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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend Einführung des Rechts der Gesetzgebung über das Gewerbewesen.

(Vom 25. November 1892.)

Tit.

Im Eingang zu unserer Botschaft vom 28. November 1889, betreffend Einführung des Gesetzgebungsrechtes über Unfall- und Krankenversicherung (Bundesbl. IV, 825), hatten wir bemerkt, daß wir die Absicht gehegt, "bei diesem Anlasse auch die Einführung des Gesetzgebungsrechts über das G e w e r b e w e s e n in Vorschlag zu bringen", davon jedoch aus verschiedenen Gründen Umgang nahmen, um die Kompetenz zur Gewerbegesetzgebung einer spätem Revision der Bundesverfassung vorzubehalten.

Wie Ihnen bekannt und wie sich aus dem Folgenden -ergeben wird, ist die Frage der Bundesgesetzgebung über das Gewerbewesen mittlerweile eine dringliche geworden, so daß wir mit dem Antrage, dem Bund das bezügliche Gesetzgebungsrecht zu verleihen, nicht länger zuwarten zu können glauben. Wir schlagen deßhalb vor, folgenden Zusatz in die Bundesverfassung aufzunehmen: ,, Artikel 34*«.

,,Der Bund ist befugt, über das Gewerbewesen einheitliche Vorschriften aufzustellen."

Nach unserm Dafürhalten paßt die neue Bestimmung dem Zusammenhange nach am besten zu Art. 34, indem eine Hauptaufgabe der künftigen Gesetzgebung die sein wird, den Schutz,

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·welchen der Fabrikarbeiter genießt, mit den notwendigen Einschränkungen auch den im Handwerk und Kleingewerbe thätigen Arbeitnehmern zuzuwenden. Dagegen ziehen wir vor, einen neuen Artikel aufzustellen, statt dem bestehenden einen Zusatz beizufügen, weil uns jener Weg als der einfachere erscheint und weil er besser ermöglicht, den Gegenstand der Revision in klarer, Jedermann verständlicher Weise zu präzisiren. In der That würde es, wenn man den Art. 34 vor Augen hat, nicht ganz leicht sein, die Neuerung passend damit zu verbinden, um so weniger, als er jetzt schon sehr verschiedene Dinge (Fabriken, Auswanderungsagenturen, Versicherungsgesellschaften) zusammenwirft; endlich ist, wie wir später noch ausführen werden, zu bemerken, daß die in Aussicht zu nehmenden Vorschriften über das Gewerbewesen von den in Art. 34, Abs. l, mit Bezug auf gewisse Gewerbebetriebe vorgesehenen ganz unabhängig sind.

Im Uebrigen haben wir Folgendes anzubringen, um die Nothwendigkeit der eidgenössischen Gewerbegesetzgebung historisch und materiell zu begründen:

Kundgebungen der Eäthe.

Als solche erwähnen wir : P o s t u l a t N r . 321 (Nationalrathsbeschluß vom 18. März 1884): ,,Der Bundesrath wird eingeladen, zu untersuchen und Bericht und Antrag zu hinterbringen, ob nicht die gesetzliche Regulirung der Verhältnisse zwischen Meister und Lehrling und Meister und Gesellen stattfinden soll."

P o s t u l a t N r . 325 (Nationalrathsbeschluß vom 24. Juni 1884): ,,Die Eingangs erwähnten Motionen werden erheblich erklärt.

Der Bundesrath wird eingeladen, darüber Bericht und eventuell Anträge zu hinterbringen, ob eine Revision der Bundesverfassung zu beschließen sei, und bejahenden Falls, auf welche Artikel derselben sie sich auszudehnen habe."

Zu jenen Motionen gehört diejenige des Herrn S. Vögelin, welche folgenden Passus enthält: ,,Die Bundesversammlung ladet den Bundesrath ein, zu prüfen, ob nicht die Bundesverfassung in folgenden Richtungen zu revidiren sei :

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3. Zu Art. 34 (Fabrikgesetzgebung) : a. Analoge Bestimmungen wie für die Fabrikarbeiter sind zu treffen zum Schutze derjenigen Personen, insbesondere derjenigen Kinder, welche in andern Gewerben oder Dienstverhältnissen arbeiten.

b * P o s t u l a t N r . 419 (Ständerathsbeschluß vom 17. Juni 1889): ,,Der Bundesrath wird eingeladen, die Frage der obligatorischen Berufsgenossenschaften in ihrer Gesammtheit und insbesondere in der Richtung zu prüfen, ob nicht in das eidgenössische Fabrikgesetz als Kapitel III a, Art. 16 a, eine Zusatzbestimmung folgenden Inhalts aufzunehmen sei : Die Kantone sind ermächtigt, für die Bedürfnisse gewisser Industrien obligatorische Berufsverbände zu schaffen."

Daß das mit diesem Postulat erstrebte Ziel nicht auf dem vorgesehenen Wege (Zusatz zum Fabrikgesetz), sondern nur durch Verfassungsrevision erreicht werden könne, haben wir in unserm Bericht an die Bundesversammlung betreuend vier Beschlüsse der Räthe zum Bundesgesetz über die Arbeit in den Fabriken, vom 3. Juni 1891, dargethan (Bundesbl. III, 194). Um allfälligen Mißverständnissen vorzubeugen, bemerken wir ausdrücklich, daß wir durch die Aufzählung des obigen Postulats betreffend ,,obligatorische Berufsverbändett diese Frage keineswegs präjudiziren wollen, sondern deren Lösung der künftigen Gesetzgebung vorbehalten möchten.

P o s t u l a t Nr. 449 (Nationalrathsbeschluß vom 9. April 1891): .,Der Bundesrath wird eingeladen, die Frage zu prüfen, ob es nicht angezeigt wäre, durch ein Spezialgesetz oder durch entsprechende Ergänzung des elften Titels des eidgenössischen Obligationenrechts, handelnd vom ,,Dienstvertrag", gesetzliche Bestimmungen über folgende Punkte aufzustellen: 1. daß der ganze Betrag des Lohnes den Arbeitern regelmäßig in kurrentern Geld auszubezahlen, und die Ausrichtung von Löhnen in der Form von Verabfolgung von Waaren oder überhaupt auf einem andern Wege, als mittelst Baarbezahlung, als null und nichtig zu erklären sei; 2. daß kein Lohnabzug irgend welcher Art stattfinden dürfe, der nicht vertraglich vereinbart worden wäre; 3. daß jeder Arbeitgeber gehalten sein solle, seinen Arbeitern mindestens alle 14 Tage den Lohn auszubezahlen, unter

369 Beobachtung der in Art. 10 des Fabrikgesetzes enthaltenen Vorschriften.

Diese Bestimmungen würden keine Anwendung auf Dienstboten und auf diejenigen Landarbeiter finden, welche bei dem Arbeitgeber Kost und Wohnung haben.

Der Bundesrath wird das Brgebniß seiner Untersuchungen in einem Berichte niederlegen und den eidgenössischen Käthen darauf bezügliche Anträge unterbreiten."

Wenngleich diese Motion auf das Obligationenrecht Bezug nimmt, so berührt sie doch in eingreifender Weise Verhältnisse gewerblicher Arbeiter, deren Regelung in der Gewerbegesetzgebung Platzrunden könnte und sollte.

S t ä n d e r a t h s b e s c h l u ß vom 9. Juni 1892 (vom Nationalrathe wurde das Traktandum verschoben): ,,Der Bundesrath wird eingeladen, zu prüfen und darüber zu berichten, ob auf eine Revision von Art. 31 der Bundesverfassung einzutreten sei, und im Falle der Bejahung, in welchem Sinne."

Dieser Beschluß wurde anläßlich unseres oben erwähnten Berichts vom 3. Juni 1891 und in der Meinung gefaßt, daß die Frage einer Verfassungsrevision behufs Ermöglichung der Gewerbegesetzgebung zu untersuchen sei.

Eine ähnliche Bedeutung kommt zu dem N a ^ t i o n a l r a t h s b e s c h l u ß vom 17. Juni 1892, welcher die 0Motiou Favon « ,,in Betracht, daß der Ständerath mit Einmuth und unter Zustimmung des Vertreters des Bundesrathes bereits beschlossen hat: ,Der Bundesrath' etc. (s. oben Ständerathsbeschluß vom 9. Juni 1892"), daß infolge dessen der Bundesrath im Falle sein wird, auch alle diejenigen Fragen zu prüfen, welche in der Motion Favon speziell, genannt sind, daß es somit nicht nöthig ist, dem Bundesrath einen Auftrag neuerdings zu ertheilen, den er bereits übernommen hat, im Sinne dieser Erwägungen nicht erheblich erklärt."

Die Motion Favon, vom 20. Januar 1892, hatte gelautet: ,,Der Bundesrath wird eingeladen, über die Frage Bericht und Antrag einzubringen, ob es nicht angezeigt wäre, Art. 31 der Bundesverfassung im Sinne der Ermöglichung der Bildung von Berufsgenossenschaften zu modifiziren, welche die Aufgabe hätten :

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1. die Arbeitsverhälthisse in den verschiedenen G-ewerben zu regeln ; 2. die Elemente zu Bestellung ständiger Schiedsgerichte zu bilden, welche von Rechts wegen alle Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu entscheiden hätten.

,,Er wird eingeladen, insbesondere nachfolgende Punkte zu prüfen : ,,Empfiehlt es sich, in der Schweiz obligatorische Berufsgenossenschaften in's Leben zu rufen?

,,Empfiehlt es sich eher, freiwillige Berufsgenossenschaften mit gesetzlichen Kompetenzen zu dem Zwecke auszurüsten, um für jedes Gewerbe zu ordnen: a. den Normalarbeitstag; b. den Minimallohn; c. das Lehrlingswesen, und die genaue Anwendung des Gesetzes über die Arbeit in den Fabriken, sowie die hygieinischen Verhältnisse der Arbeitslokale zu überwachen."

