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Schweizerisches Bundesblatt.

44. Jahrgang. II.

Nr. 17.

27. April

1892.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrückungsgebühr per Zeile 15 Ep. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druck und Expedition der Buchdruckerei Karl Stämpfli <6 Cie. in Bern.

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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über

seine Geschäftsführung im Jahre

1891.

D, Geschäftskreis des Justiz- und Polizeidepartements, A. Justizverwaltung.

I. Organisatorisches.

Wir haben im Geschäftsberichte für das letztvergangene Jahr bemerkt, daß das Postulat der Räthe vom 21. Dezember 1888 (Nr. 409), betreffend die V e r m e h r u n g der A r b e i t s k r ä f t e des Justiz- und Polizeidepartements, bei der rnit dem Inkrafttreten des Betreibungs- und Konkursgesetzes nothwendig verbundenen Neugestaltung des Personalbestandes dieses Departements zur Erledigung kommen müsse.

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerathes bezeichnete sodann als die einzig richtige Grundlage hiefür eine g e s e t z geberische Organisation.

Wir sind mit dieser Auffassung durchaus einverstanden. Um jedoch dem auf 1. Januar 1892 in Kraft getretenen Bundesgesetze über S c h u l d b e t r e i b u n g u n d K o n k u r s ungestörte Vollziehung in Hinsicht auf die vom Bundesrathe auszuübende Oberaufsicht über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen und auf Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. II.

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die dem Bundesrathe obliegende Sorge l'ür die gleichmäßige Anwendung des Gesetzes zu sichern, sahen wir uns genöthigt, durch einen p r o v i s o r i s c h e n Beschluß vom 9.0ktober 1891 auf dem Justiz- und Polizeidepartement unter der Bezeichnung ,, A b t h e i l u n g f ü r S c h u l d b e t r e i b u n g u n d K o n k u r s " eine besondere Abtheilung au schaffen, welche aus dem ,, E i d g e n ö s s i s c h e n A m t f ü r S c h u l d b e t r e i b u n g u n d K o n k u r s " und d e m ,,Eidgenössischen Rath für S c h u l d b e t r e i b u n g und K o n k u r s " besteht. (Näheres hierüber siehe unter II. Gesetzgebung, Ziffer 1.)

Bevor wir nun aber zu Vorschlägen für eine definitive, auf gesetzgeberischer Grundlage ruhende Organisation des ganzen Departements sehreiten können, wollen wir gewärtigen, ob und wie die neue provisorische Abtheilung in der Praxis sich bewähren wird.

II. Gesetzgebung.

1. Schuldbetreibung und Konkurs. Durch Abstimmung vom 17. November 1889 wurde das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom Volke sanktionirt. Die Jahre 1890 und 1891 standen zur Verfügung, um die Vorarbeiten zur Einführung des Gesetzes zu besorgen und das Inkrafttreten desselben auf 1. Januar 1892 zu ermöglichen. Diese Vorarbeiten mußten sowohl den Bund als die Kantone in Anspruch nehmen.

Vorarbeiten der Kantone.

Den Kantonen war durch Art. 333 B.-G. eine Frist bis zum 1. Juli 1891 gesetzt, urn die im Gesetze vorgesehenen Einführungsbestimmungen, Mittheilungen, Gesetze und Verordnungen dem Bundesrathe zu unterbreiten. Da die Aufgabe keine leichte war und eingehender Vorstudien bedurfte, so hat der Bundesrath schon mit Kreisschreiben vom 28. Januar 1890 (Bundesbl. 1890, I, 220) die Kantone zu ungesäumter Inangriffnahme der Vorarbeiten aufgefordert und dabei die Punkte, über die die kantonale, Gesetzgebung sich zu erstrecken hatte, einzeln aufgezählt.

Nachdem die ersten Entwürfe der einzelnen Kantone eingegangen waren, wurde am 6. Januar 1891 vom Juztizdepartemeute eine Expertenkommission bestellt und mit Begutachtung der Rechtsfragen betraut, die bei der Prüfung und Genehmigung der Entwürfe kantonaler Einführungsgesetze in Betracht fielen. Mitglieder dieser Kommission waren die Herren Gr. Wolf, Oberrichter in Zürich, H. Lienhard, Regierungs- und Ständerath in Bern, A. Herzog-

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Weber, Oberrichter und Ständerath in Münster (Luzern), Dr. A. Affolter, Regierungsrath in Solothurn, Dr. Karl Stehlin, Privatdozent in Basel, Dr. J. H. Bachmann, Gerichtspräsident in Frauenfeld, Dr. Luigi Colombi, Staatsrath in Bellinzona, Charles Soldan, Staatsrath in Lausanne, und Aug. Cornaz, Staatsrath und Ständerath in Neuchâtel.

In drei Sitzungen vom 19. bis 21. Januar 1891 hat die Kominission das ihr vorgelegte Fragenschema durchberathen. Nachdem der Bundesrath von den gefaßten Beschlüssen Kenntniß genommen, bezeichnete er allen Kantonen, von denen bereits Entwürfe vorlagen, durch Schreiben vom 3. Februar die Punkte, die von ihm beanstandet wurden. Die in diesen Zuschriften gemachten Bemerkungen wurden vom Justizdepartemente in einem Kreisschreiben vom 17. Februar zusammengefaßt. (Bundesbl. 1891, I, 371.)

Am 1. Juli 1891 waren die meisten Kantone ihrer durch Art. 333 B.-G. auferlegten Pflicht nachgekommen und hatten Einführungsgesetze erlassen; einzelne befanden sich indessen noch im Rückstande, und bei einigen war die Verzögerung einzig dem Umstände zuzuschreiben, daß der Entwurf in der Volksabstimmung verworfen worden war. Der Bundesrath, die Möglichkeit einer nochmaligen Verwerfung in's Auge fassend, sah sich vor die Frage gestellt, was zu geschehen habe, wenn in dem einen oder anderen Kantone die Einführungsbestimmungen nicht rechtzeitig erlassen werden sollten. So viel stand von vorneherein fest, daß von einer Verschiebung der Einführung des Bundesgesetzes in den betreffenden Kantonen nicht die Rede sein könne. Der Bundesrath hielt dafür, er solle im Hinblick auf jene Möglichkeit mit besonderer Vollmacht ausgestattet werden. Nach Art. 85, Ziff. 8, steht es der Bundesversammlung zu, eine derartige Vollmacht zu ertheilen. Er beantragte demnach mit Botschaft vom 24. Juli 1891 den Käthen den Entwurf eines Bundesbeschlusses, der ihn bevollmächtigen sollte, provisorisch diejenigen Maßregeln anzuordnen, die ihm nothwendig erscheinen würden, um das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs auf den 1. Januar 1892 auch in solchen Kantonen zu sichern, in denen die für den Vollzug des Gesetzes erforderlichen kantonalen Verfügungen auf den genannten Zeitpunkt noch nicht beständen. (Bundesbl. 1891, IV, 22).

Die Bundesversammlung aber beschloß am 30. Juli 1891, zur Zeit
auf diese Vorlage nicht einzutreten. Für den Fall, daß am 1. November 1891 einzelne Kantone die für die Einführung des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 nöthigen Vorschriften noch nicht erlassen hätten, solle der Bundesrath, wenn er es für angezeigt erachte, der Bundesversammlung diejenigen Maßregeln beantragen, die er für nothwendig halte, um die Vollziehung des genannten Gesetzes auf 1. Januar 1892 zu sichern.

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Der Bundesrath hatte dann in der Folge keine Veranlassung mehr, die Bundesversammlung in dieser Angelegenheit nochmals zu begrüßen, da in der Zwischenzeit sämmtliche Kantone ihrer Aufgabe nachkamen, wie aus nachstehender Uebersicht hervorgeht: Z ü r i c h : Annahme des Einführungsgesetzes durch den Kantonsrath am 11. Mai, Genehmigung durch den Bundesrath am 26. Mai, durch das Volk am 5. Juli 1891.

B e r n : Großrathsbeschluß 10. März, Verwerfung durch das Volk 3. Mai; II. Entwurf vom Großen Rath angenommen 8. September, vom Volke 18. Oktober, vom Bundesrath genehmigt 3. November 1891.

L u z e r n : Großrathsbeschluß 30. Mai, vom Bundesrathe genehmigt 25. September 1891.

U r i : Landrathsbeschluß 18. März, Landsgemeinde 3. Mai, vom Bundesrathe genehmigt 26. Mai 1891.

S c h w y z : Entwurf einer Einführungsverordnung vom Kantonsrathe angenommen 27. Februar; dieser Entwurf wurde durch Verwerfung der Partialverfassungsrevision hinfällig; ein neuer Entwurf vom Kantonsrathe angenommen 4. September, vom Bundesrathe genehmigt 25. September, vom Volke 4. Oktober 1891.

0 b w a l d e n : Vollziehungsverordnung vom Kantonsrathe angenommen 23. April, vom Bundesrathe genehmigt 18. Mai«.

N i d w a l d e n : Vom Regierungsrathe erlassen 22. Juni (kraft erhaltener Vollmacht des Kantonsrathes), vom Bundesrathe genehmigt 2. Juli 1891.

G l a r u s : Landrath 11. Februar, Landsgemeinde 7. Mai, Bundesrath 29. Mai 1891.

Z u g : Kantonsrath 5. Oktober, Bundesrath 3.November 1891.

F r e i b u r g : Großrath 11. Mai, Bundesrath 3. Juni 1891.

S o l o t h u r n : Die Einführungsarbeit vertheilte sich auf das eigentliche Einführungsgesetz, enthaltend die organisatorischen Bestimmungen, dann auf die revidirte Civilprozeßordnung und das revidirte Civilgesetzbuch. Kantonsrathsbeschluß 27. November 1890, vorn Volke verworfen 12. April 1891 ; II. Entwurf, Kantonsrathsbeschluß 27. Mai, vom Volke angenommen 6. September, vom Bundesrathe genehmigt 25. September 1891.

-- Civilprozeßordnung und Civilgesetzbuch vom Volke angenommen 5. Juli 1891.

B a s e l - S t a d t : Großrath 22. Juni, Bundesrath 3. Juli 1891.

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B a s e l - L a n d : Landrath 20. April, Bundesrath 12. Mai, vom Volke verworfen 31. Mai; II. Entwurf, Landrath 31. August, Bundesrath 25. September, vom Volke genehmigt 18. Oktober 1891.

S c h a f f h a u s e n : Großrath 8. Juni, Bundesrath 13. Juni 1891.

A p p e n z e l l A . - R h.: Kantonsrath 18. März, Landsgemeinde 26. April, Bundesrath 12. Mai 1891.

A p p e n z e l l I. -R h.: Großrath 25. Mai, Bundesrath 8. Juni 1891.

St. G a l l e n : Großrath 3. März, Bundesrath 1. Mai 1891.

G r a u b ü n d e n : Großrath 27. Mai, Bundesrath 5. August 1891.

A a r g a u : Großrath 17. März, Bundesrath 31. März, vom Volke verworfen 10. Mai ; der Große Rath beschloß in seiner Maisession, das Gesetz nochmals dem Volke vorzulegen, dabei aber über den § 55 (Ehrenfolgen) gesondert abstimmen zu lassen; vom Volke angenommen 21. Juni 1891, mit Ausnahme von § 55, der verworfen wurde.

T h u r g a u : Großrath 16. März, Bundesrath 20. März, Volk 4. Mai 1891.

T e s s i n: Großrath 27. Mai, Bundesrath 5. Juni 1891.

W a a d t : Großrath 16. Mai, Bundesrath 29. Mai 1891.

W al li s: Großrath 26. Mai, Bundesrath 30. Juli 1891, N e u e n b u r g : Großrath 21. Mai, Bundesrath 3. Juni 1891.

G e n f : Großrath 15. Juni, Bundesrath 3. Juli 1891. Die prozessualischen Bestimmungen sind nicht in dem eigentlichen Einführungsgesetze enthalten, sondern in den Artikeln 399--430 der Civilprozeßordnung, die ebenfalls am 15. Juni 1891 vom Großen Rathe angenommen wurde.

Vorarbeiten des Bundes.

Die Aufgaben des Bundes, wie sie in den Art. 15, 16 und 19 B.-G. festgesetzt sind, wurden, soweit sie in Vorarbeiten zur Einführung des Gesetzes bestanden, erledigt 1. durch Erlaß eines Gebührentarifes, II. durch Schaffung einer Organisation der mit der Durchführung des Gesetzes zu betrauenden Kräfte und III. Festsetzung der Formulare und Register und Anleitung zu deren Gebrauch.

I. G e b ü h r e n t a r i f . Die Erstellung eines Gebührentarifs wurde bereits im Jahre 1887 in's Auge gefaßt. Das Departement hatte sich schon damals der Mitwirkung des Herrn Centralbahndirektors Oberer versichert. Die Schwierigkeit bestand darin, einen Tarif aufzustellen, der sowohl für die Kantone mit großen Kreisen

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und fix besoldeten Beamten, als auch für die Kantone mit kloinen Kreisen, für deren Beamte die Betreibungssporteln nur einen kleinen Nebenerwerb bilden, angemessen sein sollte. Herr Oberer vertrat darum die Ansicht, der Bund solle nur einen Maximaltarif aufstellen, d. h. einen Tarif mit verhältnißmäßig hohen Ansätzen, deren beliebige Ermäßigung jedem einzelnen Kantone frei gestanden hätte.

Das Departement ging auf diesen Vorsehlag nicht ein, indem es auf die Einheitlichkeit des Tarifs das größte Gewicht legte. Herr Oberer arbeitete sodann unter dem 18. September 1888 einen Entwurf aus, der noch vor der Volksabstimmung vom 17. November 1889 in der in Zürich erscheinenden Zeitschrift ,,Gerichtssaal" veröffentlicht wurde.

Am 4. Juli 1889 ward dieser Entwurf einigen Experten zur Vernehmlassune unterbreitet, nämlich den Herren Dr. Hoffmann, Ständerath in St. Gallen, Dr. Brunuer, Nationalität!) in Bern, G. Wolf, Redaktor des ,,Gerichtssaal" in Zürich, Herzog-Weber, Ständerath und Oberrichter in Luzern, Gerichtspräsident Dr. Bachmanu, Nationalrath in Frauenfeld, und Staatsrath Soldan in Lausanne. Diese Experten sollten sich namentlich über folgende Punkte aussprechen : 1. Soll der Bund einen fixen Tarif oder einen Maximaltarif aufstellen ?

2. Soll der Tarif einheitlich sein, oder ist eine Graduation nach der in Betreibung stehenden Summe vorzuziehen? wie viele und welche Abstufungen sollen in letzterem Falle aufgestellt werden?

3. Soll der Tarif viele, detaillirte oder nur wenige Gesamtntrubriken enthalten ?

Auf Grund der Expertengutachten arbeitete sodann Herr Oberer unter dem 20. August 1890 einen zweiteu Entwurf aus, der nur zwei Abstufungen und zwar Betreibungen unter Fr. 100 und solche über Fr. 100 kennt, während der erste Entwurf deren drei (bis zu Fr. 10, von Fr. 10 bis Fr. 100 und über Fr. 100) aufgestellt hatte. Zu diesem Entwurfe wurden dem Departement Bemerkungen eingesandt von den Herren Fürsprecher Alexander Reichel in Bern, J. Weber, Bankdirektor in Wyl, Kanton St. Gallen, und von dem Justizdepartement des Kantons Solothuru. Diesen ergänzenden Beiträgen trug die definitive Ausarbeitung des Entwurfes Rechnung, wobei namentlich, im Interesse der größern Betreibungskreise, eine Anregung des Justizdepartementes von Solothurn, durch Einführung einer allerdings mäßigen Weg-Entschädigung bei
Pfändungen, Berücksichtigung fand. Auf Grund des Entwurfes Oberer und der eingesandten Bemerkungen wurde dann auf Antrag des eidgenössischen Justizdepartementes vom Bundesrath der Tarif

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vom 1. Mai 1891 erlassen, wie er im Bundesblatt 1891, II, 636, veröffentlicht ist.

II. O r g a n i s a t i o n . Die Organisation der mit der Durchführung des Gesetzes zu betrauenden Kräfte wurde geregelt durch einen provisorischen Bundesrathsbeschluß vom 9. Oktober 1891 betreffend die Schaffung einer Abtheilung für Schuldbetreibung und Konkurs auf dem eidgenössischen Justizdeparternente. (Bundesblatt 1891, IV, 512; A. S. n. F. XII, 361.) Diese Abtheilung zerfallt in zwei Organe, in das eigentliche Beamtenpersonal, d. h. das eidgenössische A m t , und in den eidgenössischen R a t h für Schuldbetreibung und Konkurs. Das Amt besorgt die laufenden Geschäfte und besteht aus einem Direktor, einem Adjunkten und einer Kanzlei.

Der Rath hat ein motivirtes Gutachten abzugehen über die dem Entscheide des Bundesrathes unterliegenden Beschwerden und über alle zu erlassenden Verordnungen und Instruktionen. Er ist zusammengesetzt aus dem Vorsteher des Departementes, dem Direktor des Amtes, aus zwei vom Bundesrathe zu ernennenden Mitgliedern und zwei Stellvertretern. Der Ralh wurde geschaffen, um der Kritik, die schon bei der Ausarbeitung des Gesetzes laut wurde, zu begegnen, es werde ein unverantwortlicher Sekretär thatsächlieh statt des Bundesrathes die Rekurse entscheiden.

Der Rath greift in keiner Weise in die Befugnisse des Bundesrathes über. Seine unverbindlichen Gutachten beschränken weder das Departement in dessen Vorschlägen, noch den Bundesrath in seinen Entschließungen. Da aber diese Gutachten unter allen Umfitänden dem Bundesrathe zur Kenntniß gebracht werden müssen, selbst wenn das Departement abweichende Anträge stellt, so ist dem Publikum alle Gewähr geboten, daß jeder streitige Punkt im Gebiete der Schuldbetreibung und des Konkurses, der dem Bundesrathe unterbreitet wird, einer vorgängigen Berathung, Erörterung und Begutachtung durch ein Kollegium von fachmännischen Experten unterliegt, und daß der endgültige Entscheid, mag er in Uebereinstimmung mit dem Rathe gefallt worden sein oder nicht, jederzeit in voller Kenntniß der Sache getroffen worden ist.

Der Rath, der durch einen Bundesrathsbeschluß in's Leben gerufen wurde, ist in seiner gegenwärtigen Stellung und Beschaffenheit eine Institution von provisorischem Charakter und wird bei seiner endgültigen Um- und Ausgestaltung den Gegenstand
eines besonderen Gesetzes bilden müssen.

Das Personal des Amtes besteht aus folgenden Beamten und Angestellten: Dr. jur. Alf. Brüstlein von Basel, Direktor; Advokat Karl Vogt von Genf, Adjunkt; Notar Gottfried Borie von Renan, Kanton Bern, Registratur; Charles Richard von Crissier, Kanton Waadt, und Eduard Key von Payerne, Kanton Waadt, Kanzlisten.

488 Zu Mitgliedern des Rathes wurden für das Jahr 1892 gewählt die Herren Herrn. Lienhard, Regierungs- und Ständerath in Bern ; Professor Dr. L. R. von Salis in Basel; zu Suppleanten die Herren: Professor Alexander Reichel in Bern und Gerichtspräsident Dr.

J. H. Bachmann,Nationalrathh in Frauenfeld.

III. F o r m u l a r e und R e g i s t e r . Das Justizdepartement hat im Laufe des Monats September 1891 die Formulare und Register entworfen, die nach seiner Ansicht im Betreibungs- und Konkursverfahren obligatorisch eingeführt werden sollten. Mit Kreisschreiben vom 21. September 1891 wurden diese Entwürfe den kantonalen Justizdirektionen zur Vernehmlassung mitgetheilt. Nachdem der eidgenössische Rath für Schuldbetreibuug und Konkurs in seiner ersten Tagung vom 20.--22. Oktober die Formular- und Register-Entwürfe durchberathen hatte, arbeitete das eidgenössische Amt dieselben schließlich definitiv in 23 Formulare und 3 Register aus, die am 3. November vom Bundesrathe genehmigt wurden.

Die Erstellung der Formulare wurde für Rechnung der Kantone auf dem Wege der öffentlichen Ausschreibung vergeben. Bei Vergebung der Druckarbeiten und der Papierlieferung war man bestrebt, die aus allen Theilen der Schweiz eingereichten Angebote mögliehst gleichmäßig zu berücksichtigen.

Ueber die Verwendung dieser Formulare und Register und über die Rechnungsführung erließ der Bundesrath das Reglement (Verordnung Nr. 1) vom 18. Dezember 1891 (A. S. n. F. XII, 401).

Damit waren die Vorarbeiten für die Einführung des Gesetzes beendigt.

2. Nachdem der Bundesrath die ihm vom Justiz- und Polizeidepartement vorgelegte Bereinigung des Textes des Gesetzentwurfes betreffend d i e A u s l i e f e r u n g g e g e n ü b e r d e m A u s l a n d g e nehmigt hatte, legte er den gesetzgebenden Räthen den Entwurf im Januar 1892 zur Schlußabstimmung vor. Der Nationalrath ha denselben am 21., der Ständerath am 22. Januar 1892 genehmigt.

Die Referendumsfrist läuft am 26. April 1892 ab.

3. Es gereicht uns zu großer Genugthuung, in diesem Geschäftsberichte das Zustandekommen eines Bundesgesetzes über d i e c i v i l r e c h t l i c h e n Verhältnisse d e r N i e d e r g e l a s s e n e n und A u f e n t h a l t e r erwähnen zu können. Unsere im letztjährigen Berichte ausgesprochene Hoffnung, daß auf der Grundlage gegenseitiger
Zugeständnisse im Gebiete des Vormundschaftsrechts, des ehelichen Güterrechts und des Erbrechts doch noch eine Einigung der Käthe erzielt werden könne, hut sich erfüllt.

Diese Einigung ist in der Aprilsession der Bundesversammlung er-

481) folgt, und nachdem wir mit ausführlichem Bericht vom 8. Juni 1891 eine verbesserte Redaktion des Entwurfes vorgelegt hatten, ertheilte der Nationalrath am 23., der Ständerath am 25. Juni 1891 demselben seine Genehmigung.

Eine Volksabstimmung wurde über dieses Gesetz nicht anbegehrt. Wir haben daher am 20. November 1891 die Aufnahme desselben in die amtliche Sammlung angeordnet und, vermöge der uns durch Art. 40 ertheilten Vollmacht, dessen Inkrafttreten auf 1. Juli 1892 festgesetzt. (Vergl. Bundesbl. 1891, IV, 202; A. S.

n. F. XII, 369.)

Am gleichen Tage (20. November 1891) erließen wir an die Kantonsregierungen ein Kreisschreiben, in welchem wir sie auf die von den Kantonen behufs der Einführung des Gesetzes in die praktische Wirksamkeit zu treffenden Anordnungen aufmerksam machten und als Termin der Bekanntgebung dieser Anordnungen an die Bundesbehörde dea 1. Juui 1892 i'estselzten. (Vergi. Bundesbl.

1891, V, 480.)

4. Im Berichtsjahre ist es dem vorberathenden Departemente möglich geworden, den Entwurf zu einem neuen Organisationsg e s e t z e ü b e r die B u n d e s r e c h t s p f l e g e abschließlieh festzustellen. Das Departement arbeitete auf der Grundlage der ausgezeichneten Vorarbeit des Herrn Bundesrichter Dr. Hafner unter Berücksichtigung der Gutachten des Bundesgerichts und der vorberathenden Expertenkommission. Nachdem es über den strafrechtlichen Theil sich mit dem Herrn Bundesanwalt verständigt und außerdem noch über einzelne Fragen die Ansicht von Sachkundigen eingeholt halte, legte es uns seinen Entwurf sammt den Motiven vor. Wir konnten die gesetzgebenden Räthe schon in ihrer Januar-Tagung des Jahres 1892 einladen, die Priorität für die Behandlung der Vorlage zu bestimmen und ihre Kommissionen zu ernennen. Dies ist geschehen.

Die Erstbehandlung wurde dem Ständerath zuerkannt.

Weitern Bericht über dieses Gesetz werden wir im nächsten Jahre geben.

5. Mit Botschaft vom 29. Mai 1891 hat der Bundesrath Ihnen den Entwurf zu einem B u n d e s b e s c h l u s s e betreffend die P a t e n t t a x e n d e r H a n d e l s r e i s e n d e n zugeleitet. Unsere Vorlage ist, nebst einem sehr einläßlichen Berichte, den Herr Ständerath A. Cornaz von Neuenburg im Auftrag des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements über diese Frage verfaßt hat und in welchem dieselbe vom
geschichtlichen, Verfassung- und vertragsrechtlichen, sowie vom national-ökonomischen Standpunkte aus behandelt wird, im Bundesblatte von 1891, III, l ff., erschienen.

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Der Ständerath ist auf den Gegenstand bereits eingetreten. Er hat den Entwurf im Detail durchberathen und dem Ganzen den Titel eines Bundesgesetzes gegeben.

6. Dagegen blieb dem Departemente keine Zeit zur Vollendung anderer, auf seinem Arbeitsprogramm stehender Gesetzentwürfe.

Dieselben mußten nochmals zurückgelegt werden. Wir meinen die Neueinbringung einer Gesetzesvorlage über das Verbot der Doppelbesteuerung, die Revision des Gesetzes über Civilstand und Ehe und endlich die bundesgesetzliche Regelung der Währschaft beim Viehhandel.

7. Nicht zu einer Gesetzes vorläge, wohl aber zu einem Berichte über die Frage, ob nicht eine solche auszuarbeiten sei, gab Veranlassung die Schaffung der s c h w e i z e r i s c h e n E i s e n b a h a r e n t e. Die Prüfung der besonderen Rechtsverhältnisse, die hiebei in Betracht fallen, ergab, daß die Bestimmungen des Bundesgesetx.es Über das Obligationenrecht für die Beherrschung dieser Verhältnisse ausreichen.

Wir haben Ihnen diesen Bericht unterm 23. Oktober 1891 erstattet. {.Vergi. Bundesbl. 1891, IV, 620.)

Derselbe ist von Ihnen noch nicht behandelt worden.

8. Als zur Gesetzgebung gehörig betrachten wir auch die zur Anbahnung d e r E i n h e i t d e s s c h w e i z e r i s c h e n St r a f r e c h t s bestimmten Studien und Vorarbeiten, mit welchen wir in Ihrem Binverständniß Herrn Prof. Dr. Karl Stooß in Bern betraut haben.

Wir konnten im letzten Berichte von dem Erscheinen des Quellenbandes sprechen, der den Text der schweizerischen Strafgesetzbücher zur Vergleichung zusammenstellt. Diese systematisch geordnete Textausgabe war der Vorläufer der systematisch-kritischen Darstellung des in den Kantonen geltenden Strafrechts, die Herr Prof. Stooß herauszugeben unternommen hat. Wir haben nun das Vergnügen, im gegenwärtigen Berichte noch erwähnen zu können, daß in den ersten Wochen des Jahres 1892 der Erste Band der ,, G r u n d z ü g e des s c h w e i z e r i s c h e n Strafrechts" erschienen ist. Das Werk ist sämmtlichen Mitgliedern der gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft zugestellt worden. Der Verfasser betrachtet die kantonalen Strafrechte ,,nicht als für sich abgeschlossene Gesetzeswerke, sondern in ihrer Bedeutung als eine Vielheit gesetzgeberischer Erscheinungen, die bestimmt sind, sich zu einer Einheit zusammenzuschließen, als das wichtige
und werthvolle Material, aus dem ein eidgenössisches Strafgesetzbuch erstehen wird".

Das mit wissenschaftlicher Gründlichkeit verfaßte Werk enthält in diesem seinem ersten Band nach einleitenden Mittheilungen

491 und Bemerkungen über die schweizerischen Strafgesetzbücher seit der Helvetik und über die Literatur des schweizerischen Strafrechts und nach einer interessanten staatsrechtlichen Erörterung über Bundesrecht und Kantonalrecht auf strafrechtlichem Gebiete vorerst die Darstellung des gegenwärtig geltenden, nicht codiflzirten Strafrechts der Kantone Appenzell I.-Rh., Unterwaiden nid dem Wald und Uri und sodann die Darstellung des codifizirten Strafrechts der übrigen Kantone in seinem Allgemeinen Theile, welcher das Strafgesetz, die strafbare Handlung und die Strafe umfaßt.

Wir wünschen lebhaft, daß es dem Verfasser, trotz der Schwierigkeit der Aufgabe, möglich sein werde, auch die Darstellung des Besondern Theiles der kantonalen Strafgesetzbücher in nicht allzu ferner Zeit zu vollenden, damit dann auf wissenschaftlich genau erkannter und dargestellter Grundlage die praktischen Schlußfolgerungen für die Herstellung eines eidgenössischen Strafgesetzbuches gezogen werden können.

III. Schweizerisches Bundesrecht.

Von der in unserem Auftrage durch Herrn Prcjf. Dr. L. R.

von Salis in Basel verfaßten, allgemein beifällig aufgenommenen Darstellung d e r s t a a t s r e c h t l i c h e n u n d verwaltungsr e c h t l i c h e n P r a x i s des Bundesrathes und der Bundesversammlung seit dem 29. Mai 1874 sind nun bereits zwei Bände erschienen und den Mitgliedern der Bundesversammlung eingehändigt worden. Dieselben behandeln in drei Theilen: 1. die schweizerische Eidgenossenschaft als Staat und als Bundesstaat; 2. die Organisation des Bundes; 3. die staatsrechtliche Stelluag der Individuen. Der dritte Band, in welchem die verschiedenen Zweige der Bundesverwaltung zur Darstellung gelangen werden, befindet sich im Drucke.

Wir haben eine französische und eine italienische Ausgabe des Werkes veranstaltet. Von beiden wird der erste Band im Frühjahr 1892 erscheinen. Die französische Uebersetzung ist durch Herrn Staatsanwalt Dr. Eugen Borei in Neuenburg, die italienische durch Herrn Staatsrath Dr. Luigi Colombi in Bellinzona besorgt.

IV. Gewährleistung von Kantonsveriassungen.

1. Durch Bundesbeschluß vom 17. April 1891 haben Sie einem vom tessinischen Verfassungsrathe am 9. Februar beschlossenen, in der Volksabstimmung vom 8. März 1891 angenommenen t e s s i n i s c h e n Verfassungsgesetze die eidgenössische Gewährleistung ertheiH.

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Dasselbe führt für die Wahl des Großen Rathes und Verfassungsrathes, sovvie für diejenige der Gemeinderäthe das Proportionalsystem ein, setzt das Maximum der Wahlkreise auf 14 fest, ersetzt die bisherigen Wahlvorschläge für die Bezirksgerichte durch direkte Volkswahlen. Die übrigen Bestimmungen sind verfassungsrechtlich- ohne Belang.

Unsere Botschaft findet sich im Bundesblatt 1891, I, 865; der die Bundesgarantie aussprechende Beschluß in der Amtl. Sammlung n. F. XII, 101.

2. Durch Bundesbeschluß vom 12. Juni 1891 wurde einem Verfassungsgesetze des Kantons L u z er n, vom 26. November 1890, die Buodesgarautie ertheilt.

