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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde von Hildebrand-Pfeiffer & Cie., Damenkonfektionsgeschäft in Schaffhausen, wegen Auferlegung einer Patenttaxe für einen Saisonausverkauf.

(Vom 15. März 1904.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat ü hat über die Beschwerde von H i l d e b r a n d - P f e i f f e r & Cie..

Damenkonfektionsgeschäft in Schaffhausen, wegen Auferlegung einer Patenttaxe für einen Saisonausverkauf, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Die Firma Hildebrand - Pfeiffer & Cie., Damenkonfektionsgeschäft in Schaffhausen, hatte im Schaffhauser Intelligenzblatt ein Inserat folgenden Wortlautes erlassen: ,,Vorgerückter Saison halber werden alle noch vorhandenen Sommerartikel zu äußerst

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billigen Preisen abgegeben." Mit Schlußnahme vom 2. September 1903 erklärte der Stadtrat von Schaffhausen den inserierten Warenverkauf für patentpflichtig, und ordnete die Inventarisation des Lagerbestandes der in Frage kommenden Artikel an. Die Inventarisation, die allerdings erst stattfand, als der Ausverkauf schon einige Zeit gedauert hatte, stellte fest, daß der Ausverkauf auf zirka l Dutzend Sommerjacken beschränkt sei.

Der Stadtrat begründet die Patentpflicht damit, ,,daß Art. 12, lit. e, des kantonalen Markt- und Hausiergesetzes hier zur Anwendung zu gelangen habe, wonach sogenannte Reklame- und Gelegenheitsverkäufe zu reduzierten Preisen, zu denen die Saisonoder Räumungsverkäufe selbstverständlich auch gehören, als patentpflichtig zu erklären seien. In der Art der Publikation der Rekurrenten liege die Absicht, die Kunden in den Glauben zu, versetzen, das Angebot sei preisniedriger als sonst bei ändern Geschäften. Dies sei an und für sich zulässig, bedürfe aber eines Patentes. Gerade für derartige Fälle sei das Gesetz erlassen worden, in denen der Anschein eines außergewöhnlichen Angebotes erweckt werden wolle.a Diese Verfügung hat die Firma an den Regierungsrat des Kantons Schaffhausen weiter gezogen. Die Behörde hat aber die Beschwerde mit Beschluß vom 21. Oktober 1903 abgewiesen, indem sie als Motive ihres Entscheides die Gründe des Stadtrates von Schaffhausen bezeichnete.

"^j Der Regierungsbeschluß ist der rekurrierenden Firma am 3. November 1903 eröffnet worden.

II.

Mit Eingabe an den Bundesrat vom 2. Januar 1904 erhebt die Firma Hildebrand-Pfeiffer & Cie. Beschwerde beim Bundesrat und verlangt, es sei der Beschluß des Regierungsrates von Schaffhausen vom 21. Oktober 1903 aufzuheben und der Warenverkauf, resp. das denselben ankündigende Inserat der Rekurrentin als nicht patentpflichtig zu erklären, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Zur Begründung wird vorgebracht : 1. Der angefochtene Entscheid verstößt gegen Art. 31 der Bundesverfassung und gegen Art. 17 der Verfassung des Kantons Schaffhausen. Es bedarf keiner besondern Ausführung, daß bei einem Damenkonfektionsgeschäft gewisse Artikel speziell für die r einzelnen Jahreszeiten verkauft werden, die am Ende der Saisonnicht mehr den Wert repräsentieren, den sie während derselben-

82f7 haben; dieser Tatsache hat das Inserat im Schaffhauser Intelligenzblatt Ausdruck gegeben. Solche Publikationen sind absolut notwendig ; sie zu verbieten, oder unter Steuer zu stellen, polizeiliche Kontrolle, Patent- und Inventarisationspflicht damit zu verbinden, ist entschieden eine Aufhebung der Gewerbefreiheit, denn es gebort zum Begriff derselben, daß der Kaufmann die beim normalen Geschäfts!: etrieb sich ergebenden Preisreduktionen dem Publikum, zur Kenntnis bringen darf ; tatsächlich verkaufen auch alle Saisongeschäfte ihre Saisonartikel nach der Saison billiger als während derselben. Es fehlen im vorliegenden Falle aber auch alle Merkmale des Außergewöhnlichen, des Massenverkaufs, der illoyalen Konkurrenz und dergleichen; die Quantität der noch vorhandenen Ware, ungefähr ein Dutzend Sommerjacken, war so gering, daß das Minimum einer Patenttaxe (Fr. 20) sich als außerordentlich hohe Steuer darstellen mußte. Wenn der Regierungsrat glaubt, das kantonale Markt- und Hausiergesetz auf den vorwürfigen Tatbestand anwenden zu müssen, so ist das eine Gesetzesauslegung, die Art. 31 B. V. nicht zuläßt.