B u n d e s b e s c h l u ß vom 16./20. Juni 1892: ,,Der Bundesrath wird eingeladen, in Verbindung mit der Frage der Revision des Art. 31 der Bundesverfassung die Frage zu prüfen und darüber Bericht und Antrag zu stellen, ob der Bund über den Schutz weiblicher Arbeiter, insbesondere über die Arbeitszeit des Dienstpersonals in Wirthschaften, ein Gesetz erlassen solle."

Wir brauchen kaum beizufügen, daß der Gegenstand dieses Beschlusses (gelegentlich der Begründeterklärung einer Beschwerde der schweizerischen Bahnhofrestaurateure gefaßt) seiner Natur nach durchaus in die künftige Gevverbegesetzgebung des Bundes gehört und darin berücksichtigt werden muß, nachdem die verfassungsmäßige Kompetenz geschaffen sein wird ; unsere eigentlich^ Berichterstattung wird daher bis dahin zu verschieben sein.

Aus dem Angeführten ist im Allgemeinen zu ersehen, daß die Räthe einerseits auf eine Reihe von Punkten verwiesen, welche durch den Bund geregelt werden sollen, andererseits zu diesem Zweck eine Revision der Verfassung in Aussicht nahmen. Warum wir letztere nicht bei Art. 31, sondern bei Art. 34 anknüpfen möchten, werden wir unten darlegen.

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Die gewerbliche Enquête 1882--1883.

Wie der Botschaft über die gewerbliche Enquête vom 20. November 1883 (Bundesblatt IV, 547) zu entnehmen ist, machten sich auch damals lebhafte Klagen über unhaltbare Zustände in Handwerk und Gewerbe geltend. Unter den daherigen Begehren erwähnt die Botschaft folgendes, vom Gewerbeverein Luzern, Gewerbeverein Wald, der Sektion Handwerker des Basler Gewerbevereins, dem schweizerischen Schuhmacherverein, dem Handwerkeruud Gewerbeverein des Kreises Aarau, von verschiedenen Amtsstellen und Privaten vertretenes Desiderat: ,,Aufstellung einer schweizerischen Gewerbeo r d n u n ga , indem sie bemerkt, daß dieses Begehren vor seiner Vollziehung eine Revision der Bundesverfassung erfordere. Als Gebiete, auf denen die Gesetzgebung eintreten sollte, waren erwähnt: das Lehrlingswesen, das Verhältniß zwischen Meister und Arbeiter, die Bildung von Genossenschaften etc.

In Berücksichtigung dieses Ergebnisses und des Postulats Nr. 321 (s. oben) wurde zunächst das Studium der Frage betreffend die Verhältnisse der Handwerksmeister, Gesellen und Lehrlinge an die Hand genommen, und dem schweizerischen Gewerbeverein mit Schreiben des damaligen Handels- und Landwirthschaftsdepartements vom 2. April 1885 der Auftrag ertheilt, in dieser Richtung eingehende Erhebungen zu veranstalten und bezüglichen Bericht und Vorschläge vorzulegen.

Als eine Ergänzung der gewerblichen Enquête können betrachtet werden die ,,Erhebungen über die Verhältnisse zwischen Arbeitgeberinnen, Arbeiterinnen und Lehrtöchtern"1, welche der S c h w e i z e r F r a u e n v e r b a n d auf Wunsch des oben erwähnten Departements veranstaltete. Wir können nicht umhin, Einiges aus dieser verdienstlichen Arbeit, welche im Druck erschienen ist (.April 1887), anzuführen, da hiedurch die bestehenden Zustände am besten illustrirt werden.

Schon die Materialgewinnuug war mit Schwierigkeiten verbunden. ,,Die hauptsächlichste war wohl dadurch zu erklären, daß dem Unternehmen vielerorts großes Mißtrauen entgegengebracht wurde, da ebeu der Bestand der zahlreichen Uebelstände von manchen Arbeitgebern aus guten Gründen nicht gerne an's Licht gezogen, und von manchen Arbeiterinnen und Lehrtöchtern aus Furcht, ihre Stelle zu verlieren und allerlei Unannehmlichkeiten ausgesetzt zu sein, verschwiegen wurde."

372 Ueber die von den T ö c h t e r n durchzumachende L e h r e wird unter Anderai bemerkt: ,,Manche halten nur Lehrtöchter (bis zu 20). Andere, größere Geschäfte, eine Arbeiterin oder Zuschneiderin und bis zu 13 Lehrtöchter. Der Nachtheil der zu großen Zahl liegt darin, daß die einzelne Lehrtochter durchaus nicht zur selbständigen Erlernung ihres Berufes gelangt, sondern nur in einzelnen Spezialarbeiten (z. B. Knopflochmachen, Aermelnähen, Hutfüttern u. s. w.) Uebung erhält. Wo auf eine Arbeiterin zahlreiche Lehrtöchter kommen, müssen letztere oft nur Handreichungen leisten, Heften, Vernähen, wie z. B. in einem Weißwaarengeschäft Zürichs, das nicht vereinzelt dasteht, sie nie an's Maschincnnähen, geschweige denn Zusehneiden, kommen. Bei sehr geringer Lehrtöchterzahl (l oder 2) ist der Nachtheil, daß die Mädchen oft bei Meisterinnen, die es mit ihrer Pflicht nicht sehr genau nehmen, mehr mit Ausgängen oder Hausarbeiten, als mit der Erlernung ihres Berufes beschäftigt werden. Es scheinen jedenfalls in dieser Hinsicht die Uebelstände bei dem Lehrtöchterweseu größer zu sein als bei den Lehrlingsverhältnissen, was wohl leicht dadurch zu erklären ist, daß das von Hause aus mit Handarbeiten mehr oder weniger vertraute und darin- geschickte Mädchen von Seiten der Lehrmeisterin mit Vortheil als billige Arbeitskraft ausgenützt werden kann. Die Versuchung, den eigenen Vortheil demjenigen der ihr zur Ausbildung übergebenen Lehrtochter voranzustellen, liegt nahe."

An anderer Stelle wird erwähnt, ,,daß gewissenlose Meister oder Meisterinnen unter Vorspiegelung einer gründlichen Lehrzeit bis auf 20 Lehrtöchter bei einer oder zwei Arbeiterinnen halten und dabei die Lehrzeit bis auf 3 oder 4 Jahre ausdehnen*.

Ueber die A r b e i t s z e i t fia den sich folgende bezeichnende Angaben : ,,Die Durchschnittszahl der Arbeitsstunden ist 12.

Einige Arbeitgeberinnen rechnen 11 Stunden im Winter, 12 im Sommer.

Aber einstimmig lauten die Antworten dahin, daß dieses Maximum häufiger überschritten als innegehalten wird. Bei Berufsarten, die je nach der Jahreszeit .eine regere und ruhigere Periode kennen, wird oft die Arbeitszeit in der ,,Saison" auf 18 und mehr Stunden ausgedehnt und auch der Sonntag in Anspruch genommen. Die ,,Saison" im Frühling, Herbst und zu Weihnachten erstreckt sich in einigen Branchen auf 2 bis 3
Monate (Schneiderinnen, Konfektion, Modes u. s. w.). Ausnahmen bilden die Geschäfte, welche nur 10 Stunden Arbeitszeit angeben, ebenso glücklicherweise diejenigen, in welchen r e g e l m ä ß i g von 6 oder 7 Uhr Morgens bis 12 Uhr Nachts gearbeitet wird.

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,,Es wird angeführt, daß an einzelnen Orten den Lehrtöchtern sogar bei M a n g e l an Arbeit keine freien Stunden gewährt würden, um aus Interesse für die Firma diesen Umstand nicht bekannt werden zu lassen."

Bezüglich L e h r v e r t r ä g e liest man: ,,Mehrfach wird betont, daß gewöhnlich die Lehrtöchter durch den Vertrag in keiner Hinsicht geschützt sind, und gewünscht, daß bestimmte Regeln betreffend Arbeitszeit, gründliches Unterweisen in allen im Beruf 'vorkommenden Arbeiten u. s. w. aufgestellt würden."

Verlangt wird, daß die Lehrverträge durch ein einheitliches ,,Gewerbegesetza bedingt werden.

",,Von vielen Seiten w ü r d e n ö f f e n t l i c h e P r ü f u n g e n von L e h r t ö c h t e r n , wie sie auch bei den Knaben seit Jahren mit Erfolg durchgeführt werden, s e h r begrüßt. Die daraufhin ausgestellten Zeugnisse hätten auf Grund einer unparteiischen fachmännischen Prüfung einen praktischen und moralischen Werth. Sowohl die Lehrtöchter würden mit regerem Eifer lernen, als auch die Lehrmeisterinnen ihren Verpflichtungen besser nachkommen, wenn solche Prüfungen allgemein eingeführt würden."

Interessant ist auch die Mittheilung, daß die Erlaubniß zum Besuch eines von einem Gewerbeverein veranstalteten Zuschneidekurses verweigert wurde, ,,z. B. in einem der größten Weißwaarengeschäfte Zürichs unter dem Verwände, die andern Lehrtöchter würden eventuell alle dem Beispiele auch folgen wollen".

Endlich sei noch folgender Satz wiedergegeben, welcher die A r b e i t e r i n n e n betrifft : ,,Häufig sind auch die Klagen über Ausnützung der Arbeitskräfte, und da, wo Arbeiterinnen bei der Arbeitgeberin wohnen, die ofta mangelhafte Ernährung, ebenso über ungesunde Arbeitsräume.

Der schweizerische Gewerbeverein.

