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Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Obwalden, Schaffhausen und Thurgau

vom 16. Mai 1984

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren,

.

. ,

Wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Obwalden, Schaffhausen und Thurgau mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

; 16. Mai 1984

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Schlumpf Der Bundeskanzler: Buser

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Übersicht Nach Artikel 6 Absatz l der Bundesverfassung sind die Kantone verpflichtet, für ihre Verfassung die Gewährleistung des Bundes einzuholen. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels gewährleistet der Bund kantonale Verfassungen, Wenn sie weder die Bundesverfassung noch das übrige Bundesrecht verletzen, die Ausübung der politischen Rechte in republikanischen Formen sichern, vom Volk angenommen worden sind und revidiert werden können, sofern die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt. Erfüllt eine kantonale Verfassung diese Voraussetzungen, so muss sie gewährleistet werden; erfüllt eine kantonale Verfassungsnorm eine dieser Voraussetzungen nicht, so darf sie nicht gewährleistet werden.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: - Im Kanton Obwalden: die Herabsetzung des Stimm- und Wahlrechtsalters; - im Kanton Schaffhausen: die Amtsdauerfür Lehrer und Geistliche sowie die Aufhebung des Amtsgelübdes für Beamte; - im Kanton Thurgau: die Abschaffung der gemeinschaftlichen Rhein.

Wasserjagd auf dem Untersee und

Alle Änderungen entsprechen dem Artikel 6 Absatz 2 der Bundesverfassung; sie sind deshalb zu gewährleisten.

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Botschaft I

Die einzelnen Revisionen

II

Verfassung des Kantons Obwalden

In der Volksabstimmung vom 23. Oktober 1983 haben die Stimmbürger des Kantons Obwalden der Änderung von Artikel 15 der Kantonsverfassung mit 2985 Ja gegen 2511 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 22. November 1983 ersucht der Regierungsrat um die eidgenössische Gewährleistung.

III

Herabsetzung des Stimm- und Wahlrechtsalters

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 15 Träger der poli- Träger der politischen Rechte ist jeder im Kanton wohnhafte Kantonstischen Rechte bürger und niedergelassene Schweizerbürger, der das 19. Altersjahr zurückgelegt hat und dem nicht gestützt auf die Gesetzgebung das Aktivbürgerrecht entzogen ist.

Neuer Text Art. 15

Träger der poli- Träger der politischen Rechte ist jeder im Kanton wohnhafte Kantonstischen Rechte bürger und niedergelassene Schweizerbürger, der das achtzehnte Altersjahr zurückgelegt hat und dem nicht gestützt auf die Gesetzgebung das Aktivbürgerrecht entzogen ist.

Die Änderung betrifft einzig die Herabsetzung der Altersgrenze für das Stimmund Wahlrecht in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten von bisher 19 auf 18 Jahre. Dieser Entscheid orientiert sich am Beispiel anderer Kantone. So gewähren bereits die Kantone Schwyz, Nidwaiden, Glarus, Zug, Basel-Landschaft, Waadt, Neuenburg und Jura ihren Stimmbürgern das Stimm- und Wahlrecht ebenfalls vom 18. Altersjahr an.

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Bundesrechtmässigkeit

Nach Artikel 74 Absatz 4 der Bundesverfassung können die Kantone das Stimm- und Wahlrecht für ihren Bereich selbständig regeln. Dies erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Festlegung des Stimm- und Wahlrechtsalters, wobei dem Gebot von Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b der Bundesverfassung Rechnung getragen werden muss, wonach «die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen (repräsentativen oder demokratischen) Formen» gesichert werden muss. Da die Änderung innerhalb dieses Rahmens liegt und weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.

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Verfassung des Kantons Schaffhausen

In der Volksabstimmung vom 4. Dezember 1983 haben die Stimmbürger des Kantons Schaffhausen der Änderung der Artikel 29, 30 und 51 der Kantohsverfassung mit 18 300 Ja gegen 8764 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 6. Dezember 1983 ersucht der Regierungsrat um die eidgenössische Gewährleistung.

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Amtsdauer für Lehrer und Geistliche; Aufhebung des Amtsgelübdes für Beamte

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 29 Abs. l 1 Die Amtsdauer für sämtliche Behörden und Beamte beträgt vier, für Geistliche, und Lehrer dagegen acht Jahre.

