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Bundesblatt 112. Jahrgang

Bern, den 11. Februar1960

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Brecheint wöchentlich. Frei» SO Franken im Jahr, 16 Franken im Halbjahr zuzüglich Nachnahme- und Pogtbestettungsyebühr · , Einrückungsgebühr: 50 Bappen die Petitzeile oder deren Bäum. -- Inserate franko an . , Stampf H & de. in Bern '

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Botschaft des

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Bundesrates an die Bundesversammlung über die Förderung des Baus und Experimentalbetriebs von Versuchs-Leistungsreaktoren :(Vom 26. Januar 1960) !, : ;

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren !

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Wir beehren uns, Ihnen Botschaft und Entwurf zu einem Bundesbeschliiss über die Förderung des Baus* und Betriebs schweizerischer Versuchs-Leistungsreaktoren zu unterbreiten. Dieser Entwurf sieht Beiträge des Bundes im Betrage von höchstens 50 Millionen Eranken an eine nationale Organisation für die Durchführung von Projekten vor. Damit soll im allgemeinen Interesse das Sammeln von Erfahrungen im Bau und Betrieb von Atomkraftwerken zur Forderung1, der Exportindustrie und der zukünftigen Energieversorgung des Landes ermöglicht werden.

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, I. Die Zielsetzung ; ' , 1. Die Problemstellung · · · Die wirtschaftlich überragende Bedeutung der, Atomenergie wird vor allem in ihrer Nutzung zur Erzeugung von Elektrizität und Wärme liegen. Es wird heute allgemein anerkannt, dass in nicht ferner Zeit der rasch zunehmende Weltbedarf an elektrischer Energie zu einem erheblichen Teil durch die Einschaltung von Atomkraftwerken gedeckt werden muss. Desgleichen ist damit zu rechnen, dass Kernreaktoren zu Heizzwecken und für den Antrieb von Fahrzeugen, insbesondere von Schiffen, sehr bedeutungsvoll werden. Diese Prognose führte in den meisten Industriestaaten zu grossen Anstrengungen für die Förderung der Beaktortechnik. Das Ziel besteht darin, Beaktoren zu entwickeln und herzustellen, die in möglichst sicherem Betrieb und zu gleich günstigen wenn Bundesblatt. 112. Jahrg. Bd. I.

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nicht günstigeren Bedingungen wie die konventionellen Methoden Strom und Wärme liefern. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht. Die Atomtechnik steht noch im Entwicklungsstadium.

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Die neuartigen wissenschaftlichen und technischen Probleme, die sich bei der Erschliessung dieses neuen Gebietes stellen, sind aussergewöhnlich umfangreich und schwierig. Ihre Bewältigung erheischt einen Einsatz an qualifizierten Fachleuten und finanziellen Mitteln, der die Möglichkeiten einzelner, selbst der leistungsfähigsten Privatunternehmen übersteigt. Der zunächst unerlässliche Bau von Versuchs-Leistungsreaktoren ist mit technischen und wirtschaftlichen Eisiken verbunden, die derart gewaltig sind, dass sie von der Privatwirtschaft allein nicht getragen werden können.

Die Länder, in denen die Eeaktorentwicklung an die Hand genommen wurde, haben daher ausnahmslos beträchtliche staatliche Mittel eingesetzt, und zwar nicht nur für angewandte Eorschungsaufgaben von der Art wie sie in der Schweiz in Würenlingen betrieben werden, sondern auch für die Entwicklung und den Bau ,vpn Versuchs-Leistungsreaktoren verschiedener Typen und für erste Grossatomkraftwerke. Die USA z.B. wenden seit Jahren zu diesen Zwecken an staatlichen Mitteln mehrere hundert Mio Dollar jährlich auf, im laufenden Finanzjahr über 400 Millionen Dollar. In ähnlichen Grössenverhältnissen bewegen sich die Anstrengungen Frankreichs und Grossbritanniens, und in neuester Zeit auch Deutschlands. Auch kleinere Industriestaaten haben mit dern Bau und der Planung von Versuchs-Leistungsreaktoren begonnen .Staat und Industrie arbeiten dabei Hand in Hand. In manchen Ländern gehen, sei es von der verstaatlichten, sei es von der privaten oder gemischt-wirtschaftlichen Elektrizitätswirtschaft Aufträge zürn Bau von Atomanlagen aus, anhand deren die Konstruktionsfirmen wertvolle Erfahrungen sammeln können.

Unter dem Impuls, der der neuen Technik in dieser Weise gegeben wird, macht sie rasche Fortschritte. Fachleute rechnen damit, dass das Ziel des Baus von sicheren und wirtschaftlich konkurrenzfähigen Reaktoren in den führenden Ländern in 5 bis 10 Jahren erreicht sein dürfte. Damit wird aber die Entwicklung nicht haltmachen. Das Streben nach immer besseren Konstruktionen wird andauern, und manche Länder, unter ihnen vorab die grossen Atommächte, werden voraussichtlich
noch auf Jahre hinaus die Technik des Eeaktorbaus fördern; denn, wie die beiden atomwissenschaftlichen Konferenzen in Genf von 1955 und 1958 gezeigt haben, entwickeln sich die Atomenergie und ihre technische Beherrschung zu immer wichtigeren Faktoren des Wohlstandes und der wirtschaftlichen Bedeutung eines Landes. Bereits recht deutlich zeichnet sich auf diesem Gebiet ein eigentlicher Wettstreit der Eeaktorlieferanten um die internationalen Märkte ab.

2. Die Bedeutung der Reaktortechnïk für die schweizerische industrielle Entwicklung Die schweizerische Maschinenindustrie ist noch mehr als in anderen Ländern auf die Herstellung und den Export von Maschinen und Apparaten zur Energie-

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erzeugung ausgerichtet. Dank ihrer Qualitätsarbeit war sie in der Lage, sich auch in dieser-Beziehung auf den Weltmärkten eine starke Position zu, schaffen und so einer der Hauptträger des schweizerischen Exports zu werden.

Diese Stellung wird kaum beibehalten und weiter ausgebaut werden können, wenn, wie dies heute angenommen wird, mit den Jahren die konventionellen Energieerzeugungsanlagen in zunehmendem Ausmass durch Atomkraftwerke ergänzt werden, es sei denn, es gelinge der schweizerischen Maschinenindustrie, sich in die. Eeaktortechnik einzuschalten und sich über ihr Können sowie über eine beträchtliche eigene Erfahrung auf diesem :neuen Gebiet; auszuweisen.

Ger'ade letzterer Eaktor dürfte wegen des mit der Atomenergie verbundenen Gefahrenmoments in.Zukunft von grösserer Bedeutung sein als dies heute beim Kauf irgendeines noch so kostspieligen konventionellen Produktes der Fall ist.

Schon allein aus diesem Grunde wird sich die schweizerische Industrie kaum nur mit dem Kauf und der Ausführung ausländischer Lizenzen begnügen können.

Eine andere Lösung könnte in der Weise gesucht werden, dass sich die schweizerischen Unternehmen nur auf die Herstellung einzelner Bestandteile von Atomanlagen beschränken. Eine wichtige Voraussetzung dafür wäre allerdings eine gewisse Arbeitsteilung und kommerzielle Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinaus. Die Entwicklung scheint jedoch,in dieser Hinsicht besonders in den führenden Atomländern eher in einer anderen Bichtung zu gehen, indem sich dort Industriegruppen bilden, die in der Lage sind, ganze bzw.

schlüsselfertige Atomanlagen herzustellen und anzubieten. Für den Käufer sind damit wesentliche Vorteile verbunden, insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer zureichenden Garantie und Verantwortlichkeit für die ; Betriebssicherheit solcher Anlagen. Beim Verzicht auf die Bildung landeseigener Industriegruppen dürfte auch nicht davon ausgegangen werden, dass die einzelnen schweizerischen Unternehmen ohne weiteres die Möglichkeit hätten, sich direkt an den ausländischen Indüstriegruppen zur Sicherstellung des Absatzes der von ihnen produzierten Bestandteile zu beteiligen.

Die Schaffung eigener Gelegenheiten zur Einarbeitung in die Beaktortechnik drängt sich deshalb auf. Angesichts der Fortschritte des Auslandes ist diese Aufgabe als dringlich zu
betrachten. Auch der Gefahr einer Überalterung der industriellen Produktion wird besser begegnet werden können, wenn neue Entwicklungsaufgaben ohne Verzug in Angriff genommen werden. Für die schweizerische Maschinen- und Apparateindustrie ist somit die Einschaltung in die Atomwirtschaft von lebenswichtiger Bedeutung.

