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Bundesblatt 112. Jahrgang

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Bern, den 4. Februar 1960

Band I

Erscheint wöchentlich. Preti 3O Franken im Jahr, 16 Franken im Halbjahr zuzüglich Nachnahme- und Posü>estettv,ngsgebühr Einrüclcungsgebuhr: 50 Happen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stämpfli & Cie. in Bern, .

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Bericht des

Bumlesrates an die Bundesversammlung über ein Volksbegehren für die Einführung der Gesetzesinitiative im Bund :

(Vorn 29.Dezember 1959)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

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Wir beehren uns, Ihnen nachstehend unseren Bericht über das Volksbegehren für die Einführung der Gesetzesinitiative im Bund vorzulegen. Dieses Volksbegehren.ist am, 22.Dezember 1958 von der .Sozialdemokratischen,Partei der Schweiz mit 101 891 gültigen Unterschriften der Bundeskanzlei eingereicht worden. Es hat folgenden Wortlaut : «Die unterzeichneten stimmberechtigten Schweizerbürger verlangen auf dem Wege der Volksinitiative (Art. 121 der Bundesverfassung) die Einführung folgender Bestimmungen in der Bundesverfassung: :

'' ' Art. 93bis ·· ; , , 50 000 stimmberechtigte Bürger oder acht Kantone haben das Recht, den Erlass, die Abänderung oder die Aufhebung eines Bundesgesetzes oder eines allgemeinverbindlichen Bundesbeschluases zu verlangen.

, , Ein solches Begehren ist nur gültig und dem Volke zum Entscheid vorzulegen, wenn es nicht gegen die Bundesverfassung oder Verpflichtungen des Bundes verstösst, die auf Staatsverträgen beruhen. Es darf auch nicht die Änderung oder Aufhebung von Verwaltungsakten oder Gerichtsurteilen verlangen.

, Ein Begehren darf .nicht mehr als eine Gesetzesmaterie ,zum Gegenstand haben.

Das Begehren ist in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfes einzureichen.

Die Prüfung der Gültigkeit eines Begehrens ist Sache der Bundesversammlung.

Ist die Bundesversammlung mit dem Begehren,einverstanden, so erhält es, unter Vorbehalt von Artikel 89, Absatz 2 Gesetzeskraft., Sind nicht beide Bäte mit dem Begehren einverstanden, so ist dieses dem Volke zum Entscheid vorzulegen.

Bundesblatt. 112. Jahrg. Bd. I.

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362 Die Bundesversammlung kann dem Volke die Verwerfung des Begehrens beantragen ; sie kann ihm gleichzeitig einen Gegenvorschlag unterbreiten. , Art. 93'er .

Über das Verfahren bei der Behandlung von Gesetzesinitiativen 'wird ein Bundesgesetz das Nähere bestimmen.

II.

Art. 89, Abs, l , wird wie folgt ergänzt: «Vorbehalten bleibt jedoch Artikel 93Ma.»

III.

In Art. 113, Abs. 3 werden die Worte «von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze» ersetzt durch das Wort «Bundesgesetze».

Die Initiative enthält eine Eückzugsklausel zugunsten eines Gegenvorschlages der Bundesversammlung.

Der Ständerat und der Nationalrat haben am 12. bzw. 20.März 1959 von unserem Bericht vom 22. Januar 1959 (BEI 1959, I, 78) über das Zustandekommen des Volksbegehrens Kenntnis genommen und uns eingeladen, in der Sache selbst Bericht zu erstatten und Antrag zu stellen. Da es sich um ein formuliertes Volksbegehren handelt, haben die eidgenössischen Eäte innert 3 Jahren nach dessen Einreichung, d.h. bis zum 21.Dezember 1961, darüber Beschluss zu fassen, ob sie dem Begehren zustimmen oder nicht.

I. Frühere Bestrebungen auf Einführung der Gesetzesinitiative im Bunde

Wie wir in unserem Bericht vom S.Dezember 1952 über ein Postulat des Nationalrates betreffend die Einführung der Volksinitiative für die Bundesgesetzgebung (BEI 1952, III. 779) darlegten, hatten sich die eidgenössischen Behörden mit dem Problem der Gesetzesinitiative im Bund wiederholt zu befassen.

So war dieses Volksrecht bereits in der Verfassungsvorlage vorgesehen, welche in der Volksabstimmung vom 12. Mai 1872 verworfen "wurde. Die betreffende Bestimmung fand dann 187S Eingang in den neuen Eevisionsentwurf, wurde in der Folge aber wieder fallen gelassen. Eine im Nationalrat im Dezember 1893 eingereichte Motion griff die Frage der Gesetzesinitiative erneut auf; diese Motion wurde indessen 1896 zurückgezogen und von der Geschäftsliste gestrichen.

Im Jahre 1904 reichten die Kantone Zürich und Solothurn eine Standesinitiative ein, die ebenfalls die Einführung der Gesetzesinitiative zum Gegenstand hatte. Nach Prüfung des Vorschlages der beiden Stände beantragte der Bundesrat der Bundesversammlung die Aufnahme eines neuen Artikels 93bls in die Bundesverfassung, doch fand der bundesrätliche Entwurf vor den eidgenössischen Eäten keine Gnade.

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: Imi Zusammenhang; mit einer 1918 von Nationalrat Scherrer-Füllemann: eingereichten Motion betreffend die Totalrevision der Bundesverfassung kam auch die Frage der Einführung der Gesetzesinitiative -wieder zur Sprache; diese Motion wurde 1947 abgeschrieben. Das gleiche Schicksal hatte 1932 eine Motion von Arx vom Jahre 1930 erlitten, nach welcher der Bundesrat die bei der Beratung der S, tandesinitiative der Kantone Zürich und Solothurn vom Nationalrat verlangte Ergänzungsbotschaft hätte vorlegen sollen.

Schliesslich ist das am 4. Oktober 1950 vom Nationalrat angenommene Postulat, Arthur Schmid zu erwähnen, das die Frage der Gesetzesinitiative im Bund erneut aufgriff. In seinem schon erwähnten Bericht vom SjDezember 1952 vertrat der Bundesrat die Auffassung, den Vorteilen der Gesetzesinitiative stünden so schwerwiegende Nachteile gegenüber, !dass er die Einführung dieses Volksrechts nicht empfehlen könne. Am 26.März 1953 nahm der Nationalrat und am 4. Juni 1953 der Ständerat vorn bundesrätlichen Bericht in zustimmendem Sinne Kenntnis.

i . ' , ' . · . ' · II. Schatz der Reinheit der Verfassung durch die Gesetzesinitiative P

Initiantengruppen, die es anerkanntermassen gar nicht auf eine Verfassungsrevision, auf die Änderung und Fortbildung des' Verfassungsrechts des Bundes absehen, sondern auf Efläss oder Änderung von!Bestimmungen der Gesetzesstufe, greifen heute bisweilen zum Mittel der Verfassungsinitiative auf Partialrévision, indem sie sich darauf berufen, dass eben das passende Mittel, die Gesetzesinitiative, nicht zur Verfügung stehe. Hat eine solche Verfassungsinitiative Erfolg, so wird die Bundesverfassung mit Vorschriften belastet, die mit der Idee der Verfassung als Grundgesetz der Eidgenossenschaft nichts zu schaffen haben, sondern von Bechts wegen in; ein einfaches Bundesgesetz gehören würden. Als Beispiele werden häufig der Artikel über die Kursaalspiele (35) und über das Schächtverbot (25Ms) angeführt. In der Fassung vom T.Dezember 1958 ist nun zwar der Kursaalartikel nicht mehr aus einer Initiative, sondern aus einer Revisionsvorlage der Bundesversammlung hervorgegangen.

Bei der Würdigung dieser Kritik werden jedoch zwei Punkte nicht übersehen werden dürfen, ansonst man sich leicht einer Über treibung schuldig macht : 1. Auch Tejlreyisionen der Bundesverfassung, die auf Grund eines Antrages der Bundesversammlung zustande kommen, enthalten etwa Bestimmungen, die materiell keine obersten, Staatsgrundsätze darstellen und bloss den Rang von Gesetzesrecht, nicht die Würde von Verfassungsrecht, haben. Diesem Übelstand würde durch die Einführung der Gesetzesinitiative nicht abgeholfen.

2. Den Eindruck, dass die Bundesverfassung erniedrigt oder gar entweiht werde; erwecken bei manchen Beurteilern vorwiegend die Verfassungsklauselh, die in den besonders ausführlichen Zuständigkeitsartikeln, wie etwa dem Getreideartikel :(23Ws) und .dem Artikel über die-gebrannten Wasser (32Ws) vorkommen.

Diese Klauseln verfolgen in der Piegel den Zweck, dem Bundesgesetzgeber für die

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Ausübung einer neuen Zuständigkeit, etwa im Interesse der oft gegensätzlichen .Wirtschaftsgruppen,, allerlei Bindungen aufzuerlegen. Nun entstammen jedoch auf diese Vorbehalte zu Kompetenzbestiinmungen der Bundesverfassung überwiegend nicht Volksinitiativen, sondern Vorlagen der Bundesversammlung. Sie sind überdies weitgehend dem B e f e r e n d u m s d r u c k zuzuschreiben und insoweit fast immer unvermeidlich; mit dem Fehlen der Gesetzesinitiative haben sie nichts zu tun. Wenn einer neuen Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers nicht solche Präzisierungen, Wegleitungen und Einschränkungen mitgegeben würden, müsste manche Bevisionsvorlage Gefahr laufen, aus einem Misstrauen gegen den einfachen Gesetzgeber in der Abstimmung durch Volk und Stände verworfen zu werden.

Dem Bundesrat steht immerhin nicht an, zu erklären, dass der erwähnte Einbruch von Gesetzesrecht in die Bundesverfassung der Verfassungsidee und dem Charakter der .Bundesverfassung Eintrag tut ; er ist geeignet, den Grundwerten, welche die Verfassung verkörpert, zu schaden und imBewusstsein unseres Volkes die Bundesverfassung wie irgendein alltägliches Gesetz abzustempeln und so ihr Ansehen und die Achtung vor ihr herabzusetzen. Es ist auch zuzugeben, dass die Einführung der Gesetzesinitiative mutmasslich dieser nachteiligen Verfassungslage wenigstens zum Teil abhelfen könnte.

Der Bundesrat ist jedoch der Überzeugung, dass die Gründe, die gegen die Gesetzesinitiative im Bunde angeführt werden können und die in diesem Bericht dargelegt werden, schwerer wiegen.

Möglicherweise wäre übrigens bei Einführung der Gesetzesinitiative der umgekehrte Nachteil zu gewärtigen: es würden, z.B. um das Erfordernis des Ständemehrs zu umgehen, Gesetzesinitiativen mit Vorschlägen eingereicht, die nur den Gegenstand von Verfassungsinitiativen bilden dürften. Das vorliegende Volksbegehren übersah diese Eventualität nicht ; es will in Artikel 93bls, Absatz 2 die Bundesversammlung ermächtigen, verfassungswidrige Gesetzesinitiativen als ungültig zu erklären. Dann wäre aber damit zu rechnen, dass von den Gegnern einer Gesetzesinitiative die Frage ihrer Verfassungsmässigkeit verhältnisrnässig oft aufgeworfen würde und dass sie mitunter heikel und schwer zu lösen wäre und die Bäte in zahlreiche Verfassungsstreitigkeiten stürzen würde.