Die vom Centralvorstaud in Vollziehung des oben erwähnten Auftrages unternommenen Erhebungen erschienen ihm bedeutender Lücken wegen nicht genügend, ,,um einen richtigen Einblick in die wirklichen Verhältnisse des Lehrlings- und Gesellenwesens in der ganzen Schweiz zu gewinnen". Er übermittelte daher den Sektionen das vorläufige ,, E r g e b n i ß der in den S e k t i o n e n des schweizerischen Gewerbevereins gemachten Erh e b u n g e n b e t r e f f e n d ' das Lehrlings- und Gesellen-

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w e s e n " (9. Mai 1886) zur Prüfung und Vervollständigung, und ließ außerdem als Diskussionsgrundlage den ,, E n t w u r f e i n e s Bundesgesetzes betreffend die Verhältnisse der Gew e r b e t r e i b e n d e n , Arbeiter und Lehrlinge", alsden wichtigsten und dringendsten Theil einer allgemeinen Gewerbeordnung, mitfolgen, in der Annahme, auf solcher Grundlage eher und sicherer zum Ziele zu gelangen, als durch erneute Fragenstellung. Der Vorlage vom 9. Mai 1886 entnehmen wir folgende beachtenswerthe Bemerkungen des Centralvorstandes : ,,Es ist gewiß nur zu begrüßen, daß für Hebung des Gewerbes ein Schritt weiter versucht werden soll und daß die Bundesbehörden beim ersten betreffend gewerbliche Bildung nicht stehen bleiben wollen.a (Vergleiche auch Bericht der nationalräthlichen Kommission vom 8. März 1884 und der ständeräthlichen vom 3. Mai 1884 betreffend die gewerbliche Enquête, welche mit Entschiedenheit weiteres Vorgehen in der Richtung einer Gewerbegesetzgebung verlangen.)

4, Wir müssen jedoch annehmen, daß sie sich auch nicht mit einer bloßen Ergänzung des schweizerischen Obligationenrechts, resp.

mit genauerer Regulirung des Dienstverhältnisses zwischen Meister und Lehrjunge resp. Geselle zu begnügen gedenken.

,,Sollen Handwerk und Kleingewerbe gehoben, einigermaßen lebensfähig und mit dem Auslande, das zu diesem Zwecke keine Opfer scheut, konkurrenzfähiger gemacht werden, so bedarf es einer gründlichen U m g e s t a l t u n g von unten nach oben, wozu alle Instanzen unserer öffentlichen Gewalt gegenseitig und gemeinsam mitzuwirken haben, mehr aber noch die Angehörigen des Gewerbestandes selbst. Mit Stück- und Flick werk wird wenig oder nichts erreicht. Eine solche Umgestaltung muß das Uebel an der W u r z e l fassen, welche im L e h r l i n g s w es e n und in der damit in engster Beziehung stehenden V o l k s b i l d u n g liegt."

Auch in der Untersuchung des Gewerbevereins begegnen wir ähnlichen Klagen, wie in der vom schweizerischen Frauenverband geführten, so z. B. : ,,Die Lehrlinge werden als billige Arbeitskräfte ausgenützt, der Meister bekümmert sich wenig um ihre Ausbildung, so daß dem Pfuscherthum gewaltig Vorschub geleistet wird." (Schwyz.)

,,Leider kommt es öfters vor, daß ein Meister mehr Lehrlinge hält, als er auszubilden im Stande ist." (Winterthur.) ,,Es gibt Geschäfte
und Werkstätten, die mehr Lehrlinge halten als Angestellte oder Gesellen, ja die den an sie gestellten Anforderungen jahraus, jahrein nur durch Lehrlinge zu genügen suchen. Ob dies im Interesse des Handwerks geschieht oder nicht, ist bald beantwortet." (Zürich.)

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Die D e l e g i r t e n V e r s a m m l u n g e n in A a r a u (26. Juni 1887) und Zug (3. Juni 1888) beschäftigten sich mit der Angelegenheit. Letzterer lag ein ,, B e r i c h t des C e n t r a l v o r s t a n d e s . . . . z u m z w e i t e n E n t w u r f eines B u n d e s gesetzes betreffend die Verhältnisse der Gewerbet r e i b e n d e n , A r b e i t e r u n d L e h r l i n g e " nebst letztem!

Entwurf vor. Die Delegirtenversammlung in Zug (vertreten waren 44 Sektionen durch 77 Delegirte) beschloß: a. ,,den vom Centralvorstande redaktionell bereinigten (Gesetzes-) Entwurf der ßundesbehörde in Erledigung des erhaltenen Auftrages übermitteln und zugleich erklären zu lassen, daß der schweizerische Gewerbeverein die Anhandnahme weitererAbschnitte einer Gewerbeordnung in Berat.hung genommen habe ; b. ,, f ü r eine n ä c h s t e R e v i s i o n der Bundesverfassung das Postulat e i n e r a l l g e m e i n e n s c h w e i z e r i s c h e n G e w e r b e o r d n u n g aufzustellen./ ,,Der Centralvorstand ist eingeladen, hiefür die zweckdienlichen Schritte zu thun."

Die bezüglichen Mittheilungen an die Bundesbehörde erfolgten durch Schreiben des Centralvorstandes vom 27. Dezember 1888.

Den eingeschlagenen Weg weiter verfolgend, nahm sodann die D e l e g i r t e n v e r s a m m l u n g vom 16. Juni 1889 in Z u rich, an welcher 51 Sektionen mit 95 Delegirten vertreten waren, folgende, den Sektionen vorher gedruckt ausgetheilte Anträge des Referenten (Herr W. Krebs, Sekretär des schweizerischen Gewerbevereins) an: ,,Die D e l e g i r t e n v e r s a m m l u n g des schweizerischen G e w e r b e V e r e i n s wünscht, d a ß i n d a s B u n d e s v e r f a s s u n g s r e v i s i o n s - P r o g r a m m der E r l a ß einer schweizerischen G e w e r b e o r d n u n g a u f g e n o m m e n w e r d e . In diesem Gesetze sollten folgende Grundsätze Beachtung finden: "a. Die Angehörigen des Gewerbestandes sind in Berufsgenossenschaften der Arbeitgeber und der Arbeiter einzutheilen, welche unter Aufsicht des Staates die nöthigen Bestimmungen betreffend ihre Organisation aufstellen und über gemeinsame Interessenfragen gemeinschaftlich berathen. Von der Wiedereinführung unzeitgemäßer Zunftformen ist abzusehen. Den Berufsgenossenschaften,, sind korporative Rechte (Vertretung der gemeinsamen Interessen vor Gericht,
Einführung von Gewerbegerichten und Einigungsämtern, Bestimmungen betreffend die Dauer der Lehrzeit, Normalzahl der Lehrlinge u. s. w.) einzuräumen. Vereinbarungen, welchen die Mehrheit der Arbeitgeber wie der Arbeiter einer Genossenschaft zustimmen, sind für die Fachgenossen im betreffenden Genossenschaftsbezirke verbindlich und genießen des gesetzlichen Schutzes.

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,,fr. Die Anlage und der selbstständige Betrieb gewisser Gewerbe, zu deren richtiger Ausübung es erhöhter Fachkenntnisse des Unternehmers bedarf, durch deren Mangel Leben, Gesundheit, gute Sitten und Eigenthum der Mitmenschen gefährdet werden können, sind von einer besondern Konzession abhängig zu machen.

,,c. Der Hausirhandel und der Detailverkehr der Handelsreisenden mit Privaten sind im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft nach den Grundsätzen der Einheit und Freizügigkeit zu regeln und zu besteuern. Der Hausirhandel mit Waaren, deren Natur den Betrug oder die Uebervortheilung des Käufers erleichtert oder sittliche Gefahren in sich schließt (z. B. mit Uhren, Gold- und Silberwaaren, Arzneien und Geheimmitteln, chemischen Produkten, explosiven Stoffen, Prämienloosen, Lieferungswerken mit Lotteriegewinnsten oder Prämien etc.), ist zu verbieten oder an geeignete Beschränkungen zu knüpfen.

,,d. Für die Beschäftigung von Frauenspersonen oder von jugendlichen Arbeitern sind Schutzmaßregeln zur Verhütung von Ueberanstrengung oder Gefährdung der Gesundheit und Sittlichkeit zu treffen. Die Geschäftsinhaber sin'd verpflichtet, alle zum Schutze der Gesundheit und zur Sicherheit gegen Verletzungen dienlichen Mittel anzuwenden. -- Die gewerbliche Arbeit an Sonntagen ist zu untersagen, soweit nicht die Natur der Gewerbe solche gebietet oder Ausnahmsfälle als zuläßig erscheinen läßt.

^e. Staat und Gjtneinden haben allen bei den Gewerben (im weitesten Sinne) Betheiligten (Geschäftsinhaber, Angestellte, Arbeiter, Hülfsarbeiter, Lehrlinge) geeignete, möglichst billige und zuverläßige Gelegenheit zu bieten, sich gegen Unfall, Krankheit und Invalidität zu versichern. In der Verwaltung solcher Versicherungskassen sind die Berufsgenossenschaften möglichst zur Mitwirkung herbeizuziehen. "· Außerdem wurde beschlossen : ,,Die Delegirtenversammlung des schweizer. Gewerbevereins erklärt sich mit einer partiellen Revision der Bundesverfassung einverstanden in dem Sinne, daß die h. Bundesbehörden selbst dieselbe vornehmen, um die Anhandnahme der dringlichsten sozialen Eragen zu ermöglichen. Der Centralvorstand des schweizerischen Gewerbevereins wird beauftragt, nach Einholung allfälliger Wünsche der Mitglieder den Entwurf einer schweizerischen Gewerbeordnung in den Hauptzügen auszuarbeiten und denselben den Sektionen zur Begutachtung vorzulegen."