Diese Partialrevision der luzernischen Staatsverfassung von 1875 beseitigte das veraltete und unhaltbar gewordene System der Berechnung der absoluten Mehrheit bei Volksabstimmungen, indem sie au die Stelle der absoluten Mehrheit der s t i m m f ä h i g e n Bürger diejenige der s t i m m e n d e n Bürger setzte, und brachte den § 27 der bisherigen Verfassung, welcher das Stimmrecht der Bürger normirt, mit dem eidgenössischen Betreibungs- und Koukursgesetze in Einklang, schaffte für Minderjährige den Verlust des Aktivbilrgerrechts (hei Eintritt der Volljährigkeit.) infolge Konkurses oder fruchtloser Pfändung ab und eröffnete die Möglichkeit, daß die Gesetzgebung die Bedingungen der Wiedereinsetzung in's Stimmrecht erleichtere.

Da der citirte § 27 am Schlüsse in Bezug auf die Stimmrechtsverhältnisse die Bundesgesetzgebung vorbehält, glaubten der Kantonalgrütliverein und die Arbeitervereine der Stadt Luzern, gestützt auf diesen Vorbehalt, an die Bundesversammlung das Begehreu stellen zu können, sie möge der revidirten Luzerner Verfassung die Gewährleistung vorenthalten, so lange die abnormen Verhältnisse in Bezug auf die Zahl der des Stimmrechts beraubten Bürger nicht durch Abänderung bezvv. Beseitigung der Bestimmungen über den Stimmrechtsverlust wegen Konkurs, waisenamtlicher Unterstützung, gerichtlicher Akkordirung (für die Bürger, welche vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs akkordirt haben) aufgehoben seien.

Wir konnten dieses Begehren bei Ihnen nicht befürworten, und Sie haben unserer Anschauungsweise zugestimmt, da die Kantone befugt sind, die Ausschlußgründe hinsichtlich des politischen Stimmrechts zu bestimmen, so lange der Bund von dem
ihm in Art. 66 der Bundesverfassung diesfalls eingeräumten Gesetzgebungsrechte keinen Gebrauch gemacht hat. (Vergi. Bundesbl. 189J, I, 987; A. 8. n. F. XII, 116, 127.)

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3. Durch Bundesbeschluß vom 17. Juni erhielt eine Partialrévision der Verfassung des Kantons Uri vom 3. Mai 1891 die Genehmigung des Bundes. Es wurde die Anwendung der geheimen Abstimmung in den Gemeindevorsammlungen, auch ohne vorgängige Diskussion darüber, ermöglicht und der Amtszwang auch für die von den Korporationsgemeinden zu treffenden Wahlen eingeführt, unter Ausdehnung desselben im Allgemeinen auf zwei Amtsdauern.

(Vergi. Bundesbl. 1891, III, 91; A. S. n. F. XII, 129.)

4. Durch Bundesbeschluß vom 29. Juli 1891 gewährleistete die Bundesversammlung zwei Verfassungsgesetze des Kantons G e n f vom 6. Juni 1891, von welchen das eine den Zeitpunkt der Wahl der Mitglieder des Großen Käthes und des Staatsrathes und die Amtsdauer dieser Behörden festsetzt und das andere das Recht der Initiative normirt. (Vergi. Bundesbl. 1891, IV, 30; A. S. n. F.

XII, 159.)

5. Durch Bundesbeschluß vom 23. Dezember 1891 erfolgte die Gewährleistung eines Verfassungsgesetzes des Kantons Z ü r i c h vom 9. August 1891, betreffend besondere Bestimmungen für Gemeinden mit mehr als 10,000 Einwohnern, unter Abweisung einer Einsprache der Gemeinde Wollishofen vom 20. November 1891.

(Vergi. Bundesbl. 1891, IV, 637; A. S. n. F. XII, 452.)

6. Durch Bundesbeschluß vom 23. Dezember 1891 wurden auch einige vom Katonsruthe von S c h w y z am 3. September 1891 mit Rücksicht auf die Organisation der kantonalen Behörden zur Vollziehung des eidgenössischen Betreibuugs- und Konkursgesetzes beschlossene Abänderungen der Verfassung dieses Kautons vom 11. Juni 1876 genehmigt und mit der Bundesgarantie ausgestattet.

(Vergi. Bundesbl. 1891, IV, 631; A. S. n. F. XII, 447.; V. Verhältnisse zu auswärtigen Staaten, a. Verträge und Konventionen.

1. In Anbetracht des Umstandes, daß die Berathungen der eidgenössischen Räthe über ein schweizerisches Gesetz betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslaude während des Berichtjahres nicht zu Ende gelangt sind, haben wir die in den Jahren 1889 und 1890 abgebrochenen Verhandlungen mit OesterreichUngarn, Chile, den Vereinigten Staaten von Amerika, Uruguay etc.

betreffend den Abschluß von A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e n noch nicht wieder aufgenommen. Wir gewärtigen zunächst, ob das fragliche Bundesgesetz in Kraft treten wird oder nicht.

2. Was die von uns angeregten Verträge mit O e s t e r r ei chU u g a r n und mit S p a n i e n betreffend die V o l l z i e h u n g von

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C i v i l u r t h e i l e n anlangt (Bundesbl. 1891, II, 581), so ist der Abschluß derselben seit dem letzten Jahre nicht weiter gediehen. Es ist uns einzig von der k. und k. österreichisch-ungarischen Gesandtschaft berichtet worden, daß das k. k. österreichische Justizministerium den Entwurf zu einer bezüglich Uebereinkunft ausgearbeitet habe. Dieser liege nun bei dem k. ungarischen Justizministerium zur Ansichtsäußerung. Wir hoffen, den Entwurf bald zur Prüfung zu erhalten.

3. Wir haben uns veranlaßt gesehen, den Abschluß von F v e u n d s c h a f t s-, N i e d e r l a s s u n g s-, H a n d e l s - und K o n s u l a r v e r t r ä g e n d e n Republiken N i c a r a g u a u n d C h i l e vorzuschlagen. Als Grundlage für die Unterhandlungen wurde beiden Staaten die von der Schweiz am 30. Oktober 1888 mit Salvador abgeschlossene Uebereinkuuft in Antrag gebracht.

Zur Zeit sind wir noch ohne Rückäußerung der Regierungen jener Staaten, ob sie bereit seien, auf unsern Vorschlag einzutreten.

4. In unserm Geschäftsbericht für das Jahr 1886 (Bundesbl.

1887, II, 661, Nr. 11) haben wir über die Verhandlungen berichtet, die wir eingeleitet hatten, um mit dem D e u t s e h e n R e i c h e eine Uebereinkunft über d i e u n e n t g e l t l i c h e V o l l z i e h u n g von Requisitortien i n C i v i l s a c h e n abzuschließen. Zwei Kantone waren damals unserm Vorhaben grundsätzlich abgeneigt, und es ist uns auch seither, trotz wiederholter Bemühungen, nicht gelungen, ihre Bedenken zu beseitigen und sie zur Ertheilung der Ermächtigung zu veranlassen, deren wir zum Austausch identischer Erklärungen mit der deutschen Regierung bedurften. Der Gedanke an den Abschluß eines förmlichen Staats Vertrages über diesen Gegenstand, wodurch die Einwilligung der Kantonsregierungen entbehrlich geworden wäre, hatte schon früher aufgegeben werden müssen, da die kaiserlich deutsche Gesandtschaft erklärt hatte, ihre Regierung betrachte die Materie als hiezu nicht geeignet. Wir haben unter diesen Umständen beschlossen, der Angelegenheit keine weitere Folge zu geben, und dies sowohl der deutschen Gesandtschaft als auch den Kantonsregierungen mitgetheilt.

b. Spezielle Fälle internationaler Natur.

5. In Niort ( F r a n k r e i c h ) starb am 8.April 1885 P e t e r C a s a n o v a von Obersaxen (Gr au b l i n d en). Er hinterließ
ein eigenhändiges Testament vom 12. Januar 1885, worin er zwei Minderjährige französischer Nationalität, Virginie und Alphonse Nouzille, als Universalerben (légataires universels) einsetzte. Die nächsten Verwandten des Erblassers und nach graubündnerischem Recht seine pflichttheilsberechtigten Intestaterben waren seine Ge-

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schwister Christian, Balthasar und Christine Casanova, von und in Obersaxen. Der Nachlaß bestand aus einem Hause in Niort, einigen Immobilien in Obersaxen und einem Mobiliarvermögen, das sich, soweit es in Betracht fällt, in Niort befand.

Zwischen den Testamentserben und den Intestaterben kam durch die Vermittlung der schweizerischen Gesandtschaft in Paris am 1.Juli 1886 ein Vergleich auf folgender Grundlage zu Stande: Man nahm an, das Haus in Niort werde vom französischen Recht beherrscht, das den Verwandten der Seitenlinie keinen Pflichttheil einräumt, und sprach es daher ohne Weiteres den Testamentserben zu. Die in der Schweiz liegenden Immobilien und das Mobiliarvermögen dagegen sollten nach Graubündner Recht vererbt werden, wonach den Geschwistern ein Pflichttheilsrecht auf vier Fünftel des ererbten und auf die Hälfte des erworbenen Vermögens des Erblassers zusteht; danach wurden den Geschwistern Casanova die Immobilien in Obersaxen, die Erbgut waren, zu 4/5 zugesprochen; die Kinder Nouzille erhielten die Hälfte des Mobiliarnachlasses, der aus erworbenem Vermögen bestand, und überdies einen Fünftel des Immobiliarvermögens; der Rest des Mobiliarvermögens fiel an dieNotherben.. Dieser Vergleich erhielt die Zustimmung beider Parteien, ihrer gesetzlichen Stellvertreter und des graubündnerischenVormundschaftsgerichts,, das erkannte, die Kinder Nouzille seien richtig abgefunden. Da diese aber minderjährig waren, mußten die Bestätigung des Vergleichs und dasExe-quatur für das schweizerische Urtheil bei dem erstinstanzlichen Gerichte zu Niort eingeholt werden.

Beides wurde wider Erwarten von Amtes wegen mit Urtheilen vom 16. und 19. November 1886 verweigert, weil im Vergleich den schweizerischen Erben in ihrer Eigenschaft als Geschwister des Erblassers auf die in der Schweiz gelegenen Vermögensstucke Vorrechte eingeräumt seien, die das französische Recht nicht kenne, ohne den testamentarischen Miterben französischer Nationalität auf dem in Frankreich befindlichen Vermögen den Betrag vorzubehalten, der ihnen als Ersatz dafür, daß sie in der Schweiz zur Erbfolge nicht unbeschränkt zugelassen werden, nach dem französischen Gesetz vom 14. Juli 1819 gebühre.

In diesem Stadium erhielt der Bundesrath Kenntniß von der Angelegenheit durch die schweizerische Gesandtschaft in Paris, die auf die grundsätzliche
Wichtigkeit der Streitfrage für die Auslegung des S t a a t s v e r t r a g e s z w i s c h e n de r S c h w e i z u n d Frankreich ü b e r den G e r i c h t s s t a n d u n d die Vollz i e h u n g v o n U r t h e i l e n i n C i v i l s a c h e n v o m 1 5 . Juni 1869 hinwies.

496 Wir gelangten nach reiflicher Prüfung zu der Ueberzeuguug, daß Art. 5, Absatz 2, des Vertrages nur dann anwendbar ist, wenn französische und schweizerische I n t e s t a t e r b en g l e i c h e n G r a d e s m i t e i n a n d e r k o n k u r r i r e n , nicht auch dann, wenn, wie im Falle Casanova, die Testirfähigkeit des schweizerischen Erblassers durch das Recht seiner Heimat zu Gunsten schweizerischer Notherben und zum Nachtheil französischer Legatare eingeschränkt wird, und daß daher das französische Gesetz von 1819 nicht angerufen werden könne. Im Einverständniß mit der Regierung des Kantons Graubünden ertheilten wir daher der Gesandtschaft den Auftrag, darauf hinzuwirken, daß auch die französischen Behörden den von uns als richtig betrachteten Grundsatz anerkennen.

Allein der Appellhof von Poitiers entschied mit Urtheilen vom 4. Juli 1887 dahin, dor in Frankreich liegende Mobiliarnachlaß des P. Casanova werde ausschließlich vom französischen Recht beherrscht und sei daher den Geschwistern Nouzille unter Ausschluß der graubündnerischen Notherben zuzusprechen.

Wir konnten uns hiebei nicht beruhigen, sondern beauftragten die schweizerische Gesandtschaft in Paris, die Kassation der beiden Urtheile zu betreiben.

Am 18. Januar 1888 wurde das Begehreu um Eröffnung des Cassationsverfahrens gutgeheißen und der Fall an die Civilkammer des Kassationshofes verwiesen. Erst am 11. Februar 1890 wurde das Urtheil gesprochen. Es lautete auf Cassation der Vorentscheide, und zwar wesentlich auf Grund folgender rechtlichen Erwägungen: ,,Der französisch-schweizerische Staatsvertrag vom 15. Juni 1869 erklärt beim Tode eines Schweizers in Frankreich, mag nun ein Testament vorliegen oder nicht, die schweizerischen Gerichte kompetent zur Beurtheilung der Streitigkeiten über die Bereinigung des Nachlasses und über die Abrechnung zwischen den Intestaterben und den Vermächtnißnehmern, und bestimmt zugleich, daß für die Theilung, die Versteigerung und den Verkauf der Liegenschaften das Recht des Landes, wo sie liegen, maßgebend sein soll ; damit ist anerkannt, daß der Mobiliarnachlaß durch das Recht der Heimat und das Personalstatut des Erblassers beherrscht wird ; ,,daraus folgt, daß der Erblasser für die Fähigkeit, über seinen Mobiliarnachlaß zu verfügen, seinem Personalstatut und dem Recht des Orts, wo der
Nachlaß eröffnet wird, das heißt dem Recht seiner Heimat, unterworfen bleibt; ,,nach demselben Grundsatz können die schweizerischen Pflichttheilserben auf dem in Frankreich liegenden Mobiliarnachlaß den

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Vorschlag oder Pflichtteil beanspruchen, der ihnen nach schweizerischem Recht zukommt, und zwar auch dann, wenn der Erbiassei- im Widerspruch mit den Bestimmungen des schweizerischen Rechts Universallegatare eingesetzt haben sollte, die nach französischem Recht auf den ganzen Nachlaß und um so mehr auf das ain Todestage in Frankreich liegende Mobiliarvermögen Anspruch hätten. a Zur materiellen Entscheidung wurde der Fall dem Appellhof von Orléans zugewiesen. Um jedoch die Kosten eines neuen Verfahrens zu vermeiden, einigten sich die Parteien auf eine Tlieilung des Nachlasses, die den Bestimmungen des ursprünglichen Vergleichs vom Juli 188t> durchaus entsprach, die aber erst im Laufe des Jahres 1891 endgültig abgeschlossen werden konnte.

6. Ueber verschiedene auf die B e v o r m u n d u n g von S c h w e i z e r b ü r g e r n in F r a n k r e i c h bezügliche Fragen, die unserra Justiz- und Polizeidepartement durch das schweizerische Konsulat in Havre auf das Begehren eines dort niedergelassenen Neuenburgers hin vorgelegt wurden, ließ sich das Departement in folgender Weise vernehmen : Aus Art. 10 des Vertrages zwischen der Schweiz und Frankreich über den G e r i c h t s t a n d und d i e V o l l z i e h u n g von U r t h e i l e n in C i v i l s a c h e n vom 15. Juni 1869 ergebe sich, daß der französische Richter nicht kompetent sei, eine Vormundschaft zu verhängen, wohl aber, provisorische Schutzmaßregeln anzuordnen, unter die auch ein Sequester zu zählen sei. Sollte der französische Richter eine Verfügung treffen wollen, zu der er nicht befugt wäre, so wäre er durch die Partei oder ihren Vertreter auf Art. 11 des Vertrages aufmerksam zu machen, wonach das Gericht, bei dem eine nicht in seine Kompetenz fallende Klage anhängig gemacht wird, die Parteien von Amtes wegen an den zuständigen Richter weisen soll ; nötigenfalls könnte sich die Partei an die schweizerische Gesandtschaft in Paris wenden, damit diese den Justizminister ersuche, durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft auf die Beobachtung des Vertrages hinzuwirken.

7. Eine Eingabe, worin ein in F r a n k r e i c h niedergelassener Schweizerbürger mittheilte, daß die dort vom Staate, insbesondere als Lehrer, angestellten Schweizerbürger veranlaßt werden, sich als Franzosen n a t u r a l i s i r e n zu lassen, wenn sie ihre Stellen beibehalten
wollen, gab unserer Gesandtschaft in Paris, der die Eingabe zur Vernehmlassung überwiesen wurde, Gelegenheit, uns die Frage der Zulassung von Schweizern zu öffentlichen Stellen in Frankreich in zwei ausführlichen Berichten darzulegen. Der Inhalt dieser Berichte läßt sich dahin zusammenfassen, daß Ausländer in Frankreich nach den bestehenden Gesetzen und Verordnungen vom Bundesblatt. 44.7ahrg. Bd. II.

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Staate direkt abhängige Stellen gar nicht bekleiden können und daß die allgemeine Tendenz dahin geht, sie auch von Anstellungen in den Dienstzweigen auszuschließen, die der Staatsaufsicht unterliegen.

Was insbesondere die Lehrthätigkeit von Ausländern an französischen Primarschulen betrifft, so ist nach den Berichten der Gesandtschaft gegenwärtig der Zustand der Gesetzgebung (loi du 30 octobre 1886 sur l'organisation de l'enseignement primaire, Art. 4, und Dekret vom 18. Januar 1887 über denselben Gegenstand, Art. 181) der, daß Ausländer als Lehrer oder Lehrerinnen in öffentlichen Primarschulen gar nicht, in privaten Primarschulen nur unter der Bedingung zugelassen werden, daß sie die Niederlassung erworben haben und eine Bewilligung des Unterrichtsministeriums besitzen. Diese Sachlage ließ Vorstellungen bei der französischen Regierung von vorneherein als erfolglos erscheinen, weßhalb wir davon absahen, der Eingabe weitere Folge zu geben.

8. Aehnlich lag ein Fall, in dem uns eine in M ü l h a u s e n , E l s a ß , niedergelassene Schweizerbürgerin um unsere Intervention bei der deutschen Regierung ersuchte, da sie Gefahr laute, ihre Anstellung als Vorsteherin einer Kleinkinderschule zu verlieren, wenn sie nicht die deutsehe Nationalität erwerbe. In seinem Mitbericht erklärte unser Justiz- und Polizeidepartement, es sei seines Erachtens weder vom vertraglichen Standpunkt noch von dem der Reziprozität aus als grundsätzlich unzuläßig zu betrachten, wenn die Anstellung an einer unter staatlicher Aufsicht stehenden Anstalt von der Erwerbung der deutschen Staatsangehörigkeit abhängig gemacht werde.

9. Léon und Joseph F e u v r i e r in Gaillots (Kanton Bern), gegen die von der französischen Botschaft das übliche Protokoll wegen U e b e r t r e t u n g der s e h w e i z e r i s c h - f r a n z ü sischen Uebereinkunft b e t r e f f e n d g l e i c h a r t i g e B e s t i m m u n g e n ü b e r F i s c h e r e i in d e n G - r e n z g e w ä s s e r n vom 28. Dezember 1880 (A. 8. n. F. VI,640)) eingesandt worden war, wurden den bernischen Gerichten überwiesen und in Anwendung von Art. 30 des Bundesgesetzes betreffend die Fischerei vom 21. Dezember 1888 zu Buße und Kostenersatz verurtheilt.

Ein ähnliches Verfahren besteht bekanntlich kraft Art. 8 der Uebereinkunft zwischen der Schweiz und Frankreich über
die Bea u f s i c h t i g u n g der G r e n z w a l d u n g e n vom 23. Februar 1882 (A. S. n. F. VI, 468) und Art. 3 der Uebereinkunft zwischen der Schweiz und Frankreich zur B e k ä m p f u n g d e s J a g d f r e v e l s in den G r e n z w a l d u n g e n vom 31. Oktober 1884 (A. S. n. F.

VIII, 183) für die Fälle, in denen die in ihrem Heimatstaate wohneng

'

O

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den Bürger des einen Vertragsstaates sich auf dem Gebiete des andern des Holz- oder Jagdfrevels schuldig machen.

10. Der Prozeß der Erben C i v r y gegen die Stadt G e n f um die Erbschaft des Herzogs von Braunschweig (siehe unsern letzten Geschäftsbericht, Bundesbl. 1891, II, 533) hat uns auch im Berichtjahre weiter beschäftigt. Die Angelegenheit ist als spezifisch internationaler Natur mit einem Vorbericht des Justiz- und Polizeidepartements dem Departement des Auswärtigen zugewiesen worden, das sie weiter behandeln und auch darüber Bericht erstatten wird.

11. Gestützt auf Art. 3 der Uebereinkunft zwischen der Schweiz und Italien betreffend die gegenseitige B e w i l l i g u n g d e s A r m e n r e c h t s i m P r o z e ß v e r f a h r e n v o m 8 . November 1882 (A. S. n. F. VII, 80) beschwerte sieh die italienische Gesandtschaft darüber, daß das thurgauische Bezirksgericht Münchweilen dem Italiener T a g l i a v i n i trotz der Bewilligung des Armenrechts die Hinterlegung einer Prozeßkaution von Fr. 100 auferlegt habe.

Eine Einsprache, die das italienische Konsulat in Zürich gegen diese Verfügung erhoben hatte, war vom Bezirksgerichtspräsidium abgelehnt worden, weil die Kaution nach § 101 der thurgauischen Civilprozeßorduung für die allfällig der Gegenpartei zu leistende außergerichtliche Entschädigung nach bestehender Gerichtspraxis auch dann hinterlegt werden müsse, wenn das Armenrecht bewilligt sei; Art. 3 der schweizerisch-italienischen Uebereinkunft könne, nicht angerufen werden, weil unter gleichen Umständen auch ein thurgauischer Bürger zur Kautionsleistung verpflichtet wäre. Im gleiehen Sinne war auch eine weitere Reklamation von der Regierung des Kantons Thurgau beantwortet worden.

Diese berief sich in ihrer Vernehmlassung ebenfalls uns gegenüber auf die erwähnte Begründung; zugleich erklärte sie, die Frage, ob zur Entscheidung solcher Konflikte der Bundesrath oder das Bundesgericht kompetent sei, unserer Prüfung und Entscheidung zu überlassen. Im Uebrigen sprach sich die Regierung dahin aus, .,sie habe sich nicht in den Gang der Justiz einmischen wollen, deren Stufenleiter zudem nicht erschöpft sei, und außerdem nehme sie wirklich Anstand, dem citirten Staatsvertrage eine Interpretation zu geben, durch die allerdings ein erst recht wirksames Armenreeht geschaffen, aber gleichzeitig
wieder für Ausländer ein absolutes Privilegium gegenüber den thurgauischen und schweizerischen Angehörigen aufgestellt würde".

Gestützt auf Art. 59 des Bundesgesetzes über die Organisation der o o Bundesrechtspflege erklärten wir uns zur Beurtheilung dieser Be-

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schwerde als kompetent; auch hielten wir daran fest, daß nach Art. 10 der Bundesverfassung diplomatische Reklamationen in jedem Stadium des Verfahrens angebracht werden können, ohne Rücksicht darauf, ob der kantonale Instanzenzug durchlaufen sei. -- Was die Hauptfrage betrifft, konstatirten wir zunächst, daß §101 der bürgerlichen Prozeßordnung des Kantons Thurgau den Klager verpflichtet, sowohl für die Gerichtsgelder, Bußen und Sporteln, als auch für die allfällig seiner Gegenpartei zu leistende außergerichtliche Entschädigung unter gewissen Voraussetzungen Kaution zbestellenen, daß aber diese Bestimmung durch Art. 3 der erwähnten Uebereinkunft, mit Italien modifizirt sei, weil danach die Italiener durcErtheilungng deArmenrechtsts von j e d e r Bürgschaft oder Hinterlage befreit werden, die sonst von den Fremden gefordert werden können.

Wir gelangten daher zu dem Schluß, daß die Kautionsforderung; mit den Vorschriften der Uebereinkunft unvereinbar sei, und luden die thurgauische Regierung ein, sie aufzuheben, was dann auch ohne Weiteres geschehen ist.

12. Eine Anregung der italienischen Gesandtschaft gab unserm Justiz- und Polizeidepartement Gelegenheit, sich in einem Mitberichte an das Departement des Auswärtigen (Abtheilung Auswanderungswesen) über die Tragweite der Artikel l und 4 der U e b e r e i n k u n f t z w i s c h e n d e r S c h w e i z u n d I t a l i «en ü b e r den P o l i z ei di e n s t in den i n t e r n a t i o n a l e n S t a t i o n e n der G o t t h a r d b a h n vom 16. Februar 1881 (A. S.

n. F. V, 577 ff.) auszusprechen ; dis Gesandtschaft hielt nämlich dafür, die schweizerischen Polizeiorgane auf der Station Chiasso seien durch die genannten Vertragsbestimmungen gehalten, dabei mitzuwirken, daß von den schweizerischen Auswanderungsagenturen keine Personen italienischer Herkunft befördert werden, denen die Gesetze ihres Heimatlandes die Auswanderung untersagen (Angeklagte, Refraktäre und beurlaubte Soldaten).

Mit der Ansicht des Departements des Auswärtigen, daß die Artikel l und 4 der erwähnten Uebereinkunft mit Unrecht vou der italienischen Gesandtschaft zur Unterstützung ihres Verlangens angerufen werden, erklärte sich das Justiz- und Polizeidepartement rückhaltlos einverstanden. Es fügte bei, seines Erachtens lasse sich weder aus Artikel l, der nur einen allgemeinen
Grundsatz ausspreche, noch aus Artikel 4, der sieh gar nicht auf das in Frage stehende Verhältniß beziehe, sondern im Gegentheil eine möglichst geringe Belästigung der Reisenden im Auge habe, für die schweizerischen Polizeiorgane die Pflicht ableiten, den italienischen Behörden in der Handhabung der italienischen Auswanderungsgesetze auf schweizerischem Gebiet behülflich zu sein. Was die besonders

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hervorgehobenen ,,Angeklagten" betreffe, so sei für ihre Behandlung der Auslieferungsvertrag maßgebend. Bezüglich der Refraktäre und beurlaubten Soldaten sei endlich noch zu bemerken, daß die Bundesbehörden zur Handhabung ausländischer Militärgesetze konsequent ihre Beihülfe versagen, und daß daher audi von diesem Gesichtspunkte aus eine besondere Beaufsichtigung dieser Art von Reisenden durch die schweizerische Polizei abgelehnt werden müsse.

13. Durch das Polizeidepartement des Kantons St. Gallen wurde uns eine Beschwerde wegen Verletzung der V e r e i n b a r u n g zwischen d e r Schweiz u n d d e m D e u t s c h e n R e i c h über d i e g e g e n s e i t i g e A n e r k e n n u n g v o n L e i c h e n p ä s s e n vorn 9. November und 11). Dezember 1888 (A. S. n. F.

X, 820") durch badische Behörden zugeleitet. Der Beschwerdeführer, Emanuel Brandenburger, führte aus, es sei schon wiederholt vorgekommen, dass nach Gailingen bestimmte Leichantransporte, obwohl mit richtigem Leichenpaß ausgestattet, bei der dortigen Zollstätte zurückgewiesen und erst auf Grund eines neuen, vom badischen Bezirksamt Konstanz ausgestellten Leichenpasses zum Weitertransport zugelassen worden seien. Die Erhebungen, die auf unser Gesuch von der badischen Repierung angeordnet wurden, ergaben, daß die Angaben des Beschwerdeführers richtig seien; zugleich aber wurde festgestellt, daß Gailing zwei Stunden von der nächsten Eisenbahnstation entfernt liegt und der Leichentransport dorthin nicht mit der Eisenbahn, sondern mit Fuhrwerk stattfindet. Da nun die Uebereinkunft über die gegenseitige Anerkennung von Leichenpässen nur für die Beförderung von Leichen auf der Eisenbahn gilt, was auch aus dem vereinbarten Formular für diese Pässe ersichtlich ist, so konnte das Verfahren der badischen Behörden nicht als vertragswidrig betrachtet werden.

14. Unser Justiz- und Polizeidepartement hatte während des Berichtjahres in 112 Fällen (1890 in 128, 1889 in 96) bei der Vermittlung von Req u i si t o ri a li en ausländischer Behörden an schweizerische Gerichte und umgekehrt mitzuwirken. 69 derselben bezogen sich auf- Civilangelegenheiten, 43 auf Strafsachen.

Von den s c h w e i z e r i s c h e n Rogatorien waren 12 an dio Vereinigten Staaten von Amerika, 8 an Frankreich, 5 an Rußland, je 4 an Argentinien und Belgien, 3 an Großbritannien,
je 2 an Brasilien und Oesterreich, endlich je l an Luxemburg, Peru und Siam gerichtet. Von den a u s l ä n d i s c h e n Rogatoricn andererseits sind 26 aus Frankreich, 21 aus Spanien, 10 aus Rußland, 4 aus Deutschland, 3 aus Oesterreich, je 2 aus Italien und Rumänien und eines aus Belgien an uns gelangt.

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5 der an ausländische Behörden gerichteten Rogatorien hattet» am Schlüsse des Jahres ihre Erledigung noch nicht gefunden.

Das nach S i a m g e r i c h t e t e Requisitorial betraf die Inventarisirung und Sicherung der Verlassenschaft eines in Bangkok verstorbenen Schweizers. Da wir keinen schweizerischen Vertreter daselbst haben, ersuchten wir die französische Regierung, ihrem Generalkonsul in Bangkok den nöthigen Auftrag zu ertheilen. Es wurde diesem Ansuchen bereitwillig entsprochen und die Angelegenheit in sorgfältiger Weise erledigt.

Dem Gesuche der solothurnischen Regierung, gemäß Art. 16 des Staatsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich vom 15. Juni 1869 über den Gerichtsstand und die Vollziehung von Civilurtheilen für die V o l l z i e h u n g e i n e s Gütertrennungsa k t e s , der nach solothurnischem Rechte die Bedeutung eines gerichtlichen Urtheils hat, in Frankreich besorgt zu sein, konnten wir nicht entsprechen, da es nicht möglich ist, das Exequatur eines solchen Aktes auf diplomatischem Wege auszuwirken. Wir verwiesen den solothurnischen Kläger an den kompetenten Gerichtsstand des Beklagten in Frankreich, damit er dort sein Begehren in üblicher Weise anbringe und sodann den Gütertrennungsakt als Beweisstück vorlege unter Beobachtung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten.

15. Bei Anlaß einer Versammlung der sozialdemokratischen Partei in Staßfurt (Preußen) drängte sich vor dem betreffenden Lokale eine große Menschenmenge zusammen. Die anwesenden Polizisten suchten sie zu zerstreuen. Sie widersetzte sich aber und Einzelne aus der Menge warfen mit Steinen gegen die Polizisten, wodurch mehrere derselben Verletzungen erlitten. Der die Untersuchung leitende Beamte wandte sich auf dem Requisitorialwege an die Behörden zu Basel und verlangte unter Hinweis auf Art. 12 des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages, es möchte ein sich dort aufhaltender Theilnehmer an jenem Vorgänge darüber einvernommen werden, ob auch ein gewisser W. Schulz bei demselben gegenwärtig gewesen sei und Steine gegen die Polizisten geworfen habe; dieser würde sich dadurch der Theilnahme am Vergehen gegen § 115 des deutschen Strafgesetzbuches (Aufruhr) schuldig gemacht haben.