Die Firma konnte auch nach der bisherigen Handhabung des Gesetzes annehmen, sie bewege sich innerhalb des Rahmens des nicht patentpflichtigen Handels. Andere Geschäfte inserieren bei Gelegenheit in gleicher Weise, wie fast jede Nummer einer schaffhausischen Zeitung beweist, ohne daß das Patentpflichtverfahren über dieselben ergeht ; in dieser Richtung ist auf den Entscheid der Regierung in Sachen S. Klopfstock vom 5. Juni 1901 zu verweisen, von welchem ein Protokollauszug bei den Akten liegt.

2. Dem Protokollauszug in Sachen Klopfstock ist im wesent» liehen folgendes zu entnehmen: Im Laufe des Monats Januar erschien in den Tagesblättern des Kantons Schaffhausen eine Publikation des Warenhauses S. Klopfstock, worin ,,nach beendeter Inventur" einzelne Warenartikel ,,wegen vorgerückter Saison und großem Lagera zu wesentlich herabgesetzten Preisen feilgeboten wurden. Der Stadtrat fand, daß nach dem Wortlaut der Annonce ein vorübergehender Massenverkauf zu reduzierten Preisen im Sinne von Art. 12, lit. e, des Markt- und Hausiergesetzes vorliege,. und die Firma Klopfstock wurde mit einer Patenttaxe von Fr. 100 und einer Buße von Fr. 50 wegen Nichteinlösung eines Patentes belegt. Auf Einlegung eines
Rekurses hin ermäßigte die kantonale Polizeidirektion die Patenttaxe auf Fr. 50 und die Buße auf Fr. 25. Gegen diese Verfügung legte die Rekurrentin Rekurs beim Regierungsrat des Kantons Schaffhausen ein, den derselbe mit Beschluß, vom, 5. Juni 1901 guthieß aus folgenden Erwägungen,:

·828 Art. 12, lit. e, des Markt- und Hausiergesetzes schreibt vor, daß als patentpflichtiger Hausierverkehr zu behandeln sei der freiwillige Ausverkauf, Inbegriffen sogenannte Reklame-, Gelegenheitsund andere vorübergehende Massenverkäufe zu reduzierten Preisen.

Dem gegenüberzuhalten ist der Wortlaut des betreffenden Inserates der Firma Klopfstock, der folgender ist : ,,Nach beendeter Inventur siud einzelne Artikel wegen vorgerückter Saison und großem Lager im Preise wesentlich herabgesetzt worden" u. s. w.

Aus dem Wortlaut dieses Inserates kann nun offenbar nicht ein Ausverkauf im Sinne von Art. 12, lit. e, des erwähnten Gesetzes ·'hergeleitet werden. Solchen Inseraten begegnet man tagtäglich in allen Tagesblättern; jeder einsichtige Kaufmann sucht eben am Schlüsse der Saison die noch vorhandene W a are abzusetzen und reduziert zu diesem Zwecke die Preise. Dies Vorgehen kann aber weder als Ausverkauf noch als Gelegenheits- oder Reklame ver kauf bezeichnet werden. Wollte man solche Ankündigungen in den Tagesblättern patentoder taxpflichtig erklären, so wäre das ein Verstoß gegen das Prinzip der Gewerbefreiheit. Reklame für das Geschäft zu macheu, kann den Kaufleuten nicht verboten werden, ·und als solche ist das erwähnte Inserat aufzufassen. Von einem Massenverkauf im Sinne des Markt- und Hausiergesetzes kann vollends keine Rede sein, da die noch am 14. Februar 1900 durch die städtische Kommission für Durchführung des Markt- und Hausiergesetzes vorgenommene Inventur des angekündigten Warenlagers nur einen Wert von Fr. 135. 85 repräsentierte. Es mag nun allerdings zugegeben werden, daß in der Zeit vom 24. Januar, dem Tage, an welchem die betreffende Ankündigung in den Tagesblättern erschien, bis zum 14. Februar, dem Tage der Inventarisation, eine -ziemliche Anzahl Artikel verkauft wurden, das angekündigte Lager also ursprünglich einen größern Wert darstellte. Allein ein Massenverkauf im Sinne des Gesetzes kann dennoch nicht in Frage kommen, sondern es ist das Vorgehen einfach als ein Aufräumen mit den Saisonartikeln aufzufassen, wie solches sozusagen in jedem Geschäfte praktiziert wird. Aus diesen Gründen gelangt der Re.gierungsrat dazu, den ergriffenen Rekurs gutzuheißen und den Beschluß des Stadtrates vom 14. Februar, daß der angekündigte Verkauf patentpflichtig sei, .aufzuheben. Damit ist auch die Verfügung der Polizeidirektion vom 12. April 1900 hinsichtlich der Festsetzung der Patenttaxe und hinsichtlich der ausgesprochenen Buße aufgehoben."