, 3. Die energiewirtechaftlichen Aspekte · , Als weiterer Aspekt ist die künftige Energie-, namentlich die Elektrizitätsversorgung der Schweiz in Betracht zu ziehen. Nach herrschender Auffassung ist damit zu rechnen, dass der .wirtschaftlich tragbare Ausbau der einheimischen Wasserkräfte in den siebziger Jahren vollendet sein dürfte. Der darüber hinausgehende Bedarf wird auf thermischem Wege zu decken sein. Das würde gerade

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für ein Land wie die Schweiz, das über keine Kohle verfügt und dessen eigene Vorkommen von Öl .und Brdgas noch ganz ungewiss sind, eine erhöhte Abhängigkeit vom Auslande zur Folge haben. Diese Entwicklung kann nur vermieden werden, wenn es gelingt, andere Energiequellen zu erschliessen, wobei die Atomenergie im Vordergrund steht. Die Einschaltung der Atomkraft in die Energieversorgung hätte überdies den Vorteil, dass sich dank der gewaltigen Energiekonzentration im Atombrennstoff die Probleme des Transportes, der Lagerung und der Vorratshaltung, die besonders bei Kohle, Öl und Naturgas recht schwierig sind, wesentlich reduzieren, wodurch eine grössere Unabhängigkeit von wirtschaftlichen und politischen Umständen des Auslandes gewährleistet wird.

Planung, Bau und Betrieb der Atomkraftwerke, die den künftigen Energiebedarf decken sollen, setzen aber, ganz abgesehen von der Konstruktion der Reaktoren und Zusatzmaschinen, geschultes Personal und Betriebserfahrungen voraus. Dazu ist eine mehrjährige Vorbereitung erforderlich, deren rechtzeitige Inangriffnahme sich die schweizerische Elektrizitätswirtschaft zur Aufgabe gemacht hat.

4. Verteilung der Aufgabe zwischen Staat und Wirtschaft In manchen Ländern, namentlich, in den Atomgrossmächten, vollzieht sich die Entwicklung der Reaktortechnik im vorwirtschaftlichen Stadium unter staatlicher Regie. Der Staat übertrug dort die Förderung der Atomenergie umfangreichen Organen und Atomforschungszentren, wo Tausende von Fachleuten in seinem Dienste stehen. Neben eigentlicher Forschungsarbeit planen diese Institutionen auch Prototypreaktoren und entwickeln diese in mehr oder weniger enger Zusammenarbeit mit der Industrie. Der Ursprung dieser .Zentren liegt weitgehend in den militärischen Zwecken, die anfänglich bei der Nutzung der Atomenergie verfolgt wurden, und die zwangsläufig im ausschliesslichen Banne des Staates lagen. Aus ihnen wuchs allmählich, technisch vielfach mit dem Militärischen verknüpft, die Entwicklungsarbeit zu friedlichen Zwecken. Die wohlausgerüsteten Zentren standen dafür um so selbstverständlicher zu Gebot, als sich auch im zivilen Sektor eine Art Wettrüsten entfaltete, an dem der Staat führenden Anteil nimmt. So kam es, dass die Reaktorentwicklung meistenorts und trotz dem Bestreben, die Privatwirtschaft möglichst weitgehend dazu
heranzuziehen, nicht nur finanziell, sondern auch technisch vorwiegend vorn Staat getragen wurde und wird.

In, der Schweiz liegen die Verhältnisse anders: Einmal fehlt der Anknüpfungspunkt an militärische Bestrebungen. Vor allem aber erlaubt, einem Kleinstaat, wie die Schweiz, das Gebot der Ökonomie der Kräfte und Mittel nicht, ein staatliches Zentrum aufzubauen und zu unterhalten, das genügend leistungsfähig wäre, um selbständig auch industrielle Entwicklungsarbeiten vorzunehmen.

Dies wäre auch aus rein staatspohtischen Erwägungen nicht möglich. Die Schweiz steht verfassungsmässig auf dem Boden der privatwirtschaftlichen Ordnung. Denigemäss ist die Wirtschaft in erster Linie für den technischen Fort-

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schritt verantwortlich. Eine andere Politik ins Auge fassen zu wqllen wiirde bedeuten, dass die Verantwortung zur Forderung des technischen Fortschritts, im allgemeinen, Wovon die Forderung des Baus von .Versuchs-Leistungsreaktoren nur, ein T.eil ist, an den Staat iiberginge. Mit der Zeit wurde dies auch zu einer Abtr.etung der Initiative auf diesem Gebiet an den Staat fuhren, was letzten Endes weder ,dem offentlichen Interesse noch der privatwirtschaftlichen ;Konzeption entsprechen wiirde.

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Das bedeutet aber iiicht.'class der Staat unbeteiligt beiseite stehen:kann.

Der technische Fortschritt ist heute starker denn.je mit den wirtschaftlichen Grundlagen eines Landes, mit den Exportmoglichkeiten, mit der Sich'erung von Absatzmarkten und daher rnit der Wohlfahrt des Staates aiif lange Sicht verburiden. Der .Staat kami deshalb vom allgemeinen Landesinteresse aus gesehen diese Aufgabe der Wirtschaft nicht .allein iiberlassen, wenn ihre Bewaltigung deren Krafte iibersteigt. Diese Auffassung kommt auch in Artikel 2, Absatz 2 des Bundesgesetzes liber die friedliche Venvendung der Atomenergie und den Strahlenschutz zum Ausdruck, der folgenden Wortlaut nat:, : An die Forschung von Erwerbsmiterneluiien werden keine Beitrage ausgerioMet.

Wenn 'das Sffentliohe Interesse es verlangt, konnen ausnahmsweise Vorhaben von Brwerbsunternehraen zur Forderung dei" Forschung und Ausbildung von Fachleuten mit Bundesmitteln unterstiltzt warden. Der Bund kann sich an solclien Unternehmen beteiligen. - · · 'i

Mit der Schaffmig der Anlagen in Wurenlingen durch die Eeaktor AG wurde mit Unterstiitzmig des Bundes ein grosszttgiger erster Schritt zur Entwicldung schweizerischer Beaktoren .getan. Die dort errichteten Forschungsreaktoren, Laboratorien und Einrichtungen erlauben, kern- und reaktorphysikalische Eorschungen1 sowie Materialirntersuchungen von Werkstoffen im Strahlungsfeld von Beaktoren vorzunehmen, die ftir den Beaktorbau iunerlässlich sind. ;Die Fachleute, die diese Forsclxungsanlagen bauten und betreiben, haben besonders bei der Konstruktion des «DIOBIT» sowie bei dem Umbau.des «SAPHIR» grosse praktische Erfahrungen gesammelt, und rhanche von ihnen genossen eine spezielle Ausbildung im Ausland. Sie stehen nun als eine wahrend mehrerer Jahre eingearbeitete' Bquipe bereit, ihre eigentliche Aufgabe, die Hilfeleistung beim Beaktorbau iri der Schweiz, aufzunehmen.

Ohne diese Mitwirkung w-aren die, Anlagen I in Wurenlingen an sich nicht gerechtfertigt.und die damit verbundenen Auslagen konriten kaum verantwortet werden. Die Errichtung dieser Forschungsstatte ist das besondere Verdienst derjenigen Wirtschafts- und' Industriekreise, welche seinerzeit von langfristigen Uberlegungen ausgehend, die Initiative zur Gründung der Beaktor AG ergriffenhatten.

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i Aber die Anlagen in .Wurenlingen erlauben der, Industrie noch nicht:ohne weiteres an die Erzeugung Icommerziell verwertbarer und rentabel arbeitender Atomkraftwerke.heranzutreten. Zmschen die in Wurenlingen betriebene, angewandte Forschung und die eigentliche unmittelbaren Erwerbszwecken dienende industrielle Entwicklung, welche iiberall als die ausschliessliche Aufgabe der Wirt-

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Schaft eines Landes betrachtet wird, ist eine weitere Stufe einzuschalten. Es ist dies die Zwischenstufe der Versuchs-Leistungsreaktoren, bei welchen das betriebswirtschaftlich kalkulierbare und privatwirtschaftlich vertretbare Eisiko weit über dem der Wirtschaft zumutbaren Ausmass liegt. Trotz dem Willen, die privatwirtschaftliche Ordnung auch auf dieser Stufe zu respektieren, erscheint eine Hilfe der öffentlichen Hand unerlässlich, um die Industrie von dem Teil des Risikos zu entlasten, der über dem privatwirtschaftlich tragbaren Ausmass liegt.

Auf die Notwendigkeit einer staatlichen Unterstützung in dieser vorindustriellen Versuchsstufe hat der Bundesrat bereits in seiner Botschaft vom 11. Juli 1958 betreffend weitere Massnahmen zur Förderung der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiete der Atomenergie hingewiesen. Auch die Eidgenössische Kommission für Atomenergie hat das Interesse der Allgemeinheit, möglichst rasch Erfahrungen für den Bau und den Betrieb von Leistungsreaktoren zum Nutzen der Energieversorgung des Landes und der Erhaltung der Exportindustrie zu sammeln, bejaht und sich grundsätzlich für eine namhafte Beteiligung des Bundes an den Kosten für den Bau und den Betrieb von VersuchsLeistungsreaktoren ausgesprochen.

Eine staatliche Unterstützung in diesem Stadium liegt somit im allgemeinen Landesinteresse begründet, vorausgesetzt dass sie gestützt auf staatspolitisch verankerte Grundsätze erfolgt, worauf in Kapitel IV näher eingetreten wird.