Auf die Anfrage des Polizeidepartementes des Kantons Baselstadt, ob es dem Gesuche Folge geben dürfe, antwortete unser Justiz-
und Polizeidepartement, es solle dasselbe ablehnen, indem offenbar ein politisches Delikt in Frage liege. Der Art. 12 des Auslieferungsvertrages mit Deutschland schließe die Rechtshülfe in einem solchen Fall ausdrücklich aus.

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16. Die Zahl der Fälle von H e i m s c h a f f u n g e n v e r l a s sener K i n d e r , G e i s t e s k r a n k e r u n d s o l c h e r P e r s o n e n , welche der öffentlichen Wohlthätigkeit anheimg e f a l l e n s i n d , belief sich im Berichtjahre auf 118 (1890: 151, 1889: 131) und betraf 151 Personen.

Die Schweiz wurde seitens des A u s l a n d e s um die Heimschaffung von 65 Personen (63 Gesuche umfassend) angegangen, nämlich von 15 verlassenen Kindern, 47 Geisteskranken und 3 Hilfsbedürftigen. Aus Frankreich liefen 54 Gesuche ein, aus Oesterreich 3 und je l aus Argentinien, Belgien, Deutschland, England, Italien und Portugal. Von den 65 Personen wurden 4 nicht anerkannt, 59 dagegen als schweizerische Angehörige ermittelt und übernommen; 2 Fälle sind pendent geblieben.

Die S c h w e i z stellte an das Ausland auf diplomatischem Wege 55 Heimschaffungsbegehren, und zwar 29 an Frankreich, 19 an Italien, 6 an Deutschland und l an Oesterreich. Dieselben betrafen 22 verwaiste und verlassene Kinder, 25 Geisteskranke und 39 der öffentlichen Wohlthätigkeit Anheimgefallene, zusammen 86 Personen.

Davon wurden 55 vom Auslande als Angehörige anerkannt und heimgeschafft, während bezüglich 7 Personen die Heimnahme abgelehnt worden ist; betreffend 22 Individuen standen die Erklärungen der fremden Regierungen am Ende des Jahres noch aus.

2 Begehren wurden von den Kantonsregierungen vor Abschluß der Verhandlungen zurückgezogen.

Auf Grund der irn Jahre 1880 auf dem Korrespondenzwege mit Prankreich getroffenen Vereinbarung betreffend den H ei Ölt r a n s p o r t von m i n d e r j ä h r i g e n L e u t e n , die in der Heimat wegen eines Vergehens in eine Besserungsanstalt untergebracht worden waren, aber in den andern Staat sich flüchten konnten (Bundesbl.

1880, I, 408), haben wir in einem Fall die Zuführung eines Knaben, welcher aus der Anstalt zu Croisettes (Waadt) nach Frankreich entflohen war, nachgesucht und entsprechendes Entgegenkommen bei den französischen Behörden gefunden.

17. In Art. 3 der Uebereinkunft zwischen der Schweiz und Frankreich betreffend unentgeltliche Verpflegung der Geisteskrank«!!

und verlassenen Kinder vom 27. September 1882 (A. S. n. F. VII, 18(5) ist das Recht der R e k l a m a t i o n der d u r c h die U n t e r s t ü t z u n g und V e r p f l e g u n g von Angehörigen
des andern Staates e n t s t a n d e n e n K o s t e n vorbehalten, wenn der Unterstützte selbst Vermögen besitzen sollte, oder wenn Zahlungspflichtige und zugleich zahlungsfähige Verwandte desselben vorhanden sind. Es ist dann in einem solchen Falle jede der beiden Regie-

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rungen verpflichtet, der andern zum Zwecke dieser Rückvergütung auf Begehren hin die nach Maßgabe der Gesetzgebung des Landes zuläßige Hülfe zu gewähren. Die französische Regierung, welche wir in einem bezüglichen Falle in Anspruch nahmen, entledigte sich ihrer Aufgabe in der Weise, daß sie der zur Zahlung der fraglichen Kosten verpflichteten Person eine bezügliche Aufforderung zukommen ließ. Als sieh diese aber in positiver Weise weigerte, dem Begehren nachzukommen, weil sie sich nicht zur Leistung der geforderten Zahlung für verpflichtet hielt, erklärte die französische Regierung, nichts weiter thun zu können, namentlich auch keinen gerichtlichen Entscheid gegen die betreffende Person zu provozirin, sie müsse dies vielmehr den Interessenten überlassen (Fall PichotPedrina).

18. Entgegen einer früheren Vereinbarung, daß die v o n o d e r ü b e r . G e n f n a c h F r a n k r eic h h e i m z u s c h a f f e n d en K r a n k e n in Perly-Certoux übergeben werden sollen, hat die französische Regierung in diesem Jahre darum nachgesucht, daß solehe Kranke von den französischen Wärtern im kantonalen Asyl für Geisteskranke zu Vernets bei Genf abgeholt werden dürfen, da sich in ' Perly keine passenden Lokalitäten befinden, in welchen die Ankunft der Heimzuschaffenden abgewartet werden könne. Im Einklang mit der Ansicht des Staatsrathtes des Kantons Genf erklärten wir uns mit diesem neuen Verfahren einverstanden.

19. In denjenigen Fällen, in welchen Geisteskranke oder verlassene Kinder in Frankreich, nach Feststellung ihres schweizerischen Heimatrechtes, nicht heimgeschafft, sondern auf Grund besonderer Vereinbarungen gegen B e z a h l u n g e i n e r E n t s c h ä d i g u n g i n f r a n z ö s i s c h e n A n s t a l t e n belassen w e r d e n , wurden die daherigen Ansprüche der französischen Verwaltungen bisher durch Vermittlung der französischen Botschaft in Hern liquidirt. Da hiedurch weitläufige Korrespondenzen entstanden sind und aus dem Wechselkurse für die französische Staatskasse häufig sich Verluste ergeben haben, hat die französische Regierung beschlossen, es seien in Zukunft die französischen Anstalten schuldigen Summen in Frankreich zu bezahlen, während umgekehrt die an auswärtige Regierungen schuldigen Kosten durch die französischen diplomatischen und Konsularagenten im betreffenden Lande
beglichen werden sollen.

Wir fanden diese Anregung vollkommen korrekt, indem wir in Betracht zogen, daß auch nach dem bürgerlichen Hechte Geldschulden am Wohnorte des Gläubigers zu erfüllen sind. Wir ordneten daher an, daß in Zukunft in Fällen der vorliegenden Art, nachdem das Heimatrecht der fraglichen Person festgestellt und deren

505 weitere Verpflegung in Frankreich vereinbart ist, die finanzielle Erledigung der Angelegenheit von der Bundeskanzlei besorgt werde.

Es werden daher die Zahlungsgesuche der französischen Behörden durch die schweizerische Gesandtschaft direkt an die Bundeskanzlei übermittelt werden, welche dann das erhaltene Geld der Gesandtschaft in Paris zu übersenden hat.

Die Verpflegungskosten, welche für Franzosen in der Schweiz zu entrichten sind, werden durch die französische Botschaft in Bern der Bundeskanzlei zu Händen der betreffenden kantonalen Behörden übermittelt werden.

20. Im Jahre 1878 wurde der Modus vivendi mit der französischen Regierung vereinbart, daß die schweizerische Gesandtschaft in Paris mit den Behörden des Seinedepartetnentes d i r e k t e K o r r e s p o n d e n z i n H e i m s c h a f f u n g s a n g e l e g e n h e i t e n führen könne. Die Gesandtschaft glaubte nun, es sollte dieses Ausnahmeverfahren aufgehoben und die Behandlung der Heimschaffungen aus dem Seinedepartement, wie derjenigen aus dem übrigen Frankreich, auf den diplomatischen Weg verwiesen werden, da seit der Durchführung des irn Vertrage zwischen der Schweiz und Frankreich vom 27. September 1882 (Verpflegung der Geisteskranken und verlassenen Kinder) niedergelegten Prinzips gegenseitiger unentgeltlicher Verpflegung bis zum Augenblick der möglichen Heimschaffung die schweizerischen Behörden kein Interesse mehr haben, die vorbereitenden Verhandlungen besonders zu beschleunigen. Wir konnten uns jedoch dieser Ansicht nicht anschließen, da wir in dem gegenwärtigen Verfahren ein Stück des direkten Verkehres erblicken, der, soweit er besteht, nicht aufgehoben werden sollte. Zudem liegen keine zwingenden Gründe für die Aufgabe des bestehenden Systems vor, vielmehr bietet dasselbe unstreitig große Vorteile für schnellere Ermittlung des Heimatortes und für die Rechtschreibung der Geschlechtsnamen, wodurch viele Korrespondenzen erspart werden.

21. Der französische Staatsangehörige E m i l B u ss m a n n iu Chaux-de-Fonds stellte durch Vermittlung der neuenburgischen Behörden das Begehren, es möchte auf diplomatischem Wege bei der französischen Regierung die Heimnahme seiner drei Kinder behufs deren Versorgung in Frankreich nachgesucht werden.

Wir gaben diesem Antrage jedoch keine Folge, da die fraglichen Kinder durch ihren
Vater, eventuell unter Mithülfe der Lokalbehörden, ohne Schwierigkeiten zu finden, nach Frankreich gebracht werden können, indem sie mittelst einer Kopie des Immatrikulationsscheines den Beweis für ihre französische Nationalität zu leisten im

506 Stande waren und es nur einer Verständigung über ihre Verpflegung in Frankreich bedurfte, wozu die Vermittlung des Bundesrathes nicht angezeigt war.

, 22. Das schweizerische Generalkonsulat in Lissabon hatte sich an die Gemeinde Trüb (Bern) mit dem Ansuchen gewendet, ihre Angehörige, die Dienstmagd M a r g a r e t h a H a b e g g e r , welche wegen Geistesstörung in eine Irrenanstalt verbracht worden war, durch eine Vertrauensperson in P o r t u g a l abholen und in ihre Heimat zurückführen zu lassen.

Durch die bernische Regierung hievon in Kenntniß gesetzt, machten wir das Generalkonsulat darauf aufmerksam, daß die Pflicht zur Unterstützung und Verpflegung der Ausländer dem Staate des Aufenthaltes einer Person obliege. Darum sei es Sache der portugiesischen Behörden, die Heimreise jener Kranken zu besorgen und die bezüglichen Kosten zu tragen, sowie mit der französischen Regierung über die Bewilligung des Transits zu verhandeln. Von Seite der bernischen Behörden werde die Genannte an der Schweizergrenze auf vorherige Anzeige hin übernommen. Dieses Verfahren entspreche den internationalen Grundsätzen und werde auch von den zivilisirten S aalen der Schweiz gegenüber geltend gemacht. Diese sei daher in ihrem Rechte, weqn sie die Beobachtung der Reziprozität verlange, und könne keine größeren Verpflichtungen für ihre Angehörigen übernehmen als andere Staaten hinsichtlich ihrer in der Schweiz wohnenden Bürger.

23. Unter den gleichen Erwägungen wie im Fall Liéso/, (Bundesbl. 1890, II, 157) wies die französische Regierung die Anerkennung der Wittwe L o u i s e M a r i a n n e P i n g e t , geb. C h a u b e r t , in Corsier (Waadt) ab, als wir deren Heirnnahme, weil sie der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last fiel, bei Frankreich nachsuchten.

Die Genannte ist in Corsier geboren. Im Jahre 1856 verehelichte sie sich zu Vevey mit Charles Pinget von St. Gingolph (Hoch-Savoven).

Dieser war bis zu seinem Tod durch Immatrikulationssoheine des französischen Generalkonsulates in Genf legitimirt, und es wurde auch gegenwärtig seine französische Nationalität nicht bestritten, dagegen diejenige seiner Frau. Sie sei, erklärte das Ministerium des Auswärtigen in Paris, gemäß der französischen Gesetzgebung auch nach dem Uebergang von Savoyen an Frankreich (1860) Sardinierin geblieben, denn ihre Ehe mit Pinget
habe vor jener Zeit stattgefunden; der Urnstand, daß infolge des Cessiousvertrages von 1860 ihr Mann die Nationalität geändert habe, sei ohne Einfluß auf sie gewesen, weil sie nicht in dem abgetretenen Lande g e b o r e n worden und auch zur Zeit des Ueberganges sich nicht dort a u f g e h a l t e n habe.

507

Wir versuchten auf Grund dieser Erklärung, die Anerkennung der Frau Finget bei der italienischen Regierung au erwirken. Allein diese antwortete, daß sowohl nach dem zur Zeit des Uebergangs der sardinischen Staaten an Frankreich gellenden Civilgesetze als auch nach der gegenwärtigen italienischen Gesetzgebung die Frau der Staatsangehörigkeit ihres Mannes folge. Wie die Frau Pinget nun durch die Heirat die ursprüngliche (sardinische) Nationalität ihres Mannes erworben habe, so habe sie infolge des Cessionsvertrages mit ihrem Manne auch diese Staatsangehörigkeit wieder verloren und die französische erlangt. -- Wir unterließen nicht, der französischen Regierung diesen Bescheid zur Keuntniß zu bringen mit dem Bemerken, daß die von Italien geltend gemachten Grundsätze den allgemeinen Rechtsanschauungen entsprechen, wonach nicht in Betracht komme, welcher Nationalität eine Frau vor ihrei Vereheliehung angehört habe. Pas französische Ministerium beharrte indessen auf seiner früheren Ansicht.

24. Eine M a r i e L a c r o i x von Pargny-Filain, Aisne (Frankreich), gebar im Jahre 1888 in Bern ein uneheliches Mädchen, welches von F r i e d r i c h M a r c h a n d aus Dieuze, Lothringen, als das seinige anerkannt und daher als B e r t h a M a r c h a n d in das Geburtsregister von Bern eingeschrieben wurde. Als in der Folge die Heimuahme dieses Kindes, weil von seinen Eltern verlassen, bei Frankreich nachgesucht wurde, ergab sich, daß Friedrieh Marchand im Jahre 1871/72 nicht für Frankreich optirt hat und daher deutscher Staatsangehöriger geworden ist. Die bei Deutsehland zur Uebernahme des Kindes gethanen Schritte hatten jedoch nicht den gewünschten Erfolg; es konnten keine Anhaltspunkte daf'iir gewonnen werden, daß zwischen den Eltern des fraglichen Kindes eine Ehe bestanden hat oder besteht, und dieses mußte daher von den deutsehen Behörden als ein außereheliches angesehen werden, das der Staatsangehörigkeit der Mutter folgt. Auch hat nach lothringischem Rechte die bloße Anerkennung eines Kindes keinen Einfluß auf den Personenstand des Anerkannten.

Wir gaben der französischen Regierung hievon Kenntniß und sprachen die Erwartung aus, daß das fragliche Mädchen in Folge der französischen Nationalität seiner Mutter nun als frauzöaische Staatsangehörige anerkannt werde. Der Justizminister erklärte daraufhin,
daß, wenn die Anerkennung des Kindes durch den Vater vor Inkrafttreten des französischen Gesetzes vom 26. Juni 1889 über die Staatsangehörigkeit geschehen sei, es die Nationalität des Vaters erworben habe, während, wenn diese Anerkennung nach der Promulgation dieses Gesetzes stattgefunden habe, das Kind in Anwendung des abgeänderten Art. 8, Ziffer l, AI. 2, des Code civil,

508

lautend : ,,Jedes Kind, das von einer französischen Staatsangehörigen: in Frankreich oder im Auslande geboren worden, ist Franzose".

der Nationalität der Mutter folge.

Das fragliche Kind ist nun von seinem Vater schon im Jahre 1888 vor dem Civilstandsamte Bern anerkannt worden. Es würde daher nach Maßgabe der erwähnten Unterscheidung der Nationalität seines Vaters folgen und als Angehörige des deutscheu Reiches zu betrachten sein.

Wir konnten dieser Ansicht nicht beipflichten und erneuerten bei Frankreich das Gesuch um Anerkennung des Kindes, indem wir geltend machten, daß für die Frage, ob die Anerkennung eines unehelichen Kindes durch den natürlichen Vater eine Aenderuug bezüglich der Nationalität des Kindes herbeizuführen geeignet, sei.

einzig das Recht des Heimatstaates des Vaters und keine andere Gesetzgebung als entscheidend angesehen werden könne. Das lothringische Recht knüpfe nun n her nicht die französischerseits behauptete Rechtsfolge an die bloße Anerkennung, und es müsse daher daran festgehalten werden, daß das fragliehe Kind die ihm infolge unehelicher Abstammung von einer Französin zukommende, französische Staatsangehörigkeit beibehalten habe.

Die Regierung von Frankreich beharrte indessen auf ihrer Ansicht und behauptete, es könue das Kind nicht als Franzose betrachtet werden, da es nach der französischen Gesetzgebung durch die Anerkennung seitens seines Vaters im Jahre 1888 die französische Nationalität verloren habe.

25. Mehrfach hat uns im Berichtjahre die Thatsache des überhandnehmenden Eindringens u n s i t t l i c h e r L i t e r a t u r und obscöner B i l d e r in die Schweiz vom Auslande her beschäftigt. Wir haben zwar an dem Grundsatz festgehalten (vgl.

unsern Geschäftsbericht für das Jahr 1878, Bundesbl. 1879, II, 643), daß die Maßregeln indieserr Richtung, soweit sie sich auf das Inland erstrecken, in den Kompetenzkreis der Kantono als Ausfluß ihrer Autonomie auf dem Gebiete des Strafrechts und der Polizei gehören. Dagegen haben wir nicht gezögert, auf das Gesuch kantonaler Behörden hin bei auswärtigen Regierungen darauf hinzuwirken, daß gegen Personen, die pornographische Preßerzeugnisse oder Bilder auf dem Gebiete der Schweiz anpreisen ließen oder zu verbreiten versuchten, mit Strenge eingeschritten werde. Sowohl in Deutschland als auch in Belgien, in den
Niederlanden und in Italien erzielten wir den gewünschten Erfolg. Die französische Gesetzgebung dagegen bot im Spezialfalle keine Handhabe zur Ahndung, weil der Wortlaut der Anpreisungen selbst keinen obscönen Charakter hatte.

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Anderseits hat sich auch eine kantonale Regierung veranlaßt gesehen, ein Strafverfahren gegen zwei Personen zu eröffnen, die auf schweizerischem Gebiete die Herstellung von obscönen Photographien und ihren Verkauf nach dem Auslande gewerbsmäßig betrieben.

26. Die s p a n i s c h e n S c h w i n d l e r , über deren Treiben ·wir letztes Jahr berichtet haben (Bundesbl. 1891, II, 544), setzten im Jahre 1891 ihre betrügerischen Unternehmungen -- wie es scheint immer noch mit Erfolg -- auf schweizerischem Gebiete fort.

Unser Justiz- und Polizeidepartement erließ daher am 4. November 1891 ein Kreisschreiben (Bundesbl. 1891, V, 389), wodurch die kantonalen Polizeibehörden eingeladen wurden, von Zeit zu Zeit geeignete Warnungen zu erlassen. Zugleich forderte das Departement zur Binsendung der in die Schweiz gelangenden Schwindelbriefe auf.

Seither gehen nun derartige Schriftstücke ziemlich zahlreich ein; wir lassen sie periodisch auf diplomatischem Wege den spanischen Behörden zustellen, die dann auf dem Requisitorialwege die erforderliehen weitern Erkundigungen einziehen. Daß übrigens die in Spanien eröffnete Untersuchung bisher ein positives Resultat gehabt hätte, ist uns nicht bekannt geworden.

27. Einer Einladung der belgischen Regierung Folge gebend, haben w i r u n s a n d e m i n t e r n a t i o n a l e n K o n g r e ß f ü r die Schutzaufsicht über entlassene Sträflinge und die Fürsorge für verwahrloste Kinder, der im Oktober 1890 in A n t w e r p e n abgehalten worden ist, offiziell durch Herrn Dr. Ladame in Genf vertreten lassen. Herr Ladame hat uns Anfangs 1891 einen Bericht über die Verhandlungen des Kongresses vorgelegt, dessen Programm seiner Zeit im Bundesblatte veröffentlicht worden ist (vergi. Bundesbl. 1890, IV, 147).

Tl. Civilstand und Ehe.

1. Wie schwer es ist, einmal eingerissene Uebelstände zu beseitigen, ergibt sich aus der Prüfung der k a n t o n a l e n I n s p e k t i o n s b e r i c h t e f ü r d a s J a h r 1890.

Trotz des Kreissehreibens des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes vom 6. Februar 1888, trotz der wiederholten direkten Schreiben dieses Departementes an die kantonalen Aufsichtbehörden im Civilstandswesen und trotz der seitherigen bezüglichen Bemerkungen in unseren Geschäftsberichten für die Jahre 1888, 1889 und 1890 haben auch jetzt noch fünf dieser Behörden ihrer Pflicht zur Berichtgabe über die im Jahre 1890 vorgenommenen

510

Inspektionen der Civilstandsämter dadurch zu genügen geglaubt, daß sie das im ,,Handbuche für die schweizerischen Civilstandsbeamten" Seite 205 abgedruckte Frageschema mit einfachen ,,Ja" oder ,,Nein" beantworteten. Daß solche Berichte für uns keinen Werth besitzen, haben wir schon oft betont.

Mit Genugthuung konstatiren wir andererseits, daß ungefähr die Hälfte der diesmaligen Inspektionsberichte inhaltlich und formell als zweckentsprechend, theilweise sogar als vorzüglich anzuerkennen ist. Die in diesen Berichten enthaltenen Mittheilungen und ausgesprochenen Wünsche haben zu einer umfangreichen Korrespondenz zwischen dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement und den verschiedenen kantonalen Aufsichtbehörden Anlaß gegeben. Ein Eintreten auf diese Korrespondenz würde hier zu weit führen. Wir begnügen uns mit der Bemerkung, daß dieselbe uns jeweilen einen erwünschten Einblick in das Civilstandswesen wie es in den einzelnen Kantonen nach bestimmten Richtungen hin, sich entwickelt hat. gestattet. Dies ist auch der Hauptgrund, weßhalb wir auf richtige Insprektionsberichte der kantonalen Behörden so großes Gewicht legen.

2. Nach mehrjährigen Unterhandlungen ist im N o v e m b e r 1890 auf Wunsch der italienischen Regierung z w i s c h e n d e r S c h w e i z und I t a l i e n eine U e b e r e i n k unf t vereinbart worden, durch die der A b s c h l u ß von E h e n z w i s c h e n d e n b e i d e r s e i t i g e n A n g e h ö r i g e n g e o r d n e t wird. Die.se liebereinkunft ist abgedruckt in der neuen Folge der ,,Amtlichen Sammlung", XI, S. 729. Den Regierungen der Kantone hüben wir von derselben überdies mit Kreissuhreiben vom '29. November 1890 Kenntniß gegeben und sie ersucht, für richtige Handhabung besorgt zu sein (Bundesbl. 1890, V, S. 59).

Die italienischen Behörden haben aber nachträglich entdeckt, daß fier Inhalt fraglicher Uebereinkunft nach verschiedenen Richtungen der italienischen Gesetzgebung widerspreche. Schließlich ist am 11. März 1892 von den Delegirten der beiden Staaten eine Z u s a t z e r k l ä r u n g unterzeichnet worden, wodurch die, erwähnten Widersprüche gehoben werden sollen. Das eidgenössische.

Justiz- und Polizeidepartement hat diese Zusatzerklärung den Regierungen der Kantone durch Kreissehreiben vom 12 .März 1892 mitgetheilt (Bundesbl. 1892, I, S. 913).
Die ursprüngliche Erklärung (vom 15./29. November 1890) umfasst zwei Artikel. Dieselben bestimmen, daß Schweizer, die mit Italienerinnen in Italien, und Italiener, die mit Schweizerinnen in der Schweiz eine Ehe eingehen wollen, in Zukunft, wenn sie

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ihre Staatsangehörigkeit nachgewiesen haben, noch verpflichtet sind, eine Bescheinigung ihrer zuständigen Landesbehörde darüber vorzulegen, daß der Abschließung der Ehe nach dem bürgerlichen Rechte ihrer Heimat kein bekanntes Hinderniß entgegensteht. Diese Bescheinigung (,,nulla osta"-Zeugniß) soll durch die Givilstandsbeamten, welche die Verkündung vollzogen, mittelst einer Erklärung auf dem Verkündschein ausgestellt werden, dahin lautend : ,,Dem Vollzuge der Ehe steht nach schweizerischen (italienischen) Gesetzen nichts im Wege". Ueberdies soll die Unterschrift des Civilstandsbeamten legalisirt sein, mit der Erklärung, daß er zur Ausstellung dieser Bescheinigung kompetent ist.

Nach der soeben abgeschlossenen Zusatzerklärung fällt nun die letztgenannte Kompetenzbescheinigung weg und genügt die Légalisation der Unterschrift des Civilstandsbeamten. Andererseits darf seitens der italienischen Civilstandsbeamten das ,,nulla osta"Zeugniß nicht auf dem Verkündschein selbst angebracht werden, sondern muß eine eigene Urkunde bilden.

Der übrige Inhalt der Erklärung vom 15./29. November 1890 bleibt unverändert.

3. Die E h e , die ein B ü r g e r d e s F ü r s t ent h u m s Liechtenstein im A u s l a n d e s c h l i e ß t , wird in seiner Heimat nur dann als gültig angesehen, wenn sie kirchlich eingesegnet worden ist und der Ehemann zu deren Eingehung die ausdrückliche schriftliche Erlaubniß der Regierung von Liechtenstein erhalten hat (zuvergl.. Bundesbl. 1887, II, S. 741, Ziffer 53).

Anläßlich der beabsichtigten Verehelichung eines in Thundorf wohnhaften Liechtensteiners mit einer Thurgauerin verlangte dessen Heimatgemeinde überdies noch römisch-katholische Trauung, sowie das Versprechen, allfällige Kinder römisch-katholisch zu erziehen.

Da jedoch der Bräutigam im Kanton Thurgau den evangelischen Religionsunterricht genossen hat und desshalb von einer Einsegnung durch einen katholischen Priester nichts wissen wollte, und da auch die Braut der evangelischen Konfession augehört, so haben wir auf Ansuchen des thurgauischenJustizdepartementess diese Verhältnisse der österreichisch-ungarischen Gesandtschaftauseinandergesetzt..

Letztere hat die Brautleute ohne Weiteres von der Verkündung in der Heimat des Bräutigams förmlich dispensirt und damit allfällige Schwierigkeiten seitens d e r dortigen Gemeindebehörden anempfohlen, der Civiltrauung die kirchliche (wenn auch nicht römisch-katholische) Trauung folgen zu lassen.

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4. Das b a y e r i s c h e C i v i l s t a n d s a m t F ü s s e n hatte sich trotz der Vorlage aller von ihm geforderten Belege geweigert, im dortigen Geburtsregister die Legitimation eines daselbst im Mai 1887 geborenen Kindes durch die nachträglich zu Feuerthalen (Zürich) erfolgte Verehelichung seiner schweizerischen Eltern vorzumerken, so lange nicht diese B e l e g e v o n d e r d e u t s c h e n G e s a n d t s c h a f t oder einem d e u t s c h e n K o n s u l a t i n der S c h w e i z leg a li si r t wären. Seine ablehnende Haltung hatte es begründet durch den Hinweis auf das deutsehe Reichsgesetz vom 1. Mai 1878 über die Beglaubigung öffentlicher Urkunden, das diese Légalisation vorsehreibe.

Diesem Verhalten gegenüber glaubten wir die bayerischen Behörden an die sch w eizerisch- u a y e r i s eh e Ueberein k u n f t vom 7 . D e z e m b e r 1874 ü b e r g e g e n s e i t i g e k o s t e n f r e i e Z u s t e l l u n g v o n G e b u r t s - u n d Todtenscheinen (Bundesbl. 1875, I, 29) erinnern zu sollen. Es ist uns aber durch die, bayerische Gesandtschaft, deren Vermittlung wir zu diesem Zwecke beansprucht hatten, mitgetheilt worden, daß ,,bei der Zweifelhaftig,,keit der Sache die Lösung der im vorwürfigen Falle aufgetauchten ,,Fragen von Aufsichtwegen durch Belehrung seitens des zuständigen ,,königlichen Staatsministeriums nicht für angezeigt erachtet, es ,,vielmehr den Betheiligten überlassen werde, bei dem königlichen ,,Amtsgerichte Füssen den Antrag zu stellen, es möge der dortige ,,Standesbeamte zum Vormerk der in Frage stehenden Legitimation ,,in der einschlägigen Geburtsurkunde angewiesen werden".

Weil die vorerwähnte schweizerisch-bayerische Uebereinkunft die Legitimationsurkunden nicht ausdrücklich in sich schließt, so haben wir diese Angelegenheit, da ähnliche Reklamationen sonst bis jetzt keine eingelaufen, vorderhand auf sich beruhen lassen.

5. Die Direktion des Innern des Kantons Aargau hatte es a b g e l e h n t , d i e B e w i l l i g u n g z u r T r a u u n g e i n e s zu F r e i b u r g i/Br. w o h n h a f t e n B a d e n s e r s mit einer Aargauerin von und zu Frick durch den Civilstandsbeamten dieses Ortes zu e r t h e i l e n , weil der B r ä u t i g a m die im Artikel 37, Absatz 3, des eidgenössischen Civilstandsgesetzes vorgeschriebene T r a u e r m ä c h t i g u n
g Seitens des Civilstandsbeamten seines Wohnortes oder einer anderen zuständigen Behörde seines Landes n i c h t b e i b r i n g e n k o n n t e . Die Verkündung fraglicher Ehe war trotz der Instruktionen in Nummer 141 des ,,Handbuches" vom Civilstandsbeamten zu Frick eingeleitet und in Verbindung mit dem Standesbeamten zu Freiburg i/Br. durchgeführt worden; dagegen hatte der letztere eine audrückliche Trauermächtigung an den Beamten in Frick verweigert, mit dem Bemerken, eine solche sei nach

513 den badischen Gesetzen nicht erforderlich, und er sei bereit, a» deren Platz eine Bescheinigung darüber auszustellen, daß nach dem bürgerlichen Rechte, des Grossherzogthums demEheabschlussß kein bekanntes Hinderniß entgegenstehe (Art. 37, 4, leg. cit.).

Um einen grundsätzlichen Entscheid in dieser Angelegenheit herbeizuführen, unterbreitete das badische Staatsministerium dieselbe unserer Prüfung und bemerkte dabei, daß durch eine Gutheißung der ablehnenden Haltung der aargauischen Behörden den in Deutschland wohnhaften Deutschen ein Eheabschluß in der Schweiz verunmöglicht würde.

Wir haben jedoch den Standpunkt der aargauisehen Aufsiehtbehörde für richtig anerkannt. Das eidgenössische Civilstandsgesetz hat nur die Eheschließung in der S c h w e i z w o h n h a f t e r Personen im Auge, und da schon ein Schweizer, der von einem anderen schweizerischen Civilstandsbeamten als demjenigen seines Wohnortes sich trauen lassen will, eine bezügliche Ermächtigung des letzteren vorweisen muli, so ist eine solche Ermächtigung jedenfalls auch zu verlangen, wenn ein im Auslande wohnhafter Ausländer die Ehe in der Schweiz schließen will. Kann diese Ermächtigung nicht, vorgewiesen werden, so hat der schweizerische Civilstandsbeamte im Hinblick auf die Artikel 34--37 des eidgenössischen Civilstaudssesetzes die Trauung mangels Kompetenz zu unterlassen (zu vergi.

"Handbuch"- Nummer 186).

