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Vollzug von Bundespolitiken:

Zusammenarbeit von Bund und Kantonen

und Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen im Rahmen der Vernehmlassungsverfahren Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 10. November 1997

1997-691

1965

Bericht l

Der allgemeine Kontext

Die von der Geschäftspriifungskommission des Ständerates am 17. November 1994 beschlossene Inspektion befasst sich mit den Problemen, die sich beim Vollzug von Bundespolitiken durch die Kantone stellen. Anlass zu einer grundsätzlichen Untersuchung des Vollzugsverhältnisses zwischen Bund und Kantonen bildeten die von den Geschäftsprüfungskommissionen festgestellten Vollzugsdefizite im Tierschutz-, Luftreinhalte- und Asylbereich. Gerade in letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die auf gravierende Probleme bei der Umsetzung eidgenössischer Gesetze und Beschlüsse hinweisen.

Die Kantone äussern ausserdem immer wieder den Wunsch nach einer stärkeren Beteiligung an der Willensbildung des Bundes. Sie sind der Ansicht, nicht genügend konsultiert zu werden, fühlen sich schlecht verstanden und interpretiert oder nicht genügend berücksichtigt. Das Problem der ungenügenden Beteiligung der Kantone an der Willensbildung des Bundes und das Problem der Unangemessenheit der Vernehmlassungsverfahren bilden Teil eines immer wieder geäusserten allgemeinen Unbehagens.

Aufgrund dieser Feststellungen gilt es, die Vollzugsbedingungen kritisch zu hinterfragen und Vorschläge zur Verbesserung der Vollzugstauglichkeit von Massnahmen des Bundes zu machen.

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Vorgehen

Die Sektion «Wirksamkeit»1 der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates überprüfte in einer ersten Phase die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen beim Vollzug von Bundespolitiken. Die Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle (PVK) listete die hauptsächlichen Probleme, die sich bei dieser Zusammenarbeit stellen, zuhanden der Sektion auf. Ferner zeigte sie auf, was der Bund zur Lösung der Vollzugsprobleme unternimmt.

Da diese erste, deskriptive Phase auf Vollzugsdefizite und eine mangelnde Beteiligung der Kantone an der Willensbildung auf Bundesebene hinwies, beschloss die Sektion, diese Problematik zu vertiefen. Sie beauftragte die PVK mit der Untersuchung, wie der Bund die kantonalen Stellungnahmen berücksichtigt, welche im Rahmen der Vernehmlassungen geäussert werden.

Den Schluss- und Arbeitsbericht der PVK vom 20. März 1997 diskutierte die Sektion am 22. April 1997 ausführlich in Anwesenheit von Herrn Buntschu, Projektleiter der PVK, und der von der PVK beauftragten Experten, Herren Gerheuser und Vatter. Die Sektion schloss sich den Befunden der PVK an und formulierte auf dieser Grundlage ihre Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Der Bundesrat nahm mit Schreiben vom 31. Juli 1997 Stellung. Die Bemerkungen konnten weitgehend berücksichtigt werden. Die Geschäftsprüfüngskommission des Ständerates hiess den Bericht der Sektion am 10, November 1997 einstimmig gut.

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Mitglieder der Sektion bis Ende der 44. Legislaturperiode (Ende 1995): Ständeräte Peter Blpetzer (Präsident), Thomas Onken, Kaspar Rhyner.

Mitglieder der Sektion seit Beginn der neuen Legislaturperiode: Ständerat Kaspar Rhyner (Präsident), Ständerätin Françoise Saudan, Ständerat Peter Bien.

Um diesen Bericht so knapp wie möglich zu halten, beschrankt sich die Kommission auf die Darstellung ihrer Schlussfolgerungen und Empfehlungen und verweist im übrigen auf den beiliegenden Schlussbericht der PVK vom 20. März 1997 (siehe Anhang).

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Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Geschäftsprüfungskommission Vollzugsaufsicht des Bundes über die Kantone

Der Vollzug von Bundesrecht ist in weitgehendem Masse den Kantonen anvertraut.

In zahlreichen Sachgebieten liegt die Gesetzgebungskompetenz beim Bund, während die Kantone beim Vollzug mitwirken. Soweit die Kantone Bundesrecht vollziehen, treten sie als Organe des Bundes auf. Bei der Wahrnehmung der ihnen übertragenen Vollzugsaufgaben unterstehen die Kantone einer Bundesaufsicht. Die Bundesaufsicht wird gemäss Artikel 102 Ziffer 2 und 13 der Bundesverfassung (BV) grundsätzlich vom Bundesrat ausgeübt. Im Vollzugsbereich hat der Bundesrat sicherzustellen, dass die zum Vollzug eines Bundesgesetzes verpflichteten Kantone diesen gesetzeskonform besorgen. Als Aufsichtsmittel stehen ihm u.a. die konkrete Beanstandung, die Inspektion der kantonalen Vollzugsbehörde, die Aufhebung eines kantonalen Vollzugsaktes und die generelle Weisung, wie ein Bundesgesetz zu vollziehen ist, zur Verfügung.

Im Laufe der Inspektion hat sich die Frage gestellt, welche Rolle der Vollzugsaufsicht des Bundesrates über die Kantone zur Vermeidung von allfälligen Vollzugsdefiziten zukommen kann. Nach Auffassung der Geschäftsprüfungskommission bietet die Vollzugsaufsicht des Bundes über die Kantone im Normalfall nicht die adäqua- .

ten Mittel, um die heutigen Probleme und Fragestellungen beim Vollzug von Bundespolitiken anzugehen. Zum einen sind die Hauptprobleme und deren Ursachen, welche die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beeinträchtigen und deshalb zu Vollzugsdefiziten führen, sehr vielschichtig2. Die Aufsicht ist dagegen eher einseitig auf einen möglichen Widerstand der Kantone beim Vollzug der Bundesgesetzgebung ausgerichtet. Zum anderen sind Vollzugskontrollen im stark föderalistisch ausgeprägten schweizerischen System enge Grenzen gesetzt und auch politisch schwer durchsetzbar.

Angesichts der Funktion und den Möglichkeiten der Vollzugsaufsicht lassen sich die Vollzugsdefizite nach Meinung der Geschäftsprüfungskommission nicht einfach auf eine mangelnde Vollzugsaufsicht zurückführen. Allerdings kümmert sich die Bundesexekutive im Rahmen ihrer Vollzugsaufsicht nur teilweise um Effizienzfragen.

Die PVK erwähnt: unklare Kompetenzverteilung, manchmal ungenügende horizontale Koordination, Heterogenität der kantonalen Verwaltungen, prekäre Bundesfinanzen, zu detaillierte Bundesgesetzgebung, ungenügende Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten, lückenhafte Aufsicht über einen wirksamen kantonalen Vollzug.

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Empfehlung 1; Der Bundesrat informiert sich im Rahmen seiner Aufsicht besser über den Vollzug von Bundespolitiken und die damit zusammenhängenden Probleme.

Er wertet die Erfahrungen mit bestehenden Erlassen (z.B. in Form von aussagekräftigen Vollzugsdaten und externen Evaluationen) sorgfältig aus.

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Vollzugsverantwortung des Bundes

Der Vollzug der meisten Bundesregelungen obliegt wie gesagt den Kantonen. Die Delegation dieser Aufgabe darf aber nicht dazu führen, dass sich der Bund selbst keine Gedanken mehr zu Vollzugsfragen macht. Die Hauptverantwortung für den Vollzug verbleibt nämlich dem Bund und insbesondere dem Bundesrat (Art. 102 BV). Die Geschäftsprüfungskommission ist der Ansicht, dass der Bund zu wenig Engagement bei der Klärung von Vollzugsfragen zeigt, die sich beim Erlass von Bundespolitiken stellen. In den Botschaften zu den Gesetzesentwürfen ist von den Vollzugskonsequenzen für die Kantone selten die Rede. Die Bundesverwaltung hatte gemäss den von der PVK beauftragten Experten in keinem der untersuchten Fälle eigene Vorabklärungen zur Vollzugstauglichkeit getroffen. Der Bund scheint darauf zu vertrauen, dass die Kantone von sich aus auf Vollzugsfragen hinweisen.

Oft erlauben es die Rahmenbedingungen (mangelnde Vollzugserfahrung und Sachkenntnis, mangelnde personelle und finanzielle Ressourcen, fehlende Orientierung der Kantone über die voraussichtlichen Vollzugsbestimmungen, Komplexität der Bundespolitiken etc.) den Kantonen nicht, den Vollzug zu beurteilen. Gerade deshalb müssen Bundesrat und Parlament die Frage des wirksamen Vollzugs von Bundesaufgaben sorgfältiger prüfen. Denn auch dem Bund nützt eine Regelung bzw.

Massnahme nichts, die letztendlich gar nicht oder nur schlecht vollziehbar ist.

Der Bundesrat hat sich bereit erklärt, eigene Anstrengungen im Bereich der Information zu unternehmen. Nach Ansicht der Geschäftsprüfungskommission wird damit der Bund seiner Vollzugsverantwortung noch nicht gerecht. Die Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte haben wiederholt betont, dass der Bundesrat den Auswirkungen staatlichen Handelns nicht ausreichend Rechnung trägt (siehe Behandlung der Motion 92.037: Wirksamkeit staatlicher Massnahmen). Wegen fehlenden finanziellen Mitteln hat der Bundesrat sich bisher geweigert, die Wirkungen staatlichen Handelns im Vorfeld der Gesetzgebung systematisch abzuklären. Die Geschäftsprüfungskommission hält für einen optimalen Vollzug ein stärkeres Bewusstsein und Engagement der Bundesbehörden im Bereich der Vollzugsfragen für unerlässlich. Sie erwartet vom Bundesrat, dass er die Vollzugsaspekte (in Zusammenarbeit mit den Kantonen) umfassend abklärt. Um einen koordinierten
Vollzug zu gewährleisten, hat der Bund bereits vor der Ausarbeitung einer Vorlage die Grundlagen und Ziele für den Vollzug zu entwickeln. Eine gezielte Vorabklärung der Vollziehbarkeit von Massnahmen des Bundes würde erlauben, den Kantonen in den nachfolgenden Konsultationen klare Fragen zu stellen.

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Die Geschäftsprüfungskommission unterstützt in diesem Zusammenhang das Anliegen der Parlamentarischen Initiative 96.456 (Rhinow)3, die die Vollzugstauglichkeit von Massnahmen verbessern will, indem der Bundesrat verpflichtet werden soll, auf die vorgesehene Umsetzung von Gesetzen und Beschlüssen im Rahmen der Botschaft an die Bundesversammlung näher einzugehen. Insbesondere bedarf es entsprechender Vorkehren, um Vollzugsproblemen bei der Verordnungsgebung durch den Bundesrat und bei den Beratungen in den parlamentarischen Kommissionen bzw. im Plenum der eidg. Räte vermehrt Rechnung zu tragen.

Empfehlung 2:

Der Bundesrat klärt Fragen des Vollzugs und der Vollziehbarkeit seiner Massnahmen von Anfang an und sorgfältig ab. Er entwickelt bei der Erarbeitung von Vorlagen ein Konzept mit Grundlagen für den Vollzug.

