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Schweizerische..*

udesblatt» Jahrgang VU. Band II.

Nr°- 38.

Samsiag, den 18. Atigusi 1855.

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Bericht der

ständeräthlichen Kommission über die definitive Annahme des bisher provisorisch in Kraft bestandenen Bundesgesetzes über das Verfahren

beim Bundesgerichte in bürgerlichen Rechts-

streitigkeiten.

(Vom 6. Juli 1855.)

Tit.

Als in der Novemberfitzung des Iahres 1850 der Bundesrath einen von,ihm »orberathenen, von einem der tüchtigsten schweizerischen Rechtsgelehrten verfaßten Entwurf eines Civilprozefgefetzes für das Bundesgerichl an die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft brachte, da erlaubte fich Jhre Kommission, einverstanden mit den Grundlagen des Entwurfes und von einer artikelweifen Berathung kaum eine Verbesserung desfelben, jedenfalls unverhältnißmäßigen Zeitaufwand befürchtend. Ihnen ·.ÖandeäMa«. Jabra. viî. Bd. H.

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382 vorzuschlagen, den Entwurf in globo provisorisch zum Gesetze zu erklären und das Urtheil über denselben der Erfahrung zu überlassen. So ungewöhnlich dieses Verfahren auch erscheinen mochte, so fand doch der Antrag, »eil er der Eigenthümlichkeit der Frage,, um die es fich handelte, vollkommen entsprach, beim Ständerathe und, nach einigem Widerstreben, auch beim Nationalrathe An* klang. Der Entwurf erhielt am '··0/22. November 1850 provisorische Gesezeskraft aus zwei Iahre, nur mit dem Beifügen, daß nach Ablauf dieser grist eine artikelweise Berathung stattzufinden habe.*) Da indessen in einem so kurzen Zeiträume keine besondern Erfahrungen beim Bundesgerichte gemacht werden konnten und zugleich im Schooße der Bundesversammlung die Neigung, eine ein-

läßliche Berathung mindestens so lange als möglich hin* auszuschieben, inzwischen zugenommen hatte, fo wurde am 24/26. Iuli 1852 die provisorische Gesetzeskraft des Entwurfes auf weitere drei Iahre verlängert, immerhin mit dem bereits erwähnten Vorbehalte spätern artikelweisen Eintretens.**) Da nun mit der gegenwärtigen ordentlichen Sitzung der Bundesversammlung dieser zweite Termin abläuft, so war es Sache des Bundesrathes, über die definitive Annahme des Eivilprozeßgesetzes einen Vorschlag zu hinterbringen, und er wäre dieser Verpflichtung wohl ohne Zweifel auch ohne die in den Anträgen der nationalräthlichen Kommisfion, welche die letztjähr.ge Geschäftsführung zu prüfen hatte, enthaltene Mahnung nachgekommen. Der Bundesrath beantragt Ihnen, Tit., unveränderte Annahme des bisher provisorisch in Rechtskraft bestandenen Entwurfes zum definitiven Gesetze, und ·) S. amtl. ©esejsammlnng. Band II, Seite 77.

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,, m, * 181.

383 stützt fich dabei namentlich auf die im letzten Iahresbe# richte des Bundesgerichtes enthaltenen Bemerkungen über denfelben, welche durch einen befondern, bei Anlaß der

letztjährigen Berathung über die Geschäftsführung von Seite der Bundesversammlung ertheilten Auftrag ver# anlaßt worden sind. Ihre Kommission, welche dem Antrage des -.Bundesrathes vollkommen beipflichtet, erlaubt sich. Ihnen die Gründe,- welche für denfelben sprechen, in Kürze ans einander z« fetzen.

Wenn es fich vorerst um die Frage handelt, ob das Gefetz fich während feiner fünfjährigen Anwendung beim