Auch nachher verfolgte der Gewerbeverein die, Angelegenheit mit großer Zähigkeit und Ausdauer, und keine Delegirtenversamm-

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lung ging vorüber, ohpe daß sie immer wieder ihr Ceterum censeo ausgesprochen hätte. Um diese interessanten Akten historisch zu vervollständigen, fügen wir die ergangenen Resolutionen nachstehend bei.

Beschluß der D e l e g i r t e n v e r s a m m l u n g vom 15. Juni 1890 in A l t o r f (vertreten 52 Sektionen mit t>8 Delegirten): ,,Der Centralvorstand des schweizerischen Gewerbevereins wird beauftragt, gestützt auf die Anträge und Ausführungen der Herren Referenten und nach Anhörung der Sektionen und der Delegirtenversammlung innert Jahresfrist Bericht und Antrag betreffend ein schweizerisches Gewerbegesetz, wenn möglich in einem formulirten Gesetzesentwurf, den Bundesbehörden vorzulegen."1 Beschluß der D e l e g i r t e n v e r s a m m l u n g vom 14. Juni 1891 in B e r n (vertreten 58 Sektionen mit 124 Delegirten): fl Der Centralvorstand wird, oamentlich in Anbetracht, daß die ausdehnende Anwendung des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken ihre äußerste Grenze erreicht, wenn nicht überschritten hat, eingeladen, bei den Bundesbehörden dahin zu wirken, daß mit aller Beförderung ein schweizerisches Gewerbegesetz erlassen, bezw. zunächst die Kompetenz für ein betreffendes Bundesgesetz begründet werde." c Anläßlich der Beantwortung eines Kreisschreibens unseres Industrie- und Landwirthschaftsdepartements vom 30. Juli 1891 {Bundesbl. IV, 81) hat der Cenlralvorstand des schweizerischen Gewerbevereins in einem gedruckten B e r i c h t vom 15. Januar 1892 den letzterwähnten Beschluß der Bundesbehörde offiziell mitgetheilt und, gestützt auf erneute Kundgebungen aus den Sektionen, der im schweizerischen Gewerbestand herrschenden Stimmung entschiedenen Ausdruck gegeben.

Beschluß der Del e g i r t e n V e r s a m m l u n g vorn 12. Juni 1892 in S c h a f f h a u s e n (vertreten 62 Sektionen mit 111 Delegirten): ,,Die Delegirtenversammlung etc.

in Erwägung: 1. Die rasche Entwicklung der Technik, des Verkehrs und der sozialpolitischen Zustände rufen immer dringlicher nach einer umfassenden und zeitgemäßen gesetzlichen Regelung des Gewerbewesens.

2. Die Ausdehnung der eidgenössischen Fabrikgesetzgebung auf Handwerk und Kleingewerbe hat die zuläßige Grenze überschritten. Es ist daher in der schweizerischen Gewerbegesetzgebung Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. V.

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dea verschiedenartigen Verhältnissen und Bedürfnissen im Handwerk und Kleingewerbe Rechnung zu tragen, also sind in mehrfachen Riehtungen nur Normen aufzustellen, deren Anwendung den betheiligten Berufsgenossenschaften (selbstverständlich unter Oberaufsicht und Mitwirkung der Behörden) übertragen wird.

3. Damit Vereinbarungen betreffend Lohntarif, Werkstattordnung u. dgl. auf friedlichem Wege zu Stande kommen und die gegenseitigen Rechte und Pflichten in gerechter und billiger Weise gewahrt werden können, bedarf es gemeinsamer, gesetzlicher Organe (Genossenschaftskammern), in welchen Arbeitgeber und Arbeiter zu gleichen Theilen sich durch selbst gewählte Vertrauensmänner vertreten lassen, beschließt : I. Wir e r w a r t e n von einem s c h w e i z e r i s c h e n Gewerbegesetz: a. Die staatlich geregelte und geschützte Organisation des Gewerbestandes in Berufsgenossenschaften und Genossenschaftskammern 5 b. die Regelung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber, Arbeiter und Lehrling, namentlich im Sinne des bessern Schutzes der betheiligten Interessen (vgl. den von der Delegirtenversammlung in Zug 1888 berathenen Btindesgesetzesentwurf) ; c. erweiterte staatliche Förderung des Gewerbewesena durch obligatorische Einführung der Lehrliagspvüfungen, durch Unterstützung wohlgeordneter Werkstattlehre, sowie der gewerblichen Bildung überhaupt; d. Sicherung der Gesundheit und des Lebens der im Gewerbebetriebe betheiligten Personen; e. die zweckmäßige Regelung des staatlichen Submissionswesens.

II. Wir e r w a r t e n speziell bei der g e s e t z l i c h e n Regel u n g d e r B e r u f s g e n o s s e n s c h a f t e n , bezw. Genossenschaftskammern, die Anerkennung folgender Grundsätze: a. Es sollen den beruflichen Verhältnissen entsprechende Organisationen in engern oder weitern Berufsgruppen geschaffen werden ; b. Arbeitgeber und Arbeiter berathen und beschließen Über gemeinschaftliche Berufsinteressen innerhalb ihrer Kompetenzen.

Die Rechte und Pflichten sind für beide Parteien in gleicher Weise festzustellen und es haben die unter den gesetzlichen Voraussetzungen gefaßten Beschlüsse für alle Genossenschafter Geltung ;

379 c. es sind gemeinsame Ausschüsse (Genossenschaftskammern) zu bilden.

Diese aus den Vertrauensmännern beider Interessenparteien zusammengesetzten Organe sind bestimmt, die Ordnung im Gewerbe und den Frieden unter den Berufsgenossen zu wahren, die gemeinsamen Berufsinteressen zu fördern und bei staatlichen Maßnahmen zur Hebung des Gewerbe- und ArbeiterStandes den Behörden als sachkundige Berather zu dienen.

Es werden ihnen demnach folgende hauptsächliche Befugnisse ertheilt : 1. Abfassung von Gutachten zu Händen der Behörden, 2. Feststellung von Normen betreffend Arbeitslohn, Arbeitszeit, Kündigungsfrist, normale Lehrdauer, Normalzahl der Lehrlinge, eventuell unter Vorbehalt behördlicher Genehmigung,.

3. Errichtung gemeinsamer Arbeitsnachweisstellen, 4. Verwaltung von Hülfs- und Unterstützungskassea (Wanderunterstützung, Invaliden- und Altersversicherung u. s. w.), 5. Mitwirkung bei der staatlichen Unfall- und Krankenversicherung mittelst Beaufsichtigung der Betriebseinrichtungen, Begutachtung von Schadenvergütungen u. s. w.; d. die Genossenschaftskammern können auch als Einigungsämter (zur Verhütung von Arbeitseinstellungen) oder als gewerbliche Schiedsgerichte funktioniren.

III. D e r C e n t r a l v o r s t a n d w i r d b e a u f t r a g t , d i e h . B u n desbehörden zu ersuchen, es möchte gemäß den frühern Vereins besohlüssen die Partialrevision d e r B u n d e s v e r f a s s u n g b e h u f s E r m ö g l i e h u n g einer s c h w e i z e r i s c h e n G e w e r b e g e s e t z g e b u n g mit aller B e f ö r d e r u n g a n d i e H a n d g e n o m m e n werden."

Zu betonen ist, daß der schweizerische Gewerbeverein mit den angeführten Beschlüssen der Haltung, die er bereits früher in dieser Angelegenheit eingenommen, treu geblieben ist, indem schon in den Delegirtenversammlungen vom 18. April 1880 in A a r a u und vom 1. März 1881 in Z ü r i c h die Anbahnung eines schweizerischen Gewerbegesetzes allgemein als eine der nächsten Aufgaben des am 18. Januar 1880 neu gegründeten schweizerischen Gewerbevereins bezeichnet und in der D e l e g i r t e n v e r s a m m l u n g vom 26. Februar 1882 in Z ü r i c h der Vorstand formell mit der Verfolgung dieser Aufgabe beauftragt wurde.

Wir sind in .diesem Kapitel etwas ausführlich gewesen, um zu zeigen, daß Handwerk und Gewerbe, deren Vertretung vor Allem

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im schweizerischen Gewerbeverein zur Geltung kommt, mit aller Kraft und Beharrlichkeit eine eidgenössische Gewerbegesetzgebung, die sie als geradezu unentbehrlich betrachten, anstreben.

Der schweizerische Grütliverein und der schweizerische Arbeiterbund.

Theilweise durch die oben bezeichneten Vorgänge wurde seiner Zeit bewirkt, daß das alle Postulat der Arbeitervereine betreffend Ausdehnung der Arbeiterschutzgesetzgebung wieder in den Vordergrund trat. Als einer hauptsächlichsten Kundgebung in dieser Richtung erwähnen wir folgender, an der D e l e g i r t e n v e r s a m m l u n g des s c h w e i z e r i s c h e n G r ü t l i v e r e i n s vom 23. Juni 1888 in G l a r u s gefaßten, vom Centralkomite vorbereiteten Resolution: ,,Die gelegentlich des eidgenössischen Grütlifestes in Glarus tagende Versammlung erklärt: Die Ausarbeitung eines vollständigen, umfassenden Bundesgesetzes betreffend das Gewerbewesen, das den Charakter eines allgemeinen Arbeiterschutzgesetzes tragen soll, ist eine dringende Anforderung der Zeit.

,,Da zum Einführen der allgemeinen, obligatorischen und staatlichen Unfallversicherung eine theilweise Revision der Bundesverfassung in nächster Zeit erfolgen muß, ist es angezeigt, gleichzeitig dahingehend zu revidiren, daß der Bund befugt ist, ein Gewerbegesetz zu erlassen.

,,Der Central vorstand des Grütlivereins ist beauftragt, derjenige des schweizerischen Arbeiterbundes ersucht, diese Begehren beförderlichst den Bundesbehörden einzureichen. (Unterblieb bis jetzt.)

