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Bundesblatt 111. Jahrgang

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Bern, den 22. Oktober 1959

Band II

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe in eidgenössischen Angelegenheiten (Vom 8.Oktober 1959) Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren !

Wir beehren uns, Ihnen mit dieser Botschaft einen Gesetzesentwurf über die Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe bei eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen vorzulegen.

I. Einleitung Artikel 9 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse schreibt vor, dass die Stimmgebung auf dem ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft an einem und demselben Tage zu erfolgen habe und dass dieser Tag durch den Bundesrat festgesetzt werde. Diese Vorschrift für die Abstimmungen über die dem fakultativen Referendum unterliegenden Erlasse gilt auch für die Abstimmungen über die Eevision der Bundesverfassung, auf Grund einer Verweisung auf das Gesetz von 1874 im Artikel 16 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Bevision der Bundesverfassung.

Die Beschränkung der Stimmabgabe auf einen einzigen Tag - den Sonntag - scheint die Stimmbürger bis gegen Ende des letzten Jahrhunderts nicht stark gestört zu haben. In den neunziger Jahren machte sich aber der Wunsch bemerkbar, die Ausübung des Stimmrechts namentlich durch Einführung der Samstagsurne zu erleichtern. Der Bundesrat befragte die Kantonsregierungen, die mehrheitlich, mit, oder ohne Vorbehalte (fakultative Urnenöffung, BegrenBundesblatt.. 111. Jahrg. Bd. II.

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zung auf gewisse Kategorien von Stimmberechtigten) dieser Lösung zustimmten.

Sechs Kantone und drei Halbkantone antworteten ablehnend.

Gestützt auf diese mehrheitlich bejahende Stellungnahme legte der Bundesrat den eidgenössischen Eäten am 18.Mai 1899 einen Gesetzesentwurf vor, der die Kantone ermächtigte, die Stimmabgabe schon am Vorabend des Wahloder Abstimmungstages zuzulassen. Eine Bestimmung des Entwurfes sah vor, dass diese Massnahme «für das ganze Kantonsgebiet oder nur für einzelne Teile desselben, für sämtliche Stimmberechtigte oder nur für einzelne Kategorien derselben» eingeführt werden könne. Die Bundesversammlung hiess diesen Entwurf gut, nachdem sie den Satzteil über die Begrenzung auf einen bestimmten Personenkreis gestrichen und einige ergänzende Bestimmungen aufgenommen hatte. Das Ergebnis war das Bundesgesetz vom 30.März 1900 betreffend Erleichterung der Ausübung des Stimmrechts und Vereinfachung des Wahlverfahrens.

Bestrebt, den Wünschen entgegenzukommen, welche die Möglichkeit der Stimmabgabe am Samstagabend ausdehnen wollten, erklärte der Bundesrat in einem Kreisschreiben vom 16.März 1925 (BB11925,1, 809), dass man sicherlich nicht gegen den Geist des Gesetzes von 1900 handle, «wenn der Vorabend des Abstimmungstages vorn Samstag mittags 12 Uhr an gerechnet wird». Am 3. April des gleichen Jahres, richtete der Bundesrat ein neues Kreisschreiben an die Kantone (BB11925, II, 137), worin er feststellte, dass der deutsche Ausdruck «Vorabend» auf französisch durch «la veille» und auf italienisch durch «la vigilia» wiedergegeben sei und schloss daraus, die Absicht des Gesetzgebers könne in dem Sinne ausgelegt werden, dass sich die vorgesehene Erleichterung auf den ganzen Vortag erstrecken solle.

Gleichzeitig empfahl der Bundesrat den Kantonen, dafür zu sorgen, dass in den Gemeinden, wo die Urnen am Vortage erst gegen Abend oder überhaupt nicht geöffnet werden, dem aus irgendeinem triftigen Grunde während der Öffnungszeiten am Gang zur Urne verhinderten Stimmberechtigten gestattet werde, seinen in einem Couvert verschlossenen Stimmzettel schon vom Samstagmorgen an einem Gemeindebeamten zu übergeben.