II. Die Reaktorprojekte der Wirtschaft

Die schweizerische Industrie hat die Notwendigkeit zum Bau von PrototypAnlagen zukünftiger Atomkraftwerke recht früh erkannt. Die Bemühungen unter Zusammensehluss der zur Verfügung stehenden Kräfte (finanzielle Mittel und Fachleute), technisch interessante und realisierbare Projekte für den Bau von Prototyp-Leistungsreaktoren auszuarbeiten, gehen auf die Jahre 1956 und 1957 zurück. Es bildeten sich drei Gruppen, das «Konsortium für den Bau eines Versuchs-Atomkraftwerkes» (KONSÓBTIUM), die Energie Nucléaire S. A.

(ENUSA) und die SuiSatom AG (SUISATOM), die praktisch fast alle der schweizerischen Wirtschaft für ein solches Vorhaben zur Verfügung stehenden und massgeblichen Kräfte erfassen.

5. Das Projekt des KONSOBTIUMS Im Juli 1956 schlössen sich führende deutschschweizerische Unternehmen (Contraves AG Zürich, Escher-Wyss AG Zürich, Maschinenfabrik OerlikonZürich und Gebrüder Sulzer AG Winterthur) zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, welche mit dem Schweizerischen Schulrat das Projekt eines schwerwassermoderierten Druckrohr-Eeaktors als zusätzlicher Wärmespender für das Fernheizkraftwerk der ETH ausarbeitete. Neben der Erzeugung von Elektrizität und Heizwärme sollte dieses Versuchskraftwerk auch für die Lehr- und For-

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schungstätigkeit der'ETH zur Verfügung stehen. In der Folge wurde dieses Projekt fallen gelassen. Die Studien am Beaktorprojekt als solchem wurden von dem inzwischen gebildeten «Konsortium für den1 Bau eines Versuchs-Atom-, kraf twerkes », dem neben den ursprünglichen Initianten noch die FirmenBrown Boveri & Cie. AG Baden, Landis & Gyr AG Zug, Sprecher & Schuh AG Aarau und Bd. Züblin & Co. AG Zürich beigetreten waren, fortgeführt,.

,'Der Zweck des KONSOBTIÜMS besteht in der Erstellung! des Prototyps einer Beaktorbauart, die im wesentlichen eine eigene schweizerische Weiterentwicklung darstellt. Diese Bauart soll sich nicht nur für die schweizerischen Verhältnisse eignen, sondern auf weitere Sicht · auch Exportchancen eröffnen.

Gleichzeitig soll sie den beteiligten Industrieunternehmen Gelegenheit bieten, die nötigen Erfahrungen zur spätem Einschaltung in dieses Gebiet zu sammeln.

Von dieser Zielsetzung ausgehend wurde', das System des schwerwassermoderierten Eeaktors gewählt. Als Brennstoff wird Natururan verwendet; das System kann aber jederzeit auch,auf angereichertes Uran umgestellt werden, falls sich; dies in Zukunft als zweckmässig erweisen sollte. Massgebend ist dabei die Überlegung, dass Natururan leichter zu beschaffen ist,als angereichertes Uran., Angesichts seiner verhältnisrnässig niedrigen Preise sollte, es; auch möglich sein, zunächst auf ein Beprozessieren des bestrahlten Brennstoffs zu verzichten. Die Verwendung des SchwerenWassers als Moderator,.gestattet eine gute Neutronenökonomie, die sich ihrerseits wiederum in einer sparsamen Ausnutzung des spaltbaren Materials auswirkt. Die Moderatortemperatur wird tief gehalten. Für die Kühlung im Nutzkreislauf war ursprünglich ein Druckwasser Zwangsumlauf vorgesehen, wobei aber damals bereits die Verwendung anderer Wärmeträger erwogen wurde. Die .Entwicklungsarbeiten für eine Kühlung mit Leichtwass'erdampf sind inzwischen so weit gediehen, dass diese Kühlart für die Ausführung definitiv gewählt- wurde.

Besonders charakteristisch für die gewählte Bauart ist, dass darauf verzichtet werden kann, das Moderator-System unter erhöhten Druck zu setzen.

Das hat zur Folge, dass nicht der ganze Eeaktor innerhalb eines Druckgefässes unterzubringen ist. Lediglich die einzelnen Brennstoffelemente werden druckfest gestaltet. Die Extrapolation auf
grosse Eeaktor-Einheiten lässt sich somit, im Gegensatz zur Herstellung von Druckgef ässen grösserer Abmessungen, relativ einfach durchführen, weil, die einzelnen unter Druck stehenden Brennstoffelemente gleichartig ausgebildet werden können. Für die Erzielung grösserer Leistungen ist nur deren Anzahl zu vermehren. Die Anschlüsse ! der einzelnen Elemente sind dabei so gestaltet, dass nicht nur die vorerst zur Ausführung vorgesehenen haarnadelförmigen Druckrohre eingebaut werden können, sondern auch anders gestaltete Elemente. Auf diese Weise wird die Flexibilität bezüglich des spätem Versuchsbetriebs beträchtlich erhöht. Der Wegfall des Druckgefässes bedeutet auch eine · Steigerung der Sicherheit,; weil1 der Bruch eines einzelnen Druckrohrelementes lange nicht dieselben Auswirkuhgen hätte wie die Explosion d e s Gefässes; : ' · · · ' · ·

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Für den Prototyp ist vorläufig bei einem Druck von 60 Atmosphären (ata) und einer Brennstoffmenge von ca. 5 Tonnen Natururan bzw. leicht angereichertem Uran eine elektrische Leistung von 6000-8000 kW vorgesehen.

Diese Beschreibung entspricht dem gegenwärtigen Stand der Projektierungsarbeiten, was aber Anpassungen unter Verwertung neuer technischer Erkenntnisse im Verlaufe des Baus nicht ausschliesst.

Die Gesamtkosten für die Errichtung der Prototyp-Anlage einschliesslich des Brennstoffs, für allfällige Anpassungen des Projektes an den neuesten Stand der Technik während der Bauperiode und für den industriellen Versuchsbetrieb und die damit verbundene experimentelle Auswertung der Anlage sowie für Unvorhergesehenes wurden vom KONSOKTIUM auf 55 Millionen Franken geschätzt.

6. Das Projekt der ENUSA In der Westschweiz bildeten am 10. August 1956 eine Eeihe von Industrie firmen und Elektrizitätsunternehmungen eine Studiengemeinschaft, die ein zur .Eigenentwicklung aussichtsreiches und sich zur Anpassung an die schweizerischen Produktionsmöglichkeiten eignendes 'Reaktorsystem auswählen sollte.

Gestützt auf die damals bekannten und anlässlich der ersten Genfer Konferenz veröffentlichten Erfahrungen des Auslandes entschloss sich die Studiengemeinschaft für das System des leichtwassermoderierten, mit angereichertem Uran arbeitenden Eeaktors. Das entsprechend ausgearbeitete Projekt wurde von der am 18.Juli 1957 gegründeten «Energie Nucléaire S.A.» (ENUSA), welcher Kantone der Westschweiz und 15 Firmen der Maschinenindustrie, der Elektrizitätswirtschaft und anderer Branchen angehören, übernommen.

Die ENUSA bezweckt mit ihrem Projekt, den Prototyp einer Eeaktoranlage von einem relativ einfachen und erprobten, für eine Anpassung an die schweizerischen Verhältnisse geeigneten System zu erstellen. Auf diese Weise soll besonders der Industrie der Westschweiz Gelegenheit geboten werden, sich in das Gebiet der Eeaktortechnik einzuarbeiten, daneben die thermischen Probleme zu studieren sowie Betriebserfahrungen zu sammeln.

Von dieser Zielsetzung ausgehend und wegen des bei der Kavernenbauart massgebenden Gesichtspunkts der Eaumersparnis wurde der im Ausland schon in vermehrten Varianten gebaute Siedewasserreaktor ausgewählt. Von der Verwendung Schweren Wassers wird dabei abgesehen, weil sie die direkte Überführung
des Dampfes in die Turbine erschweren würde. Als Moderator wird leichtes Wasser benützt. Dies bedingt die Benutzung eines angereicherten Brennstoffes anstatt Natururan. Das leicht angereicherte Uran wird in Form von Oxyd verwendet.

Charakteristisch für das ENUSA-Projekt ist ferner die Ausgestaltung des thermischen und hydro-dynamischen.Teils der Anlage, die sowohl eine Konvektions-Kühlung als auch einen Zwangsumlauf und sowohl die Einschaltung der Turbine in den Primärkreislauf (wo sie radioaktivem Dampf ausgesetzt wäre) als auch die Zwischenschaltung eines Wärmeaustauschers oder die gleichzeitige

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Benützung beider Systeme gestattet. Daraus ergeben sich verschiedene Variationsmöglichkeiten für den Betrieb, was besonders im Hinblick auf Leistungssteigerungen interessant sein kann. Für die Turbine samt Kondensator und Hilfseinrichtungen ist allerdings mit Rücksicht: auf die Eadioaktivität des .Dampfes bei Einschaltung der Turbine in den Primärkreislauf eine Sonderkonstruktion notwendig.