,,Die Grundsätze des Fabrikgesetzes sollen auf alle Gewerbe ausgedehnt werden. Die Lohnzahlung hat durch baare Münze alle 8 Tage zu geschehen."

In ähnlichem Sinne sprach sich der ,, A l l g e m e i n e s c h w e i z e r i s c h e A r b e i t e r ta g" (Delegirten Versammlung des schweizerischen Arbeiterbundes) vom 7. April 1890 in Ö l t e n aus, indem er beschloß: ,,1. Es sei eine Partialrevision der Bundesverfassung zu verlangen, welche dem Bunde die Kompetenz gib.t, das gesammte Gewerbewesen des Landes auf dem Wege der Gesetzgebung zu regeln.

,,2. Die Versammlung spricht ihre Ueberzeugung dahin aus, daß es eine kaum lösbare Aufgabe sein dürfte, das Gewerbewesen auf einmal durch ein umfassendes Gesetz zu ordnen.

381 ,,Die Aufgabe ist daher successive zu lösen und zwar in der Weise, daß a. durch Schaffung der Berufsgenossenschaften mit korporativen Rechten und unter strenger Ausscheidung der Organisation der Arbeiter und Gewerbsinhaber der Boden hergestellt wird, auf weichern die gegenseitige Verständigung der Gewerbegenossen vor sich gehen und die Industrie- und Gewerbegesetzgebung erblühen kann ; b. der vorhandene Anfang der Gewerbegesetzgebung, der im Fabrikgesetz von 1877 liegt, den Zeitverhältnissen entsprechend weitergebildet wird und c. auf dem Boden der berufsgenossenschaftlichen Erfahrungen und mit Rücksicht auf die sich unter unsern Augen vollziehende Umwandlung des Kleinbetriebes zur Industrie auch die übrigen Gewerbe einer gesetzgeberischen Regelung unterstellt werden.

,,3. ' Der Arbeitertag erklärt sich des Weitern mit den aufgestellten Grundsätzen betreffend die Organisation von Berufsgenossenschaften und die Erweiterung der Fabrikgesetzgebung (Thesen Scherrer) besonders auch mit der Forderung des zehnstündigen Maximalarbeitstages einverstanden.

,,4. Er beauftragt die Behörden des Arbeiterbundes, beförderlich alle geeigneten Schritte zu thun, um den gewünschten Reformen zum Durchbruch zu verhelfen."

Die kantonale Gesetzgebung.

Eine ausführliche Darstellung der kantonalen Gewerbegesetzgebung enthält schon die anläßlich der gewerblichen Enquête erschienene und Ihnen mitgetheilte Schrift: ,, D i e G e w e r b e g e s e t z g e b u n g in der S c h w e i z " , III. Theil der vom schweizerischen Gewerbeverein veranstalteten Enquete, verfaßt von Herrn Ständerath Dr. G r ö t t i s h e i m . Wir halten es nicht für nothwendig, den Gegenstand an dieser Stelle, nochmals zu behandeln, nur daran sei in Kürze erinnert, daß in wenigen Kantonen ( Z ü r i c h : "Gesetz über das Gewerbswesen im Allgemeinen und das Handwerkswesen in's sBesondere"' vom 9. Mai 1832 und,,Polizeigesetzz für Handwerksgesellen, Lehrlinge, Fabrikarbeiter, Tagelöhner und werbswesen" vom 7. November 1849; B a s e l - S t a d t : ,,Verordnung über das Verhältniß der Gesellen und Arbeiter zu ihren Meistern und Arbeitgebern in Bezug auf Ein- und Austritt und unbefugtes

382 Verlassen der Arbeit"1 vom 13. April 1859; Basel-Land: ,,Gesetz über das gesammte Handels-, Gewerbs- und Berufswesen" vom 10. Dezember 1855; S c h a f f h a u s e n : ,,Gesetz über das Gewerbewesen" vom 1. Mai 1855; S t . G a l l e n : ,,Gesetz betreffend den Handwerksstand11 vom 6. Juni 1832; W a l l i s : ,,Gesetz über den freien Handelsverkehr und die freie Gewerbs- und Kunstausübung a vom 27. Mai 1857) eine eigentliche Gewerbegesetzgebung besteht, und daß sie Vieles enthält, was veraltet oder durch Bundesverfassung (Handels- und Gewerbefreiheit) und Bundesgesetzgebung (betreffend die Arbeit in den Fabriken, Obligationenrecht etc.) außer Kraft gesetzt ist. (Seither ist noch erlassen worden im Kanton N e u e n b u r g : ,,Loi sur la protection des apprentis" vom 21. November 1890. Vergi, auch Dr. J. S c h o l l en b e r g e r: Die schweizerischen Handels- und Gewerbeordnungen. I. Hälfte. Zurich 1889.)

Es kann nicht davon die Rede sein, auf eine zu schaffende m o d e r n e r e G e s e t z g e b u n g der K a n t o n e abzustellen, denn einerseits ist der Natur der Sache nach eine durchgreifende Besserung nur von einer Bundesgesetzgebung, nicht von einer nothwendigerweise vielgestaltigen, auf das Gebiet des einen und andern Kantons beschränkten und daher großen Theils wirkungslosen Kantona.lgesetzgebung zu erwarten, andererseits bedürfte es auch für letztere so wie so einer Revision der Bundesverfassung, weil deren Art. 31 den zu treffend en'Malinahmen vielfach entgegenstehen würde und daher den Kantonen erst die nöthige bundesverfassungsmäßige Kompetenz ertheilt werden müßte. Jedenfalls wird es vorzuziehen sein, diese Kompetenz dem Bunde zu übertragen, um so mehr, als sonst Jahrzehnte verstreichen dürften, bis nur die Mehrzahl der Kantone von der ihrigen Gebrauch gemacht haben würde.

Herr Ständerath Dr. G ö t t i s h e i m schließt seine oben erwähnte Arbeit mit folgenden Worten, deren Anführung hier am Platze sein möchte: flAm Schlüsse unserer Darstellung der schweizerischen Gesetzgebung über Handel, Industrie, Handwerk und Landwirthschaft angelangt, erhalten wir die Empfindung, daß zwar schon Vieles versucht, Manches auch ausgeführt worden sei, daß aber immerhin noi;h große Gebiete für die Zukunft zu bearbeiten übrig bleiben.

Dabei kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, daß, wenn
auf den genannten Gebieten etwas Ersprießliches geleistet werden soll, dies nur geschehen könne, wenn der Bund entweder die bezügliche Gesetzgebung ganz in seine Hand nimmt, oder aber durch Beiträge, die an von ihm aufgestellte Bedingungen geknüpft werden, die Kantone dazu bringt, von sich aus einem einheitlichen Ziele zuzustreben. Gerade die so wichtige Gewerbegesetzgebung und

383 die darin enthaltenen Bestimmungen über das Handwerk mit ihren unzweifelhaft guten und auch heute noch durchführbaren Vorschriften sind ein Beweis dafür, wie nöthig eine Initiative dés Bundes ist, um Leben in diese Gesetzgebung zu bringen. Wohl bestehen die Bestimmungen auf dem Papier, wohl müßten sie, wirklich durchgeführt, von guten Folgen sein; aber man wagt es nicht mehr, Angesichts der bestehenden Freizügigkeit und gewährleisteten Gewerbefreiheit in den engen Schranken eines Kantones Grundsätze durchzuführen, welche Schlagbäume nicht vertragen und ihrer innern Natur nach nationale Geltung verlangen. Wir geben uns daher der Hoffnung hin, daß zunächst der Erlaß einer schweizerischen Gewerbeordnung oder, wenn man lieber will, eines eidgenössischen Gewerbepolizeigesetzes nicht mehr allzu lange-auf sich warten lasse.

Dabei setzen wir voraus, daß nicht die alten Einrichtungen von zwangsweise vorgeschriebenen Innungen u. dgl. wieder eingeführt werden sollen, sondern daß die Gesetzgebung sich darauf beschränke, zum Schutz jener Bestrebungen einen gesetzlichen Rahmen- zu liefern, welcher der freiwilligen Vereinigung richtig verstandener Interessen den nöthigen moralischen Halt, die finanzielle Unterstützung und die Waife gegen leichtsinniges und selbstsüchtiges Gebahren von mißleiteten Genossen gewähre."

Nachzutragen ist, daß einzelne Kantone dea Versuch unternommen haben oder zu unternehmen im Begriffe stehen, speziell Arb e i t e r n und A r b e i t e r i n n e n , welche nicht unter dem Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken stehen, einen gewissen Schutz angedeihen zu lassen ( Z u r i e h : Gesetzesentwurf betreffend den Schutz der Arbeiterinnen; L u z e r n : Gesetzesentwurf betreffend den Schutz der Arbeiterinnen ; 0 b w a l d en: Gesetz betreffend Schutz der Arbeiter vorn 24. April 1887; G l a r u s : Gesetz betreffend Arbeiterschutz vom 8. Mai 1892; B a s e l - S t a d t : Gesetz betreffend den Schutz der Arbeiterinnen vom 23. April 1888; St. G a l l e n : Gesetzesentwurf betreffend Schutz der Arbeiterinoen und die Arbeit der Bediensteten in den Ladengeschäften und Wirthschaften).

f

Umrisse einer künftigen Bundesgesetzgebung.

Es kann sich nicht darum handeln, jetzt schon genau das Gebiet zu umschreiben, über welches sich eine künftige eidgenössische Gewerbegesetzgebung erstrecken wird. Einmal soll die Verfassungsrevision nicht unternommen werden, nur um den nächsten Bedürfnissen Genüge zu leisten, sonderò auch um Anforderungen, die sich erst in der Zukunft geltend machen werden, begegnen zu können ; die Verhältnisse, welche in den fortschreitenden Zeiten sich

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bergen und welche einer Regelung durch Bundesgesetzgebung bedürftig sein werden, lassen sich nicht alle voraussehen, und es ist daher geboten, sich in dieser Beziehung das Weitere vorzubehalten.