Art. 30 Abs. l 1 Die sämtlichen Behörden, Beamten und Angestellten sind für ihre Amtsverrichtungen verantwortlich und werden auf die getreue Erfüllung ihrer Obliegenheiten in Pflicht genommen.

Art. 51 Die öffentlichen kirchlichen Korporationen organisieren sich unter folgenden Einschränkungen selbständig : Die Organisation bedarf der Genehmigung des Staates.

, Die anzustellenden Geistlichen müssen eine Staatsprüfung bestanden haben.

Sie werden durch die Kirchgemeinden gewählt.

Die Amtsdauer beträgt acht Jahre.

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Neuer Text Art. 2 9 Abs. l ' ' ' . ' . ' 1 Die Amtsdauer für Behörden, Beamte und Lehrer beträgt vier Jahre.

'

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.

Art. 30 Abs. l '.

.

.

1 Die Behörden, Beamten und Angestellten sind für ihre Amtsverrichtungen verantwortlich. Die Behörden leisten das Amtsgelübde.

Art, 5 1 ' . . · · · , .

Die öffentlichen kirchlichen Korporationen organisieren sich unter folgenden Einschränkungen selbständig: Die Organisation bedarf der Genehmigung des Staates.

Die anzustellenden Geistlichen müssen eine Staatsprüfung bestanden haben.

Sie werden durch die Kirchgemeinden gewählt.

, ·.

.

Mit der Änderung wird die Amtsdauer der Lehrer derjenigen der Behörden und Beamten angeglichen; sie beträgt .fortan statt acht nur noch vier Jahre. Nicht mehr durch die Verfassung festgelegt wird die Amtsdauer der Geistlichen; die Regelung dieser Amtszeit soll künftig den Kirchen überlassen bleiben. Eine

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weitere Änderung des Beamtenrechts betrifft das Amtsgelübde der Beamten, die sogenannte Inpflichtnahme. Ein Amtsgelübde sollen künftig nur noch Behördemitglieder ablegen müssen.

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Bundesrechtmässigkeit

Die Änderungen bewegen sich im Bereich der kantonalen Organisationskompetenz, da sie lediglich Rechte und Pflichten kantonaler Beamter zum Gegenstand haben. Im übrigen wird auch die für eine Zusammenfassung verschiedener Änderungen in einer Abstimmung bundesrechtlich geforderte Einheit der Materie gewahrt: Alle drei Änderungen betreffen die Regelung der öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse. So stehen die beiden Änderungen betreffend Amtsdauer in direktem Zusammenhang, während die Aufhebung des Amtsgelübdes wohl nicht zuletzt durch die Angleichung der Stellung des Lehrers an die der Beamten bedingt wird. Die Behandlung im Rahmen der gleichen Abstimmung erscheint daher sachlich gerechtfertigt.

Da die beschlossenen Änderungen weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzen, ist ihnen die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.

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Verfassung des Kantons Thurgau

In der Volksabstimmung vom 29. Januar 1984 haben die Stimmbürger des Kantons Thurgau der Einführung des Paragraphen 24ter in die Kantonsverfassung mit 19557 Ja gegen 18321 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 7. Februar 1984 ersucht der Regierungsrat um die eidgenössische Gewährleistung.

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Abschaffung der gemeinschaftlichen Wasserjagd auf dem Untersee und Rhein

Der neue Text lautet: §24tcr.

'

Der Staat setzt sich ein für die Abschaffung der gemeinschaftlichen Wasserjagd auf dem Untersee und Rhein.

Die Änderung geht auf eine entsprechende Volksinitiative zurück, wobei der Iriitiativtext noch einen zweiten Satz mit folgendem Wortlaut ümfasste: «In allen seewärts des Uferweges vom Kuhhorn (oberhalb Gottlieben) bis Ermatingen gelegenen Gebieten ist die Wasserjagd untersagt.» Gestützt auf ein Gutachten von Professor Nef vom 5. Juli 1983 hat der Grosse Rat am 7. November 1983 diesen zweiten Satz des Initiativtextes für ungültig erklärt, da er gegen eine Vereinbarung vom 5. Juni 1954 zwischen dem Kanton Thurgau und dem Land Baden-Württemberg und damit gegen geltendes Staatsvertragsrecht verstosse. Mit der Annahme des verbliebenen Initiativtextes werden die kantonalen Behörden verpflichtet, auf dem Gebiete des Staatsvertragsrechts und der Gesetzgebung 415

die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die als altes Recht der Uferbewohner geregelte «gemeinschaftliche Wasserjagd» abzuschaffen.