, ; Der Druck ist vorerst auf 40 ata festgelegt, ; doch ist für den späteren Versuchsbetrieb eine Steigerung auf 70 ata vorgesehen. Bei einer Brennstoffmenge von 2,5 Tonnen Uranoxyd (angereichert) soll die, elektrische Leistung 5000 kW betragen. . ' ' ' ' ' !· Auch hier ist der gleiche Vorbehalt wie beim KONSOETIUM-Projekt betreffend weiterer technischer Anpassungen im Laufe des definitiven Projektierungsstadiums und während des Baus zur Auswertung der neuesten technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse anzubringen: , Die ENUSA veranschlagt die Gesamtkosten für die Errichtung der Anlagen einschliesslich Brennstoff, industrieller Versuchsbetrieb und Unvorhergesehenes auf 40 Mio Franken.

7. Das Projekt der SUIS'ATOM Am 1,9. Juli 1957 gründeten die vier grössten schweizerischen Elektrizitätsversorgungs-Gesellschaften, die Kordostschweizerischen Kraftwerke AG, AareTessin AG,für Elektrizität, die Bernischen Kraftwerke AG und die S.A. de l'Energie de l'Ouest-Suisse, die SUISATOM AG, der, später,noch die Elektrizitätswerke'der Städte Basel,, Bern und Zürich, die Electro-Watt AG, das Kraftwerk Laufenburg, die Zentralschweizerischen Kraftwerke und die Schweizerischen Bundesbahnen beigetreten sind.

, , , , Bei,der Zweckbestimmung ihres Projektes ging die SUISAT,OM;davon aus, dass der schweizerischen Elektrizitätswirtschaft im Hinblick auf den späteren Einsatz der Atomenergie möglichst rasch Gelegenheit .geboten werden sollte, an einem normal und nicht experimentell betriebenen Versuchskraftwerk Betriebsund betriebswirtschaftliche Erfahrungen zu sammeln : sowie das erforderliche Bedienungspersonal auszubilden. Der Kauf eines bereits erprobten ausländischen Reaktors wurde deshalb in Aussicht genommen. Die Wahl fiel dabei auf den Siedewasserreaktor, der von der amerikanischen 'General. Electric auf Grund der grossen Vorarbeiten in den'Anlagen der amerikanischen Atomenergiekommission weiterentwickelt wird und der
wegen seiner kompakten Bauart sich für den Einbau in Kavernen eignet. ' Gleich wie das ENUSA-Projekt verwendet dieser Reaktor leichtes Wasser als Moderator und i Uranoxyd als Brennstoff. Seine Leistung ist jedoch viel grösser, da er bei einem Druck von 62,5 ata und einer thermischen Leistung von 65 000 kW eine garantierte elektrische Leistung von 20 000 kW, die eventuell auf 27000 kW gesteigert ; werden kann, erreicht. Im Gegensatz, zum ENUSAProjekt sind nur, der direkte, Kreislauf (radioaktiver Dampf in die Turbine) und : die Konvektions-Kühlung: (kein Zwangsumlauf) vorgesehen.

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Wesentlich für das SUISATOM-Projekt ist, dass nur der Eeaktor selbst aus dem Ausland zu beziehen wäre. Alle übrigen Anlageteile einschliesslich des Druckgefässes und einer wegen der Eadioaktivität im Dampf besonders ausgeführten Spezialturbine wären von der schweizerischen Industrie herzustellen.

Eine Besonderheit des Projektes ist ferner die ringförmige Anordnung des grossen Wasserbassins, wodurch die Auswirkungen schwerer Kesselhavarien bedeutend eingeschränkt werden.

Mit dem Kauf des Eeaktors wäre die vertragliche Abmachung verbunden, die SUISATOM an den Betriebserfahrungen mit anderen Bauarten von Siedewasserreaktoren des grossangelegten Entwicklungsprogramms der General Electric zu beteiligen.

Die Gesamtkosten für den Kauf des Eeaktors, den Bau der Anlagen und Unvorhergesehenes werden auf 58 Millionen Franken geschätzt. Die Betriebskosten sollen durch einen entsprechend angesetzten Verkaufspreis der produzierten Energie gedeckt werden.

8. Gemeinsame Merkmale der Projekte Allen drei Projekten gemeinsam ist das Bestreben, Eeaktortypen auszuwählen, die den spezifisch schweizerischen Verhältnissen entsprechen. Diese Verhältnisse zeichnen sich einmal durch die dichte Besiedlung des Landes aus.

An die Sicherheitsmassnahnien zum Schütze der Bevölkerung werden deshalb besonders hohe Anforderungen gestellt. Aus diesem Grunde haben die drei Projektgruppen von Anfang an nur Eeaktortypen gewählt, die sich wegen ihrer kompakten Bauart für die Errichtung in einer Kaverne eignen. Aus dem gleichen Grunde wurden bestimmte im Ausland bereits erprobte Eeaktortypen, wie zum Beispiel der vom Calder Hall-Typ, der gegenwärtig sowohl in England als auch in Frankreich zum Einsatz gelangt, nicht berücksichtigt. Auch vom Gesichtspunkt der zukünftigen Exportchancen für die schweizerische Industrie erscheinen Anstrengungen zur Entwicklung von Reaktoren kleinerer und mittlerer Leistung empfehlenswert.

Über die Anordnung der Eeaktoranlage mit Zubehör in einer Kaverne bestehen zurzeit im Ausland, mit Ausnahme von Schweden und Norwegen, keine oder nur geringe Erfahrungen. Die drei Projektgruppen schenkten deshalb der Ausgestaltung und Entwicklung dieser Bauart und den damit verbundenen technischen Problemen ihre besondere Aufmerksamkeit, was freilich die Baukosten erhöht.

Ein gemeinsames Merkmal der drei Projekte ist
schliesslich, dass es sich nicht um das mehr wissenschaftlich-technische Erproben ganz neuartiger theo retischer Konzeptionen eines bestimmten Eeaktorsystems im Hinblick auf die Entwicklung der zukünftigen Eeaktortechnik handelt, sondern um PrototypAnlagen von Atomkraftwerken, bei welchen bereits die Probleme der technologischen, industriellen und wirtschaftlichen Verwertbarkeit des benützten Ee-

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aktortyps im Vordergrund stehen. Die Erzeugung von Strom und Wärme bildet somit, wenn auch in einem beschränkten Umfange, einen Bestandteil des ein: !

zelnen Projektes.

III. Prüfung der Unterstützungsgesuche 9. Unterstützungsgesuche an den Bund '·, Alle drei Projektgruppen richteten Ende 1958/anfangs 1959 an den Bundesrat .Gesuche um finanzielle Unterstützung ihrer Vqrhaben. Die SUIS ATOM hat später ihr Gesuch zurückgezogen; dagegen haben die Schweizerischen Bundesbahnen ihre Beteiligung erhöht.

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Diese Gesuche stellten den Bundesrat vor die Aufgabe, nicht nur die grundsätzliche Frage einer staatlichen Unterstützung,! wie sie im I. Kapitel dargelegt wurde, abzuklären, sondern gleichzeitig auch die Projekte von wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten aus bezüglich : ihrer Zweckmässigkeit und Durchführbarkeit zu prüfen. Er hat sich dabei von der auf Beginn des Jahres 1959 gegründeten Eidgenössischen Kommission für Atomenergie und von einer Gruppe unabhängiger schweizerischer Experten, die noch die Meinung eines im Eeaktorbau erfahrenen ausländischen Spezialisten einholte, beraten lassen.

Sowohl die Kommission als auch die Experten gelangten zum Schluss, dass die Projekte dem gleichen übergeordneten Ziel der Einschaltung der Atomenergie in das schweizerische Wirtschaftsleben dienen, dass sie das Stadium der Beschlussreife erreicht haben und technisch mit den vorgesehenen Mitteln, soweit dies überhaupt beim heutigen Stand der Technik und Wissenschaft beurteilt werden kann, durchführbar sind.

: Diese Feststellung bildet den Ausgangspunkt der Beurteilung durch den Bundesrat. Sie umfasst indessen noch keinerlei Stellungnahme zur Frage, ob es sinnvoll und notwendig ist, im gegenwärtigen Zeitpunkt alle drei Projekte durchzuführen und ob es sich bei den gewählten Eeaktortypen tatsächlich um die geeignetsten Objekte zur Erreichung der gesteckten Ziele handelt.

10. Konzentrationsbestrebungen "· Frühzeitig setzte sich bei Fachleuten und in Kreisen der Wirtschaft die Erkenntnis durch,,dass die gleichzeitige Durchführung,aller drei Projekte dem Gebot des optimalen Einsatzes der verfügbaren Mittel zuwiderlaufen würde. :Die dafür erforderlichen Aufwendungen sind ausserordentlich gross, die Mittel sowohl in finanzieller als auch in technischer und personeller Hinsicht beschränkt.

Um eine Zersplitterung
des tragbaren Aufwandes zu vermeiden, drängt sich deshalb,eine Beschränkung des Programms auf ein bis zwei Projekte auf.

Für sich betrachtet, entsprechen die einzelnen Projekte freilich den durchaus gerechtfertigten'Absichten der dahinterstehenden Gruppen. Es ist deshalb nicht leicht, die bestmögliche Konzentration ohne empfindliche Einbusse am angestrebten Erfolg zu finden.