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Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen und der Vollzugsfragen im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens

Gemäss heutigem System werden Vollzugsaspekte vor allem im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens geprüft. Die Kantone erhalten hier die Gelegenheit, auf Vollzugsprobleme aufmerksam zu machen.

Das formelle Vernehmlassungsverfahren kann nach Ansicht der Geschäftsprüfungskommission seine grundlegenden staatspolitischen Aufgaben im allgemeinen auch heute noch erfüllen. Das Instrument ermöglicht dem Bund, seine Massnahmen auf die sachliche Richtigkeit, die Vollzugstauglichkeit sowie die politische Akzeptanz (was angesichts der Referendumsmöglichkeit in der direkten Demokratie von erheblicher Bedeutung ist) hin zu überprüfen. Es trägt sodann zur Information und Sensibilisierung der Adressaten einer staatlichen Massnahme bei.

Allerdings weist das Vernehmlassungsverfahren verschiedene Mängel auf. Die Geschäftsprüfungskommission beschränkt sich im folgenden auf die Erwähnung jener Faktoren, die den Vollzug von Bundespolitiken beeinflussen.

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Zeitdruck bei der Ausarbeitung der Vernefamlassung

Die Kantone beklagen sich häufig über die äusserst kurzen Vemehmlassungsfristen.

Die PVK konnte diese Tendenz in der von ihr untersuchten Fällen bestätigen: In acht von insgesamt elf Fällen betrug die den Kantonen eingeräumte Frist lediglich ein bis zwei Monate, obwohl Artikel 5 der VernehmlassungsVerordnung4 eine Frist von drei Monaten vorsieht.

Die zeitliche Beschleunigung beeinträchtigt die Qualität der Erlasse und die Abklärung von Vollzugs frag en. Die Geschäftsprüfungskommission ist der Auffassung, 3

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Der Ständerat hat der Initiative am 12. Juni 1997 Folge gegeben und sich dafür ausgesprochen, ihrem Anliegen auf dem Wege einer Partialrevision des Geschäftsverkehrsgesetzes Rechnung zu tragen.

Verordnung über das Vernehmlassungsverfahren vom 17. Juni 1991 (SR 172.062) 1969

dass der Zeitdruck in den meisten Fallen nicht angebracht ist. Die vorgeschriebene Vernehmlassungsfrist verlängert den Rechtsetzungsprozess nicht über Gebühr. Wird sie mit dem langen Vorverfahren der Gesetzgebung verglichen, kann sie sogar als verhältnismässig kurz bezeichnet werden. Bei der Einräumung der Frist zur Stellungnahme muss den jeweiligen Begleitumständen besser Rechnung getragen werden. Gewisse Fristverkürzungen lassen sich mit vorgängigen Kontakten durchaus rechtfertigen. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen vor der eigentlichen Vernehmlassung kann die Vernehmlassungsfrist entsprechend verkürzen. Die Verkürzung der Antwortfrist darf aber nicht die Folge eines politischen Zeitdrucks sein, da gerade in diesen Fällen Vollzugsfragen eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist.

Empfehlung 3: Der Bundesrat achtet auf eine bessere Beurteilung der einzuräumenden Vernehmlassungsfristen.

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Gewichtung der kantonalen Stellungnahmen

Nach Auffassung der Kantone werden ihre Stellungnahmen zu wenig berücksichtigt.

Die Untersuchungen der PVK konnten für die Gewichtung der kantonalen Stellungnahmen keine einheitlichen und verbindlichen Kriterien ausmachen. Die kantonalen Anregungen zum Vollzug werden von der Bundesverwaltung grundsätzlich dann berücksichtigt, wenn sie den materiellen Gehalt der Regelung nicht beeinflussen. Indessen wird nicht klar, welche Bedeutung der Vollzugstauglichkeit eines Erlasses eingeräumt wird. Die Geschäftsprüfungskommission hat den Eindruck, dass der Vollzugstauglichkeit als einem wichtigen Kriterium nicht das nötige Gewicht beigemessen wird. Offen ist auch die Frage, wie die Vollzugsaspekte bei allenfalls unterschiedlichen politischen Interessenkonstellationen und daraus resultierenden widersprüchlichen Stellungnahmen der Kantone berücksichtigt werden und welches die Voraussetzungen einer einheitlichen Gewichtung der Vollzugsfragen sind. Im übrigen sollte vermehrt dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Kantone im Vollzug nicht einfach Interessenvertreter, sondern Partner des Bundes sind.

Empfehlung 4: Der Bundesrat prüft die Festlegung definierter und allgemeingültiger Kriterien für die Gewichtung der Stellungnahmen. Er trägt der Stellung der Kantone und dem Kriterium der Vollzugstauglichkeit angemessen Rechnung, Während die Bundesverwaltung in einer ersten Phase die Vernehmlassungsergebnisse wertungsfrei zusammenstellt, nimmt sie eine Beurteilung und Gewichtung anschliessend im Rahmen des Antrags an den Bundesrat vor. Die Gewichtung der Vernehmlassungsergebnisse stellt eine verwaltungsinterne Handlung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens dar. Die Öffentlichkeit erhält von der Gewichtung lediglich in Form der politischen Endauswertung der Stellungnahmen im Rahmen der Publikation der Botschaft des Bundesrates im Bundesblatt Kenntnis. Die Geschäfts-

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Prüfungskommission befürwortet die Schaffung von mehr Transparenz anlässlich der Gewichtung der Stellungnahmen durch die Bundesverwaltung. Eine Veröffentlichung des Antrags der Bundesverwaltung an den Bundesrat würde zur Steigerung der demokratischen Legitimität dieser doch eher undurchsichtigen Phase des Gesetzgebungsprozesses führen und könnte überdies zu einer Vereinfachung des Vernehmlassungsverfahrens beitragen. Der Gefahr, dass sich politische Druckversuche auf die Meinungsbildung des Bundesrates auswirken, kann durch einen Kriterienkatalog begegnet werden. Im übrigen sind Druckversuche auch unter dem heutigen System nicht zum vorneherein ausgeschlossen.

Empfehlung 5: Der Bundesrat sorgt für mehr Transparenz anlässlich der Gewichtung der Stellungnahmen der Vernehmlassungsteilnehmer durch die Bundesverwaltung.

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Form des Vernehmlassungsverfahrens

Für die Auswertung und Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen ebenfalls von Bedeutung ist, in welcher Form die Vernehmlassung durchgeführt wird. Das konferenzielle Verfahren ist gegenüber dem schriftlichen weniger transparent und selektiver. Zudem ist es mit einem gewissen Misstrauen verbunden (das zeigt sich daran, dass schriftliche Stellungnahmen zum Nachdruck der Verbindlichkeit nachgereicht werden). Es setzt eine beschrankte Anzahl sowie eine relative Homogenität der Vernehmlassungsteilnehmer voraus. Die schriftliche Methode ist demgegenüber formell, wenig interaktiv und erschwert innovative Lösungen. Die Kantone ziehen die schriftliche Vernehmlassung vor allem aus Gründen der Repräsentativität vor (Möglichkeit des Einbezugs der politischen Behörden und Parlamente).

Angesichts der jeweiligen Vor- und Nachteile der erwähnten Methoden erscheint der Geschäftsprüfungskommission die Kombination beider Vorgehensweisen am geeignetsten. Das konferenzielle Verfahren soll das schriftliche nicht ersetzen, wohl aber ergänzen.

Empfehlung 6: Eine bessere Berücksichtigung der Vollzugsprobleme erfolgt durch die Kombination von schriftlichen Stellungnahmen mit dem Informationsaustausch in gemeinsamen Konferenzen oder Arbeitsgruppen des Bundes und der Kantone.

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Orientierung der Kantone über die voraussichtliche Vollzugsregelung

Die Kantone können die mit einem Gesetzesentwurf einhergehenden Vollzugsprobleme besser beurteilen, wenn sie die voraussichtlichen Vollzugsbestimmungen (Entwurf der Vollzugsverordnung) kennen. Den Kantonen fehlen, in der Regel solche Angaben, und sie sind nicht selten aus diesem Grunde ausserstande, auf den 1971

Vollzug hinzuweisen. Die Vemehmlassung ist heute noch zu weit entfernt vom Vollzug.

Empfehlung 7: Der Bundesrat orientiert die Kantone frühzeitig, d.h. bereits bei der Vernehmlassung zu Gesetzesvorlagen über die Schwerpunkte der voraussichtlichen Vollzugsbestimmungen, die mit dem Gesetzesentwurf einhergehen.

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Vollzugsorientierte Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen sowie den Kantonen untereinander

Unabhängig von den oben formulierten Vorschlägen zur Verbesserung des formellen Vernehmlassungsverfahrens müssen nach Auffassung der Kommission neue Lösungen im Bereich der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen gefunden werden. Eine Neugestaltung der Zusammenarbeit kann und soll das Vernehmlassungsverfahren nicht ersetzen. Es Hessen sich dadurch aber gewisse Schwachstellen und Unangemessenheiten des Vernehmlassungsverfahrens für den Vollzugsbereich ausmerzen.

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Früher einsetzende Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen

Beim traditionellen Vernehmlassungsverfahren werden die meisten Vorentwürfe von der Bundesverwaltung allein ausgearbeitet und die Vollzugsträger erst bei Vorliegen eines von der Bundesverwaltung ausgearbeiteten Vorentwurfes konsultiert. Dies genügt nach Meinung der Geschäftsprüfungskommission in der Regel nicht, um allfällige Vollzugsprobleme ausreichend zu berücksichtigen. Die Kantone sind für Fragen, die sich zum Vollzug stellen, von Anfang an und systematisch beizuziehen.

Entsprechend den wichtigen Aufgaben, die die Kantone beim Vollzug von Bundesrecht zu übernehmen haben, müssen ihre Anliegen rechtzeitig in die Bundespolitik einfliessen können. Die Kantone sind bei der Umsetzung von Massnahmen des Bundes in der Regel die Vollzugsexperten. In den meisten Fällen verfügen sie bereits über entsprechende Vollzugserfahrungen. Es liegt deshalb nahe, mit den Kantonen eine enge Zusammenarbeit zu pflegen und diese rechtzeitig mit den Bundespolitiken vertraut zu machen. Wo Vollzugserfahrungen in den Kantonen fehlen, muss der notwendige Sachverstand gemeinsam erarbeitet werden. Die Kantone können vom Bund verlangen, als dessen Vollzugspartner behandelt zu werden. Sie erheben zu Recht einen Anspruch auf aktive und konstruktive Mitwirkung bei der Gestaltung und Umsetzung der Bundespolitiken.

Empfehlung 8: Der Bundesrat bezieht die Kantone als künftige Vollzugsträger von Anfang an in die Erarbeitung der Bundespolitiken ein.

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Enger ausgestaltete Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen

Die PVK ist in ihren Studien auf erfolgreiche Beispiele gestossen, in denen der Bund von vorneherein eine stark ausgestaltete Zusammenarbeit mit den Kantonen pflegte5. Vorgängige und regelmässige Kontakte mit den Kantonen garantieren zwar nicht, dass Aspekte des kantonalen Vollzugs im Vorentwurf aufgenommen werden.