111.

Die Beschwerde des Hauses Hildebrand-Pfeiffer & Cie. ist dem Regierungsrat des Kantons Schaffhausen zur Ansichtsäußerung

829 zugestellt worden, der sie in einer Zuschrift des Staatsanwaltes des Kantons Schaffhausen mit folgenden Aussetzungen beantwortet : Die Frage, ob die Firma Hildebrand-Pfeiffer
Es handelt sich hier somit um eine Tatsachenfeststellung der kantonalen Behörde und es ist hierwegen ein staatsrechtlicher Rekurs gar nicht zulässig. Der h. Bundesrat hat als kantonale Feststellung die Tatsache zu Grunde zu legen, daß ein Ausverkauf stattgefunden hat. Nach feststehender bundesgerichtlicher Praxis wird nur dann auf eine Untersuchung von Tatfragen eingetreten, wenn offenbar eine irrige Würdigung von Fakta stattgefunden hat. Im vorliegenden Falle ist hiervon nicht die Rede. Wenn jemand ausschreibt, er verkaufe alle noch vorhandenen Somtnerartikel zu äußerst billigen Preisen, so ordnet er nach dem Urteil jedes Vernünftigen einen partiellen Ausverkauf an. Darauf kommt es nicht an, ob infolge der Annonce viel oder wenig abgesetzt wird ; wenn die rekurrierende Firma geschützt wird, dann ist auch der Kaufmann zu schützen, der auf gleichem Wege für Fr. 100,000 absetzt.

Es ist ja richtig, daß durch das Markt- und Hausiergesetz die Handels- und Gewerbefreiheit einen Stoß erlitten hat ; aber gerade die Kaufleute und Krämer der kleinen Städte haben dringend den Erlaß des Gesetzes verlangt. Sie glaubten, daß mit dem Gesetze nur die jüdischen Wanderlager und Ramsfirmen getroffen würden. Da es nun allen aa den Kragen geht, so wettern sie über das lästige Hausiergesetz und sehen ein, daß die Frösche den Storch zum König gewählt haben.

Damit ist auch die materielle Seite des Rekurses beantwortet.

Die Beschwerde ist daher unter Kostenfolge abzuweisen.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Die' Regierung des Kantons Schaffhausen hat in erster Linie eine Kompetenzeinrede erhoben, dahingehend, der Buudesrat sei nicht kompetent, die Frage zu prüfen, ob die Rekurrentin einen patentpflichtigen Ausverkauf angestrebt habe oder nicht, denn dies sei eine Tatfrage.

Bundesblatt. 56. Jahrg. Bd. I.

