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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde der Aktiengesellschaft Brauerei zum Cardinal in Basel gegen ihre Bestrafung wegen Übertretung des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht vom 3. Heumonat 1875.

(Vom 19. Januar 1904.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B un des rat hat

über die Beschwerde der Aktiengesellschaft B r a u e r e i zum C a r d i n a l in Basel gegen ihre Bestrafung wegen Übertretung des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht vom 3. Heumonat 1875, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Mit Eingabe vom 5. März 1903 hat die Aktiengesellschaft Brauerei zum Cardinal in Basel beim Bundesrat eine Beschwerde eingereicht, in welcher folgendes auseinandergesetzt wird : Die Brauerei zum Cardinal exportiert unter anderem auch Bier nach Graubünden.

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Am 12. August 1902 wurden 30 ihrer Fäßchen, die zum letztenmal im Jahre 1900. in Basel geeicht worden waren, auf dem Bahnhof Landquavt mit Beschlag belegt. Durch Entscheid vom 28. August erklärte das Kreisamt V Dörfer die Brauerei zum Cardinal der Übertretung von Art. 13 der kantonalen Verordnung über Maß und Gewicht von 1876, sowie des Art. 7 der kantonalen Verordnung über Maß und Gewicht von 1853 und 1857 schuldig und verurteilte sie zu einer Buße von Fr. 2 per Faß total Fr. 60, unter Auferlegung der Gerichtskosten im Betrag von Fr. 20. 50.

Der gegen diesen Entscheid rechtzeitig ergriffene Rekurs an den Kleinen Rat des Kantons Graubünden wurde unterm 16. Januar 1903 abgewiesen. Art. 13 der kleinrätlichen Verordnung betreffend Maß und Gewicht schreibe die zweijährige Eichung vor.

Dieser Artikel sei nicht nur auf Bierfässer von im Kanton Graubünden etablierten Brauereien, sondern auch auf solche von außerkantonalen Brauereien anwendbar, was durch Kreisschreiben des Kleinen Rates vom 17. März, 23. April 1899 und 4. Mai 1900 ausdrücklich festgestellt worden sei.

Diese Auffassung ist aber unrichtig.

Nach Art. 13 des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht vom 3. Juni 1875 hat die von irgend einer schweizerischen Eichstätte nach den Vorschriften der Vollziehungsverordnung vorgenommene Eichung in allen Kantonen gesetzliche Gültigkeit. Mit dieser Bestimmung soll der doppelten Eichung vorgebeugt werden, und es können demnach nicht zwei Kantone zugleich die Eichung ein und desselben Maßes verlangen.

Bei der Entscheidung der Frage aber, welcher Kanton berechtigt ist, die Eichung eines Maßes zu verlangen, kommt es darauf an, wo der Eigentümer dieses Maßes seine Geschäftsniederlassung hat. Die Brauerei zum Cardinal hat ihre Geschäftsniederlassung in Basel. Demnach hat lediglich der Kanton Baselstadt und nicht auch der Kanton Graubünden das Recht, die Eichung der Bierfässer der Brauerei zum Cardinal nach seinen Vorschriften zu verlangen. Wenn der Kleine Rat des Kantons Graubünden seinen Entscheid auf die zit. Kreisschreiben stützt, so ist dies insofern belanglos, als diese Kreisschreiben eben gegen die ausdrückliche Bestimmung von Art. 13 des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht verstoßen.

Der Kanton ßaselstadt hat nun die vom Bundesgesetz vorgeschriebene dreijährige Nacheichung akzeptiert. Die auf dem Bahnhof Landquart beschlagnahmten 30 Bierfässer der Brauerei

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zum Cardinal sind, wie bisher nicht bestritten wurde, zum letztenmal im Jahre 1900 geeicht worden und müssen daher erst wieder im Jahre 1903 nachgeeicht werden.

Die Rekurrentin stellt daher folgendes Begehren: 1. Freisprechung von der Übertretung des Art. 13 der kantonalen Verordnung über Maß und Gewicht von 1853 und 1857 für Graubünden.

2. Verurteilung des Kantons Graubünden zur Tnigung sämtlicher Kosten des Verfahrens einschließlich eines Beitrages von Fr. 40 an die Auwaltskosten der Rekurrentin'.

II.

Mit Zuschrift vom 28. März 1903 beantragt der Kleine Rat des Kantons Graubündeu die Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge. Es wird im wesentlichen ausgeführt: Die Rekurrentin macht nicht etwa geltend, daß die Fäßchen in Wirklichkeit vor weniger als zwei Jahren vor deren Beschlagnahme geeicht worden seien, und daher der bündnerischen Verordnung zürn Bundesgesetz über Maß und Gewicht vom Jahre 1876 entsprächen, sondern es wird bloß behauptet, die betreffenden Fäßchen unterständen nicht dem bündnerischen Recht, sondern einzig dem Basler Recht; dasselbe habe dreijährige Eichzeit, und die Fäßchen seien vor weniger als drei Jahren geeicht worden.

Der Kleine Rat bestreitet nun aber nicht, daß die Basler Eichung gültig sei, und ebensowenig bestreitet es der Kreisgerichtsausschuß V Dörfer; auch hat der letztere die Buße nicht auferlegt, weil die Eichung ungültig sei ; fraglich ist ein/ig und allein, wie lange die Basler Eichung gültig sei. Nun hat sich der Kleine Rat schon seit Jahren auf den Standpunkt gestellt, daß außerkantonale Eichungen im Kanton Graubünden zwar gelten sollen, daß sie aber nur so galten wie bündnerische Eichungen; betreffend die Dauer der Eichungen gilt also Bündner Recht. Daß der Kanton Graubünden in der kleinrätlichen Verordnung vom 15. September 1876 eine zweijährige Eichzeit vorschreibt, steht nicht in Widerspruch mit dem Bundesgesetz über Maß und Gewicht, und der Bundesrat hat diese Verordnung unterm 18. Oktober 1876 ausdrücklich genehmigt.