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Beim Projekt der SUISATOM steht, wie erwähnt, der Zweck im Vordergrund, im Hinblick auf den späteren Bau von grösseren Atomkraftwerken mehrjährige Betriebserfahrungen an einer Versuchsanlage zu sammeln und zu gegehener Zeit mit der Ausbildung des erforderlichen Bedienungspersonals zu heginnen. Um keine Zeit zu verlieren, beabsichtigte die SUISATOM, ihr Versuchskraftwerk mit einem erprobten Eeaktor ausländischer Provenienz auszurüsten.

Dadurch gedachte sie, eine Laufzeit des Versuchswerks von ca. 10 Jahren zur Sammlung betriebstechnischer und betriebswirtschaftlicher Erfahrungen zu ermöglichen, ehe sie glaubt, an den Bau von Atom-Grossânlagen herantreten zu müssen.

Bei der Ausarbeitung des SUISATOM-Projektes wurde von der damals herrschenden pessimistischen Beurteilung der künftigen europäischen Energieversorgung ausgegangen. Im Zeichen der Suezkrise erachteten damals die Fachkreise den Bau von Atomkraftwerken in ganz Europa für äusserst dringlich.

Fast alle Länder stellten Programma auf, denen zufolge schon 1965 der Einsatz der Atomenergie im grossen hätte erfolgen sollen. Inzwischen führte die Erschliessung der neu entdeckten Vorkommen von Erdgas und Erdöl, namentlich in Frankreich und in der Sahara, sowie das Überangebot an Kohle in den Ländern der Montanunion zu einer ändern Bewertung der Versorgungsaussichten. Man glaubt nicht mehr, in der nächsten Zukunft mit einer Energieknappheit rechnen zu müssen; der jüngste Bericht der Energiekommission der OECE bestätigt dies eindeutig. Einerseits ist deshalb anzunehmen, dass diese Energiesituation die Grossanwendung der Atomenergie hinausschieben wird, was sich vielleicht auch in der Schweiz nach der gleichen Eichtung auswirken könnte.

Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass die technische und wirtschaftliche Vervollkommnung des Atomreaktors, der gewaltigen hiefür eingesetzten Mittel wegen, raschere Fortschritte machen wird als ursprünglich angenommen, d. h.

dass der Zeitpunkt der Wettbewerbsfähigkeit der Atomenergie mit dem klassischen Brennstoff in der Energieerzeugung näherrücken wird. Obwohl heute noch nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden kann, wann der Einsatz der Atomenergie in die schweizerische Energieversorgung erfolgen muss, stellt sich die Frage, ob nicht an Stelle des einen und anderen klassischen Dampfkraftwerks, das wir
zur Ergänzung unserer hydraulischen Produktion bald benötigen werden, mit Vorteil ein Atomkraftwerk treten sollte.

Hieraus folgt mit aller Deutlichkeit, dass der schweizerische Eeaktorbau nun unverzüglich in das Stadium der Verwirklichung treten muss, wenn die Hoffnung auf einen späteren kommerziellen Erfolg verbleiben soll. Das Studium der ausländischen Entwicklungsprogramme zeigt auch, dass wir die Zusammenlegung aller verfügbaren Kräfte benötigen, um schliesslich erfolgreiche Konstruktionen auf den Markt zu bringen. Der Bundesrat erblickt im Schaffen von Einarbeitungsmöglichkeiten für die Industrie in den Eeaktorbau die dringendste und unaufschiebbare Aufgabe eines schweizerischen Programms. Die Experten des Bundesrates sind der Meinung, dass die Projekte des KONSOETIUMS und der ENUSA diesem Zwecke unmittelbarer dienen als der Kauf eines ausländischen

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Beaktors und dass sie mit den in der Schweiz zur Verfügung stehenden technischen Mitteln und Kenntnissen ausführbar sind. Ebenfalls erachten die Experten die beiden Industriegruppen für befähigt, ihr Programm durchzuführen und die damit verbundenen Konstruktionsprobleme zu lösen. Dabei werden den Konstrukteuren, da beim Eeaktorbau die Präzision und Qualität besonders wichtig sind, die reichen Erfahrungen und Kenntnisse der schweizerischen Industrie besonders zugute kommen.

' . · · / ' Gestützt auf diese Ansicht fragte sich der Bundesrat, ob die aktive Mitwirkung der SUISATOM an dieser schweizerischen Bemühung nicht geeignet wäre, dein Vorhaben schliesslich zum Durchbrach zu verhelfen und gleichzeitig auf diese Weise einen Teil des ursprünglichen SUISATOM-Programms zu verwirklichen. Er gelangte deshalb an die SUISATOM mit der Anregung, sie möge ihre Beteiligung an den Vorhaben der Industrie durch die Bestellung der projektierten schweizerischen Beaktoren prüfen.

Eine solche Zusammenarbeit böte den Vorteil erheblicher finanzieller Einsparungen, die sich nicht zuletzt auch zugunsten ; der SUISATOM auswirken könnten. Von Anfang an liesse sich auf diese Weise die bisher bewährte Zusammenarbeit zwischen Industrie und Elektrizitätswirtschaft in der Schweiz auch auf die Atomtechnik übertragen. Nach dieser Eichtüng ist im Ausland, z.B.

in England, Frankreich und Schweden, die verstaatlichte Elektrizitätswirtschaft vorangegangen, indem sie der Industrie Bauauf träge,für Leistungsreaktoren, die noch nicht Strom zu kommerziellen Bedingungen zu liefern vermögen, erteilte.

In ändern Ländern; z.B. USA und Deutschland, .folgten auch private Elektrizitätsgesellschaften diesem Beispiel. Sicher hegt es im .wohlverstandenen Interesse der, schweizerischen Elektrowirtschaft, in gemeinsamem Vorgehen nicht nur den künftigen Atomkraftwerkbau, sondern gleichzeitig auch die zukünftige Prosperität eines ; weiten Kreises der Industrie, der sehr gewichtige Elektrizitätskonsumenten umfasst, vorbereiten zu helfen.

': An Stimmen, die auf .eine noi3h weitere Konzentrierung, des Programms, d. h. auf die Durchführung, vorläufig bloss eines Projektes dringen, fehlt es nicht.,Die Beurteilung dieser Frage steht in engem Zusammenhang mit jener der Auswahl der Beaktortypen, auf die im folgenden eingetreten iwird.

11. Auswahl der in
der Schweiz zu konstruierenden Reaktortypen Der Bundesrat befasste sich im weitern mit der Frage, ob die vom KONSOETIUM und der ENUSA gewählten Beaktortypen tatsächlich als geeignete Objekte für die Einschaltung der'schweizerischen Industrie iri den Eeaktorbau betrachtet werden können.1 Er ist der Meinung, dass diese Frage letzten Endes von der Wirtschaft selbst zu entscheiden ist. Sie ist sowohl nach technischen als auch wirtschafthch-kommerziellen Gesichtspunkten1 zu beurteilen, und dafür haben nach unserer privatwirtschaftlichen Konzeption in erster Linie die Wirtschaft bzw. die interessierten Wirtschaftskreise die Verantwortung und das Bisiko zu übernehmen,. ' ' , : , : :

486

In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, dass jede der beiden Gruppen, KONSOBTIUM wie ENUSA, sich aus der einschlägigen Fachindustrie verschiedener Landesteile zusammensetzt, die zusammen einen erheblichen Teil der Maschinen- und Apparateindustrie unseres Landes umfassen, welche für derartige Arbeiten in Frage kommen. Es kann somit angenommen werden, dass die Wahl der Typen nach eingehenden Studien der Fachleute jeder Gruppe getroffen wurde. Durch zahlreiche persönliche Kontakte und Studienbesuche sind überdies Kenntnisse und Erfahrungen des Auslandes herangezogen worden. Dabei wurde auch auf die an der zweiten atomwissenschaftlichen Konferenz in Genf von allen führenden Atomländern bekanntgegebenen und sehr umfangreichen technischen sowie wirtschaftlichen Informationen über den gegenwärtigen Stand und die mutmassliche Entwicklung der Beaktortechnik abgestellt.

Wie die dauernden Verhandlungen über die Programmgestaltung der führenden ausländischen Behörden indessen zeigen, sind die Ansichten der internationalen Fachwelt in bezug auf die aussichtsreichsten Beaktortypen geteilt.

Übereinstimmung besteht im allgemeinen darüber, dass alle bisher in den Grundzügen erprobten Systeme - im Vordergrund stehen etwa 4-5 Typen - weiter entwicklungsfähig seien. Tn diesem Sinne äusserten sich neuerdings auch die Teilnehmer der im November 1959 abgehaltenen Jahresversammlung des «Atomic Industriai Forum» der Vereinigten Staaten, einer Vereinigung der an der industriellen Verwertung der Atomenergie dieses Landes beteiligten Unternehmen. Erwähnung verdient, dass anlässlich dieser Tagung sowohl der Siedewasser-Beaktor als auch der Druckrohr-Schwerwàsser-Beaktor als .wirtschaftlich besonders interessante Typen hervorgehoben wurden.

