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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die Erneuerung des Handelsvertrages mit Italien.

(Vom 16. Januar 1892.)

Tit.

Am 12. Februar letzten Jahres wurde von Herrn Minister Bavier in Rom der italienischen Regierung eine Note überreicht, durch welche wir den am 23. Januar 1889 zwischen der Schweiz und Italien abgeschlossenen Handelsvertrag kündeten. Da dieser Vertrag, gemäß Art. 17 desselben, vom 1. Februar 1891 an auf die Dauer eines Jahres kündbar war, so wird derselbe vom 12. Februar dieses Jahres an außer Wirksamkeit treten.

Zwei Ursachen machten diesen Schritt zur Notwendigkeit.

Einerseits war der Vertrag vom 23. Januar 1889 schon beim Abschluß desselben von uns nur als ein Provisorium von kurzer Dauer angesehen worden, das unseren Interessen nur in sehr beschränkter Weise entsprach, da es uns nicht möglich gewesen war, die Erhöhungen, welche der italienische Generaltarif von 1887 mit sich brachte, in genügendem Maße zu reduziren. Die Wirkungen des neuen Tarifsystems haben unsere Vermuthungen in der Praxis bestätigt; unsere Ausfuhr nach Italien hat von Jahr zu Jahr abgenommen, und die Klagen unserer Handelswelt sowohl gegen den Vertrag selbst, als gegen die Art der Anwendung und Auslegung desselben durch die italienischen Zollämter sind immer lauter und zahlreicher geworden. Dagegen hat Italien in diesem gleichen Vertrage, Dank unseren sehr mäßigen Vertragszöllen auf den Artikeln seines Außenhandels , nicht nur die Aufrechthaltung seiner günstigen Lage auf

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unserem Markte, sondern überdies die Möglichkeit gefunden, einen nenneuswerthen Theil der Erzeugnisse, welche es vor dem Bruch der Handelsbeziehungen mit Frankreich nach diesem Lande exportirte, in der Schweiz abzusetzen. Es war für uns von Bedeutung, das zu unserem Nachtheil gestörte Gleichgewicht innerhalb der Grenzen der Möglichkeit wieder herzustellen und zu diesem Zwecke auf der Basis einer billigen, unseren Handel nach Italien ebenfalls erleichternden Reziprozität ein neues Abkommen zu vereinbaren.

Das andere Motiv war, daß wir uns auf l. Februar 1892, auf welchen Zeitpunkt zuerst Frankreich und sodann Deutschland und Oesterreich-Ungarn die uns mit diesen Staaten verbindenden Verträge gekündet hatten, für jeden Fall freie Hand sichern mußten, um zum Besten unserer Interessen handeln zu können.

Wir theilten der italienischen Regierung mit, daß es in unserem Wunsche liege, Unterhandlungen für den Abschluß eines neuen Vertrages zu eröffnen.

Diese Unterhandlungen hätten im Laufe des letzten Sommers in Bern stattfinden sollen. Da jedoch die Verhandlungen der Schweiz wie auch Italiens mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn sich mehr, als vorauszusehen war, in die Länge zogen, so rückte der November heran, ohne daß die beiden Regierungen ihren ersten Intentionen hätten Folge geben können.

Von Seite Italiens wurde damals der Gedanke ausgesprochen, es möchte mit Rücksicht auf die kurze Frist, welche für die Vereinbarung und den Abschluß eines neuen Vertrages übrig blieb, zu einer Verlängerung des gegenwärtigen Vertrages Hand geboten werden. Die italienische Regierung bekundete im Uebrigen ihre Neigung für die Beibehaltung des status quo und ließ für den Fall, daß wir Reduktion der italienischen Eingangszölle verlangen sollten, sehr mühsame Verhandlungen voraussehen.

Wir antworteten, daß es uns zu unserem großen Bedauern nicht möglieh sei, uns dieser Ansicht anzuschließen. Wir sind in Wirklichkeit nicht in der Lage, das Wohlbefinden Italiens in Bezug auf den gegenwärtigen Vertrag theilen zu können. Deßhalb konnten wir weder in die Beibehaltung des status quo, welcher uns ungünstig ist, noch in eine Prorogation über den 12. Februar hinaus einwilligen, da wir uns zu diesem Zeitpunkt sowohl in Bezug auf den schweizerischen Generaltarif vom 'JO. April 1891, als in Bezug auf unsere Vertragstarife mit
Deutschland und Oesterreich-Ungarn in einer neuen Lage befinden werden. Ebenso ist nach unserer Ansicht nicht zu hoffen, daß wir uns durch das Mittel einer sog. MeistbegünstigungsUebereinkunft aus dieser Lage befreien können, weil wir in einer solchen

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Konvention sehr wahrscheinlich keine Gewähr für unsere speziellen Interessen finden würden. Die Perspektive, welche sich den beiden Staaten Mangels eines rechtzeitig abgeschlossenen Handelsvertrages mit dem 12. Februar 1892 eröffnet, wäre demnach ein vertragsloser Zustand mit allen schlimmen Folgen, welche ein solcher mit sich bringt, und wir haben aus diesem Grunde den Wunsch ausgesprochen, die Unterhandlungen unverzüglich eröffnet zu sehen.