Die Dinge blieben bis vor ungefähr zehn Jahren so, als die eidgenössischen Eäte einen Gesetzesentwurf behandelten, der bezweckte, die Stimmabgabe bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen
zu erleichtern. Es handelte sich um einen Gesetzesentwurf, den die nationalrätliche Kommission (welche dem Nationalrat einen von den Anträgen des Bundesrates abweichenden Entwurf vorlegen wollte, vergleiche Botschaft vom 20. August 1947 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Ausübung des Stimmrechtes durch die von ihrem Wohnsitz Abwesenden [BB1 1947, II, 738]) mit Hilfe der Bundeskanzlei aufgestellt hatte, um die vorzeitige Stimmabgabe und das Stimmrecht der an der Stimmabgabe an ihrem Wohnort verhinderten Stimmbürger zu regeln. Die Vorschriften über die vorzeitige Stimmabgabe gaben weder im Nationalrat noch nachher im Ständerat Anlass zu längeren Erörterungen. Immerhin wäre zu erwähnen, dass sie in der Anfangsphase vom Nationalrat nur mit 46 zu 26

779 Stimmen angenommen wurden. Diese 26 ablehnenden Stimmen entfielen auf einen Verwerfungsantrag des Genfer Abgeordneten de Senarclens, der befürchtete, dass die .Gemeinden, besonders die Landgemeinden, Mühe haben würden; die nötige Anzahl von Leuten für den Dienst an den Urnen auf zutreiben.

Nach Ablehnung des Gesetzesentwurfes in der Schlussabstimmung des Ständerates - offensichtlich wegen der Gegnerschaft, welche die Artikel über die Stimmabgabe durch die Post erweckt hatten -, blieben die Bestimmungen über die vorzeitige Stimmabgabe toter Buchstabe.

Nachdem beide Bäte dem Grundsatz, die Stimmabgabe schon vor dem Samstag zu ermöglichen, zugestimmt hatten, ohne dass er ernstlich bekämpft worden wäre, ist es ganz natürlich, dass in den Vorentwürfen der in der Folge von der Bundeskanzlei ausgearbeiteten Gesetze stets Bestimmungen über die vorzeitige Stimmabgabe enthalten waren. Die Kantonsregierungen wurden eingeladen, Stellung zu nehmen und sie erklärten sich im allgemeinen einverstanden, wobei sie nur hinsichtlich der Art und Weise der Anwendung da und dort Vorbehalte anbrachten. Mehrere Kantone kennen übrigens solche Erleichterungen in kantonalen Angelegenheiten seit Jahren, während andere sie erst vor kurzem eingeführt haben. Zur Zeit besteht die Möglichkeit vor dem Samstag zu stimmen, sei es im Stimmbureau, sei es durch Abgabe des Stimmzettels an einen Beamten, in den folgenden Kantonen entweder für das ganze Kantonsgebiet oder für einige Gemeinden : Kanton

Möglichkeit der Stimmabgabe

Zürich

gewöhnliche Fälle : ab Freitag Verhinderungsfälle: ab Donnerstag

Zug Basel-Land

ab Freitag vom Vortage der Öffnung der Stimmbureaux an ab Donnerstag vom Vortage der Öffnung der Stimmbureaux an ab Freitag ab Freitag 10 Tage vor der Abstimmung

St. Gallen Aargau Thurgau Waadt Neuenburg Genf Bern Luzern und Glarus

ab Donnerstag ab Freitag haben die vorzeitige Stimmabgabe in Aussicht genommen auf den Zeitpunkt hin, auf welchen der Bund sie seinerseits einführen wird.

Form

Stimmbureau Übergabe an einen Beamten Stimmbureau Übergabe an einen Beamten

Stimmbureau Übergabe an einen Beamten » Stimmbureau

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IL Empfiehlt sich die Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe in eidgenössischen Angelegenheiten P Der Wunsch, der Bund möge die Abstimmungsmöglichkeiten den heutigen, seit Ende des letzten Jahrhunderts stark veränderten Lebensverhältnissen anpassen, wurde unlängst in einem im Nationalrat eingereichten Postulat Freimüller vom 3. Juni 1958 und in einem Schreiben des Regierungsrates des Kantons Bern vom 30. September 1958 ausgedrückt.