Nicht ausgeschlossen wäre
aber auch, dass die Einführung der Gesetzesinitiative gar nicht immer die erhoffte Wirkung haben würde, sondern dass nach wie vor die Verfassungsinitiative für Stoffe benützt würde, für die die Gesetzesform genügen würde. Die .Urheber einer Initiative könnten sich nämlich sagen, dass ein Verfassungsartikel schwerer abänderbar sei. Ihre Absicht könnte also sein, den eigenen Vorstoss dagegen zu sichern, dass er bald wieder beseitigt würde von denen, die ihn von Anfang an bekämpften. Ein solches Hin und Her von Initiativen und von Bestrebungen auf Wiederabschaffung ist im schweizerischen Verfassungsleben nicht unbekannt; der Spielbankenartikel ist ein Beispiel. Nun sieht aber das Volksbegehren der sozialdemokratischen Partei nicht ' vor, dass auch Verfassungsinitiativen mit dem Inhalt von Gesetzesinitiativen als ungültig behandelt werden dürften, wie das in den Verhandlungen des Schwei-

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zerischen Juristenvereins 1956 durch den Referenten deutscher Zunge verfochten wurde (Prof. Werner K ägi, Bechtsfragen der Volksinitiative auf Partialrévision, Zeitschrift für Schweizerisches Eecht, Bd. 75, S. 880a).

m. Der föderalistische Gesichtspunkt Nach dem geltenden Verfassungsrecht ist für die Arm ahm e eines Bundesgesetzes oder eines allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses im Beferendumsverfahren, das Ständemehr nicht erforderlich. Dem soll nun wohl entsprechen, dass das vorliegende Volksbegehren auch für die Annahme einer Gesetzesinitiative nur das Volksmehr, nicht auch das Ständemehr als notwendig erachtet.

Allein das Ständemehr ist nicht das einzige föderalistische Element im Aufbau unseres Bundesstaates. Noch wichtiger ist als solches das Zweikammersystem.

Vom Ständemehr für die Erlasse der Bundesversammlung auf der Gesetzesstufe konnte ohne Einbusse für den Föderalismus namentlich deshalb abgesehen werden,' weil an ihrer Ausarbeitung immerhin, gleichberechtigt mit dem Nationalrat, der Ständerat mitwirkt. Von der Gesetzgebung auf dem Wege der Gesetzesinitiative dagegen wäre die Bundesversammlung und damit auch der Ständerat nach dem Willen des vorliegenden Volksbegehrens ausgeschlossen. In diesem neuen Gesetzgebungsverfahren würde also auch diese zweite förderalistische Sicherung wegfallen. Die Bundesversammlung könnte den Inhalt eines vorgeschlagenen Gesetzes weder mitbestimmen, noch verändern und verbessern, und der Ständerat könnte dabei nicht die Stimme der Kantone erheben.

Auch wer den föderalistischen Einfluss.des Ständerates nicht überschätzt, wird einräumen, dass die Schöpfer der Bundesverfassung mit dem. Zweikammersystem für einen glücklichen Ausgleich gesorgt haben; Es sucht das Bedürfnis nach Konzentration und nationaler Einheit mit dem Gebot zu versöhnen, unsere schweizerische Vielfalt und die Eigenständigkeit der Kantone zu wahren und die Minderheiten zu schützen. Auch Schafft es einen Ausgleich zwischen grossen: und kleinen Kantonen. Die Gesetzesinitiative aber könnte dieses Gleichgewicht stören und sich in zentralistischem und unitarischem Sinn auswirken, sowie berechtigte, Ansprüche und Bedürfnisse von Minoritäten und kleineren Kantonen übergehen, gerade weil ihr keine föderalistischen Kautelen beigegeben wären; Die föderativen Grundlagen der Eidgenossenschaft sind
in der Gegenwart ohnehin genug bedroht. Es sei etwa daran erinnert, dass den neuen Staatsaufgaben, die mit der rasch fortschreitenden Technisierung, Industrialisierung, Verkehrsintensität1 und Bevölkerungsvermehrung und ihren sozialen Folgen zusammenhängen, oft eine unvermeidliche Neigung zu zentralistischen Lösungen innewohnt. Ferner begünstigt der doch recht starr zweckrational gerichtete Zeitgeist nicht selten die Meinung, es sei ein ungerechtfertigter Luxus oder sonst unzeitgemäss geworden, am überlieferten Föderalismus .festhalten zu. wollen.

Es; kann nicht entgegengehalten werden, föderalistische Bedenken gegenüber einer Gesetzesinitiative vermöchten sich im Einzelfall hinreichend durch die öffentliche Meinung während, der Unterschriftensammlung Gehör zu ver-

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schaffen, ohne dass es der Gesetzesberatung durch den Ständerat oder der Schranke des Ständemehrs bedürfte. Die Erfahrung, die wir im Bund mit der Verfassungsinitiative sammeln konnten, zeigt nämlich, dass die Kritik gegenüber einem Volksbegehren meist erst später, während des Abstimmungsfeldzuges, richtig einsetzt. Zudem ist zur Zeit der Unterschriftensammlung der Text des Volksbegehrens bereits festgelegt, so dass eine dann einsetzende öffentliche Meinung mit föderalistischen Einwänden schon nichts mehr ändern könnte.

IV. Die Gesetzesinitiative in den Kantonen 1. Die Erfahrungen in den Kantonen Obschon die Bundesverfassung sie ihnen nicht vorschreibt, so wie die Verfassungsinitiative (BV Art. 6. Abs. 2, Buchstabe c), kennen heute alle Kantone die Gesetzesinitiative. Ihre Ausgestaltung ist jedoch sehr verschieden. In mehreren Kantonen weicht die verfassungsrechtliche Eegelung der Gesetzesinitiative erheblich von derjenigen ab, die jetzt für den Bund vorgeschlagen wird. So lassen einige Kantone nur die nicht formulierte Gesetzesinitiative zu.

Andere stellen die formulierte und die nichtformulierte Gesetzesinitiative zur Wahl. Das sozialdemokratische Volksbegehren dagegen will im Bund nur die formulierte Gesetzesinitiative gestatten. In den meisten Kantonen muss eine Volksabstimmung über eine Gesetzesinitiative auch dann stattfinden, wenn der Grosse, Eat ihr zustimmt, während nach dem sozialdemokratischen Volksbegehren für den Bund in Aussicht genommen würde, dass eine Gesetzesinitiative unter Umständen ohne jede Volksabstimmung Gesetz werden und in Kraft treten könnte. In Anbetracht dieser Mannigfaltigkeit und der entsprechenden kantonalen Politik der Gesetzesinitiative steckt eine gewisse Verallgemeinerung in der Empfehlung, der Bund brauche sich ja nur an das kantonale Vorbild zu halten. Dieses ist eben keineswegs einheitlich.

Verschieden ist sodann auch der Gebrauch, der in den Kantonen von diesem Mitwirkungsrecht der Aktivbürger gemacht wird. Prof. Walther Burckhardt musste aus den Berichten, welche die Kantone auf die Umfrage des Bundesrates hin erstattet hatten, schon 1912 schliessen, dass in mehreren Kantonen durch Jahrzehnte hindurch die Gesetzesinitiative überhaupt fast nie ergriffen worden war (Politisches Jahrbuch der Eidgenossenschaft 1912, Bd. 26). Daran hat sich auch seither nichts
geändert. Von einem Praktiker wurde kürzlich geschrieben, die Gesetzesinitiative habe überhaupt nur in Zürich als lebendiges Institut Wurzel gef asst (E. U t z i n g e r, Die Gesetzesinitiative als Postulat der praktischen Politik, in der Schrift «Grenzen der direkten Demokratie», S. 22). In den kantonalen Staatsaufgaben mag kein grosser Anreiz liegen, oder der .Grosse Eat mag dann, wenn er selber die Initiative zum Erlass oder zur Aufhebung oder Eevision von Gesetzen ergreift, das Volk gut repräsentieren und seine Wünsche und Bedürfnisse erkennen. Denkbar ist auch, dass in den Kantonen die Kosten' eher gescheut werden, die den Urhebern einer Initiative erwachsen. In den Kantonen

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sind, die Gesetzesinitiativen in der Eegel also nicht so zahlreich, sachlich von so grosser .Tragweite rind das politische Leben so anfegend und bereichernd, dass man diese Einrichtung als, ein besonders beliebtes Volksrecht und als ein Kernstück kantonaler Demokratie bezeichnen könnte. Im Durchschnitt der Fälle, .wenn auch nicht überall gleich, spiegelt sich auch in der Stimmbeteiligung, dass die Bürger sich nicht sonderlich mit den Gegenständen von, Gesetzesinitiativen beschäftigen. Daher kann auch schwerlich davon die Eede sein, .dass die Gesetzgebung in den, Kantonen, besonders durch das Bestehen der Gesetzesinitiative gefördert werde oder dass sich diese als besonders wichtige Ergänzung und Kontrolle der Tätigkeitder kantonalen Parlamente erwiesen habe. Dem Bundesrat liegt indessen ferne, den Wert der Gesetzesinitiatiye für die Kantone grundsätzlich zu bestreiten; er will nur die Bealität auch:hier nicht ausser, acht lassen.

Es ist nun allerdings .wahrscheinlich, dass im Bund die Gesetzesinitiative häufiger benützt würde. Aus der Zahl der Verfassungsinitiativen der letzten Jahre könnte vielleicht sogar auf eine Flut von Gesetzesinitiativen geschlossen werden. Die Zuständigkeiten des Bundesgesetzgebers greifen eben heute teils weit mehr als, die der Kantone in das Wirtschafts- und Sozialleben ein, schaffen unwillkürlich neue Beibungsfiächen zwischen dem Staat und dem Einzelnen oder zwischen den Menschen, und berühren Daseinsfragen, in einer Weise, dass daraus Wünsche, Postulate, Forderungen, Kritiken, Meinungsverschiedenheiten usw. in grosser .Zahl hervorgehen. Anwachsen würde daher mit der Gesetzesinitiative auch die:Zahl der Abstimmungssonntage und der Vorlagen, über die abgestimmt werden müsste. Ob aber eine solche Mehrbeanspruchung noch tragbar und ob sie überhaupt einem gesunden demokratischen Geist in der Eidgenossenschaft angemessen wäre, ist eine ernste Frage, die .an anderer Stelle dieses Berichts erörtert werden soll.