Somit gehören zwar die vom KONSOETIUM und der ENUSA gewählten Beaktortypen Entwickhuigsrichtungen an, die auch im Ausland als aussichtsreich betrachtet werden. Dies gestattet aber angesichts der bei den Fachleuten bestehenden Ungewissheit über die Bewährung der einzelnen Typen noch nicht, einen wirtschaftlichen Erfolg ohne weiteres als gesichert zu betrachten, bzw. sich darauf zu verlassen, dass die beiden Projekte mit Sicherheit die schweizerische Industrie zur Vorstufe -wirtschaftlicher Bealisationeri bringen. Die Experten erachten jedoch direkt erworbene Kenntnisse und
Erfahrungen für die Ein-, arbeitung der Industrie in dieses neue Gebiet als unerlässlich.

Unter diesen Uniständen und nachdem sich Sowohl die Experten als auch, gestützt aui deren Gutachten, die Eidgenössische Kommission für Atomenergie über Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit der Projekte des KONSOBTIUMS und der ENUSA günstig ausgesprochen haben, beschloss der Bundesrat, auf die Unterstützungsgesuche der beiden Gruppen einzutreten. Damit folgt er auch der Meinung der Experten, dass angesichts der heute in der Fachwelt noch bestehenden Unsicherheit über die aussichtsreichsten Beaktortypen der Zukunft, auf diese Weise den Interessen der schweizerischen Wirtschaft als Ganzes sowie der Erhaltung der Exportindustrie gedient wird. Aus der Verfolgung dieser beiden Entwicklungsrichtungen dürfte sich auch eine bessere Bisikoverteilung

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ergeben. Dabei darf das Projekt des KONSORTIUMS für sich in Anspruch nehmen, eigentliche Pionierarbeit zu leisten, allerdings auch unter der Eingehung eines grösseren Bisikos. Beim Projekt der BNUSA wird dieses Eisiko durch die bewusste Anlehnung an ausländische Vorbilder niedriger gehalten, was indessen die Möglichkeit eines späteren kommerziellen Erfolges dank origineller Lösungen bei der konstruktiven Ausbildung und Weiterentwicklung dieses Beaktortyps, nicht ausschliesst.

Der Vollständigkeit halber sei hervorgehoben, dass der Bundesrat die Durchfühnmg der beiden Projekte von einer Sicherheitsexpertise im Sinne von Artikel 4 auid 7 des schweizerischen Atomgesetzes abhängig zu machen gedenkt. Eine weitere Bedingung dafür ist die Bereitstellung des,.gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutzes.

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' ;, 12. Verhältnis der schweizerischen Projekte zu den internationalen , , Gemeinschaftsunternehmen Unter dem Patronat der europäischen Atomagentur der' OECE werden zur Zeit 2 gemeinsame Projekte durchgeführt, ·welche,der Förderung der Eeaktortechnik dienen: das «Halden-Projekt» in Norwegen und das, «Dragon-Projekt» in England. An beiden hat sich die Schweiz beteiligt.

Der bereits in Betrieb stehende Halden-Eeäktor erlaubt die Durchführung von Experimenten und das Samrneln von Erfahrungen, welche den schweizerischen Konstrukteuren unmittelbar zustatten kommen · werden. Sowohl: die ENUSA als auch das KONSORTIUM haben Fachleute nach Halden abgeordnet.

Ihre Wahrnehmungen sowie die technischen Informationen, die den Beteiligten periodisch zugehen, werden sich bei der Durchführung der schweizerischen Projekte verwerten lassen.

: : Grundsätzlich anders verhält es sich beim «Dragon-Projekt». Sein Zweck liegt in erster Linie im Erproben eines neuartigen Eeaktorsystems bzw. in der Durchführung eines Forschungs- und Versuchsprogramms im Hinblick auf die ' Vorbereitung der zukünftigen Beaktortechnik. Der Erzeugung von Strom und Wärme sowie den damit verbundenen industriellen und wirtschaftlichen Problemen kommt in diesem;Stadium keine Bedeutung zu. Das «Dragon-Projekt» bietet gerade jenen Staaten, welche, wie die Schweiz, noch, im Bückstand, sind und zufolge ihrer beschränkten Mittel an derart weit in die Zukunft weisende technische Forschuiigsaufgaben aus eigenen Kräften nicht herantreten können,
die, Gelegenheit, mit der fortschrittlichen Entwicklung und:mit; der Elite der europäischen Eeaktprspezialisten Kontakt zu halten. Langfristig gesehen ist dies für die schweizerische Industrie von unschätzbarer Bedeutung. Es genügt aber keineswegs, um sie : ihr Ziel ohne eigene Anstrengungen im Eeaktorbau erreichen zu lassen. Im Gegenteil, die Beteiligung; am '«Dragon-Projekt» wird sich nur, dann fruchtbar auswirken können, wenn auf nationaler Ebene .durch die Konstruktion eigener Versuchsanlagen die solide Grundlage;für eine Beaktorindustrie geschaffen, wird. In diesem Sinne vermag das internationale Gemein-

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Schaftsunternehmen nur die Anstrengungen im eigenen Lande zu ergänzen und den weiteren Ausbau der Eeaktorindustrie vorzubereiten.

IV. Finanzierung 13. Grundsätze und Bedingungen für die Bundeshilfe Die Kosten und Eisiken der Eeaktorentwicklung sind, wie dies bereits im I.Kapitel dargelegt wurde, heute noch derart gross, dass sie von der Wirtschaft allein nicht getragen werden können. Trotz dem Prinzip der freiheitlichen Ordnung der Wirtschaft in der Schweiz drängt sich somit eine staatliche Unterstützung auf. Der Bundesrat ist sich dabei aber durchaus bewusst, dass dies eine Neuerung gegenüber der geltenden Praxis darstellt. Eine staatliche Mitwirkung kann deshalb nur verantwortet werden, sofern von Anfang an Klarheit über den ausserordentlichen Charakter der Bundeshilfe im Sinne eines Sonderfalls besteht und wenn die Bundeshilfe zudem gemäss bestimmten staatspolitischen Grundsätzen erfolgt bzw. wenn sie an gewisse Bedingungen geknüpft wird.

Diese Grundsätze und Bedingungen sind im wesentlichen folgende : a. Das Subsidiaritätsprinzip Die Bundeshilfe ist sowohl in bezug auf ihren Umfang als auch hinsichtlich ihrer Bedeutung von Anfang an so zu gestalten, dass der entscheidende Binfluss und damit auch die Verantwortung für die industrielle Eeaktorentwicklung in der Schweiz nicht von der Wirtschaft auf den Staat übergeht. Die Bundeshilfe darf deshalb nur einen subsidiären'Charakter haben, d.h. sie,soll nur insoweit erfolgen, als ohne sie die im allgemeinen Landesinteresse nötige Entwicklung unterbliebe, und nur in dem Umfange, als die Wirtschaft tatsächlich nicht in der Lage ist, die finanzielle Last zu tragen. Auf jeden Fall hat die .Mitwirkung des Bundes, gemessen am Gesamtaufwand der Wirtschaft für die Eeaktorprojekte, ·minderheitlich zu sein.

b. Bückzahlungspflicht Die Bundeshilfe hat aber nicht nur der freiheitlichen Ordnung der Wirtschaft gerecht zu werden, sondern es ist dabei auch sicherzustellen, dass daraus den einzelnen Firmen nicht ungleiche Vorteile im Verhältnis zu ihrem Einsatz und dem von ihnen zu tragenden Eisiko erwachsen. Eine Folge davon ist, dass die Firmen Aufwendungen für Forschungs- und Lieferungsaufträge, die ihnen bei der Durchführung der Projekte erteilt werden, nur nach Massgabe ihrer effektiven Kosten zu berechnen haben. Daraus ergibt sich auch, dass die zur Überbrückung
der Anlaufschwierigkeiten gewährte finanzielle Unterstützung zum grösseren Teil zurückzuzahlen ist, sofern die Starthilfe des Bundes schliesslich zur erfolgreichen Einschaltung in das Beaktorgeschäft und zu Gewinnen für die beteiligten Firmen - sei es durch die Übernahme von Aufträgen oder durch den Verkauf von Lizenzen und Patenten - führt. Dabei ist der Bundesrat der Meinung, dass der Bund einen kleineren Teil dieser Unterstützung im Sinne eines

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Beitrages zur Förderung des technischen Fortschrittes im allgemeinen Landesintéressé «à fonds perdu» übernimmt.

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c. Zweckgemässe und möglichst rationelle V e r w e n d u n g . .

, , der Bundeshilfe , , Die Verwendung öffentlicher Mittel kann nur verantwortet werden, wenn dem Bund eine im allgemeinen Interesse und im Sinne des Bundesbeschlusses erfolgende Verwendung seiner Unterstützung gewährleistet wird. Dieses Erfordernis ist nicht mir Ausfluss eines gesunden Finanzgebarens, sondern wird auch durch die Knappheit der verfügbaren personellen, .technischen und'finanziellen Mittel gerechtfertigt. Der Bund muss deshalb an seine finanzielle Hilfe die Bedingung einer äussersten Konzentration aller Kräfte, der Vermeidung von Doppelspurigkeiten1 und Überschneidungen sowie einer möglichst engen Zusammenarbeit besonders in technischer Hinsicht zwischen den beteiligten Firmen unter sich und mit dem Eeaktorzentrum in Würenlingen knüpfen.