Das Postulat Freimüller, das noch nicht begründet wurde, hat folgenden Wortlaut : «Der Bundesrat wird im Zusammenhang mit der bereits teilweise eingeführten 5-Tage-Woche eingeladen, die Frage der Stimmabgabe am Freitag vor dem Abstimmungssonntag zu prüfen und diesbezüglich eine Vorlage über die Änderung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen vorzulegen».

Das an die Bundeskanzlei gerichtete Schreiben des Eegierungsrates führt folgendes aus: «Der Regierungsrat erhält in der letzten Zeit von grössern industriellen Gemeinden Gesuche zur Urnenöffnung am Freitag vor dem Abstimmungstag. Nach unsern kantonalen Vorschriften sind die Gemeinden verpflichtet, die Urnen am Vortag des Abstimmungstages mindestens l Stunde zu öffnen und können in ihrer Kompetenz diese Öffnungszeit auf den ganzen Vortag ausdehnen. So öffnet die Gemeinde Biel am Vortag 2 Urnen am Bahnhof und in der Burg von 07.00-20.00 Uhr. Anlässlich der Revision unseres Abstimmungsdekretes vom 26. November 1958 hätten wir gerne die Urnenöffnung am Freitag für die Gemeinden fakultativ erklärt. Angesichts der Weigerung der Bundeskanzlei, eine solche Bewilligung auch für eidgenössische Wahlen und Abstimmungen zu erteilen, mussten wir darauf verzichten. Es hätte die Stimmberechtigten nur verärgert, wenn sie am Freitag in kantonalen Angelegenheiten hätten stimmen können, ihnen dagegen die Stimmabgabe am Freitag für eidgenössische Angelegenheiten verweigert worden wäre. Wir haben aber im revidierten Dekret eine Bestimmung aufgenommen, die den Regierungsrat ermächtigt, Wahlerleichterungen, insbesondere die Urnenöffnung am Freitag auch für kantonale Abstimmungen und Wahlen einzuführen, sofern die eidgenössischen Vorschriften die Kantone zur Urnenöffnung am Freitag ermächtigen würden.

Wir verstehen die Gesuche unserer Industriegemeinden angesichts der vermehrten Einführung der 5-Tage-Woche in den Fabrikbetrieben. Der
Prozentsatz der Arbeiter mit 5-Tage-Woche ist im bernischen Staatsgebiet folgender: Buchdruckgewerbe Maschinen, Apparate, Industrie Bekleidung und Wäsche . . . .

Metallindustrie Textilindustrie Nahrungs- und Genussmittel . .

Musikinstrumente

Prozent

Prozent

65,3 64,4 61,2 55,7 49,5 47,8 46,3

Uhren, Bijouterie 43,2 Chemische Industrie 36,9 Holzindustrie '. . 29,0 Leder und Kautschuk 23,1 Papierindustrie 21,7 Ausrüstungsgegenstände . . . . 19,4 Steine und Erden 11,9 48,7

781 Die Entwicklung zur 5-Tage-Woche in den Fabrikbetrieben hält an. Anderseits verhehlen wir nicht, dasa in kleineren Gemeinden eine obligatorische Urnenöffnung bereits auch am Freitag nicht in Betracht kommen kann, weil diese schon jetzt feststellen, dass von der Möglichkeit der Abstimmung am Samstag von den Stimmberechtigten nicht Gebrauch gemacht werde.

Es wäre deshalb am Platze, wenn dem Kanton Bern auch für eidgenössische Wahlen und Abstimmungen die Urnenöffnung am Freitag fakultativ gestattet würde.

Wir ersuchen sie deshalb, unabhängig der Prüfung der Frage von weitern Stimmerleichterungen, möglichst umgehend den zuständigen Behörden die Einführung der fakultativen Freitagsurne zu beantragen».