Die erwähnte Umfrage hat nach der Sichtung durch,Prof. B u r c k h a r d t auch ergeben, dass in.den Kantonen vielfach f olgendß Beweggründe von Gesetzes-1 initiatiyen vorkommen: Missmut über eine Behörde ,in einer bestimmten Angelegenheit, Erregung der Bevölkerung durch ein begangenes Verbrechen, allgemeine, aber schwer erfassbare Unzufriedenheit, Einfluss eines
einzigen populären .oder demagogischen Politikers. Aus solchen, Motiven entstehen jedoch leicht Gelegenheitsgesetze, :wie sie sonst mit Becht als verwerflich gelten. Aus den Antworten der Kantone ergab sich ausserdem, dass die Gesetzesinitiative fast ausschh'esslich zur Opposition gegen bestehendes Gesetzesrecht, nicht zu seiner Fortbildung und Vervollkommnung verwendet wurde, und dass wirklich bedeutende Gesetzgebungsarbeit nicht auf diesem Wege geleistet wird. Gewiss sollten Gesetzesbestimmungen, die sich nicht bewährten oder die nachträglich Anstoss erregen, frühzeitig wieder beseitigt werden, aber das kann auch die Volksvertretung anbahnen.

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2. Unterschiede zwischen Bund und Kantonen

Die Kantone waren dem Bund im Ausbau der .halbdirekten Demokratie während des letzten Jahrhunderts in der Begel vorangegangen. Von ihnen über-

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nahm er 1874 das (fakultative) Gesetzesreferendum und 1892 die Volksinitiative " auf Partialrevision der Verfassung. Oberflächlich gesehen scheint also die Nachahmung auch der Gesetzesinitiative durch den Bund auf der historischen Linie zu liegen.

Es ist auch richtig, dass diese demokratischen Institutionen in den kleineren und übersichtlicheren Verhältnissen von Kantonen und Gemeinden besser funktionieren. Im Bund hätten sie sich ohne den Rückhalt an den Kantonen und Gemeinden kaum einspielen können. Ferner ist es für den Bund ausserordentlich nützlich, dass die Aktivbürger, die auf seiner Ebene Beferendum und Verfassungsinitiative richtig gebrauchen sollen, durch die demokratische Schulung in Kanton und Gemeinde gegangen seien.

Nun bestehen jedoch wesentliche Unterschiede zwischen dem Bund und den Kantonen. Zunächst hat der Bund ganz bewusst wichtige, in den Kantonen verbreitete Volksrechte nicht übernommen. So ist im Bund für Gesetze nur das fakultative Beferendum eingeführt worden, obschon die weit überwiegende Zahl von Kantonen das obligatorische Beferendum kennt. Vor allem wurde das Finanzreferendum, als Ausgabenreferendum oder als allgemeines Einanzreferendüm, das in den Kantonen weitherum bekannt ist und die Gesetzesinitiative an Bedeutung für Staatsform und Politik bei weitem übertrifft, durch den Bund nicht eingeführt. Noch am 80. September 1956 wurde ein Gegenvorschlag zu einer zurückgezogenen Verfassungsinitiative, der das Knanzreferendum vorschlug, durch Volk und Stände abgelehnt. Auch praktisch weniger bedeutende Volksrechte, die in den Kantonen vorkommen, fehlen im Bund, z.B. das Volksbegehren auf Abberufung des Grossen Rates und des Regierungsrates.

In den Kantonen, jedenfalls in denen mit obligatorischem Gesetzesreferendum, ist der Verfahrensunterschied zwischen Verfassung und einfachem Gesetz geringfügig. Er besteht zumeist nur darin, dass für"eine-Verfassungsrevision eine Lesung mehr im Grossen Rat nötig ist als für den Beschluss eines Gesetzes.

Dazu kommt, dass eine Kantonsverfassung nicht wie die Bundesverfassung die Zuständigkeiten des Gesetzgebers ausscheidet und dadurch begrenzt; der kantonale Gesetzgeber kann auf dem ganzen Kompetenzgebiet der Kantone nicht nur in den-Materien tätig werden, welche die Kantonsverfassung näher bestimmen würde. Da also Verfassung und Gesetz
einander ähnlicher sind (trotzdem freilich auch in den Kantonen die Verfassung eine höhere Geltungskraft besitzt), ist es natürlich, dass neben die Verfassungsinitiative auch die Gesetzesinitiative gestellt wurde. Das Fehlen der Gesetzesinitiative wäre deshalb in den Kantonen eher eine Lücke. Es ist daher auch kein Zufall, dass in manchen Kantonen die Gesetzesinitiative der Verfassungsinitiative so ähnlich ist wie das einfache Gesetz der Verfassung; in 11 Kantonen ist z.B. nur die Anzahl der notwendigen Unterschriften - teils übrigens nur wenig - geringer. Im Bund dagegen hängen mit dem Unterschied zwischen Verfassung und Gesetz grundlegende Probleme des Bundesstaates, der Zuständigkeit des Gesetzgebers, der Wahrung der Freiheitsrechte, sowie die Anwendbarkeit des obligatorischen oder bloss des fakultativen Referendums zusammen. Deshalb müssen sich auch der Einführung

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der Gesetzesinitiative im Bund notwendig mehr staatsrechtliche Hindernisse in den Wog stellen.

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Schliesslich lassen auch wesentliche tatsächliche Unterschiede und die zu erwartenden Auswirkungen die Gesetzesinitiative: für den Bund nicht als so geeignet erscheinen wie für die Kantone. In den Kantonen ist die Gesetzgebung in der Eegel doch einfacher als im Bund. Die Urheber einer Initiative haben es daher leichter, brauchbare Vorschläge auszudenken und zu verfassen, und der Aktivbürger kann ihren Sinn und ihre Tragweite leichter ermessen. Ferner ist in der Mehrzähl der Kantone wegen des kleineren Gebietes, der grösseren Übersichtlichkeit der politischen Verhältnisse, der noch grösseren Homogenität der Bevölkerung und ihrer Interessen die Gefahr der Majorisierung schütz würdiger Minderheiten geringer. Im Bund können vereinzelt Gesetzesinitiativen auch der internationalen Stellung und dem internationalen Ansehen der Schweiz schaden, ohne geradezu verfassungs- oder staatsvertragswidrig zu: sein, während dies für kantonale Gesetzesinitiativen unwahrscheinlich ist.

V. Gesetzesinitiative und Demokratie Die Demokratie ist in Wahrheit weniger Staats- als Lebensform. Als solche hat sie in der Schweiz eine jahrhundertealte Geschichte. Sie beruht letztlich auf einem Glauben an den Menschen. Sie geht von der Voraussetzung aus, dass: in einem geistig und politisch reifen Volk die mündigen Glieder zur genossenschaftlichen Selbstbestimmung1 im Bewusstsein der Verantwortung für das Ganze und die Teile des Gemeinwesens'fähig seien. Sie verliert aber auch nicht den Sinn für ihr:Mass und ihre Grenzen. Ihre Bürger wissen davon, dass sie der Loyalität für das Gemeinwesen und der Achtung für die Autorität der bestellten Behörden nicht entbehren kann. Sie gründet sich ferner auf soziale Ausgeglichenheit, namentlich auf das Fehlen grosser Standesunterschiede. Der Geist der Demokratie dringt, wenn sie :wirklich zur Lebensform geworden ist, in das tägliche Leben und Zusammenleben1 und seine Sparten ein und prägt es, auch wenn wir uns da: 1; von nicht immer Eechenschaf t geben.

'·· ': Wir sind in. der Schweiz jedoch oft geneigt, die Demokratie mit den Institutionen der staatlichen Willensbildüng und unter diesen mit Referendum und Initiative, weniger mit dem Wahlrecht urid den Volkswahlen, zu identifizieren.

Das ist
eine verengte Auffassung der Demokratie. Die schweizerische Demokratie ist übrigens in Bund und Kantonen, älter als Eeferendum und Initiative.

Sie stellt ferner trotz Referendum und Initiative eine Verbindung mit wichtigen Elementen der repräsentativen Demokratie dar, so dass man sie besser als halbdirekte, denn als direkte Demokratie bezeichnet,: wenn man von den Laridsgemeindëkantonen absieht.

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Wir sollten uns auch davor hüten, in 'jedem zusätzlichen Volksrecht ohne weiteres ein Vervollkommnung der Demokratie zu sehen. Vielmehr muss jeder solöhe Vorschlag erst kritisch geprüft werden. In seinem Bericht an die Bundesversammlung über das Volksbegehren auf Einführung des Référendums gegen

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die Erteilung, von Wasserrechtskonzessionen z.B. musste der Bundesrat aus guten Gründen gegen die Ausdehnung des Eeferendumsreohts auf Verwaltungsakte warnen (Bundesblatt 1955, II, 637). Sogar das Staatsvertragsreferendum hatte der Bundesrat seinerzeit in einem ersten Bericht abgelehnt (Bundesblatt 1914, III, 445) und in einem zweiten Bericht nach dem Ende des,ersten Weltkrieges nur mit Einschränkungen billigen wollen (Bundesblatt 1919, II, 222).

Vom Staatsvertragsreferendum wird kaum jemand behaupten wollen, dass es die Demokratie in der Eidgenossenschaft erst vollendet und gekrönt habe. Kundige Beurteiler, deren demokratische Grundeinstellung ausser Zweifel liegt, betrachten es als problematisch und wegen der Seltenheit langfristiger Staatsverträge als praktisch eher unwichtig. Man hat darin auch schon eine Konzession an den demokratischen Zug einer vergänglichen Zeit erblickt (Burckhardt, Kommentar der Bundesyerfassung'S.Aufl., S.703).

Wir wollen freilich nicht ein für allemal behaupten, der Ausbau der Demokratie als Staatsform des Bundes durch Aufnahme neuer Volksrechte sei geschichtlich absolut abgeschlossen. Im grossen und ganzen wird das aber zutreffen, zumal in Anbetracht der gesellschaftlichen Zustände unserer Zeit eine Überspannung der Demokratie ihre Existenz oder ihr gutes Funktionieren gefährden könnte.

Die konsequente Begründung der Gesetzesinitiative im Lichte dogmatischer Auffassung der Volkssouveränität musste lauten, dass das Volk nicht nur berufen sei, durch das Eeferendum sein Veto gegen Gesetze einzulegen, sondern auch, sie selber aus eigener Initiative, eventuell sogar gegen den Willen der Volks- und Ständevertreter, auszuarbeiten und zu erlassen. Es fällt nun aber auf, dass die Einführung der Gesetzesinitiative nur selten mehr in dieser grundsätzlichen Weise zu rechtfertigen gesucht wird. Häufiger vernimmt man, die Gesetzesinitiative hege halt auf der Linie der bisherigen Entwicklung und sei ein nützliches «Sicherheitsventil». Professor Kägi schrieb deshalb unter dem Titel «Ein Postulat ohne Begeisterung», den befürwortenden Stellungsnahmen fehle das «feu sacré», das sonst jene Eevisionsvorschläge zu begleiten pflege, die man für die Zukunft der Demokratie irgendwie als grundlegend oder gar als lebensnotwendig ansieht (Werner Kägi, Die Gesetzesinitiative - eine Notwendigkeit
?, in der Schrift « Grenzen der direkten Demokratie». S. 56 und 58).

