr erschwert wird. Diesen Zweck erreichen die Bestimmungen des Art. 38, Ziffer 2 und Absatz 3. Der Forderungsberechtigte kann nur verhalten werden, solche Belege, d e r e n Beschaffung ihm ohne erhebliche Kosten möglich ist, beizubringen und über b e s t i m m t e , ihm b e k a n n t e Tatsachen Auskunft zu erteilen. --- Art. 38, Abs. 4, gewährt dem Versicherer einen wirksamen Schutz gegen den bösgläubigen Forderungsberechtigten. Der Versicherer muli sich in der Hauptsache auf die Redlichkeit des Forderungsberechtigten verlassen können. Der Entwurf beachtet lediglich das a r g l i s t i g e Verhalten, das sich der Forderungsberechtigte bei der A n s p r u c h s b e g r ü n d u n g z u m Zwecke u n g e r e c h t f e r t i g t e r B e r e i c h e r u n g zu schulden kommen läßt. Der Vertrag wird nur g e g e n ü b e r dem f e h l b a r en F o r d e r u n g s b e r e c h t i g t e n unwirksam. Diese Fassung hat für alle kollektiven Personenversicherungsverträge, insbesondere für die Arbeiterunfallversicherung, wo der Vertrag mehrere Forderungsberechtigte kennt, praktische Bedeutung. -- Tritt der Versicherer vom Vertrage zurück, so hat er auf die vereinbarte Prämie nach Maßgabe des Art. 26 des Entwurfes Anspruch. Weitergehende Rechte kann er sich auf Grund des Art. 27 wahren.

Dem Versicherer muß zum Zwecke der Prüfung der Anspruchsbegründung eine angemessene Deliberationsfrist eingeräumt werden. Erst nach Ablauf dieser Frist wird der Versicherungs.anspruch f ä l l i g . Art. 39, Abs. 1. Die Frist läuft von der Einreichung der g e h ö r i g s u b s t a n t i i e r t e n Anspruchsbegründung an. Ist die Begründung ungenügend, so wird der Anspruch nicht fällig. Behauptet der Versicherer mit
U n r e c h t .einen Mangel der Anspruchsbegründung, so kann er gleichwohl in Verzug gesetzt werden. Die Liquidität der Forderung ist gemeinrechtlich nicht Voraussetzung des Verzuges. Der Verfallstag beruht auf Gesetz. Der Verzug tritt daher erst auf Mahnung

268

hin ein. Art. 117, O.-R. Über die Verzugsfolgen siehe Art. 119 fg., O.-R.

Art. 39, Abs. 2, richtet sich gegen bestimmte odiöse Vertragsklauseln, die in augenscheinlich unbilliger Weise die Rechte des Versicherten beschneiden.

g. Die Verjährung. Art. 43.

Art. 43, Abs. l, unterwirft alle Ansprüche aus dem Versicherungsverträge einer Verjährungsfrist von zwei Jahren. Die kurze Frist entspricht vor allem einem dringenden, von der Gesetzgebung und Wissenschaft allgemein anerkannten Bedürfnisse des Geschäftsbetriebes. Der Versicherer muß sich nach Ablauf kurz bemessener Zeiträume über den Stand seines Vermögens Klarheit verschaffen können. Weiter ist zu betonen, daß nur eine prompte Liquidation der Gefahr einer Verschleierung des Tatbestandes wirksam zu begegnen vermag. -- Die Verjährung beginnt mit der Fälligkeit des Versicherungsanspruches. Art. 149, O.-R. Freilich steht dieser Zeitpunkt nicht ein für allemal fest, da die Fälligkeit des E r s a t z a n s p r u c h e s an besondere, in Art. 39, Abs. l, präzisierte Voraussetzungen geknüpft ist. Doch kaiin der Versicherer die Anspruchsbegründung binnen angemessener Frist fordern und insoweit das Forderungsrecht des Versicherten einer zeitlich kürzern Beschränkung unterwerfen. Art. 38, Ziffer l, und Art. 43, Abs. 2.

Da die vorgeschlagene Regelung der Verjährung den Bedürfnissen des Versicherungsverkehres ausreichend Rechnung trägt, so sind die üblichen Versicherungsbedingungen, die das Recht des Versicherungsnehmers zeitlich kürzer beschränken (,,Alle Ansprüche aus der Versicherung fallen mit dem Ablaufe von vier Monaten, vom Unfallstage an gerechnet, dahin''1, etc.), zurückzuweisen. Art. 43, Abs. 2. Derartige Klauseln stellen, nach der neuern Wissenschaft und Rechtsprechung, keine vom Gesetze (Art. 148, O.-R.) abweichende Verjährungsfrist fest, sondern beschränken das Forderungsrecht selbst in zeitlicher Beziehung.

Die Bestimmung des Art. 43, Abs. 2, ist hiernach nicht überflüssig.

2. Die Antragsverhältnisse. Art. 2, 3 und 4.

a. Der Versicherungsantrag überhaupt. Art. 2.

Der Versicherungsvertrag wird regelmäßig unter Abwesenden abgeschlossen. Verkehrsrechtlich bleibt der Antragsteller an den Antrag bis zu dem Zeitpunkte gebunden, in dem er den

269

Eingang der Antwort bei ordnungsmäßiger Geschäftsbehandlung erwarten darf. Art. 5, O.-R. -- Diese Norm ist für den Sichei'ungsbedürftigen, der regelmäßig' Antragsteller ist, nicht haltbar.

Sie entzieht ihm, dem durchgehends jede Kenntnis vom Geschäftsgänge in Versicherungssachen abgeht, die Möglichkeit, zu ermessen, wann die Antwort des Versicherers eintreffen soll. Für die Beurteilung der Frage, welche Frist der ordnungsmäßige Geschäftsgang erfordere, kann, wenigstens im Versicherungsverkehre, ein objektiver Maßstab nicht bestehen. Je nach der organisatorischen Gestaltung und dem Geschäftsapparate der Anstalt wird die Absendung der Antwort bei dem einen Versicherer als rechtzeitige erscheinen, bei dem ändern nicht. -- Da das bef ü r c h t e t e E r e i g n i s a b e r j e d e n A u g e n b l i c k eintreten k a n n , m u ß der Antragsteller ü b e r das Schicksal' seiner Offerte möglichst bald u n t e r r i c h t e t w e r d e n . Diesen Zweck erreicht die zwingende Vorschrift des Art. 2. Sie b e s e i t i g t die Ü b e l s t ä n d e der bisherigen Praxis, die den Antragsteller durch besondere Klauseln vielfach außerordentlich lange zu b i n d e n und h i n z u h a l t e n p f l e g t . Da der Versicherer den Antrag unter allen Umständen eingehend zu prüfen hat, wird zwischen Antragstellung an Abwesende und Anwesende nicht unterschieden. --- Die vorgesehenen Fristen sind angemessen.

Sie sind, bei vorbehaltloser Antragstellung, gesetzliche Annahmefristen. Mit ihrem Ablaufe verliert der Antrag ohne weiteres seine rechtsverbindliche Kraft. (Art. 2, Abs. 3.)

b. Die besonderen Antragsverhältnisse.

Art. 3.

Der Versicherungsvertrag wird regelmäßig für längere Zeit abgeschlossen. Während seiner Dauer treten vielfach Verhältnisse ein, die, wie z. B. die Änderung der Wirtschaftsführung, der Lebensverhältnisse, etc., den Vertragsvoraussetzungen widerstreiten.

Der Versicherer ist durch Klauseln, die ihn der Haftung überhaupt oder für die Dauer des vertragswidrigen Zustandes entbinden, hinlänglich geschützt. Der Versicherte dagegen befindet sich in einem Zustande wirtschaftlicher Unsicherheit, an dessen schleuniger Beseitigung ihm ' gelegen sein muß. Er wendet sich an den Versicherer und vertraut, auch wenn eine Antwort ausbleibt, darauf, daß er versichert sei. Die Rechtsprechung lehrt nun aber, daß der Versicherer gerade in derartigen Fällen sein Schweigen nicht als Zustimmung ausgelegt wissen will. Art. 5, Abs. 3,

270 0.-R., faßt die von Art. 3 des Entwurfes beachteten Fälle nicht ins Auge. -- Es ist daher geboten, für die praktisch häutigsten und wichtigsten Fälle durch einen besonderen Rechtssatz Klarheit /u schaffen.

Art. 3, Abs. l, zwingt den Versicherer, einen auf V e r l ä n g e r u n g , A b ä n d e r u n g oder a u f W i e d e r i n k r a f t s e t z u n g des V e r t r a g e s gerichteten Antrag zu b e a n t w o r t e n . Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen die Forderung, daß der geschäftsgewandte Vertragsteil, der Versicherer, seinen Kunden diejenige Aufmerksamkeit widme, die ihm auf Grund seiner Geschäftsroutine zugemutet werden darf. Dies gilt namentlich auch im Hinblicke auf V e r t r a g s ä n d e r u n g e n . Die Vertragsänderung ist überwiegend durch G e f a h r s ä n d e r u n g e n bedingt, die im Laufe der Versicherung eingetreten sind. Nun stellt sich die Gefahrsänderung auch da, wo sie auf der eigenen Entschließung des Versicherten beruht, r e g e l m ä ß i g als das R e s u l t a t v e r ä n d e r t e r w i r t s c h a f t l i c h e r V e r h ä l t n i s s e u n d Bed ü r f n i s s e dar. Die auf Vertragsänderung gerichteten Begehren der Versicherten werden sich daher an Zahl und hinsichtlich ihres Inhaltes innerhalb normaler, wirtschaftlich gegebener Schranken halten. -- Der Versicherer muß, wenn er nicht gebunden sein will, den Antrag ,,beantw orten1'. Wir ziehen diesen Ausdruck der juristisch korrekten Fassung .^ablehnen" vor, damit der Versicherer im einzelnen Falle nicht gezwungen wird, die Offerte kurzer Hand zurückzuweisen. Der Antrag ist b i n n e n a n g e m e s s e n e r F r i s t zu beantworten. Vergi, dazu Art. 5, Abs. 3, O.-R. Eine genauere Fristbestimmung wäre untunlich. Der Versicherer ist häufig darauf angewiesen, nach eigener Prüfung der Sachlage zu entscheiden.

Die Ausnahme, die Art. 3, Abs. 2, im Hinblicke auf den Antrag, die Versicherungssumme zu erhöhen, macht, Hegt in der Erwägung begründet, daß die gebotene Rücksichtnahme auf den Versicherer fordert, diese Vertragsänderung als n e u e n Vertrag zu behandeln.

c. Der Antragsschein.

Art. 4.

Der Versicherungsantrag wird auf Grund der allgemeinen Versicherungsbedingungen gestellt. Es muß dem Antragsteller die Möglichkeit verschafft werden, sich mit diesen Bedingungen rechtzeitig vertraut zu machen.

271

Tendenz und Tragweite der Norm liegen offen zu Tage.

Den unreellen Gepflogenheiten, die sich im Anwerbebetriebe eingenistet haben, soll, im Interesse des Versicherungswesens, ein Riegel vorgeschoben werden. Ihrer Zweckbestimmung konform faßt die Vorschrift nur die vom V e r s i c h e r e r ausgegebenen Antragsscheine ins Auge.

Art. 4, Abs. 2, sichert die praktische Ausführung des Rechtssatzes. Hiernach ist nicht ausgeschlossen, daß auf Grund eines vorschriftswidrigen Antragsscheincs der Vertrag zu stände kommen kann (so, wenn z. B. der Antragsteller die Police ohne Vorbehalt entgegennimmt).

3. Die allgemeinen Anzeigepfliehten. Art. 5--10, Art. 28--31 und Art. 37.

Nach der herrschenden Versicherungspraxis, der sich die Gesetzgebung und Wissenschaft grundsätzlich angeschlossen haben, ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, dem Versicherer b e i m Vertragsabschlüsse, während der Dauer der Versicherung und nach Eintritt des befürchteten Ereign i s s e s bestimmte Mitteilungen zu machen. Die übliche Terminologie faßt diese Obliegenheiten mit dem Sammelworte ,, A n z e i g e p f l i c h t " 1 zusammen. Die in den verschiedenen Stadien des Versicherungsgeschäftes zu erstattenden Anzeigen sind jedoch in Zweck und Inhalt verschieden und daher gesondert zu behandeln.

a. Die Anzeigepflicht

beim Vertragsabschlüsse. Art. 5--10.

Diese Anzeigepflicht liegt in den t e c h n i s c h e n G r u n d l a g e n des V e r s i c h e r u n g s g e s c h ä f t e s begründet. Die technischen, d. h. die durch wissenschaftliche Untersuchung gewonnenen Grundlagen sind das Resultat statistischer Massenber obachtungen über die Häufigkeit und die Art und Weise des Eintreffens bestimmter Ereignisse. Erfahrungsgemäß sind Risiken derselben Art (wie z. B. die Gefahr einer Anzahl Personen gleichen Alters, zu sterben) regelmäßig nicht identisch; sie weisen unter sich größere oder kleinere Ungleichheiten auf, die, im Hinblicke auf die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes des befürchteten Ereignisses, ein besonderes, für die Versicherung günstigeres oder ungünstigeres Verhalten des einzelnen Risiko erwarten lassen. Die statistischen Erhebungen, die in den technischen Grundlagen verarbeitet sind, können diese Ungleichheiten

272

der einzelnen Risiken beachten oder ignorieren. Sie beachten die Ungleichheiten, wenn sie ausgewähltes Material, Risiken, die auf Grund besonderer Feststellungen hinsichtlich ihrer Gefahrsmomente als gleichwertig taxiert sind, der Beobachtung unterwerfen und das. Resultat dieser Beobachtung zu Wahrscheinlichkeitsschlüssen verwerten ; sie ignorieren die Ungleichheiten, die besonderen höheren oder geringeren Gefahrsmomente des einzelnen Risiko, wenn sie schlechthin die allgemeine, aus dem qualitativ nicht ausgeschiedenen Beobachtungsmateriale resultierende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des befürchteten Ereignisses feststellen. -- Das geschäftliche Verhalten des Versicherers bei der Behandlung der Versicherungsanträge wird nun notwendig durch die Konstruktion der technischen Grundlagen bestimmt. In dem einen Falle muß sich der Versicherer ein möglichst zuverlässiges Urteil darüber bilden, ob das einzelne Risiko hinsichtlich seiner Chancen mit den der Beobachtung unterstellten ausgewählten Risiken als gleichwertig anzusehen ist. Er bedarf zu diesem Zwecke in jedem einzelnen Falle der Kenntnis derjenigen Tatsachen , die für die Beurteilung der Gefahrsmomente, insbesondere der Wahrscheinlichkeit des Eintrittes des befürchteten Ereignisses, von Bedeutung sind. In dem ändern Falle ist der Versicherer, wie ohne weiteres einleuchtet, der Notwendigkeil enthoben, das ihm angebotene Risiko auf die gefahrbildenden Eigenschaften zu prüfen. -- Die Versicherungszweige, die zufolge ihrer technischen Basis den besondern Gefahrsmomenten des e i n z e l n e n Risiko nicht Rechnung tragen, eine spezifische Anzeigepflicht daher nicht kennen (staatlich organisierte Zwarigsversicherung mit e i n h e i t l i c h e n Prämien, Versicherung auf den Lebensfall und Reiseunfallversicherung), stehen jedoch an /ahi und wirtschaftlicher Bedeutung den übrigen Branchen, welche die Risikenauswahl fordern, weit nach. Diese bilden die Regel, jene die Ausnahme.

Die Anzeigepflicht muß nach dem Ausgeführten zum Zwecke der technisch gebotenen Risikenaus wähl gefordert werden. Sie muß vom V e r s i c h e r u n g s n e h m e r gefordert werden, da nur er die für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsachen kennt. Eine E r k u n d i g u n g s p f l i c h t des Versicherers ist nicht anzuerkennen. Die Erforschung der Gefahrsmomente
durch den Versicherer erscheint vorerst in einzelnen Branchen (vornehmlich der Personenversicherung) geradezu unmöglich und mit dem Großbetriebe überhaupt nicht vereinbar.

Eine auch nur einigermaßen sorgfältige Erkundigung des Ver-

273 sicherers wäre sodann überall mit großen Opfern an Zeit und Geld verbunden. Die Polgen derartiger Geschäftserschwerungen würden den Versicherungsnehmer treffen. -- Die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers ist, weil sie die Risikenauswahl ermöglicht, Voraussetzung der Anwendbarkeit der technischen Grundlagen.

Damit ist die j u r i s t i s c h e Behandlung der Anzeigepflicht gegeben. Es muß grundsätzlich ausgesprochen werden, daß die gewollte rechtliche Wirkung des Vertrages für den Versicherer von der Voraussetzung abhängt, daß der Versicherungsnehmer die technisch relevanten Gefahrstatsachen zur Anzeige gebracht hat.

1. T r ä g e r der A n z e i g e p f l i c h t ist grundsätzlich der Antragsteller, der regelmäßig auch Versicherter ist. Art. 5.

In besonderen Fällen kommt, neben der Kenntnis des Antragstellers, das Wissen bestimmter dritter Personen in Betracht.

Art. 6. Wird der Vertrag durch einen S t e l l v e r t r e t e r abgeschlossen , so sind sowohl die dem Vertretenen, als auch die dem Vertreter bekannten Tatsachen anzeigepflichtig. Dieser unbestrittene Rechtssatz begegnet der Gefahr, daß der Interessent aus unlauteren Motiven sich eines unkundigen Mittelmannes bedienen möchte.--Bei d e r V e r s i c h e r u n g f ü r f r e m d e R e c h n u n g (Art. 16) umfaßt die Anzeigepflicht auch diejenigen Tatsachen, die dem Dritten selbst oder seinen Zwischenbeauftragten bekannt sind, es sei denn, daß der Vertrag ohne Wissen dieser Personen abgeschlossen wird oder daß die rechtzeitige Benachrichtigung des Versicherungsnehmers nicht möglich ist. -- B e i der V e r s i c h e r u n g a u f f r e m d e s L e b e n (Art. 64) ist nach verbreiteter, namentlich von der Versicherungspraxis unterstützter Meinung der Versicherungsnehmer für die Aussagen des Dritten, auf dessen Kopf die Versicherung gestellt ist, unbedingt verantwortlich. Für diese Auffassung spricht die Kollusionsgefahr. Dagegen widerstreitet ihr die triftigere Erwägung, daß die Versicherung fremder Leben häufig wertlos ist, wenn auch auf die Kenntnis des Dritten abgestellt werden muß. Da die Kollusionsgefahr durch geeignete Kautelen des Versicherers zu paralysieren ist, ignoriert die neuere Rechtsentwicklung mit Grund die Aussagen des dritten Deklaranten. -- Im übrigen darf die Kenntnis Dritter, namentlich der beim Geschäftsabschlüsse
tätigen P e r s o n e n (Agent, Arzt), dem Versicherungsnehmer nicht schlechthin als eigenes Wissen angerechnet werden. (O.-R., Art. 25.)

2 . I n h a l t u n d U m f a n g d e r A n z e i g e p f l i c h t müssen ·dem Zwecke der Versicherung -- Sicherung gegen Ungewisse Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. I.

20

274 wirtschaftliche Gefahren -- und den Anforderungen der technischen Grundlagen angepaßt werden.

a. Der Z w e c k der V e r s i c h e r u n g fordert, daß die Anzeigepflicht auf die dem Antragsteller b e k a n n t e n Tatsachen beschränkt wird. Art. 5, Abs. 1. Die gewollte Sicherung wäre in der Tat illusorisch, wenn der Versicherer seine 'vertragliche Gebundenheit auch in solchen Fällen ablehnen wollte, in denen gefahrerhöhende Momente nicht angezeigt worden sind, die schon im Zeitpunkte des Vertragsabschlusses vorhanden, aber dem Antragsteller nicht erkennbar waren. Andere Anforderungen stellt auch die Versicherungstechnik nicht. Denn die Erfahrungstatsache, daß, selbst bei höchster Diligenz des Anzeigepflichtigen, Umstände, die für die Wertung der Gefahr von entscheidendem Einflüsse sind, nicht oder unrichtig erkannt werden können, würdigt die in den technischen Grundlagen verarbeitete Statistik vollauf. Es bildet daher die Möglichkeit, daß derartige, für die Beurteilung des Risiko erhebliche Momente dem Antragsteller überhaupt oder in ihrer wahren Bedeutung verborgen bleiben, gerade einen Bestandteil der Assekuranzgefahr. Die Gesetzgebung und die herrschende Wissenschaft und Praxis halten daher mit Recht daran fest, daß die Anzeigepflicht sich lediglich auf die dem Antragsteller b e k a n n t e n Tatsachen erstreckt.

Damit ist die in der Versicherungspraxis beliebte Verwandlung der Anzeigepflicht in eine E r k u n d i g u n g s p f l i c h t des Ant r a g s t e l l e r s grundsätzlich beseitigt. Die Erkundigungspflicht läßt sich aus dem Wesen des Versicherungsgeschäftes nicht begründen und ist, ihrer Konsequenzen wegen, mit der gebotenen Wahrung der Interessen des Versicherungsnehmers nicht vereinbar. -- Den Tatsachen, die dem Antragsteller bekannt sind, werden diejenigen Tatsachen gleichgestellt, die ihm b e k a n n t s e i n m ü s s e n . Hierbei hat es die Meinung, daß nur ein grobfahrlässiges Nichtkennen bedeutungsvoll ist.

b. Anzuzeigen sind die dem Antragsteller bekannten e r h e b l i c h e n G e f ah r s m o m e n t e , d. h. d i e j e n i g e n Tatsachen, die für die technische Wertung des Risiko b e d e u t u n g s v o l l s i n d . Für die technisch gebotene Risikenauswahl fallen nur solche Tatsachen in Betracht, die den Versicherer in seinem Urteile über die Größe der Gefahr zu
beeinflussen geeignet sind (,,de nature à influer sur l'opinion du risque"). A l s e r h e b l i c h i s t h i e r n a c h j e d e T a t sache a n z u s e h e n , d i e g e e i g n e t ist, a u f d e n E n t -

275 Schluß des V e r s i c h e r e r s , den V e r t r a g ü b e r h a u p t oder zu den vereinbarten Bedingungen abzus c h l i e ß e n , e i n e n E i n f l u ß a u s z u ü b e n . (Art. 5, Abs. 2.)

Daß der Versicherer bei Kenntnis der Tatsache sicher nicht oder nicht, wie geschehen, kontrahiert hätte, ist regelmäßig nicht zu kontrollieren ; es muß daher genügen, daß die Tatsache einen Schluß auf die Möglichkeit eines abweichenden rechtsgeschäftlichen Willens des Versicherers gestattet. Für die Entscheidung der Frage, welche Tatsachen erheblich sind, ist die redliche Überzeugung des Antragstellers maßgebend.

Diesen Satz fordert die gebotene Rücksichtnahme auf die Person des Antragstellers, der die Anforderungen der technischen Grundlagen nicht zu erkennen vermag und daher häufig nicht in der Lage ist, zu ermessen, ob eine bestimmte Tatsache in den Augen des Versicherers von Bedeutung ist oder nicht. Der Versicherer, der weitergehende Anforderungen stellen muß, kann sich mit dem Fragebogen behelfen. S. unten litt, e, c. Anzuzeigen sind die s ä m t l i c h e n , dem Antragsteller bekannten erheblichen Gefahrstatsachen, diejenigen ausgenommen, die der Versicherer als selbstverständliche, aus der Natur des Risiko resultierende zu kennen und zu würdigen berufen ist.

Selbstverständliche Gefahrsumstände in diesem Sinne sind die dem Risiko inhärenten und die durch die übliche Wirtschaftsführung und die herrschenden Lebensgewohnheiten bedingten Gefahrstatsachen. -- Die Auffassung, daß nur die Abweichungen vom normalen Gefahrszustande angezeigt werden müssen, ist unhaltbar. Versicherungstechnisch besteht für keine Assekuranzgefahr ein ,,normaler11 Zustand. Das Risiko ist nicht eine Ware mit verkehrsüblich vorausgesetzten und gewerteten Eigenschaften; seine qualitative, zum Zwecke der Risikenauswahl gebotene Schätzung erfordert die sorgfältige Prüfung aller erheblichen Momente in jedem einzelnen Falle. Der Versicherer bedarf daher stets der Klarlegung der erheblichen, nicht selbstverständlichen Gefahrstatsachen überhaupt ; die Mitteilung der anormalen, ungewöhnlichen Umstände allein kann ihm nicht genügen.

d. Anzuzeigen sind endlich alle erheblichen Gefahrstatsachen, die dem Versicherungsnehmer bis zum Z e i t p u n k t e des V e r t r a g s a b s c h l u s s e s bekannt geworden sind. Dieser Rechtssatz
ist eine Konsequenz des Prinzipes der Anzeigepflicht.

Die Anzeigepflicht verfolgt den Zweck, dem Versicherer die Umstände, die seinen rechtsgeschäftlichen Willen zu beeinflussen

276

geeignet sind, klarzulegen. Sie hat daher notwendig bis zu dem Momente zu funktionieren, in dem die Möglichkeit einer abweichenden Willensentschließung des Versicherers wegfällt. Dieser Moment ist der Vertragsabschluß.

e. Der F r a g e b o g e n . Art. 7. Der Binnenversicherungsvertrag wird regelmäßig auf Grund der Antworten abgeschlossen, die der Antragsteller auf die in den Antrags- und Deklarationsformularen enthaltenen Fragen des Versicherers erteilt hat. Der Fragebogen ist für beide Kontrahenten von hohem, praktischein Werte. Dem Antragsteller bietet er eine sachkundige Anleitung für die Feststellung derjenigen Momente, die nach der Auffassung des Versicherers für die Beurteilung der Gefahr wesentlich sind. Aus der Tatsache, daß der Versicherer, kraft seiner Sachkenntnis und in Wahrnehmung eigener Interessen, in erster Linie berufen ist, darüber zu entscheiden, welche Momente als erheblich anzusehen sind, ist, in Übereinstimmung mit der Praxis, zu folgern, daß der U m f a n g der A n z e i g e p f l i c h t objektiv durch die im Fragebogen festgestellten P u n k t e b e g r e n z t w i r d . Der Antragsteller genügt daher mit der Beantwortung der vorgelegten Fragen seiner Anzeigepflicht. Art. 7, Abs. 1. -- Nicht minder wertvoll ist der Fragebogen für den Versicherer. Er hat vorerst ein berechtigtes Interesse daran, die zweifellos erheblichen Gefahrstatsachen selbst näher zu präzisieren. Der Versicherer muß ferner befugt sein, auch solche Momente als wesentliche zu bezeichnen, deren objektive Erheblichkeit für die Beurteilung der Gefahr zweifelhaft erscheint. Es darf dem Versicherer nicht verwehrt werden, die Erfahrungen der Praxis, welche die in den technischen Grundlagen verarbeiteten statistischen Erhebungen zweckentsprechend ergänzen und so die Versicherungstechnik vervollkommnen, bei der Wertung der Gefahr zu Eate zu ziehen. Und endlich besteht die Möglichkeit, daß der Versicherer nicht zum Zwecke der Taxierung des Risiko als solchen, sondern aus geschäftstechnischen Gründen (Risikenteilung) bestimmter Mitteilungen bedarf. Diese Erwägungen fordern, daß der Versicherer befugt sein muß, endgültig darüber zu entscheiden, welche Gefahrsumstände er als erhebliche, für die ihm obliegende Beurteilung der Gefahr bedeutsame angesehen wissen will.

Hiernach sind die s ä m t l i c h e n , im Fragebogen
festgestellten Gefahrstatsachen als erheblich zu erklären. Art. 7, Abs. 2. -- Von diesem. Satze sind zwei Ausnahmen anerkannt. Fragen des Versickerers, die in u n b e s t i m m t e r z w e i d e u t i g e r

277

F a s s u n g vorgelegt werden, g e l t e n nicht als erheblich. Unklar gefaßte Fragen bergen für den Antragsteller ernstliche Gefahren in sich und können daher auf rechtlichen Schutz nicht Anspruch erheben. Neben der präzisen Fragestellung ist dem Versicherer weiter eine s a c h e n t s p r e c h e n d e P r ü f u n g der e r t e i l t e n A n t w o r t e n zuzumuten. Dadurch, daß der Versicherer dem Antragsteller bestimmte Fragen zur Beantwortung vorlegt, erklärt er, daß die geforderte Auskunft für seinen Entschluß, zu kontrahieren, bestimmend sein wird. Schließt der Versicherer den Vertrag ab, t r o t z d e m a l l e o d e r e i n z e l n e F r a g e n n i c h t b e a n t w o r t e t s i n d ( S t r i c h e , etc.), so bekundet er, daß ihm an den betreffenden Antworten nichts gelegen ist. Keineswegs aber geht es an, daß er nachträglich dem Ansprüche des Versicherungsnehmers den Einwand der Nichtbeantwortung gestellter Fragen entgegenhält.

Der Versicherer ist nachlässig verfahren und hat sich dadurch seiner Einrederechte begeben. Dieser Satz greift nur da nicht durch, wo der Versicherer infolge besonderer Umstände annehmen muß, daß der Nichtbeantwortung einer Frage ein bestimmter Sinn beizulegen ist. Art. 10, Ziff. 2, litt. b.