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Bundesrechtmässigkeit

Artikel 25 BV gibt dem Bund die Kompetenz, gesetzliche Bestimmungen über die Ausübung der Jagd und der Fischerei, insbesondere entsprechende Schutzbestimmungen, zu erlassen. Im Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz vom 10. Juni 1925 (SR 922.0) werden die Kantone verpflichtet, ihr Jagdwesen in Übereinstimmung mit diesem Gesetz zu regeln, wobei insbesondere die Bezeichnung der jagdbaren und geschützten Tiere, die Jagd- und Schonzeiten sowie die zulässigen Jagdmethoden durch das Bundesrecht vorgegeben sind. Die Ausgestaltung des Jagdsystems, die Voraussetzungen für die Jagdberechtigung, der über das Bundesrecht hinausgehende Schutz einzelner Tierarten sowie die Bezeichnung kantonaler Jagdbannbezirke liegen dagegen ausdrücklich in der Kompetenz der Kantone. Der Auftrag, den die neue thurgauische Verfassungsbestimmung den kantonalen Behörden erteilt, kann ohne weiteres im Rahmen ihrer Kompetenzen auf dem Gebiete des Jagdrechts und in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Bundes erfüllt werden.

Die neue Verfassungsbestimmung widerspricht auch nicht dem massgebenden Staatsvertragsrecht. Weder das Übereinkommen vom 2. Februar 1971 über Feuchtgebiete, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Watvögel, von internationaler Bedeutung (SR 0.451.45; sog. Ramsar-Übereinkommen) noch das Übereinkommen vom 19. September 1979 über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (SR 0.455) verlangen etwas dem neuen Artikel 24ter der Kantonsverfassung Widersprechendes. Aus ihnen wäre eher abzuleiten, dass die Wasserjagd eingeschränkt oder eingestellt werden sollte, sobald es für den Schutz der Wasservögel notwendig wäre.

Ob die allfällige Verletzung eines vom Kanton abgeschlossenen Staatsvertrages (hier der Vereinbarung zwischen dem Kanton Thurgau und dem Lande BadenWürttemberg betreffend die gemeinschaftliche Wasserjagd auf dem Untersee und Rhein vom 5. Juni 1954; vom Bundesrat genehmigt am 20. Juli 1954) durch eine Bestimmung der Kantons Verfassung für sich bereits als bundesrechtswidrig gelten müsste, kann hier offen bleiben, da der hier von der Verfassung erteilte Auftrag an die Behörden im Rahmen der Rechtsordnung und damit auch des geltenden Staatsvertragsrechts .erfüllt werden muss. Dieser Auftrag führt praktisch dazu, dass die zuständigen Behörden des
Kantons Thurgau eine Änderung oder Aufhebung der Vereinbarung vom 5. Juni 1954 anstreben müssen. Einer staatsvertragskonformen Auslegung und Anwendung der neuen Bestimmung steht demnach nichts im Wege.

Die Frage, ob der Grosse Rat die ursprüngliche Initiative teilweise ungültig erklären durfte, muss nach kantonalem Recht beurteilt werden. Sie ist nicht im Gewährleistungsverfahren von der Bundesversammlung, sondern allenfalls auf Stimmrechtsbeschwerde hin vom Bundesgericht zu entscheiden.

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Da .die beschlossene Änderung weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.

2

Verf assungsmässigkeit

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 6 und 85 Ziffer 7 der Bundesverfassung zuständig, die Kantonsverfassung zu gewährleisten.

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Bundesbeschluss Entwurf über die Gewährleistung geänderter Kantonsverfassungen

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 16. Mai 19841) beschliesst:

Art. l Gewährleistet werden: 1. Obwalden der in der Volksabstimmung vom 23. Oktober 1983 beschlossene Artikel 15 der Kantonsverfassung; 2. Schaffhausen die in der Volksabstimmung vom 4. Dezember 1983 beschlossenen Artikel 29 Absatz l, 30 Absatz l und 51 der Kantonsverfassung; 3. Thurgau der in der Volksabstimmung vom 29. Januar 1984 beschlossene Paragraph 24ter der Kantonsverfassung.

Art. 2 Dieser Beschluss ist nicht allgemeinverbindlich; er untersteht nicht dem Referendum.

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') BEI 1984 II 411 418

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Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Obwalden, Schaffhausen und Thurgau vom 16. Mai 1984

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1984

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23

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12.06.1984

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