Urheber und Unterzeichner von Initiativen sind selber nicht das Volk, sondern Leute und Gruppen aus dem Volk. Es ist darum übertrieben zu behaupten, dass das Volk eines wesentlichen demokratischen Eechts noch entbehre. Die Statistik der in der grossen Mehrzahl verworfenen Verfassungsinitiativen im Bund (nur eine von vier wurde bisher angenommen) beweist auch, dass die Initianten das Volk, auf das sie sich gerne berufen und mit dem sie sich gleichsetzen, in seinen Ansichten und Anliegen, Bedürfnissen und Stimmungen gar nicht immer besser kennen als Bundesversammlung und Bundesrat.

Ein beschränkterer Grundgedanke der Gesetzesinitiative wurde früher etwa dahin formuliert, «dass die gesetzgeberische Weisheit nicht in der Volksvertretung konzentriert, sondern gerade so gut in weitern Schichten des Volkes

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zufindéri sei» (Prof. Fleiner) oder «dass von jedem Bürger wertvolle Mitarbeit ausgehen könne» (Prof. EwckTiardt). Soweit sich nicht die gesetzgeberischen Auf- , gaben miti den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen in der ' Gegenwart verwickelter gestalten und ein gesteigertes Fachwissen und grössere Umsicht bei der Vorbereitung der Gesetze erheischen, wird man diesem Ver-, trauen in die Aufgeschlossenheit und Eignung dieser weitern Schichten des Volkes, auch heute .noch beipflichten. Allein, gute Vorschläge des Bürgers können ihren Weg bis zum Ziel heute besser denn früher auch ohne Gesetzesinitiative machen.

Seitdem=1919; das System, der Verhältniswahl des Nationalrates geschaffen wurde, können Gruppen, deren, Gesetzespostulate vorher vielleicht etwa verhallt waren, in vermehrtem Masse im Ratssaal selbst zum Worte kommen. Sodann pflegen nach dem heutigen Standider Dinge die Abgeordneten besser als in früheren,Perioden auf solche Vorschläge aus dem Volk zu horchen und sie für ihre Motionen und Postulate zu verwerten. Dem Bürger und den verschiedenartigen Vereinigungen, die Vorschläge und Anregungen für die Gesetzgebung machen wollen, steht :über unsere hochentwickelte Presse, sowie über das Vertrags- und Versammlungswesen und das Badio die Beeinflussung der öffentlichen Meinung weit offen. Auf der ändern; Seite steckt heute in dem Bild des Bürgers, der uneigennützige Mitarbeit an der Gesetzgebung leisten möchte, und der sich spontan mit Gleichgesinnten zusammentäte, wenn ihnen die Gesetzesinitiative zur Verfügung stünde, .doch ein Stück Illusion oder Schönfärberei. Die Lancierung einer Gesetzesinitiative im Bund würde jedenfalls heutzutage, um Erfolg zu haben, in der Begel.die Mitwirkung eingeübter Organisationen mit zahlreichen Mitgliedern" erheischen, und sie würde Geld kosten und Arbeit verursachen.

Der Bundesrat kann auch der Behauptung nicht .zustimmen, die Gesetzesinitiative sei wenigstens ;,ein für die Demokratie absolut notwendiges «Sicherheitsventil»:. Dabei denkt man wahrscheinlich daran, dass den Unzufriedenheiten in der Bevölkerung eine Möglichkeit gegeben werden müsse, sich zu entladen.

Es ist jedoch nicht recht einzusehen, wieso gerade Gesetzesvorschläge diesem Zweck der Entladung und Entspannung dienen könnten, besonders wenn sie bis zur! Inkraftsetzung Zeit
brauchen oder in der Mehrzahl verworfen werden. Der Vergleich mit der technischen Vorrichtung eines Ventils hinkt aber überhaupt etwas. Wenn.in einem Lande wirklich eine in ihren Ursachen erkennbare Unzufriedenheit herrscht, so ist es in der Politik nicht wie an einer Maschine damit getan, dass man «etwas Dampf herauslässt». Das beste Rezept ist, solchen Missstimmungen im, vornherein vorzubeugen, aber auch hiezu ist die Gesetzesinitiative nicht das geeignete Mittel.

, · i : VI. Die Gesetzesinitiative und die Eigenart der Gesetzgebung Gute Gesetze zu schaffen, war von jeher eine .hohe :Kunst. Gesetze müssen gerecht und zweckmässig^sein und die Rechtssicherheit wahren und mehren.

Sie müssen die Bundesverfassung respektieren, besonders die Ereiheitsrechte und die Grenzen der Bundeszuständigkeiten. Ein Gesetz ist ein System aus

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mehreren oder vielen Bechtsnormen, je nach der Materie und dem gesetzgeberischen Ziel; In der Gesetzgebung muss an gar vieles gedacht werden, z.B. an die Bespektierung der Kompetenzschranken des Bundes, an die Bestimmung des örtlichen, sachlichen und zeitlichen Geltungsbereichs der Vorschriften, an eine abgewogene Ausgestaltung neuer Bechtsinstitate, an eine einwandfreie und klare Formulierung der Bechte und Pflichten der betroffenen Menschen, an die Organisation der Behörden und die Begelung ihrer Zuständigkeiten, an die Erzwingung der Bechtspflichten, an den Bechtsschutz der Bürger, an die Finanzierung des finanziellen Aufwandes, eventuell auch an die Behandlung der Ausländer, an das Vorhandensein von Staatsverträgen und internationalen Organisationen, an andere Beziehungen mit auswärtigen Staaten. Bin Gesetz sollte auch richtig eingeteilt und aufgebaut werden und so den Gerichten und Verwaltungsbehörden, vor allem aber den Bürgern gut verständlich sein. Es wurde in diesem Bericht schon hervorgehoben, dass in der Gegenwart diese Obliegenheiten des Gesetzgebers, namentlich im Bereich der neuen und ungewohnten Staatsaufgaben des modernen Wohlfahrtsstaates, komplizierter und verantwortungsreicher geworden sind.

Mit zwei Worten kann man vielleicht sagen, dass Gründlichkeit und Sorgfalt von den vornehmsten Tugenden in dieser hohen Kunst der Gesetzgebung seien. Gründlichkeit und Sorgfalt aber setzen weiter voraus, dass, nachdem regelmässig ein erster Entwurf als Unterlage ausgearbeitet wurde, ein umfassendes Verfahren der Beratung stattfinde. In diesem Verfahren muss Gelegenheit geboten sein, dass die verschiedenen Ideen und Interessen im Zusammenhang mit dem Gesetzesgegenstand verfochten werden können, dass nian andere überzeugen kann, dass die Fachkundigen ihr Wissen und ihre Erfahrung darbringen können, dass der Wille des Volkes erforscht wird. Auf diese Weise muss der erste Entwurf durch eine vielschichtige Prüfung hindurchgehen.

Die üblichen Initiativkomitees genügen diesen Ansprüchen nicht. Darin liegt keine Anklage, sondern nur eine Feststellung, denn sie Können ihnen nicht genügen. Es fehlt ihnen zunächst an der nötigen Zeit ; sie sind darauf bedacht, den Initiativtext in möglichst wenig Sitzungen rasch und endgültig festzulegen; Es gebricht einem Teil der Mitwirkenden aber auch an der
gesetzgeberischen Erfahrung, am Einblick in die gesetzliche Materie, an der Kenntnis anderer Berufe und .Situationen, anderer Volks- und Landesteile. Die Zusammensetzung solcher Ausschüsse ist einseitig, so dass der Initiativinhalt nicht aus Bede und Gegenrede, aus der Anhörung verschiedener Gesichtspunkte, aus der Dialektik einer echten Beratung, aus dem Zusammenwirken von Argumentation, Interessenverfechtung und gegenseitiger Überzeugung hervorgeht.

Sobald aber ein Initiativkomitee seinen Vorschlag beschlossen hat und die Unterschriftenbogen gedruckt sind, ist das werdende Gesetz inhaltlich bereits endgültig festgelegt. Einwände und Belehrungen, die nun noch von aussen oder auch aus den eigenen Beihen kommen, können nicht mehr berücksichtigt werden. Es gibt keine Beratung, kein Entgegenkommen mehr, denn das Volksbegehren ist «losgelassen» imd kann nicht mehr verbessert werden, auch nicht, wenn die Urheber selber seine Verbesserungsbedürftigkeit inzwischen eingesehen

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haben. Sie müssen es nun wohl oder übel durchkämpfen. Es kann nur noch die vorgeschriebene Untersohriftenzahl erreichen oder nicht i erreichen und im ersten Fall obsiegen, unterliegen, einem Gegenvorschlag weichen, oder zurückgezogen wer den.'Das Lancieren einer Gesetzesinitiative ist darum mehr nur ein, politischer Vorstoss als, inhaltlich gesehen, wahre Gesetzgebung auf Grund gebührender Beratung. Wird eine solche Initiative trotzdem Gesetz, so kann gerade mangels Sorgfalt und Gründlichkeit ein grosser Schaden für das Schweizervolk und seine Eechtsordnung entstehen. Auch wenn ein solches Gesetz nachher wieder beseitigt werden kann, behält dieses Verfahren meistens etwas rasch Überlegtes und Stossartiges, das im letzten Grund dem innersten Wesen der Gesetzgebung widerspricht.

: Im bestehenden Gesetzgebungsverfahren muss heute oft mit, einem grossen Apparat und einem bedeutenden geistigen Aufwand gearbeitet werden,: Mit grossen und kleinen Expertenkommissionen,..unter Mitwirkung der sachkundigen Verwaltungsstäbe, mit Sonderuntersuchungen von Nachstellen und Statistikern, mit einem umfangreichen Verfahren der Anhörung der Kantone und Verbände,, mit nochmaliger Einberufung der Expertenkollegien, mit den par lamentarischen Vorberatungskommissionen und 'den eidgenössischen Bäten selbst und vielleicht einer schwierigen Differenzenbereinigung zwischen ihnen, dazu, mit : zahlreichen Besprechungen im Schosse des Bundesrates, zwischen Departementschef und Sachbearbeitern usw. Mit der behaupteten Gesetzesinflation hat dies nichts zu tun; eitle solche könnte mit der Einrichtung der Gesetzesinitiätive übrigens eher hervorgerufen oder vermehrt werden. Es soll in diesem Bericht auch nicht erörtert werden, ob das eben beschriebene Gesetzgebungsverfahren nicht doch gewisse Vereinfachungen ertragen würde. Hingegen ist offenkundig, dass wir im Grunde unsere ganze, eingebürgerte Gesetzgebungsweise mit ihrem Einsatz von Zeit, Erfahrung und Kraft, mit ihrer .oft zäh und mühsam fortschreitenden Geistesarbeit, mit ihrer umfassenden Anhörung der Gegenstände und ihren unermüdlichen Verstäridigungsversuchen verleugnen würden, wenn wir durch die Einführung der Gesetzesinitiative letztlich doch anerkennen wurden, dass man Gesetze gerade ebensogut an einem oder zwei Sitzungsahenden herstellen könne. Ja wir: würden sogar in
einem gewissen Sinn die Berufung der verfassungsmässig bestellten, auf wohlüberlegten Qrganisationsgrundsätzen beruhenden Bundesversammlung zur. Gesetzgebung in Zweifel ziehen und herabmindern. .Die Inhaltgebung der Gesetze ist eben verschieden von der Annahme (oder Verwerfung) eines fertigen Gesetzes, bei der dann, das Volk in Gestalt des Referendums das entscheidende Wort hat. Es war daher weder unlogisch, noch ein Fehlentscheid, sondern zeugt, von kluger Einsicht in Wesen und Praktikabilität der Gesetzgebung, dass die Erneuerer der Bundesverfassung von 1874 wohl jenen Endentscheid über den fertigen Gesetzesentwurf vertrauensvoll dem Volk übertrugen, nicht, aber die vorgängige: Ausarbeitung und Beratung des Entwurfes. Der Bundesrat hält in gewissenhafter Prüfung des Pro und Contra dafür, dass an der bestehenden, bewährten Arbeitsteilung zwischen Volk und Parlament festgehalten werden solle.

