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zu 83.222 und 83.223

Parlamentarische Initiativen Drogendelikte. «Doppelte» Bestrafung Stellungnahme des Bundesrates vom 23. Mai 1984

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen unsere Stellungnahme zu den Berichten und Anträgen der Petitions- und Gewährleistungskommission des Nationalrates vom 25. November 1983 und der Kommission des Ständerates vom 13. Dezember 1983, die mit der Prüfung der beiden parlamentarischen Initiativen beauftragt waren.

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Aufgrund einstimmigen Beschlusses der Begnadigungskommission der beiden Räte vom 26. Mai 1983 reichten Nationalrat Iten und Ständerat Hänsenberger gleichlautende parlamentarische Initiativen ein. Diese sehen in Form eines ausgearbeiteten Entwurfs vor, in das Betäubungsmittelgesetz (BtmG) eine Bestimmung aufzunehmen, wonach bei unbefugter Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr von Betäubungsmitteln nach Artikel 19 BtmG die Strafbestimmungen über die Warenumsatzsteuer (WUStB) keine Anwendung mehr finden. Damit soll die zunehmend als unbillig empfundene «doppelte» Bestrafung wegfallen; die besagten unerlaubten Handlungen sollen inskünftig ausschliesslich nach dem BtmG geahndet werden.

Die Kommission des Ständerates beantragt in ihrem Bericht, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben. Die Kommission des Nationalrates beschloss hingegen, dem Rat einen Gegenvorschlag zu unterbreiten, und beantragt, diesem anstelle der Initiative Folge zu geben. Der Gegenvorschlag sieht vor, dass die Strafbestimmungen des Zollgesetzes und des WUStB nur dann nicht angewandt werden, wenn bei unbefugter Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr von Betäubungsmitteln eine strafrechtliche Ahndung nach Artikel 19 BtmG erfolgt.

Wir teilen die Auffassung, dass die gegenwärtige Rechtslage nicht zu befriedigen vermag, und haben dies schon bei früherer Gelegenheit zum Ausdruck gebracht. Allerdings liegt eine unzulässige Doppelbestrafung im Rechtssinne nicht 654

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vor: Die Strafbestimmungen des BtmG und diejenigen des WUStB (Art. 52), gegen die bei illegaler Drogeneinfuhr verstossen wird, schützen verschiedene Rechtsgüter und schliessen sich gegenseitig nicht aus. Die genannten Strafbestimmungen stehen somit zueinander in echter Konkurrenz; trotzdem wird die Konkurrenzregel von Artikel 68 des Strafgesetzbuches (StGB), wonach der Richter die Strafe nach der schwersten Tat bemisst und deren Dauer angemessen erhöht, nicht angewendet, denn die Widerhandlung gegen das BtmG wird von den kantonalen Behörden verfolgt und beurteilt, die Fiskalwiderhandlung hingegen von der Bundesverwaltung nach dem Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR). Es wird also keine Gesamtstrafe ausgefällt, sondern die Strafe für das Betäubungsmitteldelikt und die Fiskalbusse werden kumuliert und - weil die beiden Verfahren von einander unabhängig sind - nicht gleichzeitig ausgesprochen und vollzogen. Das Kumulationsprinzip ist bei Widerhandlungen, deren Ahndung in die Zuständigkeit verschiedener Behörden fällt, zwangsläufig und bildet bei Verwaltungsstraftatbeständen, die nur mit Busse bedroht sind, die Regel (Art. 9 VStrR). Bei Widerhandlungen im Zusammenhang mit der Wareneinfuhr kommt es beispielsweise zum Zuge, wenn der Täter gleichzeitig gegen das Zollgesetz und das Alkoholgesetz oder das Tierseuchengesetz verstösst. Auch bei Zusammentreffen von Verwaltungs- und gemeinrechtlichen Straftatbeständen macht das besagte Prinzip in der Praxis keine nennenswerten Schwierigkeiten.