Hier ist auch zu erwähnen, dass die Genfer Behörden im Juli 1958 eine Umfrage bei den Stimmberechtigten des Kantons durchgeführt haben, um festzustellen, welche Neuerungen bei den Abstimmungen und Wahlen erwünscht seien, und dass 13 582 Bürger auf die Frage, ob sie es als angezeigt erachten, dass im städtischen Amtshaus ganztägig während einer 'Woche vor der Abstimmung ein Stimmbureau auf getan werde, mit «Ja» antworteten. Es gab nur 5796 Nein.

Wir sind nicht sicher, ob sich dank der Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe die Zahl der Bürger, die bereit sind, an der Urne ihre staatsbürgerlichen Pflichten zu erfüllen, stark erhöhen werde. Angesichts der schwachen Beteiligung, die man dabei da und dort bei kantonalen Abstimmungen (da 8 Prozent der Stimmen, dort weniger als l Prozent usw.) feststellen konnte, wird man sich keinen grossen Illusionen über die Wirkung der Neuerung hingeben. Trotzdem müssen die Behörden danach trachten, dass eine möglichst grosse Zahl von Bürgern in die Lage versetzt wird, ihr Stimmrecht auszuüben, damit das Ergebnis der Wahl oder der Abstimmung den Volkswillen möglichst getreu widerspiegelt Deshalb glauben wir, dass man suchen muss, die Ausübung der politischen Eechte in vernünftiger Weise zu erleichtern. Die Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe ist ein Mittel, dazu. Die Eingabe der Berner Begierung, die Verhältnisse beschreibt, wie sie in der Mehrzahl der Kantone und in einer grossen Zahl von Gemeinden bestehen, lässt darauf schliessen, dass als Folge veränderter Verhältnisse - namentlich wegen der immer allgemeiner werdenden Einführung der 5-Tage-Woche -, überall, vor allem aber in Industriegebieten eine stets wachsende Zahl von Bürgern ihren Wohnsitz vor dem Samstag verlässt, denen man die Gelegenheit zum Stimmen einräumen muss, weil dies (wie wir später sehen werden) ohne die Aufstellung eines in keinem Verhältnis zum erzielbaren Nutzen stehenden Apparates möglich ist.

III.

Soll die vorzeitige Stimmabgabe für die Kantone obligatorisch oder fakultativ eingeführt werden P Nachdem es sich um eine Erleichterung für die Stimmberechtigten handelt, die an eidgenössischen Abstimmungen teilnehmen wollen, muss man sich fragen, ob die vorzeitige Stimmabgabe nicht obligatorisch für das -ganze Gebiet der

782 Schweiz eingeführt werden sollte, und zwar durch eine Bundesvorschrift, die bestimmen würde, dass die Stimmbureaux so und so viele Tage vor der Abstimmung geöffnet sein müssen. Eine solche Vereinheitlichung wäre aber unerwünscht, denn wie im Brief der Berner Eegierung ausgeführt wird, sind die Bedürfnisse von Ort zu Ort zu verschieden. In der Tat könnte man von den Behörden nicht verlangen, dass sie für Abstimmungen und Wahlen einen Apparat aufziehen, der in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Bedürfnissen stünde.

Wenn auch die Einrichtung der vorzeitigen Stimmabgabe weitgehend von den Bedürfnissen der Stimmberechtigten in den verschiedenen Örtlichkeiten und von den Massnahmen abhängt, welche die Behörden ergreifen können, um die Ausübung des Stimmrechts in dieser Form sicherzustellen, empfiehlt es sich doch, nicht allein auf die kantonale Gesetzgebung abzustellen, wenn man die Stimmabgabe vor dem Abstimmungssamstag und -sonntag ermöglichen will, sondern durch das Bundesrecht ein Minimum an Einheitlichkeit zu sichern.

Wir glauben deshalb, dass dieLösung darin bestehen sollte, die vorzeitige Stimmabgabe zwar in obligatorischer Weise einzuführen, aber doch genügend geschmeidig, um den besonderen Umständen Eechnung zu tragen. Damit würde man den Grundsatz beachten, dass die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen nach den Vorschriften der kantonalen Gesetze stattfinden, jedoch unter Vorbehalt der Bestimmungen des Bundesrechts (s.Art. l des Bundesgesetzes von 1872).

