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Schweizerisches Bundesblatt.

44. Jahrgang. I.

Nr. 8.

24. Februar 1892.

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Druck und Expedition der Buchdruckerei Karl Stämpfli Cie. in Bern.

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Bundesrathsbeschluß über

das Gesuch der Lebensversicherungsgesellschaft ,,New York" um Wiedererwägung und Aufhebung seiner Beschlüsse vom 25. September und 27. November 1891 betreffend Ordnungsbußen.

(Vom

19. Februar 1892.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat h hat auf das Gesuch der L e b e n s v e r s i c h e r u n g s g e s e l l s c h a f t new York in New Y o r k um Wiedererwägung und Aufhebung seiner Beschlüsse vom 25. September und 27. November 1891 (Bundesbl. 1891, V, 558), wodurch die Gesellschaft wegen Nichteinreichung des Rechenschaftsberichtes für das Jahr 1890 in Ordnungsbußen im Gesammtbetrage von Fr. 1500 verfällt wurde; auf Bericht und Antrag seines Industrie- und Landwirthschaftsdepartements, sowie seines Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender Thatsachen : A.

Am 24. Juli 181)1 beschloß der Bundesrath, der Lebensversicherungsgesellschaft ,,New York", welche am 18. Februar 1891 auf die eidgenössische Konzession verzichtet hatte, für die Einreichung des in den Art. 5 bis 8 des Bundesgesetzes betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens, vom 25. Juni 1885, vorgesehenen Rechenschaftsberichtes Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. I.

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für das Jahr 1890 eine Frist bis Ende August gì. J. .zu setzen, unter Androhung einer Ordnungsbuße vou Fr. 500 im Weigerungsfälle. Die Gesellschaft leistete diesem Beschlüsse keine Folge, weßhalb der Bundesrath am 25. September 1891 sie in die angedrohte Buße von Fr. 500 verfällte. Gleichzeitig räumte der Bundesrath der flNew York"1 zur Binreichung des verlangten Rechenschaftsberichtes eine neue Frist bis Ende Oktober gì. J. ein, unter Androhung einer weitern Ordnungsbuße von Fr. 1000 im Falle der Zuwiderhandlung. Da auch diese Aufforderung ohne Erfolg blieb, verhängte der Bundesrath am 27. November 1891 über die Gesellschaft eine zvceite Ordnungsbuße von Fr. 1000. Die Bußenbeträge stehen zur Stunde noch aus.

B.

Mit Eingabe vom 2G./27. Januar 1892 stellt Herr Fürsprech Dr. Brunner in Bern im Auftrage der Lebensversicherungsgesellschaft ,, N e w Y o r k " das Gesuch, der Bundesrath wolle seine vorgenannten Beschlüsse in Wiedererwägung ziehen und, in Abänderung derselben, die Petentin von jeglicher Buße befreien. Zur Begründung dieses Begehrens führt die Gesellschaft aus : Die Frage, ob eine Gesellschaft, welche auf die eidgenössische Konzession Verzicht geleistet hat, auch fernerhin (bis zur Abwicklung der sämmtlichen, in der Schweiz abgeschlossenen Versicherungsverträge) der Staatsaufsicht im Sinne des Bundesgesetzes betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens, vom 25. Juni 1885, unterstellt bleibe, sei an Hand der zutreffenden Bestimmungen des angeführten Gesetzes zu entscheiden. Als solche Bestimmung falle im ganzen Gesetze einzig Art. 9, AI. 3, in Betracht, welcher verfüge, daß bei Dahinfallen der Konzession die geleistete Kaution erst auf den Nachweis hin restituirt werde, daß 'alle Verbindlichkeiten der betreffendeil Gesellschaft aus dem schweizerischen Geschäfte erfüllt seien. Die Auffassung des ßundesrathes, daß in diesem Falle nicht nur die Kaution (wie es das Gesetz vorschreibe) bestehen bleibe, sondern daß auch alle Aufsichtsmaßregeln, wie sie speziell die Art. 5 bis 8 des citirten Bundesgesetzes vorsehen, in unbeschränktem Maße fortdauern, erscheine als eine unstatthafte, ausdehnende Interpretation des Art. 9, AI. 3, indem aus der Thatsache des Fortbestehens der Kaution auf das Fortbestehen aller übrigen Aufsichtspflichten geschlossen werde. Damit
werde dem Gesetze ein dem Wortlaute desselben nicht entsprechender Sinn unterstellt und eine Analogie zwischen zwei Dingen geschaffen, die ihjßm Zwecke nach durchaus verschieden seien, wie die Hinterlegung einer Kaution und die Pflicht