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Vielleicht, wird noch eingewandt, bei einer Verfassungsinitiative würden Inhalt und Text ja auch durch ein Komitee ausserhalb des Parlaments ausgearbeitet. Allein, obwohl die Verfassung eine höhere Geltungskraft als das einfache Gesetz besitzt, ist doch die Kunst der Gesetzgebung meist wesentlich umfassender und schwieriger als die Kunst, einen einzelnen Verfassungsartikel zu formulieren. , , In der Bundesversammlung war bei Behandlung der Motion Arthur Schmid angeführt worden, auch ein Initiativkomitee müsse auf einen politischen Köm promiss lossteuern und sich vor einseitigen Lösungen hüten, sonst erziele eine Initiative keinen Erfolg im Volke. In diesem Argument liegt zweifellos ein richtiger Kern. Immerhin würden die Urheber einer Gesetzesinitiative Einseitigkeiten vermutlich doch nur in dem Grade vermeiden, als Taktik und Erfolgsaussichten es gebieten. Die Weisheit des bestehenden, allseitigen Gesetzgebungsverfahrens reicht tiefer ; sie hängt zusammen mit dem durchaus demokratischen Gedanken, dass schon die Inhaltgebung der Gesetze der Eepräsentation aller im Volke vorhandenen Ideen, Bedürfnisse und Interessen grundsätzlich offenstehen soll.

Als Grund für die Einführung der Gesetzesinitiative wurde auch angeführt, es sei nötig, die Macht der Verwaltung in der Gesetzgebung zu brechen. Es ist nun sicher richtig, dass mit dem Grad der Spezialisierung der Gesetzgebung dank seinem Fachwissen auch der Einfluss des sachlich zuständigen Verwaltungszweiges auf den Inhalt der Gesetze zunimmt. Dies ist jedoch unvermeidlich und zur Abwendung von oberflächlichem Dilettantismus bei jeder nicht ganz einfachen Bechtsetzungsaufgabe sogar wünschenswert. Es erlaubt jedoch nicht, von einer Macht der Verwaltung zu sprechen, die gebrochen werden müsse. Vor allem sind der Bundesrat und die Bundesversammlung, sowie die Kantone und Verbände und die ausserhalb der Verwaltung stehenden Sachverständigen berufen, aus politischen oder fachlichen Gründen dort Korrekturen vorzunehmen, wo Anträge der Verwaltung als einseitig oder unbegründet erscheinen, oder wo sie einen übertriebenen Einfluss der Verwaltung bekunden. Es ist zum mindesten fraglich, ob Gesetzesinitiativen als solche Korrektur besser wirken würden.

Der Bundesrat ist auch nicht überzeugt davon, dass die Gesetzesinitiative, wie etwa behauptet wird, eine engere
Fühlung zwischen Behörden und Volk in der Gesetzgebung bewerkstelligen würde. Gewiss kann im allgemeinen sachliche und aufbauende Kritik das Vertrauen stärken. Allein, es gibt in unserer in mancher Beziehung aufgewühlten und verworrenen Zeit vielfach auch unfruchtbare, leere und rein oppositionelle Kritik, die jenem Vertrauen schadet. Die Erfahrung mit der Verfassungsinitiative zeigt ausserdem, dass das Instrument des Volksbegehrens heute mehr als früher nur dazu gebraucht wird, einen Druck auf den Gesetzgeber auszuüben, reine Opposition zu üben, einen Gegenstoss vorzunehmen, ihn inmitten seiner Arbeit zur Umkehr des Steuers zu zwingen. Ob man nun diese Verwendung des Initiativrechts als Missbrauch verurteilt oder als eine natürliche politische Begleiterscheinung ansieht, so wird man darin doch keinesfalls eine vollkommenere Fühlungnahme zwischen Volk und Behörden erblicken können.

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Die' Gesetzesinitiative wird gelegentlich auch als «sozialer Motor» zu'rechtfertigenversucht. Sie solle die Verwirklichung sozialpolitischer Postulate Beschleunigen. :Der Bundesrat hat auch dieses Argument gewissenhaft geprüft.

Man mag nun, namentlich auch bei einem Vergleich mit einzelnen Nachbarstaaten, zugeben, dass die Eealisierung der Invalidenversicherung etwas lange geruht hatte, nachdem die erste Verfassungsgrundlage schon 192,5, übrigens auf Antrag des Nationalrates, geschaffen worden war. Eine unvermeidliche Pause war aber auch nach dem ersten Bückschlag in:der Verwirklichung der Altersund Hinterlassenenversicherung eingetreten. Der Unterbruch war weitgehend nicht einfach einer Untätigkeit der Bundesbehprden zuzuschreiben, sondern der wirtschaftlichen Krisis, dem1 zweiten Weltkrieg und einer gewissen Unklarheit über die Ausgestaltung und Finanzierung dieser umfassenden Volksversicherungen (Burckhardt, Kommentar der Bundesverfassung, 8. Aufl. 297). Übrigens hatten sich in der Zwischenzeit die späteren Initiänten .auch nicht besonders lebhaft in der Öffentlichkeit für Beschleunigung der Vorarbeiten der Invalidenversicherung hingesetzt, was ihnen ja durchaus freigestanden hätte. Manchmal rnuss in unserem demokratischen Staatswesen füreine an sich notwendige Gesetzgebung zuerst die passende Zeit heranreifen. Wenn die Gesetzesinitiative zur Verfügung gestanden hätte, so hätten kaum Initiänten selber ein gründliches und ausgewogenes Gesetzeswerk über die Invalidenversicherung vorlegen; können, denn dazu sind Arbeiten erforderlich, die sie einfach nicht hätten erbringen können.

Dazu kommt eine allgemeine Überlegung: Bei uns und anderswo hat sich die Stellung des Parlaments doch erheblich gewandelt ; : es braucht heute jedenfalls weniger als in früheren Perioden einen «sozialen Motor», denn seine Mitglieder nehmen selber willig und ohne dass es eines besondern Antriebes bedürfte, die Anregungen und Forderungen sozialpolitischer Natur auf. Manchmal hat : auch der gänzlich Unvoreingenommene eher den Eindruck, dass ein Wettrennen1 stattfindet, als dass sozialpolitische Fortschritte dem Parlament schwer abgerungen werden müssten. Nachdem auch der Bund mehr und mehr zu einem Wohlfahrtsstaat geworden ist (vgl. z.B. Art.31bls, Abs.l BV),; lassen es die gewählten Abgeordneten nicht daran fehlen, die
Forderungen ihrer Wähler zu den ihrigen zu machen und sie möglichst1 zu erfüllen, ja ihnen in der Aufstellung von Postulaten sogar zuvorzukommen. Diese Wendung bestätigt sich ja auch in der Praxis der Ausgabenbewilligung, bei der Budgetberatung und ausserhalb derselben. Durch Jahrhunderte hindurch ist in den Verfassungen freiheitlich-demokratischer Staaten,das Parlament als Beschützer des Bürgers gegenüber der ausgabenfreudigeren Begierung gedacht gewesen. In einer gewissen Durchbrechung der Gewaltentrennung war ihm daher die Zuständigkeit erteilt worden, der Begieruhg die nachgesuchten Ausgaben zu bewilligen oder zu verweigern, da höhere Ausgaben höhere Steuern nach sich zu ziehen pflegen. In der: Gegenwart ist eine Verschiebung eingetreten. Nachdem der Staat irn Interesse der sozialen Sicherheit Leistungen mannigfacher Art verabfolgt, ist der Abgeordnete oft mehr darauf bedacht, diese Leistungen, auszubauen. Die Eolle, vor zu grosser Aüsgabenfreudigkeit zu warnen, ist undankbarer geworden und jetzt mehr der Eegierung an

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Stelle des Parlaments zugefallen. Es ist nicht Sache dieses Berichts, Fragen der Einanzverwaltung und der Ausgabenpolitik einzubeziehen. Der Bundesrat will vielmehr nur auf Tendenzen im Verhältnis unserer obersten Organe und politischen Faktoren hinweisen, die einen weitern «sozialen Motor» als überflüssig erscheinen lassen. Warnen muss er schliesslich vor dem Bestreben, die Gesetzesinitiative nur zu noch grösserer Betriebsamkeit oder zu Verwendung als WahlUlfe und Wahlschlager einzuführen.

VII. Die fragwürdigen Bedingungen ïur das Funktionieren der Gesetzesinitiative in unserer Zeit 1. Dem Bundesrat wurde ein Vorwurf daraus gemacht, dass er seine Auffassung über die Gesetzesinitiative seit 1906 geändert hat.

Vielleicht darf eingangs doch darauf hingewiesen werden, dass die damalige -Zustimmung zur Einführung der Gesetzesinitiative, wie es scheint, stark dem politischen Geist des Bundespräsidenten Ludwig Forrer entsprungen, der ein Zürcher war und als Winterthurer der Demokratischen Partei angehört hatte, die besondern Wert auf die Ausweitung der Volksrechte legte. Damit soll nicht bestritten werden, dass der Gesamtbundesrat dam,als jene positive Einstellung hezogen hatte, noch soll Bundesrat Forrer bezichtigt werden, er habe als Zürcher und als Parteimann und nicht aus schweizerischer staatspolitischer Überzeugung gehandelt.. Allein, die politische Geschichte wird immer auch von bedeutenden Persönlichkeiten bestimmt und gelenkt, und es ist auch in der Eidgenossenschaft kein Makel ihrer Begierungsform, dass mitunter der Geist eines einzelnen Mitgliedes des Bundesra,tes durchdringt und Entschlüsse prägt. Seit dem Jahre 1906 ist mehr als ein halbes Jahrhundert verflossen. In dieser Zeit sind politische und soziale Veränderungen eingetreten, die teils geradezu eine Umwälzung bedeuten, und die eben auch andere Gesichtspunkte und Erwägungen für die Beurteilung ·der Gesetzesinitiative nahelegen. Durch die Erfindungen der jüngsten Zeit wird der Umbruchscharakter unserer Epoche noch mehr betont. Der Bundesrat glaubt, dass er viel eher hätte getadelt werden müssen, wenn er starr gewesen wäre und seine ehemalige Ansicht nicht überprüft und revidiert hätte.