IV.

Soll die vorzeitige Stimmabgabe auf dem Gesetzeswege eingeführt werden P Die Praxis hat die Bestimmung, wonach die Stimmgebung «auf dem ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft an einem und demselben Tage» (Art.9 des Gesetzes von 1874) erfolge, immer weitherzig ausgelegt, vielleicht zu weitherzig: sie hat stets angenommen, dass diese Bestimmung nicht nur bedeute, dass die Abstimmung in den Kantonen nicht an verschiedenen Daten stattfinden kann, sondern auch, dass die Stimmbureaux nicht an zwei aufeinanderfolgenden Tagen geöffnet sein können.

In seinem Eeferat für den Schweizerischen Juristenverein (Zeitschrift für Schweizerisches Eecht, Heft 3, 1959 S. 457 a) behauptet Herr.Dr. Usteri, Eechtsanwalt in Zürich, dass der Bundesrat sehr wohl die vorzeitige Stimmabgabe in eigener Zuständigkeit einführen könnte, weil der erwähnte Artikel 9 damit keineswegs im Widerspruch stünde. Wir halten dieses Vorgehen nicht für zulässig, weil nicht nur Artikel 9 des Gesetzes von 1874 zu beachten ist, sondern auch der Artikel l des Bundesgesetzes vom 30.März 1900 betreffend Erleichterung der Ausübung des Stimmrechts und Vereinfachung des WahlVerfahrens. Dieser Artikel l ermächtigt die Kantone, «bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen die Stimmabgabe schon am Vorabend des Wahl- oder Abstimmungstages zuzulassen», was a contrario bedeutet, dass es verboten sei,

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sie vorher zu gestatten. Die Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe in eidgenössischen Angelegenheiten beeinflusst das kantonale Eecht derart, dass es auch deshalb vorteilhafter scheint, auf dem Wege der Gesetzgebung vorzugehen, selbst wenn der Weg der Verordnung oder des Kreisschreibens offen stünde.

V.

Der Inhalt unseres Gesetzesentwurfes Wie wir in Erinnerung riefen, sah der vom Ständerat 1952 verworfene Gesetzesentwurf gleichzeitig die Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe und die Stimmabgabe durch die Post vor, was ganz natürlich war, weil es sich um zwei Erleichterungen gleicher Art handelte.

Die Beratungen dieses Gesetzesentwurfes in den eidgenössischen Bäten und die späteren Umfragen bei den Kantonen, womit eine andere Form der Stimmabgabe für die Sicherstellung des Stimmrechts der Kranken und Abwesenden (oder gewisser Abwesender) gesucht wurde, haben gezeigt, dass es sich hier um eine äusserst verwickelte und heikle Frage handelt, über welche die Meinungen recht erheblich auseinandergehen können. Die Arbeiten für die Bereinigung der Botschaft und des Gesetzesentwurfes über die Stimmabgabe der Kranken und Abwesenden sind noch nicht abgeschlossen. Liegt einmal der Ent?

wurf vor den Bäten, so werden diese die beantragten Bestimmungen vielleicht nicht so schnell zum Beschluss erheben. Deshalb halten wir es für angezeigt, diese Frage von der viel einfacheren der vorzeitigen Stimmabgabe zu trennen, deren Begelung auf eidgenössischem Boden gewisse Kantone baldmöglichst erwarten. Kein Kanton hat Einwände gegen diese getrennte Behandlung der Probleme erhoben. Einer unter ihnen hat diese Idee sogar als besonders glücklich erachtet.

Der Nachteil, zwei Gesetze statt nur eines in einem Gebiete zu erlassen, wo schon eine ziemlich grosse Zahl von Gesetzen besteht (Gesetze von 1872, 1874,1892, 1900 und 1919), darf nicht schwerer wiegen als das Interesse an der raschen Begelung der Stimmabgabe der immer zahlreicher werdenden Stimmberechtigten, die ihren Wohnsitz am Wochenende verlassen. Die Annahme eines Spezialgesetzes über die vorzeitige Stimmabgabe würde übrigens die Zahl der geltenden Gesetze nicht erhöhen, weil damit gleichzeitig die Aufhebung des Gesetzes vom 30.März 1900, das die Samstagsurne gestattet, verbunden wäre.