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zur Einreichung jährlicher Berichte. Im Uebrigen ergebe sich aus der Thatsache", daß das Gesetz beim Dahinfallen der Konzession ausdrücklich nur die Rétention der Kaution verfüge, die Fortdauer der Staatsaufsicht dagegen nicht ausspreche, als argumentum a contrario die Folgerung, daß alle übrigen, die Aufsicht betreffenden Bestimmungen dahinfallen. Für diese Auffassung spreche auch der Sinn des ganzen Gesetzes. Die Staatsaufsicht sei geschaffen worden, um die Schweizerbürger möglichst vor Schaden zu bewahren. Zu diesem Zwecke räume das Gesetz der Aufsichtsbehörde bestimmte Befugnisse ein, u. a. auch solche, welche den Einblick iu die geschäftliche Situation und in den Geschäftsgang der Gesellschaft ermöglichen sollen. Diese in Art. 5 bis 8 leg. cit. vorgesehenen Kompetenzen des Bundesrathes haben nur einen Sinn im Hinblick auf die das Publikum schützende präventive Maßregel eines eventuellen Konzessionsentzuges im Sinne des Art. 9, AI. 2; der Bundesrath soll in den Stand gesetzt werden, jederzeit zu prüfen, ob einer Gesellschaft das Recht zum Abschlüsse weiterer Verträge zu belassen sei oder nicht. Bestehe die Konzession nicht mehr, so bedürfe die Aufsichtsbehörde naturgemäß auch jener Kompetenzen nicht mehr. In diesem Falle könne es sich vernünftigerweise nicht um ein Festhalten an den Vorschriften des Aufsichtsgesetzes handeln, das durchaus zwecklos wäre, sondern nur darum, die Rechte der Versicherten durch die Retention der Kaution zu wahren. Endlich beruft sich die Gesellschaft auf die Thatsache, daß diejenigen Gesellschaften , welche vor Erlaß des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 in der Schweiz Versicherungsverträge abgeschlossen hatten, dann aber beim Inkrafttreten des Gesetzes die eidgenössische Konzession nicht nachsuchten oder nicht erlangen konnten, den Vorsi-hriften des Aufsichtsgesetzes nicht unterstellt worden sind, Art. 14, AI. 2 und 3, leg. cit. Die Auslegung des Gesetzes per analogiam führe dahin, daß diejenigen Gesellschaften, welche freiwillig auf eine Konzession verzichteten, nicht schärfer zu behandeln seien, als diejenigen, welche nie eine Konzession erworben haben oder diejenigen, denen sie verweigert wurde; in E r w ä g u n g : 1.

Den beiden Beschlüssen des Bundesrathes vom 25. September und 27. November 1891 liegt die Auffassung zu Grunde, daß die Staatsaufsicht über die
Versicherungsgesellschaften (ohne Rücksicht darauf, ob die Konzession fortbestehe oder nicht) so lange Platz zu greifen habe, bis die sämmtlichen Verpflichtungen aus dem schweizerischen Geschäfte erfüllt sind. Der Bundesrath vertritt diese Rechtsanschauung auf Grund folgender Erwägungen :

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t. Mit dem Erlaase des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 hat der Bund von dem ihm durch Art. 34, AI. 2, der Bundesverfassung eingeräumten Gesetzgebung8rechte Gebrauch gemacht und (unter Vorbehalt der Bestimmungen des Art. 14, AI. 3, leg.