Es hat sich aber gezeigt, dass sie für die Berücksichtigung dieser Aspekte äusserst nützlich sein können, weil sie einerseits einen guten Einblick in den kantonalen Vollzug schaffen und anderseits ermöglichen, innerhalb von gemeinsamen Arbeitsgruppen einen Grundkonsens zu erarbeiten6. Die Zustimmung der Kantone zu den Bundespolitiken im Sinne eines Grundkonsenses ist für die Gewährleistung eines reibungslosen Vollzugs ein entscheidender Faktor. Hinzu kommt, dass sich Sachaspekte nicht einfach von den Vollzugsfragen trennen lassen. Die Fragen der politischen Ziele/Massnahmen und jene des Vollzugs nahem sich gegenseitig an.

Aus diesen Gründen ist es angezeigt, Vollzugsfragen inskünftig stärker in den Willensbildungsprozess zu integrieren.

Auch in aussenpolitischen Belangen hat der Bundesrat die zentrale Bedeutung des Einbezugs der Kantone in die Willensbildung des Bundes für eine bessere Berücksichtigung von Vollzugsfragen erkannt. Ein Bundesgesetz Über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (BGMK) soll den Einbezug der Kantone sichern. Die Vernehmlassung zum Vorentwurf zu diesem Gesetz wurde Ende Mai 1997 abgeschlossen. Der Bundesrat wendet die Bestimmungen dem Sinn und Geist nach bereits heute an. Die Geschäftsprüfungskommission befürwortet eine ausdrückliche Regelung des Einbezugs der Kantone in die aussenpolitische Willensbildung. Damit kann den spezifischen Rahmenbedingungen in diesem Bereich Rechnung getragen werden.

Eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen kann im Rahmen der sogenannten Vorvernehmlassung stattfinden. Vorvernehmlassungen sind Konsultationen, welche zur Ausarbeitung eines Vorentwurfes vor dem eigentlichen Vernehmlassungsverfahren durchgeführt werden. Solche Konsultationen bildeten bis anhin die Ausnahme. Die Kantone erhalten auch hier die Gelegenheit, die Bundesbehörden auf Vollzugsprobleme aufmerksam zu machen. Wesentlich erscheint der Geschäftsprüfungskommission, dass der Bund eine interaktive, partizipative und auf einen
Grundkonsens ausgerichtete Zusammenarbeit mit den Kantonen sucht. Dies kann in Form von paritätisch zusammengesetzten Arbeitsgruppen Bund/Kantone oder Kontakten zu repräsentativen Vertretungen der Kantone (z.B. Konferenz der Kantonsregierungen, verschiedene Konferenzen der kantonalen Direktoren) erfolgen.

In diesem Zusammenhang ist die Absicht des Bundesrates zu erwähnen, sogenannte «Von-Wattenwyl-Gespräche Bund-Kantone» einzuführen. Die Geschäftspriifungskommission sieht darin eine geeignete Massnahme, um den Dialog zwischen der Konferenz der Kantonsregierungen und dem Bund zu intensivieren und Probleme der Zusammenarbeit Bund-Kantone frühzeitig zu erkennen.

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Als Beispiele solcher Kontakte erwähnt die PVK: die Vorarbeiten zur Energienutzungsverordnung und zu den Revisionen der Tierschutzverordnung, der Asylverordnung 2 sowie der Lärmschutzverordnung.

Ein Grundkonsens und ein direkter materieller Einfluss auf den Vorentwurf wurde bei den Revisionen der Tierschutzverordnung, der Asylverordnung 2 und der Lärmschutzverordnung festgestellt.

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Empfehlung 9: Um den Vollzug von Bundespolitiken zu verbessern, fördert der Bundesrat regelmässige und organisierte Kontakte, bei denen Bund und Kantone als gleichwertige Partner auftreten. Er sorgt dafür, dass die Kantone durch eine geeignete Ausgestaltung der Form der Anhörung und der Mitwirkungsrechte an der Willensbildung des Bundes tatsächlich beteiligt werden. Die Zusammenarbeit strebt nicht nur nach einem vorgängigen Meinungsaustausch über die Grundsätze des Vorentwurfes, sondern auch nach dessen gemeinsamer Ausarbeitung oder gar gemeinsamer Bereinigung bei der Auswertung der Vemehmlassungsergebnisse.

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Zusammenarbeit der Kantone untereinander

In Rahmen der Inspektion wurde festgestellt, dass eine Einigung der Kantone untereinander auch den Vollzug positiv beeinflusst. Oder anders ausgedrückt: widersprüchliche Stellungnahmen der Kantone erschweren eine einheitliche Gewichtung der Sach- und Vollzugsaspekte durch die zuständigen Bundesstellen. Entscheidend ist zudem die Leistungsfähigkeit der kantonalen Vollzugsorganisation.

Es ist nicht Sache der Geschäftsprüfungskommission, sich in dieser Frage in die Organisationskompetenz der Kantone einzumischen. Es soll aber trotzdem auf die Bestrebungen der Kantone hingewiesen werden, gegenüber dem Bund mit einer einheitlichen Stimme aufzutreten. Koordinierende überkantonale Gremien (wie z.B. die Konferenz der Kantonsregierungen, verschiedene Konferenzen der kantonalen Direktoren) können nach Ansicht der Geschäftsprüfungskommission wertvolle Dienste leisten. Besonders im Vollzugsbereich, wo die Interessenkonstellation der Kantone nicht ein entscheidwesentliches Kriterium bildet, ist eine Einigung auf interkantonaler Stufe denkbar, ohne die Autonomie der einzelnen Kantone übermässig einzuschränken. Idealerweise sollten die Kantone eine gemeinsame Stellungnahme erarbeiten, die den Vollzug abdeckt. Eine Stellungnahme müsste die Meinung der Mehrheit der Kantone wiedergeben und unter repräsentativer Vertretung (Kantonsregierungen) zustande kommen. Eine gute Organisation der Kantone untereinander räumt den Stellungnahmen der Kantone entsprechend mehr Gewicht ein.

Die Geschäftsprüfungskommission hält eine bessere Koordination und Absprache unter den Kantonen bei Vollzugsfragen für sinnvoll und würde einen systematischen Ausbau dieser Möglichkeiten begrüssen.

Mit den Ständerätinnen und Ständeräten besitzen die Kantone eine Vertretung in der Bundespolitik. Häufigere Kontakte zwischen den Kantonsregierungen und den Ständerätinnen und Ständeräten vor der Ausarbeitung der Gesetze wären sinnvoll.

Die ursprünglich historische Funktion der eigentlichen Kantonsvertreter Hesse sich damit wieder besser wahrnehmen. Dies bedingt seinerseits, dass der Bund die Kantone früher einbezieht, als dies bisher geschah.

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Empfehlung 10: Der Bundesrat trägt den Bestrebungen der Kantone, sich untereinander zu einigen, im Verfahren der Anhörung und Mitwirkung der Kantone Rechnung.

Durch Kontakte zu repräsentativen kantonalen Koordinationsgremien wirkt er auf einen Konsens unter den Kantonen in Vollzugsfragen hin.

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Allgemeine Würdigung und weiteres Vorgehen

Der Vollzug der meisten Bundesregelungen obliegt den Kantonen. Was erreicht und geleistet werden soll, kann der Bundesgesetzgeber vorgeben. Was erreicht und geleistet wird, hängt von der tatsächlichen Umsetzung in den Kantonen ab. Neben den rechtlichen, organisatorischen, personellen und finanziellen Möglichkeiten der Kantone beeinflussen die Art und Weise der Berücksichtigung von Vollzugsaspekten sowie die Akzeptanz der Bundespolitiken die Vollzugstauglichkeit. Es kommt deshalb darauf an, die Voraussetzungen für die Errichtung eigentlicher paritätischer Vollzugsgemeinschaften zwischen Bund und Kantonen zu schaffen. Die Geschäftsprüfungskommission sieht der künftigen Entwicklung mit Zuversicht entgegen, zumal der Bundesrat erklärt hat?, dass er offen sei für die Suche nach neuen Formen der Partnerschaft zwischen Bund und Kantonen.

Die Geschäftsprüfungskommission bittet den Bundesrat, zu diesem Bericht und seinen Empfehlungen bis Ende April 1998 Stellung zu nehmen.

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Frau Bundesrätin, sehr geehrte Herren Bundesräte, den Ausdruck unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates 10. November 1997

Der Kommissionspräsident: Bernhard Seiler, Ständerat Der Präsident der Sektion Wirksamkeit: Kaspar Rhyner, Ständerat Für das Sekretariat: Martin Albrecht

Anhang: Schlussbericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle vom 20. März 1997: «Vollzug von Bundespolitiken und Vernehmlassung der Kantone»

Vgl. Antwort des Bundesrats vom 14. August 1996 zur Interpellation Zbinden (95.3631), Bundesinitiative der Kantonsregierungen.

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Anhang

Vollzug von Bundespolitiken und Vernehmlassung der Kantone Schlussbericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle (PVK) zuhanden der Sektion «Wirksamkeit» (S-H3) der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 20. März 1997

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Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle

Bern, 20. März 1997

An die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Vollzug von Bundespolitiken und Vernehmlassung der Kantone

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Ständeräte, Sie haben die Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle (PVK) beauftragt, in einer ersten Phase die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beim Vollzug von Bundespolitiken zu untersuchen.

Nachdem die Sektion «Wirksamkeit» der GPK des Ständerates die Zwischenergebnisse dieser ersten Untersuchungsphase, die Vollzugsdefizite und eine ungenügende Beteiligung der Kantone an der Willensbildung des Bundes aufzeigten, zur Kenntnis genommen hatte, beauftragte sie die PVK, in einer zweiten Phase zu untersuchen, wie der Bund die kantonalen Stellungnahmen berücksichtigt, die im Rahmen der Vernehmlassungsverfahren wie auch in den «Vorvernehmlassungen» geäussert werden.

Aus den Untersuchungen dieser zweiten Phase gingen verschiedene Faktoren hervor, welche die Berücksichtigung der Vollzugsaspekte im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens erheblich beeinflussen: der Zeitdruck, der oft eine Verkürzung der den Kantonen eingeräumten Antwortfristen mit sich bringt; fehlende einheitliche und verbindliche Kriterien für die Gewichtung der Stellungnahmen; die Entscheidung, ob das Vernehmlassungsverfahren schriftlich oder konferenziell abgewickelt werden soll; die Orientierung der Kantone über die voraussichtlichen Vollzugsbestimmungen. Die PVK weist in ihren Schlussfolgerungen u. a. darauf hin, dass die verschiedenen Möglichkeiten für eine bessere Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen auf einer engeren Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen basieren. In diesem Zusammenhang wird die Einführung eines «Vorvernehtnlassungsprozesses» besonders hervorgestrichen.

Der Schlitssbericht (französisch, deutsch und italienisch), den wir Ihnen hier unterbreiten, enthält die Antworten auf die von Ihnen gestellten Fragen sowie die Schlussfolgerungen der PVK, Nähere Informationen zum Vorgehen und zu den Ergebnissen finden sich im ausführlichen Arbeitsbericht der PVK (französisch).