3. V e r l e t z u n g der A n z e i g e p f l i c h t ; F o l g e n . In dem in Art. 5 niedergelegten Prinzipe ist der Satz ausgesprochen, daß der Anzeigepflichtige keine erhebliche Gefahrstatsache, die er beim Vertragsabschlüsse kennt oder k e n n e n m u ß , v e r s c h w e i g e n oder u n r i c h t i g d e k l a r i e r e n darf.

Handelt er dieser Pflicht zuwider, macht er also über eine erhebliche Gefahrstatsache eine Aussage, von der er weiß oder wissen muß, daß sie unrichtig ist, so ist die Anzeigepflicht verletzt. Art. 8. -- In Übereinstimmung mit der fortgeschrittenen Versicherungspraxis lehnt der Entwurf die Auffassung ab, daß es für die Frage, wann die Anzeigepflicht verletzt sei, lediglich auf die o b j e k t i v e Unrichtigkeit der Aussage ankomme.

Ein derartiger Rechtssatz wäre eben so hart, wie unzweckmäßig. Die richtige Feststellung der erheblichen Umstände ist, dem Wesen der Gefahr zufolge, mit besondern Schwierigkeiten verbunden und nicht selten geradezu unmöglich. Der Versicherungsnehmer ist nicht geschäftsgewandt und sachkundig; er tritt als Laie
an ein Geschäft heran, das an ihn besondere, im bürgerlichen Verkehre ungewöhnliche Anforderungen stellt.

Sehr häufig handelt es sich für den Anzeigepflichtigen um die Beantwortung technischer und anderer Fragen, deren Sinn

278 und Tragweite nur schwer zu erfassen sind. Vergeßlichkeiten, irrtümliche Auffassungen, Ungenauigkeiten sind unter diesen Verhältnissen schlechterdings nicht zu vermeiden, um so weniger, als nach der herrschenden Versicherungspraxis die Anleitungen und Belehrungen des sachkundigen Geschäftsvermittlers, des Agenten, den Versicherer nicht verpflichten, der Versicherungsnehmer somit bei der Feststellung der Gefahrstatsachen auf sich allein angewiesen ist.

Es darf nun billigerweise, soll nicht der Zweck der Versicherung in Frage gestellt werden, dem Anzeigepflichtigen nicht zum Nachteil gereichen, wenn er in gutem Glauben dem Versicherer irreführende Angaben macht, weil er selbst die Gefahrstatsachen unrichtig erkannt hat. Diese Argumentation findet ihre erheblichste Stütze im Wesen der Anzeigepflicht selbst.

Der Versicherungsnehmer ist, wie Art. 5 feststellt, nicht schlechthin deklarationspflichtig, sondern lediglich gehalten, die erheblichen Umstände, s o w e i t und so wie sie ihm b e k a n n t sind, dem Versicherer mitzuteilen. Einfache Folgerung dieses Prinzipes ist der Satz, daß es darauf, daß diese Mitteilungen dem wirklichen, vom Anzeigepflichtigen nicht gekannten Sachverhalte widersprechen, grundsätzlich nicht ankommt.

Ist die Anzeigepflicht verletzt, so treffen den Versicherungsnehmer bestimmte nachteilige Folgen. Die w i c h t i g s t e besteht darin, daß der V e r t r a g für den Versicherer u n w i r k s a m ist. Art. 8. Der Rechtsgrund der Vertragsunwirksamkeit liegt in der durch die technischen Grundlagen erhärteten Tatsache, daß der Versicherer, wäre er gehörig unterrichtet gewesen, den Vertrag überhaupt nicht oder nicht zu den vereinbarten Bedingungen abgeschlossen hätte. Die Folgen der verletzten Anzeigepflicht treten daher auch dann ein.

wenn zwischen der falschen Aussage und dem Eintritte des befürchteten Ereignisses ein K a u s a l z u s a m m e n h a n g n i c h t b e s t e h t . Der Versicherer kann sich gegen die aus dem Vertrage hergeleiteten Forderungsrechte durch das Rechtsmittel der Einrede schützen; hat er bereits erfüllt, so steht ihm die Rückforderungsklage zur Seite. O.-R., Art. 70. Selbstverständlich stehen diese Rechtsmittel dem Versicherer auch gegenüber einem Rechtsnachfolger des Versi cherangsn ehm ers zu. O.-R., Art. 189.

Das P r ä m i e n s c h i c k s a l ordnet A r t . 26. Vergi, unten, S. 297 ff.

279

Das auf Verletzung der Anzeigepflicht gegründete Rücktrittsrecht des Versicherers fällt in bestimmten Fällen s c h l e c h t h i n , auch bei absichtlicher Verletzung der Anzeigepflicht, dahin.

So insbesondere, wenn der Versicherer die Verschweigung oder unrichtige Angabe g e k a n n t oder v e r a n l a ß t , oder ausd r ü c k l i c h oder s t i l l s c h w e i g e n d d a r a u f v e r z i c h t e t hat, die Unwirksamkeit des Vertrages geltend zu machen.

Der dem Vertrage anhaftende Mangel ist namentlich durch Verzicht des Versicherers heilbar. Der a u s d r ü c k l i c h e V e r z i c h t wird in der L e b e n s v e r s i c h e r u n g häufig z u m v o r a u s erklärt (unanfechtbare Policen). Zur Substantiierung des s t i l l s c h w e i g e n d e n V e r z i c h t e s reicht nicht nur ein p o s i t i v e s H a n d e l n aus (konkludente Verzichtsakte, wie Aushändigung der Police, Ausstellung von Nachträgen zur Police, Annahme weiterer Prämien, etc. j ; es genügt auch das p a s s i v e V e r h a l t e n des Versicherers, daß er, trotzdem er die falsche Aussage kennt, sein Anfechtungsrecht nicht binnen angemessener Frist ausübt. Damit wird dem dolosen Schweigen ein wirksamer Damm entgegengesetzt.

Art. 8 u. 10.

Besonderer Regelung unterliegt die u n r i c h t i g e A l t e r s angabe. Siehe Art. 66 und unten, S. 318 ff.

Umfaßt der Vertrag mehrere Gegenstände oder Personen ( F e u e r v e r s i c h e r u n g , Arbeiterunfallversicherung, etc.)

und ist die Anzeigepflicht nur bezüglich e i n e s T e i l e s dieser Gegenstände oder Personen verletzt, so entsteht die Frage, ob der Vertrag hinsichtlich der Wirkungen der verletzten Anzeigepflicht t e i l b a r ist oder nicht. Die Binnenversicherungspraxis hält, im Gegensatze zur Seeversicherungspraxis, entschieden an der Unteilbarkeit fest. Die neuere Rechtsentwicklung dagegen geht dahin, den Kollektivversicherungsvertrag unter bestimmten Voraussetzungen als teilbar zu erklären. Der Vertrag bleibt hiernach für den ü b r i g e n Teil, hinsichtlich dessen die Anzeigepflicht nicht verletzt worden ist, wirksam, sofern nicht erhellt, daß der Versicherer diesen Teil allein zu denselben Bedingungen nicht versichert haben würde. Die erste Voraussetzung, daß die Anzeigepflicht lediglich bezüglich eines Teiles der Objekte verletzt worden ist, trifft nur da zu,
wo Gefahrstatsachen verschwiegen oder unrichtig angezeigt werden, die ausschließlich einzelne Objekte betreffen, dergestalt, daß diese Tatsachen für die Beurteilung der Gefahr, die sich an die übrigen Objekte knüpft, bedeutungslos sind. Art. 9.

280 b. Die G-efalirsänderung; Anzeigepfliclit während der Dauer der Versicherung. Art. 28--31.

Die Anzeigepflicht beim Vertragsabschlüsse dient dem Zwecke der technisch gebotenen Risikenauswahl, der Wertung der vom Versicherer zu tragenden Gefahr. Diese Wertung hat im Zeitpunkte des Vertragsabschlusses für die ganze Dauer der Versicherung zu erfolgen. Sie wird dadurch erschwert, daß die Gefahrstatsachen häufig nicht ein für allemal fest gegebene (wie Alter, überstandene Krankheiten des Versicherten, Bauart des Hauses), sondern wandelbare in dem Sinne sind, daß sie möglicherweise einer nachträglichen Änderung unterworfen sind oder in ihrer endgültigen Entscheidung überhaupt erst von der Zukunft abhängen (Beschäftigung und Aufenthaltsort des Versicherten, Nachbarschaft des Hauses, etc.)- Überall da, wo wandelbare Gefahrstatsachen in Frage stehen, darf sich der Versicherer nicht darauf beschränken, das Risiko an Hand der Gefahrsumstände, so wie sie im Zeitpunkte des Vertragsabschlusses vorliegen, zu würdigen ; er muß voraussehen, daß die Verhältnisse in der Zukunft sich zu seinen Ungunsten ändern können.

Diese Voraussicht kann bei der technischen Wertung der Gefahr in verschiedener Weise zur Geltung gelangen. Entweder so, daß der Versicherer die möglichen künftigen Veränderungen mit in Berechnung zieht oder so, daß er gewisse Gefahrstatsachen (Reisen, Kriegsdienst) von vornherein aus dem Gefahrskomplexe und damit aus dem Haftpflichtnexus ausscheidet, oder endlich in der Weise, daß der Versicherer für die Dauer der Versicherung auf ein bestimmtes, beim Vertragsabschlüsse näher präzisiertes Verhalten einzelner Gefahrstatsachen abstellt.

Nur in diesem letztern Falle kann die Gefahrsänderung in Frage kommen. Sie setzt begrifflich die Ä n d e r u n g der vom Versicherer ü b e r n o m m e n e n G e f a h r voraus.

Die Frage nach dem Umfange der übernommenen Gefahr ist dahin zu erledigen, daß die Versicherung im Zweifel gegen die Gefahr überhaupt gewährt wird. Art. 32. Die Anzeigepflicht beim Vertragsabschlüsse bezweckt, dem Versicherer die Risikenauswahl, die Wertung des angebotenen Risiko zu ermöglichen.

Diese Wertung ist ausschließlich Sache des Versicherers. Darin liegt die vornehmste Aufgabe der Technik seines Gewerbes.

Der rechtsgeschäftliche Wille des Versicherers ist das Ergebnis der Gefahrswürdigung; er hat dem Vertragsgegner gegenüber zum Ausdrucke zu bringen, in welcher Weise die Gefahr gewertet

281 worden ist, wenn anders sie nicht als ohne jede Beschränkung übernommen gelten soll. Eine Beschränkung der Gefahrsübernahme greift daher nur auf Grund besonderer Vorbehalte (Vertragsvoraussetzungen) des Versicherers Platz. Konsequenz der entwickelten Auffassung ist der Satz, daß l e d i g l i c h s o l c h e G e f a h r s t a t s a c h e n e i n e G e f ah r s a n d e r u n g zu beg r ü n d e n vermögen, die der Wertung des Risiko z u G r u n d e g e l e g e n h a b e n u n d sich w ä h r e n d d e r Dauer der Versicherung, den Vertragsvoraussetzungen zuwider, ändern.

Damit ist für die Entscheidung der einschlägigen prinzipiellen Fragen eine sichere Basis gewonnen. Vor allem für die Feststellung des U m f a n g e s der relevanten Gefahrsänderüng.

Als Gefahrstatsachen fallen ausschließlich die beim Vertragsabschlüsse für die Würdigung des Risiko erheblichen, wandelbaren Gefahrsumstände in Betracht. Jedoch nicht alle diese Tatsachen, sondern nur diejenigen, hinsichtlich deren ein bestimmtes Verhalten für die Dauer der Versicherung vertraglich vorausgesetzt ist. Die oben (S. 251) beanstandeten, unbestimmten Policenklauseln sind fürderhin unzulässig. Art. 28, Abs. l, Satz 2. -- Die A r t der Gefahrsänderung ist ohne Belang. Nicht nur Gefahrserhöhungen, sondern schon Gefahrsänderungen im engern Sinne des Wortes vermögen den Gefahrszustand in vertragswidriger Weise zu verschieben. Dieser Schluß ist vom Standpunkte der Assekuranztechnik aus nicht abzuweisen ; er wird namentlich durch folgende Erwägung gefestigt. Die Gefahren, die uns als Individuen und in vunserer Wertbeziehung zu wirtschaftlichen Gütern bedrohen, sind vielfach von einander oder von einer dritten gemeinsamen Ursache derart abhängig, daß die technischen Berechnungen des Versicherers, welche die einzelnen Risiken als von einander losgelöst voraussetzen müssen (oben S. 260), sich nur mit Hülfe besonderer geschäftlicher Maßnahmen bewähren können. Diese Vorkehren bedingen häufig, vor allem in der Sachversicherung, daß die Gefahrsänderung überhaupt beachtet wird. -- Die U r s a c h e der Gefahrsänderung darf aus zwingenden wirtschaftlichen Gründen nicht ignoriert werden. Nur aus der Gefahrsänderung, die m i t Z u t u n des Versicherungsnehmers erfolgt, kann dem Versicherer das Recht, die Haftung ohne weiteres abzulehnen, erwachsen. Art. 28. Mit
Unrecht wird freilich hier mit der Verschuldungstheorie operiert.

Auch die auf der eigenen Entschließung des Versicherten beruhende Gefahrsänderung ist regelmäßig nicht die Folge will-

282

kürlichen Wollens, sondern das Resultat veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse und Bedürfnisse. Indessen darf der Gesetzgeber aus technischen Gründen gerade in dieser Frage dem Versicherer nicht zu nahe treten. Die herrschende Versicherungspraxis verpflichtet den Versicherten, die beabsichtigte Gefahrsänderung, bevor sie wirksam wird, dem Versicherer mitzuteilen.

Diese nach dem Entwurfe (Art. 28, Abs. 2) zulässige Deklarationspflicht ist in Zweck und Inhalt von der Anzeigepflicht beim Vertragsabschlüsse verschieden; sie hat lediglich komplementäre Bedeutung. Der Versicherer will die Gefahrsänderung ungesäumt erfahren, sei es, um den Hinfall seiner Haftpflicht zu konstatieren, sei es, um die Bedingungen seiner Haftung zu modifizieren oder die -zur Abwendung eines möglichen Schadens geeigneten Vorkehren, zum Beispiel durch Rückversicherung, zu treffen.

Die o h n e Z u t u n des Versicherten eintretende Gefahrsänderung ist einer mildern Regelung zu unterwerfen. Der Versicherte darf nicht schon einer Änderung wegen, die er nicht veranlaßt hat, häufig nicht einmal kennt, der notwendigen Sicherung entbehren. Die sich entgegenstehenden Bedürfnisse der Parteien sind, in Anlehnung an eine neuere Versicherungspraxis, in der Weise auszugleichen, daß sich der Versicherer mit der Anzeige der dem Versicherten bekannt gewordenen Gefahrsänderung begnügt und, unter Anerkennung seiner Haftpflicht für die Zwischenzeit, sich die v e r t r a g l i c h v o r g e s e h e n e n Entschließungen vorbehält. Tritt der Versicherer vom Vertrage zurück, so muß er bis zum Ablaufe einer bestimmten Frist, innert welcher der Versicherte für anderweitige Versicherung sorgen kann, haftbar bleiben. Art. 29. -- Die zu Art. 9 vorgetragenen Erwägungen rechtfertigen auch im Hinblicke auf die Gefahrsänderung die T e i l b a r k e i t des Kollekt i v v e r s i c h e r u n g s v e r t r a g e s . Art. 30. -- Art. 31 ordnet in angemessener Weise die Fälle, in denen die Wirkungen der Gefahrsänderung überhaupt nicht eintreten. Die unter Ziffer 2 vorgeschlagene Bestimmung ist allgemein geltendes Seeversicherungsrecht; sie beansprucht indessen auch für das Binnenversicherungsrecht praktische Bedeutung. -- Über das Schicksal der bezahlten Prämien disponiert Art. 26.

c. Die Anseigepflicht nach Eintritt des befürchteten (Schadensmeldung). Art. 37.

TJreignisses

Die Anzeigepflicht nach Eintritt des befürchteten Ereignisses ist von der Wissenschaft und Gesetzgebung allgemein anerkannt.

Die ungesäumte Schadensmeldung hat berechtigten Interessen des

283 Versicherers zu dienen. Der Versicherer muß in der Lage sein, Art und Folgen des Schadens tunlichst bald festzustellen und geeignete Vorkehren zur Minderung des Schadens zu treffen.

In diesem Zwecke erschöpft sich die Anzeigepflicht. Ihre Verletzung bleibt daher überall da ohne Folgen, wo der Versicherer auf anderem Wege rechtzeitig Kenntnis vom Unfälle erhalten hat. -- Die Anzeigepflicht setzt auf Seiten des Anzeigepflichtigen einmal voraus, daß er die Tatsache des eingetretenen Ereignisses kennt; eine Informationspflicht des Forderungsberechtigten ist nicht zu begründen. Weiter hat die Anzeigepflicht zur Voraussetzung, daß der Anzeigepflichtige seinen Anspruch aus der Versicherung kennt. Denn nur derjenige, der weiß, daß ihm ein Anspruch gegen den Versicherer zusteht, kann vernünftigerweise zur Schadensmeldung verpflichtet werden.

Die Verletzung der Anzeigepflicht hat nach der herrschenden Versicherungspraxis zur Folge, daß der Vertrag für den Versicherer unwirksam wird. Diese schwere Folge ist jedoch nicht zu rechtfertigen; sie steht jedenfalls im Hinblicke auf die fahrlässige Verletzung der Anzeigepflicht in einem unerträglichen Mißverhältnisse zu dem Nachteile, der dem Versicherer aus der pflichtwidrigen Unterlassung des Forderungsberechtigten möglicherweise erwachsen kann. Die neuere Rechtsentwicklung räumt daher dem Versicherer bei schuldhafter Verletzung der Anzeigepflicht nur das Recht auf Schadensersatz ein. Die Ersatzpflicht des Forderungsberechtigten ist auf den Betrag zu beschränken, um den sich die Versicherungsleistung bei rechtzeitiger Schadensmeldung gemindert haben würde. Diese Einschränkung resultiert aus dem Zwecke der in Frage stehenden Anzeigepflicht. Dem Versicherer steht daher ein Ersatzanspruch wegen verletzter Anzeigepflicht nicht zu, wenn erhellt, daß auch bei rechtzeitig erfolgter Unfallsanzeige der Schaden weder ganz noch teilweise hätte abgewendet werden können. Dagegen muß dem Versicherer ein wirksamer Schutz gegen den b ö s g l ä u b i g e u Anzeigepflichtigen zugestanden werden. Der Versicherer ist an den Vertrag nicht gebunden, wenn der Forderungsberechtigte die unverzügliche Schadensmeldung in der Absicht unterlassen hat, den Versicherer au der rechtzeitigen Feststellung der Umstände, unter denen das befürchtete Ereignis eingetreten ist, zu hindern.
4. Besondere Merkmale der versicherbaren Gefahr ; Gefahrsumfang.

a. Die besonderen G-efalirsmerlemale. Art. U und 15.

Der Entwurf sieht bewußt von Definitionen ab. Es ist Sache der Wissenschaft, zu untersuchen, ob ein gemeinsamer

284

Oberbegriff der Assekuranzgefahr überhaupt bestehe und wie die Spezialbegriffe der einzelnen Versicherungsgefahren (Tod, Unfall, Feuer, etc.) zu lassen seien. Wo indessen bestimmte Rechtsvoraussetzungen oder Rechtswirkungen begrifflich festzulegen sind, muß sich der Entwarf mit einzelnen Gefahrsmerkmalen befassen.

aa. Jede Versicherungsgefahr bezieht sich, dem Wesen der Gefahr zufolge, auf ein z u k u n f t i g e s Ereignis, das entweder ü b e r h a u p t ungewiß (Elementarversicherung, Unfallversicherung, etc.) oder doch mindestens h i n s i c h t l i c h des Z e i t p u n k t e s s e i n e s E i n t r i t t e s ungewiß ist (Versicherung auf den Todesfall). Ist die befürchtete Tatsache zur Zeit des Vertragsabschlusses nicht mehr vorhanden, weil das Ereignis bereits eingetreten oder die Gefahr beseitigt ist, so fehlt das versicherbare Interesse, mithin das Vertragsobjekt. Art. 11, A b s a t z 1. Diese Vorschrift greift, genau besehen, auf das gemeine Verkehrsrecht zurück. Sie erklärt in Übereinstimmung mit dem Grundsatze, den das O.-R. in Art. 17 für die sofort vorhandene objektive Unmöglichkeit der Leistung aufstellt, den V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g als nichtig. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß nach dem Tatbestande des einzelnen Falles ein a n d e r e r rechtsgeschäftlicher Parteiwille, z. B. auf Schenkung gerichtet, vorliegen kann. -- Diese ausdrückliche Normierung ist, trotz der in Art. l des Entwurfes erteilten Wegleitung, nicht überflüssig. Denn die durch Art. 11, Abs. l, geordnete Rechtsfrage ist zur Stunde noch bestritten, weil sie aus praktischen Gründen in einzelnen Versicherungsbranchen eine andere Lösung gefunden hat. Irn S e e v e r s i c h e r u n g s r e c h t e gilt nämlich unbestritten der Satz, daß der Vertrag auch dann zu Recht besteht, wenn zur Zeit seines Abschlusses der Eintritt des befürchteten Ereignisses schon ausgeschlossen oder der Schaden bereits eingetreten war, sofern nur die Parteien von der wirklichen Sachlage keine Kenntnis gehabt haben. Hiernach wird eine Gefahr, die in Wirklichkeit nicht mehr droht, fingiert. Die Gründe, die dieser Fiktion gerufen haben, liegen in den besondern Verhältnissen des Seehandels. Der Vertrag kann sehr häufig erst nach Beginn des Seetransportes abgeschlossen werden, zu einer Zeit also, in deidie Parteien regelmäßig nicht
in der Lage sind, über das Schicksal des bedrohten Gutes sich Gewißheit zu verschaffen oder später im Schadensfalle festzustellen, ob das Ereignis vor oder nach Vertragsabschluß eingetreten ist. Diese besondern Verhältnisse müssen, weil sie auch für den guten Glauben der Parteien

285 sprechen, berücksichtigt werden in der Seeversicherung sowohl wie in den übrigen Branchen, die mit denselben Schwierigkeiten zu rechnen haben. Hierher gehören die Binnentransportversicherung, die Rückversicherung und, unter bestimmten Voraussetzungen, die Feuerversicherung. Art. 11, Abs. 2. -- Dagegen darf die seeversicherungsrechtliche .Norm nicht in das Binnenversicherungsrecht überhaupt aufgenommen werden. Es ist bei den heutigen Verkehrsmitteln geradezu ausgeschlossen, daß in der Binnenversicherung die Parteien im Zeitpunkte der Vertragsvollendung von der Sachlage nicht unterrichtet sind.

Zum mindesten aber besteht die Möglichkeit, sich hierüber mühelos Gewißheit zu verschaffen. Der gute Glaube, von dem die Seeversicherung' mit Recht ausgehen darf, kann mithin in den Verumständungen, unter denen der Binnenversicherungsvertrag regelmäßig abgeschlossen wird, keinen Halt finden. Der Gesetzgeber hat daher auch aus rechtspolitischen Gründen im Sinne des Entwurfes zu disponieren.

Die Vorschriften des Art. 11, Abs. 3 und 4, sind konform der herrschenden Versicherungspraxis gefaßt. Es bestehen weder privatrechtliche noch öffentlichrechtliche Bedenken, der Praxis zuzustimmen, die auf die Kenntnis des Versicherungsnehmers zur Zeit der Abgabe des Versicherungsantrages a b s t e l l t . Abs. 4. Vergi, dagegen Abs. 3. -- Da der Versicherungsnehmer, gegen den die Bestimmung des Abs. 4 angerufen wird, regelmäßig d o l o s gehandelt hat, sind die vorgesehenen strengen zivilrechtlichen Folgen zu billigen. Siehe auch Art. 47, Abs. 2, des Entwurfes.

bb. Art. 15 ordnet die V e r s c h u l d u n g s f r a g e , die Folgen, die sich an die schuldhafte Herbeiführung des befürchteten Ereignisses knüpfen. Die in der Gesetzgebung und Wissenschaft überwiegend vertretene Auffassung, daß die Versicherung nur gegen z u f ä l l i g , u n a b h ä n g i g v o m Willen des B e d r o h t e n eingetretene Ereignisse Schutz gewähren könne und dürfe, widerstreitet dem Zwecke der Versicherung, der in der Sicherung unserer wirtschaftlichen Existenz liegt. Unsere Existenz wird, ·wie die tägliche Erfahrung lehrt, nicht nur durch rein zufällige Ereignisse, sondern mindestens ebensosehr durch eigene unüberlegte Handlungen und Unterlassungen bedroht. Niemand ist vor möglicherweise folgenschweren Versehen und Unaufmerksamkeiten
sicher. Diese Erfahrung mag von alters her bestanden haben. Sie erhält aber eine erhöhte Bedeutung im modernen Leben. Die vielseitigen Anforderungen, welche die heutigen Wirtschaftsver-

286 hältnisse an die menschliche Tätigkeit stellen, machen es uns häufig unmöglich, in Hinsicht auf unsere Person und Güter diejenige Vorsicht walten zu lassen, die aus ruhiger Überlegung resultieren würde. Im weitern ist anzuerkennen, daß die in steter Entwicklung begriffenen Einrichtungen des Verkehres und der Industrie, sowie manche Produkte der letztern die Gefahren für Leben und Gut erhöhen, nicht nur direkt, sondern auch indirekt, indem der ständige Gebrauch jener Einrichtungen und industriellen Erzeugnisse gegen die besondern Gefahren, die sie bieten mögen, abstumpft und die nötige Aufmerksamkeit verwehrt. Sollen nun derartige Versehen und Unaufmerksamkeiten, die, eben weil sie ohne besondere stetige Sorgfalt nicht zu vermeiden sind, im Leben gemeinhin als · Gefahren für die Existenz des Menschen gelten, von der Versicherung ausgeschlossen sein? Dieser Anschauung widersetzen sich entschieden die Bedürfnisse des realen Lebens, aus denen die Versicherung herausgewachsen ist. Die Sicherung wird ja gerade deshalb begehrt, um der beständigen Beunruhigung, der ängstlichen Sorge für die Erhaltung von Leben und Gut enthoben zu sein. Die Versicherung darf daher unter keinen Umständen die für die menschliche Tätigkeit unentbehrliche Lebens- und Bewegungsfreiheit antasten; sie hat vielmehr die Aufgabe, den Versicherungsnehmer von den ihn beengenden Obsorgen zu befreien und so die Kraft des Einzelnen zu gunsten wichtigerer Lebensaufgaben zu entlasten.

Der Einwand, der Versicherte habe schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen für jede Fahrlässigkeit einzustehen, ist nicht zu hören. Soziale Probleme, deren vornehmstes eines im Versicherungsgedanken geborgen liegt, sind nicht mit formalrechtlichen Deduktionen, sondern nur durch Ergründen ihres Wesens und durch Erlassen der ihnen innewohnenden Zweckgedanken z,u bezwingen. -- Aus welchen Gründen sodann die Deckung leichter Fahrlässigkeit des Versicherten wider Treue und Glauben verstoßen und daher nach Maßgabe des Art. 17, O.-R., unstatthaft sein sollte, ist nicht einzusehen. Die in voller Entwicklung begriffene a l l g e m e i n e Haftpflichtversicherung z. B. stellt, ohne auf rechtliche Opposition zu stoßen, in ihrem Zwecke geradezu darauf ab, den Versicherten gegen die zivilrechtlichen Folgen seines schuldhaften Verhaltens zu sichern.

Die meisten Gesetze und Entwürfe verfügen freilich ausdrücklich , daß Versicherungsverträge, die den Versicherungsnehmer gegen den nachteiligen Erfolg eigener unerlaubter (,,ver-

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botener"') Handlungen sichern sollen, nichtig sind. Die Vorschrift ist jedoch praktisch verfehlt und in dieser Fassung auch juristisch nicht haltbar. Gegenstand eines Vertrages kann jede Leistung sein, die rechtlich erlaubt ist. Die Frage, ob die vom Versicherer garantierte Leistung den Charakter einer rechtlich erlaubten an sich trage oder nicht, ist au Hand der Satzungen des Privatrechtes oder, in Ermangelung solcher, nach herrschenden Rechtsanschauungen zu entscheiden.

Die Ordnungsvorschriften des öffentlichen Rechtes haben ihre besondere, in der Wahrnehmung öffentlicher Interessen liegende ratio ; ihr Geltungsbereich findet in dieser Zweckbestimmung seine rechtliche Grenze.

Den Vorschriften des öffentlichen Rechtes und den Satzungen des privaten Rechtes liegen prinzipiell nicht identische Erwägungen zu Grunde. Es ist daher unstatthaft, den Normen des einen Rechtsgebietes ohne weiteres bindende Kraft für das andere Rechtsgebiet zuzuerkennen. Es ist möglich, aber nicht notwendig, daß eine unerlaubte und daher strafbare Handlung in ihrem Erfolge auch in das Gebiet des Privatrechtes hinüberragt. Die Feststellung dieser privatrechtlichen Bedeutung aber ist Sache des Zivilrichters, dessen Urteil grundsätzlich nicht an die strafrechtliche Wertung des rechtswidrigen Verhaltens gebunden ist.