cit.) die bisanhin den Kantonen zugestandene Aufsicht über den Geschäftsbetrieb der in der Schweiz arbeitenden Versicherungsanstalten Übernommen. Die allgemein volkswirtschaftlichen Interessen , die bei dem Versicherungswesen betheiligt sind, haben in dieser, wie in andern Industrien (Bisenbahnen, Ausgabe von Banknoten etc.) zu einer Einschränkung des in Art. 31 der Bundesverfassung ausgesprochenen Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit in Form von Spezialgesetzen geführt, welche den Betrieb bestimmter Gewerbe der staatlichen Kontrole unterstellen. Der Zweck dieser gesetzgeberischen Erlasse liegt überall in dem Schutze der öffentlichen Wohlfahrt, welche an dem normalen Gange jener Gewerbe in hohem Grade interessirt ist. Die gleiche ratio liegt auch dem Bundesgesetze vom 25. Juni 1885 zu Grunde. Der Staat will sein Möglichstes thun, um jede Gefährdung von den mit dem Versicherungswesen eng verknüpften öffentlichen Interessen fern zu halten. Dieser Aufgabe war die kantonale Aufsicht nicht gewachsen.

Es griff deßhalb der Bund ein. und regelte die Uebenvachung der Versicherungsgesellschaften einheitlich für die ganze Schweiz (siehe Botschaft des Bundesrathes, Bundesbl. 1885, Bd. I, pag. 107 u. f.).

Jenem Zwecke entsprechend normirt das Aufsichtsgesetz : a. Daß ohne Ermächtigung der Aufsichtsbehörde die privaten Versicherungsanstalten in der Schweiz keine Geschäfte betreiben dürfen (Art. 3, leg. cit.); b. die Erfordernisse, an welche die Ertheilung der Konzession geknüpft ist (Art. 2, leg. cit.); c. die Art und Weise, in welcher die Versicherungsgesellschaften der Staatsaufsicht unterstellt sind. Hierher gehören insbesondere die Vorschriften über die Form und den Inhalt der jährlichen Berichterstattung (Art. 5 bis 8), sowie die Bestimmungen über die Befugnisse der Aufsichtsbehörde (Art. 2 , Ziff. 5, Art. 8, 9, 10 und 16) und über die Vorlage von Abänderungen der technischen und rechtlichen Grundlagen (Art. 4).

2. Der Zweck dieser Vorschriften ist ein klarer. Durch den Konzessionszwang soll die Aufsichtsbehörde in den Stand gesetzt werden, die geschäftliche Lage
der Gesellschaften eingehend zu prüfen, um je nach dem Resultate dieser Erhebungen die Ermächtigung zum Geschäftsbetriebe zu gewähren oder zu verweigern.

Dem Konzessionszwange kommt somit die Bedeutung einer p r ä -

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v en ti v e n Maßregel der Staatsaufsicht zu; es soll verhindert werden, daß eine Gesellschaft, welche nicht die erforderlichen Garantien bietet, durch ihre geschäftlichen Operationen in der Schweiz die Interessen der Bürger gefährde. Damit ist jedoch die Staatsaufsicht nicht erschöpft. Der Schwerpunkt derselben liegt vielmehr in einer Kontrole derjenigen Gesellschaften, welche auf Grund der ertheilten staatlichen Ermächtigung in der Schweiz Versicherungsverträge abgeschlossen haben. Das Gesetz begnügt sich nicht damit, in den Art. 5 bis 8 den Inhalt der von jenen Gesellschaften jährlich einzuliefernden Rechenschaftsberichte im Prinzipe festzustellen und die Ergänzung derselben dem Ermessen des Bundesrathes anheimzugeben (Art. 8), s o n d e r n es v e r p f l i c h t e t in A r t . 9 , AI. l , d i e A u f s i c h t s b e h ö r d e ü b e r h a u p t , j e d e r zeit die ihr d u r c h das a l l g e m e i n e I n t e r e s s e und dasjenige der V e r s i c h e r t e n geboten erscheinenden Verf ü g u n g e n zu t r e f f e n . Diese Gesetzesvorschriften schaffen nicht nur eine umfassende Kontrole, welche dem Bundesrathe jederzeit einen genauen Einblick in die geschäftliche Lage der Gesellschaften gestattet, sondern gewähren in den der Behörde zugetheilten Befugnissen gleichzeitig auch die Mittel, um auf Grund der aus der Berichterstattung gewonnenen Resultate jederzeit die geeigneten materiellen Vorkehren (Reformen etc.) zu treffen. Es ist klar, daß der Zweck des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885, der im Schutze der Interessen der schweizerischen Versicherten liegt, durch eine (auch noch so detaillirte") B e r i c h t e r s t a t t u n g a l l e i n nicht erfüllt würde. Dagegen ist die Kenntniß der in den Rechenschaftsberichten niedergelegten thatsächlichen Verhältnisse die Grundbedingung für die praktische Bedeutung der der Aufsichtsbehörde eingeräumten Kompetenzen, welche den wesentlichsten Theil der Staatsaufsicht bilden. Diese Kompetenzen des Bundesrathes beschränken sich nicht, wie die Petentin meint, auf die der Behörde unter bestimmten Voraussetzungen obliegende Pflicht, einer Gesellschaft die Konzession zu entziehen (Art. 9, AI. 2), demnach auf präventive Maßregeln, sondern erstrecken sich kraft positiver Gesetzesvorschrift (Art. 9, AI. l") auf a l l e V e r f ü g u n g e n , welche der Bundesrath
als durch das allgemeine Interesse und dasjenige der Versicherten geboten erachtet. Ueberall da, wo diese naturgemäß mannigfaltigen Interessen in Frage stehen, hat die Behörde die Pflicht, nicht bloß das Recht, einzugreifen. Auf Grund der Bestimmung des Art. 9, AI. l, hat der Bundesrath beispielsweise einer Lebensversicherungsgesellschaft, welche durch Revision ihres Statuts zum Zwecke der Ausrichtung fiktiver Dividenden die Amortisation der Abschlußprovisionen in einem Termine von fünf Jahren einfuhren wollte, diese Manipulation wegen Gefährdung der Interessen