Bin ähnlicher Fall ist uns seitens des thurgauischen Justizdepartementes vorgelegt und in gleichem Sinne entschieden worden.

(Zu vergl. unten Ziffer 10).

6. Die W a r t e f r i s t von 300 T a g e n , die der A r t i k e l 28 des eidg. Civilstandsgesetzes für Wittwen und geschiedene Frauen aufstellt, wird noch sehr oft dahin ausgelegt, daß wenigstens dio Verkündung schon vor Ablauf der 300 Tage (/,. B. in den letzten 14 Tagen) vorgenommen werden dürfe, so daß dann die Trauung sofort nach Ablauf der Frist stattfinden könne.

Wir haben aber schon mit Kreisschreiben vom 28. Februar 1882 (Bundesbl. 1882, I, 401) ausdrücklich betont, daß der Civilstandsbeamte, wenn eine gewesene Ehefrau vor Ablauf der 300 Tage die Verküudung verlangt, diese ebenso zu verweigern hat., wie wenn sie von Verlobten gefordert wird, die das gesetzliche Alter noch nicht erreicht haben. Hiermit stimmen überein die Ausführungen in den Nummern 186, 147
und 149 des ,,Handbuches". Eine Dispensation durch irgend eine Behörde ist hei dem absoluten Charakter der Wartefrist ausgeschlossen, und es kann von dieser Vorschrift auch dann nicht abgesehen werden, wenn es sich um Ausländer Bundesblatt.

44. Jahrg. Bd. II.

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handelt und deren heimatliche Behörde ihrerseits Dispens ertheilt hat; denn dieser Dispens verstößt gegen das schweizerische gesetzliche Verbot.

Aus dem Jahre 1889 sind uns seinerzeit vom eidg. statistischen Bureau 16 vorzeitige Verkündungen und Trauungen von Wittwen und geschiedenen Frauen gemeldet worden. Die von uns diesbezüglich veranlaßten Erhebungen haben uns aber überzeugt, daß die meisten der betreffenden Civilstandsbeamten in guten Treuen und aus Unkenntniß unseres vorerwähnten Kreisschreibens gehandelt hatten. Ueberhaupt ist keiner der 16 Fälle uns schwer genug erschienen, um die Zuleitung an den Strafrichter zu veranlassen.

Immerhin ist einzelnen Beamten für die Zukunft diese Zuleitung angedroht und für diesmal ein scharfer Verweis ertheilt worden.

7. Ein V a t e r w e i g e r t e s i c h , die über die G e b u r t eines Mädchens erstattete A n z e i g e zu u n t e r z e i c h n e n , da der Civilstandsbeamte seinem Begehren, den dem Kinde beigelegten Vornamen ,,Stefany" (statt Stephanie) zu schreiben, nicht nachkommen wollte.

Wir haben aber die betreffende kantonale Aufsichtbehörde, als sie unsere Weisung einholte, auf Artikel 2 des Réglementes aufmerksam gemacht, wonach die Ci v i l s t a n d s r e g i s t e r , sowie die Auszüge und Mittheilungen in e i n e r der d r e i L a n d e s s p r a c h e n abzufassen sind, und beigefügt, daß der betreffende Vater, wenn er auf seiner Weigerung beharre, unnachsichtlich dem Strafrichter zu überweisen sei (Artikel 14, 15,16 und 59 des Civilstandsgesetzes und Nummern 54, 60 und 75 im ,,Handbuche"). --· Aus der großen Zahl der übrigen G e s u c h e um W e i s u n g , die im Laufe des Berichtsjahres gestellt worden sind, schließen wir die drei folgenden ihres allgemeinen Charakters wegen gerade hier an.

8. Die Direktion des Innern des Kantons Zürich hat dio Einfrage gestellt, wie zu v e r f a h r e n sei, w e n n e i n e m K i n d e anläßlich der Taufe andere oder mehr V o r n a m e n beigelegt w e r d e n , als im G e b u r t s r e g i s t e r eingetragen sind. Unsere Antwort ging dahin: Das Wesen der eidg. Civilstandsgesetzgebung und der Umstand , daß deren Bestimmungen nicht nur auf die christliche, sondern auch auf die nichtchristliche Bevölkerung sich beziehen, schließen schon an und für sich jegliche bürgerliche Rechtswirkung der Taufe
und der Namengebung bei der Taufe gegenüber den civilstandsamtlichen Beurkundungen absolut aus. Dazu tritt überdies die Erwägung, daß der Geistliche dem Kinde bei der Taufe

·

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gar nicht den Namen beizulegen, sondern nur den neugeborenen Weltbürger durch die Taufe in die Gemeinschaft der Christen aufzunehmen hat.

Der Civilstand hat sich also nicht darum zu kümmern, welche Namen dem Kinde bei der Taufe beigelegt werden. Es muß in dieser Beziehung der Geistlichkeit anheimgestellt bleiben, die Eltern,, die ihre Kinder taufen lassen, dahin zu belehren, daß eine Uebereinstimmung der Vornamen der Kinder im Geburtsakt und im Taufschein nöthig ist, wenn sie dieselben und sich selbst gegen oft schwere Unzukömmlichkeiten schützen wollen.

Sind daher einem Kinde anläßlich der Taufe andere oder mehr Namen beigelegt worden, als bei dessen Eintragung in das Geburtsregister, so sind in der Schweiz selbstverständlich einzig und allein die in dem Civilstandsregister eingetragenen Vornamen maßgebend.

Komplikationen vorzubeugen, die im Auslande aus einer allfälligen Verschiedenheit der Namengebung im schweizerischen Civilstandsregister einer- und bei der Taufe andererseits entstehen können.

liegt nicht in der Macht der schweizerischen Behörden. Dieselben werden sich vielmehr gegebenen Falls darauf beschränken müssen, auf gestellte Einfrage zu erklären, daß nach schweizerischem Recht eben blos die Civilstandsregister und die aus diesem verabfolgten und als richtig beglaubigten Auszüge öffentliche Urkunden mit voller Beweiskraft sind.

9. Der Ci v i l s t a n dsbeamte von S i t t e n hat folgende Fragen vorgelegt: 1. Wie verhalten sich die verschiedenen Kantone, wenn ein Bürger, der sich verheirathe will, k e i n e n b e s t i m m t e n W o h n s i t z hat, wie dies bei wandernden Arbeitern und nomadisierenden Korbern oder Kachelkrämern der Fall ist?

2. Können sich solche Leute nicht bei dem Civilstandsamt desjenigen Kreises melden, wo sie sich vorübergehend befinden?

Dürfte dieser Civilstandsbeamte ein Eheversprechungen entgegennehmen und angeben ,,ohne bestimmten Wohnsitz" ?

3. Wenn eine Person nur seit sehr kurzer Zeit (wenigen Tagen oder Wochen) eine Aufenthaltsbewilligung eingeholt hat. ist dann dieser neue Wohnsitz einzig maßgebend, oder sollte nicht nach dem Willen des Gesetzgebers in solchen Fällen die E h e v e r k ü n d u n g auch am W o h n o r t , den mau s o e b e n v e r l a s s e n h a t , stattfinden? Welches ist in den verschiedenen Kantonen die durchschnittliche Frist der Wohnsitzänderung, um von einer Eheverkündung am Wohnort, den man kürzlich verlassen hat, abzusehen?

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Das eidgenössische Justiz- und " Polizeidepartement hat geantwortet : Ad i. Die schweizerischen Civilstandsbeamten haben diesbezüglich lediglich den Artikel 29 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes und die in Nummer 141 dos ,,Handbuches" dazu gegebene Erläuterung zu beobachten. Hiernach muß die Verkündung am Wohnorte, sowie am Heimatorte jedes der Brautleute stattfinden.

Als Wohnort ist der Ort zu betrachten, wo Jemand in der Absicht, daselbst dauernd zu bleiben, seinen wirklichen Aufenthalt genommen und zu diesem Zweck eine Niederlassungs- oderAufenthaltsbewilli-gung erwirkt hat. Hieran mußfestgehaltenu werden.

Ad 2. Zur bloßen Aufnahme eines Eheversprechens ist jeder Civilstandsbeamte und selbst jeder andere Beamte befugt. Es liegt; dies in der Natur der Sache und folgt auch aus der Darstellung in Nummer 145 des ,,Handbuches".

Ad 3. Die V e r k ü n d u n g am f r ü h e r e n W o h n o r t , ist im eidgenössischen Civilstandsgesetz n i c h t v o r g e s e h e n . Einzig d e r Wohnort, wie er vorstehend umschrieben ist, kommt in Betracht.

10. Der I n s p e k t o r d e r C i v i l s t a n d s ä m t e r des K a n t o n s W a l l i s wünschte von uns Auskunft darüber, wie z u v e r f a h r e n sei, w e n n e i n Schweizerbürger, d e r i m A u s l a n d e s e i n e n W o h n s i t z h a b e , ani s c h w e i z e r i s c h e n W o h n o r t e s e i n e r B r a u t d i e E h e s c h l i e ß e n w o l l e . la den Ausführungen zu dieser Einfrage äußerte der genannte Beamte die Ansicht, der Absatz 2 in Nummer 186 des ,,Handbuches", wonach das eidgenössische Civilstandsgesetz nur die Eheschließung in der Schweiz wohnhafter Personen im Auge habe, sei bloß bei Ausländern anwendbar; für Schweizer, die in einem solchen Fall sich befinden, sollte dagegen eine allgemeine Regel aufgestellt werden.

Wir haben jedoch in unserer Antwort auf die Artikel 34--37 des Civilstandsgesetzes und die Ausführungen in den Nummern 141, 182 und 186 des ,,Handbuches" hingewiesen, woraus sich mit aller Deutlichkeit ergibt, daß naeh schweizerischem Recht bei Eheschließungen die hauptsächlichen Funktionen dem Civilstandsbeamten aro Wohnorte des Bräutigams übertragen sind. Hat letzterer keinen Wohnort in der Schweiz, stellt aber gleichwohl an das Civilstandsamt an seinem schweizerischen Heimatort oder am schweizerischen Wohn-
oder Heimatort der Braut das Gesuch um Einleitung der Verehelichung durch Verkündung, so hat dieses Civilstandsamt gemäß Artikel 31, 33 und 34 des Civilstandsgesetzes zu verfahren.

Zu weiteren amtlichen Funktionen ist dasselbe in einem soleheu Falle zunächst weder verpflichtet, noch berechtigt. Damit ist auch

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gesagt, daß eine solche Ehe von einem schweizerischen Civilstandsbeamten nur dann getraut werden kann, wenn eine förmliche, schriftliche Ermächtigung hierzu im Sinne von Artikel 37, Absatz 3, des Ci vil Standsgesetzes und Nummer 186 des ,,Handbuches" vorgewiesen wird (zu vergleichen Ziffer 5 hiervor). Ein Sonderverfahren gegenüber Schweizern ist durch das Civilstandsgesetz ausgeschlossen und muß ausgeschlossen sein, da aus einem solchen die verschiedenartigsten Anstände sich ergeben würden.

11. Im Anschlüsse hieran erwähnen wir kurz den folgenden Fall: Ein in B a t a v i a a n s ä ß i g e r W a l l i s e r wünschte mit einer in L a u s a n n e w o h n h a f t en W a a d t l ä n d e r i n sich zu verehelichen. In seinem Auftrag stellte das Civilstandsamt Leuk an uns die Anfrage, ob demselben nicht ausnahmsweise gestattet werden könne, die E h e m i t t e l s t S t e l l v e r t r e t u n g zu sehließen. Im Hinblick auf Artikel 39 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes ist unsere Antwort eine v e r n e i n e n d e gewesen (zu vergleichen die Nummern 181 und 200 im ,,Handbuch"). -- 12. Wiederholt haben wir unsere Vermittlung eintreten lassen, um V e r e h e l i c h u n g e n nachzuforschen, die an irgend einem Ort, i n A m e r i k a o d e r A f r i k a stattgefunden haben sollten.

In dem einzig erwähnenswerthen Fall, der in W i s c o n s i n spielte, haben unsere Erhebungen ergeben, daß nach einem Entscheide des dortigen obersten Gerichtes (supreme court) ,,in diesem Staat eine gesetzliche Ehe nur durch den bestimmten Vertrag der Parteien zu einer bestimmten Zeit entstehen kann, wenn auch dazu kein offizieller, öffentlicher Akt nothwendig ist, und nicht durch bloße cohabita oder solches Zusammenleben der Parteien, wie es das Eheleben gewöhnlieh mit sich bringt".

13. Zu verschiedenen Malen sind wir sodann in den Fall gekommen, sei e s E h e a b s c h l ü s s e e n t g e g e n A r t i k e l 2 8 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes z u v e r h i n d e r n , sei es, G e s u c h e um D i s p e n s a t i o n vou E h e h i u d e r n i s s e n und Erfordernissen zur Eheschließung abzuw e i s e n . Um nur ein Beispiel zu erwähnen, nennen wir die Einfrage des Civilstandsbeamten zu Herisau, die auf die Möglichkeit d e r E h e s c h l i e ß u n g m i t d e r Stiefgroßmutter sich bezog. Es wäre sehr zu
wünschen, daß die kantonalen Aufsichtbehörden die Civilstandsbeamten geradezu beauftragen würden, in solchen Fällen den Parteien das Nutzlose derartiger Gesuche klarzu machen (zu vergi. Bundesbl. 1891, II, 548, Ziff. 6).

518 Wir meinen damit selbstverständlich nicht Eintragen über solche Vorschriften, die Anlaß zu Zweifel bieten können. So ist z. B. im Berichtjahre neuerdings die Frage gestellt worden, ob die Ehe g e s t a t t e t sei zwischen Onkel und Halbnichte.

In Festhaltung unseres bisherigen Standpunktes (Bundesbl. 1890, II, 162, Ziff. 8) haben wir diese Frage bejaht, und zwar mit folgender Begründung: Die Ehehindernisse des schweizerischen Rechtes sind in Artikel 28 des Civilstandsgesetzes enthalten. Auf weitere Verwandtschaftgrade, als die im Gesetz ausdrücklich genannten, darf das Eheverhot nicht ausgedehnt werden. Nun ist aber in Art. 28, Ziffer 2, litt, a, bloß davon die Rede, daß die Ehe verboten sei zwischen Onkel und Nichte. Hätte der Gesetzgeber auch die Ehe zwischen Onkel und Halbnichto verbieten wollen, so würde er dieses Verwandtschaftverhältniß ausdrücklich genannt haben, gleich wie er an der nämlichen Stelle des Art. 28 neben den vollbürtigen Geschwistern noch ganz besonders auch die Halbgeschwister mit dem Eheverbot belegt hat. Dies ist nicht geschehen und also die Ehe zwischen Onkel und Halbnichte nicht verboten. -- Da unser Standpunkt in dieser Frage seiner Zeit angefochten worden ist, so wollen wir hier darauf hinweisen, daß das Bundesgericht denselben theilt ( B u n d e s g e r i c h 11. E n t s c h e i d u n g e n II, 29--31).

14. Andere, jedes Jahr mehrmals auftauchende Anfragen betreffen die T r a g w e i t e des A r t i k e l s 43 des eidgenössischen Civilslandsgesetzes, soweit s c h w e i z e r i s c h e E h e l o u t e i n Betracht kommen, die im A u s l a n d e wohnen. Wir haben den genannten Artikel stets dahin ausgelegt: Schweizerische Eheleute sind, seihst w e n n sie im Ausl a n d e w o h n e n , b e z ü g l i c h der K l a g e n auf Ehescheidung und auf U n g ü l t i g k e i t der Ehe stets dem g e n a n n t e n A r t i k e l 43 u n t e r w o r f e n , d. h. sie haben für diese Klagen ihren Gerichtsstand entweder am Wohnort des Ehemannes in der Schweiz, oder -- beim Abgang eines solchen -- am Heimatort oder am letzten schweizerischen Wohnort desselben.

Ueberdies ist weder im Artikel 43, noch in einem anderen Artikel des eidgenössischen Civilstandsgesetzes die Rede von der Anerkennung eines ausländischen Gerichtsstandes für Ehestreitigkeiten von Schweizern. Das schweizerische
Forum muß deshalb als ein exklusives angesehen werden. Hätte nämlich der schweizerische Gesetzgeber, entgegen dem sonst dem Auslande gegenüber festgehaltenen Grundsätze des Heimatprinzipes in Statusfragen, die Zuständigkeit der ausländischen Gerichte in Ehescheidungssachen von Schweizern anerkennen wollen, so würde er dies im Gesetze selbst ausdrücklieh

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gesagt haben, entsprechend z. B. der Bestimmung bezüglich der Ehe S c h l i e ß u n g von Schweizern im Auslande. Da er dies unterlassen hat, so sind solche Urtheile ausländischer Gerichte als nichtig zu betrachten und können auf schweizerischem Gebiete keine Vollziehung finden. (Zu vergi. Bundesbl. 1888, II, 774, Ziffern 27 und 28 ; B l u m e r - M o r e l , 3. Aufl., I, 477 f.)

Im Sinne dieser Ausführungen haben wir z. B. dem schweizerischen Konsul in Odessa auf seine Eintrage, ,,ob ein schweizerisches Ehepaar, das in Rußland .geheirathet habe, dort sich auch scheiden lassen könne, und ob eine zweite, nach russischem Recht abgeschlossene Ehe des so geschiedenen Mannes in der Schweiz anerkannt würde" -- geantwortet, daß von der Anerkennung der geplanten zweiten Ehe nach schweizerischem Recht nur dann die Rede sein könne, wenn ein Scheidungsurtheil des zuständigen schweizerischen Gerichtes über die erste Ehe vorliege.

15. Im Anschlüsse hieran erwähnen wir zwei Vorgänge, die auf die S c h e i d u n g der E h e n von A u s l ä n d e r n in der S c h w e i z Bezug haben : Eine A a r g a u e r i n , die im Jahre 1873 m i t e i n e m T y r o l e i- sich verheirathet hatte, von diesem aber im Jahre 1885 verlassen worden war, wünschte, sich in der Schweiz scheiden zu lassen.

Da jedoch nach dem Stande der österreichischen Gesetzgebung von den österreichischen Behörden eine Erklärung im Sinne von Artikel 56 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes nicht erhältlich ist, so haben wir auf gestellte Einfrage geantwortet, das Scheidungsbegehren müsse jedenfalls vor dem kompetenten österreichischen Gerichte geltend gemacht werden.

In einem anderen Fall ersuchte uns eine kantonale Aufsichtbehörde, für die F r a u e i n e s W ü r t t e m b e r g e r s , die auch in der Schweiz sich scheiden lassen wollte, auf diplomatischem Wege die im erwähnten Artikel 56 geforderte Erklärung zu beschaffen.

Wir haben dieser Behörde aber bemerkt, daß allerdings seiner Zeit xwischen der Schweiz und Deutschland eine Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung der gerichtlichen Urtheile in Ehestreitigkeiten angestrebt worden ist, daß aber die bezüglichen Bemühungen ohne Erfolg geblieben sind. Erklärungen im Sinne des citirten Artikels 56 sind also auch seitens der deutschen Behörden nicht erhältlich. -- Eingehend besprochen sind übrigens diese Verhältnisse in unseren Geschäftsberichten für die Jahre 1882 (Bundesbl.

1883, II, 835) und 1887 (Bundesbl. 1888, II, 774). --

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E i n i g e S p e z i a 1 fä 11 e , die allgemeines Interesse bieten und die wir nachstehend kurz zusammenfassen, mögen das Bild unserer Thätigkeit auf dem Gebiete des Civilstandes und der Eheschließung einigermaßen vervollständigen.

16. Der G e m e i n d e r a t h v o n M u h e n (Aargau) hatte einen» A d o l f W i d m e r von G r ä n i c h e u für den Fall, daß er die noch nicht 17 Jahre alte, mittellose B e r t h a L (isolier v o n M u h e n heirathe und ein außereheliches Kind derselben legitimire, ein Geschenk von Fr. 200 versprochen und überdies als V o r m u n d s c h a f t b e h ö r d e der L ü s c h e r die in A r t i k e l 27 des e i d g e n ö s s i s c h e n C i v i l s t a n d s g e s e t z e s g e f o r d e r t e E i n w i l l i g u n g zu dieser Ehe er t h eil t. Diese Einwilligung war vom Gemeinderath von Gränichen, der überdies gegen fraglichen Eheabschluss Einsprache wegen Blödsinnes des Bräutigams erhol), bei dem Bezirksamt Aarau, der kantonalen Direktion des Innern und schließlich bei der aargauischen Regierung als gesetzwidrig angefochten worden, mit der Begründung, Artikel 27 des CivilStandsgesetzes sehreibe die Einwilligung des V o r m u n d e s u n d n i c h t der Vormundschaftbehörde vor. Die Beschwerde war aber in allen genannten Instanzen abgewiesen worden.

Infolge dessen ergriff im September 1891 der Gemeinderath von Gränichen den Rekurs an den Bundesrath.

Da von Seiten der aargauischen Regierung die Aktivlegitimatiuu des Rekurrenten in Abrede gestellt wurde, indem gemäß Art. 27 des Civilstandsgesetzes nur gegen Ehe V e r w e i g e r u n g e n , nicht aber auch gegen E h e e i n w i l l i g u n g e n des Vormundes ein Rekurs möglieh und zudem dieses Rekursrecht nur ,,den Betreffende en" eingeräumt sei, so haben wir in unserer Schlussnahme vom 20. Oktober 1891 zunächst festgestellt, daß Jedermann das Recht zusteht, wirkliche oder vermeintliche Verletzungen der Vorschriften im Civilstandsgesetz auf dem Beschwerdewege zur Kenntniss der eidgenössischen Aufsichtbehörde, d. h. desBundesrathes,, zu bringen, und daß der Bundesrath in alleil soleheu Fallen, also auch im vorliegenden, die Pflicht hat, die Beschwerde materieller Prüfung zu unterstollen.

Die Hauptfrage selbst haben wir dahin entschieden : Das Vormundschaftwesen ist Sache der Kantone. Wenn daher das eidgenössische
Civilstandsgesetz für gewisse Brautleute zur Eingehung einer gültigen Ehe die Einwilligung des ,,Vormundes" fordert, so muß es dem kantonalen Recht überlassen bleiben, die Frage zu ordnen, ob nicht an Stelle dieses Vormundes die Vormundschaftbehörde mit gleichen Rechten und Pflichten treten, also auch die fragliche Einwilligung geben kann. Da der Rekurrent den

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Nachweis, daß im Kanton Aargau eine solche Stellvertretung des Vormundes durch die Vormundschaftbehörde unstatthaft ist, nicht erbracht hat, und da jedenfalls der Regierung des genannten Kantons darin beizustimmen ist, da'ß der Gesetzgeber offenbar nur beabsichtigt hat, daß überhaupt beim Eheabschluß einer noch nicht ehemündigen Person die vormundschaftliche Gewalt als solche mitwirkt, so ist der Rekurs als unbegründet abzuweisen.

Bezüglich des durch diesen Rekurs aufgedeckten Eheschacher des Ge m e i n d e r a t h e s von M u h e n haben wir der Regierung des Kantons Aargau, unter Hinweis auf einen im Jahre 1890 zu, unserer Kenntniß gekommenen gleichen Fall aus einer anderen war gauischen Gemeinde, unsere Erwartung ausgesprochen, dass sie.

wenn nöthig unter Mitwirkung der Gerichte, gegen solche Erseheiungen mit allem Ernste einschreiten werde. -- Wir können an Hand eines Berichtes der Regierung beifügen, daß dieselbe dio geschilderten, traurigen Vorkommnisse energisch zu unterdrücken bestrebt ist.

17. Die durch Artikel 54 B.-V. gewährleistete l e g i t i ni ü t io p e r s u b s e q u e n s m a t r i m o n i u m findet auf alle Kinder Anwendung, welche die Eheleute vor dem Eheabschluß mit einander gehabt haben. Dabei kommt die Entscheidung der Frage, üb der Ehemann der Mutter wirklich der Vater des Kindes sei, dem Civilstandsbeamten unter keinen Umständen zu. Derselbe hat vielmehr mit der einfachen Anerkennung durch die Eltern, bezw. den Ehe mann und Vater, und dem hiermit verbundeneu Antrag auf Legitimation, sowie mit der Vorlage der in Artikel 36 des Réglementes geforderten Belege sich zu begnügen. Ein Ausweis, dass der Ehemann das Kind bereits vor dessen Geburt oder zur Zeit der Geburt anerkannt oder daß ihn die Mutter als Vater desselben angezeigt habe, darf nicht verlangt werden. Art. 54 B.-V. und Art. 41 dos eidgenössischen Civilstandsgesetzes schließen ihrem Wortlaute nach das Einfordern derartiger Beweise aus (zu vergi. ,,Handbuch", Nummer 207). Ueberdies ist bloß in den Fällen der Art. 17 und 20 des Civilstandsgesetzes vorgesehen, daß der Civilstandsbeamte, wenn er es für nöthig erachtet, noch besondere Erkundigungen über die Richtigkeit der gemachten Angaben einziehen soll : im Uebrigen hat er auf Vorlage der gesetzlich vorgeschriebenen Belege nach Erhalt der Anzeigen unverzüglich zu
deren Beurkundung zu schreiten (zu vergi. ,,Handbuch", Nummern 61, 78, 208,4 und 210, b).

Dagegen steht bei allen vorkommenden Legitimationen der Heimatgemeinde der Eheleute und ihren Verwandten das Recht zu, deren Angaben als fingirt und die auf denselben fußenden Beurkundungen als unrichtig vor dem Richter anzufechten. Auch

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liegt es in der Pflicht des amtirenden Civilstandsbeamten, der davon Kenntniß erhält, daß der Wahrheit zuwiderlaufende Angaben gemacht worden, der Staatsanwaltschaft oder der administrativen Aufsichtbehörde Anzeige zu erstatten, damit eventuell von Amtes wegen Untersuchung und Berichtigung des geschehenen Eintrages, sowie Bestrafung der Fehlbaren durch das kompetente Gericht erfolgt.

Diese Erwägungen haben im Berichtsjahre das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement dazu geführt, die Entgegennahme einer Legitimationsangabe in einem Fall als durchaus gesetzesgemäß x.u erklaren, wo der Ehemann zur Zeit der Geburt des fraglichen Kindes erst 12 Jahre und 7 Monate zählte, weshalb der kantonale Staatsanwalt bereits Verweigerung der nachgesuchten Legitimation ungeordnet hatte (zu vergi. B l u m e r - M o re l, 3. Auflage, I, S. 468).

18. Nach Art. 44 des Réglementes kommen dessen B e stimmungen über die legitimatio per subseq u e n s m a t r i m o n i u m a u c h z u r A n w e n d u n g , wenn die s c h w e i z e r i s c h e n Eltern im A u s l a n d e wohnen.

Können diese sich nicht in die Schweiz verfügen, so ist die Legitimationsurkunde vor einem schweizerischen diplomatischen oder Konsular-Agenten oder aber vor einem ausländischen öffentlichen Beamten, der die Fähigkeit zur Errichtung öffentlicher Urkunden besitzt, in Schrift zu verfassen und hierauf von den Eltern mit einem motivirten, die nöthigen Aufschlüsse enthaltenden Antrage und den erforderlichen Belegen (Geburtscheine der Kinder und Eheschein der Eltern) dem Civilstandsbeamten am Heimatorte des Vaters zuzustellen.

Als ein seit vielen Jahren in Wien lebender Bürger von Winterthur mit einer Ungarin sieh verheirathe und darauf an das Civilstandsamt seiner Heimatstadt das Gesuch stellte, es möchten fünf Kinder, die er mit seiner Frau außerehelich erzeugt, als durch die Ehe legitimir eingetragen werden, haben wir, auf Ansuchen der zürcherischen Direktion des Innern und um den armen Eltern Kosten zu ersparen, die Angelegenheit in der Weise geordnet, daß wir den schweizerischen Gesandten in Wien beauftragten, die fraglichen Eheleute zu Protokoll erklären zu lassen, daß sie die Eltern der fünf Kinder seien, und dieselben zum Legitimationsvormerk angeben. Gestützt auf diese, vom Gesandten unterschriftlieh bestätigte Erklärung, sowie auf die
Geburtscheine der Kinder und den Trauschein der Eltern ist sodann die Legitimation vom Civilstandsamte Winterthur vorgemerkt worden.

19. Eine A a r g a u e r i n war in e r s t e r Ehe verheirathet mit einem M a u r u s R r a u n von L i n d a u . Diese Ehe wurde

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am 21. Dezember 1889 durch das Landgericht Kempten wegen E h e b r u c h e s d e r F r a u , b e g a n g e n m i t i h r e m nachmaligen z w e i t e n E h e g a t t e n , dem Z ü r c h e r Herrm a n u , geschieden. Aus dem ehebrecherischen Verhältniß stammt ein Knabe Hans Karl, geboren zu Zürich am 8. Dezember 1889 und im dortigen Civilstandsregister, da Maurus Braun /Air Zeit der Geburt dieses Kindes noch der Ehemann der Mutter desselben war, gemäß den gesetzlichen Vorschriften auf den Namen Braun eingetragen. Maurus Braun unterließ es, gegen die so gestaltete Geburtsbeurkundung innerhalb der hierfür gesetzten Frist des zürcherischen Privatrechtes (§ 651) Verwahrung einzulegen. Der wirkliche Vater Herrmann dagegen und die ihm seit dem 22. Januar 1891 angetraute Mutter des Knaben suchten, unterstützt von dem die Vaterschaft nachträglieh ablehnenden Maurus Braun, auf gerichtlichem und administrativem Weg es durchzusetzen, daß der fragliche Geburteintrag auf den Familiennamen Herrmann abgeändert und der Knabe Hans Karl als durch ihre Ehe legitimirt erklärt werde.

Ihr Gesuch wurde aber sowohl vom Bezirksgericht Zürich, als auch von der Direktion des Innern des Kantons Zürich abgewiesen. Ein Weiterzug der Angelegenheit an höhere kantonale Instanzen ist unterblieben und dafür wegen vermeintlicher Verletzung des eidgenössischen Civilstandsgesetzes unsere Intervention angerufen worden.

Wir haben jedoch die Rekurrenten abschlägig beschieden.

Weder bei der Anzeige und Eintragung der Geburt des Knaben Hans Karl in das Geburtsregister des Civilstandskreises Zürich, noch durch die in dieser Sache ergangenen Entscheide d<'s Bezirksgerichtes Zürich und der Direktion des Innern des Kantons Zürich sind nämlich eidgenössische Vorschriften verletzt worden. Diese abweisenden Entscheide sind vielmehr vollkommen in Uebereinstimmung mit den einschlägigen Grundsätzen des Civilstandsgesetzes (Art. 15 und 16, c). -- Für den fragliehen Knaben hat bei seiner Geburt die Rechtsvermuthung bestanden, daß er ein eheliches Kimi sei, da damals die Ehe seiner Mutter mit Maurus Braun noch nicht geschieden war. Nun genügt allerdings zur Feststellung der Vaterschaft des Ehemannes die Anerkennung derselben durch den Ehemann. Allein dies trifft offenbar dann nicht zu, wenn zu Gunsten des Kindes die Rechtsvermuthung besteht, daß dasselbe
ein eheliches Kind der Ehefrau a.us früherer Ehe sei, bezw. wenn dasselbe rechtlich als eheliches Kind seiner Mutter mit einem früheren Ehemanne gilt. In einem solchen Falle kann ihm dieser eheliche Stand nicht durch bloße Anerkennung der Vaterschaft seitens eines Dritten entzogen werden; vielmehr muß, bevor einer derartigen Anerkennung diese Wirkung zukommt, die derselben widersprechende

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Präsumption der Ehelichkeit in rechtsverbindlicher Weise beseitigt sein.