Wir danken Ihnen für die Kenntnisnahme dieser Unterlagen und verbleiben mit freundlichen Grüssen 20. März 1997

Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle: Der Projektleiter: Marc Buntschu

1977

Schlussbericht Inhaltsverzeichnis 1

Die beiden Auftragsphasen

2 2. l 2.1.1

Die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen beim Vollzug von Bundespolitiken Der Auftrag der Geschäftsprüfungskommission (l. Phase) Gegenstand des Auftrags

2.2 2.3

Die Probleme der Zusammenarbeit Schlussfolgerungen

2. l .2

Vorgehen, methodische und thematische Einschränkungen

3

Die Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen im Vernehmlassungsverfahren 3.1 Der Auftrag der Geschäftsprüfungskommission (2, Phase) 3.1.1 Gegenstand des Auftrags 3. l .2 Methodisches Vorgehen 3.2 Der allgemeine Kontext 3.3 Die Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen 3.4 Ergebnisse und Schlussfolgerungen 3.4. l Ergebnisse 3.4.2 Schlussfolgerungen 3.4.2.1 Zum Vernehmlassungsverfahren 3.4.2.2 Zum informellen Verfahren der «Vorvernehmlassungen» 4

1978

Synthese (Auftragsphasen l und 2)

Schlussbericht l

Die beiden Auftragsphasen

/. Phase Die Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle (PVK) wurde von der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Ständerates beauftragt, die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen beim Vollzug von Bundespolitiken zu überprüfen. In dieser ersten, deskriptiven Phase wurden aufgrund von rund vierzig bereits durchgeführten Untersuchungen die diesbezüglichen Probleme aufgelistet, und es wurde aufgezeigt, was der Bund zu deren Lösung unternimmt.

2. Phase Auf Grund der Zwischenergebnisse der ersten Phase, die Vollzugsdefizite und eine mangelnde Beteiligung der Kantone an der Willensbildung auf Bundesebene aufzeigten, wollte die Sektion «Wirksamkeit» der GPK des Ständerates diese Problematik näher untersuchen. Sie beauftragte die PVK mit der Untersuchung, wie der Bund die kantonalen Stellungnahmen berücksichtigt, welche im Rahmen der Vernehmlassungen geäussert werden. Dabei wurde der gesamte Rechtsetzungsprozess überprüft, insbesondere auch die informellen «Vorvernehmlassungen», welche dem eigentlichen Vemehmlassungsverfahren vorausgehen.

2 2.1 2.1.1

Die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen beim Vollzug von Bundespolitiken Der Auftrag der Geschäftsprüfungskommission (1. Phase) Gegenstand des Auftrags

Die GPK des Ständerates beauftragte am 17. November 1994 die PVK, die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen beim Vollzug von Bundesaufgaben zu überprüfen. Anlass für diesen Auftrag waren Inspektionen der GPK, die zahlreiche Zusammenarbeitsprobleme in der Asyl-, Tierschutz- und Luftreinhaltepolitik aufgezeigt hatten. Die GPK formulierte in diesem Zusammenhang folgende vier Hauptfragen: Frage Ì:

Welches sind die bekannten Hauptprobleme, durch welche die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beim Vollzug der Bundespolitiken beeinträchtigt wird?

Frage 2:

Auf welche Ursachen sind sie zurückzuführen?

Frage 3:

Wie nimmt der Bund diese Probleme wahr?

1979

Frage 4:

2.1.2

Was unternimmt der Bund, um diese Probleme zu lösen?

Vorgehen, methodische und thematische Einschränkungen

Der Untersuchungsbereich wurde auf distributive Politikbereiche beschränkt. Die Fragen l, 3 und 4 wurden allgemein untersucht, bei der Frage 2 wurde das Hauptaugenmerk auf die Landwirtschaftspolitik gerichtet. Zur Beantwortung der beiden ersten Fragen stützte sich die PVK auf die Ergebnisse einer Metaevaluation - einer Analyse von 44 bereits vorliegenden sektoriellen Studien -, welche sie einer Expertengruppe in Auftrag gegeben hatte. Diese Ergebnisse finden sich im Expertenbericht unter Anhang 3 des Arbeitsberichts. Die beiden letzten Fragen behandelte die PVK selbst; sie führte zu diesem Zweck sechs Interviews mit Bundesbeamten und kantonalen Sachverständigen durch und nahm eine Dokumentenanalyse vor. Die Beschreibung verschiedener Projekte des Bundes und die Ergebnisse der PVKUntersuchungen beschränken sich auf den Zeitraum der ersten Auftragsphase (November 1994 bis Juni V995), wobei auf die wichtigsten Entwicklungen, welche in der zweiten Auftragsphase stattgefunden haben, hingewiesen wird.

2.2 Frage 1:

Die Probleme der Zusammenarbeit Welches sind die Hauptprobleme, durch welche die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beim Vollzug der Bundespolitiken beeinträchtigt wird?

Die Experten haben fünf Hauptprobleme ermittelt, welche diese Zusammenarbeit beim Vollzug der Bundespolitiken beeinträchtigen: Die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kantonen ist oft so unklar geregelt, dass sie unterschiedlich interpretiert werden kann; aufgrund ineffizienter Vollzugsstrukturen bei Bund und Kantonen ergeben sich Vollzugsprobleme, deren Ursachen auf der Ebene der horizontalen Koordination und der komplexen Verfahren liegen; die grossen finanziellen, personellen und rechtlichen Unterschiede der kantonalen Verwaltungen erschweren einen einheitlichen Vollzug; die prekären Bundesfinanzen führen dazu, dass die Verteilung der Mittel mit Konflikten verbunden ist; dadurch kann die Qualität der Projekte beeinträchtigt und der Vollzug verzögert werden; in der Kommunikation und im gegenseitigen Vertrauen zwischen eidgenössischen und kantonalen Instanzen zeigen sich Probleme; wenn nach Auffassung der Kantone die Bundesvorgaben den regionalen Besonderheiten zu wenig Rechnung tragen, schmälert dies zum Beispiel die Akzeptanz und führt zu Vollzugsproblemen.

1980

Frage 2:

Welches sind die Ursachen der Hauptprobleme, durch welche die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beim Vollzug der Bundespolitiken beeinträchtigt wird?

Diese Frage wurde anhand der Landwirtschaftspolitik des Bundes untersucht. Als einen Grund führten die Experten die grossen strukturellen Unterschiede zwischen den Kantonen an. Der Bund hat dieser Vielfalt zwar Rechnung getragen, doch eigneten sich die zahlreichen Massnahmen nicht, um die wesentlichen Disparitäten (z.B. zwischen Berg- und Talwirtschaft) auszumerzen.

Ein weiterer Grund ist die geringe Autonomie der Kantone auf Vollzugsebene. Die Kantone haben sich meist an enge Vorgaben des Bundes zu halten. Deren Detaillierungsgrad ist zum Teil so hoch, dass in den Augen der Kantone der administrative Aufwand zu gross ist.

Der lange Zeit geringe Politisierungsgrad in der Landwirtschaftspolitik hat zu einer engen und einseitigen Problemwahrnehmung geführt. Vor dem Hintergrund der knappen Bundesfinanzen und der wachsenden Unzufriedenheit mit der Landwirtschaftspolitik nimmt diese Politisierung allerdings zu.

Schliesslich haben Vollzugsdefizite ihre Ursachen vielfach eher in der Koordination und der horizontalen Kommunikation zwischen verschiedenen eidgenössischen und kantonalen Ämtern als zwischen Bund und Kantonen. Der Finanz- und Personalstopp sowie die zunehmend komplexeren Aufgaben führen dazu, dass die Massnahmen nur äusserst langsam umgesetzt werden.

Die Landwirtschaftspolitik hat sich als sehr spezifisch gezeigt. Um zu beurteilen, wieweit sich die Feststellungen über die Ursachen verallgemeinern lassen, müssten weitere Politikbereäche analysiert werden. Hier ist anzumerken, dass der Vergleich der von den Experten untersuchten Studien je nach Bundespolitikbereichen unterschiedliche Vollzugsdefizite ergibt. Zwei Kriterien scheinen die Zusammenarbeit bedeutend zu beeinflussen: die Akzeptanz der Politik durch die Kantone und ihre Abgrenzung, Im übrigen entsteht ein Teil der in der Metaevaluation festgestellten Probleme durch die zunehmende Technizitat der öffentlichen Aufgabenbereiche, die den vertikalen und horizontalen Abläufen eine immer leistungsstärkere Zusammenarbeit auferlegt.

Diese Entwicklung zeigt, dass bei der Erarbeitung der Gesetzgebung die Zustimmung der Kantone zu den von ihnen zu vollziehenden Bundespolitiken von Bedeutung ist. Zur Vermeidung von Vollzugsdefiziten ist es wichtig, dass die Kantone sich vorher im Vernehmlassungsverfahren äussern können.

Die Metaevaluation hat
auch gezeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Schweiz nur in wenigen Evaluationen spezifisch behandelt wird und dass die Bundesexekutive in verschiedenen, bisher wenig untersuchten Politikbereichen sich im Rahmen ihrer Vollzugsaufsicht nur teilweise um Effizienzfragen kümmert. Zudem sind die Interventionsmöglichkeiten des Bundes bei der Aufsicht über den Vollzug der Bundespolitik begrenzt und politisch schwer durchsetzbar.

1981

Frage 3:

Wie nimmt der Bund die Probleme wahr, durch welche die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beim Vollzug der Bundespolitiken beeinträchtigt wird?

Der Bund beklagt sich hauptsächlich über Schwierigkeiten, die sich aus der Heterogenität der Kantone ergeben. So verfügen die Kantone aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Ressourcen und ihrer Besonderheiten nicht immer über das Instrumentarium, das für die Durchführung der entsprechenden Massnahmen nötig wäre.

Andererseits werden auch die Vollzugsfristen nicht immer von allen Kantonen eingehalten. Sorge bereitet dem Bund die Länge der Verfahrensdauer zwischen der Verabschiedung eines Gesetzes und dessen effektiver Anwendung.

Nach Auffassung des Bundes ist das System der Subventionierung der Kantone zu stark zentralisiert und wenig effizient, wodurch der Föderalismus unnötigerweise geschwächt wird. Die Subventionen gelten beim Bund als zu stark aufgesplittert, die Voraussetzungen für die Subventionsvergaben werden als zu detailliert und die Verfahren als zu komplex empfunden. Ihre Zweckbestimmungen sind oft unklar und zwingen die Kantone, von ihnen nicht gewünschte Massnahmen durchzuführen.

Die analysierten Dokumente und die Befragungen haben auch gewisse Sichtweisen der Kantone aufgezeigt. Diese sind der Auffassung, dass der Bund sich zuwenig um den Vollzug seiner Gesetzgebung kümmert. Immer wieder ist die Rede von zu kurzen Vollzugsfristen. Dabei werden mangelnde Kenntnisse der verschiedenen kantonalen Gesetzgebungen genannt. In den Botschaften zu den Gesetzesentwürfen ist von den Vollzugsproblemen der Kantone selten die Rede. Auch werden darin die geltenden kantonalen Gesetzgebungen nicht dargelegt.