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der Versicherten untersagt, und von einer andern Anstalt (welche auf die eidgenössische Konzession verzichtet hatte) eine korrekte Bestellung der Reserven verlangt (Bundesbl. 1891, Bd. II, pag. 325 u. f.). Es bedarf nun gewiß keines Nachweises, daß allgemeine Interessen und besondere der Versicherten, welche das Gesetz der Aufsichtsbehörde wahrzunehmen befiehlt, u n a b h ä n g i g von der D a u e r der Ko n Zession, so lange b e s t e h e n , als eine Gesellschaft in der Schweiz V e r p f l i c h t u n g e n zu erf ü l l e n h a t . Aus der Vorschrift des Gesetzes, daß die Behörde die in Art. 9, Abs. l, normirte Aufsichtsthätigkeit so lange zu entfalten hat, als schutzbedürftige Interessen vorliegen, ergibt sich sofort der zwingende logische Schluß, daß das Gesetz für dieselbe Zeit auch das zur Durchführung dieser Thätigkeit geschaffene, einzig geeignete Mittel -- die in den Art. 5 bis 8 vorgesehene Berichterstattung -- gewähren bezw. vorschreiben wollte. Für diese Auffassung spricht auch Art. 12, dessen eminent praktische Bestimmung nur auf Grund einer ständigen Kontrole des Bundes ausführbar ist.

Eine gegentheilige Meinung würde sich mit dem angegebenen klaren Wortlaute des Gesetzes, wie mit dem Zwecke, den der Gesetzgeber mit seinem Gesetze hat erreichen wollen, in Widerspruch setzen. Der Schutz der Interessen der schweizerischen Versicherten, der dem Bundesgesetze als ratio legis zu Grunde liegt, wäre ein offenbar illusorischer, wenn die Staatsaufsicht nur während der Dauer der Konzession zu Kraft bestände und so ihre Funktion gerade in dem Momente einstellen würde, wo der Staat und die Versicherten an der normalen Abwicklung der von einer Gesellschaft in der Schweiz abgeschlossenen Verträge naturgemäß in besonders hohem Grade interessit sind. Es darf aber vernünftigerweise nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber eine Staatsaufsicht habe schaffen wollen, die, im Widerspruche mit dem vorgesetzten Zwecke, in praxi nur ein todter Buchstabe wäre, um so weniger, als die oben sub Ziffer l f e s t g e s t e l l t e ä u ß e r e V e r a n l a s s u n g d e s G e s e t z e s auf den unverkennbaren Willen des Gesetzgebers schließen läßt, an die Stelle der mangelhaften kantonalen Aufsicht eine der Aufgabe gewachsene Kontrole des Bundes zu setzen. Es müßte sich somit, auch ohne Rücksicht auf den
klaren Wortlaut des Gesetzes, lediglich an Hand der ratio legis und der Interpretationsregel, daß Gesetze nicht in einer Weise ausgelegt werden dürfen, daß dadurch ein Widerspruch mit dem Zwecke derselben entsteht, die Fortdauer der Staatsaufsicht auf so.