Darüber aber, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsvermuthung der ehelichen Vaterschaft Platz greift und unter welchen Voraussetzungen und von welchen Personen sie widerlegt, bezw.

der eheliche Stand des Kindes angefochten werden kann, enthält die Bundesgesetzgebung keine Bestimmungen, sondern entscheidet lediglich das kantonale Recht. (Zu vergi. ,,Handbuch", Nummer 61, u n d E n t s c h e i d e d e s B u n d e s g e r i c h t e s , V I . Band, S. 656 f.)

20. Den am 7. Mai 1887 zu Langerfeld in Westphalen bürgerlich und am 21. Juni 1888 zu Fützen im Großherzogthum Baden kirchlich getrauten Eheleuten F i g l - S t r u b aus Kurtatsch (Tyrol) war am 4. August 1878 zu Glattfelden (Zürich) ein Knabe geboren und im dortigen Civilstandsregister richtig als unehelicher Knabe der Strub, im Tauf buche des aargauisehen Pfarramtes KaiserStuhl dagegen als eheliches Kind der späteren Eheleute Figl-Strub eingetragen worden.

In Folge Einschreitens der k. u. k. Statthaltern in Innsbruck ersuchte uns die österreichisch-ungarische Gesandtschaft, das Erforderliche zu veranlassen, damit im T a u f h u c h e y, u K ai s e r . s t u h l d i e b e z ü g l i c h e R i c h t i g s t e l l u n g erfolge und g l e i c h z e i t i g die durch die nachgefolgte Verehelichung der Eltern eingetretene L e g i t i m a t i o n des fraglichen Knaben v o r g e m e r k t werde.

Wir haben uns aber darauf beschränkt, die Vormerkung dieser Legitimation im Geburtsregister zu Glattfelden zu bewirken und hiervon der Gesandtschaft mit dem Bemerken Mittheilung zu machen, daß es den Interessenten überlassen bleiben müsse, für den Fall sie dies noch nöthig erachten sollten, die, Aenderung im Taufbuche der Pfarrei Kaiserstuhl direkt nachzusuchen.

21. Ein in L i e s t a l niedergelassener B a de n s er, der daselbst eine O r t s b ürgerini g e e h e l i c h t hatte, w e i g e r t e s i c h , ni Uebereinstimmung mit ihr, e i n e n v o r e h e l i c h e n K n a b e n der selben, als dessen Vater er sich ausdrücklich bekannte, zur Leg i t i m a t i o n a n z u g e b e n , in der Absieht, denselben auf diese Weise dem deutschen Militärdienstzuu entziehen.

Auf die Anfrage der Justizdirektion des Kantons Baselland, ob im vorliegenden Falle nicht das Strafverfahren
einzuleiten und die Poltern zur Legitimation des fragliehen Knaben zu zwingen seien, haben wir darauf hingewiesen, daß gemäß Artikel 54 der Bundesverfassung voreheliche Kinder durch die nachfolgende Ehe

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ihrer Eltern allerdings ipso jure legitimirt werden, daß aber in casu die Eltern Badenser seien und demgemäß über die Gesetzmäßigkeit der Legitimation das badische Recht entscheide. Dieses bestimme nun in seinem Artikel 331, daß ^uneheliche Kinder, die ,,nicht aus einer Blutschande oder einem Ehebruch erzeugt seien, ,,durch eine nachgefolgte Ehe ihrer Eltern ehelieh gemacht werden, ,,wenn beide zusammen vor der Heirath sie anerkannt haben oder ,,sie in der Heirathsurkund selbst anerkennen". Da weder die eine, noch die andere dieser Bedingungen erfüllt erscheine, so könne von einer in Baden gültigen Legitimation des betreffenden Knaben nicht mehr die Rede sein. (Zu vergi. R o g u i n , C o n f l i t s d e s l o i s s u i s s e s en m a t i è r e i n t e r n a t i o n a l e e t i n t e r c a n t o n a l e, Lausanne 1891, S. 145 f; ferner unser Geschäftsbericht für das Jahr 1889, Abtheilung Civilstand und Ehe, Bundesbl. 1890, 11, S. 166, Ziffer 17.)

22. Eine zu W i n t e r t h u r wohnhafte F r a u W e b e r von M e r i s h a u s e n (Schaffhausen), die durch Urtheil vom 14. September 1887 von ihrem Manne geschieden worden war, halte am 12. Februar 1888, also kaum 5 Monate nach der Scheidung, einen Knaben geboren, der vom Civilstandsbeamten ganz richtig als eheliches Kind auf den Namen Weber eingetragen worden war. Am 20. November 1888 sodann v e r e h e l i c h t e s i c h die W e b e r mit einem H e i n r i c h M e r k i von L e i b e n s b e r g - B e r t s c h i k o n (Zürich). Am 26. des gleichen Monates merkte der Civilstandsbeamte von Winterthur -- ohne jegliche Rücksichtnahme auf die Instruktionen in Nummer 62 des ,, Handbuches" -- gestützt auf die bezügliche Erklärung der neuen Eheleute Merki im Geburtsregister die Legitimation des in Frage stehenden Knabe» durch deren nachgefolgte Verehelichung vor. Anläßlich des Wechsels in der Person des Civilstandsbeamten wurde dieser Fall der kantonalen Aufsichtbehörde gemeldet. Diese erklärte mit Entscheid vom 4. September 1889 den Legitimationsvormerk, weil auf offenbarem Irrthum beruhend, für hinfällig.

Da aber die Gemeinde Merishausen wich weigerte, den betreffenden Knaben als Bürger anzuerkennen, und hierbei von der Regierung des Kantons Schaffhausen unterstützt wurde, ergriffen die Eheleute Merki den Rekurs an den Bundesrath.

Wir haben, gestützt
auf Ziffer 2 in Artikel 102 und Absatz 2 in Artikel 113 der Bundesverfassung, sowie auf Ziffer 7 in Abtat» 2 des Artikels 59 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege und auf Artikel 12 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes, den E n t s c h e i d der k a n t o n a l e n A ufsichtbehörde vom 4. September 1889 als u n g e s e t z l i c h k a s s i r t , weil bei

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fraglichem Legitimationsvormerk kein offenbarer Irrthum im Sinne des Absatzes 3 in Artikel 9 des Civilstandsgesetzes obwaltete, dieser Vormerk vielmehr auf der positiven Angabe der Eheleute Merki beruhte, fraglicher Knabe sei ihr gemeinsames Kind, das durch ihre Ehe legitimirt worden sei. (Zu vergi. Bundesbl. 1891, II, 568 f.)

Zu einem weiteren Eintreten auf den Rekurs haben wir uns nicht berufen erachtet, da gemäß Artikel 110, letztem Absatz, der Bundesverfassung und Artikel 27, letztem Absatz, des vorerwähnten Organisationsgesetzes Bürgerrechtsstreitigkeiten zwischen Gemeinden verschiedener Kautone vom Bundesgerichte zu beurtheilen sind.

öv 23. Am 23. September 1889 und am 7. Juli 1890 sind i n der Wal lfahrtskir che z u E i n s i e d e i n z w e i B r a u t p a a r e , A e s c h b a c h e r - K o c h , wohnhaft in R a u k w e i l, und J e n n y S c h w ä r z l e r , wohnhaft in B r e g e n z, k i r c h l i c h g e t r a u t w o r d e n , o h n e d a ß nach Artikel 40 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes die C i v i l t r a u u n g v o r a n g e g a n g e n war. Der P f a r r e r S c h ü r m a n n , bezw. d e r U n t e r p f a r r e r Z ü r c h e r zu Einsiedeln waren zur Vornahme dieser Trauungen von den Pfarrämtern au den österreichischen Wohnorten der beiden Brautpaare ,,delegirt" worden.

Als später diese gesetzwidrigen kirchlichen Akte zum Eintrag in das Eheregister der bernischen Heimatgemeinde Rüderswyl dea Aeschbacher und der glarnerischen Heimatgemeinde Ennenda des Jenny angemeldet wurden, verweigerten die Regierungen der Kantone Bern und Glarus den so zu Stande gekommenen Trauungen die Anerkennung und reichten bei uns gegen die Pfarrer Schürmann und Zürcher Beschwerde ein.

Wir ertheilten infolge dessen der Regierung des Kantons Schwyz, als der kantonalen Aufsichtbehörde im Civilstandswesen, den Auftrag, die genannten beiden Geistlichen gemäß Artikel 59, Ziffer 2, des eidgenössischen Civilstandsgesetzes dem Strafrichter zu überweisen.

Gleichzeitig ließen wir durch unsere Gesandtschaft in Wien der österreichischen Regierung mittheilen, daß nach schweizerischem Eherecht ein gültiger Abschluß der Ehen Aeschbacher-Koch und Jenny-Schwärzler nicht vorliege und daß deßhalb von deren Eintragung in die schweizerischen Eheregister keine Rede sein könne.

Einer Rückäußerung der genannten
Regierung konnten wir entnehmen, daß fragliche Ehen auch nach österreichischem Rechte so lange ungültig seien, bis sie nach der »m Eheschließungsorte geltenden Gesetzgebung zu Stande gekommen, da auch das österreichische Eherecht an dem Grundsatze festhalte: locus régit actum.

527 Nachdem wir sodann der österreichischen Regierung auf ihre Aufrage erklärt hatten, daß die beiden Ehen nachträglich dadurch gegenüber dem schweizerischen Eherechte zur Anerkennung gelangen könnten, daß eine nochmalige Trauung durch die Pfarrer am österreichischen Domizil der Brautleute nach dortigem Landesrecht erfolge, gab dieselbe den betreffenden vorarlbergischen Pfarrämtern eine dahinzielende Weisung. Ueberdies erließ sie die Aufforderung an die Pfarrämter, mit Rücksicht auf die schlimmen Folgen für die Brautleute keine schweizerischen Geistlichen mehr zu Trauungen zu delegiren. Wir haben hiervon die Regierungen von Bern und Glarus verständigt, mit dem Beifügen, daß die in Frage stehenden Trauungen anerkannt und eingetragen werden können, sobald neue Trauscheine seitens der Pfarrämter Rankweil und Bregenz vorliegen.

Inzwischen hatten die Pfarrer Schürmann und Zürcher zu ihrer Entschuldigung vorgebracht, sie hätten geglaubt, ausländische, d. h.

österreichische, Brautleute vor sich zu haben, und deßhalb den Artikel 40 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes, der nur für Schweizer gelte, nicht beachtet. Dieser irrigen Auffassung über die Tragweite des Artikels 40 sind wir aber mit aller Entschiedenheit entgegengetreten. In der That schafft das eidgenössische Civilstandsgesetz für das ganze Gebiet der Schweiz absolutes Recht, und auch die Bestimmung in Artikel 40, daß eine kirchliche Trauungsfeierlichkeit erst nach Vollzug der gesetzlichen Trauung durch den bürgerlichen Traubeamten und Vorweisung des daherigen Ehescheines stattfinden darf, ist für Alle, die ihre Ehe in der Schweiz kirchlich trauen lassen wollen, mögen dies Schweizer oder Ausländer sein, eine nicht umgehbare, absolute Pflicht. Daran vermag auch die Delegation eines in der Schweiz amtirenden Geistlichen zur Trauung eines Brautpaares seitens eines Amtsbruders in Oesterreich etc. nichts zu ändern.

Die Fürsprache der Regierung des Kantons Schwyz hat uns schließlich bewogen, für diesmal noch von einer Ueberweisung der fehlbaren Pfarrer an den Strafrichter Umgang zu nehmen und uns damit zu begnügen, ihnen durch die Regierung einen strengen Verweis zu ertheilen, mit dem Bemerken, daß sie den betheiligten Brautleuten für die civilrechtlichen Folgen haftbar bleiben, sowie daß in Zukunft bei derartigen Verstößen gegen die Vorschriften
des Civilstandsgesetzes auf strenger Bestrafung der Schuldigen beharrt werde. Ueberdies haben wir der Regierung von Schwyz die Pflicht überbunden, der gesammten Geistlichkeit des Kantons entsprechende Aufschlüsse und Instruktionen zu geben und künftig dio Beobachtung der in Frage stehenden gesetzlichen Vorschriften genau

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zu überwachen. -- Mit der Art, und Weise, wie die Regierung diesen Aufträgen nachgekommen ist, haben wir uns befriedigt erklären können. (Einen früheren, ähnlichen Fall vgl. Bundesbl. 1888, II, 696.) --

TU. Handelsregister.

A. Allgemeines und Statistik.

1. Mit dem 1. Januar 1891 ist sowohl das ,,Bundesgesetz zur Ergänzung der Bestimmungen dos Obligationenrechts über das Handelsregister", vom 11. Dezember 1888, als die neue ,,Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt", vom 6. Mai 1890, in Kraft getreten. Beide Erlasse zielen auf eine gleichmäßigere Anwendung der auf das Handelsregister bezüglichen Gesetzesvorschriften ab. Die Novelle vom 11. Dezember 1888 ermöglicht es, in Fällen von Renitenz Eintragungen in das Handelsregister auch von Amtes wegen vorzunehmen, während bisher nur Löschungen nicht mehr existirender Firmen auf diesem Wege erfolgen konnten.

Die neue Verordnung normirt die Pflicht zur Eintragung durch Bezeichnung der eintragspflichtigen Gewerbe und Aufstellung bestimmter, hiebei zu beobachtender äußerer Grenzen für gewisse Kategorien derselben. Die wohlthätige Folge der neuen Vorschriften, hat sich bereits gezeigt. Einerseits wurden eine Menge Gewerbetreibender, welche sieh bislang der Eintragspflicht hatten entziehen können, zur Eintragung gebracht; anderseits erfolgten verhältnissmässig ebenso viele Streichungen solcher Geschäfte, auf welche in Berücksichtigung ihres geringen U in fanges der Art. 865, Abs. 4, 0. K.

nicht hätte angewandt wurden sollen, die indessen wegen zu weit gehender Auslegung der Vorschrift dieses Artikels, theils freiwillig, theils gezwungen, im Handelsregister figurirten.

Schon im Jahre 1890 waren vielerorts Anstrengungen gemacht worden, das Handelsregister mit Rücksicht auf den neuen Stand der Dinge zu ergänzen und zu säubern. Wir haben hierauf schon iii unserem Berichte über genanntes Geschäftsjahr hingewiesen. Die hauptsächlichsten Anstrengungen aber, das Handelsregister mit den bestehenden Bestimmungen und den thatsächlichen Verhältnissen in Einklang zu bringen, wurden im Berichtsjahre gemacht. Mit ganz geringen Ausnahmen darf nunmehr das Register als bereinigt angesehen werden.

Die Vermehrung der Einträge gegenüber früher ergibt sich aus nachstehenden Zahlen: Seit Bestehen des Handelsregisters belief sich die höchste Zahl der innerhalb eines Jahres vorgekommenen Eintragungen (das erste

529

Jahr, 1883, aus begreifliehen Gründen, nicht mit eingerechnet) auf 7736 (18903- Die Durchschnittszahl war 6360. Im Berichtsjahre stieg die Anzahl der Eintragungen (Neueintragungen, Löschungen und Aenderungen) auf 16,308.

Wie hoch sich die Zahl der zwangsweise (von Amtes wegen) vorgenommenen Neueintragungen belauft, läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben. Die Vorschrift, derartige Eintragungen ausdrücklich als Eintragungen von Amtes wegen zu bezeichnen, ist leider nicht vun allen Registerführern beachtet worden. Eine Kontrole war daher unmöglich. Nach ungefährer Schätzung dürften indessen etwas mehr als 100 derartiger Offlzial-Eintragungen vorgenommen worden sein.

Eingetragen wurden überhaupt: a. Im H a u p t r e g i s t e r (A): 6678 Einzelfirmen (bisher durchschnittlich, das Jahr 1883 nicht gerechnet: 1941), 885 Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (bisher durchschnittlich 521), 338 Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften (bisher durchschnittlich 260), 108 Vereine (bisher durchschnittlich 76), 138 Zweigniederlassungen (bisher durchschnittlich 71), 904 Bevollmächtigungen.

Es kamen also mehr als dreimal soviel Einzelfirmen und mehr iils zweimal soviel Filialen zur Eintragung, als bisher durchschnittlich eingetragen wurden. Es läßt sich dies nur durch das neue Regime erklären. Was die Gesellschaften ° und die Bevollmächtigungen anbelangt, so kann hier von einer Wirkung der Novelle und der Verordnung nicht, wohl gesprochen werden, trotz der Vermehrung der Eintragungen. Die Gründe für letztere sind anderswo y,u suchen. Einzig bei den Kollektiv- und Kommanditgesellschaften dürfte vielleicht ein Zusammenhang zu finden sein.

b. Im b e s o n d e r e n R e g i s t e r (B): 30 Personen (bisher durchschnittlich 36).

Gelöscht wurden : u. Im H a u p t v e g i s t e r: 3955 Einzelfirmen, wovon 258 wegen Konkurses (bisher durchschnittlich 1327, wovon wegen Konkurses 239), Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. il.

35

530

624 Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, wovon 19 wegen Konkurses (bisher durchschnittlich 433, wovon wegen Konkurses 20), 58 Aktiengesellschaften, Kommandit - Aktiengesellschaften und Genossenschaften, wovon 10 wegen Konkurses (bisher durchschnittlich 52, wovon wegen Konkurses 4), 57 Vereine (bisher durchschnittlich 4), 109 Zweigniederlassungen, wovon 4 wegen Konkurses (bisher durchschnittlich 42, wovon wegen Konkurses 1), 710 Bevollmächtigungen.

Symptomatisch sind hier lediglich die Einzelfirmen. Gleich wie dreimal mehr solcher eingetragen, so wurden auch dreimal mehr derselben gelöscht als bisher durchschnittlich. Diese Vermehrung hat ihren Grund darin, daß sich die meisten Inhaber solcher Geschäfte, die s. Z. auf Grund der bestehenden Praxis zur Eintragung genölhigt worden waren, unverzüglich aus dem Register streichen ließen, sobald sie erkannten, daß sie nach der Verordnung vom 6. Mai 1890 zur Eintragung nicht mehr verpflichtet seien.

b. Im b e s o n d e r e n R e g i s t e r : 713 Personen gegen sonst durchschnittlich 79.

Weitaus der größte Theil dieser Löschungen im besonderen Register ist nicht etwa wegen Todes, Wegzuges oder Verlustes der Handlungsfähigkeit (Art. 34 der Verordnung), sondern auf eigenes Verlangen der Eingetragenen erfolgt, da letztere nicht mehr länger der Gefahr der Wechsel- und Konkursbetreibung ausgesetzt sein wollten.

Veränderungen gelangten zur Eintragung : 378 betreffend Einzeltirmen (bisher durchschnittlich 80), 195 betreffend Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (bisher durchschnittlieh 87), 149 betreffend Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellsehaften und Genossenschaften (bisher durchsc.hnittlich 190), 72 betreffend Vereine (bisher durchschnittlich 22), 182 betreffend das Personal der Vorstände von Genossenschaften, 24 betreffend Zweigniederlassungen (bisher durchschnittlich 10), l betreffend eine Bevollmächtigung.

531 Auf i. Januar 4892 bleiben im Handelsregister eingetragen: a. I m H a u p t r e g i s t e r: 31,043 Einzelfirmen (gegen 28,420 im gleichen Zeitpunkte des Vorjahres und 24,025 auf 1. Januar 1884), 4,343 Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1891: 3962,1884: 3666), 3,236 Aktiengesellschaften, Kommandit - Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1891: 2956, 1884: 1497), 692 Vereine (1891: 641, 1884: 124), 596 Zweigniederlassungen (1891: 567, 1884: 368).

b. Im b e s o n d e r e n R e g i s t e r : 1,149 Personen (1891: 1874, 1884: 2052).

Bei 3 Büreaux sind im Jahre 1891 gar keine Eintragungen vorgekommen, nämlich bei Breitenbach, Dornach und Leontica.

Letzere beiden Amtsstellen hatten auch im Jahre 1890 keine Eintragungen zu verzeichnen.

Die Gesammtsumme der von den einzelnen Bureaux für Eintragungen in das Handelsregister eingenommenen Gebühren beträgt Fr. 75,284. --. Hieran partizipirt der Bund mit einem Fünftel, gleich Fr. 15,056. 80.

Wie sich die einzelnen Eintragungen und die Gebühren auf die verschiedenen Kantone vertheilen, weist die beiliegende Tabelle aus.

2. In der O r g a n i s a t i o n der Handelsregister in den Kantonen ist seit unserm letzten Bericht keine Aenderung eingetreten.

Es bestehen demnach im Ganzen 99 Handelsregisterbüreaux.

3. Bei dem großen Brande, welcher am 25. Oktober 1891 fast ganz Meiringen zerstörte, ist auch das H a n d e l s r e g i s t e r d e s A m t e s O b e r h a s l i v ö l l i g zu G r u n d e gegangen.

Die Eintragungen in dasselbe wurden nunmehr, soweit es den Text anbelangt, wieder hergestellt. Es ist dies an Hand der Originalauszüge, welche seiner Zeit dem eidgenössischen Handelsregisterbüre behufs Publikation im Handelsamtsblatt übermittelt worden sind, leicht möglich gewesen. Der Inhalt der früheren Eintragungen konnte auf Grund derselben vollständig wiedergegeben werden. Dagegen bleiben die auf die Eintragungen bezüglichen Belege, sowie die Unterschriften der Anmeldenden unersetzt.

4. Laut einer Mittheilung im Geschäftsberichte des Handelsund Landwirthschaftsdepartement über das Jahr 1887 waren die

Zu Seite 531.

Einzelfirmen.

Kantone.

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Total 1890 2,453 ,, 1889 1,866 ,, 1888 1,743 * 1887 1,891 ,, 1886 2,101 ,, 1885 1,661 » 1884 1,874 ,, 1883 24,469

504 423 343 356 335 2!)4 236 122

(201) (219) (212) (256) (256) (256) (276) ?

Aktiengesellschaften, Kommanditaktiengesellschaften und Genossenschaften.

Kollektiv- und KommanditGesellschaften.

1,105 1,105 1,018 1,182 873 834 686 324

Auf 31. Dezember 1891 bleiben effektiv eingetragen . . 31,043

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139 620 105 545 105 511 63 478 68 502 42 480 39 512 2 3,872

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Eintragungen.

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Gebührenantheil des Bundes.

(49) 1,653 1,424 (37) 2,514 2,168 522 (29) 699 35 20 344 (1) 336 143 (1) 129 181 148 547 (2) 533 72 (1) 68 142 215 (3) 224 260 956 (9) 758 (3) 149 168 (2) 159 116 (3) 427 460 7 14 (28) 707 643 (9) 264 275 840 (9) 767 429 (13) 504 231 (7) 246 (39) 2,397 2,425 161 146 (21) 1,980 1,318 (25) 1,331 1,100 (291)16,308 15,056

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Handelsregister-Eintragungen im Jahre 1891.

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,_.ï i Vorarbeiten zu einem H a n d b u c h f ü r die s c h w e i z e r i s c h e n H a n d e l s r e g i s t e r f ü h r e r , welches namentlich von sämmtlichen Registerführern längst als dringendes Bediirftnß empfunden war, damals so weit gediehen, daß die Fertigstellung des Manuskriptes für den Anfang des Jahres 1888 erwartet wurde.

Das Manuskript war zur angegebeneu Zeit in der That druckfertig.

Allein das damals im Wurfe liegende ßundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs und die beabsichtigte Abänderung der Bestimmungen des Obligationenrechtes über das Handelsregister ließen die Drucklegung unthunlich erscheinen. Die Novelle vom 11. Dezember 1888 machte die längst geplante Revision der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt nothwendig, und diese Revision hinwiederum, nachdem sie am 6. Mai 1890 Thatsache geworden, mußte nebst den inzwischen gefaßten Beschlüssen und gefällten Entscheiden im Handbuche Berücksichtigung finden. Dies machte eine theilweise Umarbeitung des letztern nothwendig. In Folge dessen wurde das Manuskript erst zu Anfang des Berichtsjahres druckfertig. Im Dezember 1891 konnte die deutsche Auflage in den Buchhandel gebracht werden, durch welche der stattliche, 43 Druckbogen in Groß-Oktav starke Band zum Preise von Fr. 8 bezogen werden kann.

Das Werk ist von Herrn Grundbuchverwalter Dr. L. Siegmund, Handelsregisterführer, in Basel, verfaßt. Es enthält sämmtliches bisher aller Orten in Gesetzen, Verordnungen, Kreisschreiben, Rekursentscheiden etc. verstreute Material systematisch zu einem Ganzen geordnet mit übersichtlichem systematischem Inhaltsverzeichnisse und alphabetischem Sachregister. Als Anhang ist ihm eine reiche Sammlung von Beispielen für Anmeldungen und Eintragungen in das Handelsregister und für die Führung der auf dasselbe bezüglichen Bücher beigegeben. Es ist daher nicht nur ein absolut unentbehrliches Hülfsmittel für die Handelsregister-Behörden, sondern wird auch dem Anwalts- und Notariatsstande, sowie den Handelsuud Gewerbetreibenden direkt wesentliche Dienste leisten.

Die Uebersetzung in's Französische besorgt Herr Dr. Henri Le Fort, Advokat in Genf. Ein Theil derselben ist bereits gedruckt, so daß die französische Auflage im Laufe des Jahres 1892 zur Ausgabe gelangen kann.

532

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B. Spezielle Fälle.

5. R e k u r s e wurden im Berichtsjahre 12 anhängig gemucbt.

Von denselben entfallen 5 auf den Kanton Sehwyz, je 2 auf die Kantone Zürich und Luzern und je einer auf Basellaud, Bern und die Waadt.

533 Ein Rekurs wurde vor der Entscheidung zurückgezogen ; 4 andere, welche erst im Dezember eingereicht wurden, konnten im Berichtsjahre nicht mehr erledigt werden.

Von den übrigen 7 Rekursen wurde auf l wegen Inkompetenz nicht eingetreten, die andern 6 mußten als unbegründet abgewiesen werden.

Folgende Fälle sind von allgemeinem Interesse: a. Unter der Firma ,, S t e t t i e r und von F i s c h e r u bestund bisher in Bern eine Kollektivgesellschaft zwischen den Herren Eugen Stettier, Fürsprecher und Notar, und Friedrich von Fischer, allié von Wattenwyl, Fürsprecher. Auf 1. Januar 1891 trat dieser Gesellschaft Herr Adalbert von Fischer als weiterer unbeschränkt haftender Socius bei. -- Das schweizerische Handelsregisterbüreau, wie das Justiz- und Polizeidepartement, erklärten die Fortführung der bisherigen Firma als unzuläßig, da sie den Vorschriften des Obligationenrechts nicht genüge, wenn zwei Gesellschafter Namens ,,von Fischer"1 bei derselben betheiligt seien. Gegenüber diesen . Entscheiden haben die Interessenten den Rekurs an den Bundesrath ergriffen.

Der Rekurs wurde am 31. März 1891, gestützt auf folgende Erwägungen, als unbegründet abgewiesen : 1. Auf dem Grundsatz des Erfordernisses der Firmenwahrheit stehend, gibt der Art. 869 0. für die Fassung der Firma einer Kollektivgesellschaft nur zwei Möglichkeiten: a. entweder muß die Firma die Namen sämmtlicher Gesellschafter enthalten; oder b. es muß dem Namen eines oder mehrerer Gesellschafter ein das Vorhandensein einer Gesellschaft andeutender Zusatz beigefügt sein.

2. In diesem Sinne hat sich der Bundesrath schon in seinem Kreisschreiben an die Kantonsregierungen vom 29. Mai 1883 ausgesprochen : ,,Die Firmen müssen der Wirklichkeit entsprechen; es wird ,,dies vom öffentlichen Interesse gefordert. Dem Publikum kann .,,beim Geschäftsverkehr nicht gleichgültig sein, ob die Gesellschaft ,,nur aus zwei oder aber aus mehreren Personen besteht." (Bundesbl.

1883, II, 1083.)

Und anschließend hieran stellte er anläßlich eines Rekursentscheides am 6. Mai 1887 fest, ,,daß der das Vorhandensein einer ,,Gesellschaft andeutende Zusatz in allen Fällen angebracht werden

534

,,müsse, wo nicht die Namen sämmtlicher Gesellschafter in die ,,Firma aufgenommen sind". (Bundesbl. 1888, II, 17.)

Gleichzeitig wurde auch der Grundsatz wiederholt, ,,daß eine ,,Firma nicht Anlaß zu irrigen Annahmen in Beziehung auf den ,,Personalbestand ihrer Träger bieten dürfe".

3. Es ist daher zu prüfen, ob die Firma ,,Stettier und von Fischer" in ihrem neuen Personalbestand die Namen sämmtlicher Gesellschafter enthalte, wie die Rekurrenten behaupten, und ob sie der Wahrheit entspreche. -- Hierüber ist zu beachten : 4. Die Firma ,,Stettler und von Fischer" würde nur dann die Namen sämmtlicher Gesellschafter enthalten, wenn man die Worte ,,vonFischer"a als Plural auffassen könnte, was durchaus nicht deiFall ist. Die bloße Möglichkeit, ,,von Fischer" als Plural aufzufassen, genügt nicht; sonst müßte für eine aus zwei Herren von Fischer bestehende Kollektivgesellschaft diee Firma ,,vonFischer"a auch genügen,was. Niemandd wird behaupten wollen. Der Plural muß also nothwendig auf irgend eine Weise unzweideutig iu der Firma ausgedrückt sein, und da das bei diesen Eigennamen nicht durch die bloße Flexion möglich ist, so muß es eben auf andere Weise geschehen. Denn der Geschlechtsname erfüllt, sobald eine Mehrzahl von Personen in Betracht kommt, seinen Zweck nur dann, wenn er seinen Träger deutlich von allen andern in Betracht kommenden Personen unterscheidet.

5. Mit e i n e m Familiennamen kann nur e i n e Person bezeichnet werden. Wenn die Firma lautet ,,Stettier und von Fischer", so wird Jedermann annehmen, die Träger derselben seien ein Herr Stettier und e i n Herr von Fischer.

Die Namen sämmtlicher Gesellschafter sind in der Firma nur dann dem Gesetze entsprechend enthalten, wenn aus ihr ohne ' Weiteres die sämmtlichen Individuen, welche in der Gesellschaft betheiligt sind, ersehen werden können.

Das Gesetz gestattet nur unter einer Voraussetzung die Führung von Firmen, welche den Bestand sämmtlicher Gesellschafter nicht aufweisen, nämlich unter der, daß in die Firma ein allgemeiner, das Gesellschaftsverhältniss andeutender Zusatz aufgenommen wird; aus diesem Zusatz ersieht das Publikum, daß es zu seinerOrientierungg das Handelsregister konsultiren muß.

Dagegen würde dem Gesetze eine Firma widersprechen, aus welcher weder ersichtlich ist, daß sie die Namen sämmtlicher Gesellsehafter enthält, noch daß zur genaueren Orientirung die Einsicht in das Handelsregister nöthig ist.