Ein zentrales Problem für die Kantone ist die Beteiligung an der Willensbildung des Bundes. Sie sind der Ansicht, nicht genügend konsultiert zu werden, fühlen sich schlecht verstanden und interpretiert oder nicht genügend berücksichtigt. Auch finden sie, dass bei den Vernehmlassungen die Antwortfristen häufig zu kurz angesetzt sind.

Frage 4:

Was unternimmt der Bund, um die Probleme zu lösen, durch welche die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beim Vollzug der Bundespolitiken beeinträchtigt wird?

Die PVK hat Kenntnis von rund zehn bereichsübergreifenden Projekten erlangt, die vom Bund durchgeführt werden oder worden sind und die direkt oder indirekt auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen abzielen. Zu erwähnen sind u. a. die Projekte über die Neuverteilung der Aufgaben von Bund und Kantonen, die Anpassung des kantonalen Rechts an das EWR-Recht, gemeinsame Entlastungsmassnahmen, die Koordination der Entscheidverfahren für bodenbezogene Grossprojekte, die Totalrevision der Bundesverfassung, die Regierungs- und Verwaltungsreform, die Neuordnung des Finanzausgleichs und die Überprüfung der Bundesaufgaben.

Verschiedene Massnahmen gehen auf das Projekt der Neuverteilung von Aufgaben zwischen Bund und Kantonen zurück. Was die Mitsprache der Kantone bei Integrationsfragen betrifft, wurden nach der Ablehnung des EWR-Abkommens die Gesprä1982

che unter der Federführung des Kontaktgremiums Bund-Kantone und der Konferenz der Kantonsregierungen wieder aufgenommen. Eine von einem Vertreter der Kantone und einem Vertreter des Bundes präsidierte paritätische Arbeitsgruppe hat einen Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes ausgearbeitet. Ferner sind einzelne Massnahmen getroffen worden (Kantonsvertreter im Integrationsbüro; Informations- und Koordinationsstelle für Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit). Das auf dem Gebiet des Vollzugs von Bundesrecht und der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen herausragende Projekt ist die Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, In diesem Zusammenhang ist auch auf die Einführung einer verstärkten Mitsprache der Kantone bei der Bundespolitikformulierung über die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) hinzuweisen. In jüngster Zeit hat die KdK insbesondere an der Reform der Bundesverfassung und am Bundesgesetz über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes sowie, ab 1997, an der Weiterführung der Arbeiten im Zusammenhang mit der Reform des Finanzausgleichs mitgewirkt.

Die untersuchten bereichsübergreifenden Projekte können, selbst wenn sie ihre Zielvorgaben erreichen, nur einen Teil der Probleme lösen, die sich bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen stellen. Es bestehen vor allem bei der Konzeptfassung Mängel in der Koordination unter den verschiedenen Projekten. Die Projekte werden untereinander oft ungenügend abgegrenzt. Die Projektinformationen sind nicht immer ausführlich genug und stossen bei den anderen Departementen auf wenig Interesse, weil sie sich davon nicht angesprochen fühlen.

2.3

Schlussfolgerungen

Die Untersuchung hat verschiedene Probleme aufgezeigt, welche die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beeinträchtigen und somit zu Vollzugsdefiziten führen. Zu erwähnen sind folgende sieben Hauptprobleme: Eine unklare Kompetenzverteilung, besonders, wenn sie zu schlecht definierten Verantwortungen führt; eine manchmal ungenügende horizontale Koordination zwischen den Ämtern, welche die Entscheidungsprozesse und die vertikale Zusammenarbeit erschwert; eine grosse Heterogenità't der kantonalen Verwaltungen bezüglich ihrer Ressourcen; zunehmend prekäre Bundesfinanzen; eine ungenügende Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten durch den Bund; dièses Problem wird von den Kantonen immer wieder erwähnt, die u. a. auf zu kurze Fristen und auf die mangelnde Kenntnis der kantonalen Gesetzgebungen hinweisen; eine zu detaillierte Bundesgesetzgebung, die gelegentlich unnötig in die kantonale Autonomie eingreift; eine Aufsicht, die nur teilweise um einen wirksamen kantonalen Vollzug von Bundesaufgaben besorgt ist.

Die subtile Gewaltenteilung und die Empfindlichkeit der Kantone gegenüber dem Risiko, Autonomieanteile einzubüssen, machen jedes Bemühen um eine Revision 1983

des Vollzugsföderalismus zu einem heiklen Unterfangen, Allerdings besteht Einigkeit darüber, dass im Bereich der Zusammenarbeit neue Lösungen gesucht werden müssen. Der Bund ist bereit, Anstrengungen im Bereich der Information zu unternehmen. Die Kantone verlangen jedoch mehr und fordern insbesondere, dass sie stärker in die Willensbildung auf Bundesebene einbezogen werden.

Die Untersuchung zeigt auf, dass die Zustimmung der Kantone zur Bundespolitik für einen optimalen Vollzug unerlässHch ist. Ein entscheidender Faktor für diese Zustimmung ist eine tatsächliche Beteiligung der Kantone an der Willensbildung auf Bundesebene. Die traditionelle Vernehmlassung erscheint indes formell, wenig interaktiv und zu verzögernd. Bei der Ausarbeitung neuer Lösungen der kantonalen Mitwirkung müssten. zwei grundlegende Punkte berücksichtigt werden; Einerseits schätzen es die Kantone nicht, von definitiven Handlungen des Bundes überrascht zu werden; andererseits wird der Vollzug einer Bundesaufgabe erheblich vereinfacht, wenn die Kantone den Eindruck haben, bei der Gestaltung der Politik von Anfang an und aktiv beteiligt gewesen zu sein. Bei solchen Lösungen sollte sowohl den Formen der Anhörung der Kantone als auch den Mitwirkungsrechten Rechnung getragen werden.

3 3.1 3.1.1

Die Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen im Vernehmlassungsverfahren Der Auftrag der Geschäftsprüfungskommission (2. Phase) Gegenstand des Auftrags

Nachdem die Sektion «Wirksamkeit» der GPK des Ständerates an ihrer Sitzung vom 27. Juni 1995 von den Zwischenergebnissen der PVK-Untersuchung über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beim Vollzug der Bundespolitiken Kenntnis genommen hatte, wollte sie anhand konkreter Fallstudien näher auf diese Problematik eingehen. Sie beauftragte deshalb die PVK, in einer zweiten Phase zu untersuchen, wie der Bund die Stellungnahmen der Kantone im Vernehmlassungsverfahren berücksichtigt. Dabei wurde der gesamte Rechtsetzungsprozess überprüft, insbesondere auch die informellen Konsultationen («Vorvernehmlassungen»), welche dem eigentlichen Vernehmlassungsverfahren vorausgehen. Die Geschäftsprüfungskommission formulierte hierzu folgende vier weiteren Fragen: Frage 5:

Wie wertet der Bund die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens aus?

Frage 6:

Nach welchen Kriterien werden die Stellungnahmen der Kantone gewichtet?

Frage 7:

Wie wird die «Vorvernehmlassung» im Gesetzgebungsprozess organisiert?

1984

Frage 8:

3.1.2

Wie wirkt sich die «Vorvernehmlassung» auf die Gesetzesentwürfe aus, die ins Vemehmlassungsverfahren gegeben werden?

Methodisches Vorgehen

Die PVK beauftragte Experten, den Entstehungsprozess von sechs systematisch ausgewählten Rechtserlassen zu analysieren, die bei deren Vemehmlassung eingegangenen Stellungnahmen der Kantone zu prüfen und zu untersuchen, wie diesen Stellungnahmen Rechnung getragen wurde. Die Expertise stützt sich auf eine Dokumentenanalyse und auf Interviews, die auf der Ebene des Bundes und der Kantone geführt wurden.

Die Untersuchungsergebnisse sind im Expertenbericht verzeichnet und finden sich im Anhang 2 des Arbeitsberichtes. Dieses Gutachten diente als Grundlage für die Schlussfolgerungen, welche die PVK aus dieser zweiten Untersuchungsphase gezogen hat.

3.2

Der allgemeine Kontext

Das Problem der ungenügenden Beteiligung der Kantone an der Willensbildung des Bundes und das Problem der Unangemessenheit der Vemehmlassungsverfahren bilden schon seit Jahren Gegenstand von Debatten und Anträgen. Die erhobenen Kritiken gehen auf ein allgemeines Unbehagen zurück, das bereits 1974 von der Bundeskanzlei untersucht wurde. Diese führte bei den Kantonen und in der Bundesverwaltung eine Umfrage zu den Schwierigkeiten der Kantone beim Vollzug des Bundesrechts durch. Gestützt auf die Ergebnisse dieser Untersuchung gab die Schweizerische Staatsschreiberkonferenz am 17. September 1976 Empfehlungen heraus über die «Ausgestaltung der Bundesgesetzgebung im Hinblick auf den Vollzug durch die Kantone und Vorbereitung und Gestaltung der kantonalen Vernehmlassungen».

Bezüglich des Parlamentes stellte die PVK fest, dass sich zahlreiche parlamentarische Vorstösse auf verschiedene Probleme im Zusammenhang mit dem Vemehmlassungsverfahren beziehen. Insbesondere zu erwähnen ist dabei die am 10. Juni 1996 eingereichte parlamentarische Initiative Dünki (NR 96.421), welche die Abschaffung des Vernehmlassungsverfahrens fordert. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates beantragte an ihrer Sitzung vom 9. Januar 1997, dieser Initiative keine Folge zu geben. Allerdings unterstützten auch grundsätzliche Befürworter des Vernehmlassungsverfahrens in einigen Punkten die Kritik des Initianten.

Andererseits befasste sich die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates bei der Prüfung des Geschäftsberichts 1993 mit Möglichkeiten, das Vernehmlassungsverfahren zu beschleunigen. Sie kam zum Schluss, dass dieses Verfahren noch verbessert werden könnte. Beauftragt vom Bundesrat, veröffentlichte in der Folge die Verwaltungskontrolle des Bundesrates am 27. Februar 1995 einen Bericht über die «Vereinfachung des Vernehmlassungsverfahrens».

Nachdem der Bundesrat diesen Bericht zur Kenntnis genommen hatte, entschied er am 20. März 1995, dass jedes Departement aus dem Generalsekretariat eine Verbin-

1985

dungsperson bezeichnet, welche die Ämter in Fragen des Vernehmlassungsverfahrens berät und dass in jedem künftigen Antrag auf Eröffnung eines Vernehmlassungsverfahrens die Notwendigkeit und die schriftliche Form der Durchführung begründet wird.