2. Schon bei Behandlung des Berichtes zum Postulat Schmid und der Motion der Kommissionsminderheit im Nationalrat widerlegte der Vertreter des Bnndesrates
die Ansicht, dass dieser wankelmütig, kleinmütig und rnüde geworden sei in seinem Vertrauen zu den lebendigen Kräften in der schweizerischen Demokratie. «Man kann ein guter Demokrat sein», sprach Bundesrat Feldmann, «und trotzdem die Einführung der Gesetzesinitiative heute ablehnen» (StenB 1953 NE, S.312).

Es gehört wohl selber auch zu den eingetretenen Veränderungen, dass die Regierung, soll sie einen derartigen Umbau der Staatsform sorgfältig untersuchen, ihre Überlegungen nicht mehr allein im Arsenal der freiheitlichen und .demokratischen Ideen holen kann. Sie muss auch - allerdings gänzlich unvorein-

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genommen - auf Beobachtungen des tatsächlichen politischen Lebens .abstellen und in realistischerWeise, auch unter Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die gegenwärtigen Bedingungen für das Funktionieren eines neuen Volksrechts in die Prüfung einbeziehen.

Der einzelne Mensch ist in unserni Industriezeitalter1 zweifellos verletzlicher und in manchen Beziehungen abhängiger, zu freierLebensgestaltung unfähiger geworden. Einzelne Sichtungen der Soziologie nehmen an, er,sei zu einem «homme situé» geworden, d.h. in bestimmte Lebenslagen unentrinnbar eingespannt. .Theologen der verschiedenen Bekenntnisse stellen eine verbreitete Lebensangst fest. Wir wollen mit dieser Schilderung nicht weiterfahren, sondern nur andeuten, dass für klare, befreiende, dem Gesamtwohl entsprechende Gesetzesvorschläge von Gesetzesinitiativen, schon der Ansatz im allgemeinen Zeitgeist nicht günstig ist. Auf die zunehmende Komplikation der Gesetzgebung wurde schon hingewiesen.

· ; ": . · Auf der ändern Seite, hat die durchschnittliche .Stimmbeteiligung bei den eidgenössischen Volksabstimmungen seit dem Ende, des zweiten Weltkrieges abgenommen. Dag Interesse und das Gefühl der Verpflichtung an der Ausübung der Aktivbürgerrechte scheinen zu erlahmen, weil manche moderne Menschen, wie auch Untersuchungen des Auslandes ergaben, nur noch Anteil nehmen an dem, was unmittelbar ihre eigene Zukunft und die ihrer Familie betrifft (Eiukommen, Ferien, Unterhältung, Kinderschulung usw.). Dieser Zustand ist für die Demokratie1 nicht ungefährlich. Eine schwache Stimmbeteiligung führt zu Zufalllsentscheidungen. bei denen die Passivität mit den Ausschlag gibt. Solche Entscheidungen entbehren oft wahrer Autorität und schaden demdernokratischen Bewusstsein im eigenen Volk. Leicht stellt sich für die Unterlegenen auch die Versuchung ein, sie rasch wieder zu beseitigen. Lösungen, um die Stimmbeteiligung wieder zu verbessern, sind noch nicht gefunden worden und werden wohl ohne einen, Gesinnungswandel, mit äussern Mitteln, nicht gefunden werden können.

Kann nun aber verantwortet werden, in diesem Zustand mangelhafter Stimmbeteiligung' die Zahl der Volksrechte noch zu vermehren? Zu erwarten, dass gerade die Gesetzesinitiative wieder mehr Bürger bestimmen würde, an die Urnen zu gehen, wäre trügerisch.

3. In einem gewissen Masse würde auch
die Gefahr bestehen, dass .die Gesetzesinitiative, einseitig zu einer .Waffe mächtiger Organisationen oder finanzkräftiger Leute würde, weil im wesentlichen sie über die Geldmittel und persönlichen Einflüsse verfügen würden, die in der Begel auch erförderlich sind, um einem Volksbegehren : zum Durchbrach zu verhelfen. Dies könnte unter Umständen zu einer untragbaren Verrnachtung unseres politischen und sozialen Lebeng führen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass für dielegitime und massvolle Verfechtung der Interesssen der Wirtschaftszweige und Berufe, sowie anderer Gruppen genügend andere Wege offen stehen und dass deren Vertrauensleute in den Bäten ja auch zahlreich vertreten sind.

: Der Vorschlag, die Gesetzesinitiative einzuführen, berührt zweifellös auch das Verhältnis zwischen den politischen Parteien :und den Wirtschafts- und Bundesblatt. 112. Jahrg. Bd. L 26

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Sozialverbänden. Der Bundesrat übersieht nicht, dass eine gewisse Verschiebung im grossen und ganzen nicht aufgehalten werden konnte. Aber ohne Not sollten in einem demokratischen Staat die politischen Parteien nicht dadurch zurückgesetzt werden, dass Neuerungen eingeführt werden, die sich eher zu ihren Ungunsten und zum Nachteil der Staatspolitik auswirken.

VIII. Die Schwierigkeiten des Abstimmungskalenders

Es dürfte unbestritten sein, dass weder in einem Jahr allzu viele Abstimmungssonntage stattfinden sollten, noch eine grosse Häufung von Abstimmungsvorlagen am gleichen Abstimmungssonntag verantwortet werden kann. Die.

Kunst, zwischen diesen beiden Forderungen einen Ausgleich zu finden, würde bei Einführung der Gesetzesinitiative noch schwieriger, da ja die absolute Zahl der Vorlagen zunehmen würde. Dabei ist zu beachten, dass auch in Kantonen und Gemeinden noch zahlreiche Abstimmungen angesetzt werden müssen, und dass manche Sonntage als Feiertage, wegen Ferien, Ernte, Wiederholungskursen grosser Truppeneinheiten und aus ändern Gründen nicht in Betracht kommen.

·Ferner ist oft schwer zu bestimmen, welche Vorlagen am gleichen Tag zur Abstimmung gelangen sollen. Auch wenn diese Überlegung in Anbetracht der politischen Eeife und des Unterscheidungsvermögens des Bürgers nicht übertrieben werden soll, ergibt sich doch aus der Erfahrung, dass bisweilen eine Vorlage die Aussichten einer ändern, über die gleichzeitig abgestimmt wird, verbessern oder verschlechtern kann. Würde die Gesetzesinitiative im Bunde geschaffen, so wäre es noch schwieriger als bisher, dem Vorwurf zu begegnen, der Bundesrat habe Vorlagen in einer Weise kombiniert, um die eine zu begünstigen .oder, zu benachteiligen. Auf der ändern Seite müssen Initiativen innert einer gesetzlichen Frist behandelt und zur Abstimmung gebracht werden. Aus dieser Befristung und einem überfüllten Abstimmungskalender kann sich eine in sich widerspruchsvolle Zeitnot ergeben.

Nun sind jedoch neuerdings noch andere Schwierigkeiten und Streitfragen entstanden. Es kommt vor, dass zwei politische Parteien oder Gruppen über den gleichen Gegenstand konkurrierende Initiativen ergreifen und einreichen (z.B.

betreffend die Invalidenversicherung oder den Wehrsteuerabbau). Die Bundesverfassung und das B G über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung vom 27. Januar 1892/5.Oktober 1950 erlauben nicht-, dass eine solche Initiative der ändern sozusagen als Gegenvorschlag gegenübergestellt werde. Sodann kann ja auch die Bundesversammlung einen Gegenvorschlag aufstellen. Dann kann es aber für das Schicksal von Initiativen entscheidend werden, in welcher Beihenfolge sie zur Abstimmung gelangen. Artikel 15 des erwähnten
Bundesgesetzes bestimmt, dass zuerst über das zuerst eingereichte Volksbegehren abzustimmen sei. Ein zufälliger zeitlicher Vorsprung gibt dann also die Priorität. Wird zuerst die früher eingereichte Initiative angenommen und nachher die spätere auch, so gilt die zweite als Abänderung der ersten. Diese Lösung des Gesetzes vermag nicht zu befriedigen, da

379 ja beide Initiativen den bisherigen Rechtszustand abändern wollen, nicht Dagegen will die.eine die andere abändern. Beicft am gleichen Tag, aber getrennt und nicht als alternative Vorschläge zur Abstimmung zu bringen, passt auch nicht, weil sonst Widersprechendes angenommen werden könnte. Alle diese Nächteile würden1 vermutlich bei der Gesetzesinitiative noch anwachsen. Es würde namentlich die Rechtssicherheit beeinträchtigen, wenn bei konkurrierenden Gesetzesinitiativen entsprechend der heute für konkurrierende Verfassungsinitiativen geltenden Lösung Gesetze einander in rascher Folge ablösen würden. ; Dazu kommt noch, dass eine Initiative schon vor der Abstimmung gegenstandslos (obsolet) werden kann. iSoll sie dann durch die Behörde abgeschrieben werden dürfen, wenn sie nicht zurückgezogen wird ?

Wenn man schon entgegen unserer Auffassung die Gesetzesinitiative im Bunde zulassen wollte, wäre erforderlich, im Zusammenhang damit eine Eeform des gesamten Initiativrechts, auch des Rechts der Verfassungsinitiative, anzubahnen. Eine solche Éeform ist z.B. durch Prof. Max Imboden postuliert worden, der die Gesetzesinitiative an sich befürwortet, aber in der jetzt vorgeschlagenen Gestalt ablehnt (vgl. die Schrift «Grenzen der direkten Demokratie», S. 15 ff.)/ Der vorliegenden Initiative muss vorgeworfen werden, dass sie diese Forderungen weder erfüllt, noch überhaupt ;anpackt.

IX. Kritik des vorgeschlagenen Artikel 93bls der Bundesverfassung im einzelnen 1. Die .Gesetzesinitiative -ton mindestens,acht Kantonen (Abs. 1) Trotzdem sich die Ergreifung des Gesetzesreferendums durch mindestens 8 Kantone (BV Art. 89,, Abs. 2) als unpraktisch erwies (seit 1874 haben überhaupt noch nie Eantone das Referendum verlangt), sehen die Im'tianten in Absatz l des vorgeschlagenen Artikel 98Ms vor, dass acht Kantone auch die Gesetzesiriitiative sollen ergreifen können. Es ist nicht unverständlich, dass man die Parallele zwischen Eeferendum und Initiative wahren wollte. Dennoch wird sich auch die Gesetzesinitiative von acht Kantonen als unpraktisch herausstellen., Solche Bewegungen pflegen aus : dem Volk, und nicht von den kantonalen Behörden zu kommen. Wahrscheinlich würden auch die Kantone nicht immer leicht in der Wahl des Gesetzestextes übereinstimmen und die nötige Zeit und die nötigen Mittel für eine Initiative
aufwenden. Immerhin ist zuzugeben, dass Initiativen von Kantonen sorgfältiger vorbereitet würden.