: d. Allgemeinheit der Bundeshilfe , i · Die Hilfeleistung des Bundes kann nicht an Einzelfirmen oder regionale Gruppen erfolgen; der Bund darf mit öffentlichen Mitteln nur das im allgemeinen Interesse liegende Bestreben der Einschaltung der schweizerischen Industrie in den Eeaktorbau unterstützen. Aus diesem Grund^muss er auch verlangen, dass sich! alle interessierten Kreise zu einer gemeinsamen .bereits bestehenden oder neu zu .bildenden nationalen Organisation zusammenschlièssen, welche nicht nur eine enge .technische, Zusammenarbeit und eine möglichst breite Verteilung der erzielten Erkenntnisse und Erfahrungen gewährleistet, sondern welche gleichzeitig auch dem Beitritt aller interessierten Unternehmen, ohne Bücksicht auf ihre Bedeutung und Grosse, offen steht. Darüber hinaus ist dem Bund noch das Recht einzuräumen, die auf Grund seiner Unterstützung gemachten Erfahrungen und Forschungsergebnisse zu seinen eigenen Zwecken zu verwenden oder im 'öffentlichen Interesse der Allgemeinheit zur Verfügung zu halten, Diese Bedingung ist für die Erhaltung der schweizerischen Wirtschaftsstruktur, die durch die grosse Zahl von Mittel-,und'Kleinbetrieben gekennzeichnet ist, aus politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen besonders wichtig.

Gerade diese Unternehmen .sind durch den raschen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, dem sie aus eigener Kraft nicht zu folgen vermögen, am meisten gefährdet. Es entspricht aber einem eminenten staatspolitischen Interess6j diesen Betrieben
den Anschluss an die neuen Erkenntnisse zu erleichtern, zumal der Bau von Atomanlagen auch für sie, als Zulieferer für die neuartigen Einzelteile .und Ausrüstungen, bedeutungsvoll werden kann.

e. Ausgestaltung der nationalen Organisation ' Aus dem Grundsatz, dass trotz einer Bundeshilfe die 'Verantwortung für die Keaktorentwicklurig bei der Wirtschaft bleiben muss, ergibt sich die Notwendigkeit, die nationale Organisation so zu gestalten, dass 'sie in der Lage ist, dem Bundesblatt. 112. Jahrg. Bd. I.

33

490 Bund gegenüber die Verantwortung für die Erfüllung der an die Bundeshilfe zu knüpfenden Bedingungen und eine zweckgemässe Verwendung der öffentlichen Mittel zu gewährleisten. Es ist ihr deshalb die Form zu geben, die ihr ermöglicht, rechtsverbindliche Handlungen vorzunehmen und die daraus resultierenden Verpflichtungen gegenüber ihren Mitgliedern durchzusetzen. Der Bundesrat wird sich dabei allerdings vorbehalten müssen, sicherzustellen, dass diese Organisation vom rechtlichen und administrativen Standpunkt aus gesehen jederzeit und zumindesten während der Dauer der Bundesunterstützung in der Lage ist, diese Aufgabe zu erfüllen. Ein gewisses Mitspracherecht bezüglich prinzipieller Fragen, wie die Form, die Dauer und das Geschäftsgebaren dieser Organisation, muss deshalb dem Bund gewahrt bleiben. Das bedeutet aber nicht, dass ihm eine entscheidende Binflussnahme besonders in technischen Belangen einzuräumen ist. Es wäre zweifellos im Sinne der vorstehend umschriebenen Verteilung der Aufgaben zwischen Staat und Wirtschaft nicht vertretbar, wenn der Bund der Wirtschaft bzw. der nationalen Organisation vorschreiben oder auch nur nahelegen möchte, welche technischen Zwecke im einzelnen im Rahmen der allgemeinen Zielsetzung anzustreben sind.

14. Finanzieller Bedarf und Beschaffung der Mittel Nach den bereinigten Schätzungen veranschlagen KONSORTIUM und ENUSA die Kosten für den Bau der zwei geplanten Versuchsanlagen und für den industriellen Versuchsbetrieb auf 95 Millionen Franken, wovon 55 Millionen auf das KONSORTIUM- und 40 Millionen auf das ENUSA-Projekt entfallen.

Die schweizerischen Experten haben sich ebenfalls zu der Koatenseite geäussert und die Berechnungen als objektiv und fundiert, wenn auch etwas optimistisch, bezeichnet, obwohl bereits Reserven für allfällige Kostenüberschreitungen einberechnet wurden.

Allgemein lehren die in anderen Staaten gemachten Erfahrungen, dass beim Bau von Reaktorprototypen die in herkömmlicher Weise aufgestellten Kostenschätzungen infolge der Neuheit und der notwendigen Anpassungen an die rasch fortschreitende Entwicklung häufig überschritten werden. Je mehr Erfahrungen in dieser Beziehung verfügbar werden, um so zuverlässiger sind allerdings die Berechnungsgrundlagen. Die schweizerischen Projektgruppen konnten sich bei der Aufstellung der Kostenvoranschläge
ihrer Projekte weitgehend auf ausländisches Erfahrungsmaterial stützen und dieses angemessen verwerten. Es darf i daher davon ausgegangen werden, dass die Berechnungen der Projektgruppen eine begründete und sachlich vertretbare Grundlage für die Bemessung der verlangten Bundeshilfe darstellen. Diese Annahme ist um so berechtigter, als auch der konsultierte ausländische Fachmann die Kostenschätzungen als annehmbar bezeichnete, freilich ohne auf Einzelheiten einzugehen.

Die Kosten für die beiden Versuchsanlagen können daher mit 95 Mio Franken eingesetzt werden. Dazu kommen indessen noch weitere Aufwendungen, die sich im Zusammenhang mit den Versuchsanlagen ergeben werden. Es muss

491

einmal eine zusätzliche Reserve von rund 5 Millionen Franken geschaffen werden für .allfällige Änderungen, die im Lichte der technischen Entwicklung oder in Berücksichtigung von Wünschen der SUISATOM. erforderlich sind. Es ist auch denkbar, dass sich Ergänzungen: aufdrängen werden, die während .der, Bauetappe oder, beim industriellen Versuchsbetrieb als nützlich erachtet werden., Um die Gesamtleistung der Wirtschaft für die beiden Versuchsbetriebe richtig zu bewerten, ist ferner zu berücksichtigen, dass die SUISATOM bei der Ausarbeitung ihres bisherigen Projektes bereits beträchtliche Kosten für Vorstudien hatte, die in den vorstehenden Schätzungen nicht zum Ausdruck kommen.

Wegen der Umstellung ihres ursprünglichen Projektes und zur Sicherstellung ihres statutarisch festgelegten Zwecks wird sich die SUISATOM eventuell genötigt sehen, den im Kaufvertrag mit der General Electric vorgesehenen Erfahrungsaustausch durch die Beteiligung an ausländischen Eeaktorprojekten zu : ersetzen und auf diese Weise die eigenen Ausbildungs- und Erfahrungsgelegenheiten durch ausländische Erkenntnisse zu erweitern.

Alle diese Aufwendungen bilden Teil des Gesamtprogramms und dürfen bei der Beurteilung des Masses der Bundeshilfe nicht hausser acht gelassen werden.

Bei Berücksichtigung aller Kostenelemente muss in der ersten Etappe für Versuchsanlagen und bis zum Abschluss der industriellen Versuchsperiode mit Gesamtaufwendungen im Umfange von rund 110 Millionen Franken gerechnet werden. Gemäss den Grundsätzen, welche für eine Bundesunterstützung massgebend sein müssen (Ziffer 13), vertritt der Bundesrat die Auffassung, dass die Wirtschaft, den grösseren Teil dieser Aufwendungen selbst aufzubringen hat, während der Bund lediglich minderheitlich beteiligt sein kann. Dass die Wirtschaft den grösseren Teil der Kosten trägt, muss auf diesem Gebiet ganz besonnders verlangt werden, weil die private Industrie die Entscheidungsbefugnis über die technischen Fragen notwendig erweise übernehmen muss - und damit auch die Verantwortung darüber, was sie selbst für den künftigen Erfolg und für die Konkurrenzfähigkeit unserer inländischen Produktion als richtig erachtet. Der"Bundesrat gibt sich Eechenschaft, dass die Leistung der Wirtschaft risikobehaftet ist. Es entspricht indessen dem Wesen der privatwirtschaftlichen Ordnung,
dass die wirtschaftliche Freiheit notwendigerweise die Bereitschaft zur Übernahme der entsprechenden-Eisiken zur Voraussetzung hat.