Die Bundeskanzlei veröffentlichte am 1. Februar 1996 einen Bericht über konkrete Massnahmen. Darin wird u.a. empfohlen, diese Verfahren auf das absolut Notwendige zu beschränken und vorgeschlagen, das schriftliche und das konferenzielle Vernehmlassungsverfahren als gleichwertig zu betrachten und deshalb inskünftig die Notwendigkeit des Verfahrens und die Art der Durchführung darzulegen. Als weitere Massnahme wird u.a. vorgeschlagen, dass im Rahmen der Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse der staatspolitischen Bedeutung der Gewichtung von Stellungnahmen grössere Beachtung geschenkt wird, indem diese Gewichtung auf der Basis definierter, allgemeingültiger Kriterien vorgenommen und insbesondere der Stellung, welche die Vernehmlassungsteilnehmer in unserem föderalistischen System haben, vermehrt Rechnung getragen wird.

Ebenfalls zu erwähnen sind die «Checklisten», welche von Regierungsrat Thomas Pfisterer im Rahmen seiner «Vorschläge zur Verbesserung der Vernehmlassungen der Kantone gegenüber dem Bund» vom 24. Januar 1994 erarbeitet wurden, sowie die Vorschläge, die Zahl der Vernehmlassungsvorlagen drastisch zu reduzieren, die Anzahl der konsultierten Organisationen stark zu vermindern, die Vernehmlassungen primär konferenziell und vermehrt in Form informeller Kontakte durchzuführen (Hans Georg Nussbaum, in NZZ, 8. Oktober 1996, «Vernehmlassung - beschränken statt abschaffen»).

Rechtlich ist dieses Verfahren in der Verordnung über das Vernehmlassungsverfahren (SR 172.062) vom 17. Juni 1991 verankert, in der die Einzelheiten des ganzen Prozesses geregelt sind. Diese Verordnung wurde von der Bundeskanzlei im «Handbuch zum Vernehmlassungsverfahren» (Stand vom 1. März 1994) ausführlich kommentiert. Obwohl sich das Vernehmlassungsverfahren in der Praxis als wichtiger Teil des Rechtsetzungsverfahrens etabliert hat, gibt es darüber in der Bundesverfassung keine Grundsatzbestimmung. Es wird darin nur punktuell garantiert. Im Entwurf zur neuen Bundesverfassung vom 20. November 1996 wird dieser Mangel mit Artikel 138 behoben, der den Grundsatz des Vernehmlassungsverfahrens
garantiert. Wie der Kommentar festhält, bietet die Umschreibung der von der Bestimmung erfassten Geschäfte genügend Spielraum für sachlich gebotene Differenzierungen; eine Straffung des Vernehmlassungsverfahrens bleibt möglich, und sein Anwendungsbereich kann durch eine Beschränkung der Anzahl der Konsultationen und des Adressatenkreises redimensioniert und verwesentlicht werden.

3.3 Frage 5:

Die Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen Wie wertet der Bund die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens aus?

Aus dem Expertenbericht geht hervor, dass die Vemehmlassungsergebnisse nach erprobten Methoden ausgewertet werden, die in Seminarien der Bundesverwaltung gelehrt werden und die eine vollständige und systematische Auswertung gewährlei-

1-986

sten. Schwierigkeiten bei den Auswertungen wurden dort festgestellt, wo die Stellungnahmen nicht eindeutig oder widersprüchlich sind.

Die Stellungnahmen werden nach Gruppen (Kantonen, Parteien, Organisationen) unterschieden und artikelweise zusammengestellt. Gemäss der rechtlichen Grundlagen wurden die Vernehmlassungsergebnisse ohne jegliche Wertung zusammengefasst. In dieser ersten Auswertungsphase ging es lediglich darum, einen Überblick über die geä'usserten Meinungen zu gewinnen.

Als schwieriger gestaltete sich die Auswertung der konferenziellen Vemehmlassungen, weil diese Methode weniger transparent ist. Der Expertenbericht weist darauf hin, dass hier oft formelle Protokolle fehlen. Bei den untersuchten Fällen fanden sich in den archivierten Unterlagen in der Regel nur Handnotizen oder Kurzprotokolle.

Hier ist auch auf das Problem der Fristen und des Zeitdrucks hinzuweisen. Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung über das Vernehmlassungsverfahren hält fest, dass das Departement seinen Antrag an den Bundesrat grundsätzlich innert der gleichen Frist zu stellen hat, wie sie für die Stellungnahme im Vernehmlassungsverfahren eingeräumt worden ist. Zudem wirken sich längere Vernehmlassungsfristen zweifellos positiv auf die Qualität der Stellungnahmen und auf die Abklärung allfälliger Vollzugsprobleme aus. Artikel 5 der erwähnten Verordnung räumt den Vemehmlassungsteilnehmern für ihre Stellungnahme grundsätzlich eine Frist von drei Monaten ein. Diese Frist wurde indessen nur bei zwei von den insgesamt elf Vemehmlassungen, die bei den sechs untersuchten Fällen durchgeführt wurden, eingehalten. Gemäss Gutachten betrug diese Frist in der Regel ein bis zwei Monate.

Diese äusserst kurzen Fristen resultierten in einzelnen Fällen daraus, dass mit den Vernehmlassungsteilnehmern bereits Vorgespräche geführt worden waren; dies war beispielsweise bei der Tierschutzverordnung und bei der Asylverordnung 2 der Fall.

In anderen Fällen waren die kurzen Fristen die Folge eines hohen politischen Zeitdruckes. Wie die Expertise allerdings aufzeigte, erwies sich dieser Zeitdruck in mehreren Fällen als nicht angebracht.

Die Experten stellten in keinem der untersuchten Fälle eine Verzerrung oder eine Fehlinterpretation der Vernehmlassung fest. Dieses gesamthaft positive Urteil dürfte damit zusammenhängen, dass die untersuchten Erlasse spezifische 'Regelungen enthielten, zu denen sich klar Stellung nehmen liess.

Frage 6:

Nach welchen Kriterien werden die Stellungnahmen der Kantone gewichtet?

Nach der wertungsfreien Zusammenstellung der Vernehmlassungsergebnisse werden diese von der Bundesverwaltung im Rahmen des Antrags an den Bundesrat beurteilt und gewichtet. Wie die Fallstudien ergeben haben, liegen für die Gewichtungen allerdings keine einheitlichen und verbindlichen Kriterien vor. Es wurde festgestellt, dass die Gewichtung kantonaler Stellungnahmen häufig von der spezifischen Interessenkonstellation abhängt, da auch die Kantone meistens Partikularinteressen vertreten. Eine einheitliche Gewichtung wurde zudem durch die Vielzahl widersprüchlicher kantonaler Stellungnahmen erschwert.

Bei kontroversen Vorlagen gilt das «Mass der mittleren Unzufriedenheit» als pragmatische Richtschnur für die GewJchtung. Andererseits erhalten kantonale Stellungnahmen gegenüber anderen Vernehmlassern häufig dadurch mehr Gewicht, dass sie 1987

sich zur ganzen Breite des Erlasses äussern, während z. B. die Organisationen sich meist auf einzelne Punkte konzentrieren.

In den meisten Fällen äussem sich nur die Kantone zu Vollzugsfragen, wenn auch nur in allgemeiner Form. Diese kantonalen Anregungen zum Vollzug wurden in der Regel von der Bundesverwaltung berücksichtigt unter der Bedingung, dass sie den materiellen Gehalt einer Regelung nicht beeinflussen.

Die Experten haben zwar für die Gewichtung der kantonalen Stellungnahmen keine einheitlichen und verbindlichen Kriterien festgestellt, weisen indessen auf gewisse Begleitkriterien hin. Von Bedeutung ist dabei das Kriterium der inneren Konsistenz des in die Vernehmlassung gegebenen Erlasses. Ebenfalls von den Bundesbehörden angewandt werden die Kriterien der Rechtmässigkeit und der Zweckmässigkeit.

Abgesehen davon wurden noch weitere Zusatzkriterien ausgemacht. So wurde festgestellt, dass ein Gesetz sich vor dem Hintergrund von häufig recht unterschiedlichen Vorzugsbedingungen nur einheitlich anwenden lässt, wenn nicht nur ein Konsens zwischen dem Bund und den Kantonen besteht, sondern wenn sich auch die Kantone untereinander einigen können. Eine entscheidende Rolle spielt auch das Kriterium der Fundiertheit der Argumente, besonders wenn es darum geht, Minderheitsmeinungen zu berücksichtigen.

Frage 7:

Wie wird die «Vorvernehmlassung» im Gesetzgebungsprozess organisiert?

«Vorvernehmlassungen» sind informelle Konsultationen, welche zur Ausarbeitung eines Vorentwurfes vor dem eigentlichen Vernehmlassungsverfahren durchgeführt werden. Dabei handelt es sich vor allem um informelle Kontakte, bei denen mit Fachstellen, Kantonsvertretern, Organisationen oder ausserparlamentarischen Kommissionen die Grundsätze eines Gesetzesentwurfes besprochen, die Probleme aufgelistet und die Vollzugsaspekte vor der Ausarbeitung des Erlasses geprüft werden.

Solche Kontakte können in Form von Arbeitssitzungen, informellen Gesprächen, Konferenzen kantonaler Direktoren, Fachseminarien oder Arbeitsgruppen erfolgen.

Diese Kontakte sollen und können das formelle Vernehmlassungsverfahren nicht ersetzen. Auch gehören sie nicht zur Ämterkonsultation, die verwaltungsintern ist und aus Zeitgewinnungsgründen zuweilen gleichzeitig mit der offiziellen Vernehmlassung durchgeführt wird, Solche vorgängigen oder regelmässigen Kontakte garantieren indes nicht, dass Aspekte des kantonalen Vollzugs im Vorentwurf berücksichtigt oder darin aufgenommen werden. Wie sich aber bei den Arbeiten zur Revision der Asylverordnung 2 gezeigt hat, können solche Vorgespräche für die Berücksichtigung dieser Aspekte äusserst nützlich sein.

Die Experten sind bei ihren Fallstudien noch auf weitere konkrete Beispiele von «Vorvernehmlassungen» gestossen. So pflegte das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft im Rahmen der Vorarbeiten zur Revision der Lärmschutzverordnung über die Gruppe «cercle bruit» periodische Kontakte zu den kantonalen Lärmschutzfachstellen. Diese Kontakte ermöglichten dem Bundesamt, sich auf diesem Gebiet, einen relativ guten Einblick in den kantonalen Vollzug zu verschaffen. Ebenfalls zu erwähnen sind die regelmässigen Kontakte, welche das Bundesamt für Energiewirtschaft im Rahmen der Energienutzungsverordnung mit der Konferenz der kantona1988

len Energiefachstellen pflegte. Ferner bildete das vorgängige Einvernehmen unter den kantonalen Landwirtschaftsdirektoren die Grundlage für die Revision der Tierschutzverordnung. Von diesen ging sogar die Initiative für die Einsetzung einer Arbeitsgruppe aus, welche den Auftrag hatte, wichtige Vorarbeiten durchzufuhren, die Lage zu analysieren und Vorschläge zu unterbreiten, auf die sich das Bundesamt für Veterinärwesen stützen konnte. In diesem Falle wurden die wesentlichen Grundlagen für die Revision von Bund und Kantonen gemeinsam ausgearbeitet.