Wenn jedoch das Institut der Gesetzesinitiative inider Abstimmung, durch Volk und Stände angenommen würde, müssten daraufhin auch die Kantone ihre Verfassungen revidieren, um zu bestimmen, welche Instanz im Kanton (der Grosse Bat allein oder unter obligatorischer oder fakultativer Mitwirkung des Volkes) über die Ergreifung der Gesetzesiriitiative1 (zusammen mit den ändern sieben Kantonen) entscheiden darf. Diese Regelung ist schon jetzt bei dem durch acht Kantone zu ergreifenden Gesetzesreferendum des Bundes in den Kantons-

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Verfassungen mannigfaltig, und sie verstärkt noch bisweilen die praktische Undurchführbarkeit solcher Mitwirkung der Kantone bei der Willensbildung des Bundes (vgl. Art. 6 des BG betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse vom 17. Juni 1874, der ausdrücklich gegenüber dem Beschluss des Grossen Eates eines Kantons, das Gesetzesreferendum im Bund zu ergreifen, das Recht des Volkes zu abweichender Stellungnahme je nach dem kantonalen Verfassungsrecht vorbehält.) Den Kantonen würden also durch diese kantonalen Verfassungsrevisionen verhältnismässig viel "Umtriebe verursacht, wenn man bedenkt, dass sich die Ergreifung von Gesetzesinitiativen durch Kantone im Bund kaum wirklich durchsetzen wird. Nur in wenigen Kantonen wäre es vielleicht möglich, auf dem Auslegungsweg zu bestimmen, welche Instanz im Kanton über die Beteiligung an einer Bundesgesetzesinitiative zu entscheiden hätte.

Es hätte sich auch ernsthaft fragen können, ob für die Kantone nicht ohnehin das Vorschlagsrecht genügt hätte, das Artikel 93, Absatz, 2 der Bundesverfassung jedem einzelnen von ihnen gewährt.

2. Die Initiative auf Erlass, Änderung oder Aufhebung allgemeinverbindlicher Bundesbeschlüsse (Abs. 1) Das vorliegende Volksbegehren will die Gesetzesinitiative auch auf die allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüsse erstrecken. Auch diese Ausdehnung des neuen Volksrechts ist nicht unlogisch, würde aber ebenfalls grosse rechtliche und praktische Schwierigkeiten heraufbeschwören.. Das Verhältnis des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses einerseits zum Bundesgesetz, anderseits zum einfachen Bundesbeschluss ist in der Praxis der Bundesversammlung ziemlich ungeklärt, und Diskussionen der jüngsten Zeit haben zur Erhellung nicht viel beigetragen. Eine Komplikation ist noch dadurch eingetreten, dass man auch Bundesbeschlüsse mit dem Inhalt einfacher Bundesbeschlüsse mit der Eeferendumsklausel versah. Ferner herrscht eine grundlegende Meinungsverschiedenheit darüber, was das Merkmal der Allgemeinverbindlichkeit ist: Dass ein Bundesbeschluss Rechtsnormen enthält oder dass er eine grössere, z.B.

finanzielle, Tragweite besitzt; diese Meinungsverschiedenheit wird noch durch die bekannte Abweichung zwischen dem deutschen und dem französischen Text des Artikel 89 der Bundesverfassung gefördert. Man könnte .sich sogar
fragen, ob auf die Eorm des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses nicht verzichtet werden könnte. Wenn nun durch Volksbegehren auch allgemeinverbindliche, nicht aber einfache Bundesbeschlüsse vorgeschlagen werden könnten, wie es die vorhegende Verfassungsinitiative haben will, würden sich'Unsicherheit und Verwirrung zweifellos noch vermehren. Es ist nicht anzunehmen, dass Initianten sich in diesem ganzen Problernkreis besser auskennen würden als die Bundesversammlung. Da jedoch die Bundesversammlung Initiativen, die in Wahrheit auf den Erlass eines einfachen Bundesbeschlusses gerichtet wären, als ungültig erklären müsste, wäre zu, gewärtigen, dass über die Unterscheidung des all-

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gemeinverbindlichen,,Bundesbeschlusses vom einfachen in den: Bäten noch öfter als bisher 'Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen entstehen würden. Ja, ös,wäre nicht ausgeschlossen, dass die Bundesversammlung beiBeurteilung der Bechtsgültigkeit von Initiativen anders entscheiden würde als dort, wo sie selber Bundesbeschlüsse fasst.

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Eine andere ungeklärte Frage ist die, ob ,in einer Initiative auch gleich die Dringlicherklärung des angeregten Bundesbeschlusses vorgeschlagen werden könne, mit der Folge, dass er nach Artikel 89bis der Bundesverfassung vorzeitig in Kraft gesetzt .werden könnte. Mit ändern Worten : Das Verhältnis zwischen dem neuen Initiativrecht und der Dringlichkeitsklausel bliebe im Zweifel.

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; 3. T)ie UnterschriftenzaM (Abs. 1)

Nach der Absicht der Initianten wären für das Zustandekommen einer Gesetzesinitiative mindestens 50 000 gültige Unterschriften nötig, also gleich viele wie für eine Verfassungsinitiative. Es ist zuzugeben, dass der Bundesrat im Jahre 1906 die gleiche Zahl vorschlug. Dennoch kann sich fragen, ob es nicht angezeigt gewesen wäre, den Unterschied zwischen Verfassung und Gesetz, so wie die meisten Kantone, durch eine Abstufung der Unterschriftenzahl zur Geltung zu bringen. Es,steckt ein gewisser Widerspruch darin, dass man die Verfassung durch Einführung der Gesetzesinitiative vor weiterer «Verwässerung» schützen will, aber für das Zustandekommen einer Verfassungsinitiative die gleiche Uriterschriftehzahl geriügen lässt, wie für das Zustandekommen einer : Gesetzesinitiative.1 · · ' Es hätte sich überhaupt ernsthaft fragen können,, ob nicht alle Unterschriftenzahlen in Anbetracht der Bevölkerungsvermehrung heraufgesetzt und zugleich nach der Bedeutung und dem Bang des einzelnen, Volksrechts abgestuft werden sollten. Bei Ausarbeitung der Vorlage über das Frauenstimm- und -wahlrecht hätten die Bäte eine solche Erhöhung allerdings abgelehnt, wiewohl sie sich dort doch wohl besonders aufgedrängt hätte.

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4. Die Ungültigkeitsgründe des Absatzes 2

Nach dem vorhegenden Volksbegehren soll eine Gesetzesinitiative nur'gültig sein, wenn sie nicht gegen die Bundesverfassung oder, gegen Verpflichtungen des Bundes verstösst, die auf Staatsverträgen beruhen. Sie !darf auch nicht die Abänderung oder Aufhebung von Verwaltungsakten oder Gerichtsurteilen verlangen. " ; Dass der Entwurf der Gesetzesinitiative diese Schranken ziehen will, ist lobenswert, denn sie sind zur Wahrung der Bundesverfassung, des Völkerrechts und der Bechtsstaatlichkeit unerlässlich. Allein, Absatz 2 ist noch zu : eng: Einmal sollte eine Gesetzesinitiative nicht nur diejenigen völkerrechtlichen Pflichten des Bundes respektieren müssen, die auf Staatsverträgen beruhen, sondern auch diejenigen, die dem allgemeinen Völkerrecht entspringen. In ändern Nachkriegs-

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Verfassungen sind dieser Eespekt und diese Anerkennung auch der ausservertraglichen Völkerrechtspflichten feierlich proklamiert worden. Die Schweiz darf sie nicht hintansetzen. Sodann sollte eine Gesetzesinitiative auch nicht den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines einfachen Bundesbeschlusses zum Gegenstand haben dürfen.

5. Die Einheit der Materie (Abs. 3) Eine Gesetzesinitiative soll nach Absatz 3 des Entwurfes nicht mehr als eine Gesetzesmaterie zum Gegenstand haben dürfen. Dieser Gedanke stammt aus Artikel 121, Absatz 3 der Bundesverfassung, d.h. er gilt hmite schon für die Initiativen auf Partialrevision der Bundesverfassung. Sein Zweck ist, dem Bürger die Entschlussfreiheit zu verbürgen; er soll nicht wegen Verkoppelungen einen Gegenstand mit einem ändern zusammen in Kauf nehmen oder verwerfen müssen.

Allein, so gut gemeint diese Übertragung des Prinzips auf die Gesetzesinitiative auch sein mag, so geht sie doch an der Tatsache vorbei, dass die Einheit der Materie in der Gesetzgebung nicht in gleicher Weise gewahrt werden kann, wie bei einer Verfassungsänderung. Es gibt Gesetze, die, um vollkommen zu sein und um das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, notwendig mehrere Materien beschlagen oder doch berühren müssen. Man kann also die Gesetze nicht immer streng nach Gegenständen oder Materien begrenzen. Das Gewässerschutzgesetz des Bundes, um ein Beispiel aus jüngster Zeit zu nennen, betrifft z.B. ausser seiner eigentlichen Materie auch noch das Enteignungswesen, die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Schädlingsbekämpfung u.a.m. Mindestens würde also, wenn die vorliegende Initiative mit Artikel 93bls, Absatz '3 angenommen würde, in der Bundesversammlung immer wieder die Streitfrage aufgeworfen, ob eine Gesetzesinitiative das Prinzip der Einheit der Materie innegehalten habe oder nicht.

6. Die Nichtzulassung der nichtformulierten Initiative (Abs.4) Das Volksbegehren der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz will die allgemeine Anregung, die sogenannte nichtformulierte Initiative, als Gesetzesinitiative nicht zulassen. Eine Gesetzesinitiative müsste also stets die Form des ausgearbeiteten Entwurfes haben, um gültig zu sein. Der Vorschlag des Bundesrates von 1906 hatte dagegen in Übereinstimmung mit den Vorschlägen der Kantone Zürich und Solothurn auch die allgemeine Anregung als zulässig
erklären wollen.

Dieser Ausschluss der nichtformulierten Initiative vermöchte nicht zu befriedigen, wenn man schon der Gesetzesinitiative im Bund grundsätzlich zustimmen wollte. Ja es hätte sich ernsthaft fragen können, ob dann nicht ausschliesslich die nichtformulierte Initiative eingeführt werden sollte.

In der einfachen Gesetzgebung noch weit mehr als in der Verfassungsgesetzgebung bestünde ein Bedürfnis darnach, dass die Bürger den Erlass eines Ge-

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setzes anregen könnten, ohne es auch formulieren zu müssen, und dass die gesetzgebende Behörde sich dann der Anregung annehmen und sie verarbeiten könnte. Der gesetzgebenden Behörde ist auch besser bekannt, ob und wie in der Eechtsordnung für die Wünsche solcher Initianten schon vorgesorgt ist und was alles noch beachtet werden muss. Namentlich wäre die Bundesversammlung bei der nichtformülierten Initiative imstande, durch eine entsprechende Fassung des Gesetzes Verstösse gegen die Bundesverfassung! oder das Völkerrecht oder andere Ursachen der Ungültigkeit noch zu verhüten.1 Es scheint dem Bundesrat, dass es ein unbegründetes Misstrauen gegen die Bundesversammlung war, das die, Initianten bestimmte, die.Gesetzesinitiative auf die formulierte Form einzuengen.