Bundesgerichte als gut und zweckmäßig bewährt habe, so" muß zur Vermeidung von Mißverständnissen zunächfi hervor gehoben werden, daß es bei Weitem nicht in allen Eivilstreitigkeiten im weitern Sinne, welche das Bundesgericht zu behandeln hat, sondern nur in einer kleinen Anzahl von Fällen unbedingt angewendet werden kann. Unsere Bundesgesetzgebung hat dem Bundesgericht.; manche Funktionen übertragen, welche beinahe mehr dem administrativen als dem strengen Rechtsgebiete angehören; dahin gehören namentlich die Entscheidungen über Expropriationsstreitigkeiten, insbesondere bei Eisenbahnbauten, und über die Einbürgerung von Heimathlosen. .jCür die Erpropriationssälle ist durch das Bundesgefetz über die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten in kurJen Zügen ein befonderes Verfahren vorgeschrieben, welches von dem im provisorischen Civilprozefgefetze enthaltenen wesentlich abweicht. Während nämlich nach diesem der Instruktionsrichter den Rechtsstreit soweit zur Reife zu bringen hat, daß es nachher vom Bundesge* richte in einer ununterbrochenen Verhandlung definitiv entschieden werden kann, und zu diesem Ende von fich aus nötigenfalls auch den Augenschein auszunehmen

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und Rechtsverfiänoige beizuziehen befugt ist, kann nach dem Expropriationsgesetze, welches den Befund der eidg.

Schalzungskommisfion als die regelmäßige Grundlage des bundesgerichtlichen Entscheides erklärt, eine neue Untersuchung des Streitgegenstandes nur in Folge vorherigen Beschlusses des Bundesgerichtes selbst statt finden. .Wenn daher auch das gegenwärtige Verfahren in Expropriationsfätlen als etraas weitläufig und kostspielig erscheinen mag, so ist doch, wenn hier Abhülfe getroffen tt>erden soll, nicht das Eivilprozeßgesec, sondern das Gesetz über die Abtretung »on Privatrechten abzuändern, und jedenfalls dürfte es nicht zweckmäßig seyn, die Er* propriationsstreitigkeiten, .Deiche oft von sehr unbedeu* tendem Belange find, ganz nach den nämlichen Regeln zu behandeln, wie die gewöhnlich viel wichtigern eigent-

lichen Civilfälle, die das Bundesgericht zu beurtheilen hat.

Die Heimathlosenprozesse aber können darum nicht ganz nach den Vorschriften des Gejetzes über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten instruirt werden, weil nach den Vorschriften des einschlägigen Bundesgesetzes eine durch den eidg. Generalanwalt geführte polizeiliche Untersuchung den Parteiverhandlungen vorauszugehen hat, demnach der Instruktionsrichter hier den größten Theil des zur Entscheidung des Rechtsstreites erforberlichen Materials sofort empfängt, während er in andern Fällen dasselbe erst zu sammeln hat. Die reinen Civilfälle, welche das Bundesgericht zu entscheiden hat, bestehen vorzugsweise in Rechtsstreitigkeiten zwischen den Kantonen, solchen, in denen die Eidgenossenschaft als Beklagte erscheint, und solchen, welche auf dem Wege des Kompromisses unter den Parteien an das eidgenöfsifche Tribunal gebracht werden, fie find begreiflicher Weise nicht zahlreich. Das Bundesgericht bemerkt in

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seinem letzten Geschäftsberichte, daß es bis dahin nicht mehr als 13 Rechtsfälle behandelt habe, in denen das Prozeßgefetz unbedingte Anwendung fand. *) Von bedeu* tenden Erfahrungen, die mit demselben gemacht wurden, kann daher auch jezt noch nicht die Rede feyn; vielmehr folgt fowohl aus der geringen Zahl der beurtheilten Fälle, als auch aus der Beschaffenheit derfelbeu, da es sich sehr oft mehr um Rechts- als um faktische Fragen han» delte, daß fehr viele Bestimmungen des Gesetzes noch gar nie zur Anwendung gekommen find, daher auch über deren Zweckmäßigkeit ein auf die gerichtliche Praxis ge* stütztet Urtheil nicht abgegeben werden kann. Gleichwohl hebt das Bundesgericht mit Nachdruck hervor, daß, foweit feine Wahrnehmungen reichen, das Gesetz in Anlage und Durchführung fich als gut bewährt habe, indem es namentlich für den Schutz des materiellen Rechtes die nothwendigen Garantien enthalte, und empfiehlt daher dessen definitive Annahme.

Betrachten wir sodann das Gesetz an und für sich, abgesehen von der geringen Anwendung, welche das* selbe bis dahin gefunden hat, fo können wir nur bestä.-tigen, was darüber bereits im November 1850 von Ihrer Kommiffion bemerkt worden ist.**) Mag das Gefeij auch im Einzelnen noch Manches zu wünschen übrig lassen, fo entspricht es doch im Ganzen genommen un* zweifelhaft dem jetzigen Stande der Wissenschaft und der Gesetzgebung, und ist auch schon bei der Abfassung kan* tonaler Prozeßordnungen in den letzten Iahren mit Vor* theil benutzt worden. Die wichtigen Grundsätze der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, der Verhandlungs- unC' *) S. BnHdesbW..) v. 3 1PS5, Band H, Seife 5.