535

b. Mit Eingabe vom 12, April erhoben die Herren G. Ott-Hüni und J. Mischler, beide in Lausanne, als Mitglieder des Vorstandes eines Gesangvereines unter dem Namen ,, F r o h s i n n von L a u sanne" 1 , dagegen Protest, daß am 9. April ein anderer Gesangverein, vertreten durch die Herren Samuel Notz als Präsident und C. Rothschuh als Sekrelär, unter derselben Bezeichnung ,,Frohsinn de Lausanne11 in das Handelsregister von Lausanne eingetragen worden sei. Letzterer Gesellschaft komme dieser Name nicht zu; er gehöre vielmehr der ersteren an, die ihn seit 1859 führe.

Ein bestimmtes Begehren wurde nicht gestellt. Indessen ging aus dem Wortlaute der Eingabe hervor, daß gewünscht werde, es möchte dem eingetragenen Vereine die Führung des Namens ,,Frohsinn von Lausanne" untersagt werden.

Schon vor Eintreffen der Eingabe der Herren Ott-Hüni und Mischler langte eine vom 11. April datirte Gegeneingabe des eingetragenen Vereins, unterzeichnet vom Komite desselben, ein, welche Ablehnung des Begehrens Ott-Mischler verlangte.

Der Bundesrath hat die Beschwerde am 18. April 1891 in Behandlung gezogen, ist aber auf dieselbe nicht eingetreten, gestützt auf folgende Erwägungen : 1. Die Frage, welcher der beiden Gesellschaften das Recht zusteht, sich ,,Frohsinn von Lausanne" zu nennen, ist eine Rechtsfrage, die nur durch den Richter entschieden werden kann ; den Registerbehörden steht hierüber kein Entscheidungsrecht zu.

Der durch die Herren Note und Rothschuh vertretene Verein ist im Handelsregister unter dem Namen ,,Frohsinn de Lausanne" eingetragen. Die Beschwerdeführer haben sich gemäß Art. 30 der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt vom 6. Mai 1890 an die Gerichte zu wenden, wenn sie gegenüber dem beklagten Vereine die Löschung dieses Namens auswirken wollen.

Denn : ,,Streitigkeiten zwischen Privaten über Löschungen oder Aen,,derungen (0. 876) entscheiden die Gerichte auf dem Wege des ,,Prozesses."' (Art. 30 der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt vom 6. Mai 1890.)

2. Für die Registerbehörden kann es sich nur fragen, ob der Registerführer von Lausanne richtig gehandelt, als er die streitige Eintragung vornahm. Diese Frage muß bejaht werden.

Da dem Registerführer bekannt war, daß eine andere Gesellschaft Namens ,,Frohsinn"1 in Lausanne bereits existirte, als die durch die
Herren Notz und Rothschuh vertretene neue Gesellschaft die Eintragung verlangte, so hat er letztere zuerst verweigert. Auf erhobene Beschwerde verfügte aber der Präsident des Kantons-

536 gevichtes, in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde über das Handelsregister, es sei dem Eintragungsbegehren Folge zu geben, da keine andere Gesellschaft unter dem Namen ,,Frohsinn"1 im Handelsregister von Lausanne eingetragen sei. Diese Verfügung steht im Einklänge mit Art. 868 0. R. und Art. 21 der \ 7 erordnung vom 6. Mai 1890, Nach dieser letztere Bestimmung hat der Registerführer mit Rücksicht auf die Firma einer einzutragenden Gesellschaft, sofern dieselbe im Uebrigen den Vorschriften des Obligationenrechtes über die Firmenbildung entspricht, nur zu prüfen, ob sie für denselben Ort nicht bereits eingetragen sei.

Der Präsident des Kantonsgerichtes befand sich auch in Uebereinstitnmung mit den bestehenden Vorschriften und mit der Praxis, als er den gegen die beabsichtigte Eintragung erhobenen Protest nicht berücksichtigte und die Beschwerdeführer mit ihren Ansprüchen an den kompetenten Richter verwies. Es ist schon im Jahre 1884 festgestellt worden (vergi. Schweizerisches Handelsamtsblatt Nr. 59, vom 24. Juli 1884, Seite 533), daß solche Einsprachen die Registerbehörde nur dann bestimmen dürfen, einer de« gesetzlichen Requisiten entsprechenden Registeranmeldung keine Folge zu geben., wenn ihr der Beweis geleistet wird, daß das in Art. 24 der bundesräthlichen Verordnung (neue Verordnung Art 30) vorgesehene ger i c h t l i c h e Verfahren bereits eingeleitet ist, oder daß dessen Einleitung unmittelbar bevorsteht.

C. Laut Auskündungen in öffentlichen Blättern (z. B. Luzerner Tagblatt Nr. 106 vom 6. Mai 1891) bestund in Luzern eine Gesellschaft unter der Firma ,,A. Wüest-Zeiger
Auf Verlangen des Herrn Fürsprech Dr. Franz Bucher in Luzern forderte der Handelsregisterführer von Luzern am 18. Juli 1891 die genannte Firma im Sinne des Art. 864, Abs. 2, 0. und Art. 26, Abs. l, der Verordnung
über Handelsregister und Handelsamtsblatt auf, sieh in das Handelsregister eintragen zu lassen.

Die Pflicht zur Eintragung wurde von der aufgeforderten Firma prinzipiell nicht bestritten. Dagegen konnte letztere nie dazu gebracht werden, die zur Eintragung nöthigen Schritte zu thun oder

537

die Namen der Gesellschafter bekannt zu geben. Da auch eine letzte Aufforderung, welche der Registerführer am 4. August erließ, ohne Erfolg blieb, so überwies derselbe die Angelegenheit der Handelskammer des Kantons Luzern zur Abwandlung. Letztere entschied unterm 7. August : 1. Die Kommanditgesellschaft unter der Firma ,,A. WüestZeiger
2. Sollte diesem Entscheide binnen fünf Tagen, von der Zustellung an gerechnet, nicht nachgelebt oder die Kommanditäre und deren Einlagen dem Handelsregisterführer nicht zur Kenntniß gebracht werden, so ist der bekannte Gesellschafter Andreas WüestZeiger in eine erstmalige Ordnungsbuße von Fr. 20 verfällt.

3. Mittheilung etc.

Gegeu diesen Entscheid ergriff Andreas Wüest-Zeiger Namens obiger Firma den Rekurs an den Bundesrath. Er bestritt in erster Linie die Aktivlegitimation des Herrn Dr. Franz Bucher, ferner daß ein eintragspflichtiges Gewerbe vorliege; er behauptete auch, daß der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesellschaft noch unbestimmt sei und daß die Eintragung deßhalb und auch aus dem weiteren Grunde noch nicht stattfinden könne, weil zwischen dem Obergerichte des Kantons Luzern und der Firma Differenzen darüber walten; ob es letzterer erlaubt sei, sich zur Besorgung von, Advokaturgeschäften zu empfehlen. Der Kekurrent ersuchte deßhalb um Aufhebung des rekurrirten Entscheides und um Verlängerung der für die Eintragung gesetzten Frist bis zum 15. Oktober 1891.

Dieser Rekurs wurde am 8. September als unbegründet abgewiesen. Die Erwägungen waren folgende: 1. Rekurrent anerkennt selbst, daß er der unbeschränkt haftbare Antheilhaber einer Gesellschaft sei, welche nach außen unter der Firma ,,A. Wüest-Zeiger & Cie.a auftritt. Gemäß Art. 590 und 552, Abs. l, 0. R. ist diese Gesellschaft verpflichtet, sich in das Handelsregister eintragen zu lassen, wenn sie ein Handels-, Fabrikations- oder anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe'betreibt. (Art. 865, Abs. 4, 0. R.) Gernäß Art. 13 der Verordnung über Handelsregister und Handeisamtsblatt, vom 6. Mai 1890, sind unter Anderem als Gewerbe zu betrachten, deren Betrieb gernäß 0. 865, Abs. 4, ohne Weiteres die Eintragspflicht begründet (Ziff. l, litt, b und c): ,,Die gewerbsmäßige Vermittelung von Kaufund Verkauf irgend welcher Art mit dem Zwecke, durch dieselbe einen Gewinn (Provi-

538 sion, Courtage, Kommission u. s. w.) zu erzielen, und unter Haltung eines ständigen Bureau. (Agenten, Mäkler, Courtiers, Kommissionäre u. s. w.)

,,Die gewerbsmäßige Betreibung oder Vermittlung von Geld-, Wechsel-, Effekten- oder Börsengeschäften irgend welcher Art unter Haltung eines ständigen Bureau. (Banken, Wechselstuben, Inkassogeschäfte; die Gewerbe der Agenten, Sensale, Courtiers und derjenigen Rechtsagenten, Notare und Advokaten, die nicht ausschließlich mit juristischen Geschäften im engern Sinne sich befassen oder Beamte sind.)"

Da nun die rekurrirende Firma laut öffentlicher Auskündigung unter Anderm Kommissionen, Vermittlung von Liegenschaften, Häusern, Gülten, Aktien und Wertpapieren besorgt, so erscheint sie als eine Gesellschaft, die zur Eintragung in das Handelsregister verpflichtet ist.

2. Der Umstand, daß zur Zeit der ganze Umfang, der dein Geschäfte gegeben werden soll, noch nicht feststellt, ist irrelevant, da schon der Betrieb derjenigen Geschäfte, zu welchen die Rekurrenten unzweifelhaft berechtigt sind und für welche sie sich empfohlen haben, die Eintragspflicht begründet. Ob die Gesellschaft nebenbei noch Advokaturgeschäfte betreibe oder nicht, und ob sie dies jetzt schon oder erst in einigen Wochen thue, ist ganz ohne Einfluß auf die Pflicht zur Eintragung in das Handelsregister. Die Behauptung, der Zeitpunkt des Beginnes der Gesellschaft sei noch nicht festzustellen, steht im Widerspruch mit der Thatsache, daß der Geschäftsbetrieb unter gemeinsamer Firma bereits begonnen hat.

Es liegt daher kein Grund vor, den Rekurrenten die zur Eintragung angesetzte Frist zu verlängern.

3. Was die Aktivlegitimation des Herrn Dr. Bucher zur Stellung des Eintragsbegehrens betrifft, so bedarf es hiezu auf Seite des Imploranten nicht eines persönlichen vermögensrechtlichen Interesses daran, daß die Firma ,,A. Wüest-Zeiger
539

d. Ein weiterer Rekurs, eingereicht von Konstantin Walz, Sehreiner und Sargfabrikant, in Luzern, ist insofern von Bedeutung, als derselbe Gelegenheit bot, zu konstatiren, daß in Angelegenheiten d e s Handelsregisters e i n R e k u r s a n d i e B u n d e s v e r s a m m l u n g unzulässig i s t , vielmehr dem Bundesrathe der endgültige Entscheid zusteht.

Es ist dies schon in Art. 893 des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht vom 14. Brachmonat 1881, sowie des Nähern durch die Novelle zu diesem Gesetze vom 11. Dezember 1888 begründet.

In Folge dessen haben wir in Art. 3 der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt vom 6. Mai 1890 ausdrücklich festgestellt: ,,Der Bundesrath übt die Oberaufsicht über die Führung des Handelsregisters aus und entscheidet endgültig über Beschwerden gegen Verfügungen der kantonalen Aufsichtsbehörden. a Sie haben die Richtigkeit dieses Satzes bestätigt und den Rekurs des genannten Walz am 17. (Ständerath) und 19. Dezember (Nationalrath) 1891 durch Nichteintreten erledigt.

6. Die Frage, wie weit die P f l i c h t z u r E i n t r a g u n g in d a s H a n d e l s r e g i s t e r auszudehnen sei, gab wiederholt zu prinzipiellen Erörterungen Anlaß: a. A l l g e m e i n e Grundsätze.

a Art, 13 der Verordnung vom 6. Mai 1890 zählt die Gewerbe auf, deren Betrieb gemäß Art. 865, Abs. 4, 0. R. insbesondere die Eintragspflicht begründet. Für eine Reihe von Gewerben statuirt er ohne Weiteres die Eintragspflicht; für andere dagegen verlangt er überdies die Erfüllung gewisser Bedingungen."

Der letzte Absatz lautet nämlich : ,,N i c h t eintragspflichtig sind die unter Ziff. 1, litt, a, Ziff. 2 und 3 genannten Gewerbe, wenn ihr Waarenlager nicht durchschnittlich einen Werth von mindestens Fr. 2000 hat oder wenn ihr Jahresumsatz (die jährliche Roheinnahme) oder der Werth ihrer jährlichen Produktion unter der Summe von Fr. 10,000 bleibt."

Diese Bestimmung wurde irrthümlicher Weise vielfach dahin ausgelegt, als ob der Betrieb der genannten Gewerbe schon dann die Eintragspflicht begründe, wenn bloß eines der genannten Requisite erfüllt sei.

Die Verordnung drückt sich aber negativ aus. Sie sagt nicht, die Eintragspflicht sei vorhanden, wenn das eine oder das andere

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dieser Requisite erfüllt sei; vielmehr verneint sie die Eintragspflicht, sobald nur eines, nicht beide Requisite zutreffen. Die Eintragspflicht ist also bei denjenigen Gewerben, bei welchen von einem Waarenlager gesprochen werden kann, nur dann begründet, wenn dieses Waarenlager einen Durchschnittswerth von wenigstens Fr. 2000 repräsentirt und gleichzeitig eine jährliche Roheinnahme von mindestens Fr. 10,000 erzielt wird.

bb. Die jährliche Roheinnahme, welche als eines der Kriterien für die Eintragspflicht gilt, kann mit Bestimmtheit nur aus dea Geschäftsbüchern ersehen werden.

Nun kommt es häufig vor, daß Kaufleute, welche zur Eintragung aufgefordert wurden, behaupten, nicht eintragspflichtig zu sein, da ihr Geschäftsumsatz nicht den Betrag von Fr. 10,000 im Jahre erreiche, daß sie sich aber weigern, ihre Geschäftsbücher zur Einsichtnahme vorzulegen.

Das Departement hat auf gestellte Anfrage hin die Weisung ertheilt, in solchen Fällen nach Analogie des Art. 26, Abs. 2, der Verordnung zu verfahren. Es ist also gegebenen Falles anzunehmen,.

es seien überhaupt keine Gründe der Weigerung angegeben worden, und der Aufgeforderte sei sonach zur Eintragung verpflichtet und letztere eventuell von Amtes wegen vorzunehmen.

b. S p e z i e l l e F ä l l e .

Verschiedene Anschauungen herrschen über die Eintragspflicht der A g e n t e n von V e r s i c h e r u n g s g e s e l l s c h a f t e n , die Stellung der sogenannten Generalagenten dieser Gesellschaften und die Pflicht der Auswanderungs-Unteragenten zur Eintragung.

Auf gestellte Anfragen sprach sich das Departement hierüber folgendermaßen aus: aa. Was vorerst die V e r s i c h e r u n g s a g e n t e n anbetrifft, so ist durch den Bundesrath bereits konstatirt worden, daß dieselben als solche nicht in das Handelsregister einzutragen seien und daß auch die Existenz sogenannter Generalagenturen die betreffenden Gesellschaften nicht verpflichte, am Sitze dieser Agenturen Zweigniederlassungen in das Handelsregister eintragen zu lassen.

Auch den Generalagenten steht die Befugniß nicht zu, dieselben Geschäfte zu machen, wie ihre Auftraggeber. Ihre Vollmacht beschränkt sich in der Regel darauf, den Abschluß von Verträgen zu v e r m i t t e l n ; bisweilen erlaubt sie ihnen auch, Verträge abzuschließen:, die selbstständige E r f ü l l u n g der Verträge steht ihnen aber n i e zu. Darum sagt denn auch der Bundesrath in

541

seinem Kreissehreiben an sämmtliche eidgenössische Stände, vom 26. Januar 1887, betreffend Ausführung des Gesetzes über Beaufsichtigung von Privatunternehmungeu auf dem Gebiete des Versicherungswesens : ,,Derselbe Gedanke, welcher den Gesetzgeber veranlaßte, auf die Palentirung der Versicherungsagenten zu verzichten, hat uns .auch bewogen, unsern Beschluß vom 1. Februar 1884 (vergi. 8. H.

A. B. 1884, Nr. 12, p. 82) aufzuheben, welcher dahin ging, daß tlie Agenturen der Versicherungsgesellschaften in's Handelsregister einzutragen seien, und ebenso Ziff. 3 unseres Kreisschreibens vom 13. März 1883 (S. H. A. B. 1883, I, p. 92), insoweit es die VerVersicherungsagenturen betrifft, außer Kraft zu erklären. Nach den Grundsätzen des neuen Bundesgesetzes sind die Agenten als solche nur A n g e s t e l l t e der Gesellschaft, gleich wie die Commis eines anderen Geschäftes, nicht selbstständige Gewerbetreibende oder gar Vorsteher von Zweigniederlassungen/ Anders gestaltet sich die Sache allerdings bei denjenigen Agenten, welche nicht bloß eine einzige Gesellschaft vertreten, sondern die Vertretung der verschiedensten Versicherungsgesellschaften (Feuer , Lebens-, Unfall-, Transport-, Hagelversicherungsgesellschaften oder dergl.) gleichzeitig betreiben und zu ihrem Berufe machen. Diese Personen fallen unseres Eraehtens unter Art. 13, Ziff. l, litt, c, der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt vom 6. Mai 1890; sie müssen in das Handelsregister eingetragen werden.

bb. Ganz in demselben Falle wie die Agenten der Versicherungsgesellschaften befinden sich die U n t e r a g e n t e n d e r sogenannten Auswanderungsagenturen.

Das Bundesgesetz betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen, vom 22. März 1888, unterscheidet zwischen den sogenannten ,,Auswanderungsagenturen"' und duren ,,Unter.agenten'1.

Erstere sind die Unternehmer des Auswanderuugsgeschäftes ; sie allein betreiben das Geschäft der gewerbsmäßigen Beförderung von Personen im Sinne des Art. 13, Ziff. l, d, der Verordnung über Handelsregister und Haudelsamtsblatt vom 6. Mai 1890. Diese müssen selbstverständlich im Handelsregister eingetragen werden.

Was dagegen die Unteragenten anbelangt, so geht aus dem Bundesgesetz vom 22. März 1888, speziell aus Art. l, Abs. 2, litt, a, Art. 4, Abs. l, Art. 5, Abs. 2, z. B. hervor, daß dieselben ebenfalls lediglieh A n g e s t e l l t e der Unternehmer sind. Das Gesetz spricht überall von der ,,Anstellung" der Unteragenten; sie sind daher

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ebenso wenig iu das Handelsregister einzutragen, als die Versicherungsagenten.

Ein Zweifel kaun nur hinsichtlich nachstehender Spezialität von Unteragenten bestehen : Unter den Anfangs 1891 beschäftigten 176 Uuteragenten befanden sich circa 10, welche sich ausschließlich mit der Vertretung ihrer respeküven Hauptagentur befaßten und kein anderes Gewerbe betrieben. Hier kann es sich fragen, ob diese Agenten nicht als Vorsteher von Zweigniederlassungen zu betrachten seien. Die Frage entscheidet sich danach, ob sie nicht bloß zum Abschluß, sondern auch zur Erfüllung der Verträge (zur Spedition der Auswanderer) befugt seien. Bei den Wenigsten wird Letzteres der Fall sein.

Darüber, ob ihnen diese Bet'ugniß zusteht, gibt ihr Anstellungsvertrag mit dem Agenturgeschäft Aufschluß.

7. Die F i r m e n b i l d u n g gab auch im BerichtsJHhre wiederholt zu Anständen Anlaß, und zwar nicht etwa nur zwischen.

Privaten und den Registerbehörden, sondern auch zwischen Registerführern und den Oberbehörden., Es steht zu hoffen, daß künftig wenigstens in solchen Fällen, wo Präjudizien vorliegen, keine unzuläliigen Firmeu mehr durch die Handelsregisterführer zur Eintragung angenommen werden, da alle Präzedenzfälle von Bedeutung im Handbuch für die Handelsregisterführer aufgeführt sind.

Was die im Jahre 1891 vorgekommenen Anstände anbetrifft, so haben wir den einzigen Fall prinzipieller Tragweite oben unter c Ziff. 5, litt, a, mitgetheilt.

8. Von Seite einer kantonalen Aufsichtsbehörde wurde die Frage aufgeworfen, ob es zuläßig sei, einen K o n k u r s i t e n , der zwar ein eintragspflichtiges Geschäft betreibt, aber die Rehabilitation noch nicht erlangt hat, in das Handelsregister einzutragen.

Nach dem Dafürhalten der betreffenden Behörde wäre die Frage zu verneinen gewesen. Auch wurde dabei betont, daß die Zulassung von Konkursiten zum Handelsregister namentlich in den Kreisen der Kaufleute und Gewerbetreibenden des betreffenden Kantons sehr mißbilligt werden und voraussichtlich eine starke Mißstimmung hervorrufen würde.

Das Justiz- und Polizeidepartement theilte die Ansicht der Fragestellerin indessen nicht; es sprach sich über die Frage vielmehr folgendermaßen aus: Der Konkurs bezweckt die Liquidation der vermögensrechtliuhen Verhältnisse des Gemeinschuldners. Er kann zur Zeit noch nach Maßgabe der kantonalen Gesetzgebung den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte desselben zur Folge hiben, beraubt den-

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selben aber durchaus nicht der civilreehtlichen Handlungsfähigkeit.

Nach Art. 865, Abs. l und 2, O.-R. kann kein Zweifel darüber bestehen, daß eine handlungsfähige Person, welche unter einer Firma ein Geschäft betreibt, das Recht hat, sich in das Handelsregister (Hauptregister, Firmenregister) eintragen zu lassen. Auch einem nicht rehabilitirten Konkursiten, dem es möglich geworden ist, wieder ein Geschäft zu betreiben, steht dieses Recht zu. Dies widerstrebt dem Wesen des Handelsregisters keineswegs. Letzteres ist ja gerade dazu da, die Handeltreibenden dem Publikum bekannt zu geben. Wenn bei der Kaufmannswelt die Eintragung eines Falliteli auf Widerstand bezw. Mißbilligung stoßen würde, so wäre dies nur ein Beweis, daß erstere ihr eigenes Interesse verkennt. So lange ein Handeltreibender nicht im Handelsregister eingetragen ist, kann er nicht der im Interesse seiner Gläubiger liegenden Konkursbetreibung unterstellt werden. Es ist daher geradezu vvünschenswerth, daß auch ein handeltreibender Fallite irn Handelsregister eingetragen sei. Wenn sein Geschäftsumfang ein solcher wäre, daß nach den bestehenden Bestimmungen eine Eintragung in das Handelsregister erfolgen muß, so wären die Behörden sogar verpflichtet, ihn zur Eintragung anzuhalten.

TIIL Staatsrechtliche Reknrspraxis.

1. Statistik.

Im Jahre 1891 waren, mit Einrechnung der aus dem Vorjahre anhängig gebliebenen Fälle und der Tessiner Stimmrechts- und Wahlrekurse aus den Jahren 1887 und 1889, 254 Rekurse (1890: 148; 1889: 154) zu behandeln, von welchen 246 ihre Erledigung fanden und 8 als unerledigt auf das Jahr 1892 übertragen wurden.

In 81 Rekurse (1890: 64; 1889 : 71) traten wir materiell nicht ein, theils weil ausschließlich die kantonalen Behörden oder das Bundesgericht für den Entscheid kompetent waren, theils weil da, wo unsere Kompetenz materiell wirklich begründet gewesen wäre, die kantonalen Instanzen noch nicht erschöpft waren.

Die übrigen 165 Rekurse (1890: 74; 1889: 30) betrafen dem Gegenstande nach: 20 Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit; 12 Verweigerung oder Entzug der Niederlassung; 6 Verweigerung von Ausweisschriften durch die Heimatbehörde oder Rückhaltung von solchen am letzten Wohnort ; 124 Stimmrächt und Wahlen; 3 Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit.

544

3 Rekurse wurden zurückgezogen und 5 dadurch erledigt, daß die kantonalen Behörden von sich aus den Rekurrenten entsprachen.

Es blieben demnach 157 Beschwerden übrig, welche materiell zu entscheiden waren (1890: 62; 1889: 17).

Die Bundesversammlung hatte sich im Jahre 1891 mit 9 Beschwerden und Rekursen gegen Entscheide aus dem Geschäftskreise des Justiz- und Polizeidepartements zu befassen (1890: 7; 1889: 6).

In 4 Fällen hat sie unsern Entscheid bestätigt; in einem Falle wurde, gemäß unserm Antrag, Nichteintreten beschlossen. 4 Rekurse waren am Ende des Jahres noch pendent.

2. Verfahren.

Da es schon längst als ein Mangel in dem Verfahren vor der administrativen Bundesrekursinstanz empfunden worden war, daß die Rekursparteien nicht, wie es beim Bundesgerichte der Fall ist, verhalten werden, ihre Eingaben in doppelter Originalausfertigung, eventuell in so vielen Exemplaren einzureichen, als Parteien vorhanden sind, denen dieselben zur Kenntnißnahme und Vernehmlassung mitgetheilt werden müssen, so hat der Bundesrath unterrn 27. Juni 1891 auf den Antrag des Justiz- und Polizeidepartements beschlossen, diese Regel autzustellen und die Verwaltungsstellen des Bundes anzuweisen, die Rekursparteien zur Beobachtung derselben zu veranlassen.

Der Beschluß ist durch das Bundesblatt und die kantonalen Amtsblätter bekannt gemacht worden.

3. Recht zur Beschwerdeführung.

Der Bundesrath hat mit Beschluß vom 22. Dezember 1890 ein auf Grund des Fabrikgesetzes vom Polizeigerichtspräsidenten von Basel am 26. Dezember 1889 erlassenes Straf'urtheil, als mit dem Fabrikgesetze im Widerspruch stehend, aufgehoben. Gegen diesen Beschluß führte der Polizeigevichtspräsident von Basel bei der Bundesversammlung Beschwerde, mit dem Antrage: Es möge derselbe aufgehoben und das Urtheil vom 26. Dezember 1889, als zu Recht bestehend, geschützt werden. Der Bundesrath beantragte der Bundesversammlung mit Bericht vom 29. Mai 1891 (Bundesbl.

1891, III, 117), auf die Beschwerde des Polizeigerichtspräsidenten wegen mangelnder Aktivlegitimation des Beschwerdeführers nicht einzutreten aus folgenden Motiven : ,,1. Der Rekurrent ist in der Sache nicht Partei oder Interessent, sondern Richter. Wird der Urtheilsspruch eines Richters von einer

545 hohem Instanz umgestoßen, so ist es niemals nach moderner Rechtsauffassung und Rechtsorganisation der Unter - Richter, der eine Weiterziehung der Angelegenheit betreiben könnte. Im vorliegenden Falle hätte nur der Privatkläger, beziehungsweise der öffentliche Kläger das Recht, als Interessent sich an die Bundesversammlung zu wenden.

,,2. Das Recht, sich mit einer Rekursbeschwerde an die obersten Bundesbehörden zu wenden, ist allerdings in der bundesrechtlichen Praxis wiederholt auch Behörden zugestanden worden, allein stets nur in solchen Fällen, in denen dieselben als wirkliche Interessenten, als in der Sache Betheiligte, erschienen.

,,3. Die Eingabe des Polizeigerichtspräsidenten von Basel kann daher nicht auf den Charakter eines Rekurses, der von der Bundesversammlung in materielle Behandlung zu ziehen wäre, Anspruch machen.1* Der Ständerath hat durch Schlußnahme vom 12., der Nationalrath durch solche vom 18. Juni 1891 dem bundesräthlichen Antrage zugestimmt.

4. Rekursgegenstände.

a. Handels- und Gewerbefreiheit.

an. Statistik.

Die Zahl der Rekurse betreffend die Handels- und 6-ewerbefreiheit beträgt im Berichtsjahre 24 (1890: 70; 1889: 61). Ueber die Rekursgegenstände und deren Erledigung gibt die nachstehende Aufstellung Auskunft.

Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. II.

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Fabrikation von Stockschraubenflinten(Steckengewehren) Verkauf eines Mittels gegen Rebenkraokheit . . .

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bb. Einzelne Keknrsfiille.

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Wirthschaftswesen.

1. In einer Reihe von Entscheidungen hatten wir im Berichtsjahre Gelegenheit, die von uns am 13. September 1889 gutgeheissenen Schlüsse des Justiz- und Polizeidepartements, betreifend die Behandlung von Wirthsehaftsreknrsen seit der Revision des Art. 31 der Bundesverfassung vom 22. Dezember 1885 (Bundesbl. 1891, I, 145 ff.), praktisch anzuwenden. Es geschah dies in folgenden Fällen : 1) Durch Buodesrathsbeschluß vom 31. März 1891 in der Rekurssache des A n t o n B ü c h e r , Wirth zur Rose in Giswyl, Kanton U n t e r w a l d en oh d e m W a l d , gegen eine Schluß :iahme der Regierung dieses Kantons betreffend Nichterneuerung des Wirthschaftspateates.

Das revidirte Wirthsehaftsgesetz des genannten Kantons begnügt sich damit, die Verweigerung einer Wirthsehaftskonzession oder die Beschränkung einer solchen ,,aus Gründen des öffentlichen Wohls" als statthaft zu erklären, und sieht sowohl von der Festsetzung eines bestimmten Verfahrens bei Behandlung von Wirthschaftspatentfragen als von der Aufstellung bestimmter Normen ab.

547

Trotzdem kann, wie in dem citirten Berichte des Departements ausgeführt ist, nicht gesagt werden, das obwalden'sche Gesetz sei mit Art. 31 der Bundesverfassung unvereinbar.

Der Bundesrath hat demgemäß untersucht, ob in casu die angefochtene Maßregel die verfassungsmäßigen Rechte des Rekurrenten verletze, und er ist dabei zum Schlüsse gekommen, daß die ausnahmsweise schlimme ökonomische Lage der Ortschaft Giswyl die von der Regierung beschlossene Aufhebung von fünf Wirthschaften hinreichend rechtfertige, indem die Gefahr des ökonomischen Niederganges einer Ortschaft durch den Bestand einer großen Zahl von Wirthschaften, die lediglich auf den Konsum der Ortsbevölkerung angewiesen sind, wesentlich erhöht werde. (Siehe die Entscheidungsgründe des Bundesrathes in extenso im Bundesbl. 1891, I, 931.)

2) Durch Bundesrathsbeschluß vom nämlichen Tage in Sachen des J o h a n n Z u m s t e i n , Wirth zum ,,Rudenz" in G i s w y l (0 b w a l d e n), wobei die gleichen Erwägungen wie bei dem unter Ziff. l erwähnten Beschlüsse maßgebend waren.

3) Durch Bundesrathsbeschluß vom 21. April 1891 in Sachen des A n d r e a s S t u d i e r , Festhaltet in G i s w y l ( O b w a l d e n ) , im Wesentlichen auf den bei Ziff. l und 2 genannten Entscheidungsgründen beruhend.

4) Durch Bundesrathsbeschluß vom 27. Januar 1891 (Bundesbl.

1891, I, 211), von der Bundesversammlung bestätigt am 20. Juni 1891, in Sachen des A n t o n W a s m e r - I t e n in Z u g . Die Regierung des Kantons Zug hatte dem Bundesrathe die Kompetenz bestritten, die Beschwerde materiell zu würdigen, weil durch die Bundesverfassungsrevision von 1885 das Wirthschaftsgewerbe von der Handels- und Gewerbefreiheit ausgenommen und der Gesetzgebung der Kantone zurückgegeben worden sei. Die Bundesversammlung billigte den bundesräthlichen Standpunkt nicht blos in Hinsicht auf das Recht der materiellen Beurtheilung der Sache, sondern auch mit Bezug auf die Frage, ob Zug berechtigt sei, bei Verweigerung von Wirthschaftspatenten den § 6 seines Wirthschaftsgesetzes vom 11. Dezember 1882 anzuwenden, welcher lautet: ,,n Gemeinden, ,,wo bereits eine Ueberzahl von Wirthschaften besteht, kann aus ,,sittenpolizeilichen und volkswirthschaftlichen Gründen die Bewilligung neuer Wirthschaften verweigert werden."