lange ergeben, als eine Gesellschaft in der Schweiz Verpflichtungen zu erfüllen hat.

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3. Gegenüber diesen Ausführungen erscheinen die Anbringen ·der Petentin als unbegründet. Die Auffassung, daß, nach Maßgabe des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885, die Ertheilung der Konzession der einzig gesetzliche Grund des bundesräthlichen Aufsichtsrechtes sei und daß demnach mit dem Ruckzuge der Konzession oder mit dem Verzichte auf dieselbe zugleich das gesetzliche Aufsichtsrecht dahinfalle, läßt sich mit dem Gesetze nicht vereinbaren.

Die Staatsaufsicht ist die nothwendige gesetzliche Folge der T hatsache, daß eine Gesellschaft, auf Grund der ertheilten staatlichen Ermächtigung, in der Schweiz Versicherungsverträge abgeschlossen hat. Die dergestalt begründete staatliche Kontrole ist von der Dauer der Konzession unabhängig; sie hat das Fortbestehen der letztern nicht zur gesetzlichen Voraussetzung. Den Gesetzesvorschriften, welche das Verfahren der Konzessionsertheilung (Art. 2) und des Konzessionsentzuges (Art. 9, AI. 2) regeln, kommt, wie nachgewiesen wurde, lediglich die Bedeutung einer präventiven Maßregel der Staatsaufsicht zu; mit der Beaufsichtigung des Geschäftsbetriebes und mit der Wahrnehmung der auf G r u n d d e s s e l b e n e n t s t a n d e n e n I n t e r e s s e n haben s i e nichts zu schaffen. Der Konzessionsverzicht der Petentin bleibt demnach ohne Einfluß auf die Verpflichtungen, welche, kraft positiver Gesetzesbestimmung, der ,,New York** durch die Ausübung ilires Gewerbes erwachsen sind. Art. l, AI. l, des Gesetzes.

Auch die andern Einwendungen der Petentin entbehren der rechtlichen Begründung. Der Bundesrath schließt aus der Thatsachü des Fortbestehens der Kaution (welches der Gesetzgeber in Art. 9, AI. 3, näher regelt) nicht auf das Fortbestehen aller übrigen Aufsichtspflichten. Die Portdauer der Staatsaufsicht beruht auf ausdrucklicher Gesetzes Vorschrift, nicht auf einer Spezialverfügung der Aufsichtsbehörde, welche, als Setzung neuen Rechtes, freilich unstatthaft wäre. Die Anwendbarkeit des Aufsichtsgesetzes erreicht ihr naturliches Ende, wenn eine Gesellschaft ihre in der Schweiz bestehenden Verpflichtungen aus dem Versicherungsgeschäfte vollständig erfüllt hat, eine weitere Kontrole demnach praktisch ohne Werth und rechtlich nicht mehr zuläßig ist. Die Entlassung einer Gesellschaft aus der Staatsaufsicht vor diesem Zeitpunkte ist gesetzlich unstatthaft und kann
daher vom Bundesrathe auch nicht ausgesprochen werden. Der weitere Einwand der Petentin, bei Dahinfallen der Konzession könne es sich nicht mehr um eine Berichterstattung handeln, welche weder für die Aufsichtsbehörde, noch für die Versicherten irgend welchen Zweck habe, sondern lediglich darum, die Rechte der schweizerischen Interessenten durch àie Retention der Kaution zu wahren, findet seine Widerlegung