Aus den vorgetragenen Erwägungen s c h l i e ß t der E n t wurf allgemein die leichte Fahrlässigkeit in die V e r s i c h e r u n g ein. Art. 15, Abs. 1. Der Rechtssatz ist das juristische Ergebnis wirtschaftlicher Zustände und Bedürfnisse.

Er ist d i s p o s i t i v e r Natur, da dem Versicherer nicht wohl verwehrt werden darf, die Voraussetzungen seiner Haftpflicht, statt an Hand eines abstrakten Verschuldungsmaßstabes, durch besondere Vertragsabreden festzulegen.

Art. 15, Abs. 2, ordnet, in konsequenter Ausführung des in Abs. l niedergelegten Gedankens, die H a f t p f l i c h t des V e r sicherungsnehmers für die Handlungen bestimmter d r i t t e r P e r s o n en, derjenigen Personen nämlich, die mit dem Versicherungsnehmer in h ä u s l i c h e r G e m e i n s c h a f t leben oder deren Verhalten der Versicherungsnehmer z i v i l r e c h t l i c h zu v e r t r e t e n hat. Diese Bestimmung schützt, innerhalb sachlich gebotener Grenzen, den Versicherungsnehmer namentlich gegen die Gefahr, daß er, auf Grund des Art. 115, O.-R., für den von dritten Personen verschuldeten Schaden aufzukommen hätte und damit des Versicherungsschutzes indirekt verlustig gehen

288 würde. Den in Art. 15, Abs. 2, genannten dritten Personen gewährt Art. 63, Abs. 3, des Entwurfes einen eigenen Versicherungsschutz.

b. Der Gefahrsumfang.

Art. 32.

Der hier ausgesprochene Grundsatz ist versicherungsrechtlich von fundamentaler Bedeutung. Sozusagen in jedem Vertrage lehnt der Versicherer die Haftung für dieses oder jenes Ereignis ab. Die Versicherungspraxis und, ihr folgend, die Wissenschaft schließen weiter regelmäßig solche Ereignisse von der Versicherung aus, die ungewöhnlich oder derart beschaffen sind, daß sie gleichzeitig eine große Zahl von Personen oder Wertgütern treffen (Krieg, Aufstand, Erdbeben, Orkan, etc.). Nach herrschender Übung haftet der Versicherer endlich für Ereignisse nicht, die auf Vorgänge im versicherten Gegenstande (innerer Verderb, Selbstentzündung, etc.) zurückzuführen sind.

Angesichts dieser Verhältnisse ist eine gesetzliche Besl.immung, die den Um f a n g de r vom V e r s i c h e r e r im Z w e i f e l ü b e r n o m m e n e n G e f a h r n o r m i e r t , im Interesse der Sicherheit des Geschäftsverkehres und der Rechtsprechung unentbehrlich.

Dem Gesetzgeber bieten sich zwei Wege. Er kann, in Anlehnung an einen gemeinrechtlichen Auslegungsgrundsatz, verordnen, daß die Haftpflicht des Versicherers auf Grund der vertraglich festgestellten Gefahrstatsachen zu bestimmen und im Zweifel über ihren Umfang gegen den Versicherten zu entscheiden sei. Oder der Gesetzgeber kann verfügen, daß der Versicherer im Zweifel für alle Gefahren der vorliegenden Art einzustehen habe. -- Dei1 erste Weg beseitigt die Schwierigkeiten nicht; er schließt insbesondere die Möglichkeit einer Berufung auf Praxis und herrschende Übung nicht aus -- beides Dinge, deren Zuverlässigkeit und Beständigkeit gerade im Gebiete des Versicherungswesens nicht zu garantieren sind.

Der Entwurf hat daher im Grundsatze den zweiten Wegbetreten; er verfügt, daß die Frage nach dem Umfange der Haftung im Z w e i f e l gegen, den V e r s i c h e r e r -- im Sinne .der Übernahme aller Gefahrsereignisse -- zu entscheiden ist.

Dadurch werden wichtigste Rechtsbeziehungen der Parteien klar und bestimmt abgegrenzt und beengende Detailvorschriften vermieden. -- Der Entwurf läßt dem Versicherer freie Hand, Umfang und Voraussetzungen seiner Haftpflicht zu fixieren. Der

289 Versicherer allein vermag zu ermessen, ob und unter welchen Voraussetzungen Gefahrsereignisse, deren Gesetzmäßigkeit nicht kontrollierbar ist, in die Versicherung eingeschlossen werden können. Die Gefahrstatsachen, die der Versicherer nicht übernehmen will, sind jedoch bestimmt und unzweideutig festzustellen.

Die in der Praxis geläufigen a l l g e m e i n e n Ausschlußklauseln, wie Begliche Ausübung einer verbotenen Handlung"1, ,,jegliche Zuwiderhandlung gegen bestehende Gesetze und Verordnungen"1, etc., sind unstatthaft.

5. Die Police. Art. 12, 13, 14 und 65.

In Übereinstimmung mit der Gesetzgebung und herrschenden Versicherungspraxis verpflichtet Art. 12, Abs. l, den Versicherer, dem Versicherungsnehmer eine Urkunde über die Rechte und Pflichten der Parteien, die sogenannte Police, auszuhändigen.

Die Vorschrift sichert den p r a k t i s c h e n Erfolg, den die Anhänger der schriftlichen Vertragsform anstreben. Zweifellos hat der Versicherte ein berechtigtes Interesse, über die Rechte und Pflichten der Parteien in erschöpfender Weise durch eine authentische Urkunde unterrichtet zu werden. Da das Gesetz dem Versicherer die Pflicht auferlegt, den Vertrag zu beurkunden, muß das Recht auf Spesenersatz und Policengebühr ausdrücklich ausgesprochen werden. Übermäßigen Policengebühren kann der Bundesrat auf dem Verordnungswege begegnen. -- Der Versicherer ist nach Art. 12, Abs. 2, weiter verpflichtet, dem Versicherten auf V e r l a n g e n bestimmte Abschriften auszufolgen.

Die Antragspapiere enthalten wichtige Angaben und Willenserklärungen des Antragstellers, die grundsätzlich einen integrierenden Bestandteil des Vertrages bilden. Der Versicherte vermag die vertraglich begründeten Rechtsverhältnisse nur dann zu überblicken, wenn er den Inhalt seiner Antragserklärungen kennt.

Diese Kenntnis darf ihm, angesichts der Menge und des Inhaltes der zu beantwortenden Fragen, nicht schon auf Grund seiner eigenen Deklaration zugemutet werden. Weiter ist daran zu erinnern, daß in der Praxis häufig der Agent oder eine andere dritte Person (Arzt) das Deklarationsformular ausfüllt. Der Einwand, der Versicherte möge selbst Abschriften anfertigen, ist nicht zu hören. Dazu läßt schon die Hast, mit welcher der heutige Anwerbebetrieb arbeitet, keine Zeit.

Art. 13 begegnet einem Übelstande, der im Versicherungsverkehre schwer empfunden wird. Der Versicherte bekommt Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. I.

21

290 die Police vielfach erst zu Gesichte, wenn er die erste Prämie bezahlt hat. Erst in diesem Momente ist er in der Lage, den meist recht komplizierten Vertragsinhalt sich näher zu besehen, Die herrschende Versicherungspraxis anerkennt jedoch kein nachträgliches Rügerecht des Versicherten, daß der Inhalt der Police den getroffenen Abreden nicht entspreche. Sie legt gegenteils, durch eine besondere Klausel, der Annahme der Police die rechtliche Wirkung bei, daß damit das Einverständnis desVersicherten mit dem gesamten Vertragsinhalte ,,konstatiert", ,,erklärt"1 sei. Diese Erklärung aber ist, unter Berücksichtigungaller Verhältnisse, tatsächlich eine Fiktion. Sie kann deshalb die Zustimmung des Gesetzgebers nicht erhalten. Hinwiederum fordert die Verkehrstreue, daß der Versicherte die Police binnen kurz bemessener Frist auf ihren Inhalt prüft und eventuell Berichtigung verlangt. Der Anspruch des Versicherten geht nicht etwa auf Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums, sondern auf richtige Beurkundung eines mängelfreien Rechtsgeschäftes. Es wird daher auch für den Versicherer keine Ungewisse Situation geschaffen.

Die Police ist, kraft der ihr prinzipiell zugewiesenen rechtlichen Funktion, schlichte Beweisurkunde. Sie bezeugt den Inhalt des abgeschlossenen Rechtsgeschäftes. Der Versicherer, der Zahlung leistet, ist nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen des O.-R. (Art. 102) berechtigt, eine Quittung und.

wenn die Versicherung erloschen ist, die Rückgabe der Police oder deren einfache Entkräftung nach Art. 105, O.-R., zu fordern.

Die Versicherungspraxis kennt P o l i c e n an O r d r e und auf den I n h a b e r . Sie behandelt indessen beide Papiere nicht als vollkommene Wertpapiere. Die Inhaberpolice verfolgt den Zweck, den Versicherer der Schwierigkeiten der Legitimationsprüfung und der Haftpflicht bei Versehen und Täuschungen zu entheben. Kraft der Inhaberklausel darf der gutgläubige Versicherer die Präsentation der Police als zur Zahlung berechtigende Legitimation behandeln. Auf Grund dieser rechtlichen Funktion erhebt die Inhaberklausel die Police zum Range eines L e g i t i m a t i o n s p a p i e r es. Der Versicherer darf, aber muß nicht an den Präsentanten als solchen Zahlung leisten. Auch die O r d r e p o l i c e bezweckt in ihrer praktischen Anwendung hauptsächlich die Erleichterung
der Legitirnationsprüfung.

Es bestehen keine Gründe, die Zulässigkeit der Inhaberund Ordrepolice in Zweifel zu ziehen. Die S a c h v e r s i c h e r u n g , .insbesondere die Transportversicherung, empfindet tatsächlich

291 ein Bedürfnis nach Begebungsformen, welche die Rechtsübertragung erleichtern. Dagegen ist es geboten, die r e c h t l i c h e n W i r k u n g e n , die der Inhaber- und Ordrepolice in der P e r s o n e n v e r s i c h e r u n g zufallen, zu p r ä z i s i e r e n . -- Soweit die Lebensversicherungspolice auf den I n h a b e r lediglich Legitimationspapier sein will, darf ihr, mit Rücksicht auf' den umfangreichen Geschäftsverkehr des Versicherers, die rechtliche Anerkennung nicht versagt werden. Art. 65, A b s . 2. Hiernach wird nicht für die Geltendmachung des Versicherungsanspruches, sondern bloß für die Zahlungsberechtigung des Versicherers eine besondere Norm aufgestellt, die das O.-R. bei gewöhnlichen Schuldscheinforderungen nicht kennt. -- Aus der in der Praxis geläufigen Fassung der Inhaberklausel (,,die Versicherungssumme ist an den Inhaber dieser Police zahlbar'1, etc.) ist jedoch häufig nicht sicher zu entnehmen, ob der Inhaberpolice nicht noch weitergehende Wirkungen zukommen sollen. Das Publikum wird durch derartige Vertragsbestimmungen in den Glauben versetzt, die Police sei ein echtes Inhaberpapier, dessen Übergabe ohne weitere Formalitäten eine rechtsgültige Forderungsübertragung zu Eigentum oder Verpfändung konstituiere. Die Folgen sind häufige Prozesse. Eine gesetzliche Wegleitung tut schon aus diesem Grunde not. -- Es ist aber weiter angezeigt, dem Bestreben, der Lebensversicherungspolice mit Hülfe der Inhaberklausel gesteigerte Zirkulationsfähigkeit zu verleihen, entgegenzutreten. Der Urkunde mangeln die wirtschaftlichen und juristischen Elemente einer negoziabeln Schuldurkunde völlig. Namentlich der Zweck der Lebensversicherung, der regelmäßig auf die Familienfürsorge zurückgreift, widerstrebt jeder die Rechtsübertragung erleichternden Begebungsform. Diesen Erwägungen konform erklärt Art. 65, Abs. l, daß 'der Versicherungsanspruch nicht d u r c h e i n f a c h e Ü b e r g a b e d e r P o l i c e übertragen werden kann.

Aus denselben Gründen darf auch^xlie O r d r e p o l i c e nur als Legitimationspapier funktionieren. Die in der Ordreklausel steckende gesteigerte Begebbarkeit des Versicherungsanspruches -- das Indossament macht den Nachweis der erfolgten Rechtsübertragung und die Denunziation an den Versicherer überflüssig -- ist zu beseitigen. Art. 65, Abs. l, schließt die
Übertragung des Personenversicherungsanspruches durch Indossierung der Police aus.

Art. i4 regeltT'j'die A m o r t i s a t i o n abhanden gekommener Policen. Hier ist der prinzipielle Einwand zu gewärtigen, daß

292 die rechtliche Natur der Police, so wie sio der Entwurf feststellt, die Kraftloserklärung ausschließe, da der Urkunde nur eine beweisrechtliche, nicht eine zivilrechtliehe Funktion zukommt.

Dieser richtigen Einwendung gegenüber fordern jedoch Erwägungen praktischer Natur die Amortisation. Der Besitz des Vertragsinstrumentes dient einem dringenden Bedilrinisse des Versicherten, der über seine Rechtsbeziehungen zum Versicherer stets im klaren sein muß. Die Police ist ferner für die Befriedigung mannigfaltiger Verkehrsbedürfnisse (Verpfändung, Abtretung, etc.) t a t s ä c h l i c h unentbehrlich. Die durch Art. 105, O.-R., gebotene Mortifikationsmöglichkeit reicht selbstverständlich nicht aus. Die vorgeschlagene Regelung beseitigt die Rechtsunsicherheit, die namentlich hinsichtlich der Frage, ob und in welcher Weise Policen mit der Präsentationsklausel kraftlos erklärt werden können, von Tag zu Tag unerträglicher wird. -- Art. 14 umschreibt das Recht, die Amortisation zu beantragen, zweckgemäß. Die ö r t l i c h e Zuständigkeit ist konform der absoluten Vorschrift des Versicherungsaufsichtsgesetzes (Art. 2, Ziff. 4, Abs. 3) festgestellt. Die s a c h l i c h e Zuständigkeit bestimmt das kantonale Recht. Die für die Wechselamortisation geltenden Bestimmungen (Art. 793 fg., O.-R.) werden aus Zweckmäßigkeitsgriinden aufgenommen. Die in Art. 791, O.-R., vorgesehene Zahlungssperre ist hier entbehrlich. Denselben Erfolg erzielt eine einfache Notifikation an den Versicherer. Dagegen erfüllt Art. 798, O.-R., den gewollten Zweck (Ersatzurkunde) nicht, weshalb Art. 14, Abs. 3, dem Gesuchsteller das Recht einräumt, auf seine Kosten die Ausfertigung einer neuen Police zu fordern.

Vergi. O.-R., Art. 856. -- Art. 14 schließt selbstverständlich nicht aus, daß der Versicherer sich bei der Zahlungsleistung mit der einfachen MortiHkation nach Art. 105, O.-R., begnügen muß.

6. Die Versicherung für fremde Rechnung. Art. 16 und 17.

Die Versicherung für fremde Rechnung dient besonderen Bedürfnissen des wirtschaftlichen Lebens. So namentlich im Hinblicke auf die Transportversicherung und Feuerversicherung.

Der Spediteur, die Lagerhausverwaltung, etc., sind vielfach genötigt, für den bekannten oder unbekannten Interessenten Versicherung zu nehmen. In neuerer Zeit spielt die Versicherung für fremde Rechnung auch in der Unfallversicherung eine Rolle.

Der Arbeitgeber, der eine sogenannte kombinierte Kollektivunfallversicherung abschließt und sich die ausgelegte Prämie von

293 den Arbeitern teilweise vergüten läßt, versichert insoweit für fremde Rechnung. Es ist daher angezeigt, die Versicherungsform ihren Eigentümlichkeiten entsprechend im a l l g e m e i n e n Teile des Gesetzes auszugestalten.

Art. 16 ordnet die grundsätzlichen Gesichtspunkte. Um die wirtschaftlich entwicklungsfähige Versicherungsform nicht unnötig zu beengen, läßt der Entwurf auch die a u f t r a g l o s e Versicherung für fremde Rechnung zu. Möglichen Übelständen beugt zunächst die Bestimmung des Art. 16, Abs. 2, vor.

Danach gilt der Versicherungsnehmer, der nicht in unmißverständlicher Weise für fremde Rechnung kontrahiert, selbst als Versicherter. Noch wirksamer erscheint die Vorschrift des Art. 17, Abs. 2, Art. 17, Abs. l, beseitigt Zweifel, die da und dort zu einer schwankenden Rechtsprechung geführt haben. -- Die Versicherung bezweckt die Ausgleichung des Schadens, der durch den Eintritt des befürchteten Ereignisses entsteht. Die Vorteile aus der Versicherung dürfen daher nicht einem beliebigen Dritten, sondern nur demjenigen zufallen, der durch den Eintritt des befürchteten Ereignisses wirtschaftlich geschädigt wird. An diesem Grundsätze mit aller Strenge festzuhalten und damit der verwerflichen Wettversicherung entgegenzutreten, fordern berechtigte Interessen des Versicherers und das Interesse der gemeinen Wohlfahrt. Der Versicherungsnehmer für fremde Rechnung darf daher, irn Gegensatze zum Kommissionär, aus dem Vertrage überall da nicht berechtigt werden, wo mit der Gefahr des Mißbrauches der Versicherung gerechnet werden muß.

Dies ist augenscheinlich der Fall, wenn die Ersatzpflicht des Versicherers ausgelöst und beansprucht wird.

D ie Geltendmachung des Entschädigungsanspruches steht daher grundsätzlich nur dem Interessenten, dem V e r s i c h e r t e n , zu. Vgl. die zwingende Vorschrift des Art. 44, Abs. 2, und Art. 17, Abs. 2, des Entwurfes. Von diesem Satze sind die in Art. 17, Abs. 2, vorgesehenen zwei Ausnahmen unbedenklich zuzulassen. In diesen beiden Fällen ist die Möglichkeit einer verwerflichen Spekulation des Versicherungsnehmers dadurch ausgeschlossen, daß der Versicherte weiß, daß sein Interesse gedeckt ist. -- Art. 17, Abs. 3, zieht die Konsequenz aus der rechtlichen Stellung, die der V e r s i c h e r u n g s n e h m e r im Vertrage einnimmt. -- Das zwischen V e r s i c h e r u n g s n e h m e r und V e r s i c h e r t e m bestehende Rechtsverhältnis hat der Entwurf nicht zu ordnen.

294 7. Die Prämie. Art. 18--27.

a. T r ä g e r der V e r p f l i c h t u n g ist grundsätzlich der Versicherungsnehmer, der regelmäßig auch Versicherter ist.

Art. 18, Abs. 1. -- Abs. 2 berücksichtigt eine allgemein anerkannte Besonderheit der Versicherung für fremde Rechnung. -- Abs. 3 räumt dem Versicherer das Kompensationsrecht gegenüber dem Begünstigten ein. Dieser Satz widerspricht Art. 135, O.-R., insoweit, als er nicht für .jede, an sich verrechnungsfähige Ansprache des Versicherers, wohl aber für die P r ä m i e n f o r d e r u n g das Kompensationsreeht statuiert. Diese Regelung ist aus versicherungstechnischen Gründen geboten. Die Leistung aus dem Vertrage setzt die Bezahlung des Entgeltes, der Prämie, notwendig voraus. Bei K o l l e k t i v v e r s i c h e r u n g e n ergreift das Kompensationsrecht nur denjenigen Prämienteil, der für die dem Begünstigten gewährte Versicherungsleistung geschuldet ist.

&. Z a h l u n g d e r P r ä m i e d u r c h d e n P f a n d g l ä u b i g e r . Art. 19, Abs. l, beseitigt Zweifel, die in der Theorie mit kaum verständlicher juristischer Begründung gehegt werden.

-- Abs. 2 ordnet die praktisch wichtige Frage, welche Rechte dem Pfandgläubiger zustehen, der am Platze des Verpfänders die Prämie bezahlt. Das Forderungsrecht des Pfandgläubigers gegenüber dem Verpfänder ist auf Art. 472, O.-R., zu gründen.

Die Aufrechthaltung der Versicherung liegt wirtschaftlich stets im Interesse des Geschäftsherrn. Die Höhe der geschuldeten Zinsen bestimmt, auf Grund des Art. l des Entwurfes, Art. 83, O.-R. -- Für das dem Pfandgläubiger zuerkannte gesetzliche Pfandrecht sprechen Gründe der Billigkeit. Die Sicherung des Gläubigers ist zudem geeignet die anormale Liquidation namentlich des .Lebensversicherungsvertrages tunlichst zu '_' verhindern.

c. F ä l l i g k e i t . Art. 20 ordnet die Fälligkeit der Prämienleistungen. Subsidiär verfügt der Entwurf die Vorausbezahlung der Prämien. Diese Zahlungsweise entspricht einem Grundsatze des Versicherungsrechtes. -- Abs. 2 beseitigt die Policenklausel, daß die Versicherung nicht schon mit der Aushändigung der Police, sondern erst mit der Bezahlung der ersten Prämie in Kraft tritt.

Der Versicherungsnehmer darf nicht weiter im Glauben gelassen werden, daß er, trotzdem die Prämie nicht entrichtet worden ist, versichert sei, weil ihm die Police ohne Vorbehalt übergeben wurde.

295

d. M a h n p f l i c h t d e s Versicherers; V e r z u g s f o l g e n .

A r t . 21 u n d 22. Auf die pünktliche Bezahlung der Prämien muß der Versicherer rechnen können, soll nicht der normale Betrieb seines Gewerbes gefährdet werden. Die gemeinrechtlichen Verzugsfolgen (Art. 119 und 121, O.-R.) schützen den Versicherer nicht ausreichend. Die rechtliche Einforderung der Prämie verträgt sich zudem mit den Anforderungen des Großbetriebes nicht. Der Entwurf normiert die Verzugsfolgen konibrm der herrschenden Versicherungspraxis. Art. 21, Abs. 3.

Dagegen weicht er von ihr in der Voraussetzung ab, unter welcher der Schuldner in Verzug gesetzt w i r d . Für die Prämienzahlung ist ausnahmslos ein bestimmter Verfalltag verabredet. Der Schuldner kommt mithin nach dem Grundsatze ,,dies interpellât pro hominea schon mit dem Ablaufe des Verfalltages in Verzug. Art. 117, Abs. 2, O.-R.

Stünden nur die gemeinrechtlichen Verzugslblgen in Frage, so wäre die obligationenrechtliche Voraussetzung der Inverzugsetzung nicht zu beanstanden. Aber weil der Versicherer außerordentliche, sachlich berechtigte Verzugsfolgen vertraglich feststellt, hat der Gesetzgeber, angesichts der schweren ökonomischen Folgen, die der Verzug für den Versicherten begründet, in geeigneter Weise die Interessen des Schuldners zu wahren. Dieses Ziel kann nur auf dem Wege erreicht werden, daß der gemeinrechtliche Grundsatz der Inverzugsetzung im Gebiete des Versicherungsrechtes durchbrochen und an seine Stelle die gesetzliche Mahnpflicht des Versicherers gesetzt wird. Art. 21, Abs. 1.

Die Verzugsfolgen treten bei unverschuldeter Zahlungssäumnis nicht ein. Art. 42. Anders O.-R., Art 119, 122 und 123; dagegen Art. 118, Abs. 2. -- Ist die Prämie, kraft Vereinbarung oder Geschäftsübung, Holschuld, so kann der Versicherer die schriftliche Mahnung durch eine mündliche ersetzen. Art. 21, Abs. 2. -- Ist der Schuldner im Verzüge, so hat der Versicherer die Wahl, vom Vertrage zurückzutreten oder die Prämie rechtlich einzufordern. Nach Maßgabe des Art. 22, Abs. l, verliert indessen der Versicherer, der die rückständige Prämie nicht binnen kurz bemessener Frist rechtlich einfordert, das Recht, Erfüllung zu verlangen. Damit wird mit Erfolg der übeln Gepflogenheit entgegengetreten, daß der Versicherer schweigt und erst nach Jahr und Tag die rückständige
und die seither fällig gewordenen Prämien einfordert, natürlich ohne für die inzwischen etwa eingetretenen Schäden aufkommen zu müssen.

Der Versicherer darf durch sein passives Verhalten den Ver-

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sicherten nicht in den Glauben versetzen, der Vertrag werde nicht fortgesetzt.

e. Z a h l u n g s o r t . Art. 23. An dem gemeinrechtlichen Grundsatze, daß Geldschulden am Wohnsitze des Gläubigers zu bezahlen sind (Art. 84, Ziffer l, O.-R.), wird festgehalten.

Art. 23, Abs. 1. Die gesetzliche Wegleitung ist, angesichts der vielen Agentursitze, geboten. -- Von dem Grundsatze, daß dio Prämie dem Versicherer zu bringen, also B r in g s c h u l d ist, macht Art. 23 zwei Ausnahmen. Einmal gegenüber den ausländischen Gesellschaften. Sie haben freilich von Aufsichts wegen in der Schweiz ein Hauptdomizil zu verzeigen. Aber dieses Domizil vermag regelmäßig keinen handelsrechtlichen Sitz, keine Filiale 2u begründen. Dem Versicherten darf nun billigerweise nicht zugemutet werden, die Prämie dem Versicherer an seinen ausländischen Sitz zu bringen. Art. 23, Abs. 2, sichert den inländischen Erfüllungsort. -- Abs. 3 begegnet der Gefahr, daß der fremde Versicherer ein Hauptdomizil in der Schweiz nicht verzeigen oder widerrufen sollte. Der Schuldner kann sich alsdann ohne weitere Umtriebe im Sinne des Art. 107, O.-R., behelfen. -- Den inländischen Erfüllungsort der dem V e r s i c h e r e r obliegenden Leistungen verfügt das Aufsichtsgesetz (Art. 2, Ziffer 4, Abs. 3). -- Art. 23, Abs. 4, ordnet den praktisch häufigen Fall, daß der Versicherer, ohne hierzu verpflichtet zu sein, also nicht auf Grund vertraglicher Vereinbarung, die Prämie beim Schuldner regelmäßig einkassieren läßt. Diese verbreitete Geschäftsübung involviert nach assekuranzrechtlicher Anschauung keine Änderung des Vertragsinhaltes ; sie beseitigt mithin die Abrede nicht, daß die Prämie zu bringen ist. Der Versicherer kann die Übung einseitig widerrufen. Ebenso liegt es im Belieben des Schuldners, ob er die Übung beachten oder ignorieren will. Dagegen steht versicherungsrechtlich fest, daß, solange diese Geschäftsübung vom Versicherer nicht widerrufen oder vom Schuldner nicht zurückgewiesen ist, die vertraglich als Bringschuld vereinbarte Prämienschuld h i n s i c h t l i c h Z e i t und Ort der E r f ü l l u n g zur H o l s c h u l d wird. Der Entwurfsbestimmung gegenüber ist die übliche Klausel, daß der Prämienschuldner auf den Inkasso sich nicht berufen könne, wirkungslos. Art. 80, Abs. 2. Die Abholung der Prämie ist mit diesem Vorbehalte nicht vereinbar.

297 f. P r ä m i e n r e d u k t i o n . Art. 24. Diese ohne weiteres verständliche Vorschrift sucht gewisse Übelstände zu beseitigen, die im Versicherungsverkehre vielfach zu berechtigten Klagen des Publikums Anlaß geben. Art. 24 setzt voraus, daß bes t i m m t e gefahrerhöhende Tatsachen, die beim Vertragsabschlüsse der Wertung des Risiko und damit der Feststellung der Prämie zu Grunde gelegen haben, im Laufe der Versicherung beseitigt werden.

y. U n t e i l b a r k e i t der P r ä m i e . Art. 25. Dieser Grundsatz resultiert aus technischen Erwägungen. Die statistischen Unterlagen der Versicherungstechnik sind Massenbcobachtungen, die man während bestimmter Zeit gemacht hat. Hierbei werden die Schwankungen, denen das einzelne Risiko während der Beobachtungsperiode hinsichtlich seiner Gefährlichkeit naturgemäß unterworfen ist, nicht beachtet. Unter der Voraussetzung, daß die Beobachtungszeit ausreichend bemessen ist, dürfen jene Schwankungen als ausgeglichen gelten. Der Versicherer muß daher den Zeitabschnitt, nach dem er die Prämieneinheit berechnet, so bemessen, daß er auf Ausgleich der Schwankungen rechnen darf. Da die technische Wertung des Risiko auf die dargelegte Beobachtungsmethode zurückgreift, ist es unmöglich, korrekt festzustellen, welche Prämienquote dem Versicherer gebührt, wenn seine Haftung vor Ablauf der Versicherungsperiode wegfällt. Es wird daher assekuranzrechtlich allgemein anerkannt, daß die Prämie für die laufende Versicherungsperiode unteilbar ist.

li. P r ä m i e n s c h i c k sai bei e i n s e i t i g e r Ver t r a g s a u ('l ö s u n g . Art. 26 und 27. Der Entwurf muß darauf verzichten, die möglichen Fälle einseitiger Vertragsauflösung erschöpfend aufzuführen. Abs. l greift exemplifikativ besonders aktuelle Fälle heraus. Die analoge Rechtsanwendung bleibt dem Richter überlassen. Die Frage, welche Gegenleistung dem Versicherer gebühre, w e n n die Gefahr im Laufe der V e r s i c h e r u n g wegfällt, beschlägt nicht die e i n s e i t i g e Vertragsauflösung. Sie ist indessen, im Hinblicke auf den in Art. 145, O.-R., niedergelegten Grundsatz und die durch Art. 26 des Entwurfes geschaffene Wegleitung, nicht besonders zu entscheiden. -- Bei einseitiger Vertragsauflösung verbleibt dem Versicherer der Anspruch auf die ganze Prämie, die für die z u r Z e i t der A u f l ö
s u n g l a u f e n d e V e r s i c h e r u n g s p e r i o d e v e r e i n b a r t ist. Art. 26, Abs. 1. Diese Vorschrift greift in allen Fällen Platz, in denen die besondern Voraussetzungen der Abs. 2, 3 und 4 nicht vor-

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liegen, im Prinzipe also überall da, wo die P r ä m i e n a c h Maßgabe der technischen Geschäftsgrundlagen das Entgelt für das getragene Risiko repräsentiert.