Sodann wäre es, wie gemachte Erfahrungen übrigens bestätigen, ebenso wenig klug, sich bezüglich dessen, was zunächst geschehen soll, die Hände zu binden ; mancher Punkt, der jetzt in die Gesetzgebung einbezogen werden will, wird im weitern Verlauf fallen gelassen, wie auch das umgekehrte Verhältnis sich ergeben wird.

Vor Allem aber werden wir uns hüten, jetzt schon in Einzelheiten einzutreten; es wird erst Sache einläßlichster Untersuchung uud des Zusammenwirkens aller betheiligten Faktoren sein, die Elemente der künftigen Bundesgesetzgebung, für welche zunächst nur die verfassungsmäßige Grundlage geschaffen werden soll, zu bestimmen.

Aus analogen Gründen enthalten wir uns auch einer Vergleichung der a u s l ä n d i s c h e n G e s e t z g e b u n g . , Es geschieht nur zur Orientirung, w e n n ä w i r i m Nachstehenden die Materien andeuten, welche zunächst Gegenstand der Bundesgesetzgebung werden dürften, indem wir beiläufig daran erinnern, daß e i n z e l n e T h e i l e der Gewerbegesetagebung (im weiteren Sinne) vom Bunde bereits g e r e g e l t sind (Bundesgesetze betreffend die Arbeit in den Fabriken, die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb, die Ausdehnung der Haftpflicht, den Schutz der Fabrik- und Handelsmarken, die Erfiudungspatente, die gewerblichen Muster und Modelle, das Obligationenrecht, die Kontrolirung und Garantie des Feingehalts der Gold- und Silberwaaren, den Handel mit Gold- und Silberabfällen, Bundesbeschluß betreffend die gewerbliche und industrielle Berufsbildung etc.).

Es ist nicht zu verkennen, daß Handwerk und Gewerbe nach mannigfachen Richtungen hin im Argen liegen. Wenn auch wohl in's Auge gefaßt werden muß, daß ein Theil des Schadens von der Entwicklung und Verbreitung der maschinellen Großproduktion herstammt und nicht abwendbar ist, so bleiben doch andere Uebel, denen eher abgeholfen werden kann. Vor Allem zeigt sich in jenen Gebieten eine gewisse Zerfahrenheit, verursacht dadurch, daß der Einzelne seinen Kampf um das Dasein schroff und ohne Rucksicht auf die allgemeinen Interessen durchrührt. Damit steht in naturlicher Verbindung, daß die Existenzbedingungen mehr und mehr
verschlechtert und schließlich auf ein unerträgliches Niveau herabgedrückt werden. Allgemein ertönt daher der Ruf nach Assoziation, um die widerstreitenden Kräfte zu ersprießlichem Zusammenwirken zu konzentriren.

Die Bundesgesetzgebung dürfte sich also mit dem G e n o s s e n s c h a f t s w e s e n zu befassen haben ; auf rein privatem Boden

385 droht, von Ausnahmen abgesehen, die Kraft zur Erstrebung des Ziels nicht auszureichen. Welcher Art die einzuführenden oder zu unterstützenden Organisationen sein würden, kann hier nicht bestimmt werden; jedenfalls werden es nicht die veralteten Gewerbekorporationen, wie die Zünfte sie darstellten, sein, und es wird sich schon fragen, ob der Bund zur Bildung von obligatorischen Berufsverbänden, welche durch Mehrheitsbeschluß der Betheiligten gegründet würden, die Hand bieten wird. So weit aber kann sich z. B. seine nützliche Mitwirkung erstrecken, daß er die Bildung und die Thätigkeit wenigstens freiwilliger Berufsverbände fördert und unterstützt, wozu die Gesetzgebung die nöthigen Mittel zur Verfügung zu stellen hat. Immerhin wollen wir der spätem Lösung der Frage jetzt weder im eiuen noch im andern Sinne vorgreifen, dagegen möge uns gestattet sein, an dieser Stelle dem Drängen gewisser Kreise einige sehr beherzigenswerte Worte entgegenzuhalten, welche Herr Dr. S t o c k b a u e r am 17. Verbandstng bayerischer Gewerbe vereine vom 19. April 1892 in Nürnberg ausgesprochen : ^Ist nun die Handwerkerbewegung der Neuzeit jetzt zu einem gewissen Abschluß gelangt, so mag dieses uns zu einem kurzen geschichtlichen Rückblick veranlassen. Der Befähigungsnachweis hat die Zünfte nicht vor dem Verfall bewahrt, er hat sich von 1862 bis 1868 nicht bewährt, er hat in Oesterreich keine der daran geknüpften Erwartungen erfüllt.

,,Die alten Zünfte konnten nur zu einer Zeit, in der die Gewerbe lokal begrenzt waren und eine starke obrigkeitliche Behörde jeden egoistischen Auswuchs erdrückte, wohlthätig wirken.

,,Das erweiterte Verkehrswesen hat die lokalen Grenzen gebrochen, die Maschinen haben einen großen Theil des Arbeitsgebietes in andere Bahnen gedrängt, der Handwerker von heute muß viel mehr können, wissen und arbeiten als früher; die Gemeinsamkeit der Interessen ist vielfach der engherzigsten Konkurrenz unterlegen.

,,Die Innungen hatten durch die Zusätze zur Gewerbeordnung 1881 ganz wesentliche Rechte erlangt; die Hoffnungen, die man auf diese Gesetze gesetzt hatte, haben' sich nur wenig erfüllt.

Zwangsinnungen sind der Natur der Sache nach unmöglich, denn es gibt zu viele Wege, diesem Zwange aus dem Wege gehen zu können.

^Mitten in den Strömungen des Handwerks stehen unsere freien Gewerbevereine,
deren ältester heuer sein hundertjähriges Jubiläum feiern kann. Sie hatten und Iwben keine autoritative Bedeutung, kein vom Gesetze ihnen übertragenes Recht wie die alten und die neuen Innungen und doch hat sich ihre Zahl stets vermehrt, ihre Mitgliederzahl vergrößert. Männer aus allen Berufsklassen, der

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Wissenschaft, der Technik, der Kunst und des Handels sind ihre Mitglieder und bringen Anregung und Leben in die gewerbliche Thätigkeit. Soll uns das nicht ein Fingerzeig sein, daß nur freie Assoziationen unserer Zeit homogen sind und in das moderne Kulturleben als nützlicher, lebendiger und Leben gebender Faktor sich einfügen ?a (Bayerische Gewerbezeitung Nr. 9Ì10, 1892.)

An dieses Kapitel schließt sich durch innere Verwandtschaft an dasjenige der G e w e r b e g e r i c h t e in ihren verschiedenen Formen. Das Bedürfniß nach beschleunigter, wohlfeiler und technisch sachverständiger Rechtsprechung durch Berufsgenossen (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) macht sich seit Langem und vielfach geltend, so daß einzelne Kantone veranlaßt wurden, bezügliche Vorschriften zu erlassen. Die wohlthätige Institution muß an Werth bedeutend gewinnen, wenn sie, auf einheitlichem Rechte beruhend, allgemein wird, und es dürfte eine dankbare Aufgabe der Bundesgesetzgebung sein, ein solches Recht zu schaffen, wobei wohl eine möglichst freiheitliche Grundlage zu wählen und büreaukratisches Reglernentiren zu vermeiden wäre.

Die leider nur zu richtige Brkenntniß, daß den die Gewerbe Ausübenden die Berufstüchtigkeit sehr oft abgehe, daß die diesem Grunde zuzuschreibenden schlechten Leistungen das Ansehen des Berufes schwer schädigen und damit auch den tüchtigen Meister in bedrohliche Mitleidenschaft ziehen, hat in den weitesten Kreisen zum Bestreben geführt, diesem Grundübel zu begegnen und hiefür die Intervention des Staates zu veranlassen. Offenbar muß die Abhülfe, wenn sie wirksam werden soll, bei der ersten Stufe der gewerblichen Berufsbildung ansetzen und sich vor Allem eine Regelung des L e h r l i n g s w e s e n s zur Aufgabe machen. Es mußte wohl durch entsprechende Vorschriften verhütet werden, daß der Lehrling nur in einer Spezialität leidlich ausgebildet werde, um als billige Arbeitskraft ausgenützt werden zu können, oder daß er nur als Handlanger diene und bezüglich der Erlernung des Berufes gänzlicher Vernachlässigung anheimfalle. Woher sollen Handwerk und Gewerbe die technisch und sittlich tüchtigen Elemente, welche allein den Verfall aufhalten können, nehmen, wenn die Lehre schlecht oder illusorisch ist? An der Gesetzgebung wird es darum sein, das Verhältnis zwischen Meister und Lehrling durch Aufstellung
einer Reihe von Normen über den L e h r v e r t r a g zu regeln, und sodann der Beibringung des Ausweises über erlangte Berufstüchtigkeit ( L e h r l i n g s p r ü f u n g ) ihre Aufmerksamkeit zu widmen. In ersterer Richtung wird es sich speziell darum handeln, die gegenseitigen Rechte und Pflichten festzustellen, die möglichste Gewähr für tüchtige und allseitige Berufserlernung --

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wir denken besonders auch an die Benutzung der Handwerkerund gewerblichen Fortbildungsschulen und ähnlicher Institutionen -- einzuführen, die Modalitäten der Auflösung des Veitragsverhältnisses zu bestimmen und jedenfalls auch dem Meister thunliehst Schutz gegen das vorzeitige Verlassen der Lehre Seitens halbfertiger Lehrlinge zu bieten. Einer besondern Untersuchung bedarf die Frage, ob die Befugniß, überhaupt Lehrlinge zu halten, auf gewisse hiezu qualifizirte Personen (z. B. Mitglieder von Genossenschaften) zu beschränken sei, und ob es sieh im Weitern empfehle, bezüglich der Maximalzahl der in einem Geschäfte zu haltenden Lehrlinge Grenzen aufzustellen.