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durch das Gesetz selbst. Die fortdauernde Berichterstattung ist die Voraussetzung für die Erfüllung der dem Bundesrathe obliegenden Pflicht, jederzeit die im Interesse des Staates und der Versicherten liegenden Verfügungen zu treffen. Neben diesem in dea Kompetenzen der Aufsichtsbehörde liegenden prinzipalen Sieherungsmiltel für eine normale Abwicklung der Versicherungsverträge wohnt der von den Gesellschaften geleisteten Kaution eine bloß nebensächliche Bedeutung inné. Die von einer Lebensversicherungsanstalt zu leistende Kaution von Fr. 100,000 steht in keinem Verhältnisse zu dem Betrage ihrer Verpflichtungen ; sie bietet daher auch keine hinreichende Garantie. Eine Erhöhung der Sicherheitsleistung im annähernden Betrage der aus den Versicherungsverträgen erwachsenden Ansprüche würde dagegen die Interessen der Gesellschaften empfindlich berühren. Aus diesem Grunde wollte dev bundesräthliche Gesetzesentwurf von einer Kaution überhaupt absehen (s. Bundesbl. 1885, Bd. I, pag. 125).

Wenn die Petentin endlieh aus der Thatsache, daß diejenigen Gesellschaften, welche vor Erlaß des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 in der Schweiz Versicherungsverträge abgeschlossen haben, dann aber, beim Inkrafttreten des Gesetzes, die eidgenössische Konzession nicht nachsuchten oder nicht erlangen konnten, den Vorschriften des Gesetzes nicht unterstellt sind, per analogiam den Schluß zieht, daß diejenigen Anstalten, welche freiwillig auf die ihnen durch das eidgenössische Gesetz eingeräumte Konzession verzichten, nicht strenger zu behandeln seien, als jene Gesellschaften, so übersieht sie die Bestimmung des Art. 14, AI. 3, des Bundesgesetzes, wonach die letztgenannten Anstalten bis zur Abwicklung ihrer schweizerischen Geschäfte der Herrschaft des kantonalen Aufsichtsrechtes unterstellt sind. Zur Auslegung des eidgenössischen Aufsichtsgesetzes können die Vorschriften der zutreffenden kantonalen Gesetze nicht herangezogen werden.

4. Die Lebensversicherungsgesellschaft ,,New York" hatte iu der Schweiz auf Ende des Jahres 1890 Fr. 7,831,459 Kapitalversicherungen und Fr. 77,115 Rentenversicherungen laufend; für erstere bezog sie im Jahre 1890 Prämien im Betrage von Fr. 356,786, für letztere solche von Fr. 76,886. Es bestehen somit die thatsächlichen Voraussetzungen, an welche das Gesetz die Staatsaufsicht knüpft.

5. Nach
den vorstehenden grundsätzlichen Ausführungen ist die Prüfung der Frage, ob die Petentin, welche am 18. Februar 1891 auf die eidgenössische Konzession Verzicht geleistet hat, nicht wenigstens für das Jahr 1890 die verlangte Berichterstattung zu

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gewähren habe, gegenstandslos. Ohne Zweifel müßte die Frage nach den eigenen Ausführungen der ,,New York" bejaht werden.

II.

Da die Petentin, welche bis zur Abwicklung der in der Schweiz abgeschlossenen Versicherungsverträge den Vorschriften des Bundesgesetzes betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens vom 25. Juni 1885 , (A. S. n. F. VIII, 171) unterworfen ist, die geforderte Berichterstattung für das Jahr 1890 verweigert hat, kann dem Begehren um Aufhebung der hierseitigen Beschlüsse vom 25. September und 27. November 1891 nicht entsprochen werden,

beschlossen : Das Gesuch der Lebensversicherungsgesellschaft ,,New YorktL um Aufhebung der BundesrathsbeschlQsse vom 25. September und 27. November 1891, wodurch die Gesellschaft wegen Nichteiureichung des Rechenschaftsberichtes für das Jahr 1890 in Ordnungsbußen im Gesammtbetrage von Fr. 1500 verfällt wurde, wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 19. Februar 1892.

Im Kamen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hanser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluß über das Gesuch der Lebensversicherungsgesellschaft ,,New York" um Wiedererwägung und Aufhebung seiner Beschlüsse vom 25. September und 27.

November 1891 betreffend Ordnungsbußen. (Vom 19. Februar 1892.)

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1892

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24.02.1892

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