Als Bündesleistung schlägt der Bundesrat einen Beitrag von höchstens 50.Millionen Franken vor. Obwohl es sich bei dieser Summe um weniger als,die Hälfte der Gesamtkosten handelt, ist der Betrag sehr beträchtlich und bildete Gegenstand sehr emlässlicher und langwieriger Abklärungen. Nach gründlicher Prüfung: aller Umstände: ist der Bundesrat jedoch zur Überzeugung gelangt, dass dieser Betrag in einem angemessenen Verhältnis zur Zielsetzung und zur privatwirtschaftlichen Leistung steht. Der Beitrag des Bundes wird sich über mehrere Jahre (zirka 5) erstrecken und soll an die nationale Organisation entrichtet werden. In einem Vertrag mit dieser Organisation werden .die Bedingungen festzulegen sein, die sich aus den vorstehend, erwähnten Grundsätzen ergeben und insbesondere die Erbringung der privatwirtschaftlichen Leistungen

492 das Gebot der technischen Zusammenarbeit und die allgemeine Zugänglichkeit der Erfahrungen betreffen. Der Einsatz der Mittel soll dabei so erfolgen, dass dadurch wenn immer möglich die beiden vorgesehenen Projekte: verwirklicht werden können. Die. nationale Organisation hätte die Bundesmittel an die Projektgruppen weiterzuleiten und wäre zusammen mit den Industriegruppen für die Erfüllung der daran geknüpften Bedingungen verantwortlich. Dies wird ebenfalls eine vertragliche Bindung zwischen der nationalen Organisation und den Industriegruppen bedingen, die sich auch auf Fragen des geistigen Eigentums (Lizenzen, Patente usw.) zu erstrecken hat.

15. Form des Bundesbeitrages Die Bundeshilfe für die zwei Versuchsanlagen ist zwar grundsätzlich nur als ein im allgemeinen Landesinteresse erfolgender Beitrag zur Förderung des technischen Fortschritts und damit zur Erhaltung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit des Landes zu betrachten. Dabei darf aber auch davon ausgegangen werden, dass den beteiligten Firmen in Zukunft daraus ein besonderer Nutzen erwächst. Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass es sich bei der Bundeshilfe nicht einfach um eine «à fonds perdu »-Leistung handeln soll, sondern dass sie zum grösseren Teil, bis zu drei Fünfteln, in Form von Darlehen auszurichten wäre, deren Bückzahlungsbedingungen noch einer besonderen Regelung bedürfen. Diese Bückzahlung wird im wesentlichen an den. kommerziellen Erfolg der schweizerischen Bemühungen um Beaktorbauten zu knüpfen sein, wobei es die Meinung hat, dass die Unternehmungen, welche in den Genuss der Bundeshilfe kommen, die erhaltenen Darlehen nach Massgabe späterer Lieferungsverträge oder Patente oder Lizenzvereinbarungen etc. im Beaktorgeschäft zurückerstatten müssen. Die genauen Bedingungen für Bückzahlung und Verzinsung der Darlehen lassen sich heute noch nicht in konkreter Weise regeln, da aus verständlichen Gründen die Entwicklung abgewartet werden muss. Es dürfte sich als zweckmässig erweisen, diese Bedingungen im Laufe dieses Jahres mit der nationalen Organisation und mit den einzelnen Industriegruppen festzulegen. Der Bundesrat ersucht deshalb die eidgenössischen Bäte um die entsprechende Ermächtigung. Dabei werden die Bundesleistungen natürlich nicht vor dem Abschluss einer grundsätzlichen Vereinbarung
mit der nationalen Organisation zur Auszahlung gelangen.

Was endlich den Auszahlungsmodus der Bundesbeiträge anbelangt, schlägt der Bundesrat vor, die Bundesmittel nach Massgabe der von der Wirtschaft bereitgestellten Beträge freizugeben. Für die tatsächliche, Abwicklung der Auszahlungen bedeutet dies, dass der Bund bis zur Erreichung des Höchstbetrages von 50 Millionen Franken in jedem Zeitpunkt gleich grosse Leistungen erbringt wie die private Wirtschaft.

Mit dem Einsatz der vollen 50 Millionen Franken werden die jährlichen Aufwendungen des Bundes zur Förderung der Atomenergie in nächster Zeit foL gende Durchschnittsbeträge erreichen:

493 -.. Grundlagenforschung (der Einsatz geschieht durch Ver- Millionen Fr.

, mittlung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förde; rung der wissenschaftlichen Forschung) . . . . . . . .

10 .

- .Institut für.Eeaktorforschung der EIH (Würenlingen).

10 (mindestens) - internationale Beteiligung (CEEN, Eurochernic, Halden, Dragon etc.)

- Beaktorprbjekte. . . ' .

5

.

10

Total ca.

35

16. Dringlichkeit · ; Die Projektierungsarbeiten für den Bau schweizerischer Versuchs-Leistungsreaktoren, die Abklärung, der grundsätzlichen Fragen und die Bestrebungen zur Begehmg der Zusammenarbeit haben einen Punkt erreicht, der .einen verbindlichen Entscheid darüber, notwendig macht, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmass und zu welchen Bedingungen die Bundeshilfe erfolgt. Ein splcher Entscheid wird es den Projektgruppen erleichtern, ihre eigenen Finanzierungsbemühungen zum Abschluss zu bringen.

Vor allem aber drängen sich definitive Beschlüsse zur Verhütung eines Auseinanderfallens der einzelnen Projektgruppen selber und insbesondere .zur Verhinderung einer Abwanderung der in diesen Gruppen zusammengefassten Fachleute auf. Seitens der Eidgenössischen Kommission für Atomenergie, der schweizerischen Experten sowie seitens der Projektierungsgruppen wurde angesichts der heute noch überall herrschenden Knappheit an Spezialisten auf die Gefahr hingewiesen, dass die schweizerischen Fachleute, obwohl sie einer Betätigung im eigenen Lande den Vorzug geben, eine Beschäftigung im Ausland .suchen würden, sofern ihnen nicht die Gewähr dafür geboten wird, dass sie in absehbarer Zeit von den rein theoretischen Planungsarbeiten zu konkreten Eealisierungen übergehen können. Der schweizerischen Wirtschaft würde durch ihre Abwanderung ins Ausland ein empfindlicher Schaden entstehen. Es herrscht auch die Auffassung, dass eine weitere Verzögerung sich ernsthaft auf die Aussichten der Schweiz, den Anschluss an die ausländische Entwicklung zu finden, auswirken könnte, Der Bundesrat ' ist deshalb zürn Schluss gelangt, dass ein grundsätzlicher Entscheid über eine Bundesunterstützung dringend geworden ist, und dass damit nicht bis zu einer ins Einzelne gehende Eegelung aller damit zusammenhängender Fragen zugewartet werden kann. Der Ihnen beantragte Kredit in der Höhe von 50 Millionen Franken wurde jedoch nur im Bahmen der vorstehend dargelegten Grundsätze und Bedingungen zur Auszahlung gelangen. Abgesehen davon erachtet es der Bundesrat angesichts der ständig fortschreitenden Entwicklung der Atomenergie als unerlässlich, eine gewisse '. Bewegungsfreiheit irn Eahmen des Bundesbeschlusses zu erhalten. Nur auf diese Weise wird es

494 möglich sein, die sich aus der Entwicklung als angezeigt erweisenden Anpassungen in technischer, administrativer und organisatorischer Hinsicht vorkehren zu können.

Unter diesen Umständen beehren wir uns, Ihnen den heiliegenden Beschlussesentwurf zur Annahme zu empfehlen.

Wir versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 26. Januar 1960.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Max Petitpierre Der Bundeskanzler: Ch. Oser

495 (Bntwurf)

Bundesbeschluss betreflfend

die Forderung des Bans und Experimentalbetriebs von Versuchs-Leistungsreaktoren Die Bundesversammlung ' der Schweizerisbhen Eidgenossenschaft, gestiitzt auf Artikel 24quinquies der Bimdesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates voin 26. Januar 1960, beschliesst:

Art. 1 Der Bundesrat wird ermachtigt, fur den Bau und Bxperimentalbetrieb von Versuchs-Leistungsreaktoren Beitrage bis zu insgesamt 50 Millionen Franken zu gewahren; die Mitwirkung des Bundes hat gemessen am Gesamtaufwand fiir die Beaktorprojekte minderheitlich zu sein.

2 Bis zu zwei Ftinftel des gewahrten Beitrages konnen «a fonds perdu» geleistet werden. Der verbleibende Teil des Beitrages ist als Darlehen zu gewahren.

.' i 3 Die Verzinsung und Biickzahlung der Darlehen sind nach Massgabe der Gewinne festzulegen, welche die beteiligten Unternehmungen bei der Lieferung von Atomkraftwerken oder atomtechnischen Teilen davon, dem Bau von Beaktoren oder bei der Venvertung des mit Bundeshilfe gewonnenen geistigen Eigen: tums erzieleh.

, Art. 2 · 1 Die Beitrage sind an eine samtlichen interessierten Kreisen bffenstehende nationale Organisation, welche fiir deren zweckgemasseh Einsatz sowie fiir die technische Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmungen sorgt,, auszurichten.

2 Der Bundesrat setzt die naheren Bedingungen des Einsatzes der Bundesmittel fest und hat insbesondere das Statut der nationalen Organisation zu genehmigen.

, ,, , , ' · . ', ; . ' Art. 3 Der jahrliche Kreditbedarf ist in den Voranschlag einzustellen.

1

:· · . · >,'! ' Art Art.4 4 · · . . ' ' .. .. : : . . . . . .

,, 1 Dieser Beschluss ist mcht allgemeinverbindlich und tritt sofort in Kraft.

2 Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt. , : ; 4897

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Förderung des Baus und Experimentalbetriebs von Versuchs-Leistungsreaktoren (Vom 26. Januar 1960)

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Jahr

1960

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

06

Cahier Numero Geschäftsnummer

7949

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

11.02.1960

Date Data Seite

473-495

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