Bei Betäubungsmitteln liegt jedoch ein echter und singulärer Sonderfall vor: Wer Drogen schmuggelt, hat aufgrund des BtmG eine Freiheitsstrafe zu gewärtigen; in schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter einem Jahr, womit eine Busse bis zu l Million Franken verbunden werden kann (Art. 19 Ziff. l BtmG). Die Betäubungsmittel werden eingezogen. Dies gilt auch für die unrechtmässig erlangten Vermögensvorteile; soweit diese nicht mehr vorhanden sind, wird auf eine entsprechende Ersatzforderung des Staates erkannt (Art. 58 StGB). Ausserdem hat der Verurteilte die Verfahrenskosten zu tragen. Die zusätzlich verwirkte Fiskalbusse richtet sich nach Artikel 52 WUStB, welcher Busse bis zum fünffachen Betrag der hinterzogenen oder gefährdeten Einfuhr-Umsatzsteuer androht. Wegen des hohen Wertes
der Drogen und der entsprechend hohen Steuerbeträge ergeben sich bei grösseren Einfuhrmengen Bussen von mehreren tausend Franken. Während der Zeit, da der Verurteilte seine Freiheitsstrafe nach BtmG verbüsst oder sich im Massnahmenvollzug befindet, ist der Vollzug der Fiskalbusse in der Regel nicht durchführbar. Der Bussenvollzug kann vielmehr meist erst einsetzen, wenn der Betreffende wieder in die Freiheit entlassen worden ist, dannzumal aber hart um seine Wiedereingliederung (oft auch gegen Rückfall) zu kämpfen hat und sich einem enormen Schuldenberg gegenübersieht. Auch wenn die Verwaltung beim Bussenvollzug dieser Situation Rechnung trägt und die Tilgung der Bussen in Raten bewilligt, sind viele Beschuldigte auch beim besten Willen nicht in der Lage, ihre Busse innert nützlicher Frist zu bezahlen, so dass die Verwaltung schlussendlich beim zuständigen Richter die Umwandlung der Busse in Haft beantragen muss (dies auch in denjenigen Fällen, in welchen die Fiskalbusse nicht vollstreckt werden kann, weil sich der Täter im Ausland befindet). Die Gerichte gewähren in solchen Fällen häufig den bedingten Strafvollzug oder schliessen die Umwandlung aufgrund von Artikel 10 VStrR aus.

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Die offensichtlichen Härten, die sich aus dem Fiskalstrafverfahren bei Betäübungsmitteleinfuhren für den Betroffenen ergeben, lassen die Kritik der Drogenfachleute und weiterer Kreise begreiflich erscheinen. Die Einsicht in die Notwendigkeit der Fiskalbusse wird ausserdem dadurch beeinträchtigt, dass beschlagnahmte Drogen ohnehin eingezogen werden und die: Einfuhrsteuer nicht erhoben wird, was der Fiskalwiderhandlung einen bloss formellen Charakter verleiht. Zu Recht weisen die Kommissionen auch auf die beträchtlichen Umtriebe und Schwierigkeiten hin, die der Verwaltung beim Vollzug dieser Bussen erwachsen.

In Anbetracht der Unbilligkeit der Fiskalbusse für Betäubungsmitteleinfuhren haben Begnadigüngskommission und Parlament in jüngster Zeit ihre Praxis gelockert und bereits in mehreren derartigen Fällen die Begnadigung gewährt.

Dies führte erwartungsgemäss zu einer merklichen Zunahme solcher Gesuche und unterstreicht die Dringlichkeit einer Lösung.

Die erwähnte Problematik beschränkt sich auf die Fiskalbussen für Betäubungsmitteleinfuhren; wir kennen keine anderen Verwaltungsstrafverfahfen; bei denen vergleichbare Unbilligkeiten und fruchtlose administrative Umtriebe auftreten. Aus diesem Grunde halten wir es mit den Kommissionen für richtig, dass die vorgesehene Konkurrenznorm im BtmG verankert wird. Da es sich, wie dargelegt, um einen echten Sonderfall handelt, sind Auswirkungen auf andere Gebiete nicht zu befürchten. Wir sind ferner ebenfalls der Auffassung, dass mit der Lösung dieses offenkundigen Problems nicht bis zu einer allfälligen Totalrevision des BtmG zugewartet werden sollte.

Was den Wortlaut der Gesetzesänderung angeht, geben wir der Initiative den Vorzug. Der Gegenvorschlag scheint uns zu eng formuliert. Er hätte zum Beispiel zur Folge, dass das Fiskalstrafverfahren durchgeführt werden müsste, wenn der Richter den Täter der illegalen Betäubungsmitteleinfuhr nicht nach Artikel 19 BtmG zu einer Strafe verurteilt, sondern eine Massnahme (Einweisung in eine Heilanstalt) anordnet oder wenn der Täter ins Ausland ausgeliefert und dort auch für das in der Schweiz begangene Betäubungsmitteldelikt verurteilt wird (also nicht nach Art: 19 BtmG). Der Wörtlaut der Initiative knüpft demgegenüber allein an die objektiven Tatbestandsmerkmale von Artikel 19 BtmG an und löst das Problem umfassend und ohne Abgrenzungsschwierigkeiten.

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Antrag

Der Bundesrat beantragt aus den dargelegten Gründen, den beiden parlamentarischen Initiativen zuzustimmen und den Gegenvorschlag abzulehnen.

23. Mai 1984

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: i. V. Aubert Der Bundeskanzler: Buser

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Parlamentarische Initiativen Drogendelikte. «Doppelte» Bestrafung Stellungnahme des Bundesrates vom 23. Mai 1984

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19.06.1984

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