Die italienische Regierung glaubte anfänglich diesem Wunsche nicht zustimmen zu sollen. Sie wiederholte zu -verschiedenen Malen die Ansicht, daß man sich an den status quo halten und diesen in jedem Falle als Basis für die Unterhandlungen nehmen müsse; höchstens könnten einige Abänderungen auf diplomatischem Wege oder vielleicht in einer besonderen Konferenz von technischem Charakter angebracht werden, in letzterem Falle einzig zur Aufklärung von Punkten, welche sich auf dem Korrespondenzwege nicht leicht in's Reine bringen lassen.

Nach langen Vorverhandlungen, mit denen wir uns hier nicht unnöthigerweise befassen wollen, einigten sich die beiden Regierungen schließlich über die Eröffnung wirklicher Unterhandlungen, und ihre Pelegirten versammelten sich in Zürich am 4. Januar d. J.

Wie jedoch nach solchen Präliminarien leicht vorauszusehen war, nahmen die Unterhandlungen bis jetzt einen langsamen und Schwierigkeiten bietenden Verlauf. Es fällt uns jedoch schwer, anzunehmen, daß dieselben nicht zu einer Verständigung führen werden. Zwei Staaten in einer Lage wie die Schweiz und Italien müssen darauf halten, unter allen Umständen in gutem Einklänge zu stehen. Eines der besten Mittel hiefür ist ein gerechter Handelsvertrag, in welchem beide Parteien gegenseitig den bezüglichen Produkten ihre Märkte öffnen. So lange die Unterhandlungen in Zürich andauern, werden wir deßhalb die Hoffnung nicht aufgeben, jenes Ziel zu erreichen.

Selbst für den Fall aber, daß ein neuer Vertrag in den nächsten Tagen unterzeichnet würde, könnte die gegenwärtig tagende Bundesversammlung vor ihrer Auflösung die Ratifikation desselben nicht mehr vornehmen. Die Vorbereitung der Botschaft und die Prüfung des Vertrages durch die Kommissionen der Räthe würde in jedem Falle eine gewisse, die voraussichtliche Dauer der gegenwärtigen Session überschreitende Zeit in Anspruch nehmen.
Inzwischen nähern wir uns dem 12. Februar, und es wird deßhalb die Sachlage zu prüfen sein, wie sie sich alsdann gestalten wird, sei es, daß wir in jenem Momente keinen abgeschlossenen Vertrag haben, sei es, daß der Vertrag unterzeichnet, aber noch nicht ratifizirt sei.

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Für den erstem Fall (Situation ohne Vertrag) genügen nach unserem Dafürhalten sowohl unsere allgemeinen Kompetenzen als diejenigen, welche uns durch den Art. 34 des Bundesgesetzes über das Zollwesen *), vom 27. August 1851, eingeräumt sind, um uns in die Lage zu setzen, jeder Eventualität zu begegnen. Sind wir am 12. Februar im Besitze unserer Aktionsf'reiheit, so werden wir, je nachdem sich die Sachlage gestalten wird, von derselben Gebrauch machen.

Im andern Falle (unterzeichneter, aber nicht ratifizirter Vertrag) glauben wir, daß es zu bedauern wäre, dem Handel der beiden Staaten die neuen, zu seinen Gunsten stipulirten Vortheile für eine Reihe von Wochen und vielleicht von Monaten vorzuenthalten. Wir ersuchen Sie demnach um die eventuelle Ermächtigung, den neuen Vertrag provisorisch in Kraft zu setzen, bis Sie selbst in der Lage sind, demselben Ihre Genehmigung zu ertheilen. Wir würden selbstverständlich von dieser Ermächtigung nur für den Fall Gebrauch machen, daß Italien seinerseits den neuen Vertrag auch auf unsere Produkte zur Anwendung bringt.

Indem wir Ihnen zu dem Ende den nachstehenden Beschlußentwurf zur Annahme empfehlen, benutzen wir diesen Anlaß, Ihnen, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung zu erneuern.

B e r n , den 16. Januar 1892.

Im Namea des Schweiz. Bundesvathes, Der Bundespräsident:

Häuser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

*) Art. 34. Insbesondere ist der Bundesrath befugt, unter außerordentlichen- Umständen, namentlich im Falle von Theurung der Lebensmittel, bei größeren Beschränkungen des Verkehrs der Schweizer von Seite des Auslandes u. s. w., besondere Maßregeln zu treffen und vorübergehend die zweckmäßig erscheinenden Abänderungen im Tarife vorzunehmen. Er hat indessen der Bundesversammlung bei ihrer nächsten Zusammenkunft von solchen Verfügungen Kenntniß zn geben, und dieselben können nur fortdauern, wenn die Bundesversammlung ihre Genehmigung ertlieilt.

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(Entwurf.)

Bnndesbeschlnß betreffend

die Erneuerung des Handelsvertrages mit Italien.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft des ßundesrathes 16. Januar 1892, beschließt:

vom

Für den Fall, daß vor dem nächsten Zusammentritt der Bundesversammlung ein neuer Handelsvertrag mit Italien unterzeichnet würde, ist der Bundesrath ermächtigt, denselben unter dem Vorbehalte der Gegenseitigkeit provisorisch in Kraft zu setzen.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die Erneuerung des Handelsvertrages mit Italien. (Vom 16. Januar 1892.)

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