III.

Da inzwischen beim Bundesrat seitens der Aktiengesellschaft der Rätischen Aktienbrauereien eine staatsrechtliche Beschwerde

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eingereicht worden war, in welcher ebenfalls die Aufhebung eines auf Grund des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht vom 3. Heumonat 1875 ausgefällten Bußurteils verlangt wurde, und hinsichtlich welcher Beschwerde der Bundesrat nach Maßgabe von Art. 194 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 einen Meinungsaustausch mit dem Bundesgericht eingeleilet hatte, so sistierte das eidg. Justizund Polizeidepartement die weitere Behandlung der vorliegenden Beschwerde bis zur Erledigung derjenigen in Sachen der Aktiengesellschaft der Rätischen Aktieiiiirauereien.

O IV.

Die Verordnung des Kantons Graubünden über Maß und Gewicht vom 15. September 1876 lautet in Art. 13: ,,Eigentümer von Bierfässern sind verpflichtet, dieselben wenigstens alle zwei Jahre eichen zu lassen, und sind dafür verantwortlich, daß die Maßdeklarationen an denselben dem wirklichen Inhalte entsprechen.a Die Verordnung ist vom Bundesrat unterm 10. Oktober 1876 ohne Vorbehalt gegenüber diesem Artikel genehmigt und der Regierung des Kantons Graubünden am 10./18. Oktober 1876 hiervon Mitteilung gemacht worden.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Der der vorliegenden, beim Bundesrat anhängig gemachten staatsrechtlichen Beschwerde unterliegende Tatbestand ist der, daß die Rekurrentin im Kanton Graubünden vom Kreisgeriehtsausschuß V Dörfer wegen Übertretung der Vorschriften über die Eichung von Bierfäßchen mit einer Geldbuße bestraft worden ist, und daß der Kleine Rat des Kantons Graubündeu den gegen das Strafurteil ergriffenen Rekurs am 16. Januar 1903 als unbegründet abgewiesen hat. Der Kanton Graubünden ve» langt die Eichung der Bierfässer alle 2 Jahre, während die Eichung der Fäßchen der Rekurrentin schon vor mehr als 2 Jahren (allerdings im Kanton Baselstadt) erfolgt war.

Als Beschwerdegrund wird angeführt eine Verletzung des Art. 13 des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht vom 3. Heu-

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raoaat 1875, weil nämlich kraft dieser Vorschrift des Bundesgesetzes die von irgend einer schweizerischen Eichstätte vorgenommene Eichung in allen Kantonen Gültigkeit haben solle, während die baselstädtische Eichung seitens der graubündnerischen Behörden mißachtet worden sei.

II.

Art. 160 des Bandesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 bestimmt, daß gegen die Endurteile der kantonalen Gerichte, sowie gegen die Entscheide der kantonalen Überweisungsbehörden in Strafsachen, die nach eidgenössischen Gesetzen zu beurteilen sind,' beim Bundesgeriehte die Kassationsbeschwerde eingereicht werden kann, und Art. 182 bestimmt, daß wegen Verletzung privat- oder strafrechtlicher Vorschriften des eidgenössischen Rechtes durch Entscheide von Kantonsbehörden eine staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht nicht erhoben werden kann. Laut Art. 190 leg. cit. ist die Bestimmung des letztgenannten Artikels auf die vom Bundesrat zu beurteilenden staatsrechtlichen Streitigkeiten anwendbar.

Aus diesen Bestimmungen des Gesetzes haben die Bundeshehörden den Schluß gezogen, daß auf eidgenössischem Boden für eine Sache nicht zwei verschiedene, miteinander kollidierende Rechtsmittel gegeben sein sollen, und daß, wo die Möglichkeit der Kassationsbeschwerde nach Art. 160 des Organisationsgesetzes besteht, der staatsrechtliche Rekurs ausgeschlossen ist (vergi. Beschluß des Bundesrates in Sachen der Beschwerde der Aktiengesellschaft der Rätisehen Aktienbrauereien in Chur vorn 19. Januar 1904 und dortige Verweisungen). Da nun der vorliegende angefochtene Entscheid seinem Inhalte nach ein Strafurteil ist, das materiell auf Grund dea Art. 15 des Bundesgesetzes über Muß und Gewicht vom 3. Hentnonat 1875, sowie der Art. 15, Abs. 2, und 68, Abs. 4, der eidgenössischen Vollziehungsverordnung vom 24. November 1899 gefällt woiden ist, und der Entscheid angefochten wird mit der Behauptung, daß derselbe eidgenössisches Recht (Art. 13 des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht") verletze, so stund der Rekurrentin die Kassationsbeschwerde an das Bundesgericht offen. Damit ist aber die Möglichkeit der Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde aufgehoben.

Auf das Begehren betreffend Kostenfolgen tritt der Bundesrat nach feststehender Praxis nicht ein (vergi. Salis, Bundesrecht, 2. Aufl., Bd. II, Nr. 333, S. 71).

89 Demnach wird erkannt: Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

B e r n , den 19. Januar 1904.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. I.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde der Aktiengesellschaft Brauerei zum Cardinal in Basel gegen ihre Bestrafung wegen Übertretung des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht vom 3. Heumonat 1875. (Vom 19. Januar 1904.)

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20.01.1904

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