Der Versicherer kann hier aus zwingenden rechnerischen und betriebstechnischen Gründen die bezahlte Prämie weder ganz noch teilweise restituieren. Entweder hat er die Gegenleistung bis auf den letzten Heller bestimmungsgemäß verwendet, teils gleich bei Beginn der Versicherung (zur Zahlung der Abschlußund Inkassoprovisionen, der Rückversicherungsprämien), teils im Laufe oder nach Abschluß des Rechnungsjahres (zur Deckung der Schäden und Verwaltungskosten, zur Gewinnverteilung).

Oder der Versicherer besitzt noch einen Teil des Entgeltes in der zurückgestellten Prämienreserve. Aber auch diese Quote ist geschuldete Gegenleistung nach dem Grundsatze der Unteilbarkeit der Prämie -- Art. 25 -- (so die in Reserve liegenden Überträge periodisch entrichteter Prämien in den sämtlichen Sachversicherungsbranchen und in der Unfall- und Krankenversicherung).

Eine Rückerstattung der reservierten Beträge kann daher, ohne die Rechnungsgrundlagen zu durchbrechen, nicht erfolgen. Die Bestimmung des Art. 26, Abs. l, ist insoweit technisch gerechtfertigt. Die Forderung, daß der Gesetzgeber das Maß der dem Versicherer rechtlich gebührenden Gegenleistung an Hand der zutreffenden assekuranztechnischen Grundsätze festzustellen hat, ist vom Standpunkte des Entwurfes aus nicht abzuweisen. -- Unter die Vorschrift des Art. 26, Abs. l, welche die bezahlten Prämien dem Versicherer als Entgelt für das g e t r a g e n e Risiko zuerkennt, fallen weiter die n i c h t r ü c k k a u f s f ' ä h i g e n L e b e n s v e r s i c h e r u n g e n , d.h. diejenigen Verträge, die eine Leistungspflicht des Versicherers n i c h t s i c h e r begründen (die Versicherung auf den Lebensfall, die temporäre Versicherung auf den Todesfall und die einseitige Überlebensversicherung).

In denjenigen Lebensversicherungen, in denen es ungewiß ist, o b der Versicherer zu leisten hat, wird bei der Berechnung der Prämie darauf abgestellt, daß dem Versicherer möglicherweise, wenn nämlich das befürchtete Ereignis ausbleibt, die Einzahlungen des Versicherungsnehmers verfallen. Der "Versicherer kann daher, ohne seine technische Berechnung zu durchbrechen, auf den möglichen, durch den Nichteintritt des
Ereignisses bedingten Gewinn auch bei Vertragsauflösung nicht verzichten.

Art.- 26, Abs. 2, ordnet das sogen. R i s t o r n o r e c h t nach Analogie des seeversicherungsrechtlichen Vorbildes. Billigerweise darf der Versicherer hier nicht die volle Prämie beanspruchen.

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Bine über den Unkostenersatz hinausgehende Schadenersatzpflicht mag der Versicherer gegebenen Falles nach gemeinem Rechte geltend machen. Art. 26, Abs. 5.

Abs. 3 und 4 des Art. 26 behandeln die Fälle, in denen die bezahlten Prämien das dem Versicherer gebührende Entgelt übersteigen. Diese Voraussetzung trifft für Abs. 3 augenscheinlich zu, nicht minder, richtig besehen, für Abs. 4. In denjenigen Lebensversicherungen, die eine Leistungspflicht des Versicherers g e w i ß begründen (die lebenslängliche Versicherung auf den Todesfall und die gemischte Versicherung, mit Einschluß der Versicherung auf bestimmte Zeit, sogenannte assurance à terme fixe), wird während der ganzen Dauer des Vertrages eine gleichbleibende Prämie entrichtet. Da das Risiko mit dem höhern Alter wächst, bezahlt der Versicherungsnehmer für die ihm sicher garantierte Leistunganfänglich zu viel, später zu wenig. Die notwendige Ausgleichung schafft das Deckungskapital (Prämienreserve). Die bezahlten Prämien sind daher Entgelt für das g e t r a g e n e Risiko, insoweit, als sie zur Deckung der in jeder Versicherungsperiode eingetretenen Schäden zu dienen hatten, und teilweise Gegenleistung für die vom Versicherer k ü n f t i g zu t r a g e n d e Gefahr, insoweit, als sie als Deckungskapital reserviert worden sind, um mit Hülfe der vom Versicherten in der Zukunft geschuldeten Prämien die Zahlung der Assekuranzsumme zu sichern. Vom Standpunkte des Entwurfes aus hat der Versicherer Anspruch auf das vereinbarte Entgelt, s o w e i t er das R i s i k o g e t r a g e n hat o d e r aus technischen Gründen der Gegenleistung notw e n d i g b e d a r f . Konsequenz dieser Auffassung ist, daß der Versicherer in den Fällen der Abs. 3 und 4, also da, wo er mehr als die ihm gebührende Gegenleistung erhalten hat, das Plus, das technisch als Entgelt für eine nunmehr w e g g e f a l l e n e k ü n f t i g e L e i s t u n g z u b e t r a c h t e n ist, im Prinzipe zurückerstatten muß. Daß nach Abs. 3 nicht die vollen vorausbezahlten Prämien zurückerstattet werden, liegt vornehmlich in der Erwägung begründet, daß der Versicherer einer weitern Gegenleistung da notwendig bedarf, wo die Unkosten der Versicherung aus den verdienten Prämien nur teilweise getilgt werden konnten. -- Der Inhalt des Abs. 3 bedarf weiter einer besondern Begründung nach der Richtung
hin, daß hier nicht auf die Prämienreserve, sondern auf die für die künftigen Versicherungsperioden bezahlten Prämienbeträge abgestellt wird. In denjenigen Branchen, in denen die Vorausbezahlung der Prämien für mehrere Perioden üblich ist (so in der Feuer- und Unfallversicherung), wird die

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Prämienreserve nicht, wie in der Lebensversicherung, nach einem wissenschaftlichen, technisch fundierten Systeme berechnet. Das Deckungsverfahren beruht lediglich auf Empirie, die nicht selten auf Willkür hinausläuft. Die Reservebeträge differieren daher bei gleichen Verhältnissen ganz erheblich voneinander. Unter diesen Umständen muß der Gesetzgeber darauf bedacht sein, eine Basis festzustellen, welche die gleiche Behandlung aller Versicherten sichert.

Art. 26 bestimmt, auf Grund technischer Erwägungen,, l e d i g l i c h das P r ä m i e n s c h i c k s a l . Die vom Versicherer gewährte Leistung kann, die Vertragsauflösung mag auf gemeinrechtliche oder versicherungsrechtliche Gründe zurückgreifen, rechtlich nicht rückgängig gemacht werden. Es stehen tatsächliche Verhältnisse in Frage, die der Natur der Sache nach nicht mehr ungeschehen gemacht werden können. Der Versicherer hat für die vertragsmäßige Leistung des Versicherten eine Gegenleistung gewährt, deren nachträgliche Zurückziehung unmöglich ist. -- Die Schadensersatzpflicht desjenigen Vertragsteiles, der die Vertragsauflösung verschuldet hat, richtet sich nach gemeinem Rechte. Art. 26, Abs. 5.

Die herrschende Versicherungspraxis verweigert in bestimmten Fällen einseitiger Vertragsauflösung j e g l i c h e A b f i n d u n g . So sollen die s ä m t l i c h e n bezahlten Prämien dem Versicherer namentlich dann verfallen sein, wenn der Versicherer den Vertrag wegen betrügerischen Verhaltens des Versicherungsnehmers aufhebt.

Diese Praxis ist grundsätzlich nicht zu billigen. Selbst der böse Glaube kann es nicht rechtfertigen, daß der Versicherungsnehmer mehr als vollen Schadensersatz leisten soll. Doch ist zuzugeben, daß der Versicherer, wegen der eigenartigen Natur des Versicherungsgeschäftes, die Größe des Schadens nur schwer zu liquidieren vermöchte. Da jedoch dem Versicherer eine angemessene Entschädigung nicht vorenthalten werden darf und der betrügerische Versicherungsnehmer eine besondere Rücksichtnahme nicht verdient, überläßt es A r t . 27 dem Ermessen der Vertragsparteien, festzustellen, daß bei b e t r ü g e r i s c h e r V e r l e t z u n g der A n z e i g e p f l i c h t der nach Art. 26 geschuldete Abfindungsbetrag bis auf höchstens die Hälfte gekürzt werden kann. Selbstverständlich besteht in diesem Falle keine weitere
Schadensersatzpflicht des Versicherungsnehmers zu Recht. Ist dagegen eine solche Vereinbarung nicht getroffen, oder die Anzeigepflicht nicht in betrügerischer Absicht verletzt worden, so verbleibt es bei den Bestimmungen des Art. 26. -- Aus Gründen

301 des öffentlichen Wohles ahndet Art. 26, letzter Absatz, das betrügerische Verhalten des Versicherungsnehmers oder Forderungsberechtigten in bestimmten Fällen (Art. 11, Absatz 4, und Art. 47, Absatz 2) besonders schwer.

8. Die Verantwortlichkeit des Versicherers für seine Agenten.

Art. 33.

Dem Agenten fallen im Versicherüngsverkehre so wichtige Funktionen zu, daß der Gesetzgeber die Rechtsbeziehungen, die aus der Tätigkeit des Agenten für die Parteien resultieren, nicht ignorieren darf. 'Über die rechtliche Stellung des Versicherungsagenten herrscht allenthalben, in den beteiligten Kreisen und in der Theorie und Rechtsprechung, Streit. Der Ausdruck ,,Agent"1 ist kein festgeschlossener Rechtsbegriff. Die einen behandeln, in Übereinstimmung mit den landläufigen Anschauungen, den Versicherungsagenten als H a n d l u n g s b e v o l l m ä c h t i g t e n (Art. 426, O.-R.). Die ändern, insbesondere auch der Versicherer, weisen dem Agenten die rechtliche Stelle des M a k l e r s an.

Die Konsequenz der juristischen Konstruktion ist d o r t volle Verantwortlichkeit des Versicherers für die geschäftliche Tätigkeit des Agenten, h i e r Ausschluß jeglicher Haftung des Versicherers.

Der Versicherungsagent ist, auf Grund des Agenturvertrages, Bevollmächtigter des Versicherers. Er hat nur für einen bestimmten Versicherer derselben Branche, eben für den Auftraggeber, zu arbeiten. Der Versicherungsagent hat zudem auch nach Vertragsabschluß für den Versicherer den geschäftlichen Verkehr mit dem Versicherten in der Hauptsache zu vermitteln (Aushändigung der Police, Prämieninkasso, Entgegennahme verschiedener Anzeigen, etc.). Überall da nun, wo der Versicherer seine Kunden ausdrücklich oder stillschweigend an den Agenten verweist, ist der letztere gewiß kein unbeteiligter Dritter ; er handelt vielmehr im Interesse einer Partei, des Versicherers. Der Agent wird hiernach mit Recht im allgemeinen als Vertrauensmann und Vertreter der Gesellschaft angesehen.

Auf Grund dieser Erwägungen präsumiert Art. 33, Abs. l, eine Vertretungsbefugnis des Agenten. Die Vorschrift stellt, analog der Bestimmung des Art. 426, O.-R., auf den Komplex von Handlungen ab, welche die Ausführung der einem s o l c h e n Agenten übertragenen Verrichtungen gewöhnlich, d. h. nach der Anschauung des Verkehres, mit sich bringt. Damit ist für

302 den Umfang der Vertretungsbefugnis des Agenten ein objek tiver Maßstab gefunden. Die intern, kraft des Agenturvertrages, begründete Vertretungsbefugnis kann im Interesse der Sicherheit des Geschäftsverkehres nicht schlechthin ausschlaggebend sein. Daß der Versicherer auch solche Handlungen des Agenten gegen sich gelten lassen muß, die der Agent, wiewohl sie nicht in den Kreis der ihm übertragenen Funktionen fallen, mit s t i l l s c h w e i g e n d e r B i l l i g u n g des Versicherers vorzunehmen pflegt, ist wohl begründet. -- Da der Versicherer sich jeder Verantwortlichkeit für die Handlungen des Agenten durch besondere Vertragsklauseln zu entschlagen pflegt, ist Art. 33, Abs. l, mit zwingender Kraft auszurüsten. Art. 80, Abs. 2.

Art. 33, Abs. 2, geht von der technisch begründeten Erwägung aus, daß das Versicherungsgewerbe nach einheitlichem Geschäftsplane, auf Grund identischer allgemeiner Versicherungsbedingungen, arbeiten muß. Die Vorschrift warnt gleichzeitig das Publikum, dem Agenten, der eine besondere Vertragsbefugnis behauptet, ohne weiteres Glauben °zu schenken.

9. Die Revision der allgemeinen Versicherungabedingungen.

Art. 34.

Der Revision der allgemeinen Versicherungsbedingungen kommt überall da unmittelbar praktische Bedeutung zu, wo der Versicherungsvertrag für längere Zeit oder gar für die Dauer des Lebens abgeschlossen wird. Versicherungstechnik und Versicherungsrecht sind in steter Entwicklung begriffen. Den veränderten Anschauungen und Bedürfnissen entsprechen veränderte Versicherungsbedingungen. Die aufgeworfene Frage verdient daher die besondere Beachtung des Gesetzgebers.

Die ratio des Art. 34 greift auf die wirtschaftliche Grundlage der Versicherung zurück. Ein Gebot der Gerechtigkeit fordert die gleiche Behandlung der Versicherten auch da, wo die Interessenten nicht in genossenschaftsrechtlichem Verbände stehen (Gegenseitigkeitsanstalt), sondern bloß wirtschaftlich eine Gefahrsgemeinschaft bilden (Aktiengesellschaft). -- Das freie Belieben des Versicherers, ob er von den revidierten Bedingungen auch die alten Versicherten profitieren lassen will, muß vor den Bedürfnissen des Lebens zurücktreten. Aber sein berechtigtes Interesse ist zu wahren. Diesen Zweck erreicht Art. 34. Der Versicherungsnehmer kann verlangen, daß der Vertrag unter den neuen Bedingungen fortgesetzt werde. Er hat nicht das

303

Recht, diese oder jene Bedingung herauszugreifen; er muß sämtliche Bestimmungen gegen sich gelten lassen. Wie hinsichtlich der allgemeinen Bedingungen, so soll auch hinsichtlich der Gegenleistung der alte Versicherungsnehmer dem neuen gleichgestellt werden, sofern die revidierten Bedingungen ein größeres Entgelt erfordern.

10. Der Konzessionsentzug ; privatrechtliche Folgen. Art. 35.

Nach Maßgabe des Art. 13 des Versicherungsaufsichtsgesetzes hat der ordentliche Richter u. a. auch die p r i v a t r e c h t l i c h eu F o l g e n des K o n z e s s i o n s e u t z u g e s festzustellen. Art. 35 verschafft dem Richter die materiellen Rechtssätze, auf Grund deren die schwierige Aufgabe zu lösen ist. Die Entwurfsbestimmung greift auf die fundamentale Vorschrift des Art. 9, Abs. 2, des Aufsichtsgesetzes zurück. Die geordnete, den Anforderungen des Aufsichtsgesetzes entsprechende Geschäftslage des Versicherers ist die erste Voraussetzung, unter der bei uns der Versicherungsvertrag abgeschlossen wird. Der Versicherte muß sich darauf verlassen können, daß nur solide Anstalten die Konzession erhalten und daß die auf Sanierung der Geschäftslage gerichteten Verfügungen der Aufsichtsbehörde beachtet werden. Andernfalls wären die vornehmsten Interessen der Versicherten gefährdet. -- Der Einwand, daß der Entwurf der Konzession zu weittragende privatrechtliche Folgen beilege, übersieht die außergewöhnliche Bedeutung, die für die Versicherung, ihrem Wesen als Sicherungseinrichtung zufolge, der kreditwürdige Betrieb beansprucht. -- Die privatrechtlichen Folgen des Konzessionsentzuges sind zweckentsprechend geordnet.

Der deroutierte Versicherer darf selbstverständlich nicht an die versicherungstechnische Einsicht des Gesetzgebers appellieren.

Die Vorschrift des Art. 35 trifft ihrer Wirkung nach, als Erlöschungsgrund, auch die vor Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossenen Verträge. -- Art. 35 ordnet die Rechte des Versicherten e r s c h ö p f e n d. Eine Schadensersatzpflicht des Versicherers wegen Nichterfüllung des Vertrages (O.-R., Art. 110 fg.)

besteht nicht zu Recht.

11. Der Konkurs des Versicherers. Art. 36.

Der Entwurf ordnet die Stellung des Versicherungsnehmers bei K o n k u r s des Versicherers. Die L i q u i d a t i o n dagegen wird nicht besonders geregelt. Damit soll, in Übereinstimmung

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mit der heute herrschenden Rechtsanschauung, ausgesprochen werden, daß aus der Tatsache, daß der Versicherer in Liquidation tritt, dem Versicherten kein Rücktrittsrecht erwächst.

Verletzt der Versicherer dadurch, daß er liquidiert, den Vertrag, so ist er schadensersatzpflichtig. O.-R., Art. 110 und 116. -- Angesichts der Vorschriften des Art. 657, Abs. 2, und Art. 704, Abs. l, O.-R., und auf Grund der der Aufsichtsbehörde zustehenden Befugnisse sind besondere Bestimmungen darüber, wann der Versicherer als insolvent zu gelten habe, nicht erforderlich.

Der Konkurs kommt, nach Maßgabe jener Vorschriften, prinzipiell nicht etwa erst bei Zahlungseinstellung, sondern schon bei Insuffizienz der zur Deckung der Verbindlichkeiten benötigten Mittel in Frage. -- Art. 36, Abs. 5, regelt die auf die R ü c k v e r s i c h e r u n g bezüglichen Verhältnisse. Durch die Rückversicherung deckt der Rückversicherungsnehmer nicht etwa den Versicherten, sondern s i c h s e l b s t , s e i n R i s i k o . Die Leistungen des Rückversicherers können daher nicht dem Versicherten, sondern nur der Konkursmasse zufallen.

Der Entwurf hat es abgelehnt, im Konkurse des Versicherers ein Vorzugsrecht des Versicherungsnehmers aufdie auf seine V e r s i c h e r u n g e n t f a l l e n d e n R e s e r v e n (Prämienund Schadensreserve) zu schaffen. Nach den heute herrschenden Rechtsanschauungen sind Konkursprivilegien nur ausnahmsweise am Platze, da nämlich, wo z w i n g e n d e w i r t s c h a f t l i c h e Gründe eine besondere ökonomische Auseinanders e t z u n g d e r K o n k u r s g l ä u b i g e r f o r d e r n . Diese Voraussetzung mangelt vorliegend. Der Versicherer hat regelmäßig keine ändern Gläubiger als die Versicherten. Sie verschieden r «u behandeln, besteht kein Grund. Zudem sieht das Aufsichtsgesetz keine i n d i v i d u e l l e Anlage der Reserven vor. Die Realisierung des Konkursprivileges müßte daher erheblichen Schwierigkeiten begegnen. -- 12. Der Partialschaden. Art. 40.

Die herrschende Versicherungspraxis räumt dem Versicherer das Recht ein, bei Eintritt eines Schadens kurzer Hand vom Vertrage zurückzutreten. Der odiöse Charakter derartiger Klauseln liegt auf der Hand. Sie geben zu täglichen Reklamationen Anlaß, um so mehr, da die Vertragsauflösung für den Versicherten stets ökonomische Nachteile zur Folge hat. -- Der Gesetzgeber muß daher der Frage näher treten. -- Abs. l stellt darauf ab, daß das befürchtete Ereignis nicht einen totalen, son-

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dem nur einen teihveiseh Schaden verursacht hat. Da die Möglichkeit besteht, daß in kurzer Zeit Unfälle sich häufen, stellt der Entwurf vorerst den Umfang der Haftung des Versicherers für die Folgezeit fest. Der Satz, daß der Versicherer i m Z w e i fel nur mit dem Restbetrage der Versicherungssumme einzustehen hat, ist geltendes Recht in der See- und Hagelversicherung.

Er empfiehlt sich auch für die übrigen Versicherungszweige.

Liegt ein Partialschaden vor, so kann sowohl der Versicherer wie der Versicherungsnehmer vom Vertrage zurücktreten.

Abs. 2. Überwiegend räumt der Vertrag nur dem Versicherer das Rücktrittsrecht ein. Nach dem Vorgange einer neuern Versicherungspraxis erkennt der Entwurf dieses Recht auch dem Versicherungsnehmer zu. Schlimme Erfahrungen kann im Versicherungsverkehr nicht nur der Versicherer, sondern auch der Versicherte machen. Es ist nicht einzusehen, warum der letztere mindern Rechtes sein sollte. Weiter mögen vielfach sachliche Gründe dieser oder jener Partei die Vertragsauflösung nahe legen.

Die Interessen des Versicherers wahrt der Entwurf für den Fall, daß der Versicherte den Vertrag aufhebt, durch die Bestimmungen des Art. 40, Abs. 4 und 5, sicherlich ausreichend.

Tritt der V e r s i c h e r e r vom Vertrage zurück, so muß dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit verschafft werden, sich rechtzeitig anderwärts versichern zu können. Diesem Zwecke wird Abs. 3, e r s t e r S a t z , gerecht. Die Tatsache, daß der Versicherer vom Vertrage vor dessen natürlicher Beendigung zurücktritt, rechtfertigt eine besondere, von der Vorschrift des Art. 25 des Entwurfes abweichende Regelung des Prämienschicksales. Der Versicherer, der sich der Haftung für den Restbetrag der Versicherungssumme entschlägt, kann gerechterweise die auf diesen Teil der Versicherungssumme entfallende Prämienquote nicht lukrieren. Abs. 3, z w e i t e r Satz.

II. Die besonderen Bestimmungen über die Sachversicherung.

Art. 44--63.

1. Gegenstand der Sachversicherung. Art. 44.

Gegenstand der Sachversicherung ist nicht die Sache, an der sich das schädigende Ereignis betätigen kann, sondern das I n t e r e s s e , das der Versicherte am Ausbleiben des befürchteten Ereignisses hat. Abs. 1. Diesem Satze liegen nicht nebensächliche terminologische Erwägungen, sondern eine theoretisch und praktisch bedeutsame Auffassung zu Grunde. Dadurch, daß auf das InterBundesblatt. 56. Jahrg. Bd. I.

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esse abgestellt wird, setzt man nicht nur der W e t t v e r s i c h e r u n g einen wirksamen Damm entgegen, sondern erklärt auch, im Interesse des wirtschaftlichen Lebens, v e r s c h i e d e n a r t i g e Wertbeziehungen, die v e r s c h i e d e n e n Personen an d e m s e l b e n Objekte zustehen, als versicherbar.

Das versicherbare Interesse drückt die w i r t s c h a f t l i c h e Wertbeziehung aus. Es ist somit nicht etwa rechtsbegrifflich zu fassen. Das wirtschaftliche Interesse kann unabhängig von jeder rechtlichen Beziehung einer Person zu einem Objekte bestehen und daher mangeln, trotzdem diese rechtliche Beziehung gegeben ist. Versicherbar ist jedes rechtlich erlaubte, wirtschaftliche Interesse, mithin auch das Interesse, einen voraussichtlichen gewurblichen Gewinn zu realisieren. Dahin gehört namentlich auch die k o n f o r m den z w i n g e n d e n N o r m e n des Art. 55, Abs. l, und des Art. 59, Abs. 3, abgeschlossene Versicherung des sogenannten Chômage.

Das Recht, den Entschädigungsanspruch geltend zu machen, darf, wie schon früher dargelegt wurde (oben 8. 293), nicht einem beliebigen Dritten, sondern nur dem Geschädigten zustehen. Abs. 2. Dieser im Wesen der Versicherung begründete Satz ist überdies zum Schütze der gemeinen Wohlfahrt und des Versicherers unentbehrlich.

2. Versicherungswert. Art. 45 und 59, Abs. 2.

In der Sachversicherung sind zwei Werte, der V e r s i cher u n g s w e r t und der E r s a t z w e r t , strenge auseinanderzuhalten.

Der Versicherungswert ist der Wert, den das versicberbare Interesse zur Z e i t des V e r t r a g s a b s c h l u s s e s darstellt. Art.

45, Abs. 1. Der Ersatzwert dagegen ist der Wert, den das Interesse z u r Z e i t d e s E i n t r i t t e s d e s b e f ü r c h t e t e n E r e i g n i s s e s repräsentiert. Art. 55.-- Der Versicherungswert ist ausschlaggebend für die Frage, ob eine Überversicherung oder Doppelversicherung vorliege. Da der Versicherungswert der Schadensermittlung nicht zu Grunde liegt, mithin nicht Ersatzwert ist, sind öffentliche Interessen bei der Feststellung des Versicherungswertes grundsätzlich nicht engagiert. Der Entwurf schließt daher besondere Vereinbarungen der Parteien über die Höhe des Versicherungswertes nicht aus. Derartige Abmachungen greifen indessen im Gebiete der Binnenversicherung regelmäßig
nicht Platz. Wohl dagegen in der Seeversicherung -- sogenannte Taxe. D i e F e s t s t e l l u n g d e r V e r s i c h e r u n g s s u m m e , i s t n i c h t , wie vielfach angenommen wird, e i n e auf V e r -

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einbarung beruhende Taxierung des versicherten I n t e r e s s e s . Siehe die Begründung zu Art. 46 (unten Ziffer 3, litt. a). Um allen Bedürfnissen zu genügen, würdigt der Entwurf die rechtliche Bedeutung einer eventuellen vertraglichen Feststellung des Versicherungswertes (Taxe) durch die Vorschrift des Art. 59, Abs. 2. Im Hinblicke auf öffentliche Interessen ist dagegen eine solche Vereinbarung da unzulässig, wo, wie bei der Chomageversicherung, ein künftiger Gewinn gegen Feuersgefahr versichert werden soll.

Art. 45, Abs. 2, gründet sich auf die Erwägung, daß meist nicht das Interesse, sondern nur das Objekt, an welches das Interesse anknüpft, näher bezeichnet wird. Die Bestimmung beseitigt Zweifel, die über die Art des versicherten Interesse entstehen mögen. Das Eigentümerinteresse ist auch hier nicht juristischer, sondern wirtschaftlicher Begriff. Der Käufer einer beweglichen Sache z. B. ist, wiewohl er erst- durch Besitzübergabe juristischer Eigentümer wird (Art. 199, O.-R.), mit dem Vertragsabschlüsse wirtschaftlicher Eigentümer, weil er die Gefahr der Sache trägt. (Art. 204, O.-R.)

Die Bestimmung des Art. 45, Abs. 3, entspricht einer neuern Versicherungspraxis. Sie bedeutet für denjenigen Versicherten, der je und je ausreichend versichert, einen Fortschritt.