Zuweilen entwickeln sich die im Rahmen der informellen «Vorvemehmlassungsverfahren» eingeleiteten periodischen und organisierten Kontakte zu einer stärker ausgestalteten Zusammenarbeit, die nicht bloss einen vorgängigen Informationsaustausch über die Grundsätze des Vorentwurfes beinhaltet, sondern auch dessen gemeinsame Ausarbeitung oder gar dessen gemeinsame Bereinigung bei der Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse umfasst.

Die Experten haben indes festgestellt, dass die meisten Vorentwürfe ohne «Vorvernehmlassung» und sehr rasch von der Bundes Verwaltung allein ausgearbeitet worden waren. Wo mit den Kantonen laufende Kontakte stattgefunden hatten, wurden diese Informationen benutzt und in die Vorlagen einbezogen.

Wie im Expertenbericht aufgezeigt wird, ging hingegen im Rahmen der zweiten und dritten Revision der Asylverordnung 1 diese Zusammenarbeit über eine blosse «Vorvernehmlassung» zu Grundsatzfragen hinaus und mündete in eine gemeinsame Ausarbeitung oder Bereinigung des Vorentwurfes. Nach der konfliktbelasteten Phase der ersten Verordnungsrevision hatte sich zwischen Bund und Kantonen zunehmend ein neues Konsultativverfahren entwickelt. Während die Vernehmlassung zur Revision von 1993 noch nach dem konventionellen Schema abgewickelt worden war, begannen sich danach neue Formen herauszubilden, indem die Verwaltung bei der Bereinigung des Vorentwurfes Kontakte mit der kantonalen Fürsorgedirektorenkonferenz aufnahm. Der Schritt zur gemeinsamen Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse durch Bund und Kantone wurde mit der Revision von 1994 vollzogen, als die Überarbeitung des Entwurfes mit den Kantonen auf konferenzieller Ebene erfolgte. In diesem Falle war die Hauptarbeit bereits in der Vorvernehmlassung geleistet worden, was den Vorteil hatte,
dass nur noch wenige Stellungnahmen eingegangen waren. Dabei wurde nicht mehr unterschieden zwischen Vorvernehmlassung und Vernehmlassung. Zur Revision von 1995 schliesslich fand kein eigentliches Vemehmlassungsverfahren mehr statt, da die Bestimmungen gemeinsam von Vertretern des Bundes und der Kantone ausgearbeitet worden waren.

Frage S:

Wie wirkt sich die «Vorvemehmlassung» auf die Gesetzesentwürfe aus, die in die Vernehmlassung gegeben werden?

In den untersuchten Fällen wurden nur zum Teil «Vorvernehmlassungen» durchgeführt, weshalb sich hier kaum generelle Aussagen machen lassen. Im günstigsten Fall haben vorgängige Kontakte allerdings' einen Grundkonsens über das Anzustrebende und das Machbare ergeben.

In einigen der untersuchten Fälle war es jedoch nicht möglich, direkte Auswirkungen eines Vorvernehmlassungsverfahrens aufzuzeigen. Manchmal Hess sich auch nicht feststellen, ob überhaupt verwaltungsexterne Kontakte stattgefunden hatten.

Einen direkten materiellen Einfluss auf den Vorentwurf hatten die vorgängigen

1989

Kontakte, welche die Bundesbehörden mit den Kantonen oder Organisationen führten, in drei der von den Experten untersuchten Fällen : Bei der Revision der Tierschutzverordnung, wo die Arbeitsgruppe der kantonalen Landwirtschaftsdirektoren unter Beteiligung des Bundesamtes für Veterinärwesen und des Bundesamtes für Landwirtschaft den Grundkonsens über die Prioritäten der Revision, die Vorschläge für die erforderlichen Massnahmen und für deren Vollziehbarkeit lieferte; bei den Revisionen der Asylverordnung 2, wo die Grenzen zwischen Vorvernehmlassung und Vernehmlassung verflossen; das materielle Resultat dieser Zusammenarbeit war eine zunehmende Pauschalisierung der Kostenerstattung, die sowohl dem Anliegen der Kantone entgegenkam, als auch im Interesse des Bundes, die Kosten zu begrenzen, lag; bei der Revision der Lärmschutzverordnung, wo der politische Anstoss von den Sparvorschlägen der kantonalen Finanzdirektoren kam.

3.4 3,4.1

Ergebnisse und Schlussfolgerungen Ergebnisse

Die Bundesverwaltung übernahm in den untersuchten Fällen die konkreten Anregungen der Kantone zum Vollzug durchwegs, sofern die Verbesserungen einsichtig waren und der materielle Gehalt der Vorlage nicht verändert wurde.

Indes hatte die Bundesverwaltung gemäss den Experten in keinem der untersuchten Fälle eigene Vorabklärungen zur Vollzugstauglichkeit getroffen. Sie verliess sich darauf, dass die Kantone auf allfällige Vollzugsprobleme einer Vorlage hinweisen würden. Die kantonalen Stellungnahmen erfüllten diese Erwartung nur teilweise, weil sie häufig nur genereller Art waren und nur am Rande auf Vollzugsprobleme hinwiesen. Detaillierte Stellungnahmen dazu bildeten die Ausnahme und widersprachen sich vielfach untereinander.

Die geltende Regelung sieht für die Vernehmlassungsteilnehmer für die Einreichung ihrer Stellungnahme grundsätzlich eine Frist von drei Monaten vor. Gemäss den Experten war diese Frist in den untersuchten Fällen meist auf ein bis zwei Monate festgesetzt.

Aus dem Expertenbericht geht hervor, dass die Bundesämter die Stellungnahmen nach erprobten Methoden, die Vollständigkeit und Systematik gewährleisten, auswerteten. Die Vemehmlassungsergebnisse wurden - als blosser Überblick über die geäusserten Meinungen - ohne jegliche Beurteilung oder Wertung zusammengestellt.

Die Auswertung der konferenziellen Vemehmlassungen wurde wegen ihrer mangelnden Transparenz als schwieriger erachtet.

Für die Gewichtung der Stellungnahmen wurden keine einheitlichen und verbindlichen Kriterien festgestellt. Die Experten stellten indes gewisse Begleitkriterien fest, welche für die Gewichtung der kantonalen Stellungnahmen von Bedeutung sind: die Kriterien der Rechtmässigkeit, der Zweckmässigkeit und der inneren Konsistenz des in die Vernehmlassung gegebenen Erlasses.

Die Gewichtung der kantonalen Stellungnahmen stand häufig im Zusammenhang mit der Interessenkonstellation der Kantone. Eine einheitliche Gewichtung wurde

1990

dadurch erschwert, dass viele kantonale Stellungnahmen miteinander im Widerspruch standen.

Bei kontroversen Vorlagen galt das «Mass der mittleren Unzufriedenheit» als pragmatische Richtschnur für die Gewichtung. Ferner zeigt die Expertise, dass kantonale Stellungnahmen gegenüber anderen Vemehmlassern häufig dadurch mehr Gewicht erhalten, dass sie sich zum ganzen Erlass äussern, während die Organisationen sich meist auf einzelne Punkte konzentrieren.

Die Experten haben in keinem der untersuchten Fälle eine Verzerrung oder gar eine Fehlinterpretation der Vernehmlassungsergebnisse festgestellt.

Vorgängige oder regelmässige Kontakte garantieren nicht, dass die Aspekte des kantonalen Vollzugs im Vorentwurf berücksichtigt oder darin aufgenommen werden. Sie können aber äusserst nützlich für die Berücksichtigung dieser Aspekte sein, weil sie einerseits einen guten Einblick in den kantonalen Vollzug schaffen und andererseits ermöglichen, innerhalb von Arbeitsgruppen einen Grundkonsens zu erarbeiten.

Regelmässige und organisierte Kontakte können zu einer stärker ausgestalteten Zusammenarbeit rühren, die den Rahmen der «Vorvernehmlassung» sprengt, indem sie nicht bloss einen vorgängigen Informationsaustausch über die Grundsätze des Vorentwurfes beinhaltet, sondern auch dessen gemeinsame Ausarbeitung oder gar dessen gemeinsame Bereinigung im Rahmen der amtlichen Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse.

Wo vorgängige Kontakte gepflegt werden, können sie zu einem Konsens über die anzustrebenden Ziele führen. Einen direkten materiellen Eînfluss auf den Vorentwurf hatten die vorgängigen Kontakte, welche die Bundesbehörden mit Kantonen oder Organisationen führten, in drei von den Experten untersuchten Fällen.

3.4.2

Schlussfolgerungen

Aus den Untersuchungen, welche in der zweiten Projektphase durchgeführt wurden, und den Resultaten aus den verschiedenen Fallstudien ergeben sich folgende Schlussfolgerungen: 3.4.2.1

Zum Vernehmlassungsverfahren

Die Berücksichtigung der Vollzugsaspekte im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens wird von mehreren Faktoren beeinflusst : Der Zeitdruck bringt häufig eine Verkürzung der Antwortfristen mit sich. Gewisse Fristverkürzungen lassen sich mit den vorgängigen Kontakten rechtfertigen. Indessen beeinträchtigen zeitliche Beschleunigungen die Qualität der Erlasse, besonders dann, wenn der Zeitdruck und die politische Dringlichkeit sich als relativ erweisen.

Auf eine bessere Beurteilung der einzuräumenden Fristen wäre deshalb zu achten.

1991

Das Fehlen einheitlicher und verbändlicher Kriterien für die Gewichtung der Stellungnahmen hat, trotz vorhandener Begleitkriterien, pragmatische Richtlinien zur Folge, die aufgrund der vielen widersprüchlichen kantonalen Stellungnahmen schwierig anzuwenden sind.

Es müssten deshalb einerseits für die Gewichtung der Stellungnahmen definierte, allgemeingültige Kriterien festgelegt werden, indem u.a. die Stellung der Vernehmlassungsteilnehmer untersucht wird. Andererseits muss auf ein Einvernehmen unter den Kantonen und nicht bloss auf den Konsens zwischen Bund und Kantonen hingewirkt werden.

Für die Ausweitung und Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen ebenfalls von Bedeutung ist, ob die Vernehmlassung in schriftlicher oder in konferenzieller Form durchgeführt wurde, denn die Auswertung der konferenziellen Vernehmlassungen ist schwieriger, weil diese Methode weniger transparent ist. Im übrigen ziehen die Kantone die schriftliche Vernehmlassung vor, weil bei diesem Verfahren die Vertreter ihrer Behörden und Parlamente einbezogen werden können.

Eine pragmatische Lösung zur besseren Berücksichtigung der Vollzugsprobleme bildet die Kombination von schriftlichen Stellungnahmen mit dem Informationsaustausch in gemeinsamen Konferenzen oder Arbeitsgruppen des Bundes und der Kantone (wie dies im Kontaktgremium Bund/Kantone, in der Konferenz der Kantonsregierungen und in den verschiedenen Konferenzen der kantonalen Direktoren üblich ist).

Eine im Rahmen der Vernehmlassungen zu Gesetzesentwürfen oder Bundesbeschlüssen durchgeführte Orientierung der Kantone über die Grundzüge oder Grundsätze der künftigen Vollzugsverordnungen ermöglicht den Kantonen eine bessere Beurteilung der Probleme, welche der Vollzug mit sich bringen wird.