**)

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,, 1850,

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835.

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Sventualmarime haben im eidgenössischen Civilprozesse ihre Anwendung gefunden. Für den Bestand des Bun* besgenchtes sehr geeignet ist die Einrichtung, nach welcher ein Mitglied desselben beauftragt und bevollmächtigt wird, das ganze Vorverfahren bis zur Spruchreife des Prozesses zu leiten und durchzuführen, zumal gegen Verfügungen dieses Infiruftionsrichters, durch welche sich eine Partei in ihren Rechten benachteiligt glaubt, immer noch der Rekurs an das gesammte Gericht ergrissen werden kann. Ist auch die mündliche Verhandlung vor dem Instruktionsrichter, welche für kantonale Gerichte vorzuziehen seön dürfte, nicht mit 5iothwendigkeit vorgeschrieben, so können wir hierin für das Verfahren Beim Bundesgerichte keinen Nachtheil erblicken, da einerseits diese Behörde fich fo selten versammelt, · daß an «ine rasche Erledigung der Prozesse, die auch bei wichtigern Fällen nicht den gleichen Werth hat, wie bei unbedeutendern Streitigkeiten, ohnehin nicht immer iu denken ist, anderseits aber bei dem oft sehr weiten Auseinanderwohnen der Parteien oder ihrer Anwälte und des prozeßleitenden Richters das fchriftliche Verfahren im Stadium der Instruktion fich durch Rückfichten der Oekonomie empfiehlt. Ebenso können wir in der vorgeschriebenen össentlichen Urtheilsberathung, welche für kantonale Gerichte, namentlich von untergeordnetem Range, entfchieden Bedenken haben mag, für das Bundesgericht nur überwiegende Vortheile finden, da fie den Richter zum gründlichen Aktenstndium und zur reiflichen Ueberlegung feines Votums zwingt, damit er dasselbe den Parteien und dem Publikum gegenüber wohl motiviren könne.

Im Vergleiche mit diesen Lichtfeiten des Gesetzes können einzelne kleine Mängel desselben kaum in Betracht kommen. Als ein solcher läßt fich vielleicht der Widerspruch

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Bezeichnen, welcher zwischen den Artikeln 89 und 98 einerseits und dem Art. 157, Lemma 2, und den Arti* keln 158--161 anderseits besteht, indem nach seinen ersten Bestimmungen alle Beweismittel schon in der Klage- und Antwortschrift genau und speziell bezeichnet werden sollen, diese letztern dagegen von einem neuen, nach beendigtem Schriftenwechfel durch den Instruktions* richtet zu stellenden Termine handeln, in welchen Beweistnittel nicht bloß beizubringen, sondern auch noch zu benennen, beziehungsweise näher zu bezeichnen sind.

Konsequenter wäre es freilich, das eine oder andere der beiden Systeme, die sich im Prozeßrechte gegenüber stehen, lirenge durchzuführen, d. h. entweder die Bezeichnung und soweit möglich auch die Beibringung der Beweis» mittel im ersten Schriftenwechsel bei Strafe völligen Ausschlusses derselben vorzuschreiben, oder aber die gesammte Antretung und Abnahme des Beweises auf ein späteres Stadium des Verfahrens zu verschieben. In der Praxis wird sich indessen dieser Mangel an Konsequenz, welcher dem Gesetze vorgeworfen werden kann, nicht fühlbar machen, indem eben der Instruktionsrichter, soweit dasselbe es nur immer zuläßt, stets zu Gunsten des materiellen Rechtes entscheiden wird, dessen Schutz namentlich in den vor dem Bundesgerichte zu behandelnden Rechtsfällen fchwerer wiegt, als eine etwas rafchere Herbeiführung des Entfcheides, welche nach dem ersten der genannten Systeme erzielt werden kann. Noch weniger kann bei der Stage, um die es fich gegenwärtig handelt, das in Art. 41 enthaltene Verbot der Provokation zur Klage in Betracht fallen, indem dazu, mag man übrigens über diefes prozeßualifche Institut denken wie man will, bei den vom Bundesgerichte zu entscheidenden Prozessen gewiß nicht leicht eine Veranlassung

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%$ finden würde. Andere Ausstellungen am ©esetje, die möglicher Weise auch noch gemacht werden könnten.