3. Versicherungssumme; Überversicherung und Doppelversicherung. Art. 46, 47, 59, Abs. l, 60, 61 und 62.

a. Der V e r s i c h e r u n g s s u m m e fallen sachversicherungsrechtlich zwei wesentliche Funktionen zu. Einmal bezeichnet die Versicherungssumme grundsätzlich den Höchstbetrag der Entschädigung, die der Versicherer im Schadensfalle zu leisten hat. Tritt das befürchtete Ereignis ein, so ist nicht -schlechthin die Versicherungssumme, sondern, innerhalb der durch sie markierten Grenze, der entstandene Schaden zu ersetzen. (Art. 60, Abs. l, und Art. 55, Abs. 1.) Von dem Satze, daß die Versicherungssumme die äußerste Grenze der Ersatzpflicht des Versicherers feststellt, macht der Entwurf im Hinblicke auf die Rettungskosten (Art. 61) eine Ausnahme. -- Die Versicherungssumme ist sodann in ihrem Verhältnisse zum Versicherungswerte maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob eine Überversicherung oder eine Doppelversicherung vorliege. Art. 46. -- Nach der herrschenden, auch vom Entwurfe gebilligten Ansicht begründet dagegen die Versicherungssumme keinen Beweis dafür,

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daß die versicherten Gegenstände wirklich vorhanden sind und den deklarierten Wert besitzen. Eine derartige Ordnung der Dinge würde sich auch augenscheinlich mit den Rücksichten auf die gemeine Wohlfahrt nicht vertragen. Diesen Erwägungen konform ist die Vorschrift des Art. 59, Abs. l, gefaßt. Damit ist unmißverständlich ausgesprochen, daß der Versicherte im Schadensfalle sein Interesse und dessen Wert (Art. 55) liquid zu stellen hat.

b. Die Begriffe ,, Ü b e r v e r s i c h e r u n g 1 1 und ,, D o p p e l v e r s i c h e r u n g " stellen auf das Verhältnis ab, in d e m die Versicherungssumme zum Versicherungswerte steht. Diese Begriffe und die aus ihnen fließenden Rechtssätze setzen mithin voraus, daß der Versicherungswert feststellbar ist. Diese Möglichkeit besteht bei einzelnen Sachversicherungsbranchen, namentlich bei der allgemeinen Haftpflichtversicherung und bei der Versicherung des imaginären Gewinnes, nicht. Hier kann'daher von Überversicherung und Doppel Versicherung nicht gesprochen werden.

aa. Ü b e r v e r s i c h e r u n g liegt vor, wenn die Versicherungssumme den Versicherungswert übersteigt. Art. 46, Abs. 1.

Der Entwurf hat es abgelehnt, die Überversicherung schlechthin zu verbieten. Auf Grund folgender Erwägungen. Zunächst ist das Verbot überall da, wo wechselnde Wertbestände (Warenlager, Vorräte, etc.) in Frage kommen, nicht durchführbar. Dio naheliegende Annahme sodann, daß der Versicherte in betrügerischer Absicht zum Mittel der Überversicherung greifen möchte, rechtfertigt es nicht, die meist gutgläubig erfolgte Überversicherung auszuschließen, namentlich da nicht, wo sie, im Hinblicke auf künftige wahrscheinliche W e r t s t e i g e r u n g e n (Neuanschaffungen, etc.), geradezu als Akt wirtschaftlicher Vorsorge erscheint. --s Auf öffentliche Interessen ist das Überversieherungsterbot nicht zu gründen. Denn der Schadensermittlung liegt weder der Versicherungswert, noch die Versicherungssumme, sondern ausschließlich der Ersatzwert zu Grunde. Gegen die bösgläubig erfolgte Überversicherung schützen Art. 47, Abs. 2, und das Strafrecht. -- Die vorgeschlagene Lösung beseitigt die durchweg vertretene unhaltbare Auffassung, daß der Versicherte nach Maßgabe der Versicherungssumme zu entschädigten sei, und macht die eben so nutzlose wie lästige kantonale Präventivkontrolle, die
Überversicherungen vorhüten soll, überflüssig.

bb. D o p p e l v e r s i c h e r u n g . Art. 46, Abs. 2. Aus der Fassung der Entwurfsbestimmung erhellt, daß n i c h t j e d e m e h r -

309 f a c h e Versicherung sich als Doppelversicherung iin juristischen Sinne des Wortes qualifiziert. So liegt nicht Doppelversicherung vor, wenn die Versicherungssummen zusammen den Versicherungswert nicht übersteigen oder wenn die mehrern Versicherer für eine und dieselbe Versicherungssumme solidarisch, subsidiär oder pro rata zu haften erklären. Die mehrfachen Versicherungen werden erst dann zu Doppelversicherungen, wenn die Versicherungssummen zusammen den Betrag des Versicherungswertes überschreiten. Die Doppelversicherung dient unbestrittenermaßen dringenden Verkehrsbedürfnissen, wie schon die ,,Bemerkungen der schweizerischen Versicherungsgesellschaften zum Entwurfe eines Buudesgesetzes über das 0.-R.U (1877), S. 18, darlegen.

Sie ist bei der Versicherung großer variabler Werte meist nicht zu umgehen. Der Entwurf gestattet daher, unter ausreichenden schützenden Kautelen (Art. 47 und 62), die gutgläubige Doppelversicherung.

Selbstverständlich darf der Schaden dem Versicherten nur e i n m a l ersetzt werden. Diesen Zweck hat der Gesetzgeber durch eine zwingende ' Vorschrift zu sichern.

Zwei Lösungen sind denkbar. Jeder Versicherer haftet entweder pro rata auf einen Teil des Schadens oder, innerhalb der Grenzen seiner Versicherungssumme, solidarisch auf die ganze Entschädigungssumme mit Regreß gegen die übrigen Versicherer (so das englisch-amerikanische Recht). Der Entwurf hat die erste Lösung adoptiert, weil sie den gewollten Zweck sicherer erreichen dürfte. Art. 62, Abs. 1. Danach haftet jeder unbedingt ersatzpflichtige Versicherer für den Schaden in dem Verhältnisse, in dem seine Versicherungssumme zum Gesamtbetrage der Versicherungssummen steht. Der Versicherer, der auf die ganze Ersatzsumme belangt wird, hat die Einrede der Teilung. Möglichen Mißbräuchen begegnet Art. 47, Abs. 1.

Der Versicherte muß, bei Vermeidung zivilrechtlicher Folgen, jedem Versicherer von der mehrfachen Versicherung Kenntnis geben.

Aus der praktischen Erwägung, daß der Versicherte vielfach deshalb zur Doppelversicherung greift, weil er der Leistungsfähigkeit des frühern Versicherers mißtraut, zieht Art. 62, Abs.

2, die rechtliche Konsequenz. Da der Versicherer für den vollen Betrag der von ihm gezeichneten Versicherungssumme die Prämie empfangen hat, darf ihm diese subsidiäre Haftung ohne Bedenken zugemutet werden.

Art. 62, Abs. 3, wahrt die Interessen der sämtlichen Versicherer und verhindert Kollusionen, die zwischen dem Versicher-

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ten und einem Versicherer bestehen sollten. Die Größe des Schadensersatzes, den der zuwiderhandelnde Versicherte schuldet, ist ohne weiteres gegeben.

4. Nachträgliche Verminderung des Versicherungswertes.

Art. 48.

Der Sachversicherungsvertrag wird regelmäßig für längere Zeit (10 Jahre) abgeschlossen. Im Laufe dieser Zeit kann der Versicherungswert beträchtlichen Schwankungen unterworfen sein.

Der Entwurf berücksichtigt nur diejenige Wertverminderung, die im L a u f e der V e r s i c h e r u n g eintritt und sich als w e s e n t l i c h e darstellt. -- Die Vorschrift stellt vornehmlich auf bürgerliche Verhältnisse ab. Ihre praktische Berechtigung liegt auf der'? Hand.

5. Wechsel in der Person des Versicherten. Art. 49 und 50.

Der Entwurf faßt a l l e , nicht etwa bloß die durch Rechtsgeschäft unter Lebenden begründeten Sukzessionsfälle ins Auge.

Nur der Wechsel in der Person des V e r s i c h e r t e n , der Eintritt eines neuen Versicherten an Stelle des bisherigen Versicherten, wird beachtet, nicht dagegen der Wechsel, der gelegentlich etwa in der Person des F o r d e r u n g s b e r e c h t i g t e n eintreten mag. -- Die durch Art. 49 geordnete Frage ist bestritten. Nach der einen Meinung e r l i s c h t der Versicherungsvertrag bei Handänderung; nach der ändern Auffassung tritt der neue Eigentümer von R e c h t s w e g e n an die Stelle des bisherigen Versicherten.

Nach einer vermittelnden Ansicht sukzediert der neue Eigentümer in den Versicherungsvertrag, wenn der bisherige Versicherte den Versicherungsanspruch ü b e r t r a g e n hat. .Die ratio dieser letztern Meinung ist nicht zu erfassen. Wenn gegen den Eintritt des neuen Eigentümers keine a s s e k u r a n z r e c h t l i c h e n Bedenken sprechen -- und dies setzt die bemängelte Auffassung ja augenscheinlich voraus --, so ist nicht einzusehen, warum der Versicherungsvertrag nicht von Rechts wegen übergehen soll. Jene Lösung widerspricht den Verkehrsbedürfnissen und einer gesunden Rechtspolitik. Die Verkehrsbedürfnisse fordern dringend, daß die Versicherung dem neuen Eigentümer zu gute kommt. Der wirtschaftliche Erfolg der Sicherung darf nicht deshalb ausbleiben, weil der Versicherungsanspruch aus entschuldbarer Unaufmerksamkeit nicht übertragen worden ist. --

311 Nach der neuesten Rechtsanschauung gilt das o b j e k t i v e Interesse als versichert, das Interesse, das jedermann, der an der Erhaltung des Gutes in gleicher Eigenschaft interessiert ist, am Ausbleiben des befürchteten Ereignisses hat. Aus diesem Prinzipe, das den Bedürfnissen des wirtschaftlichen Lebens in besonderm Maße dient, ist zu ^folgern, daß die Versicherung an dem versicherten Gegenstande haftet und daher mit der Handänderung verloren und erworben wird.

Hiernach scheint die in Art. 49 niedergelegte Norm begründet.' Sie durchbricht, auf Grund besonderer wirtschaftlicher Erwägungen, den allgemeinen Rechtssatz, daß der Gläubiger den Eintritt eines ändern Schuldners an Stelle des bisherigen sich nicht gefallen zu lassen braucht. -- Praktische Bedenken stehen dem Entwurfsvorschlage nicht entgegen. Die Handänderung ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit; sie erfolgt nicht zu dem Zwecke, um die Verpflichtungen gegenüber dem Versicherer auf einen zahlungsunfähigen Schuldner abzuwälzen. Vergi, dazu Art.

49, Abs. 2. -- Der Übergang erfolgt von Gesetzes wegen im Momente der Handänderung. Der neue Eigentümer tritt in die Rechte und Pflichten aus dem V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g e .

Er muß sich daher alle Einreden aus dem V e r s i c h e r u n g s v e r h ä l t n i s s e gefallen lassen. Die technische Stellung des Versicherers wahrt Art. 49, Abs. l, durch den Hinweis auf Art. 28 ausreichend.

Art. 50, Abs. l, geht von der Erwägung aus, daß die Konkursmasse nicht minder schutzbedürftig ist, wie ein neuer Eigentümer. Art. 50, Abs. 2, berücksichtigt besondere Verhältnisse.

Da die betreibungsrechtliche Pfändung und der Arrest kein Pfandrecht begründen, ist die Bestimmung nicht etwa schon im Hinblicke auf Art. 51 entbehrlich.

6. Pfandrecht an der versicherten Sache. Art. 51 und 52.

Der Entwurf entscheidet hier eine bestrittene Frage des gemeinen Zivilrechtes. Die Bestimmung ruht grundsätzlich auf den oben unter Ziffer 5 dargelegten wirtschaftlichen Erwägungen.

Die Frage ist auf Grund der wirtschaftlichen Funktion der Versicherung und nach Erwägungen der Zweckmäßigkeit zu beurteilen. Jede Versicherung des Eigentümerinteresse umfaßt ohne weiteres auch das schmälernde Interesse des dinglich Berechtigten, des sogen. Konkurrenzinteressenten. -- Für die vom Entwurfe vorgeschlagene Lösung sprechen weiter Zweckmäßigkeits-

312 erwägungen. Nicht nur der Hypothekargläubiger, der Pfandgläubiger überhaupt setzt heute die Versicherung als selbstverständlich voraus. Diese Voraussetzung wirkt krediterhöhend.

Es wäre augenscheinlich ungerecht, bei Insolvenz des Verpfänders -- denn in diesem Falle gewinnt die Frage praktische Bedeutung -- dem Pfandgläubiger die Vorteile aus der Versicherung zu entziehen und sie dem Chirographargläubiger zuzuweisen.

Das Pfandobjekt ist dem Zugriffe der Gläubiger entzogen.

Warum soll es der Ersatzwert nicht sein, der wirtschaftlich das Pfandobjekt repräsentiert? Soll der Chirographargläubiger aus dem Eintritte des befürchteten Ereignisses profitieren? Neuere gesetzgeberische Erlasse disponieren wie der Entwurf. Vergi.

Loi (française) relative à l'attribution des indemnités dues par suite d'assurances (vom 19. II. 1889), Art. 2: ,,Les indemnités dues par suite d'assurances contre l'incendie, contre la grêle, contre la mortalité des bestiaux ou les autres risques, sont attribuées , sans qu'il y ait besoin de délégation expresse, aux créanciers privilégiés ou hypothécaires suivant leur rang."

Art. 52 behält bestimmte Vorschriften des kantonalen Rechtes vor. Dieser Vorbehalt ist geboten, weil das kantonale Recht gegebenenfalls in das bundesgesetzlich geordnete Vertragsrecht eingreifen muß.

7. Haftpflichtversicherung ; gesetzliches Pfandrecht des beschädigten Dritten. Art. 53.

Die Versicherung gegen die Folgen gesetzlicher Haftpflicht ist heute in voller Entwicklung begriffen. Schon längst hat sie die engen Grenzen der industriellen Spezialhaftpflichtgesetze überschritten und sich des Gebietes des gemeinen Rechtes bemächtigt. Die Haftpflichtversicherung hat heute nicht mehr bloß individuelle Bedeutung. An ihr ist nicht der Haftpflichtige allein, sondern die menschliche Gesellschaft überhaupt interessiert. Es widerspricht unsern Anschauungen und der Zweckbestimmung der Versicherung, daß bei Insolvenz des Haftpflichtigen die Ersatzleistung dem beschädigten Dritten vorenthalten und den Gläubig e r n z u g e w i e s e n wird. Den Gläubigern des Haftpflichtigen darf aus der widerrechtlichen Handlung ihres Schuldners kein Vorteil erwachsen. Vergi, auch das oben, unter Ziffer 6 i. f.

zitierte französische Gesetz vom 19. II. 1889, Art. 3: ,,En cas d'assurance du risque locatif ou du recours du voisin (siehe Code civil, Art. 1733 und 1382), l'assuré ou ses ayants droit

313 ne pourront toucher tout ou partie de l'indemnité sans que le propriétaire de l'objet loué, le voisin ou le tiers subrogé à leurs droits aient été désintéressés des conséquences du sinistre.a -- Art. 53 gewährt dem beschädigten Dritten kein e i g e n e s Forderungsrecht, sondern nur ein Pfandrecht am Versicherungsan- < Spruche. -- Die Liquidation des Pfandrechtes erleichtert der Entwurf dadurch, daß er den Versicherer ermächtigt, die Ersatzleistung direkt an den beschädigten Dritten auszurichten. Art. 53, Abs. l, zweiter Satz. Die z w a n g s w e i s e V e r w e r t u n g des Pfandrechtes erfolgt nach Maßgabe der betreibungsrechtlichen Vorschriften.

8. Rettungspflicht und Rettungskosten. Art. 54 und 61.

Die Rettungspflicht gründet sich auf die vom Versicherten geschuldete Treue und auf das Interesse der gemeinen Wohlfahrt.

Der Entwurf statuiert die Rettungspflicht nur für die Sachversicherung.

Im Gebiete der Personenversicherung geht die Rettungypflicht in dem jedem Menschen immanenten Selbsterhaltungstriebe auf. -- Die Rettungspflicht begründet keine Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 469 fg., 0. R.); sie ist Voraussetzung der Ersatzpflicht des Versicherers. Die Schadensminderung umfaßt nicht nur Vorkehren gegen Ausbreitung des Schadens, sondern auch Rettungshandlungen. Art. 54.

Der Rettungspflicht des Versicherten entspricht die Kostenersatzpflieht des Versicherers. Art. 61. Natürlich fallen nur solche Kosten in Betracht, die zur Minderung e i n e s d u r c h d i e V e r s i c h e r u n g g e d e c k t e n S c h a d e n s aufgewendet werden. Angesichts der heutigen Organisation der Feuerpolizei sind zu weit gehende oder nutzlose Rettungsmaßnahmen nicht zu befürchten. Die Vorschrift, es müsse der Versicherte, w e n n n i c h t G e f a h r im V e r z ü g e l i e g e , über die zu ergreifenden Maßregeln die Weisung des Versicherers einholen und befolgen, ist geboten, da die Rettungskosten grundsätzlich dem Versicherer auffallen. -- Die Rettungspflicht darf dem Versicherten nicht über Gebühr erschwert werden. Die Erfahrung, daß manche Mensehen sich gerade in Unglücksfällen nicht zu helfen wissen, widerstreitet strengen Anforderungen. Art. 54, Abs. 2. Ist der Versicherte, weil eine U n t e r v e r s i c h e r u n g vorliegt, zu einem Teile Selbstversicherer, so hat er am Kostenersatze verhältnismäßig zu partizipieren. Art. 61, Abs. 2. Vergi, dazu die grundsätzlichen Darlegungen zu Art. 60, Abs. 2 (unten, Ziffer 10).

314 9. Ersatz wer t. Art. 55 und 56.

Die Sachversicherung darf nicht zu einem Gewinne führen; sie vermag nur einen Schaden auszugleichen. Diesen aus dem Wesen der Versicherung fließenden Grundsatz fordern dringende Rücksichten auf die gemeine Wohlfahrt. Die Vorschriften, an Hand deren der Schaden zu ermitteln ist, sind daher grundsätzlich mit zwingender Kraft auszurüsten. Art. 80. Abs. 1. -- Bei der Schadensermittlung darf, wie oben dargelegt wurde, weder auf den Versicherungswert, noch auf die Versicherungssumme abgestellt werden. M a ß g e b e n d ist a u s s c h l i e ß l i c h der Wert, den der Gegenstand der Versicherung zur Zeit des Eintrittes des b e f ü r c h t e t e n Ereignisses g e h a b t hat. Art. 55, Abs. 1. -- Die übrigen Bestimmungen des Art. 55 tragen in dispositiver Fassung den besondern Bedürfnissen einzelner Branchen, vornehmlich der Transportversicherung und Hagelversicherung, Rechnung. Sie schließen abweichende Parteiabreden, die sich i n n e r h a l b der d'urch A b s a t z l g e z o g e n e n S c h r a n k e n b e w e g e n , nicht aus. -- Art. 55. Abs. 4, resultiert aus der Schadensersatznatur der Versicherung. -- Besondere Vorschriften über die Schadensermittlung erheischt die F e u e r v e r s i c h e r u n g , nicht nur ihrer hohen volkswirtschaftlichen Bedeutung wegen, sondern auch im Hinblicke auf die mit diesem Versicherungszweige verknüpften Besonderheiten.

Art. 56 stellt die Ersatzwerte der verschiedenen Gütergattungen fest. Die Vorschrift unter Ziffer l entspricht der herrschenden Versicherungspraxis. Dagegen weichen von ihr ab die unter Ziffer 2 und 3 fixierten Ersatzwerte. Regelmäßig wird auch hinsichtlich solcher Objekte, die der Abnutzung und damit einer natürlichen Wertverminderung unterworfen sind, auf den gem e i n e n W e r t abgestellt. Dieses Verfahren kann nicht gebilligt werden. Namentlich gegenüber den unter Ziffer 3 genannten Sachen vermag der Verkehrswert nicht als korrekter Wertungsmaßstab zu funktionieren.

Der gemeine Wert geb r a u c h t e r Sachen ist erfahrungsgemäß gering; er steht in keinem Verhältnisse zu dem Werte, den derartige Sachen für ihren Besitzer repräsentieren. Tatsächlich schätzt jedermann beispielsweise die von ihm selbst gebrauchten Mobiliarstücke hoher, als dieselben Gegenstände gleicher Güte auf dem Markte ausgeboten
werden. Der gemeine Wert gebrauchter Maschinen und anderer Utensilien erreicht vielfach kaum den Materialwert. Die vorgeschlagenen Normen werden den Bedürfnissen des wirt-

315 schaftlichen Lebens gerecht, ohne den Besonderheiten der Feuerversicherungsbranche zu nahe zu treten. -- Art. 56, letzter Absatz, stellt, in Übereinstimmung mit der Feuerversicherungspraxis, dem Feuerschaden auch denjenigen Schaden gleich, der durch Löschen des Feuers oder durch notwendiges Ausräumen eintritt und in der Vernichtung, Beschädigung oder in dem Abhandenkommen der Sache besteht. Dieser unbestrittene Satz ist eine Folge des Prinzipes der Rettungspflicht (Art. 54) und feuerpolizeilicher Vorschriften.

10. Ersatzpflicht des Versicherers bei Unterversicherung.

Art. 60, Abs. 2.

Nach der in der Literatur und Rechtsprechung herrschenden Auffassung ist die U n t e r v e r s i c h e r u n g gegeben, wenn die Versicherungssumme den V e r s i c h e r u n g s w e r t (Art. 45, Abs. 1) nicht erreicht.

Die kontinentale Versicherungspraxis dagegen stellt auf das Verhältnis ab, in dem die Versicherungssumme zum Ersatzwerte (Art. 55, Abs. 1) steht. Da diese Praxis weder vom Standpunkte des umsichtigen Versicherten, noch vom Standpunkte des öffentlichen Wohles aus Bedenken erregt, stimmt der Entwurf ihr bei. -- Die Unterversicherung ist für die Höhe der Ersatzpflicht des Versicherers bedeutsam. Der Versicherte ist für den nicht gedeckten Teil des Ersatzwertes Selbstversicherer. Art. 60, Abs. 2. Vergi, dazu Art. 61, Abs.

2, und Art. 63, Abs. 1.

11. Schadensermittlung; Veränderungsverbot. Art. 57 und 58.

Die Versicherungspraxis verpflichtet den Versicherten vielfach, bestimmte Vorkehren zu treffen, welche die prompte Feststellung der Schadensursache und des Schadensumfanges sichern sollen. Der Entwurf überläßt es auch fürderhin den Parteien, zu ermessen, welche Maßregeln im einzelnen Falle zu ergreifen seien. Art. 57 verfolgt den Zweck, den Beteiligten die ungesäumte und gehörige Feststellung des Schadens zu ermöglichen.

Die Schadensermittlung soll, nach der Intention des Entwurfes, unter Mitwirkung beider Parteien erfolgen.

Die gegenseitige Aussprache dürfte manche Streitigkeit beseitigen. -- Abs. 2 sichert die Schadensfeststellung bei Renitenz einer Partei und bei Differenzen, die sich^zwischen den Beteiligten über die Größe des' entstandenen Schadens erheben mögen. Die Vorschrift ist

316 nicht prozessrechtlicher, sondern materiellrechtlicher Natur. Die Bedeutung, die dem Befunde der Sachverständigen im Prozesse zukommt, ist nach kantonalem Prozeßrechte festzustellen. Die in der Versicherungspraxis vielfach üblichen Schiedsmannsklauseln fallen nicht unter die Bestimmung des Art. 57, Absatz 2. -- Die Bestimmung des Abs. 3 sichert den Versicherer gegen die Gefahr, daß in seiner Teilnahme an der Schadensfeststcllung eine konkludente Verzichtshandlung erblickt werden möchte. -- Abs.

4 überbindet, nach dem Vorgange der herrschenden Versicherungspraxis, die Kosten der Schadensermittlung den Parteien zu gleichen Teilen.

Mit Recht verpflichten die allgemeinen Versicherungsbedingungen den Versicherten, vor Feststellung des Schadens keinerlei Änderung an den beschädigten Gegenständen vorzunehmen. Zu tadeln ist nur, daß diese Vertragsklausel zu allgemein gefaßt ist und daher den Versicherten gefährdet. Der Versicherer ist lediglich daran interessiert, daß die Feststellung der S c h a d e n s u r s a c h e und des S c h a d e n s nicht erschwert oder vereitelt wird.

Aber auch dieses Interesse muß zurücktreten einmal vor dem Interesse der öffentlichen Wohlfahrt und sodann vor dem intensivem Interesse, das der Versicherer selbst an der Schadensminderung hat. A r t . 58, A b s . 1.

12. Regressrecht des Versicherers. Art. 63.

Die Regreßfrage ist bewußt nur für die Sachversicherunggeordnet. Damit ist ausgesprochen, daß dem P e r s o n e n v e r s i c h e r e r kein Regreßrecht zur Seite steht. Die Frage, ob der Versicherer einen e i g e n e n , also s e l b s t ä n d i g e n Ersatzanspruch gegen den dritten Schadensstifter geltend zu machen in der Lage sei, ist gemeinrechtlicher Natur. Art. 50 fg., O.-R.

Die neueste schweizerische Rechtsprechung verneint die' Frage entschieden. Vergi. Revue der Gerichtspraxis, Bd. XVI, Nr. 44.

Das Regreßrecht des Versicherers ist von der herrschenden P e r s o n e n v e r s i c h e r u n g s p r a x i s mit Recht aufgegeben worden. Denn die Subrogation kann nur auf B i l l i g k e i t s r ü c k s i c h t e n und Z w e c k m ä ß i g k e i t s e r w ä g u n g e n gegründet werden. Beide Gesichtspunkte schlagen iu der P e r s o n e n v e r s i c h e r u n g nicht durch, weil sie von der Schätzung des Wertes des menschlichen Lebens absehen muß und daher eine Grenze für die Schadensliquidation nicht kennt. Wohl dagegen in der S a c h v e r s i c h e r u n g . Der Versicherte kann,

317 s o w e i t er vom Versicherer entschädigt worden ist, vom Täter nicht mehr Ersatz fordern. Es erscheint nun als unbillig, daß der Schadensstifter, der eine unerlaubte Handlung begangen hat, von der Versicherung profitiere. Dieses Dilemma beseitigt das Regreßrecht des Sachversicherers. Der Umstand, daß der Versicherer sein volles Äquivalent mit der Prämie erhält, schließt freilich die Annahme einer Schädigung des Assekurateurs aus.

Dieses Moment muß jedoch vor der für die Sachversicherung zutreffenden Erwägung zurücktreten, daß der Ausschluß des Regreßrechtes das Versicherungsgeschäft in privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Beziehung gefährden würde.

Die Rechte, die dem Versicherten aus unerlaubter Handlung zustehen, gehen von G e s e t z e s w e g e n auf den Versicherer über. Der Versicherte haftet daher weder für den Bestand der Forderung, noch für die Zahlungsfähigkeit des Schuldners.

Art. 195, O.-R. Die Subrogation des Versicherers erfolgt mit der Ersatzleistung insoweit, als Vergütung geleistet wird. Im übrigen gilt die Bestimmung des Art. 185, O.-R. -- Art. 63, Abs. 3, gewährt aus Gründen, die zu Art. 15 vorgetragen wurden, denjenigen dritten Personen (Dienstboten, etc.) einen Schutz, die mit dem Versicherten in häuslicher Gemeinschaft leben oder für deren Handlungen der Versicherungsnehmer einzustehen hat.

III. Die besondern Bestimmungen über die Personenversicherung.

Art. 64--78.

1. Versicherung fremder Leben und Übertragung des Versieherungsanspruehes. Art. 64.

Die V e r s i c h e r u n g f r e m d e r L e b e n spielt namentlich in der Lebensversicherungsbranche eine Rolle. Sie verfolgt, im Gegensatze zur Versicherung zu gunsten Dritter (Art. 67), den Zweck, die Vorteile aus der, auf fremden Kopf gestellten Versicherung dem V e r s i c h e r u n g s n eh m er zuzuwenden. Unlautere Spekulationen liegen nahe. Der Gesetzgeber darf daher die Versicherung fremder Leben nur unter schützenden Kautelen gestatten.

Gesetzgebung und Wissenschaft fordern überwiegend e i n Interesse des V e r s i c h e r u n g s n e h m e r s am Leben des D r i t t e n . Wie dieses Interesse beschaffen sein muß (wirtschaftliches oder moralisches Interesse), ist nicht gesagt. -- Dio Meinung, daß schon ein Interesse am Leben des Dritten zur

318 Versicherung legitimiere, ist mit unseren kulturellen Anschauungen nicht vereinbar. Es widerstreitet der Menschenwürde, daß das menschliche Leben ohne Zustimmung des Trägers in den Bereich geschäftlicher Kalkulationen einbezogen wird. Mit dem verschwommenen Begriffe eines ,,Interesses" schlechthin ist nicht durchzukommen. Soll weiter das Interesse nur im Momente des Vertragsabschlusses oder auch während der Versicherungsdauer und insbesondere in dem Zeitpunkte gege.ben sein, in dem die Versicherungsleistung fällig wird? Wird die Versicherungssumme überhaupt oder nur in der Höhe des Wertes des Interesses, das dem Versicherungsnehmer zur Seite steht, geschuldet?

Wie soll das m o r a l i s c h e Interesse bewertet und kontrolliert werden? -- Der Entwurf fordert nicht für alle auf fremden Kopf gestellten Versicherungen, sondern nur für diejenigen Verträge die Zustimmung des Dritten, die auf dessen Tod gestellt sind. Art. 64, Abs. 1. Für diese Einschränkung spricht die praktische Erwägung, daß nur bei der Versicherung auf den Todesfall, nicht aber auch bei der Versicherung auf den Lebensfall, unmoralische Spekulationen denkbar sind.