Um Mißverständnisse zu vermeiden, betonen wir, daß unsere Ausführungen, auch im Nachfolgenden, sich auf die Angehörigen beider Geschlechter beziehen.

Im Interesse eines geordneten Gewerbebetriebs liegt des Weitern, daß auch die Verhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Geselle, Arbeiter, Gehülfe etc.) allgemein gewissen rechtlichen Normen unterliegen. Nennen wir das bezügliche Gesetzgebungskapitel unmaßgeblicherweise A r b e i t s v e r t r a g . Dieser wird Bestimmungen über die gegenseitige Kündigung, über die Bedingungen, unter welchen Entlassung und Austritt ohne Kündigung stattfinden dürfeo, über die Berechtigung zum Bezug voo Bußen, über die allfällige Höhe und Verwendung der letztern, über den Termin und die Art der Lohnzahlung, über ,,Décompte"1 etc. enthalten.

Wir nähern uns schon im Arbeitsvertrag derjenigen Gruppe staatlicher Vorschriften, welche unter den bekannten Begriff A r l ) e i t e r s c h u t z g e s e t z g e b u n g fallen und dem Postulat der Ausdehnung des Bundesgesetzes betreöeud die Arbeit in den Fabriken entsprechen.

Es ist in der That nicht einzusehen, daß die Fürsorge des Staates sich nur auf die in den ,,Fabriken11' arbeitenden Personen erstrecken solle, während die Existenzbedingungen der in andern Betrieben Beschäftigten oft viel schlechtere sind. Der Vorwurf, Ausnahmegesetzgebung zu sein, ist der Fabrikgesetzgebung nicht mit Unrecht gemacht worden, und wenn sie aueh nicht ohne Weiteres auf andere Verhältnisse übertragbar ist, so kann doch in der Weise einem berechtigten Verlangen entsprochen werden, daß ein vernünftiger Schutz auch für die nicht in der Industrie beschäftigten Lohnarbeiter geschaffen
werde und somit die den Fabrikarbeitern gewidmete Fürsorge des Staates nicht mehr als ein Privilegium sich darstelle. Eine solche gleichmäßigere Behandlung wird den herrschenden Anschauungen über Recht und Billigkeit besser entsprechen, als der bisherige Zustand der Ungleichheit.

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Eia .leitender Gesichtspunkt für die Intervention des Staates zu Gunsten der in nicht-industriellen Betrieben beschäftigten Personen -- Erwachsene' und Kinder beiderlei Geschlechts -- ist, wie bei d e r Fabrikgesetzgebung, d i e S o r g e f ü r G e s u n d h e i t u n d L e b e n der Genannten, mit dem doppelten Endzweck, die Bedingungen des Daseins der Einzelnen und der Familien besser zu gestalten, und die Kraft der Nation durch Heranziehung gesunder Generationen zu erhalten und zu vermehren.

Vor Allem dürfte daher die Gesetzgebung jedem Gewerbeunternehmer die Pflicht auferlegen, ,,zum Schutze der Gesundheit und zur Sicherheit gegen Verlegungen . . . . alle erfahrungsgemäß und durch den jeweiligen Stand der Technik, sowie durch die gegebenen Verhältnisse ermöglichten Schutzmittel" anzuwenden, um uns des Wortlauts in Art. 2 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken zu bedienen. Besondere Aufmerksamkeit ist der hygieinischen Beschaffenheit der Arbeitsräume (Werkstätten etc.) zu widmen und, wenn natürlich bei bestehenden in baulicher Beziehung weniger streng verfahren werden darf, eine spezielle Koutrole über neu zu bauende oder einzurichtende zu üben.

Hier .würde auch die Frage sich anschließen und durch genaue Untersuchung zu erledigen sein, ob nicht durch die Gesetzgebung der vollziehenden Behörde die Vollmacht zu ertheilen sei, gewisse besonders gesundheitsschädliche Beschäftig u n g e n ganz oder bedingungsweise (z. B. filr Frauen und Kinder) zu verbieten; ferner könnte es sich darum handeln, Gewerbe, deren Betrieb mit ausnahmsweisen Gefährlichkeiten für Gesundheit und Sicherheit der direkt Betheiligten oder der Bevölkerung der Umgebung verbunden ist, an eine zu ertheilende K o n z e s s i o n zu binden oder wenigstens besondern Vorschriften (z. B. betreffend die Dampfkessel) zu unterstellen.

Eine andere Kategorie von gesetzlichen Vorschriften wird die Verhütung nachtheiliger U e b e r a n s t r e n g u n g der in den verschiedenen Gewerbebetrieben Beschäftigten zum Ausgangspunkt haben. Vorläufig durfte dies in erster Linie zu Gunsten der weiblichen und jugendlichen Personen (man denke z. B. an die Arbeiterinnen und Lehrtöehter der Konfektionsbranche, die Wirthschaf'tsbediensteten etc.) geschehen ; Gegenstand von Maßnahmen wären: die Regelung der gewöhnlichen Arbeitszeit;
die Beseitigung der Sonntagsarbeit, soweit nicht der betreffende Gewerbebetrieb seiner Natur nach sie verlangt; Beschränkung der Nachtarbeit auf das unumgänglich Nothwendige (in Wäschereien der Fremdenorte z. B. wäre sie nicht ganz zu entbehren) etc. Auf die erwachsenen männlichen Arbeiter ist sodann der Schutz in dem Maße auszudehnen,

389 daß der betreffende Betrieb noch existenzfähig bleibt. So mußten wir z. B. ein Initiativkomite von Bäckern und Bäckergesellen in Lausanne, welches mit Eingabe vom 20. November 1889 um Reduktion der täglichen Arbeitszeit auf ein Maximum von 14 Stunden und um Beseitigung der Sonntagsarbeit im Bäckereigewerbe petitionirte, auf eine durch Verfassungsrevision zu ermöglichende spätere Gewerbegesetzgebung vertrösten.

Endlich könnte die Gewerbegesetzgebung noch eine wichtige "Wohlfahrtseinrichtuug berücksichtigen, nämlich die K r a n k e n k a s s e n u n d ä h n l i c h e I n s t i t u t i o n e n . S i e werden zwar auch durch die Gesetzgebung über Kranken- und Unfallversicherung theilweise in Mitleidenschaft gezogen werden, aber es wird nützlich sein, gewisse Verhältnisse, welche von der Versicherungsfrage unabhängig sind, gewerbegesetzlich zu regeln, um vorkommende Uebelstände nicht weiter bestehen zu lassen. Bezüglich der letztern verweisen wir auf unser Kreisschreiben an die Kautone vom 2. Oktober 1888 (Bundesbl, IV, 156), dessen Inhalt wir hier nicht wiederholen, sondern nur dahin resümiren, daß dem Bunde wenigstens für diejenigen Kassen, welche nicht für die Krankenversicherung herangezogen werden, die Kompetenz fehlt, Vorschriften über Betheiligung der Arbeiter an der Verwaltung und betreffend Sicherstellung der Kassengelder zu erlassen. Es ist höchst wünschbar und dieli von einzelnen Kantonen als Antwort auf jenes Kreisschreiben auch ausgesprochen worden, daß der Bund diesem Zustand ein Ende mache. Ob bezüglich der Unterstützungskassen noch in anderen Richtungen gesetzgebend vorzugehen sein wird, behalten wir weiterer Untersuchung vor.

Deßgleichen mag bei der Ausarbeitung der Gewerbegesetzgebung selbst geprüft werden, über w e l c h e G e b i e t e letztere sich erstrecken und welches im Besondern die Stellung der landnnd forstwirthschaftlichen Gewerbe sein solle, sowie ferner, welche O r g a n e f ü r d i e B e a u f s i c h t i g u n g d e r Durchführung aufgestellter Vorschriften vorzusehen seien, wie denn überhaupt die vorstehende Skizze nicht Anspruch auf Vollständigkeit macht.

Die Verfassungsrevision, Noch in unserer Botschaft über die gewerbliche Enquête vom 20. November 1883 sprachen wir die Ansicht aus (Bundesbl. IV, 588), daß die für Einführung einer ,,Gew erbeordnung a nöthige Revision ,,wenigstens dermalen" vermieden werden sollte.

Die Situation hat sich seither in der Weise ganz erheblich geändert, daß man vor einer partiellen Revision der Verfassung

390 nicht mehr zurückschreckt und daß, wie wir gesehen, die Schaffung der Befugniß zur Gewerbegesetzgebung ein dringendes Bedürfniß geworden ist.

Wir übersehen nicht, daß ein T h e i l d i e s e r K o m p e t e n z allerdings schon jetzt vorhanden ist, in dem Sinne, daß bezüglich der Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewisse gesetzliche Bestimmungen auf Grund von Art. 64 der Verfassung, vom Obligationenrecht handelnd, erlassen werden könnten.

Wie aber aus dem Wortlaut dieses Artikels sofort ersichtlich ist, würde er keineswegs ausreichen, um irgend welche Vorschriften polizeilicher Natur zu gestatten, so daß nur ein kleiner Theil dessen, was gethan werden sollte -- wir verweisen auf uusere obigen Ausführungen -- erledigt würde. Will man auf den bisher vom Bunde noch nicht bearbeiteten Gebieten der Gewerbegesetzgebung umfassendere Aufgaben lösen, so bleibt nichts übrig, als eben zur Revision zu schreiten.