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Dem gegenüber ist festzustellen, daß die von der Beschwerdeführerin der Rekursinstanz zur Entscheidung vorgelegten Beschwerdepunkte sind: erstens die Behauptung, daß der Saisonausverkauf, welchen die Rekurrentin mit dem Inserat im Schaffhauser Intelligenzblatt angekündigt und daraufhin im Herbst 1903 durchgeführt hat, als nach Art. 12, lit. e, des schaff hausischen Markt- und Hausiergesetzes patentpflichtig erklärt worden sei, während andere Geschäfte mit keiner Patenttaxe belegt werden; zweitens die Behauptung, daß die Unterstellung dieses Ausverkaufs unter ein Hausiergesetz und die Erhebung einer Ausverkaufstaxe, auch bei Zugrundelegung des gesetzlich zulässigen Minimums, eine mit dem Wesen der bundesverfassungsmäßigen Handels- und Gewerbefreiheit unvereinbare Beeinträchtigung bedeute. Über diese Behauptungen zu entscheiden, ist der ßundesrat auf Grund von Art. 189, Ziffer 3, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 kompetent, da damit die Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung durch rechtsungleiche und willkürliche Taxauflegung behauptet wird (vgl. Bundesratsbeschluß in Sachen Friedrich Golliez vom 11. August 1903, Bundesblatt 1903, III, 918 und dortige Zitate).

Die Beschwerde ist innert der Rekursfrist von 60 Tagen seit der Eröffnung der angefochtenen Verfügung vom 21. Oktober 1903 bei der Rekursinstanz eingereicht worden.

II.

Zum Beweise dafür, daß die Patenttaxe von der Rekurrentiu in rechtsungleicher Weise erhoben worden sei, hat dieselbe darauf hingewiesen, daß in fast jeder Nummer schaffhausischer Zeitungen der ihrigen ähnliche Inserate veröffentlicht werden, ohne daß die Patentpflicht der betreffenden Geschäfte geltend gemacht werde; sodann, daß der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen in der Rekursentscheidung in Sachen S. Klopfstock sogar ausdrücklich einen Saisonausverkauf von der Patentpflicht entbunden habe.

Diese Tatsachen, deren Richtigkeit die Regierung des Kantons Schaffhausen keineswegs bestritten hat, sind in der Tat geeignet, die Unterstellung des von der Rekurrentin angekündigten Ausverkaufs unter Art. 12, lit. e, des schaffhausischen Hausiergesetzes als verfassungswidrig erscheinen zu lassen. Der Vergleich des Falles Klopfstock vom Jahre 190Q/1901 mit dem vorliegenden ergibt, daß dort wie hier am Ende der Saison ein Verkauf
von Saisonartikeln stattgefunden hat, die wegen Ablaufs der Saison zu reduzierten Preisen abgegeben wurden, und daß in beiden Fällen es sich unbestrittenermaßen um eine Operation gehandelt

831 hat, die sich im Rahmen des ordentlichen Geschäftsverkehrs bewegte. Wenn also damals die oberste Behörde des Kantons Schaff hausen die Patentpflicht verneinte, und sie heute noch gegenüber ändern Geschäftsleuten der Branche der Rekurrentin nicht geltend macht, so hat sie in ihrer Entscheidung vom 21. Oktober 1903, die sich durchaus nicht als eine bewußte Änderung der bis dahin bestehenden Praxis darstellt, sondern ohne nähere Untersuchung die Motive der Entscheidung des Stadtrates als richtig annimmt, den Geschäftsbetrieb der Rekurrentin in ungleicher Weise belastet, und damit eine Rechtsungleichheit geschaffen, die in Widerspruch mit Art. 31 und 4 der Bundesverfassung steht.

Der Beschluß vom 21. Oktober 1903 ist daher aufzuheben.

Angesichts der Gutheißung des ersten Beschwerdepunktes brauchen die betreffend Art. 31 B. V. von der Rekurrentin aufgeworfenen Rechtsfragen nicht mehr entschieden zu werden.

Auf das Begehren um Kosten- und Entschädigungsfolgen tritt der Bundesrat seiner Übung gemäß nicht ein (Salis, Bundesrecht, 2. Aufl., II, Nr. 333, S. 71); für die Frage der Entschädigung ist allein d.er Richter kompetent.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird begründet erklärt und der Beschluß des Regierungsrates des Kantons Schaffhausen vom 21. Oktober 1903 aufgehoben.

B e r n , den 15. März 1904.

Irn Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Billgier.

-SB-O-BS-

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde von Hildebrand-Pfeiffer & Cie., Damenkonfektionsgeschäft in Schaffhausen, wegen Auferlegung einer Patenttaxe für einen Saisonausverkauf. (Vom 15. März 1904.)

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1904

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16.03.1904

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825-831

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