Art. 64, Abs. 2 und 3, beseitigt Zweifel, die in der Praxis häufig zu Streitigkeiten Anlaß geben. -- Dem Rechte auf Übertragung des Versicherungsanspruches weitere gesetzliche Schranken entgegenzusetzen, empfiehlt sich nicht, soll nicht die Kreditwürdigkeit der Forderung aus dem Personenversicherungsvertrage gefährdet werden. Besondern Verhältnissen mag auf Grund des Art. 183, 0. R., Rechnung getragen werden.

2. Unrichtige Altersangaben. Art. 66.

In Übereinstimmung mit einer neueren Versicherungspraxis knüpft der Entwurf an die unrichtige Altersangabe grundsätzlich nicht die Wirkungen der verletzten Anzeigepflicht (Art. 8).

Freilich ist das Alter im Hinblicke auf die meisten Personenversicherungsbranchen eine technisch erhebliche Gefahrstatsache, weil es für die Gefahrenklassifikation ausschlaggebend oder mindestens mitbestimmend ist. Praktische Erwägungen fordern jedoch, die unrichtige Altersangabe nicht kurzweg unter die verletzte Anzeigepflicht zu subsumieren. Die unrichtige Altersangabe ist meist auf Vergeßlichkeit, auf Irrtum zurückzuführen.

Entscheidend aber ist, daß sie stets und mit Sicherheit festgestellt werden kann. Der Versicherer leistet nur gegen Vorweis

319

des amtlichen Geburtsscheines Zahlung. Die schweren Folgen der verletzten Anzeigepflicht wären daher augenscheinlich nicht gerechtfertigt. -- Art. 66 stellt den Satz an die Spitze, daß der Versicherer nur dann vom Vertrage zurücktreten kann, wenn das richtige Eintrittsalter nicht innerhalb der festgestellten Aufnahmegrenzen liegt. Dem Versicherer darf die Versicherung solcher Personen, deren Aufnahme er wegen zu jugendlichen oder zu hohen Alters von vornherein abgelehnt hat, nicht zugemutet werden. Für die Wertung derartiger Risiken würde regelmäßig die notwendige technische Grundlage mangeln. ,,Eintrittsaltera und ,,wirkliches Altera fallen nicht notwendig zusammen. Der Versicherer behandelt das angetretene Altersjahr bald als nicht angefangen, bald als ganz oder teilweise vollendet. Die beiden Alter sind insbesondere in der Lebensversicherung auseinanderzuhalten, wo vielfach wegen besonderer gefahrerhöhender Umstände eine dem wirklichen Alter nicht entsprechende höhere Prämie geschuldet, mithin ein höheres Eintrittsalter fingiert wird. -- Das Rücktrittsrecht des Versicherers ist hiernach konsequenterweise an die einzige Voraussetzung zu knüpfen, daß das richtige Eintrittsalter nicht innerhalb der gezogenen Aufnahmegrenzen liegt. Das subjektive Verhalten des Anzeigepflichtigen ist bedeutungslos.

Liegt dagegen das richtige Eintrittsalter innerhalb der Aufnahmegrenzen, so ist der Vertrag, trotz unrichtiger Altersangabe, rechtsverbindlich. Hat der Versicherungsnehmer auf Grund der unrichtigen Altersangabe eine zu n i e d r i g e Prämie entrichtet, so ist die G e g e n l e i s t u n g des V e r s i c h e r e r s in dem Verhältnisse herabzusetzen, in dem die vereinbarte Prämie zur Tarifprämie des richtigen Eint r i t t s a l t e r s s t e h t . Art. 66, Ziff. 1. Dieser Rechtssatz ist technisch korrekt. Das Verfahren dagegen, die Prämiendifferenz; nebst Zins und Zinseszins von der Versicherungssumme in Abzug zu bringen, ist roh und untechnisch. Es erregt auch recht-1 liehe Bedenken, weil diese Rechnungsweise dem Versicherungsnehmer eine höhere Leistung auferlegt, als er vertraglich übernehmen wollte. -- Art. 66, Ziff. l, Abs. 2, faßt die Möglichkeit ins Auge, daß der Versicherer auf Grund der unrichtigen Altersangabe bereits zu viel geleistet hat. Das Korrektiv liegt in der Rückerstattung des zu viel Bezahlten. Die Anwendung der gemeinrechtlichen Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung ist aus versicherungstechnischen Gründen ausgeschlossen.

320 Die Sicherung der technischen Anforderungen des Geschäftsbetriebes erheischt volle Schadloshaltung des Versicherers. -- Art. 66, Ziff. 2, ordnet die Fälle, in denen der Versicherungsnehmer infolge unrichtiger Altersangabe eine z u h o h e Prämie bezahlt hat. Die Rückerstattungspflicht des Versicherers kann, an Hand hier zutreffender gemeinrechtlicher Normen, nur insoweit geltend gemacht werden, als der Empfänger (Versicherer) zur Zeit der Rückforderung noch bereichert ist. Art. 73, 0. R.

Bereichert ist der Versicherer nicht um den Bruttomehrbetrag der Jahr für Jahr "bestimmungsgemäß verwendeten Prämie, sondern lediglich um den Betrag, der als Differenz zwischen dem vorhandenen und dem für das richtige Eintrittsalter notwendigen kleinern Deckungskapitale reserviert ist. Hierauf ist die Rückerstattungspflicht zu beschränken.

8. Versicherung zu gunsten Dritter. Art. 67--69 und Art. 71.

Art. 67, Abs. l, stellt, auf Grund des Art. 128, 0. R., die begrifflichen Merkmale des Versicherungsvertrages zu gunsten Dritter fest. Das Leistungsversprechen an den Dritten braucht nicht notwendig der Police einverleibt zu werden. Es ist möglicherweise schon aus einer Willenserklärung des Antragstellers (Promissar) und aus konkludenten Handlungen des Versicherers (Promittent) zu erstellen.

Abs. 2 und 3 des Art. 67 stellen Normen darüber auf, wie die praktisch häufigsten Begünstigungsklauseln auszulegen sind.

Das Bedenken, daß derartige Interpretationsnorrnen möglicherweise dem Parteiwillen nicht gerecht werden, muß vor dem Bedürfnisse des Publikums, gerade in diesen Fragen Klarheit zu erhalten, zurücktreten.

Die vorgeschlagenen Bestimmungen schließen sich dem normalen Zwecke der Versicherung (Familienfürsorge) und im wesentlichen auch der Judikatur an.

Art. 68 stellt den Inhalt des dem Begünstigten eingeräumten Rechtes fest. Das Recht ist sachlich und zeitlich bedingt. Der ·Versicherungsnehmer kann über den Versicherungsanspruch zu Lebzeiten frei verfügen. Art. 68, Abs. 1. Unwiderruflich wird das Recht des Begünstigten erst mit dem Tode des Versicherungsnehmers, soweit der letztere inzwischen nicht anderweitig disponiert hat. Der Begünstigte muß also den Versicherungsnehmer überlebt haben. Art. 68, Abs. 3. -- Der Versicherungsnehmer kann auf das Recht, die Begünstigung zu widerrufen, verzichten. Kraft dieses Verzichtes wird das Recht des Begünstigten unwiderruflich. Dagegen ist es, weil an das Überleben

321 des Begünstigten geknüpft, noch zeitlich bedingt. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Verzicht auf Widerruf gegeben ist, muß im Interesse der Verkehrssicherheit gesetzlich geordnet werden. Die Aushändigung der Police an dea Begünstigten darf de lege ferenda nicht ausreichen. Die Police ist kein Wertpapier. Die Lösung, die Art. 68, Abs. 2, bietet, beseitigt jedenfalls häufig berechtigte Zweifel.

Art. 69 statuiert als gesetzliche Erlöschungsgründe des dem Begünstigten eingeräumten, w i d e r r u f l i c h e n Rechtes die Pfändung des Versicherungsanspruches und die Konkurseröffnung über den Versicherungsnehmer.

Unbillige Härten verhindert Art. 69, Abs. 2, und Art. 70, Abs. 3.

Art. 71 ordnet, konform dem Versicherungszwecke, die häufig streitige Frage, ob und in welcher Weise derjenige, zu dessen Gunsten ein Kollektivunfallversicherungsvertrag abgeschlossen wurde (der Verunglückte und dessen Hinterlassene), g e g e n ü b e r dem V e r s i c h e r e r forderungsberechtigt ist. Die vorgeschlagene Lösung beseitigt die Gefahr, daß der Arbeitgeber sich durch die Unfälle seiner Arbeiter bereichere. Vielfach ist mit der Kollektivunfallversicherung eine H a f t p f l i c h t v e r s i c h e r u n g verbunden. In diesem Falle steht dem Hafpflichtberechtigten überdies Art. 53 zur Seite.

4. Betreitaungs- und konkursrechtliche Verwertung des Iistaensversicherungsanspruches. Art. 70.

Die Vorschrift bezieht sich lediglich auf die vom Schuldner a u f sein e i g e n e s L e b e n abgeschlossene Versicherung. Die auf fremden Kopf gestellte Versicherung unterliegt ohne weiteres der Exekution. Die Bestimmung entspricht im Grundsätze den Anschauungen, die der Entwurf hinsichtlich der Versicherung fremder Leben vertritt (Art. 64). Die von Art. 70, Abs. l, geforderte Zustimmung kann der Versicherungsnehmer auch zum voraus, %,. B. schon bei Verpfändung des Versicherungsanspruches, erteilen. -- Eine Schädigung der Gläubiger verhindert Art. 70, Abs. 2. Die nicht rückkaufsfähigen Lebensversicherungen stehen an Zahl und wirtschaftlicher Bedeutung den rückkaufsfähigen Verträgen weit nach. Sie repräsentieren regelmäßig keine realisierbaren Vermögenswerte. Siehe oben S. 298. Art. 70, Abs. 3, räumt, unter bestimmten Voraussetzungen, dem Ehegatten und den Kindern dos Versicherungsnehmers ein Auslösüngsrecht ein. Die Vorschrift trägt Bundesblatt.

56. Jahrg. Bd. I.

23

322 dem wirtschaftlichen Zwecke der Lebensversicherung Rechnung.

Der Familie soll der letzte ökonomische Halt nicht ohne Not entzogen werden. Interessen Dritter werden nicht verletzt. Den Gläubigern des Versicherungsnehmers bleibt der Wert, den die Versicherung für sie darstellt, gesichert.

6. Unfallversicherung; Invaliditätsentsehädigung. Art. 72.

Art. 72 will die Übelstände beseitigen, die auf Grund des herkömmlichen Abfindungsmodus -- Rente oder Kapital nach Wahl des Versicherers -- in der Praxis schwer empfunden werden. Die Unfallversicherungspolicen nennen an ihrem Kopfe möglichst ersichtlich eine bestimmte Kapitalsumme als Maximalentschädigungsbetrag in I n v a l i d i t ä t s f ä l l e n . Sie erwecken damit den Glauben, daß die Ersatzleistung in Form der Kapitalabfindung ausgerichtet werde. Daß der Versicherer sich in der Police das Recht vorbehalten hat, seine Verbindlichkeit durch Rentenleistungen zu tilgen, w i r d r e g e l m ä ß i g ü b e r s e h e n .

Der Versicherte, der, wie der von den Gesellschaften aufgeführte minime Prozentsatz der Rentenbezüger beweist, durchgehends an Stelle der Rentenzahlung eine A Versalentschädigung wünscht, muß diese Zahlungsweise, wenn sie der Versicherer überhaupt zugesteht, mit einem ganz beträchtlichen Geldopfer erkaufen. -- Der Rentenabfindung haften, auch abgesehen von der gerügten Praxis, Mängel an. Der Versicherte muß, der Unfallsfolgen wegen, vielfach seinen Beruf ändern. Hierzu benötigt er eines Betriebskapitals. Die Rente ist sodann nicht, wie dies in den meisten Arbeiterunfallversicherungsgesetzen vorgesehen ist, vererblich. Sio erlischt mit dem Tode des Invaliden. Geradezu unbillig nimmt sich die Rentenabfindung in allen denjenigen Fällen aus, in denen der Verunglückte voraussichtlich bald den Unfallsfolgen erliegt, wo er vielleicht, statt der vermeintlich versicherten Kapitalsummc, ein paar Jahresrenten bezieht. Zu all dem kommt, daß der Unfallversicherer die Höhe der Invalidenrente an Hand der technischen Grundlagen der Rentenversicherung bemißt. Augenscheinlich überragt aber die Sterblichkeit des Invaliden die Mortalität des Gesunden, des Rentners, der, weil er auf ein langes Leben hofft, sich eine Rente kauft. Der Invalide kommt mithin stets zu kurz.

Der Entwurf schafft eine klare Situation. Überall da, wo der Versicherungsnehmer nicht a u s d r ü c k l i c h eine Rentenabfindung b e a n t r a g t hat, ist die Invaliditätsentschädigung in Form der

323 Kapitalabfindung auszurichten. Der Versicherer darf also künftighin die Rentenabfindung nicht einfach mit Hinweis darauf beanspruchen, daß der Versicherungsnehmer den Vertrag zu ' den allgemeinen Versicherungsbedingungen abgeschlossen habe und daß diese Bedingungen die Rentenabtindung vorsehen. Die Stellung des Versicherers ist für den Fall, daß die Unfallsfolgen zunächst nicht feststehen, ausreichend gewahrt.

Angesichts der vorgeschlagenen Lösung halten wir eine besondere Vorschrift für überflüssig, daß in der A r b e i t e r u n f a l l v e r s i c h e r u n g die Invaliditätsentschädigung in Form der Rentenabfindung gewährt werden solle. Es ist zunächst Sache der Parteien, die geeignete Abfindungsform zu vereinbaren.

Tun sie dies nicht, so ist Kapitalabfindung vorgeschrieben.

6. Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers. Art. 73.

Art. 73 greift auf die von der Versicherungspraxis allgemein gebilligte Besonderheit der Lebensversicherung, die eine zwangsweise Fortsetzung des Vertrages ausschließt, zurück.

(Vergi, dazu unten Ziffer 7.) Der zweite Satz verhindert, daß der Versicherer während einer vielleicht langem Nachfrist die Gefahr ohne Entgelt zu tragen hätte. Die Nachfrist will die Aufrechthaltung des Vertrages sichern ; sie hat daher hier keinen Platz. -- 7. Umwandlung und Rückkauf des Lebensversicherungsvertrages. Art. 74--78.

Ein großer Teil der Lebensversicherungsverträge wird nicht normal beendigt, sondern aus den verschiedensten Gründen vorzeitig aufgehoben. Diese Erscheinung ist auf eine Besonderheit der Lebensversicherung zurückzuführen, die ihrer volkswirtschaftliehen Bedeutung entsprechend gewürdigt werden muß. J e n e r B e s o n d e r h e i t gibt der v e r s i c h e r u n g s r e c h t l i c h unb e s t r i t t e n e Satz A u s d r u c k , d a ß d e m L e b e n s v e r s i c h e r u n g s n e h m e r j e d e r z e i t das freie R°ücktrittsr e c h t z n s t e h t . Der Grundsatz wahrt die Interessen beider Vertragsteile. Die Lebensversicherung hätte sich nicht entwickeln können, wenn der Versicherungsnehmer, ungeachtet der häufig eintretenden Änderung seiner Lebensverhältnisse, an den Vertrag gebunden wäre. Dem Mittelstande, welcher der Lebensversicherung das beste Aliment liefert, wäre die Wohltat der Versicherung

324 gerade/AI versagt. Der Entwurf räumt daher mit, Recht dem Versicherungsnehmer die Befugnis ein, vom Vertrage zurückzutreten. Art. 73.

Liegt somit das freie Rücktrittsrecht des Versicherten ini Wesen des Lebensversicherungsvertrages begründet, so fällt dem Gesetzgeber die eben so wichtige, wie schwierige Aufgabe zu, diejenigen Rechtssätze festzustellen, die der ökonomischen Auseinandersetzung der Parteien zu Grunde zu legen sind. Diese Auseinandersetzung erscheint grundsätzlich im Hinblicke a u f a l l e L e b e n s v e r s i c h e r u n g s b r a n c h e n g e b o t e n , d i (i z u r B i l d u n g e i n e s D e c k u n g s k a p i t a l e s (Prämienreserve) führen.

Im Deckungskapitale stecken die a n t i z i p i e r t b e z a h l t e n P r ä m i e n , d.h. d i e j e n i g e n P r ä m i e n t e i l e nebst Zinsen und Zinseszinsen, die nicht Entgelt für das getragene Risiko, sondern teilweises Entgelt für die vom V e r s i c h e r e r k ü n f t i g zu t r a g e n d e G e f a h r s i n d . -- Die reservierten Beträge, die mit dem Rücktritte des Versicherten ihre Zweckbestimmung verlieren, dürfen dem Versicherer nicht kurzer Hand als gute Prise verfallen.

Dieser Auffassung gab schon bei der Beratung des Aufsichtsgesetzes die ständerätliche Kommission scharfen Ausdruck. Bundesbl. 1885. I, 564. Allen Lebensversicherungen ist ein ausgeprägter Fürsorgecharakter eigen. Das Ersparte darf nicht ohne zwingende Gründe seinem Zwecke entfremdet werden.

Solche Gründe bestehen nicht, weder rechtliche, noch technische. Den Verfall der Reservebeträge kann deiVersi cherer n i c h t u n t e r d e m G e s i c h t s p u n k t e d e s S c h a d e n s e r s a t z e s rechtfertigen, weil das Rücktrittsrecht des Versicherten im Wesen der Lebensversicherung begründet liegt, diese Möglichkeit daher beim Geschäftsabschlüsse gewürdigt werden mußte. Auch die V e r s i c h e r u n g s t e c h n i k fordert nicht, daß die zwecklos gewordene Prämienreserve dem Versicherer zu freier Verfügung verbleibe.

Derselben Ansicht ist die herrschende 'Lebensversicherungspraxis. Diea Konzessionen, die sie während der Dauer der Versicherung in Form von Darlehen und bei vorzeitiger Vertragsauflösung in P'orm einer Abgangsentschädigung zugesteht, laufen in ihrem juristischen Gehalte darauf hinaus, ein Recht des Versicherten an der Prämienreserve zu begründen. Was der loyale, fortschrittliche Versicherer, selbstverständlich ohne seine technischen Berechnungen zu durchbrechen, gewähren kann, darf

325 billigerweise j e de m korrekt arbeitenden Versicherer zugemutet werden.

Die ökonomische Auseinandersetzung der Parteien unterliegt zur Stunde dem schrankenlosen Beliehen des Versicherers. Von der im Principe und dem Maße nach vertraglich genau festgelegten Abfindung bis zur willkürlichen, nur im Ermessen des Versicherers liegenden Abfindung sind sozusagen alle Zwischenstufen vertreten. Der Gesetzgeber hat daher, angesichts der großen volkswirtschaftlichen Bedeutung, welche die aufgeworfene Frage beansprucht, allen Grund, die Rechte festzustellen, die dem Versicherten an der Prämienreserve zustehen. Dagegen sieht der Entwurf, im Hinblicke auf die Staatsaufsicht, davon ab, dem Versicherten hinsichtlich Bildung und Verwaltung der Prämienreserve Rechte einzuräumen.

Der Entwurf lehnt sich grundsätzlich an die herrschende Versicherungspraxis an. Es sind zwei Abfindungsformen geläufig, die U m w a n d l u n g und der R ü c k k a u f . Durch die Umwandlung wird der Vertrag nicht aufgelöst, sondern modifiziert.

Die Versicherungssumme wird im Verhältnisse der Höhe des Deckungskapitals herabgesetzt und der Versicherte von weitern Prämienleistungen entbunden. Der Rückkauf dagegen löst den Vertrag auf. Der Versicherte erhält eine, meist auf Grundlage des Deckungskapitals berechnete Abfindungssumme.

«. V o r a u s s e t z u n g e n u n d I n h a l t d e r U m w a n d l u n g u n d d e s R ü c k k a u f e s . Umwandlung u n d Rückkauf können nicht schlankweg, sondern nur insoweit zugestanden werden, als die Sicherheit des Geschäftsbetriebes eine Abfindung gestattet. Aus dem Vertragsabschlüsse erwachsen dem Versicherer Unkosten (Provisionen, etc.), die sofort oder in kurzer Zeit getilgt werden müssen. Der Gegenwert dieser Ausgaben steckt in den Prämienzuschlägen. Bei vorzeitiger Vertragsmodifikation fallen die erwartungsmäßigen Einnahmen dahin.

-- Solange das Deckungskapital die Höhe der dem Versicherer gebührenden Entschädigung nicht übersteigt, kann der Versicherte eine Abfindung nicht beanspruchen. Im allgemeinen erreicht das Deckungskapital erst nach Bezahlung von drei Jahresprämieti eine solche Höhe, daß dem Versicherten eine Leistung ausgerichtet werden kann. Das Recht auf Umwandlung und Rückkauf ist daher allgemein an die Voraussetzung m knüpfen, daß mindestens drei Jahresprärnien entrichtet worden sind. Art. 74, Abs. l und 2.

326 Art. 74, Abs. l, erklärt j e d e Lebensversicherung als u m w a n d l u n g s f ä h i g . Bei Umwandlung der Lebensversicherung in eine beitragsfreie Versicherung behält der Versicherer das Deckungskapital ; er verliert bloß den Anspruch auf die künftigen Prämien.

Der R ü c k k a u f dagegen entzieht dem Versicherer beides, Deckungskapital und künftige Prämien. Aus technischen Gründen kann der Rückkauf nur bei solchen Versicherangsformen gewährt werden, bei d e n e n der E i n t r i t t der L e i s t u n g s p f l i c h t d e s V e r s i c h e r e r s g e w i ß ist, b e i Versicherungen also, die in ihren technischen Berechnungen auf eine sicher auszuführende Leistung des Versicherers abstellen. Nur da, wo diese Voraussetzung zutrifft, wo demnach ein Risiko dahinfällt, das für den Versicherer einen künftigen Vermögensaufwand sicher zur Folge gehabt haben würde, ist der Rückkauf zulässig. Wo es dagegen ungewiß ist, o b der Versicherer zu leisten haben wird, kann keine B a r a b f i n d u n g gewährt werden, weil die technischen Berechnungen darauf abstellen, daß dem Versicherer möglicherweise, wenn nämlich das befürchtete Ereignis ausbleibt, die Prämienzahlungen verfallen. Gewichtige Erwägungen fordern, daß der Gesetzgeber dem Versicherten, neben dem Rechte auf U m w a n d l u n g , auch das R ü c k k a u f s r e c h t e i n r ä u m t . Dem Interesse des Versicherten, sich einer Versicherung zu entschlagen, die für ihn wirtschaftlich wertlos geworden ist, wird die Umwandlung nicht gerecht. Hinter eine allgemein geübte Geschäftspraxis, die dringenden wirtschaftlichen Bedürfnissen entgegenkommt, darf der Gesetzgeber unmöglich zurückgehen. Es kann auch nicht seine Aufgabe sein, einen sozialen Sparzwang in dem Sinne auszuüben, daß jeder Versicherte seine Reserve beim Versicherer stehen zu lassen habe.

Der Versicherte verzichtet regelmäßig nicht ohne triftige Gründe auf die Fortsetzung der Versicherung. Die Befürchtung, daß das gesetzliche Rückkaufsrecht die anormalen Vertragsauflösungen fördere, verkennt den haushälterischen Sinn des Versicherton.

Auch der Rückkauf bedeutet für den Versicherten einen finanziellen Verlust. Die gesetzliche Ordnung ist vielmehr geeignet, die große Zahl der schlichten Verzichtsfälle zu mindern und so das Ansehen und die volkswirtschaftliche Bedeutung des Lebensversicherungswesens zu heben.

Aus diesen Gründen statuiert der Entwurf das Rückkaufsrecht des Versicherten bei denjenigrn Lebensversicherungsbranchen, bei

327 denen der Eintritt der Leistungspflicht des Versicherers gewiß ist.

Art. 74, Abs. 2.

Umwandlung und Rückkauf können nur auf das Ende einer Versicherungsperiode verlangt werden, Art. 74, Abs. 3. Soweit der R ü c k k a u f in Frage steht, muß der Versicherer, der darauf angewiesen ist, seine Gelder fest anzulegen, im Hinblicke auf mögliche Krisen vor Überrumpelung geschützt werden.

Vergi, dazu Art. 76, Abs. 3.

b. R e c h t l i c h e Natur der U m w a n d l u n g und des R ü c k k a u f e s . Die Ausdrücke ,,Umwandlung"' und .^Rückkauf"1 haben sich im Sprachgebrauche des Versicherungsverkehres so sehr eingelebt, daß sie auch im Gesetze beibehalten werden müssen. Freilich prägt sich in ihnen der juristische Gehalt des auf Umwandlung und Rückkauf gegründeten Rechtsaktes nicht klar aus, weder in seinen Voraussetzungen, noch in seinen Wirkungen. Namentlich der Ausdruck .^Rückkauf"1 verwirrt.

Er hat lediglich das ökonomische Resultat des Rechtsaktes im Auge, legt aber die Annahme nahe, daß ein zweiseitiges Rechtsgeschäft vorliege. Diese Auffassung wäre irrig. Umwandlung und Rückkauf sind ein e i n s e i t i g e s , e m p f a n g s b e d ü r f t i g e s Rechtsgeschäft, wodurch das gesetzlich gewährte Recht verwirklicht wird, das Versicherungsverhältnis zu ändern (Umwandlung) oder aufzuheben (Rückkauf). Vergi. Art. 80, Abs. 2.

o. U n v e r f a l l b a r k e i t d e s L e b e n s v e r s i c h e r u n g s v e r t r a g e s . Art. 77. Der Entwurf muß es, auf Grund der vorstehenden Ausführungen, ablehnen, eine umwandlungs- oder rückkaufsfähige Lebensversicherung zu gunsten des Versicherers verfallen zu lassen. Die Versicherung wird von Gesetzes wegen in eine beitragsfreie umgewandelt. Der Versicherte hat unter den, in Art. 77, Abs. 2, festgestellten Voraussetzungen das Recht, den Rückkaufspreis der u r s p r ü n g l i c h e n Versicherung zu fordern. Selbstverständlich ist er auch nach Ablauf der in Absatz 2 anberaumten Frist befugt, den Rückkauf der r ü c k k a u f s f ä h i g e n , h e r a b g e s e t z t e n Versicherung zu verlangen.

d. U m w a n d l u n g u n d R ü c k k a u f v o n G e w i n n a n t e i l e n . Art. 78. Einige Gewinnsysteme realisieren die zu gunsten des Versicherten angefallenen Gewinnanteile in Form einer meist akzessorischen Lebensversicherung. So namentlich das sogenannte Bonussystem. Die Praxis, derart verwendete Gewinne bei der Berechnung der Abfindungssumme zu ignorieren, ist nicht zu

328 rechtfertigen. -- Im übrigen lehnt es der Entwurf ab, privatrechtliche Bestimmungen über die Ansprüche der Versicherten auf Gewinn aufzunehmen. Einen Gewinnanspruch für den Versicherten zu erzwingen, wäre nur bei Gegenseitigkeitsgesellschaften denkbar.

Hier aber fließt der Gewinnanspruch aus der Verbandszugehörigkeit und ist daher im Versicherungsgesetze nicht zu normieren. Bestimmungen öffentlichrechtlicher Natur zu treffen, die zur Sicherung vertraglich begründeter Gewinriansprüche erforderlich erscheinen, ist Sache des Aufsichtsgesetzes.

· c. Die A b f i n d u n g s w e r t e . Art. 75. Der erste Gesetzesentwurf hatte die Elemente festgestellt, an Hand deren die Abfindungswerte bei Umwandlung und Rückkauf zu berechnen sind. Die Expertenkommission schloß sich grundsätzlich den Vorschlägen des Entwurfes an. Danach wäre der U m w a n d l u n g s w e r t der Versicherung in der Weise zu ermitteln, daß das ganze Deckungskapital als einmalige Prämie für das Alter, das der Versicherte zur Zeit der Umwandlung erreicht hat, angerechnet wird. Und als R ü c k k a u f s p r e i s hätte der Versicherer das Deckungskapital, unter Abzug von höchstens drei Prozenten der Versicherungssumme, zu gewähren.

Gegen diese Vorschläge hat eine schweizerische Lebensversicherungsgesellschaft in ausführlicher Eingabe opponiert. Das Justizdepartement ließ hierauf durch Sachverständige nochmals eingehend die Frage prüfen, ob es a n g e z e i g t s e i , die Abf i n d u n g s w e r t e g e s e t z l i c h f e s t z u l e g e n . Das technische Gutachten verneinte die Frage entschieden. Es wird betont, daß, auf Grund n e u e s t e r versicherungstechnischer Erfahrungen, die Abfindungswerte an Hand einer a l l g e m e i n e n Formel nicht korrekt bemessen werden können. Die Abfindungswerte im Gesetze in der Weise zu spezialisieren, daß für die verschiedenen Lebensversicherungsformen die technischen Rechnungsgrundlagen e i n z e l n festgelegt würden, empfehle sich schon aus praktischen Gründen nicht. Das Publikum könne sich mit derartigen rein technischen Vorschriften nicht behelfen. Dazu komme, daß die Lebensversicherung ihre Entwicklung noch nicht abgeschlossen habe; sie zeitige, mehr wie jeder andere Versicherungszweig, je und je n e u e K o m b i n a t i o n e n , deren Struktur sich nicht voraussehen lasse. Das Gesetz müßte daher, trotzdem es mit einer Menge technischer Einzelvorsehriften beschwert wäre, insoweit stets als unvollständig erscheinen.