': ,, ', 7. Die Prüfung der Gültigkeit durch die Bundesversammlung (Abs.5) Man muss sich bewusst sein, dass die vorgeschlagene Pflicht der Bundesversammlung, die Gültigkeit von Gesetzesinitiativen zu untersuchen und zu beurteilen;, von schwierigen verfassungsrechtlichen und bisweilen auch völkerrechtlichen Fragen begleitet wäre. Diese Entscheidungsbefugnis der Bundesversammlung entspricht der schweizerischen Überlieferung und besitzt ohne Zweifel auch gewisse Vorzüge. Anderseits darf doch wenigstens gefragt werden, ob die Bundesversammlung in Anbetracht der Komplexität der Bechtsfrägen das geeignete Organ sei. In jeder Gesetzesinitiative würde auch gewissermassen ein leiser oder lauter Vorwurf an die Bundesbehörden liegen, sie seien bisher zu Unrecht untätig geblieben. Aber auch abgesehen davon, könnten in der Bundesversammlung vielleicht doch Eechtsfrägen Gefahr laufen, verpolitisiert zu werden. Man wird also im Zusammenhang mit der Revision der geltenden Bestimmungen betreffend die Verfassungsinitiative prüfen, ob diese Gültigkeitsfragen nicht in irgendeiner Form dem Bundesgericht oder einer ändern unabhängigen und für .die Beurteilung von Verfassungs- und, Völkerrechtsfragen spezifisch geeigneten Instanz sollten unterbreitet werden können. Ferner wird man davon Notiz nehmen müssen, daäs fast alle unsere Nachbarstaaten und noch andere Staaten der Verfassungsgerichtsbarkeit, in der letzten Zeit einen mächtigen Aufschwung verliehen haben. Auf der anderen Seite muss ein solcher Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeit allerdings in einem weiteren
Eahmen .geprüft werden, nicht nur im Zusammenhang mit der Gesetzesinitiative.

: · ' Der vorgeschlagene Artikel 93bis, Absatz 5 will eine .Entscheidungsbefugnis der Bundesversammlung nur hinsichtlich der Gültigkeit von .Gesetzesinitiativen begründen. Nun erinnert man sich jedoch, dass die analoge Entscheidungsbefugnis der Bundesversammlung in bezug auf Verfassungsinitiativen und ihren Urnfang anlässlich der Beurteilung der Gültigkeit der Bheinaurlnitiative und der Initiative, für eine Eüstungspaüse unistritten waren, i Das vorliegende Volksbegehren gibt: dafür keine Antwort. Es zeigt sich also wiederum, dass, wenn man schon der Gesetzesinitiative zustimmen wollte, eine umfassende Eeform des Initiativrechts im Bunde angezeigt wäre.

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8. Gesetzeskraft ohne Volksabstimmung (Abs. 6) Wenn die Bundesversammlung mit einer Gesetzesinitiative einverstanden ·wäre, erhielte sie unter Vorbehalt des fakultativen- Eeferendums ohne obligatorische Volksabstimmung Gesetzeskraft. Die Gesetzesvorlage würde dann gewissermassen in eine solche der Bundesversammlung umgewandelt.

Gegen diese Lösung erheben sich Bedenken. Was als Initiative begonnen wurde, sollte nicht als Eechtsetzung der Bundesversammlung enden, sonst werden die Verantwortungen verwischt. Wichtiger noch ist die Überlegung, dass über eine Volksinitiative in allen Fällen auch derr Entscheid des Volkes eingeholt werden sollte, bevor sie als Gesetz in Kraft treten kann, denn eine Initiative bedeutet letztlich Anrufung des Volkes, nicht Anrufung der Bundesversammlung durch eine Gruppe aus dem Volk. Vor allem aber würde dadurch, dass lediglich der fakultative Eeferendum vorbehalten würde, der Ball den Gegnern des Gesetzesvorschlages im Volk zugeworfen: Sie müssten dann, um den Gesetzesvorschlag zu bekämpfen, das Eeferendum ergreifen.

Zwar würde es vermutlich selten vorkommen, dass die Bundesversammlung einer Gesetzesinitiative zustimmen würde, so dass sie als Gesetz ohne Abstimmung, in Kraft treten könnte. Immerhin brächte diese Eegelung auch einigermassen die Gefahr mit sich, dass in der Bundesversammlung die sogenannten taktischen Erwägungen zu sehr die Oberhand bekämen. Man könnte sich vielleicht allzusehr auf die Frage verlegen, wer mehr Erfolgsaussichten habe, die Initianten oder ihre künftigen Eeferendumsgegner. Gerade auch für das Vertrauen im öffentlichen Leben, unter den Parteien und Gruppen und besonders zwischen Volk und Behörden ist es nicht von Gutem, wenn die Bundesverfassung selber die Bundesversammlung in eine gewisse Versuchung bringt, einen Volksteil gegen einen ändern «auszuspielen».

X. Stimmt der Text des Volksbegehrens in den drei Amtssprachen überein ?

Das formulierte Volksbegehren der sozialdemokratischen Partei der Schweiz wurde in den drei Amtssprachen eingereicht, wobei der deutsche Text massgebend ist. Es ist daher zu prüfen, ob diese drei'Fassungen übereinstimmen und der Text festzulegen, welcher in der Verfassung figurieren würde, wenn gegen unsere Meinung das Volksbegehren durch Volk und Stände doch angenommen würde.

Inbezug auf den französischen Text
sollten einige redaktionelle Abänderungen wie folgt angebracht werden: Im 2. A b s a t z des Artikels 93Ws wäre im I.Satz das Wort «demande» durch «initiative» und im 2. Satz das Wort «doit» durch «peut» zu ersetzen. Auch im 3. Absatz muss es «une initiative ne peut (anstatt doit) pas porter1 sur plus d'un objet » heissen. A b s a t z 6 sollte wie folgt redigiert werden : « Si l'Assemblée fédérale approuve l'initiative, celle-ci (anstatt elle) acquiert force de loi, sous.

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réserve de l'article 89, 2 alinéa. Si l'initiative (anstatt elle) n'est pas approuvée par les deux conseils, elle doit être soumise au peuple». Absatz 7 wäre auch folgendermassen abzuändern: «L'Assemblée fédérale peut r e c o m m a n d e r (anstatt proposer) au peuple de rejeter l'initiative (anstatt de la rejeter); elle peut lui soumettre en même temps un contre-projet». Artikel 113, Absatz 3, erster Satz wäre wie folgt zu formulieren: «Dans tous les cas prémentionnés, le Tribunal fédéral appliquera les lois f é d é r a l e s et les arrêtés f é d é r a u x de portée générale» (anstatt lois et arrêtés fédéraux).

Auch der italienische Text sollte verbessert werden: Beim Artikel 93Ms sind die A b s ä t z e 2 und 3 zusammenzuschliessen, wobei Absatz 3 der zweite Satz von Absatz 2 wie in den deutschen und französischen Fassungen und die Absätze 4 bis 8 zu 3 bis 7 werden. Im 2.Satz von Absatz 2 ist dazu «decisioni amministrative» durch «atti amministrativi» zu ersetzen. In den Absätzen 2, 3, 4, 6, und 7 sind die Worte «domanda d'initiativa» durch «initiativa» zu ersetzen; im 2. Satz von Absatz 6 müssen die irrtümlicherweise beigefügten Worte «e degli Stati» gestrichen werden,, da entgegen der Yerfassungsinitiative bei der Gesetzesinitiative kein Ständemehr in Frage kommt. Schliesslich ist im Artikel 113, Absatz 3 wie im französischen Text das Wort «federali» nach «leggi» beizufügen.

Sogar der rnassgebende deutsche Text muss in bezug auf Artikel 113, Absatz 3 abgeändert werden, indem am Schluss das Wort «Beschlüsse» durch «Bundesbeschlüsse» und, das Wort «ihr» durch «der Bundesversammlung» zu ersetzen sind.

Die erwähnten Differenzen zwischen den drei Fassungen der vorhegenden Verfassungsinitiative bestätigen unsere Auffassung, wonach Initiativkomitees wenig geeignet wären, befriedigende Gesetzesvorlagen festzusetzen.

Wir empfehlen Ihnen aus diesen Überlegungen, das Volksbegehren vom 22. Dezember 1958 der Abstimmung des Volkes und der Stände mit dem Antrag auf Verwerfung zu unterbreiten, ohne einen Gegenvorschlag zu machen.

' ·'· Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 29.Dezember 1959.

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Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident : P. Chaudet . . Der, Bundeskanzler : . , . ; Ch. Oser

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(Entwurf)

Bundesbeschluss über

das Volksbegehren für die Einführung der Gesetzesinitiative im Bund

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in das Volksbegehren vom 22. Dezember 1958 für die Einführung der Gesetzesinitiative im Bund und in einen Bericht des Bundesrates vom 29.Dezember 1959, gestützt auf Artikel 121 ff. der Bundesverfassung und Artikel 8 ff. des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892/5. Oktober 1950 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung, beschliesst :

Art. l Das Volksbegehren für die Einführung der Gesetzesinitiative im Bund wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet. Die Bestimmungen dieses Volksbegehrens, dessen deutscher Text massgebend ist, lauten mit Bücksicht auf eine rein formelle, notwendige Änderung von Artikel 113, Absatz 3, wie folgt: Artikel 89, Absatz l wird wie folgt ergänzt: «Vorbehalten bleibt jedoch Artikel 93Ws».

Artikel 93bls: 50000 stimmberechtigte Bürger oder acht Kantone haben dag Eecht, den Erlass, die Abänderung oder die Aufhebung eines Bundesgesetzes oder eines allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses zu verlangen.

Ein solches Begehren ist nur gültig und dem Volke zum Entscheid vorzulegen, wenn es nicht gegen die Bundesverfassung oder Verpflichtungen des Bundes verstösst, die auf Staatsverträgen beruhen. Es darf auch nicht die Änderung oder Aufhebung von Verwaltungsakten oder Gerichtsurteilen verlangen.

Ein Begehren darf nicht mehr als eine Gesetzesmaterie zum Gegenstand haben.

Das Begehren ist in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfes einzureichen.

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Die Prüfung der Gültigkeit eines Begehrens ist Sache der Bundesversammlung.

Ist die Bundesversammlung mit dem Begehren einverstanden, so erhält es, unter Vorbehalt von Artikel 89. Absatz 2, Gesetzeskraft. Sind nicht beide Eäte mit dem Begehren einverstanden, so ist dieses dem Volke zum Entscheid vorzulegen.

Die Bundesversammlung kann dem Volke die Verwerfung des Begehrens beantragen; sie kann ihm gleichzeitig einen Gegenvorschlag unterbreiten.

Artikel 93ter : Über das Verfahren bei der Behandlung von Gesetzesinitiativen wird ein Bundesgesetz das Nähere bestimmen.

Artikel 113, Absatz 3: In allen diesen Fällen sind jedoch die Bundesgesetze und allgemein verbindlichen Bundesbeschlüsse, Sowie die von der Bundesversammlung genehmigten Staatsverträge für das Bundesgericht massgebend.

Art. 2 !

Dem Volk und den Ständen wird die Verwerfung des Volksbegehrens beantragt.

Art. 3 Der Bundesrat wird mit dem Vollzug beauftragt.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über ein Volksbegehren für die Einführung der Gesetzesinitiative im Bund (Vorn 29.Dezember 1959)

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Bundesblatt

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Jahr

1960

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

05

Cahier Numero Geschäftsnummer

7978

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.02.1960

Date Data Seite

361-387

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