VI.

Die beiden Formen der vorzeitigen Stimmabgabe Für die ordentliche Stimmabgabe sieht das Gesetz - das heisst sehen die kantonalen Gesetze, Dekrete und Verordnungen -, verschiedene Massnahmen vor, um die Sicherheit der Abstimmung zu gewährleisten. Man verlangt zum

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Beispiel, dass der Bürger seinen Stimmzettel geschützt vor allen neugierigen Blicken und vor jeder Beeinflussung ausfüllen kann, und dass der Einwurf des Stimmzettels in die Urne genau durch ein oder mehrere Mitglieder des Bureau überwacht werde. Da und dort ist sogar die Benützung einer Wahlkabine vorgeschrieben. Soweit die Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe in der vorzeitigen Öffnung der Stimmlökale ohne wesentliche Abweichung von den Bestimmungen über die Sonntags- oder Samstagsurne besteht, können vom Standpunkt der Sicherheit der Abstimmung keinerlei Einwendungen erhoben werden. Die Öffnung von Stimmbureaux, die sich in den ordentlichen Formen betätigen, kann aber, wie wir erwähnt haben, eine zu schwere Last für die Gemeinden werden, vor allem für die Landgemeinden, die Mühe hätten, ein Stimmbureau auf die Beine zu stellen, das vor dem Samstag in Betrieb treten könnte. Deshalb glauben wir, dass das Gesetz, wie dies übrigens schon der 1952 verworfene Entwurf getan hat, nicht nur die vorzeitige Urnenöffnung, sondern auch die Übergabe des Stimmzettels an einen Beamten der Gemeinde vorsehen müsste, entsprechend dem Verfahren in der Mehrheit der Kantone, die in kantonalen Angelegenheiten die vorzeitige Stimmabgabe eingeführt haben.

Sicherlich bietet die vorzeitige Abgabe des Stimmzettels an einen Gemeindebeamten lange nicht die gleiche Sicherheit wie die Stimmabgabe mittels Urnen im Stimmbureau, selbst wenn der Beamte dabei den Stimmzettel, den er erhält, sofort in eine Urne legen muss. Diese Form der Stimmabgabe kann aber aus folgenden drei Gründen als annehmbar erklärt werden : - der Bundesrat hat diese Form schon in seinem Kreissphreiben von S.April 1925 vorgesehen (allerdings nur für den Samstag und für die «aus einem triftigen Grunde» während der Öffnungszeiten am Gang zur Urne verhinderten Stimmberechtigten), - die Wehrmänner, die einige Tage vor den Abstimmungen einrücken, geben ihre Stimmzettel heute schon den Gemeindebehörden ab, - ein halbes Dutzend von Kantonen kennt diese Form der Abstimmung schon in kantonalen Angelegenheiten und scheint damit zufrieden zu sein, obschon festzustellen ist, wie wir es weiter oben getan haben, dass die Zahl der Stimmberechtigten, die von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, nicht sehr bedeutend ist und einen ganz kleinen Prozentsatz nicht übersteigt.

VII.

Die im Entwarf vorgeschlagenen Massnahmen Vom Grundsatz ausgehend, dass man für Abstimmungen und Wahlen nicht einen Apparat aufstellen soll, der eindeutig über die Bedürfnisse der Stimmbürgerschaft hinausgeht, werden die Kantone durch Artikel l, Absatz l ermächtigt und nicht verpflichtet, die vorzeitige Stimmabgabe einzuführen. Der Artikel überlässt es zudem ihnen, festzulegen, wann innert der vier Tage vor dem Abstimmungssonntag vorzeitig gestimmt werden kann. Ebenso können sie bestimmen, in welchen Teilen des Kantonsgebietes man von dieser Erleichterung

785 Gebrauch machen kann. So ist es ihnen möglich, die vorzeitige Stimmabgabe auf die einwohnerreichen Gemeinden zu beschränken, wo voraussichtlich eine nennenswerte Zahl von Stimmberechtigten diese Erleichterung benützen wird und wo die Entgegennahme des Stimmzettels nicht mit zu grossen Schwierigkeiten verbunden ist.