329 Auf Grund der Erwägung, daß es bei dem heutigen Stände der Lebensversicherungstechnik unmöglich ist, eine allgemeine, technisch korrekte Abfindungsnorm, die für alle Fälle brauchbar und unmißverständlich zugleich ist, aufzustellen, daß es sich andererseits nicht empfiehlt, mit Einzelvorschriften sich zu behelfen, haben wir diejenigen Bestimmungen des von der Expertenkommission bereinigten Entwurfes gestrichen, welche die Ermittlung und die Höhe der Abfindungswerte beschlagen. Denn der Gesetzgeber darf sich nicht der Gefahr aussetzen, eine unwissenschaftliche oder unzulängliche Lösung zu sanktionieren.

Er muß gerade im Hinblicke auf derartige schwierige technische Fragen zunächst die praktische und wissenschaftliche Entwicklung der Dinge abwarten.

Die Erwägung, daß die Abfindungswerte fürderhin nicht mehr nach dern Belieben des Versicherers bemessen werden dürfen, bleibt freilich bestehen. Denn die Willkür, mit der die Versicherer, unter gleichen Verhältnissen, diese Werte festzustellen pflegen, ist mit einer sozialen Fürsorgeeinrichtung nicht vereinbar. Dem angestrebten Zwecke wird die neue Vorschrift, die wir in Art. 75 formuliert haben, gerecht. Danach ist der Lebensversicherer verpflichtet, die Grundlagen zur Ermittlung des Umwandlungswertes und des Rückkaufspreises der Versicherung in den allgemeinen Versicherungsbedingungen festzustellen. Diese Bedingungen sind gemäß Aufsichtsgesetz heute schon dem Bundesrate zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen. Art. 75 weist nun dem Bundesrate, in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde im Gebiete des privaten Versicherungswesens, die weitere Aufgabe zu, bei der Prüfung der allgemeinen Versicherungsbedingungen, a l s o von F a l l zu F a l l , darüber zu entscheiden, ob die vom Versicherer vorgesehenen Abfindungswerte angem e s s e n sind. Dieses Vorgehen, dem auch keine Schwierigkeiten administrativer Natur im Wege stehen, bietet eine doppelte Gewähr. Zunächst tritt an Stelle des freien Beliebens des Versicherers das gesetzlich geforderte, sachverständige Ermessen der Behörde. Sodann ist die Aufsichtsbehörde, eben weil sie durch keine Gesetzesvorschrift beengt wird, in der Lage, ihr technisches Urteil jederzeit auf die neuesten Erfahrungen zu gründen und so eine rationelle, allseitig gerechte ökonomische Auseinandersetzung der Parteien herbeizuführen.

f. O b l i e g e n h e i t e n des V e r s i c h e r e r s ; N a c h p r ü fung des Versicherungsamtes; Fälligkeit der Rück-

330

k a u f s f o r d e r u n g . Art. 76, Absatz l und 2, sichert die praktische Ausführung der für Umwandlung und Rückkauf geltenden Vorschriften. -- Art. 76, Absatz 3, ordnet in angemessener Weise die Fälligkeit der dem Rückkaufsberechtigten zustehenden Forderung. Vergleiche dazu Art. 74, Absatz 3. -- Da die Versicherung mit e i n m a l i g e r Prämienzahlung technisch eine einzige, unteilbare Versicherungsperiode darstellt (vgl.

Art. 20, Absatz l, Satz 2, des Gesetzesentwurfes), muß die Fälligkeit der Rückkaufsforderiing für derartige Versicherungen besonders behandelt werden. Art. 76, Absatz 3, Satz 2.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 2. Februar

1904.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Ruchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

331

(Entwurf.)

Bundesgesetz über den

Versicherungsvertrag.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Vollziehung des Art. 64 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 2. Februar 1904, beschließt :

1. Allgemeine Bestimmungen.

Art. 1. Auf den Versicherungsvertrag finden die Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht insoweit Anwendung, als dieses Gesetz nicht anders verfügt.

Verhältnis des Spezialgesetzes zum Obligationenrechte.

Art. 2. Wer dem Versicherer den Antrag zum Abschlüsse des Vertrages gestellt und für die Annahme keine kürzere Frist ' gesetzt hat, bleibt zehn Tage, vom Eintreffen des Antrages beim Versicherer oder Agenten an gerechnet, gebunden.

Versicherungsantrag.

a. überhaupt

332 Erfordert die Versicherung eine ärztliche Untersuchung., so bleibt; der Antragsteller vier Wochen an den Antrag gebunden.

Der Antragsteller wird frei, wenn die Annahmeerklärung des Versicherers nicht vor Ablauf der Frist bei ihm eingetroffen ist.

b. Besondere Antragsverhältnisse.

Art. 3. Wird der Antrag, einen bestehenden Vertrag zu verlängern oder abzuändern oder einen suspendierten Vertrag wieder in Kraft zu setzen, vom Versicherer nicht binnen angemessener Zeit beantwortet, so gilt er als angenommen.

Der Antrag, die Versicherungssumme zu erhöhen, fällt nicht unter diese Bestimmung.

c. Antragsschein.

Art. 4. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen müssen entweder in die vom Versicherer ausgegebenen Antragsscheine aufgenommen oder dem Antragsteller vor der Einreichung des Antragsscheines übergeben werden.

Wird dieser Vorschrift nicht genügt, so ist der Antragsteller an den Antrag nicht gebunden.

Anzeigepflicht beim Vertragsabschlüsse, a. Überhaupt.

Art. 5. Der Antragsteller hat alle für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsachen, soweit und so wie sie ihm beim Vertragsabschlüsse bekannt sind oder bekannt sein müssen, dem Versicherer mitzuteilen.

Erheblich sind diejenigen Tatsachen, die nach der redlichen Überzeugung des Antragstellers geeignet sind, auf den Entschluß des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschließen, einen Einfluß auszuüben.

b. Beim Vertragsabschlüsse durch Stellvertreter.

Art. 6. Wird der abgeschlossen, so sind sachen anzuzeigen, die dem Vertreter bekannt

Vertrag .durch einen Stellvertreter diejenigen erheblichen Gefahrstatsowohl dem Vertretenen als auch sind oder bekannt sein müssen.

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Bei der Versicherung für fremde Rechnung (Art. 16) umfaßt die Anzeigepflicht auch diejenigen erheblichen Gefahrstatsachen, die dem Dritten selbst oder seinem Zwischenbeauftragten bekannt sind oder bekannt sein müssen, es sei denn, daß der Vertrag ohne Wissen dieser Personen abgeschlossen wird, oder daß die rechtzeitige Benachrichtigung des Antragstellers nicht möglich ist.

c. Bei der Versicherung dir fremde Rechnung.

Art. 7. Hat der Antragsteller die Gefahrstatsachen an Hand eines Fragebogens des Versicherers festzustellen, so genügt er mit der Beantwortung der vorgelegten Fragen seiner Anzeigepflicht.

Die Gefahrstatsachen, auf welche die Fragen des Versicherers in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind, gelten als erheblich.

d. Fragebogen.

Art. 8. Wenn der Anzeigepflichtige beim Abschlüsse der Versicherung eine erhebliche Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen mußte, unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen hat, so ist der Versicherer an den Vertrag nicht gebunden, sofern er binnen vier "Wochen, seitdem er von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat, vom Vertrage zurücktritt.

Folgen der verletzten Anzeigepflicht.

Art. 9. Umfaßt der Vertrag mehrere Gegenstände oder Personen und ist die Anzeigepflicht nur bezüglich eines Teiles dieser Gegenstände oder Personen verletzt, so bleibt die Versicherung für den übrigen Teil wirksam, sofern erhellt, daß der Versicherer diesen Teil allein zu den nämlichen Bedingungen versichert haben würde.

Teilbarkeit des Kollektivversicherungsvertrages.

Art. 10. Der Versicherer kann, trotzdem die Anzeigepflicht verletzt ist, vom Vertrage nicht zurücktreten : 1. wenn die unrichtig angezeigte oder verschwiegene Tatsache vor Eintritt des befürchteten Ereignisses weggefallen ist;

Nichieintritt der Wirkungen der verletzten Anzeigepflicht.

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2. wenn der Versicherer die Verschweigung oder unrichtige Angabe veranlaßt oder auf den Rücktritt verzichtet hat.

Ein Verzicht liegt insbesondere vor: a. wenn der Versicherer die unrichtig angezeigte oder verschwiegene Tatsache richtig gekannt hat oder gekannt haben muß; b. wenn der Anzeigepflichtige auf eine ihm vorgelegte Frage eine Antwort nicht erteilt, und der Versicherer den Vertrag gleichwohl abgeschlossen hat, sofern nicht, auf Grund der übrigen Mitteilungen des Anzeigepflichtigen, die Frage als in einem bestimmten Sinne beantwortet angesehen werden muß.

Nichtigkeit des Versicherungsvertrages.

Art. 11. Der Versicherungsvertrag ist nichtig, wenn im Zeitpunkte des Abschlusses der Versicherung die Gefahr bereits weggefallen oder das befürchtete Ereignis schon eingetreten war.

Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf die Feuerversicherung hinsichtlich solcher Gegenstände, die im Auslande gelegen sind, sowie auf die Transportversicherung und die Rückversicherung.

Wußte jedoch der Versicherer zur Zeit des Vertragsabschlusses, daß die Gefahr bereits weggefallen war, so ist der Versicherungsnehmer an den Vertrag nicht gebunden.

Der Versicherer hat weder auf die Prämie, noch auf Ersatz der Geschäftsunkosten Anspruch.

Wußte dagegen der Versicherungsnehmer zu der Zeit, als er den Versicherungsantrag stellte, daß das befürchtete Ereignis bereits eingetreten ist, so ist der Versicherer an den Vertrag nicht gebunden. Der Versicherer hat auf die ganze vereinbarte Gegenleistung Anspruch.

Police.

a. Inhalt.

Art. 12. Der Versicherer ist gehalten, dem Versicherungsnehmer eine von ihm unterschriebene Urkunde

335 (Police) über die Rechte und Pflichten der Parteien auszuhändigen. Der Versicherer ist berechtigt, vom Versicherungsnehmer außer Porto und Stempelkosten eine Gebühr für Ausfertigung der Police, sowie für Abänderungen derselben zu erheben, deren Höhe durch Verordnung des Bundesrates begrenzt werden kann.

Der Versicherer muß überdies dem Versicherungsnehmer auf Verlangen eine Abschrift der in den Antragspapieren enthaltenen oder anderweitig abgegebenen Erklärungen des Antragstellers, auf Grund deren die Versicherung abgeschlossen wurde, gegen Ersatz der Auslagen aushändigen.

Art. 13. Stimmt der Inhalt der Police oder der Nach- b. Vorbehaltlose Annahme.

träge zu derselben mit den getroffenen Vereinbarungen nicht überein, so hat der Versicherungsnehmer binnen vier Wochen nach Empfang der Urkunde deren Berichtigung zu verlangen, widrigenfalls ihr Inhalt als von ihm genehmigt gilt.

Diese Bestimmung ist in ihrem Wortlaut in jede Police aufzunehmen.

Art. 14. Ist die Police abhanden gekommen, so kann c. Amortisation.

derjenige, dem das Recht aus dem Vertrage zusteht, beim Richter des Erfüllungsortes die Amortisation der Urkunde beantragen.

Für die Amortisation von Policen kommen die für die Amortisation von Wechseln geltenden Bestimmungen sinngemäß zur Anwendung.

Nach erfolgter Amortisation ist der Gesuchsteller berechtigt, auf seine Kosten vom Versicherer die Ausfertigung einer neuen Police zu fordern.

Art. 15. Der Versicherer haftet nicht, wenn der Ver- Schuldhafte sicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte das be- Herbeiführung fürchtete Ereignis absichtlich oder grobfahrlässig herbei- des befürchteten Ereignisses.

geführt hat.

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Ist das Ereignis grobfahrlässig von Personen herbeigeführt worden, die mit dem Versicherungsnehmer oder dem Anspruchsberechtigten in häuslicher Gemeinschaft leben, oder für deren Handlungen der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte einzustehen hat, so haftet der Versicherer nicht, wenn der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte sich in der Beaufsichtigung, durch die Anstellung oder durch die Aufnahme dieser Personen einer groben Fahrlässigkeit schuldig gemacht hat.

Versicherung für fremde Rechnung.

Art. 16. Die Versicherung kann für eigene oder fremde Rechnung, mit oder ohne Bezeichnung der Person des versicherten Dritten, abgeschlossen werden.

Im Zweifel wird angenommen, daß der Versicherungsnehmer für eigene Rechnung versichert hat.

Besonderheiten der Versicherung für fremde Rechnung.

Art. 17. Die Versicherung für fremde Rechnung ist für den Versicherer auch dann verbindlich, wenn der versicherte Dritte den Vertrag erst nach Eintritt des befürchteten Ereignisses genehmigt.

Der Versicherungsnehmer ist befugt, mit Zustimmung des Versicherten den Ersatzanspruch gegen den Versicherer geltend zu machen. Die Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn der Versicherte den Versicherungsnehmer ohne Vorbehalt zum Abschlüsse des Vertrages beauftragt hat oder wenn dem Versicherungsnehmer eine gesetzliche Versicherungspflicht obgelegen hat.

Der Versicherer ist nicht berechtigt, Forderungen, die ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehen, mit der dem Versicherten geschuldeten Entschädigung zu verrechnen.

Vorbehalten wird die Bestimmung des Art. 18 Absatz 2 dieses Gesetzes.

Prämie.

a. Träger der Verpflichtung.

Art. 18. Zur Bezahlung der Prämie ist der Versicherungsnehmer Verpflichtet.

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Bei der Versicherung für fremde Rechnung ist der Versicherer berechtigt, die Bezahlung der Prämie auch vom Versicherten zu fordern, wenn der Versicherungsnehmer zahlungsunfähig geworden ist und die Prämie vom Versicherten noch nicht erhalten hat.

Bei der Versicherung zu gunsten Dritter steht dem Versicherer das Recht zu, die Prämienforderung mit der dem Begünstigten geschuldeten Leistung zu verrechnen.

Art. 19. Der Gläubiger, dem ein Pfandrecht an dem Versicherungsanspruche zusteht, ist zur Bezahlung der Prämie nicht verpflichtet.

Leistet der Gläubiger dennoch Zahlung, so hat er für den ausgelegten Betrag samt Zinsen eine Forderung an den Verpfänder, für die ihm die vorn Versicherer geschuldete Leistung, vorbehaltlich vorgehender Pfandrechte, vorweg haftet.

b. Zahlung der Prämie durch Pfandgläubiger.

Art. 20. Wenn der Vertrag nicht anders bestimmt, ist die Prämie für die erste Versicherungsperiode mit dem Abschlüsse der Versicherung fällig. Unter Versicherungsperiode wird der Zeitabschnitt, nach dem die Prämieneinheit berechnet wird, verstanden.

Auf die Bestimmung der Police, daß die Versicherung erst mit Bezahlung der ersten Prämie in Kraft tritt, kann sich der Versicherer nicht berufen, wenn er die Police vor Bezahlung dieser Prämie ausgehändigt hat.

Die folgenden Prämien sind im Zweifel jeweilen mit Beginn einer neuen Versicherungsperiode fällig.

c. Fälligkeit.

Art. 21. Wird die Prämie zur Verfallzeit oder während der im Vertrage eingeräumten Nachfrist nicht entrichtet, so ist der Schuldner, unter Androhung der Säumnisfolgen, auf seine Kosten schriftlich aufzufordern, binnen zehn Tagen,.

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. I.

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d. Mahnpflicht des Versicherers ; Verzugsfolgen.

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von der Absendung der Mahnung an gerechnet, Zahlung zu leisten.

Wird die Prämie beim Schuldner abgeholt, so kann der Versicherer die schriftliche Mahnung durch eine mündliche ersetzen.

Bleibt die Mahnung ohne Erfolg, so ruht die Leistungspflicht des Versicherers mit dem Ablaufe der Mahnfrist.

Die Vorschrift des Art. 77 dieses Gesetzes wird vorbehalten.

e. Vertragsverhältnis nach eingetretenem Verzüge.

Art. 22. Wird die rückständige Prämie nicht binnen zwei Monaten, nach Ablauf der in Art. 21 festgesetzten Frist von zehn Tagen, rechtlich eingefordert, so wird angenommen, daß der Versicherer, unter Verzicht auf die Bezahlung der rückständigen Prämie, vom Vertrage zurücktritt.

Wird die Prämie vom Versicherer eingefordert oder nachträglich angenommen, so lebt seine Haftung mit dem Zeitpunkte, in dem die rückständige Prämie samt Zinsen und Kosten bezahlt wird, wieder auf.

/. Zahlungsort; Bringschuld und Holschuld.

Art. 23. Die Prämie ist an dem Orte, wo der Versicherer seinen Sitz hat, zu bezahlen.

Hat der Versicherer im Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft keinen Sitz und ist eine besondere inländische Zahlstelle dem Versicherungsnehmer nicht namhaft gemacht worden, so ist die Prämie am schweizerischen Hauptdomizile des Versicherers (Art. 2, Ziffer 3, lit. b, des Bundesgesetzes betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens vom 25. Juni 1885) zu bezahlen.

Unterläßt es der Versicherer, ein Hauptdomizil in der Schweiz zu verzeigen, so gilt der jeweilige Wohnsitz des Versicherungsnehmers als Erfüllungsort.

339 Hat der Versicherer die Prämie regelmäßig beim Versicherungsnehmer einziehen lassen, so ist, solange diese Übung vom Versicherer nicht ausdrücklich widerrufen wird, die Prämie beim Schuldner abzuholen.

Art. 24. Ist die Prämie unter Berücksichtigung bestimmter gefahrerhöhender Umstände vereinbart worden, so kann der Versicherungsnehmer, wenn diese Umstände im Laufe der Versicherung wegfallen oder ihre Bedeutung verlieren, für die künftigen Versicherungsperioden die tarifgemäße Herabsetzung der Prämie verlangen.

g. Prämienreduktion.

Art. 25. Soweit der Vertrag oder dieses Gesetz nicht h. Unteilbarkeit.

anders bestimmt, wird die für die laufende, Versicherungsperiode vereinbarte Prämie auch dann ganz geschuldet, wenn der Versicherer die Gefahr nur für einen Teil dieser Zeit getragen hat.

Art. 26. Wird der Vertrag einseitig aufgelöst, insbesondere aus einem der in den Art. 8, 15, 28, 29, 40 Absatz 4, Art. 58 Absatz 2 und Art. 66 Absatz l vorgesehenen Gründe, so bleibt dem Versicherer der Anspruch auf die Prämie für die zur Zeit der Vertragsauflösung laufende Versicherungsperiode gewahrt.

Wird jedoch der Vertrag zu einer Zeit aufgelöst, in der die Gefahr für den Versicherer noch nicht zu laufen begonnen hat, so kann der Versicherer nur die Vergütung der Geschäftsunkosten fordern.

Ist die Prämie für mehrere Versicherungsperioden vorausbezahlt worden, so hat der Versicherer, unter Vorbehalt der Vorschrift des folgenden Absatzes, mindestens drei Vierteile der auf die künftigen Versicherungsperioden entfallenden Prämienbeträge zurückzuerstatten.

Wird ein Lebensversicherungsvertrag, der nach Maßgabe dieses Gesetzes rückkaufsfähig ist (Art. 74 Absatz 2), aufgelöst, so hat der Versicherer die für den Rückkauf

i. Prämienschicksal bei einseitiger Vertragsauflösung.

aa. überhaupt.

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festgestellte Mindestleistung zu gewähren. Der Berechnung der Abfindungssumme ist das Deckungskapital im Zeitpunkte der Vertragsauflösung zu Grunde zu legen.

Durch diese Bestimmungen wird die Schadensersatzpflicht derjenigen Partei, welche die einseitige Auflösung des Vertrages verschuldet hat, nicht berührt.

Die Vorschriften der Art. 11 Absatz 3, 35, 36 und 47 Absatz 2 dieses Gesetzes bleiben vorbehalten.

bb. Bei beArt 27. Der Versicherungsvertrag kann bestimmen, trügerischer daß bei betrügerischer Verletzung der Anzeigepflicht (Art. 8, Verletzung der 28 Absatz 2, Art. 37 Absatz 3, Art. 38 Absatz 4) die Anzeigepflicht.

Leistungen, die dem Versicherer nach Maßgabe des Art. 26 Absatz 3 und 4 obliegen, bis auf höchstens die Hälfte gekürzt werden.

GefahrsändeArt. 28. Wenn der Versicherungsnehmer im Laufe rung ( m i t Zu- der Versicherung eine wesentliche Gefahrsänderung herbeitun des Ver- geführt hat, so ist der Versicherer an den Vertrag für die sicherungsFolgezeit nicht gebunden. Eine wesentliche Gefahrsändenehmers).

rung liegt vor, wenn eine für die Beurteilung der Gefahr erhebliche Tatsache (Art. 5), deren Umfang die Parteien beim Vertragsabschlüsse festgestellt haben, entgegen den Bestimmungen des Vertrages verändert wird.

Der Vertrag kann bestimmen, ob, in welchem Umfange und in welchen Fristen der Versicherungsnehmer dem Versicherer von solchen Gefahrsänderungen Mitteilung zu machen hat.

Art. 29. Ist die wesentliche Gefahrsänderung ohne Gefahrsänderung ( o h n e Zutun des Versicherungsnehmers herbeigeführt worden, so Zutun des treten die in Art. 28 dieses Gesetzes festgestellten Folgen Versicherungs- nur dann ein, wenn der Versicherungsnehmer es unterlassen nehmers).

hat, die ihm bekannt gewordene Veränderung ohne Verzug dem Versicherer schriftlich mitzuteilen.

341 Ist diese Anzeigepflicht nicht verletzt und hat sich der Versicherer das Recht vorbehalten, den Vertrag aufzuheben, so erlischt die Haftung des Versicherers mit dem Ablaufe von vierzehn Tagen, nachdem er dem Versicherungsnehmer den Rücktritt vom Vertrage mitgeteilt hat.

Anzeigepflicht während der Dauer des Vertrages.

Art. 30. Umfaßt der Vertrag mehrere Gegenstände oder Personen, und trifft die Gefahrsänderung nur einen Teil dieser Gegenstände oder Personen, so bleibt die Versicherung für den übrigen Teil wirksam, sofern der Versicherungsnehmer die auf diesen Teil etwa entfallende höhere Prämie auf erstes Begehren des Versicherers bezahlt.

Teilbarkeit des Kollektivversicherungsvertrages.

Art. 31. Die Wirkungen der Gefahrsänderung treten nicht ein: 1. wenn die Gefahrsänderung eine vorübergehende war, und der frühere Zustand vor Eintritt des befürchteten Ereignisses wieder hergestellt ist; 2. wenn die Gefahrsänderung im Interesse des Versicherers vorgenommen oder durch ein Gebot der Menschlichkeit veranlaßt worden ist; 3. wenn der Versicherer ausdrücklich oder stillschweigend auf den Rücktritt verzichtet hat, inbesondere, wenn er, nachdem ihm die Gefahrsänderung durch schriftliche Anzeige des Versicherungsnehmers zur Kenntnis gebracht worden ist, nicht binnen zehn Tagen dem Versicherungsnehmer den Rücktritt vom Vertrage angezeigt hat.

Nichteintritt der Folgen der Gefahrsänderung.

Art. 32. Soweit dieses Gesetz nicht anders bestimmt, haftet der Versicherer für alle Ereignisse, welche die Merkmale der Gefahr, gegen deren Folgen Versicherung genommen wurde, an sich tragen, es sei denn, daß der Vertrag einzelne Ereignisse in bestimmter, unzweideutiger Fassung von der Versicherung ausschließt.

Umfang der Gefahr.

342 Verantwortlichkeit des Versicherers flir seine Agenten.

Art. 33. Der Agent gilt dem Versicherungsnehmer gegenüber als ermächtigt, für den Versicherer alle diejenigen Handlungen vorzunehmen, welche die Ausführung der einem solchen Agenten übertragenen Verrichtungen gewöhnlich mit sich bringt, oder die der Agent mit stillschweigender Genehmigung des Versicherers vorzunehmen pflegt.

Der Agent ist nicht befugt, von den allgemeinen Versicherungsbedingungen zu gunsten oder ungunsten des Versicherungsnehmers abzuweichen.

Revision der allgemeinen Versicherungsbedingungen.

Art. 34. Werden im Laufe der Versicherung die allgemeinen Versicherungsbedingungen derselben Versicherungsart abgeändert, so kann der Versicherungsnehmer verlangen, daß der Vertrag zu den neuen Bedingungen fortgesetzt werde. Er muß jedoch, wenn für die neuen Bedingungen eine höhere Gegenleistung erforderlich ist, das entsprechende Entgelt gewähren.

Konzessionsentzug ; privatrechtllche Folgen.

Art. 35. Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, vom Vertrage zurückzutreten : 1. wenn dem Versicherer die Konzession nach Art. 9 Absatz 2 des Bundesgesetzes betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens vom 25. Juni 1885 entzogen worden ist; 2. wenn der Versicherer, der auf die eidgenössische Konzession verzichtet hat, die vom Bundesrate nach Maßgabe des Art. 9 Absatz 2 des angeführten Bundesgesetzes verlangten Änderungen an seiner Organisation und Geschäftsführung nicht vorgenommen hat.

Tritt der Versicherungsnehmer vom Vertrage zurück, so kann er, unter Vorbehalt der Bestimmung des folgenden Absatzes, die für die noch nicht abgelaufene Versicherungszeit bezahlte Prämie zurückfordern.

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Tritt der Versicherungsnehmer von einem Lebensversicherungsvertrage zurück, so ist ihm das gesamte Deckungskapital zurückzuerstatten.

Für Verträge, die von einem der kantonalen Staatsaufsicht unterworfenen Versicherer (Art. 14 Absatz 2 und 3 des angeführten Bundesgesetzes) abgeschlossen worden sind, bleiben die Vorschriften der Kantone in Kraft.

Art. 36. Wird über den Versicherer der Konkurs Konkurs des eröffnet, so kann der Versicherungsnehmer vom Vertrage Versicherers.

zurücktreten.

Tritt der Versicherungsnehmer vom Vertrage zurück, so kann er die in Art. 35 Absatz 2 und 3 dieses Gesetzes festgestellte Forderung geltend machen.

Steht ihm aus der laufenden Versicherungsperiode ein Ersatzanspruch gegen den Versicherer zu, so kann er nach seiner Wahl entweder diesen Ersatzanspruch oder jene Forderung geltend machen.

Weitergehende Schadensersatzansprüche bleiben vorbehalten.

Die Zahlungen, die der Rückversicherer zu leisten hat, fallen inedie Konkursmasse.

Art. 37. Ist das befürchtete Ereignis eingetreten, so Anzeigepflicht hat der Forderungsberechtigte, sobald er von diesem Er- nach Eintritt eignisse und seinem Ansprüche aus der Versicherung Kenntnis des befürchteten Ereignisses.

erlangt, den Versicherer unverzüglich schriftlich zu benachrichtigen.

Hat der Forderungsberechtigte die Anzeigepflicht schuldhafterweise verletzt, so ist der Versicherer befugt, die Entschädigung um den Betrag zu kürzen, um den sie sich bei rechtzeitiger Anzeige gemindert haben würde.

Der Versicherer ist an den Vertrag nicht gebunden, -wenn der Forderungsberechtigte die unverzügliche Anzeige

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in der Absicht unterlassen hat, den Versicherer an der rechtzeitigen Feststellung der Umstände, unter denen das befürchtete Ereignis eingetreten ist, zu hindern.

Anspruchsbegründung.

Art. 38. Der Forderungsberechtigte hat seinen Anspruch aus der Versicherung schriftlich in der Weise zu begründen, daß der Versicherer sich von der Richtigkeit des Anspruches überzeugen kann.

Der Vertrag kann verfügen : 1. daß die Begründung des Anspruches innert bestimmter,, angemessener Frist erfolgen muß; 2. daß der Forderungsberechtigte bestimmte Belege, deren Beschaffung ihm ohne erhebliche Kosten möglich ist, beizubringen hat.

Der Forderungsberechtigte muß, auf Begehren des Versicherers, jede weitere Auskunft über solche ihm bekannte Tatsachen erteilen, die zur Ermittlung der Umstände, unter denen das befürchtete Ereignis eingetreten ist, oder zur Feststellung der Folgen des Ereignisses dienlich ist.

Hat der Forderungsberechtigte oder sein Vertreter Tatsachen, welche die Leistungspflicht des Versicherers ausschließen oder mindern würden, arglistig unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen oder die Anspruchsbegründung arglistig zu spät oder gar nicht eingereicht, so ist der Versicherer gegenüber dem Forderungsberechtigten nicht an den Vertrag gebunden.