Übergehen wir, da fie vollends für den Zweck dieses Berichtes als unerheblich erscheinen.

Fassen wir nämlich den Entscheid, den Sie, Tit., ' ju fassen haben, von einem rein praktischen Standpunkte aus auf, s» fragt es fich einfach: ist es für unser eidgenßsfisches Gemeinwesen ersprießlicher, daß das bis jetzt provisorisch in Kraft bestandene Civilprozeßgesetz, welches im Ganzen genommen so entschiedene Vorzüge befitzt und fich nach dem Urtheile des Bundesgerichts in der Praxis als gut bewährt hat, ohne spezielle Berathung definitiv angenommen werde, oder daß die beiden Räthe eine solche artifelweise Berathung vornehmen, in der Abficht, das Gesetz in seinen Sinzelnheiten zu verbessern, aber auch aus die unläugbare Gefahr hin, dasselbe p ver* schlfmmern?

Wir glauben, diese Frage sei nicht schwer zu beantwerten. Angenommen selbst, die Abänderungen, welche beschlossen werden könnten, würden bloß Verbesserungen seyn, so stünde doch der Zeitaufwand, den die artikel« weife Berathung, wenn sie nur einigermaßen auf Grundlichkeit Anspruch machen wollte, in den beiden Räthen erfordern würde, in keinem Verhä.tniß zu dem dadurch erzielten Gewinn. Denn es handelt fich einerseits um ein Gefetz, welches nur in sehr wenigen Fällen in Anwendung kömmt, und selbst bei diesen in vielen seiner Bestimmungen entbehrt werden könnte; anderseits aber find gerade die der Verbesserung fähigen Vorschriften desselben solche, die auf den materiellen Rechtsentfcheid kaum bedeutend einwirken können. Allein es ist fast nur ju gewiß, daß bei einer einläßlichen Berathung das

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Gesetz mindestens un Konsequenz verliere« würde, M die Erfahrung bei andern Bundesgesetzen hinlänglich, ge* zeigt hat, daß die verfchiedenen Systeme, welche sich in den Kantonen gegenüber stehen, auf die Voten der Mitglieder der eidgenösfischen Räthe bestimmend einwirken und daher in den Abstimmungen sehr leicht ein Hin- und Herfchwanken zwischen denselben fich geltend macht. Wenn also der Vortheil einer Spezialberathung ungewiß und im günstigen Falle von geringer Bedeutung ist, so wird die unveränderte definitive Annahme eines Gesetzes, welches bereits mit Erfolg eine fünfjährigs Probezeit bestanden hat, fich wohl rechtfertigen lassen. Sollten fich später fühlbare Uebelstände im Ganzen oder im Einzelnen geltend machen, fo bleibt ja der Bundesverfammlung immerhin vorbehalten, die nöthigen Abänderungen zu treffen. Eben darum mochten wir auch nicht eine Verlängerung des Provisoriums empfehlen, welche kein anderes Ergebniß hätte, als daß fie auch in Zukunft wieder unnöthige Verhandlungen in den Bundesbehörden hervorrufen würde.

Daß die frühern Beschlüsse, durch welche eine artikel* weise Berathung des Gesetzes vor der definitiven -Annahme angeordnet wurde, in feiner Weise bindend sind für die Bundesversammlung, versteht sich von selbst. So gut wie die gesetzgebenden Räthe 1850 und 1852 einen solchen Beschluß fassen konnten, find fie I855 befugt,«, denselben zurückzunehmen.

Wir schließen daher einfach dahin, daß wir Ihnen..

Tit., den Befchlussesentwurf des Bundesrathes unverän* dert zur Annahme empfehlen. Spezieller Anträge für den gall, daß Sie entgegen unserer Anficht eine artikel*

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weise Berathung beschließen würden, haben wir uns einstweilen enthalten.

Bern, den 6. Juli 1855.

Namens der Kommission: Dr- J» 3. Blutner, Berichterstatter.

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Bericht der ständeräthlichen Kommission über die definitive Annahme des bisher provisorisch in Kraft bestandenen Bundesgesetzes über das Verfahren beim Bundesgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. (Vom 6. Juli 1855.)

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18.08.1855

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