Dieser Absatz gestattet, wie wir bereits festgestellt haben, den Kantonen die vorzeitige Stimmabgabe vier Tage vor dem Abstimmungssonntag anzuordnen. Anlässlich einer Konferenz der Vertreter der Kantone zur Behandlung dieser Fragen der Stimmerleichterungen fand der Vertreter des Kantons Waadt, dass es sich rechtfertigen würde, den Kantonen einen Spielraum von zehn Tagen zu lassen, so wie es das waadländische Gesetz, das diese Form der Stimmabgabe für kantonale Wahlen und Abstimmungen eingeführt hat, vorsieht. Das Bestreben, das zu schaffende Bundesrecht mit dem bestehenden kantonalen Recht in Übereinstimmung zu bringen, (damit sich nicht ein Kanton, der sein Eecht dem Bundesrecht nicht anpassen will, gezwungen sieht, verschiedene Regeln für eidgenössische und kantonale Abstimmungen anzuwenden), könnte dazu verleiten, einen Spielraum von 10 Tagen vorzusehen. Aber hier spielt auch die Frage der Gleichbehandlung mit. Obwohl grundsätzlich die eidgenössischen Abstimmungen nach den Vorschriften der kantonalen Gesetze stattfinden (s. Art. l des Bundesgesetzes von 1872), obwohl'unser Entwurf sich bemüht, eine möglichst anpassungsfähige Lösung zu schaffen und obwohl für den Zeitpunkt, von dem an die zum Militärdienst einrückenden Wehrmänner ihre Stimmzettel der Behörde der Wohnsitzgemeinde abgeben können, keine Beschränkung besteht, scheint es uns nötig, die Zahl der Tage, während welcher die Kantone die vorzeitige Stimmabgabe für die Zivilpersonen anordnen können, bis zu einem gewissen Grade zu vereinheitlichen. Es scheint uns kaum zulässig, dass man in einem Kanton zehn Tage vor dem Abstimmungssonntag stimmen kann, während dies in einem anderen nur an drei oder vier Tagen möglich wäre.

Artikel l, Absatz 2 enthält eine Vorschrift, die beinahe selbstverständlich erscheint, nämlich dass die vorzeitige Stimmabgabe dort, wo sie für kantonale.

Abstimmungen vorgesehen ist, auch für eidgenössische Abstimmungen in ähnlichem Ausmass zur Anwendung kommen muss, jedoch nur innerhalb der vier Tage
vor dem Abstimmungssonntag. Das Gesetz von 1900, das die Samstagsurne einführte, enthält eine ähnliche Bestimmung.

Wenn der Gesetzesentwurf sich bemühte den Kantonen möglichst grosse Freiheit zu lassen, damit sie weitgehend den örtlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten Rechnung tragen können, schränkt dafür Artikel l, Absatz 3 diesen Grundsatz ein, indem er verlangt, dass die vorzeitige Stimmabgabe am Freitag und Samstag für Gemeinden von gewisser Bedeutung eingeführt werden muss, das heisst, in Gemeinden mit mehr als 500 Stimmberechtigten und in den übrigen Gemeinden, so dies von mindestens dreissig Stimmberechtigten vierzehn Tage vor der Abstimmung verlangt wird. Ein Vorentwurf der Bundeskanzlei sah Zahlen von 150 und 15 vor. Um den von den Vertretern einiger Kantone anlässlich der Konferenz von anfangs 1959 geäusserten Wünschen Rechnung

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zu tragen, haben wir diese Zahlen durch 500 und 30 ersetzt, aus der Überlegung heraus, dass das Bundesrecht die Gemeinden nicht verpflichten sollte, Massnahmen für die vorzeitige Stimmabgabe zu treffen, wenn vorauszusehen ist, dass nur eine kleine Zahl von Stimmberechtigten von dieser Erleichterung Gebrauch machen wird.