Fälligkeit des Versicherungsanspruches.

Art. 39. Die Forderung aus dem Versicherungsvertrage wird mit dem Ablaufe von vier Wochen, von der Einreichung der Anspruchsbegründung an gerechnet, fällig.

Die Vertragsabrede, daß der Versicherungsanspruch erst nach Anerkennung oder nach rechtskräftiger Verurteilung des Versicherers fällig werde, ist ungültig.

345 Art. 40. Ist nur ein teil weiser Schaden eingetreten, Partialschaden.

so haftet der Versicherer für die Folgezeit im Zweifel mit dem Restbetrage der Versicherungssumme.

Der Versicherer sowohl, wie der Versicherungsnehmer ist berechtigt, spätestens bei Auszahlung der Entschädigung vom Vertrage zurückzutreten.

Hebt der Versicherer den Vertrag auf, so erlischt seine Haftung mit dem Ablaufe von vierzehn Tagen, nachdem er dem Versicherungsnehmer den Rücktritt vom Vertrage mitgeteilt hat. Der Versicherer hat diejenige Prämie zurückzuerstatten, die auf die nicht abgelaufene Zeit der laufenden Versicherungsperiode und auf den Restbetrag der Versicherungssumme entfällt.

Tritt der Versicherungsnehmer vom Vertrage zurück, so bleibt dem Versicherer der Anspruch auf die Prämie für die laufende Versicherungsperiode gewahrt.

Ist die Prämie für mehrere Versicherungsperioden vorausbezahlt, so kommt die Bestimmung des Art. 26 Absatz 3 dieses Gesetzes zur Anwendung.

Art. 41. Die Mitteilungen, die der Versicherer nach Mitteilungen des Maßgabe dieses Gesetzes dem Versicherungsnehmer oder Versicherers und des einem Berechtigten zu machen hat, erfolgen gültig an die Forderungsdem Versicherer bekannte letzte Adresse.

berechtigten.

Die Mitteilungen, die der Versicherungsnehmer oder ein Berechtigter nach Maßgabe des Vertrages oder dieses Gesetzes dem Versicherer zu machen hat, erfolgen, wenn eine besondere inländische Meldestelle -nicht bezeichnet worden ist, gültig an jeden Agenten des Versicherers.

Art. 42. Wo der Vertrag oder dieses Gesetz den Unverschuldete Bestand eines Rechtes aus der Versicherung an die Beob- Fristversäumnis.

achtung einer Frist knüpft, ist der Berechtigte befugt, die ohne Verschulden versäumte Handlung nach Beseitigung des Hindernisses ohne Verzug nachzuholen.

346 Verjährung.

Art. 43. Die Forderungen aus dem Versicherungsvertrage verjähren in zwei Jahren.

Soweit dieses Gesetz nicht anders verfügt, darf, mit Vorbehalt der Bestimmung des Art. 38 Ziffer l dieses Gesetzes, der Anspruch gegen den Versicherer einer zeitlich kürzeren Beschränkung nicht unterworfen werden.

2. Besondere Bestimmungen über die Sachversicherung.

Gegenstand der Versicherung.

Art. 44. Gegenstand der Sachversicherung kann jedes wirtschaftliche Interesse sein, das jemand am Ausbleiben eines befürchteten Ereignisses hat.

Das Recht auf Entschädigung steht, auch wenn der Vertrag durch eine Mittelsperson abgeschlossen wird, mit Vorbehalt der Bestimmung des Art. 17 Absatz 2 dieses Gesetzes, nur demjenigen zu, dessen Interesse versichert ist.

Diese Person heißt Versicherter.

Versicherungswert.

Art. 45. Der Wert, den der Gegenstand der Versicherung zur Zeit des Vertragsabschlusses darstellt, ist der Versicherungswert.

Im Zweifel gilt dasjenige Interesse als versichert, das der Eigentümer der Sache an deren Erhaltung hat.

Ist der Gegenstand der Versicherung der Gattung nach bestimmt, so fallen alle zur Zeit des Eintrittes des befürchteten Ereignisses zur Gattung gehörenden Gegenstände unter die Versicherung.

Überversicherung und Doppelversicherung.

a. Begriff.

Art. 46. Übersteigt die Versicherungssumme den Versicherungswert, so liegt eine Überversicherung vor.

Wird dasselbe Interesse gegen dieselbe Gefahr und auf dieselbe Zeit bei mehreren Versicherern dergestalt versichert, daß die sämtlichen Versicherungssummen den Versicherungswert übersteigen, so liegt eine Doppelversicherung vor.

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Art. 47. Wer Doppel Versicherung nimmt, hat sie b. Folgen.

sämtlichen Versicherern ohne Verzug schriftlich zur Kenntnis zu bringen.

Wird diese Anzeige absichtlich unterlassen, oder wird eine Überversicherung oder Doppelversicherung in betrügerischer Absicht abgeschlossen, so ist der Versicherer an den Vertrag nicht gebunden. Jeder Versicherer bat auf die ' .ganze vereinbarte Gegenleistung Anspruch.

Art. 48. Hat sich im Laufe der Versicherung der Versicherungswert wesentlich vermindert, so kann sowohl der Versicherer wie der Versicherte die verhältnismäßige Herabsetzung der Versicherungssumme verlangen. ° Die Prämie ist für die künftigen Versicherungsperioden entsprechend zu ermäßigen.

Nachträgliche Verminderung des Versicherungswertes.

Art. 49. Wechselt der Gegenstand der Versicherung -den Eigentümer, so gehen die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrage auf den Erwerber über, sofern durch seinen Eintritt nicht eine wesentliche Gefahrsänderung (Art. 28) herbeigeführt wird.

Für die zur Zeit der Handänderung fällige Prämie haftet dem Versicherer, neben dem Erwerber, auch der bisherige Eigentümer.

Wechsel in der Person des Versicherten.

Art. 50. Fällt der Versicherte in Konkurs, so tritt die Konkursmasse in den Vertrag ein.

Ist die versicherte Sache auf dem Wege der Schuldbetreibung gepfändet oder mit Arrest belegt worden, so kann der Versicherer, wenn er hiervon rechtzeitig benachrichtigt wird, die Ersatzleistung gültig nur an das Betreibungsamt ausrichten.

Konkurs des Versicherten ; Pfändung und Arrest.

Art. 51. Ist eine zu Faustpfand gegebene Sache versichert, so erstreckt sich das Pfandrecht des Gläubigers sowohl auf den Versicherungsanspruch des Verpfänders, als

Pfandrecht an der versicherten Sache.

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auch auf die Ersatzleistung des Versicherers und auf die aus der Entschädigung angeschaffte Sache.

Hat der Gläubiger sein Pfandrecht beim Versicherer angemeldet, so darf der Versicherer, bei Vermeidung von Schadensersatz, die Entschädigung nur mit Zustimmung des Pfandgläubigers ausrichten.

Vorbehalt zu gunsten des kantonalen Rechtes.

Art. 52. Die Vorschriften der kantonalen Gesetze, wonach das dingliche Recht, das nach kantonalem Rechte an der versicherten Sache besteht, auf den Versicherungsanspruch und die Versicherungssumme ausgedehnt wird, sowie die Bestimmungen, durch die der Anspruch des Berechtigten gesichert wird, bleiben in Kraft.

Haftpflichtversicherung ; gesetzliches Pfandrecht des beschädigten Dritten.

Art. 53. An dem Ersatzansprüche, der dem Versicherten aus der Versicherung gegen die Folgen gesetzlicher Haftpflicht zusteht, besitzt der beschädigte Dritte, kraft dieses Gesetzes, im Umfange seiner Schadensersatzforderung Pfandrecht. Der Versicherer ist berechtigt, die Ersatzleistung direkt an den beschädigten Dritten auszurichten.

Der Versicherer ist für jede Handlung, durch die er den Dritten in diesem Rechte verkürzt, verantwortlich.

Rettungspflicht.

Art. 54. Der Versicherte ist verpflichtet, nach Eintritt des befürchteten Ereignisses tunlichst für Minderung des Schadens zu sorgen. Er, muß, wenn nicht Gefahr im Verzüge liegt, über die zu ergreifenden Maßregeln die Weisung des Versicherers einholen und befolgen.

Hat der Versicherte diese Pflichten in nicht zu entschuldigender Weise verletzt, so ist der Versicherer berechtigt, die Entschädigung um den Betrag zu kürzen, um den sie sich bei Erfüllung jener Obliegenheiten gemindert haben würde.

349 Art. 55. Der Schaden ist auf Grundlage des Wertes zu bemessen, den der Gegenstand der Versicherung unmittelbar vor dem Eintritte des befürchteten Ereignisses gehabt hat (Ersatzwert).

In der Warentransportversicherung ist der Wert der Sache am Bestimmungsorte maßgebend.

Ist ein künftiger Gewinn versichert worden, so ist der Feststellung des Schadens der Preis zu Grunde zu legen, den die Sache bei Gelingen des Unternehmens erzielt haben würde.

Ersatzwert.

a. Überhaupi.

Von dem nach Absatz 2 und 3 festgestellten Werte sind die durch den Eintritt des befürchteten Ereignisses ersparten Unkosten in Abzug zu bringen.

Art. 56. In der Feuerversicherung ist der Ersatzwert: 1. bei Waren und Naturerzeugnissen der gemeine Wert; 2. bei G-ebäuden der ortsübliche Bauwert, nach Abzug der durch Abnutzung verursachten Wertverminderung, höchstens jedoch der Verkehrswert; 3. bei häuslichem Mobiliar, Werkzeug und Maschinen derjenige Wert, den die Neuanschaffung erfordern würde, nach Abzug der durch Abnutzung verursachten Wertverminderung.

Als Feuerschaden ist auch derjenige Schaden anzusehen, der durch Löschen des Feuers oder durch notwendiges Ausräumen eintritt und in der Vernichtung, Beschädigung oder in dem Abhandenkommen der Sache besteht.

Art. 57. Der Versicherer sowohl als der Versicherte kann verlangen, daß der Schaden von den Parteien ohne Verzug festgestellt werde. Sind landwirtschaftliche Erzeug-

b. In der Feuer Versicherung.

Schadensermittlung.

350 nisse durch Hagelschlag nur teilweise vernichtet worden, so ist, auf Begehren des Versicherers, die Abschätzung des Schadens bis zur Ernte aufzuschieben.

Weigert sich eine Partei, bei der Feststellung des Schadens mitzuwirken, oder können sich die Parteien über die Größe des entstandenen Schadens nicht einigen, so ist, vorbehaltlich besonderer Vereinbarungen, der Schaden durch gerichtlich bestellte Sachverständige zu ermitteln.

Der Versicherer geht dadurch, daß er bei der Ermittlung des Schadens mitwirkt, der Einreden, die ihm gegen den s Entschädigungsanspruch des Versicherten zustehen, nicht verlustig.

Die Kosten der Schadensermittlung tragen die Parteien zu gleichen Teilen.

Art. 58. Bevor der Schaden ermittelt ist, darf der Veränderungsverbot.

Versicherte, ohne Zustimmung des Versicherers, an den beschädigten Gegenständen keine Veränderung vornehmen, welche die Feststellung der Schadensursache oder des Schadens erschweren oder vereiteln könnte, es sei denn, daß die Veränderung zum Zwecke der Schadensminderung oder im öffentlichen Interesse als geboten erscheint.

Handelt der Versicherte dieser Pflicht in betrügerischer Absicht zuwider, so ist der Versicherer an den Vertrag nicht gebunden.

Ersatzwert ; Beweislast.

Art. 59. Der Versicherte hat den Ersatzwert (Art. 55 und 56) nachzuweisen.

Ist jedoch der Versicherungswert von den Parteien festgestellt worden, so gilt der vereinbarte Wert auch als Ersatzwert, sofern der Versicherer nicht beweist, daß der Ersatzwert nach Maßgabe der Vorschriften der Art. 55 und 56 dieses Gesetzes geringer ist, als der Versicherungswert.

Eine solche Vereinbarung ist ungültig, wenn ' ein künftiger Gewinn gegen Feuersgefahr versichert wird.

351 Art. 60. Soweit der Vertrag oder dieses Gesetz (Art. 61) nicht anders bestimmt, haftet der Versicherer für den Schaden nur bis auf die Höhe der Versicherungssumme.

Versicherungssumme; Ersatzpflicht bei Überversicherung.

Erreicht die Versicherungssumme den Ersatzwert nicht (Unterversicherung), so ist der Schaden, wenn nichts anderes vereinbart ist, in dem Verhältnisse zu ersetzen, in dem die Versicherungssumme zum Ersatzwerte steht.

Art. 61. Der Versicherer ist gehalten, dem Ver- Rettungskosten.

sicherten die zum Zwecke der Schadensminderung (Art. 54) nicht offenbar unzweckmäßig aufgewendeten Kosten auch dann zu vergüten, wenn die getroffenen Maßnahmen ohne Erfolg geblieben sind, oder wenn diese Kosten und der Schadensersatz zusammen den Betrag der Versicherungssumme übersteigen.

Erreicht die Versicherungssumme den Ersatzwert nicht, so trägt der Versicherer die Kosten in dem Verhältnisse, in dem die Versicherungssumme zum Ersatzwerte steht.

Doppel Art. 62. Bei Doppelversieherung (Art. 46) haftet jeder Versicherer für den Schaden in dem Verhältnisse, Versicherung ; in dem seine Versicherungssumme zum Gesamtbetrage der Ersatzpflicht der mehreren VerVersicherungssummen steht.

sicherer.

Ist einer der Versicherer zahlungsunfähig geworden, so haften, unter Vorbehalt der Bestimmung des Art. 61 Absatz 2 dieses Gesetzes, die übrigen Versicherer in dem Verhältnisse, in dem die von ihnen versicherten Summen zueinander stehen, bis auf die Höhe ihrer Versicherungssumme für den Anteil des zahlungsunfähigen Versicherers.

Der Anspruch, der dem Versicherten gegen diesen Versicherer zusteht, geht auf die Versicherer, die Ersatz geleistet haben, über.

352 Ist das befürchtete Ereignis eingetreten, so darf der Versicherte keine der mehreren Versicherungen zu ungunsten der übrigen Versicherer aufheben oder abändern.

Regressrecht des Versicherers.

Art. 63. Auf den Versicherer geht insoweit, als er Entschädigung geleistet hat, der Ersatzanspruch über, der dem Versicherten gegenüber Dritten aus unerlaubter Handlung zusteht.

Der Versicherte ist für jede Handlung, durch die er den Versicherer in diesen Rechten verkürzt, verantwortlich.

Die Bestimmung des ersten Absatzes findet keine Anwendung, wenn der Schadensstifter zu den in Art. 15 Absatz 2 dieses Gesetzes genannten Personen gehört, vorausgesetzt, daß er den Schaden nicht absichtlich oder grobfahrlässig herbeigeführt hat.

3. Besondere Bestimmungen über die Personenversicherung.

Art. 64. Die Versicherung auf fremdes Leben ist Versicherung fremder Leben; ungültig, wenn derjenige, auf dessen Tod die Versicherung Übertragung des gestellt ist, dem Abschlüsse des Vertrages nicht beigeVersicherungsstimmt hat.

anspruches.

Der Versicherungsanspruch kann dagegen ohne Zustimmung des Dritten abgetreten werden.

Die Zustimmung desjenigen, der sein eigenes Leben versichert und die Forderung aus dem Vertrage abgetreten hat, ist für eine weitere Übertragung des Anspruches nicht erforderlich.

Art. 65. Der Anspruch aus einem PersonenversicheRechtliche Natur der Police. rungsvertrage kann weder durch Indossierung noch durch einfache Übergabe der Police übertragen werden.

Ist die Police auf den Inhaber gestellt, so ist der gutgläubige Versicherer befugt, jeden Inhaber als ansprucbsberochtigt zu betrachten.

353 Art. 66. Wegen unrichtiger Angabe des Alters kann der Versicherer nur dann vom Vertrage zurücktreten, wenn ·das richtige Eintrittsalter nicht innerhalb der von ihm festgestellten Aufnahmegrenzen liegt.

Liegt dagegen das Eintrittsalter innerhalb dieser Grenzen, so gelten folgende Bestimmungen.

1. Ist infolge unrichtiger Angabe des Alters ein niedrigeres Entgelt entrichtet worden, als auf Grund des richtigen Eintrittsalters hätte bezahlt werden müssen, so ist die Gegenleistung des Versicherers im Verhältnisse der vereinbarten Prämie zu der Tarifprämie des richtigen Eintrittsalters herabzusetzen.

Hat der Versicherer bereits erfüllt, so ist er berechtigt, den Betrag, den er nach dieser Berechnungsweise zu viel bezahlt hat, samt Zins zurückzufordern.

2. Ist infolge unrichtiger Angabe des Alters eine höhere Prämie entrichtet worden, als auf Grund des richtigen Eintrittsalters hätte bezahlt werden müssen, so ist der Versicherer verpflichtet, die Differenz zwischen dem vorhandenen und dem für das richtige Eintrittsalter notwendigen Deckungskapitale zurückzuerstatten.

Künftige Prämien sind nach Maßgabe des richtigen Eintrittsalters herabzusetzen.

3. Den in Ziffer l und 2 dieses Artikels vorgesehenen Berechnungen sind die Tarife zu Grunde zu legen, die zur Zeit des Vertragsabschlusses gegolten haben.

Unrichtige Altersangabe.

Art. 67. Ein Versicherungsvertrag zu gunsten Dritter liegt vor, wenn vereinbart wird, daß der Versicherer die Leistung aus dem Vertrage an einen namentlich oder sonst hinlänglich bestimmt bezeichneten Dritten auszurichten hat.

Als Begünstigte sind unter den Kindern des Versicherungsnehmers die beim Tode erbberechtigten Kinder, unter

Versicherung zu gunsten Dritter.

a. Begriff.

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. I.

25

354

seinem Ehegatten der beim Tode überlebende Ehegatte, unter den Hinterlassenen seine Nachkommen und sein Ehegatte und unter den Erben oder Rechtsnachfolgern diejenigen Personen zu verstehen, denen ein Erbrecht am Nachlasse zusteht, ohne Rücksicht darauf, ob sie die Erbschaft antreten.

Sind mehrere Personen ohne nähere Bestimmung ihrer Teile als Begünstigte bezeichnet, so sind die beim Tode vorhandenen Begünstigten auf die Versicherungssumme zu gleichen Teilen berechtigt.

6. DispositionsArt. 68. Der Versicherungsnehmer kann auch dann, befugnis des wenn der Vertrag zu gunsten Dritter abgeschlossen ist, über Versicherungs- den Anspruch aus der Versicherung unter Lebenden und nehmers.

von Todes wegen frei verfügen.

Diese Befugnis fallt dahin, wenn der Versicherungsnehmer die Police mit dem von ihm darin eingetragenen Verzichte auf den Widerruf dem Begünstigten übergeben hat.

Der Versicherungsanspruch fällt dem Begünstigten erst mit dem Tode des Versicherungsnehmers zu.

· Art. 69. Hat der Versicherungsnehmer auf die Bec. Gesetzliche Eflöschungs- fugnis, die Begünstigung zu widerrufen, nicht verzichtet, so grllnde.

erlischt die Begünstigung mit der Pfändung des Versicherungsanspruches und mit der Konkurseröffnung über den Versicherungsnehmer.

Fällt die Pfändung dahin, oder wird der Konkurs widerrufen, so lebt die Begünstigung wieder auf.

Betreibungsund konkursrechtliche Verwertung des Versicherungsanspruches.

Art. 70. Die Versicherung, die der Schuldner auf sein eigenes Leben abgeschlossen hat, kann bei betreibungsund konkursrechtlicher Verwertung des Versicherungsanspruches nur mit Zustimmung des Schuldners aufrecht erhalten werden.

355

Stimmt der Schuldner der Portsetzung des Vertrages Rechte der nicht zu, so haben die Gläubiger oder der Erwerber der Gläubiger; Auslösungsrecht des Forderung Anspruch auf den Rückkaufspreis der Versicherung.

Ehegatten und Der Ehegatte und die Kinder des Schuldners können der Kinder.

mit dessen Zustimmung verlangen, daß der Versicherungsanspruch, gegen Erstattung des Rückkaufspreises, ihnen übertragen werde. Das Begehren ist vor Verwertung der Forderung dem Betreibungsamte oder der Konkursverwaltung einzureichen.

Art. 71. Aus der kollektiven Unfallversicherung steht Kollektivunfalldemjenigen, zu dessen Gunsten die Versicherung abge- versicherung ; Forderungsschlossen worden ist, mit dem Eintritte des Unfalles ein recht des unwiderrufliches, direktes Forderungsrecht gegen den Ver- Begünstigten.

sicherer zu.

Art. 72. Wird infolge eines Unfalles die Erwerbs- Unfallversicherung ; fähigkeit des Versicherten voraussichtlich bleibend beeinKapitalträchtigt, so ist die Entschädigung auf Grundlage der für abfindung.

den Fall der Invalidität versicherten Summe in Form der Kapitalabfindung auszurichten, sobald die voraussichtlich dauernden Unfallsfolgen feststehen. Der Vertrag kann bestimmen, daß etwa gewährte Zwischenrenten von der Entschädigung in Abzug gebracht werden.

Die Bestimmung des ersten Satzes dieses Artikels findet keine Anwendung, wenn der Versicherungsnehmer die Entschädigung ausdrücklich in Form der Rentenabfindung beantragt hat.

Art. 73. Hat der Versicherungsnehmer eine Jahres RUcktrittsrecht des prämie entrichtet, so kann er vom LebensversicherungsVersicherungsvertrage zurücktreten und die Bezahlung weiterer Prämien nehmers.

ablehnen. Die Rücktrittserklärung ist dem Versicherer spätestens mit Beginn einer neuen Versicherungsperiode schriftlich abzugeben.

356 Umwandlung und RUckkauf.

a. Voraussetzungen.

Art. 7 4. Der Versicherer ist verpflichtet, jede Lebensversicherung, für die wenigstens drei Jahresprämien entrichtet worden sind, auf Begehren des Forderungsberechtigten ganz oder teilweise in eine beitragsfreie Versicherung umzuwandeln.

Der Versicherer muß überdies diejenige Lebensversicherung, bei welcher der Eintritt seiner Leistungspflicht gewiß ist, auf Verlangen des Forderungsberechtigten ganz oder teilweise zurückkaufen, sofern wenigstens drei Jahresprämien entrichtet worden sind.

Umwandlung und Rückkauf können nur auf das Ende einer Versicherungsperiode stattfinden.

Ist eine einmalige Prämie entrichtet worden, so kann der Rückkauf jederzeit verlangt werden.

l. Feststellung der Abfindungswerte.

Art. 75. Der Versicherer hat die Grundlagen zur Ermittlung des Umwandlungswertes und des Rückkaufspreises der Versicherung festzustellen.

Die Bestimmungen über Umwandlung und Rückkauf sind in die allgemeinen Versicherungsbedingungen aufzunehmen.

Der Bundesrat entscheidet in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde im Gebiete des privaten Versicherungswesens, ob die vorgesehenen Abfindungswerte angemessen sind.

c. Obliegenheiten des Versicherers ; Nachprüfung des Versicherungsamtes; Fälligkeit der RUckkaufsforderung.

Art. 76. Der Versicherer ist verpflichtet, binnen sechs Wochen, vom Empfange des Begehrens an gerechnet, den Umwandlungswert oder den Rückkaufspreis der Versicherung festzustellen und dem Anspruchsberechtigten mitzuteilen.

Der Versicherer muß ihm außerdem auf Begehren diejenigen Angaben machen, die zur Ermittlung des Umwandlungswertes oder Rückkaufspreises für Sachverständige erforderlich sind.

357 Das eidgenössische Versicherungsamt hat, auf Ersuchen des Berechtigten hin, die vom Versicherer festgestellten Werte unentgeltlich auf ihre Richtigkeit z,u prüfen.

Die Forderung des Rückkaufsberechtigten wird erst nach Ablauf der sechswöchentlichen Frist, jedenfalls aber nicht vor Ende der Versicherungsperiode, während welcher das Rückkaufsbegehren gestellt wurde, fällig. Bei Versicherungen, für die eine einmalige Prämie entrichtet worden ist, wird die Forderung nach Ablauf der sechswöchentlichen Frist fällig.

Art. 77. Unterbleibt die Prämienzahlung, nachdem d. Unverfallbarkeit.

die Versicherung mindestens drei Jahre in Kraft bestanden hat, so wird der Umwandlungswert der Lebensversicherung geschuldet. Der Versicherer hat den Umwandlungswert und, wenn die Versicherung rückkaufsfähig ist, auch den Rückkaufspreis nach Maßgabe dieses Gesetzes festzustellen und dem Anspruchsberechtigten auf dessen Begehren mitzuteilen.

Ist die Versicherung rückkaufsfähig, so kann der Forderungsberechtigte binnen sechs Wochen, vom Empfange dieser Mitteilung an gerechnet, an Stelle der Umwandlung den Rückkaufspreis der Versicherung verlangen.

Art. 78. Die Vorschriften dieses Gesetzes über die c. Umwandlung Umwandlung und den Rückkauf der Lebensversicherung und RUckkauf gelten auch für solche Leistungen, die der Versicherer aus von Gewinnanteilen.

angefallenen Gewinnanteilen dem Forderungsberechtigten in Form einer Lebensversicherung gewährt hat.

350

4. Schluss- und Übergangsbestimmungen.

Nichtanwendbarkeit des Gesetzes.

Art. 79. Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Verträge, die von den der Staatsaufsicht nicht unterstellten Vereinen (Art. l Absatz 2 des Bundesgesetzes betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens vom 25. Juni 1885) abgeschlossen werden.

Zwingende Vorschriften.

Art. 80. Vertragsabreden, die den Vorschriften der Art. 11, 14, 39 Absatz 2, Art. 43, 44 Absatz 2, Art. 47, 55 Absatz l, Art. 56, 59 Absatz 3, Art. 62 Absatz l, Art. 64 Absatz l und Art. 65 dieses Gesetzes widersprechen, sind ungültig.

Die Bestimmungen der Art. 2, 3, 8, 13, 20 Absatz 2, Art. 21, 22 Absatz l, Art'. 23 Absatz 2, 3 und 4, Art. 26, 28, 29, 33, 40 Absatz 2 und 3, Art. 41 Absatz 2, Art. 42, 71, 72 Absatz l, Art. 74, 75, 76, 77 und 78 dieses Gesetzes dürfen durch Vertrag nicht zu ungunsten des Versicherungsnehmers oder Forderungsberechtigten abgeändert werden. Diese Vorschrift findet auf die Seeversicherung und die Rückversicherung keine Anwendung.

Verhältnis des

Art. 81. Die Übergangsbestimmungen der Art. 882 und 883 des Obligationenrechtes kommen sinngemäß zur Anwendung.

Den in Art. 80 dieses Gesetzes aufgeführten Vorschriften sind auch die vor Inkrafttreten desselben abgeschlossenen Verträge von dem Zeitpunkte an unterworfen, auf den sie nach Inkrafttreten des Gesetzes durch vertragsmäßige Kündigung beendigt werden können.

neuen Rechtes zum alten Rechte.

Abrogationsklausel.

Art. 82. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes werden Art. 896 des Obligationenrechts, sowie alle entgegenstehenden Vorschriften der kantonalen Gesetze und Verordnungen aufgehoben.

359 Art. 83. Der Bundesrat wird beauftragt, auf Grund- Inkrafttreten des Gesetzes.

lage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Brachmonat 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, dieses Gesetz bekannt zu machen und den Beginn seiner Wirksamkeit festzusetzen.

360

# S T #

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den von Friderich, Louis, in Genf, erhobenen Militärsteuerrekurs.

(Vom 9. Februar 1904.)

Tit.

Der Soldat der Positionskompagnie Nr. l (Auszug), Friderich, Louis, Chemiker in Genf, war vom Ordnungsdienste, welchen seine Einheit anläßlich der Genfer Streikunruhen im Herbste des Jahres 1902 zu bestehen hatte, aus sanitarischen Gründen dispensiert und deshalb pro 1902 zur Entrichtung des Militärpflichtersatzes verhalten worden. Ein Rekurs, welchen derselbe hiergegen an den Bundesrat gerichtet hatte, ist von dieser Behörde mit Schlußnahme vom 21. Dezember als unbegründet abgewiesen worden. Diesen Entscheid zieht nun Friderich an die Bundesversammlung weiter und stellt dabei das Rechtsbegehren, es sei unter Aufhebung desselben zu erkennen, daß die ihm gegenüber vorgenommene Besteuerung der gesetzlichen Begründung entbehre.

Dabei macht der Beschwerdeführer zur Unterstützung seiner Eingabe geltend, daß nach Art. 3 der Bundesverfassung die Kantone insoweit souverän seien, als ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt sei; eine bundesrechtliche Vorschrift könne sich demnach auf kantonale Angelegenheiten nur dann beziehen, wenn dies in dem betreffenden Gesetzestexte ausdrücklich erklärt werde. Solches sei nun aber in bezug auf Art. 18 der Bundesverfassung, handelnd von der allgemeinen Wehrpflicht und

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu dem Entwurfe eines Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag. (Vom 2. Februar 1904.)

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1904

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06

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10.02.1904

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241-360

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