Wie Sie wissen, haben wir diese Frage im Hinblick auf die
bekannten bundesgerichtlichen Entscheidungen aus dem Jahre 1889 (Band XV, Seite 157 ff.) verneint. (Vergl. unsern vorjährigen Geschäftsbericht im Bundesbl. 1891, II, 590 und 591.}

548 5) Durch Bundesrathsbeschluß vom 21. April 1891 in Sachen des F r i e d r i c h St r a h m , bisher Wirth zum ,,Frohsinn" in der Lugeten zu Malters, gegen einen Beschluß der Regierung des Kantons L u z e r n . Auch in diesem Falle erinnerte der Bundesrath die Kantonsregierung an die Bundesgerichtssprüche vom 2.- Februar und 30. März 1889 in Sachen Haury und Niederhäusern, welche es nicht wohl gestatten, eine Wirthschaftspatententziehung auf § 20 des luzernischen Wirthschaftsgesetzes vom 22. November 1883 zu stützen, der die Kantonsbehörde ermächtigt, die Ertheilung von Wirthschaftspatenten ,,wegen zu starker Vermehrung" der an einem Orte bestehenden Wirthschaften einzustellen. Der Bundesrath fragte sich daher, ob ohne Zugrundelegung jener seit 1874 nicht mehr in Kraft bestehenden und durch keinen neuen legislativen Akt seit 1885 ersetzten kantonalgesetzlichen Bestimmung die Schlußnahme der Luzerner Regierung aufrecht zu erhalten sei oder nicht, und er stellte fest, daß wirthschaftspolizeiliche Gründe vorhanden seien, die abgesehen von der Zahl der Wirtschaften das Eingehen der betreffenden Wirthschaft im öffentlichen Interesse als wünschbar erscheinen ließen. (Bundesbl. 1891, II, 351.)

6) Durch Bundesrathsbeschluß vom 23. April 1891 in Sachen des F r i e d r i c h K u l i , Pintenwirth in Lenzburg, gegen die Regierung des Kantons A a r g a u , betreffend Verweigerung eines Tavernenwirthschaftspatentes, wobei der Bundesrath wiederum in polizeilichen, diesmal in der Person des Patentbewerbers begründeten, Erwägungen die Rechtfertigung des Regierungsbeschlusses erblickte, dagegen konstatirte, daß nach Maßgabe der bundesgerichtlichen Judikatur der Kanton Aargau zur Zeit keine gesetzliche Grundlage besitze, auf welcher seine Behörden Patentbegehren wegen Mangels eines Bedürfnisses in Hinsicht auf Wirtschaften abweisen könnten.

(Bundesbl. 1891, II, 352.)

7) Durch Bundesrathsbeschluss vom 6. Juni 1891 in Sachen des K a r l J o s t , Bäcker und Negotiant im Bruchenbühl, Gemeinde Buchholterberg, gegen die Regierung des Kantons B e r n , betreffend Verweigerung eines Wirthschaftspatentes (Bundesbl. 1891, V, 534), vom Ständerathe am 23. Dezember 1891, vom National ratheè am 29. Januar 1892, bestätigt. Es wurde in den Erwägungen zu diesem Beschlüsse festgestellt, daß § 5 des bernischen Wirthschaftsgesetzes
vom 4.Maii 1879, welcher vorschreibt, daß die zu Wirthschaftenausersehenenn Lokale eine zweckmäßige, gesunde und von der Polizei leicht zu beaufsichtigende Lage haben sollen und daß sie insbesondere sich nicht in störender Nähe einer Kirche, eines Schulhauses, eines Spitals oder ähnlicher Anstalten befinden kraft steht.

549 8) Durch Bundesrathsbesehluß vom 30. Juni 1891 in Sachen des G r e g o r S t ä c h e l i n , Baumeister., von und in Basel, gegen die Regierung von B a s e l s t a d t , betreffend Patentverweigerung.

Im Gegensatz zu den Gesetzen von Luzern, Zug und Aargau hatte es der Bundesrath hier mit einem seit dem Inkrafttreten der Bundesrevision von 1885 erlassenen kantonalen Gesetze zu thun, und es wurde daher die Bestimmung des § 17 desselben als rechtswirksam anerkannt, während gleichlautende Beslirnmungen der Gesetze jener vorgenannten Kantone als nicht zu Recht bestehend betrachtet werden mußten.

Wir setzen die Erwägungen zu dem den Rekurs abweisenden Beschlüsse in Sachen Stächelin wörtlich hieher: 1. Die Regierung von Baselstadt stützt die Verweigerung der Wirthschaftsbewilligung auf das kantonale Wirthschaftsgesetz vom 19. Dezember 1887, und zwar auf § 17 desselben. Die Bestimmung des § 17 ermächtigt die baslerisehen Behörden, eine Wirthschaftsbewilligung zu verweigern, wenn das Entstehen oder die Weiterführung dem öffentlichen Interesse zuwider ist. Indem der baslerische Gesetzgeber den Schutz öffentlicher Interessen als maßgebenden Gesichlspunkt aufstellt, schließt er rein willkürliche Maßregeln der Administrativbehörden aus und stellt damit eine allgemein verbindliche Regel auf, wenn auch dieselbe sehr allgemein gehalten ist. Die Frage des Bedürfnisses liegt in derjenigen des öffentlichen Interesses eingeschlossen, da erfahrungsgemäß eine zu große Anzahl von Wirtschaften dem öffentlichen Wohle schädlich ist.

Das Gesetz von Baselstadt widerstreitet demnach dem Art. 31 der Bundesverfassung nicht.

2. Nach den thatsächlichen Angaben der Regierung von Baselstadt ist anzunehmen, daß sie die maßgebenden Verhältnisse richtig gewürdigt hat.

3. In Bezug auf den vom Rekurrenten angeführten Beschwerdegrund der ungleichen Behandlung vor dem Gesetze fällt von vornherein der Vorwurf dahin, der Regierungsrath habe die bestehenden Wirtschaften in unrichtiger Anwendung des Gesetzes gestattet.

Denn abgesehen von der Frage, ob der Regierungsrath in der That in dieser Beziehung das Gesetz unrichtig anwende, ist der Nachweis nicht erbracht, daß in bestimmten Fällen gleicher Beschaffenheit, wie der vorliegende, die baslerisehen Behörden das Fortbestehen einer allen Wirthschaft geduldet hätten.

Bezüglich der vom Rekurrenten angeführten Fälle, in welchen neue Wirthschaften bewilligt wurden, ist vom Regierungsrath dar-

550 gethan worden, daß bei allen besondere, beim Rekurrenten nicht zutreffende, der Patenterteilung günstige Verhältnisse obgewaltet haben.

9) Durch Bundesrathsbeschluß vom 3. Juli 1891 in Sachen des A l f r e d Sch w a n d e r - K o h l b r e n n e r in Allschwyl gegen die Regierung von B a s e 11 a n d , betreffend Nichterneuerung eines Wirthschaftspatentes.

Hier trifft die gleiche Bemerkung zu wie bei Nr. 8.

Die bundesräthlichen Erwägungen, aus welchen der Rekurs als unbegründet erklärt wurde, lauten : 1. Der Bundesrath beschränkt sich auf die Prüfung der Frage, ob die Schlußnahme der Regierung von Baselland, durch welche dem Rekurrenten das Wirthschaftspatent pro 1891 verweigert wurde, mit Art. 31 der Bundesverfassung im Widerspruch stehe oder nicht.

Was die Ausstellungen des Rekurrenten gegenüber dem Vorgehen der basellandschaftlichen Regierung in Betreff der Patentübertragung im Jahr 1890 anbelangt, so hat der Rekurrent unterlassen, diesfalls ein bestimmtes Begehren zu formuliren; es wäre übrigens der Bundesrath auch nicht in der Lage, ein bezügliches Begehren, das sich doch nicht auf den Grundsatz der Bundesverfassung stützen könnte, materiell zu beurtheilen.

2. Die Patentverweigerung pro 1891 ist in Anwendung des bundesrechtlich unanfechtbaren basellandschaftlichen Wirthschaftsgesetzes von 1889 erfolgt, dessen §11 folgenden Wortlaut hat: ,,§ 11. Aus Gründen des öffentlichen Wohles kann da, wo ,,das Bedürfniß einer Wirthschaft nicht nachweisbar ist, oder für ,,abgelegene Orte, die der polizeilichen Aufsicht nicht zugänglich ,,sind, die Ertheilung einer Wirthschaftsbewilligung verweigert ,,werden; ferner ist die Führung einer Wirthschaft in der Nähe ,,von staatlichen Anstalten, Kirchen, Schulen u. dgl. zu untersagen, ,,wenn der Wirthschaftsbetrieb für diese Anstalten eine störende Beeinträchtigung mit sich bringen würde."

Angesichts der unbestimmten Fassung dieser Gesetzesstelle hat der Bundesrath, wie dies in dem von ihm genehmigten Bericht des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 6. August 1889 (Bundesbl. 1891, I, 145 ff.) auseinandergesetzt ist, sich zu fragen, ob die Kantonsbehörde von derselben einen mit Art. 31 der Bundesverfassung vereinbarlichen Gebrauch gemacht habe.

3. In dieser Beziehung ist von vornherein klar, daß die Auffassung des Rekurrenten, als ob § 11 des citirten Gesetzes nur

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auf Wirtschaften angewendet werden dürfe, welche seit dessen Inkrafttreten patentirt wurden oder für welche seither die Patentirung zum ersten Male nachgesucht wird, auf Richtigkeit keinen Anspruch machen kann. Eine solche Ausnahmestellung der bestehenden Wirthschaften gegenüber der neuen durch die Bundesrevision von 1885 eingeleiteten Rechtsordnung käme einer verfassungswidrigen Privilegirung derselben gleich.

Dagegen ist zu untersuchen, ob die Regierung von Baselland die Patentverweigerung mit Rücksichten auf das öffentliche Wohl zu rechtfertigen vermag, die eine willkürliche oder die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze verletzende Behandlung des Rekurrentén ausschließen.

Diese Untersuchung ergibt, daß die Regierung die besondern Verhältnisse, in welchen sich die fragliche Wirthschaft in Allschwyl befindet, zutreffend gewürdigt hat.

Die Wirthschaft war während den vier letzten Monaten im Jahre 1890 nicht mehr betrieben worden; sie war thatsächlich eingegangen, und die Regierung konnte mit Recht sagen, daß sie vor dem Begehren der Patentirung einer neuen Wirthschaft stehe.

Aber auch abgesehen hievon war die Regierung im Interesse des öffentlichen Wohles vollkommen befugt, an einer Oertlichkeit, die 1U Stunde vom Dorfe Allschwyl entfernt ist und wo sich mit Inbegriff von drei Wirthshäusern kaum ein Dutzend Wohnhäuser befinden, eine Herabsetzung der Zahl der Wirthschaften eintreten zu lassen und dabei diejenige Wirthschaft nicht neuerdings zu bewilligen, welche thatsächlich bereits eingegangen war.

2. Ein im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenes staatliches Verbot der Herstellung gewisser gewerblicher Produkte widerstreitet nicht dem Art. 3i der Bundesverfassung.

2. G o t t f r i e d L ü t h i , Büchsenmacher in JJasle bei Burgdorf, wurde von der Polizeikammer des b e r n i s c h e n Obergerichts durch Urtheil vom 9. August 1890 wegen Fabrikation zerlegbarer Hinterlader-Schrotflinten der Widerhandlung gegen Art. l der bernischen Verordnung vom 4. März 1811, enthaltend das Verbot der .,,Steckengewehre*, schuldig erklärt. Er erblickte darin eine Verletzung der durch Art. 31 der Bundesverfassung gewährleisteten Gewerbefreiheit und erhob daher gegen das Strafurtheil beim Bundesrathe Beschwerde.

Der Bundesrath wies die Beschwerde als unbegründet ab, indem er die Rechtsbeständigkeit des fraglichen Verbotes vom bundesstaatsrechtlichen Standpunkte aus anerkannte, als einer im Interesse

552 der öffentlichen Sicherheit und zur Verhütung von Jagdfreveln erlassenen kantonalen Polizeiverordnung, unter Festhaltung des vom Bundesrathe bereits früher, insbesondere im Jahre 1878 in Ansehung eines urnerischen Verbotes der Ausstellung und des Verkaufes meuchlerischer Waffen, ausgesprochenen Satzes: ,,Wenn die Handels- und Gewerbefreiheit mit der öffentlichen Sicherheit collidirt, so ist letzterer das Vorrecht einzuräumen. a (Vergi. Bundesbl. 1879, U, 446.)

Unser Entscheid ist in extenso abgedruckt im Bundesbl. 1891, l, 301 ff.

3. Vereinbarkeit einer kantonalen Verordnung über Erhebung von Staatsgebühren für polizeiliche und fabrikpolizeiliche Bewilligungen mit Art. 3Ì der Bundesverfassung.

3. Die D i r e k t i o n d e r G o t t . h a r d b a h n in Luzern und die Bauunternehmer G. L e i t e n p e r g h e r in Gurtnellen und.

B u c h s er & Cie. in Wassen beschwerten sich durch Herrn Advokat Dr. Joh. Winkler in Luzern beim Bundesrathe unter Berufung auf Art. 31 der Bundesverfassung gegen die auf Grund einei1 kantonalen Verordnung vom 18. September 1890 von der Regierung von U r i erhobenen Forderungen für polizeiliche Bewilligungen.

(Der Regiebauleitung der Gotthardbahn wurden im letzten Quartal 1890 folgende Gebühren auferlegt: Fr. 100 für Sonntagsarbeiten; Fr. 50 für Waarentransporte an Sonntagen; Fr. 50 für Erstellung von fünf Dynamithütten ; Fr. 100 für Erstellung von zwei Hauptmagazinen und Fr. 10 für eine Dynamithütte, zusammen Fr. 310.

Für das Jahr 1891 setzte die Regierung die Gebühr wegen Lagerung von Sprengstoffen auf Fr. 1325, diejenige wegen Sonntagsarbeit auf Fr. 200, die ganze Staatsgebühr also auf Fr. 1525 fest. -- Den Herren G. Leitenpergher und Buchser & Cie. war im Januar 1891 für die Bewilligung der Sonntagsarbeit und der Erstellung von vier Dynarnithütten eine Staatsgebühr von je Fr. 310 gefordert worden.)

Der Bundesrath hat durch Beschluß vom 22. Mai 1891 die beiden Rekurse als unbegründet erklärt, unter Aufstellung gleichlautender Erwägungen, die für den Rekurs Leitenpergher im Bundesblatt 1891, II, 1022, abgedruckt sind.

553 4. Vereinbarkeit einer kantonalen Verordnung über Stellenvermittlung für Dienstboten und der behördlichen Festsetzung einer bestimmten Vermittlungsgebühr mit Art. Si der Bundesverfassung.

4:. Die Herren Martin S c h w e i z e r von und in Basel und Johann T a r n u t z e r von Schiers (Graubünden) in Basel beschwerten sich gegen die vom Polizeidepartement ausgegangene und vorn Regierungsrath des Kantons B a s e l s t a d t bestätigte Festsetzung des Betrages des ersten Wochenlohnes als Stellenvermittlungsgebühr für Dienstboten, indem sie für die Stellen von Portiers, Kellnern und Kellnerinnen, die viele Nebeneinnahmen durch Trinkgelder haben, eine höhere Gebühr berechnen zu dürfen verlangten und dabei auf Art. 31 der Bundesverfassung sieh beriefen.

Der Bundesrath wies den Rekurs am 25 August 1891 ab.

(S. den Wortlaut des Beschlusses im Bundesbl. 1891, IV, 310.)

J. Tarnutzer zog die Beschwerde an die Bundesversammlung.

Die beiden Räthe haben jedoch den Bundesrathsbeschluß am 22. Januar 1892 bestätigt.

5. Vereinbarkeit der Auflegung von Patenttaxen auf Aktiengesellschaften mit Art. 31 der Bundesverfassung.

5. Die Aktiengesellschaft ,, L ' A g e n c e de P u b l i c i t é H a a s e n s t e i n & Vogler" in Genf war für das Jahr 1891 bezüglich ihrer Filialen Lausanne und Montreux vom w a a d t l ä n d i s e h e n Fiskus in Anwendung des kantonalen Gesetzes vom 27. November 1878 mit Patenttaxen im Betrage von Fr. 500 und Fr. 100 (nebst je Fr. 6 Kanzlei- und Stempelgebühr) belegt worden.

Unter Berufung auf den Schlußsatz von Art. 31, litt, e, der Bundesverfassung beschwerte sich die Gesellschaft hiegegen beim Bundesrathe.

Der Bundesrath wies den Rekurs mit Beschluß vom 25. September 1891 ab. Er erblickte in einer die Aktiengesellschaft als solche treffenden Patenttaxe eine sogen. Kapitalsteuer und keine Besteuerung des Gewerbebetriebes, und stellte fest, daß die Beschwerdeführerin keine Anhaltspunkte dafür vorgebracht habe, daß sie durch die streitige Taxe in einer ihre Handels- und Gewerbefreiheit beeinträchtigenden Weise betroffen werde.

Der Beschluß ist in extenso abgedruckt im Bundesblatt 1891, IV, 459.

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t>. Unzuläßige Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit in Bezug auf die Herstellung und den Verkauf eines Mittels zur Bekämpfung einer Rebenkrankheit. -- Unzuläßige Monopolisirung eines Handelsartikels zu Gunsten der Apotheken.

6. Mit Eingabe vom 17. Juni 1891 hatte die K o n s u m g e n o s s e n s c h a f t von S i t t e n Beschwerde gegen zwei Beschlüsse des Staatsrathes des Kantons Wal lis vom 17. April 1889 und 8. Juni 1891 erhoben, durch welche ausschließlich die Apotheker ohne spezielle Ermächtiguug seitens des Departements des Innern des Kantons Wallis zum Verkauf des zur Bekämpfung des falschen Mehlthaues der Reben verwendeten Vitriols und der Azurinlösung berechtigt erklärt wurden, sowie darüber, daß ihr die Bewilligung zum Verkauf dieser Chemikalien verweigert wurde.

Die Regierung von Wallis stützt sich in ihrer Vernehrnlassung vom 10. Juli 1891 auf Art. 56 des kantonalen Gestmdheitspolizeigesetzes vom 24. November 1849, welcher lautet: ,,Die Zubereitung von ärztlichen Rezepten, sowie der Kleinverkauf von Heilmitteln, Droguen und giftigen oder gefährlichen Stoffen, sei es in rohem oder zubereitetem Zustande, darf nur in einer konzessionirten Apotheke stattfinden.* Vom Bundesrathe wurden am 23. Oktober 1891 folgende Erwägungen aufgestellt: Nach den amtlichen Erhebungen steht fest, daß die Piivatthätigkeit in Beäug auf den Verkauf des Kupfervitriols uud die Zubereitung und den Verkauf der Azurinlösung in keinem Kanton mit Weinbau treibender Bevölkerung beschränkt, be/.w. untersagt ist, wie dies infolge der Regierungsbeschlüsse vom 17. April 1889 und 8. Juni 1891 und der auf dieselben sich stützenden Départemental Verfügungen im Kauton Wallis der Fall ist.

Wenn auch da oder dort staatliche .Kontroivorschriften besiehen, so erweisen sich dieselben als Schutzbestimmungen, welche die Freiheit des Gewerbebetriebs in Bezug auf die in Frage stehenden Mittel Kur Bekämpfung der Rebenkrankheit nicht beeinträchtigen.

Es darf daher angenommen werden, daß die Handels- und Gewerbefreiheit im Kanton Wallis durch die kantonalbehördlichen Verfügungen in dieser Beziehung ohne Grund eingeschränkt, bezw.

aufgehoben worden ist.

Die angefochtene Vorschrift der Walliserbehörden stellt sich zudem als die Verleihung eines unzuläßigen Monopols an die Inhaber von Apotheken dar; denn sie verleiht einer Berufsart, der neben dem wissenschaftlichen auch ein gewerblicher Charakter

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eigne (vergl. Bundesrathsbeschlüsse vom 28. Juni 1881, Bundesbl.

1881, III, 671, und vom 29. November 1887, Bundesbl. 1888, II, 787 ; Bundesbeschluß vom 23. Dezember 1881 in Sachen des Apothekers Sauter gegen Zürich), in Bezug auf solche Handelsartikel ein Verkaufsvorrecht, für welche sieh dasselbe nicht wie für die Arzneimittel durch gesundheitspolizeiliche Rücksichten rechtfertigen läßt.

Die kantonale Vorschrift kann demzufolge vor Artikel 31 der Bundesverfassung nicht zu Recht bestehen.

Auf Grund dieser Erwägungen erklärte der Bundesrath, die angefochtenen Verfügungen der Walliserbehörden seien mit Artikel 31 der Bundesverfassung unvereinbar. Der Rekurs wurde demnach als begründet erklärt und der Staatsrath des Kantons Wallis eingeladen, auf seine diesfälligen Schlußnahmen zurückzukommen.

b. Niederlassungsrecht.

7. Durch Regierungsbeschluss vom 9. Januar 1888 wau. deiE l i s a E g l i von Egolzwyl, Kanton Luzern, im Kanton Uri die Niederlassung bewilligt worden. In der Niederlassungsbewilligung ist die Egli als ,,ledige Köchin" bezeichnet.

Es wurde nun von der Regierung, auf Antrag des Gemeinderathes von Flüelen die Ausweisung der Elisa Egli aus dem Gebiete des Kantons Uri verfügt, unter Berufung auf deren Lebenswandel und auf den Umstand, daß sie nicht mehr einen selbstständigen Be-.

ruf betreibe und deßhalb aus einer Niedergelassenen eine bloße Aufenthalterin geworden sei.

Gegen diese Verfügung beschwerte sich die Elisa Egli beim Bundesrathe, gestützt auf Art. 45 der Bundesverfassung.

. Der Bundesrath hat den Rekurs unterm 10. April 1891 aus folgenden Motiven als begründet erklärt : 1. Nachdem durch Regierungsbeschluß vom 9. Januar 1880 die Rekurrentin, obwohl ,,ledige Köchin", als Niedergelassene anerkannt worden ist, erklärt der Regierungsrath des Kantons Uri mit Unrecht, es könne der Art. 45 der Bundesverfassung auf die Rekurrentin darum keine Anwendung finden, weil sich seither deren Lehensverhältnisse geändert hätten. Die Rekurrentin ist nicht infolge solcher Aenderungen aus einer Niedergelassenen ein» Aulenthalterin geworden. Denn das in Art. 45 der Bundesverfassung jedem Schweizer garantirte Recht, sieh an irgend einem Orte des schweizerischen Gebiets ,,niederzulassen", hat keineswegs zur rechtlichen Voraussetzung eigenen Haushalt oder selbständige Berufsausübung.

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2. Wenn somit die Rekurrentin als eine Niedergelassene zu betrachten ist, so fragt es sich, ob die in Art. 45 der Bundesverfassung für den Entzug der Niederlassung festgestellten Voraussetzungen ihr gegenüber zutreffen. Diese Voraussetzungen sind im Rekursfalle nicht vorhanden.

Es darf als zweifelhaft bezeichnet werden, ob die nach dem Paternitätsgesetze des Kantons Uvi wegen Erzeugung eines außerehelichen Kindes der Klägerin sowohl als dem Schwängerer auferlegte Geldbuße von Fr. 30 als ,,gerichtliche Bestrafung wegen schweren Vergehens" im Sinne des Art. 45 der Bundesverfassung augesehen werden könne ; abgesehen hievon fehlt aber gänzlich der Nachweis w i e d e r h o l t e r gerichtlicher Bestrafung. Infolge dessen sind auch die Anbringen der Regierung von Uri hinsichtlich der sittlichen Aufführung der Rekurrentin von keiner rechtlichen Erheblichkeit.

8. J o s e f W e i b e l , Heizer, von Schongau, Kanton Luzern, und »R osa T e u f f er geb. Ruckli, von Eich, Kanton Luzern, wurden durch Verfügung des Stadlrathes von L u z e r n vom 5. Februar 1891, bestätigt durch Regierungsbeschluß vom I.April 1891, aus der Gemeinde Luzern weggewiesen. Ein Bericht der städtischen Polizeidirektion an den Stadlrath hatte festgestellt, daß die Genannten vom Statthalteramt Hochdorf am 8. Januar 1887 wegen Unzucht und Verletzung des öffentlichen Sittlichkwtsgefülils und vom Statthalteramte Sursee am 22. Oktober 1888 wegen Verletzung der Schamhafligkeit im ersten Rückfalle mit Strafe belegt worden waren.

Beide rekurrirten an den Bundesralh, wurden jedoch mit Beschluß vom 22. Juni 1891 abgewiesen.

Aus den Motiven sind die folgenden hier zu erwähnen : Art. 45, Alinea 3, der Bundesverfassung gestattet den Entzug der Niederlassung, wenn der Niedergelassene wegen ,,schwerer Vergehen" wiederholt gerichtlich bestraft worden ist. Diese Bestimmung trifft im vorliegenden Falle zu; denn die Rekurrenten sind bereits zweimal wegen Vergehen gegen die Sittlichkeit (Konkubinat und öffentlicher Verletzung der Schamhaftigkeit) bestraft worden.

Die genannten Vergehen sind als ,,schwere Vergehen" zu betrachten ; denn es kömmt nach bundesrechtlicher Praxis nicht darauf an, welche Bezeichnung denselben im kantonalen Strafrechte beigelegt wird, sondern ob dieselben eine Gefahr für die öffentliche Sittlichkeit in sich schließen oder nicht. (Vergi. Bundesbl.

1884, II, 739.) Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, sind

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die Vergehen der Rekurrenten zweifellos zu den ,,schweren11 zu rechnet).

Mit Uni-echt berufen sich die Rekurrenten darauf, die Strafen, welche sie nach § 43 des luzernischen Strafverfahrens erlitten haben, seien nicht als ,,gerichtliche" Strafen zu betrachten. Dadurch, daß der Beklagte sich dem Strafantrage des Statthalteramts unterzieht, verzichtet er allerdings darauf, vor Polizeigericht gestellt zu werden, und es findet somit ein Richterspruch im engern Sinne des Wortes nicht statt. Allein diese Art der Erledigung eines Strafprozesses muß deßhalb gleichwohl zu den ,,gerichtlichen"1 Erledigungen gerechnet werden, weil sie die g e s e t z m ä ß i g e Feststellung des aus einer strafbaren Handlung sich ergebenden staatlichen Strafanspruches bildet. Darum sagt auch § 43 ausdrücklich : ,,Die Abwandlung wird einem richterlichen Urtheile gleichgehalten.111 Es ist nicht einzusehen, warum der ,,Abwandlung" 1 ein anderer rechtlicher Charakter beigelegt werden sollte, als dem richterlichen Urtheile.

Allerdings sind die beiden gerichtlichen Bestrafungen erfolgt, bevor die Rekurrenten sich in der Stadtgemeinde Luzern, aus welcher sie ausgewiesen wurden, niedergelassen hatten, und es entspricht somit der vorliegende Fall der Regel nicht, daß von den wiederholten ,,schweren Vergehen11 wenigstens e i n e s am neuen Niederlassungsorte begangen sein müsse. Indessen ist bereits in der bundesrechtlichen Praxis festgestellt worden, daß Sinn und Konsequenz dieser Regel dahin gehen, es dürfen frühere Strafurtheile auch dann angerufen werden, wenn der Niedergelassene sich an seinem neuen Wohnorte des Niederlassungsrechtes durch polizeiwidriges Verhalten unwürdig erzeigt, indem er das alte Thun und Treiben, nicht aufgibt. (Vergi. Bundesbl. 1883, IV, 741 ; 1884, II, 741 ff.)

Im vorliegenden Falle war das Benehmen der Rekurrenten am neuen Wohnorte derart, daß gegen sie eine Reihe Polizeirapporte einliefen. Aus diesen und den Geständnissen der Rekurrenten ginj* hervor, daß dieselben der in Hochdorf und Sursee erhaltenen Strafen ungeachtet in Luzern wiederum zusammen wohnten und trotz ihres Versprechens und entgegen den ausdrücklichen Weisungen des Amtssfatthalteramtes noch längere Zeit ihr Zusammenleben fortsetzten.

9. Der infolge eines strafgerichtlichen Urtheils nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befindliche Peter Vogel in der Hirschmatt zu L u z e r n wendete sich gegen die Ausweisungsbeschlüsse duRegierung des Kantons L u z e r n vom 29. August 1890 und 8. Juli

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1891 an den Bundesrath, wobei sein Anwalt, Herr Dr. Vincenz Fischer in Luzern, u. A. geltend machte, der Bundesrath sei aus dem Gesichtspunkte der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze (Art. 4 der Bundesverfassung) verpflichtet, die Beschwerde des Rekurrenten gutzuheißen, weil in Luzern in vielen Fällen, wo die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Bedingungen des Niederlassungsentzuges vorhanden seien, die Ausweisung nicht verfügt werde.

Diesem Argumente gegenüber hat der Bundesrath in den Erwägungen zu seinem Beschlüsse vom 14. August 1891, durch welchen er den Rekurs abwies, ausgeführt, was folgt: Die Ansicht des rekurrentisehen Anwaltes, es stehe dem Bundesralhe zu und er sei verpflichtet, die angefochtenen Schlußnahmen der Kantonsbehörden deswegen aufzuheben, weil in Luzern Fälle vorkommen, in denen trotz dem Vorhandensein der verfassungsmäßigen und gesetzlichen Bedingungen des Niederlassungsenlzugs die Niederlassung nicht entzogen wird, ist unricl.tig. Der Bund schützt in Art. 45 der Bundesverfassung die Niederlassungsfreiheit und setzt genau fest, ob und wann die Kantone befugt seien, die Niederlassung einem Bürger zu verweigern oder zu entziehen. Im Uebrigen wird den Kantonen diesfalls vom Bunde nichts vorgeschrieben. Der Bundesrath hat daher in Rekursfällen nur zu untersuchen, ob durch eine kantonale Verfügung die Niederlassungsfreiheit verletzt sei. Dies ist offenbar dann nicht der Fall, wenn ein Kanton die Niederlassung solchen gewährt oder nicht entzieht, denen er sie verweigern oder entziehen könnte.

Nicht anders verhält es sich grundsätzlich in Bezug auf das Wirthschaftswesen. Auf diesem Gebiete schützt der Bund den Grundsatz der Gewerbefreiheit. Auch hier gestattet er den Kantonen, Beschränkungen, Ausnahmen eintreten zu lassen. Allein während die Bedingungen, unter welchen diese Beschränkungen eintreten dürfen, im Niederlassungsrechte vom Bunde positiv geregelt und deßhalb in jedem konkreten Falle leicht anwendbar sind, gestattet die Bundesverfassung den Kantonen, im Wirthschaftswesen auf dem Wege der Gesetzgebung diejenigen Beschränkungen der Gewerbefreiheit aufzustellen, welche das öffentliche Wohl fordert.