Man könnte vielleicht versucht sein, in folgendem Satz von Art. 34 der Verfassung: ,,Ebenso ist er (der Bund) berechtigt, Vorschriften zum Schutze der Arbeiter gegen einen die Gesundheit und Sicherheit gefährdenden Gewerbebetrieb zu erlassen", wenigstens theilweise die fehlende Handhabe zu finden. Wir machen jedoch darauf aufmerksam, daß, im Zusammenhang mit dem übrigen Theil des Art. 34, Absatz l, gelesen, die citirte Bestimmung mehr in dem Sinne sich darstellt, wonach unter ,,Gewerbebetrieb" 1 der industrielle Gewerbebetrieb ,,in den Fabriken" verstanden ist. Zu Gunsten dieser Auffassung spricht auch der französische Text des Art. 34, Absatz l, lautend : ,,La Confédération a le droit de statuer des prescriptions uniformes sur le travail dea enfants dans les fabriques, sur la durée du travail qui pourra y être imposé aux adultes, ainsi que sur la protection à accorder aux ouvriers contre l'exercice des industries insalubres et dangereuses."

Den nämlichen Standpunkt bezüglich der engern Auffassung des Art. 34 haben wir in unserer B o t s c h a f t b e t r e f f e n d den Gesetzesentwurf über die Arbeit in den Fabriken, vom 6. Dezember 1875 (Bundesbl. IV, 921), eingenommen, wie folgende Stellen daraus zeigen : ,,Der Gresetzesentwurf, welchen wir Ihnen vorlegen, behandelt ausschließlich Verhältnisse der Fabrikarbeit, betrifft nur die Unternehmer von Fabriken und die Arbeiter in Fabriken. Es wird dieß als eine ausnahmsweise Behandlung einzelner Klassen von Bürgern

391

angefochten. Es wird darauf hingewiesen, daß, wenn Uebelstände bei der Fabrikarbeit sich finden, solche nicht minder in den übrigen Gebieten der Arbeit vorhanden seien ; daß Verletzungen und Tödtungen in andern Unternehmungen und in dem landwirtschaftlichen Betriebe nicht seltener vorkommen als in den Fabriken; daß Verwendung von Kindern, von Frauen auch in gewöhnlichem Gewerbebetrieb statthabe, und zwar unter oft noch weniger günstigen Verhältnissen, als dieß in den Fabriken der Fall sei ; daß die Lage der Arbeiter außer den Fabriken häufig noch mißlicher sei, als in diesen Anstalten ; daß es undemokratisch sei, durch eine besondere Gesetzgebung für die Fabrikarbeiter diese zu einer besondern, vor andern Arbeitern privilegirten Klasse von Bürgern zu stempeln u. s. w.

YjWir antworten hierauf ,,Im Uebrigen hat der'vorliegende Gesetzesentwurf, wie seine Grundlage, so auch seine bestimmte Schranke in der Bestimmung der Verfassung, welche ausschließlich von Kindern und erwachsenen Arbeitern in den Fabriken spricht und nur in Betreff dieser den Bund zur Aufstellung einheitlich er Vorschriften ermächtigt."

Auch die Mitunterzeichner der M o t i o n V ö g e l i n vom 23. Dezember 1887, lautend: ,,Der Bundesrath wird eingeladen, der Bundesversammlung einen Gesetzesentwurf vorzulegen, durch welchen die Bestimmungen zum Schutz der Frauen und Kinder, wie sie im Bundesgesetz vom 23. März 1877 betreffend die Arbeit in den Fabriken enthalten sind, auch auf weitere Gewerbe, insbesondere auf die Wirtschaften, ausgedehnt werden11, haben sich überzeugt, daß zur Verwirklichung dieses Gedankens vorab eine Verfassungsrevision nöthig sei, wie sie übrigens die frühere Motion Vögelin (Postulat Nr. 325, s. oben) selbst vorsah, und daher die Motion am 3. April 1889 im Nationalrathe zurückgezogen.

Gegenüber der angeführten Botschaft vom 6. Dezember 1875 haben wir allerdings in unserer B o t s c h a f t b e t r e f f e n d die A u s d e h n u n g der H a f t p f l i c h t vom 7. Juni 1886 (Bundesbl.

II, 689) einer etwas weiter gehenden Auffassung Raum gegeben, indem wir die Kompetenz zu jener Ausdehnung außer auf Art. 64 auch auf Art. 34 stützten. Aber dieß geschah nur in zweiter Linie und nicht mit besonderem Nachdruck. Jedenfalls ist eine aus Art. 34 abgeleitete Kompetenz zur Gewerbegesetzgebung in dem Sinne,'wie
gegenwärtige Vorlage letztere versteht, zum Mindesten sehr zweifelhaft. Abgesehen davon, daß außerdem, falls eine solche Befugniß wirklich bestände, sie nur zu beschränkten Maßregeln,

392 nämlich betreffend den Schutz von Gesundheit und Sicherheit der A r b e i t e r , berechtigte und daher für andere wichtige Theile einer Gewerbegesetzgebung gar nicht ausreichte, ziemt es sieh unseres Erachtens, eine klare, ehrliche Situation zu schaffen und vom Volke offen die rechtmäßige Vollmacht für Verwirklichung einer ihm unzweideutig dargelegten Absicht zu verlangen. Man wird dann später auch nicht den Vorwurf, verfassungswidrig zu handeln, zu hören bekommen.

Ein weiterer Punkt betrifft die. in Art. 31 der Verfassung gewährleistete ,, F r e i h e i t d e s H a n d e l s u n d d e r G e w e r b e " .

Steht diese der geplanten Gewerbegesetzgebung entgegen ? Wir halten nicht dafür. Art. 31 stellt die Regel auf, von welcher aber die Verfassung selbst verschiedene Aufnahmen zuläßt, so diejenigen Artikel, welche die Gesetzgebung betreffend Fabriken, Haftpflicht, Obligationenrecht, Gold- und Silberwaarenkontrole, Schutz fies gewerblichen Eigenthums etc., vorsahen oder ermöglichten. Die von uns vorgeschlagene Bestimmung betreffend das Gewerbewesen wird diese Ausnahmen nur um eine neue, durch die Verhältnisse dringend gebotene, vermehren.

Uebrigens wird die Gewerbegesetzgebung des Bundes berechtigter Freiheit nicht zu nahe treten und keine veralteten Formen wieder einfuhren. Ueberhaupt kann vernünftiger Weise, wie auch durch zahlreiche Entscheide festgestellt ist, der Sinn des Art 3l nicht sein, daß schrankenlose Freiheit herrschen solle, wie denn W. Röscher sagt: ,,Die wahre Freiheit will kein rechtmäßiges Interesse verletzen."

Wir sind also der Ansicht, daß eine Revision von Art. 31 nicht erforderlich, sondern daß, wie oben schon angeführt wurde, eia Zusatz zu Art. 34 in Form eines neuen Artikels das Richtige sei.

Im neuen Artikel 34ter eine A u s s c h e i d u n g zu treffen in Materien, welche dem Bund zur Regelung zugewiesen werden, und in solche, welche den K a n t o n e n verbleiben sollen, halten wir nicht für zweckmäßig. Die Gesetzgebung des Bundes wird sich jeweilen an ihre Zeit halten und den Kantonen während der zunächst liegenden Etappen noch genug Spielraum übrig lassen.

Endlich erinnern wir daran, daß der Versuch, dem Bunde die Kompetenz zu -einer Gewerbegesetzgebung zu verschaffen, nicht neu ist, indem der V e r f a s s u n g s e n t w u r f der n a t i o n a l r ä t h l i
c h e n K o m m i s s i o n , vom 19. April 1871, in Art. 32 folgende Bestimmung enthielt: ,,Der Bund wird über Gewerbsbetrieb und Gewerbspolizei...

einheitliche Vorschriften aufstellen.a

393

Die Aufnahme dieser vom Nationalrathe bis zur Schlußberathung festgehaltenen Bestimmung scheiterte indessen am Widerstand des Ständerathes.

Der Wortlaut des von uns vorgeschlagenen Verfassungsartikels bedarf nach vorstehenden Ausführungen keiner weitern Begründung.

Statt der einander theilweise deckenden Ausdrücke ,,Gewerbsbetrieb" und ,,Gewerbspolizei" (Entwurf der Nationalrathskommission vom 19. April 1871) wählten wir den einheitlichen ,,G e w e r b e wesen", welcher den weitern Vorzug bietet, daß. er allgemein verständlich und, was besonders wichtig, so weit ist, daß alle Kompetenzen, deren der Bund zur Gesetzgebung in den verschiedenen Materien bedarf, davon abgeleitet werden können. Einer komplizirteren Fassung, welche die Gesetzgebung von vornherein in gewisse Bahnen lenken wollte, .könnten wir nicht das Wort reden, denn letztere , soll sich ungezwungen den fortwährend wechselnden Verhältnissen anpassen.

Wir empfehlen Ihnen beiliegenden Entwurf eines Bundesbeschlusses zur Annahme und benutzen den Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 25. November 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. V.

26

394

(Entwurf.)

Bundesbeschluß betreffend

Ergänzung der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 durch einen Zusatz bezüglich des Rechts der Gesetzgebung über das Gewerbewesen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 25. November 1892, beschließt: I. Die Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 erhält folgenden Zusatz: ,,Art. 34»«.

,,Der Bund ist befugt, über das Gewerbewesen einheitliche Vorschriften aufzustellen."

II. Dieser Zusatz ist der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten.

III. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend Einführung des Rechts der Gesetzgebung über das Gewerbewesen. (Vom 25. November 1892.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1892

Année Anno Band

5

Volume Volume Heft

49

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

30.11.1892

Date Data Seite

366-394

Page Pagina Ref. No

10 015 944

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