Eine frühzeitige, d.h. bereits in der Vernehmlassung zu den Gesetzesvorlagen angesetzte Orientierung der Kantone über die voraussichtlichen Vollzugsbestimmungen hilft den Kantonen, die mit dem Gesetzesentwurf einhergehenden Vollzugsprobleme zu erkennen.

Es darf nicht vergessen werden, dass sich auch nach einer korrekten Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse Probleme stellen können: Wenn in der parlamentarischen Beratung einer Gesetzesvorlage ohne angemessene Rücksprache mit den Kantonen Änderungen vorgenommen werden, kann sich dies nachteilig auf den kantonalen Vollzug
auswirken.

Eine stärkere Beteiligung der Kantone an der Willensbildung beim Bund bedeutet auch, dass die kantonalen Stellungnahmen während des ganzen Rechtsetzungsprozesses berücksichtigt werden.

1992

3.4.2.2

Zum informellen Verfahren der «Vorvernehmlassungen»

Die Möglichkeiten für eine vermehrte Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen und Vollzugsprobleme basieren - unabhängig von den Massnahmen, welche im Rahmen des formellen Vernehmlassungsverfahrens getroffen werden können - alle auf einer engeren'Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen : Wie verschiedene Fallstudien gezeigt haben, ist es deshalb wichtig, dass die Fragen, die sich zum Vollzug stellen, von Anfang an und systematisch in den Rechtsetzungsprozess einbezogen werden und dass kantonale Sachverständige daran teilnehmen.

In dieser Beziehung hat sich der interaktive, partizipative und konsensuelle Ansatz bewährt, sei es über den Meinungsaustausch über die Grundsätze eines Vorentwurfs, über die gemeinsame Ausarbeitung oder gar über die gemeinsame Bereinigung bei der Auswertung der Vemehmlassungsergebnisse.

Derartige Möglichkeiten eröffnen sich, wenn der Bund und die Kantone als gleichwertige Partner zusammenarbeiten und dabei die für die Schaffung einer «Vollzugsgemeinschaft» geeignete Form finden. Die jüngsten erfolgreichen Beispiele solcher «Vorvernehmlassungen» sprechen für die Richtigkeit dieser Vorgehensweise (Reform der Bundesverfassung, Bundesgesetz über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpoliiik des Bundes, Reform des Finanzausgleichs). Die Schwierigkeit liegt in der Schaffung der Voraussetzungen, welche für diese Art von Zusammenarbeit erforderlich sind. Wie die Revisionen der Asylverordnung 2 gezeigt haben, braucht es zuweilen einen langen Prozess und mehrere Revisionen, um dies zu erreichen.

Zur Schaffung der Voraussetzungen für die Errichtung eigentlicher «paritätischer Vollzugsgemeinschaften» können-- sowohl in bezug auf die technischen als auch auf die politischen Vollzugsaspekte - verschiedene Wege eingeschlagen werden. In diesem Zusammenhang sei nicht nur auf die verschiedenen informellen Kontakte zwischen Fachdiensistdten des Bundes und der Kantone verwiesen, sondern auch auf die regelmässigen Kontakte des Bundes mit den verschiedenen Konferenzen der kantonalen Direktoren sowie mit der Konferenz der Kantonsregierungen.

Es gibt indessen kein Standardmodell für «Vorvernehmlassungen». Ebensowenig gibt es eine spezifische Form für ihre Organisation. Solche Kontakte können sowohl von den Bundesbehörden als auch von den Kantonen oder von Organisationen oder Parteien
initiiert werden.

Eine besondere Sensibilisierung der Bundesbehörden für diese Problematik wäre allerdings angebracht, da sie es sind, die mit der Ausarbeitung von Vorentwürfen zu Bundeserlassen betraut werden.

1993

4

Synthese (Auftragsphasen l und 2)

Diese Untersuchung hat die Hauptprobleme aufgezeigt, welche die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beeinträchtigen und deshalb zu Vollzugsdefiziten führen (unklare Kompetenzverteilung, manchmal ungenügende horizontale Koordination, Heterogenität der kantonalen Verwaltungen, prekäre Bundesfinanzen, zu detaillierte Bundesgesetzgebung, ungenügende Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten, lückenhafte Aufsicht über einen wirksamen kantonalen Vollzug).

Es sind verschiedene Ansätze für neue Instrumente vorhanden, die es erlauben, die Qualität der Endprodukte des kantonalen Vollzugs zu harmonisieren oder - selbst auf indirekte Weise - zu kontrollieren (Vereinheitlichung der Mindestqualitätsstandards durch Vorschriften, Leistungsindizes, vergleichendes Monitoring). Allerdings muss der Bund bei den Massnahmen, die er trifft, um auf die Qualität des Vollzugs seiner Politiken einzuwirken, darauf achten, dass diese nicht zu bundeslastig sind und dadurch einen allzu grossen Eingriff in die Souveränität der Kantone darstellen.

Aus der im Rahmen dieser Untersuchung durchgeführten Analyse geht hervor, dass die entscheidende Voraussetzung für einen guten Vollzug in der Regel vor allem in der Akzeptanz der Bundespolitik durch die Kantone liegt.

Eine tatsächliche Beteiligung der Kantone an der Willensbildung des Bundes ist ein unerlässlicher Faktor für deren Zustimmung zu den Bundespolitiken und damit für die Gewährleistung eines optimalen Vollzugs.

Das traditionelle Vernehmlassungsverfahren gibt indes regelmässig Anlass zu Kritik und Unzufriedenheit. Es besteht Einigkeit darüber, dass ein Unbehagen vorhanden ist und dass neue Wege der Zusammenarbeit gefunden werden müssen.

Die Kantone fühlen sich zuwenig in die Willensbildung des Bundes einbezogen. Eine gute kantonale Mitwirkung dürfte sich um so mehr rechtfertigen, als bei Defiziten im kantonalen Vollzug die Interventionsmöglichkeiten des Bundes begrenzt sind.

Zu einer verbesserten Zusammenarbeit auf Vernehmlassungsebene könnte gemäss dieser Untersuchung beigetragen werden, indem die für die Stellungnahmen einzuräumenden Fristen richtig abgeschätzt (und dabei ständige und unangebrachte Fristverkürzungen vermieden würden), die schriftlichen Stellungnahmen und die konferenziellen Meinungsäusserungen miteinander kombiniert, für die Gewichtung der
Stellungnahmen definierte, allgemeingültige Kriterien festgelegt oder auch indem die Kantone frühzeitig über die voraussichtlichen Vollzugsbestimmungen orientiert würden.

Allerdings hat diese Untersuchung insbesondere auch auf eine neue Entwicklung hingewiesen: den «Vorvemehmlassungspròzess». Diese Form der Zusammenarbeit ermöglicht einerseits, die horizontale Koordination zwischen den Kantonen zu fördern und die vertikale Koordination zwischen Bund und Kantonen zu verbessern; andererseits lassen sich dadurch auch gewisse Schwachstellen des Vemehmlassungsverfahrens - insbesondere in bezug auf die Gewichtung der Stellungnahmen ausmerzen.

Diese «Vorvernehmlassung» in Form von regelmässigen Kontakten oder von Arbeitsgruppen kann in eine stärker ausgestaltete Zusammenarbeit münden, die nicht nur einen vorgängigen Meinungsaustausch über die Grundsätze des Vorentwurfes beinhaltet, sondern auch dessen gemeinsame Ausarbeitung oder gar dessen gemeinsame Bereinigung bei der Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse.

1994

Obschon es für die «Vorvernehmlassung» kein Standardmodell gibt, ist es nicht nötig, diese Situation zu ändern und zusätzlich ein formelles «Vorvernehmlassungsverfahren» zu schaffen. Vielmehr müssten solche informellen Kontakte, bei denen die Kantone und der Bund als gleichwertige Partner auftreten können, angeregt und gefördert werden, indem die Bundesbehörden besonders für diese Problematik sensibilisiert werden, da sie es sind, die mit der Ausarbeitung von Vorentwürfen zu Bundeserlassen betraut werden.

Es ist nicht ausschlaggebend, für welche Art des «Vorvernehmlassungsverfahrens» man sich entscheidet. Wichtig ist, dass zwischen Bund und Kantonen wie auch zwischen den Kantonen schon in der Vorentwurfsphase über vorgängige Kontakte ein Grundkonsens über die Vollzugsaspekte gefunden wird. Wenn dieses Ziel erreicht ist, wird die Vernehmlassung in der Folge nur noch sehr wenig Änderungen und Bereinigungen am betreffenden Erlass bringen. In gewissen Fällen kann sie sogar zu einer reinen Formalität werden.

Diese Kontakte können und sollen allerdings das formelle Vernehmlassungsverfahren nicht ersetzen.

Die Realisierung einer solchen Zusammenarbeit würde den verschiedenen, in letzter Zeit eingereichten VorstÖssen entsprechen, die insbesondere darauf abzielen, das heutige Vemehmlassungsverfahren zu vereinfachen und die Anzahl der Vernehmlassungsvorlagen zu verringern. Die Entwicklung dieses interaktiven Prozesses muss als Ergänzung der Vemehmlassungsverfahren gesehen werden, mit denen allein nicht allen Vollzugsproblemen Rechnung getragen werden kann.

Dieser Prozess strebt somit an, die Beteiligung der Kantone nach einem qualitativen Ziel auszurichten, um eine Verbesserung des Vollzugs dadurch zu ermöglichen, dass die Kantone nicht nur weniger, sondern vielmehr besser konsultiert werden.

Der vorliegende Bericht zeigt die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung (Schlussbericht; Zusammenfassung und Schlussfolgerungen französisch, deutsch und italienisch). Die vollständigen Resultate sind im Arbeitsbericht vom 20. März 1997 enthalten (in französischer Sprache).

Die erwähnten Berichte der PVK sind bei der Dokumentationszentrale der Parlamentsdienste, Parlamentsgebäude, 3003 Bern, Tel, (031) 322 97 44 erhältlich.

1995

Durchführung der Untersuchung Projektleiter.

Marc Buntschu, lic.iur.

Emmanuel Sangra, lic.iur.

Experten:

Frohmut W. Gerheuser Dr. Adrian Vatter F. Sager, lic.phil.

Dr. A. Balthasar Ch. Bättig, dipl.geogr.

Dr. W. Zimmermann R. Kurz Gygax, lic.rer.pol.

Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle Büro für Politikberatung und Sozialforschung, Brugg Politikforschung & -beratung, Bern Interface Institut für Politikstudien, Luzern Forschungsstelle Wissenschaft und Politik, Bern

Assistent:

Andreas Tobler, Hc.phil.I

Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle

Sekretariat:

Hedwig Heinis

Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle

9490

1996

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Vollzug von Bundespolitiken: Zusammenarbeit von Bund und Kantonen und Berücksichtigung der kantonalen Stellungnahmen im Rahmen der Vernehmlassungsverfahren Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 10. November 1997

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1998

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

15

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.04.1998

Date Data Seite

1965-1996

Page Pagina Ref. No

10 054 628

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