Artikel 2 überlässt den Kantonen die Wahl zwischen der vorzeitigen Stimmabgabe in einem Abstimmungsbureau und dem öfters erwähnten Verfahren der Übergabe des Stimmzettels an einen Beamten. Diese Bestimmung gibt uns zu keinen besondern Bemerkungen Anlass ausser zur Feststellung, dass wir es als nötig erachten, auch diese zweite Abstimmungsforrn zuzulassen, die in den Kantonen, welche die vorzeitige Stimmabgabe kennen, gebräuchlich ist. Wir haben uns die Frage vorgelegt, ob das Gesetz anordnen sollte, dass der Stimmzettel des Stimmberechtigten, der vor der allgemeinen Eröffnung an der Abstimmung teilnehmen will, nicht nur dann in eine Urne eingelegt werden muss, wenn ein Wahlbureau ad hoc besteht, sondern auch dann, wenn der Stimmzettel einfach einem Beamten übergeben wird. Obwohl es uns sehr wichtig scheint, dass man stets eine Urne aufstellt, haben wir darauf verzichtet, im Entwurf eine ausdrücklich verpflichtende Vorschrift aufzunehmen; dies darum, weil wir auf den Grundsatz, wonach die Abstimmungen ganz allgemein gemäss den Vorschriften des kantonalen Eechtes stattfinden, Eücksicht nehmen wollen.

Wie weiter oben festgestellt, haben wir darauf verzichtet zu verlangen, dass der dem Beamten übergebene Stimmzettel sofort in eine Urne gelegt wird, wie dies im Interesse der Sicherheit der Stimmabgabe eigentlich wünschbar wäre.

Artikel 8, der lediglich vorsieht, dass die Kantone die erforderlichen Bestimmungen zur Verhinderung von Missbräuchen aufstellen, gibt zu keinen besonderen Bemerkungen Anlass.

Aus den angeführten Gründen beantragen wir Ihnen, dem beigelegten Beschlussesentwurf zuzustimmen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den S.Oktober 1959.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : P. Chaudet Der Bundeskanzler : Ch. Oser

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(Entwurf)

Bundesgesetz über

die Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe bei eidgenössischen Abstimmungen

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 73, 90 und 122 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom S.Oktober 1959, beschliesst :

Art. l Die Kantone sind ermächtigt, bei eidgenössischen Abstimmungen die vorzeitige Stimmabgabe an einem oder mehreren der vier dem Abstimmungssonntag vorausgehenden Tagen für das ganze Kantonsgebiet oder für einzelne Gemeinden anzuordnen.

2 Wird für die kantonalen Abstimmungen eine vorzeitige Stimmabgabe vorgesehen, dann ist sie in gleichem Ausmass auch für eidgenössische Abstimmungen anzuordnen, jedoch höchstens innerhalb der vier dem Abstimmungssonntag vorausgehenden Tage.

3 Auf alle Fälle muss für eidgenössische Abstimmungen die vorzeitige Stimmabgabe an mindestens zwei der Vortage des Abstimmungssonntags für Gemeinden mit über 500 Stimmberechtigten angeordnet werden sowie für die anderen Gemeinden, sofern diese Erleichterung von mindestens 80 Stimmberechtigten spätestens vierzehn Tage vorder Abstimmung verlangt wird.

1

Art. 2 Bei der vorzeitigen Stimmabgabe kann das kantonale Recht entweder vorsehen, dass alle oder einzelne Urnen während einer bestimmten Zeit geöffnet werden oder dass der Stimmberechtigte den Stimmzettel persönlich in verschlossenem Umschlag auf einer Amtsstelle abgibt.

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Art. 3 Die Kantone erlassen die zur Verhinderung von Missbräuchen erforderlichen Bestimmungen.

Art. 4 Der Bundesrat setzt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes fest.

Auf den gleichen Zeitpunkt wird das Bundesgesetz vom 80. März 1900 betreffend Erleichterung der Ausübung des Stimmrechtes und Vereinfachung des Wahlverfahrens aufgehoben.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe in eidgenössischen Angelegenheiten (Vom 8.Oktober 1959)

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22.10.1959

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