Diese allgemeine Ausdrucksweise nöthigt die Bundesbehörde zu einer eingehenden Prüfung der einschlägigen kantonalen Gesetzgebung und Rekurspraxis in jedem Spezialfalle und es
ist hiebei vom Buadesrathe allerdings wiederholt der Satz ausgesprochen und festgehalten worden, daß eine ungleiche Behandlung der Bürger bei gleichen thatsächlichen Verhältnissen dem Wesen der Gewerbefreiheit zuwiderlaufe und sich nicht durch die Rücksicht auf das öffentliche Wohl rechtfertigen lasse.

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Daher rührt die Verschiedenheit der bundesrechtlichen Praxis auf den Gebieten des Niederlassungs- und des Wirthschaftswesens, welche den rekurrentischen Anwalt zu seiner irrigen Ansicht geführt hat. Eine prinzipielle Verschiedenheit liegt darin nicht.

10. Die Eheleute J o h a n n Z i m m e r r n a n n und E l i s e geb. H u n z i k e r , von Egolzwyl, Kanton L u z e r n , wurden aus dem b e r n i s c h e n Kantonsgebiete ausgewiesen, nachdem ihnen zuvor die Niederlassung verweigert worden war.

Der Bundesrath wies unterm 4. August 1891 den Rekurs derselben ab, weil der Ehemann vom Obergericht des Kantons Luzern kriminell, wegen Raubes, verurtheilt und der bürgerlichen Rechte und Ehren verlustig erklärt worden war, und weil nach bundesrechtlicher Praxis die Ehefrauen hinsichtlich der Niederlassung das Schicksal ihrer Männer zu theilen haben, wenu nicht besondere Gründe dafür sprechen, ihnen individuell die Niederlassung getrennt vom Manne zu gestatten, im Rekursfalle aber den Berner Behörden nicht zugemuthet werden könne, eine wegen Kuppelei wiederholt bestrafte Frau, deren Ehemann ausgewiesen ist, in ihrem Gebiete zu dulden.

Der Bundesrath fügte bei: ,,Nachdem die Verweigerung der Niederlassung sich als bundesrechtlich begründet herausgestellt hat, fallt die Frage der Berechtigung des Ausweisungsbeschlusses der Berner Regierung nicht weiter in Betracht. Die Ausweisung ist nichts Anderes als die praktische Geltend machung der Niederlassungsverweigerung.11 11. F e r d i n a n d G e r m a n i , von Arco, Königreich I t a l i e n , Schriftsetzer in L a u s a n n e , wurde durch Verfügung des Präfekten des Bezirks Lausanne vom 10. September 1891 auf unbestimmte Zeit aus dem Gebiete des Kantons Waadt verwiesen, unter Bezugnahme darauf, daß er am 19. Juni 1891 vom Kriminalgericht (Jury) Lausanne wegen Veröffentlichung eines ehrverletzenden Artikels in seinem Zeitungsbatt ,,L'Italiano all'Estero14 gegen den waadtländischen Bürger Ernest Miauton in Montreux zu einer Geldbuße von Fr. 30 und am 25. August 1891 vom Polizeigericht Lausanne wegen Beschimpfung des Schwurgerichts Vevey und Verleumdung des waadtländischen Bürgers Chaudet zu einer Geldbuße von Fr. 60 verurtheilt worden war.

' Der Präfekt von Lausanne stützte sich bei seiner Verfügung auf eine Weisung des kantonalen Justiz- und Polizeidepartements
vom 5. November 1889, dahingehend, daß Ausländer, die im Kanton gerichtlich bestraft worden sind, von den Präfekten ausgewiesen werden sollen, selbst wenn das Urtheil ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte nicht entzieht.

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Das waadtländlische Gesetz vom 25. Mai 1867 gestattet in Art. 39, § 6, die Rücknahme einer Niederlassungsbewilligung gegenüber einem Fremden, der eine Verurtheilung wegen einervonu den Strafgesetzen verpönten Handlung erlitten hat.

Gestützt auf diese Bestimmung und auf Art. 2 des Niederlassungsvertrages vom 22. Juli 1868 zwischen der Schweiz und Italien, nach welchem die Bürger der Vertragsstaaten durch gesetzliche Polizeimaßnahmen weggewiesen werden können, sowie im Hinblick auf das italienische Gesetz vom 30. Juni 1889 über die öffentliche Sicherheit, das bestimmt, daß ein gerichtlich verurtheiller Ausländer fortgewiesen werden kann, hat der Staatsrath des Kantons Waadt durch Schlußnahme vom 27. September 1891 den Rekurs des Germani gegen die Verfügung des Präfekten von Lausanne abgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 30. September 1891 rekurrirte Germani gegen den Regierungsbeschiß an den Bundesrath. Von diesem wurde am 16. Oktober 1891 der Rekurs als unbegründet abgewiesen, aus folgenden Erwägungen : Der Bundesrath hat sich im Rekursfalle blos zu fragen, ob durch den Regierungsbeschluss vom 27. September 1891 zürn Nachtheil des Rekurrenten, eines italienischen Staatsbürgers, die Bestimmungen des zwischen der Schweiz und Italien zu Recht bestehendenNiederlassungsvertrags vom 22. Juli 1868 verletzt worden sind.

Diese Frage ist zu verneinen. Gemäß Art. 2 des allegirten Staatsvertrages können die Bürger des einen Staates aus dem Gebiete des andern weggewiesen werden, wenn sie dessen Strafgesetze oder Polizeivorschriften übertreten. Nachdem der Rekurrent im Kanton Waadt vom Kriminalgericht und vom Polizeigericht wegen Verleumdung und Beschimpfung von Privatpersonen und Behörden verurtheilt worden ist, waren die Kantonsbehörden befugt, von dem vertragsmäßigen Rechte der Kantonsverweisung Gebrauch zu machen.

Der Bundesrath anerkennt daher, daß die Kantonsregierung innerhalb der Grenzen ihrer Kompetenz gehandelt hat.

c. Konfessionelle Verhältnisse.

12. Durch Schlußnahme vom 21. April 1891 hat der Bundesrath dem Begehren von A b e l R o s s e t und Genossen in Saxon, Kauton W a 11 i s, es mögen ihre Kinder von dem Lernen des Katechismus und der biblischen Geschichte in der öffentlichen Primarschule in Saxon befreit werden, da diese Bücher für den Unter-

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rieht werthlos seien und der von dea Behörden diesfalls wider sie, als Vertreter der Kinder, geübte Zwang gegen Art. 49 der Bundesverfassung verstoße, insoweit entsprochen, als der betreffende Religionsunterricht auf die Gebete, die Religionsübungen und den Katechismus sich bezieht (pratique et théorie de la religion).

Der bundesräthliche Entscheid ist in extenso veröffentlicht worden im Bundesblatte 1891, II, 340 ff.

13. In Anlehnung an die Entscheidungsgründe im Bundesrathsbeschlusse vom 27. September 1887 in Sachen der Elisabeth Python gegen die Behörden des Kantons Freiburg (Bundesbl. 1887, IV, 158) hat der Bundesrath am 10. November 1891 den Rekurs des F. G a ß m a n n , Fabrikaufseher in der Kammgarnspinnerei Bürglen, gegen die Behörden des Kantons T h u r g a u , betreffend eine Strafverfügung der katholischen Kirchenbehörden wegen unregelmäßigen Besuches des Religionsunterrichtes seitens der im Unterrichtspflichtigen Alter stehenden Tochter des Rekurrenten, abgewiesen.

Der Beschluß findet sich im Bundesblatte 1891, V, 381 ff., abgedruckt.

14. Unter dem gleichen Gesichtspunkte ist der Entscheid des Bundesrathes in der Rekurssache des P e t e r I s l e r von Wohlen, Kauton A a r g a u , gegen einen Strafbefehl des Gerichtspräsidenten von Bremgarten gefaßt worden.

Die Erwägungen wurden im Budnesblatte 1891, V, 557, veröffentlicht.

15. Durch Bundesrathsbeschluß vom 17. März 1890 (Bundesbl.

1890, I, 639) war erkannt worden, dass die israelitische Schlachtmethode des S c h ä c h t e n s als eine gottesdienstliche ( r i t u e l l e ) Handlung auf den Rechtsschute des Bundes gemäß Art. 50, Abs. l, der Bundesverfassung Anspruch habe, sofern zur Vermeidung von Thierquälerei bei der Vorbereitung und Ausführung des Schächtaktes eine Reihe von (im Beschlüsse angeführten) Vorsichts- und Schutzmaßregeln getroffen werden.

Gegen diesen. Beschluß ergriffen die Regierung des Kantons B e r n für sich und die Regierung des Kantons A a r g a u aus Auftrag des dortigen Großen Rathes den Rekurs an die Bundesversammlung.

Durch Bundesbeschluß vom 18. Dezember 1891 wurde der bundesräthliche Beschluß bestätigt, d. h. der dagegen erhobene Rekurs abgewiesen.

ge Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. il.

37

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d. Wahlen und Abstimmungen.

16. Durch Beschluß vom 21. Februar 1891 (Bundesbl. 1891, I, 357) hat sich der Bundesrath, trotz der Einrede des Regierungsrathes von L u z e r n , in Anwendung des Art. 102, Ziff. 3, der Bundesverfassung und des Art. 59, Ziff. 9, des Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege ohne Weiteres als kompetent erachtet, eine Beschwerde der liberalen Minorität des Großen Käthes und des liberalen Centralkomite's des Kantons Luzern materiell zu beurtheilen, welche einen Großrathsbeschluß betreffend A n s e t z u n g d e r V o l k s a b s t i m m u n g über d i e Frage d e r Totalrevision der Kantonsverfassung auf Sonntag, 15. März 1891, als verfassungswidrig anfocht. Der Bundesrath fand, daß der 15. März dem Zeitpunkte, in welchem verfassungsgemäß die Abstimmung hätte stattfinden sollen, am näthsten liege, und daß dem Rekurse keine Folge mehr gegeben werden könne.

17. Unterm 10. März 1891 beurtheilte der Bundesrath (Bundesbl. 1891, I, 493) eine Beschwerde des kantonalen liberalen Komite's von Zug und des zugerischen Wirthevereins, betreffend die nach der Ansicht der Rekurrenten verfassungswidrige Behandlung eines kantonalen I n i t i a t i v b e g e h r e n s durch die Behörden des Kantons Z u g , insbesondere betreffend die Ansetzung der bezüglichen Volksabstimmung auf Sonntag, 15. März 1891.

Auf die Rekursbegehren wurde zum Theil nicht eingetreten, zum Theil wurden dieselben als unbegründet abgewiesen.

18. Im Berichtsjahre hat der Bundesrath die infolge der T essi n er Ereignisse der Jahre 1889 und 1890 unerledigt gelassenen R e k u r s e betreffend die Gemeinderathswahlen von Locamo vom 1. Mai 1887 und die Grossrathswahlen vom 3. März 1889 behandelt.

Wir verweisen auf die in extenso im Bundesblatt veröffentlichten und überdies den Mitgliedern der Bundesversammlung in besonderer Broschüre zugestellten Entscheidungen.

Gegen zwei Entscheidungen langten Rekurserklärungen an die Bundesversammlung ein. Gegen den Bundesrathsbeschluß vom 30. Juni 1891 betreffend die Großrathswahlen im Kreise Osogna beschwerte sich Advokat T o m m a s o P a g n a m e n t a , nebst Konsorten, in Bellinzona; gegen den Beschluß des Bundesrathes vom 18. Juni 1891 betreffend die Großrathswahlen im Kreise San Nazzaro beschwerte sich C l a u d i o C a t t o r i in Gordola.

Ueber beide
Beschwerden hat der Bundesrath Ihnen, unterm 27. und 30. Oktober 1891, Bericht und Antrag auf Abweisung eingebracht. Ihre Entscheidung steht noch aus. (Tergi. Bundesbl.

1891, IV, 677 und 686.)

563 19. Ebenso hatte sich der Bundesrath im Jahre 1891 in einer Reihe von Fällen mit S t i m m r e c h t s b e s c h w e r d e n von Tessiner Bürgern anläßlich der Bildung der kantonalen Stimmregister für die Ver f a s s u n g s r a t h s w a h l e n vom 11. Januar 1891 und für die V e r f a s s u n g s r e v i s i o n s a b s t i m m u n g vom 8. März 1891 zu befassen. Wir verweisen auch diesfalls auf die im Bundesblatte publizirten Entscheidungen.

20. Gleichsam als Nachläufer zur E i d g e n ö s s i s c h e n I n t e r v e n t i o n von 1889 wurde vom Staatsrathe des Kantons Tessin der sogenannte K o m p e t e n z k o n f l i k t zwischen dieser Behörde und dem Bundesrathe, betreffend die Erledigung der Stimmrechtsbeschwerden, die sich auf die Großrathswahlen vom 3. März 1889 beziehen, mit Schriftsatz vom 28./3U. September 1891 beim Bundessi'erichte wieder aufgenommen. (Siehe den vorjährigen Geschäftsbericht im Bundesblatt 1891, II, 608.)

Wir sandten dem Bundesgerichte am 21. Oktober unsei-e Antwortbemerkungen ein, unter Erneuerung des Antrages, dasselbe möge die Begehren des Staatsrathes wegen Inkompetenz abweisen.

(Bundesbl. 1891, IV, 691.)

Auf die Replik des Staatsrathes folgte am 9. Dezember 1891 unsererseits eine kurze Duplik. (Bundesbl. 1891, V, 754.)

Der Entscheid des Buudesgeriohtes ist noch nicht erfolgt.

21. Die Eidgenössische I n t e r v e n t i o n im K a n t o n T e s s i n von 1890 wurde vom Bundesrathe durch Beschluß vom 3. April 1891 als beendigt erklärt. Dieser Beschluß ist Ihnen am gleichen Tage zur Kenntniß gebracht worden, da Sie eben zur Fortsetzung der Wintersession von 1890 in der Bundesstadt versammelt waren.

Wir erstatteten unsern abschließlichen Bericht betreffend die Tessiner Angelegenheiten in der Botschaft an die Bundesversammlung vorn 20. Juni 1891, die mit dem Antrage auf Genehmigung der vom Bundesrathe in Bezug auf die Tessiner Angelegenheiten getroffenen Maßnahmen schließt. (Bundesbl. 1891, III, 627.) Die Bundesversammlung hat diesem Antrage durch Beschluß vom 14./18. Dezember 1891 zugestimmt.

Ueber den Abschluß des S t r a f g e r i c h t l i e h e n Verfahrens, das sich an die Interventionen von 1889 und 1890 schloß, berichten wir unter dem Titel ,,Bundesstrafrechtu.

Hier haben wir noch zu erwähnen, daß wir mit Botschaft vom 15. Dezember 1891 (Bundesbl. 1891, V, 785) auf das Gesuch des tessinischen Staatsrathes vom 27. November 1891 der Bundes-

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Versammlung beantragt haben, dem Kanton Tessin die Bezahlung der dem Bunde aus den eidgenössischen Interventionen von 1889 und 1890 erwachsenen K o s t e n zu e r l a s s e n .

Ueber diesen Antrag hat die Bundesversammlung bis jetzt noch nicht Beschluß gefaßt.

22. In dem Bundesrathsbeschlusse vom 11. September 1891 betreffend die politische Stimmberechtigung der L u z e r n e r Bürger Bernhard B a r m e t und Leonz G e i ß e l e r in U d l i g e n s c h w y l , Kanton Luzern (Bundesbl. 1891, IV, 395), wurde neuerdings an dem Kompetenzanspruche festgehalten, Stimmrechtsfragen nich blos anläßlich der Prüfung eines Wahl- oder Abstimmungsergebnisses, sondern auch für sich allein betrachtet zu entscheiden, und dafür wiederum das Motiv des innern Zusammenhanges zwischen dem Stimmrecht des einzelnen Bürgers und der Gültigkeit eines Wahloder Abstimmungsaktes geltend gemacht.

O O O Die in materieller Beziehung ausschlaggebenden Motive des Bundesrathsbeschlusses sehe man a. a. 0. im Bundesblatte.

23. In seinem Beschlüsse vom 17. November 1891 hinwieder, über den Rekurs der Herren L. H ä f l i g e r und Streitgenossen von T r i e n g e n und W i n i k o n gegen den Großen Rath des Kantons L u z e r n , betreffend eine Großrathswahlverhandlung vom 24. Mai 1891, im Wahlkreise Triengen, hat der Bundesrath sich zwar, wie schon wiederholt früher, für kompetent erklärt, auch über Beschwerden zu urtheilen, durch die gegenüber den Kantonsbehörden die G ü l t i g k e i t einer kantonalen Wahl oder Abstimmung behauptet wird, allein in der Sache selbst gefunden, daß lediglich Fragen der Auslegung und Anwendung; kantonalgesetzlicher Bestimmungen vorliegen und von einer Verletzung bundesrechtlicher oder kantonalverfassungsrechtlicher Grundsätze, wie z. B. der Rechtsgleichheit der Bürger (Art. 4 der Bundesverfassung und § 4 der Kantonsverfassung), nicht die Rede sei. (Bundesbl. 1891, V, 540.)

Der gegen den Bundesrathsbeschluß erklärte Rekurs an die Bundesversammlung wurde im Januar 1892 zurückgezogen.

24. Durch Beschlüsse vom 16. Januar 1892 hat der Bundesrath Stimmrechts- und Wahlbeschwerden aus den l u z e r n i s c h e n Gemeinden S c h w a r z e n b e r g , A l t w i s und N e u e n k i r c h , betreffend die Gemeinderathserneuerungwählen vom Juni 1891, erledigt. Er hatte dabei hauptsächlich Wohnsitzfragen auf
Grund des § 27 der luzernischen Staatsverfassung zu untersuchen.

25. Mit Schreiben vom 26. September 1891 richtete das S c h w e i z e r i s c h e B u n d e s g e r i c h t an den Bundesrath die

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Frage, ob er auf der in mehreren Entscheidungen der politischen Bundesbehörden bethätigten Auslegung des Art. 59, Ziffer 9, des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege beharre, wonach der Bundesrath, bezw. die Bundesversammlung nicht blos Beschwerden betreffend ,, k a n t o n a l e " Wahlen und Abstimmungen, die für den ganzen Kanton getroffen werden, zu beurtheilen hat, sondera auch Besehwerden betreffend Bezirks- und G-etneindewahlen und -Abstimmungen.

Das Bundesgericht hatte im Jahre 1891 in wiederholten Fällen sich dahin ausgesprochen, der Ausdruck ,,kantonal" in der allegirten Bestimmung des Organisationsgesetzes beziehe sich nur auf Wahlen und Abstimmungen, die den Kanton als Einheit, als Ganzes, betreffen, von der Ansicht ausgehend, daß nur Beschwerden ..betreffend Verhandlungen dieser Art, ihrer eminent politischen Bedeutung wegen, der Kompetenz des Bundesgerichts entzogen und den politischen Behörden vorbehalten werden wollten.

Der Bundesrath erwiderte dem Bundesgerichte am 23. Oktober 1891 in längerer Auseinandersetzung, indem er aus den positiven Erklärungen des Gesetzgebers (Botschaft zum Organisationsgesetzen twurfe vom 23. Mai 1874), aus der Natur der Sache und der langjährigen Praxis der Bundesbehörden den zwingenden Schluß zog, daß der Kompetenzansprueh des Bundesgerichts ein unbegründeter sei, indem derselbe weder im Wortlaut des Gesetzes, noch in Sinn und Geist desselben (ratio iegis), noch in der bisherigen bundesrechtlichen Praxis eine Stütze finde.

-jüas Gesetz unterscheidet nicht zwischen Kantons-, Bezirksund Gemeindewahlen.... Auf eine jede dieser Unterarten von kantonalen Wahlen und Abstimmungen beziehen sich Grundsätze und Vorschriften der Kantonsverfassungen. Art. 59, Ziffer 9, des Organisationsgesetzes s t e l l t [die k a n t o n a l e n W a h l e n u n d A b s t i m m u n g e n in Gegensatz zu den eidgenössischen."

.... ,,Nicht der Umstand, daß eine Wahl für das ganze Kantonsgebiet oder nur für einen Theil desselben gilt, verleiht ihr und demnach) einer sie betreffenden Beschwerde einen politischen Charakter, sondern die Attribute der zu wählenden Behörde, die Natur der Funktionen, welche mit der zu besetzenden Stelle verbunden sind, und die den Wahlakt begleitenden äußeren Vorgänge sind es, die den politischen Charakter der Frage bedingen.tt ,,Auch die
bisherige Praxis des Bundesrath.es kann der Auffassung des Bundesgerichtes nicht als Stutze dienen ; denn die politischen Bundesbehörden haben stets mit voller Unzweideutigkeit ihre Zuständigkeit, über Beschwerden betreffend die Gültigkeit von

566 Bezirks- und Gemeindewahl en zu urtheilen, behauptet und sie haben ihre Kompetenz auch dann angenommen, wenn es sich um Wahlen in nicht politische Behörden handelte."

,,Die vom Bundesgericht befürwortete Kompetensausscheidung würde überdies zu unlösbaren praktischen Schwierigkeiten führen"' ...

Der Bundesrath fügte bei, daß eine Scheidung der Kompetenzen nach der innern Natur der Rekurssachen viel zweckmäßiger wäre, als ein solcher Dualismus; er fand jedoch, daß sich auch diese Scheidung in gewissen Fällen als undurchführbar erweisen würde, wobei dann doch nach dem Prinzip der Einheit der Rechtsprechung der Entscheid nur von e i n e r Behörde ausgehen könnte.

Das Bundesgericht hat sich hierauf der Auffassung des Bundesrathes angeschlossen, indem es in motivirter Entscheidung vom 14. November 1891 auf eine Beschwerde betreffend die Wahl des Bezirksgerichtspräsidenten von Zofingen wegen Inkompetenz nicht eingetreten ist.

B. Polizeiverwaltung.

I. Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten.

1. Noch niemals haben die Auslieferungsangelegenheiten eine so hohe Zahl erreicht wie im Jahr 1891; ein einziges Mal, im Jahr 1875, haben sie bisher die Zahl 300 übersehritten (302), das Jahr 1891 dagegen weist im Ganzen 352 (1890: 288, 1889: 243) Fälle auf. Davon sind 134 (1890: 108, 1889: 97) von der Schweiz im Ausland und 218 (1890: 180, 1889: 146) von auswärtigen Staaten bei der Schweiz anhängig gemacht worden. Die Auslieferungsbegehren des Auslands bei der Schweiz vertheileo sich folgendermaßen auf die einzelnen Staaten : Deutschland 99 Frankreich 59 Italien 44 Oesterreich 9 Belgien 3 Außerdem haben Rußland, die Niederlande, Luxemburg und die Vereinigten Staaten von, Amerika je l Begehren gestellt.

567

Von diesen Begehreu konnten 162 bewilligt werden ; in 32 Fällen blieben die Nachforschungen nach den Verfolgten resultatlos; 3 Auslieferungen wurden verweigert; 12 Begehren wurden zurückgezogen; 9 Fälle waren am Jahresschluß noch nicht erledigt.

Von den Auslieferungsbegehren der Schweiz beim Ausland gingen an Frankreich 70 Deutschland 32 Großbritannien 9 Oesterreich 8 Belgien 6 Italien 5 Niederlande 3 Spanien l Von diesen Begehren hatten 70 die Bewilligung der Auslieferung zur Folge; in 20 Fällen blieben die Verfolgten unentdeckt; 20 Begehren wurden zurückgezogen; 24 Fälle sind noch pendent.

2. Die 10 Fälle, in denen die Verfolgten gegen die Bewilligung ihrer Auslieferung Einsprach erhoben, weil sie die i h n e n zur Last gelegten Hand l ungen nicht begangen hätten, sind, der bisherigen Praxis folgend, ohne Ueberweisung au das Bundesgericht erledigt worden. Dagegen wurden in 8 Fällen w i r k l i c h e E i n s p r a c h e n gegen d i e A n w e n d b a r k e i t der A u s l i e f e r u n g s v e r t r ä g e erhoben, so daß gemäß Art. 58 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege der Entscheid des Bundesgerichts angerufen werden mußte. Verweigert wurden 2 dieser Auslieferungen (Malatesta, vgl. B. d. B. G.

XVII, S. 450, und Stöeklin). Bemerkenswert!! sind die Urtheile in Sachen Cini und Livi-aghi (E. d. B. G. XVII, S. 75 und 230), wodurch die Auslieferung an Italien wegen Verbrechen bewilligt wurde, die in Kairo und Massaua begangen worden waren, sowie die Auslieferung des Schweizerbürgers Piguet an die Vereinigten Staaten von Amerika mit Urtheil vorn 6. März 1891 (E. d. B. G.

XVII, S. 85).

Bin Auslieferungsbegehren der französischen Hotschaft ist durch den Bundesrath abgelehnt worden, weil er die Auslieferung des Verfolgten schon den deutschen Behörden zugestanden hatte.

3. Es sind wiederum eine Anzahl von Fällen vorgekommen, in denen Personen, deren Auslieferung wegen gemeiner Delikte begehrt wurde, sich in ihrer Heimat auch der F a h n e n f l u c h t oder der M i l i t ä r p f l i c h t v e r s ä u m n i ß schuldig gemacht hatten ; so sah sieh der Bundesrath veranlaßt, bei der Bewilligung der

568 Auslieferung dreier Franzosen, zweier Deutschen und eines Oesterreichers vorzubehalten, daß sie wegen der rein militärischen Delikte weder verfolgt noch bestraft werden dürfen.

Einer der Franzosen, die unter diesem Vorbehalt ausgeliefert wurden, hat sich nachträglich mit seiner Bestrafung wegen Desertion einverstanden erklärt; da die französische Botschaft für diese Thatsache eine formelle Bescheinigung beibrachte, so stand mit Rücksicht auf Art. 8, Abs. 2, des Auslieferungsvertrags zwischen der Schweiz und Frankreich vom 9. Juli 1869 dieser Bestrafung vertraglich nichts mehr entgegen.

O O ö Bin Deutscher, dessen Auslieferung von der österreichischen Regierung wegen Diebstahls verlangt wurde, erhob zwar keinen Einspruch gegen seine Auslieferung, sprach aber dieBefürchtung aus, er könnte in Oesterreich auch wegen p o l i t i s c h e r V e r g e h e n verfolgt werden ; wir haben nicht angestanden, auf Grund von Art. 11 des Vertrags zwischen der Schweiz und Oesterreich-Ungarn vom 17. Juli 1855 der Auslieferungsbewilligung den Vorbehalt beizufügen, daß der Auszuliefernde in Oesterreich wegen politicher Vergehen weder verfolgtnoch bestraftt werde.

4:. Ueber die O r t e an der s c h w e i z e r i s c h - d e u t s c h e n G r e n z e , an denen gegenseitig A u s - und Durchlieferungst r a n s p o r t e angenommen werden, ist von der deutschen Regierung auf Grund einer Korrespondenz mit dem Bundesrath aus dem Jahr 1889 eine Z u s a m m e n s t e l l u n g ausgearbeitet worden, worin außer den Uebernahmeorten und den zuständigen Behörden auf deutscher Seite auch die entsprechenden schweizerischen Grenzorte und Amtsstellen enthalten sind. Dieses Verzeichniß ist im Bundesblatt (1891, I, 220 ff.) veröffentlicht und überdies den Regierungen der betheiligten Kantone Baselstadt, Aargau, Zürich, Schaffhausen, Thurgau und St. Gallen zugestellt worden.

Eine Anregung der f r a n z ö s i s c h e n B o t s c h a f t , alle von den Genfer Behörden auszuliefernden oder aus dem Kanton G e n f auszuweisenden Personen möchten in Zukunft nach St. J u l i e n verbracht werden, ist ohne weitere Folge geblieben ; es ergab sieh nämlich, daß schon bisher die Auszuliefernden den französischen Behörden immer in St. Julien übergeben worden sind und daß mit Rücksicht auf die Ausweisungen eine Aenderung des üblichen Verfahrens
sich nicht empfiehlt.

Endlich ist hier noch zu erwähnen, daß die n i e d e r l ä n d i s c h e R e g i e r u n g nach einer Mittheilung ihres Generalkonsulats in Bern mit dem d e u t s c h e n R e i c h ein Abkommen getroffen hat, wonach a u s H o l l a n d n a c h d e r S c h w e i z a u s z u l i e -

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f e r n d e Personen in der Regel über deutsches Gebiet transportirt und von den preußischen Behörden in Kaldenkirchen übernommen werden sollen.

5. Zweimal sind wir in die Lage gekommen, Deutsche, die in der Schweiz Strafen zu verbüßen hatten, zugleich aber in Deutschland strafrechtlich verfolgt wurden, p r o v i s o r i s c h a u s z u l i e f e r n unter dem Vorbehalt, deiß sie nach ihrer Beurtheilung sogleich wieder zurückgeliefert werden sollten. Als Voraussetzung für die provisorische Auslieferung halten wir daran fest, daß die definitive Auslieferung grundsätzlich verlangt und bewilligt worden ist; beide Begehren können selbstverständlich in einem Gesuche verbunden werden.

In einem der Fälle von provisorischer Auslieferung (Straßer) hat die Berner Regierung nachträglich auf die Rücklieferung verzichtet, weil der provisorisch Ausgelieferte, der im Kanton Berneine vierjährige Zuchthausstrafe zu verbüßen hatte, in Deutschland zum Tode verurtheilt und zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt worden war.

6. Ein gewisser P o m i n a, dessen Auslieferung von der i t a l i e n i s c h e n G e s a n d t s c h a f t wegen Mords verlangt worden und der im Kanton Te.ssin verhaftet war, hatte in seine Auslieferung eingewilligt; es war jedoch die Vermuthung aufgetaucht, er könnte Sch w eizerbürger sein. Trotz seiner Zustimmung konnten wir den Verfolgten unter diesen Umständen nicht ohne Weiteres ausliefern, sondern mußten uns zunächst Gewißheit darüber verschaffen, welcher Nationalität Pomina angehöre; denn wenn er wirklich als Schweizerbürger anzuerkennen war, so durfte seine Auslieferung ungeachtet seiner Zustimmung nicht stattfinden. Im Auslieferungsvertrage zwischen der Schweiz und Italien vom 22.,Juli 1868 ist zwar die Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen nicht geradezu ausgeschlossen (Art. 5), allein es ist doch längst als Grundsatz des schweizerischen Staatsrechts festgestellt, daß ein Schweizer ohne ausdrückliche Vertragsverpflichtung nicht ausgeliefert werden darf.

Die Erhebungen ergaben, daß Pomina das Schweizerbürgerrecht nicht besitzt, so daß seine Auslieferung ohne Bedenken bewilligt werden konnte.

Bei dieser Gelegenheit mag bemerkt werden, daß eine P f l i c h t , S c h w e i z e r b ü r g e r a u s z u l i e f e r n , für die Eidgenossenschaft einzig nach dem Vertrag mit den V e
r e i n i g t e n S t a a t e n von A m e r i k a (Art. XIII ff. des allgemeinen Vertrages vom 25. November 1850, A. 8. V, 201) besteht. Der Auslieferungsvertrag mit G r o ß b r i t a n n i e n vom 26. November 1880 verpflichtet nur die englischen

570

Behörden zur Auslieferung britischer Unterthanen, schließt dagegen die Auslieferung von Schweizerbürgern durch die Eidgenossenschaft aus. Im Vertrag mit I t a l i e n [Art. V) erscheint die Auslieferung eigener Staatsangehöriger in das Belieben der Vertragsstaaten gestellt (A. S. IX, 732), praktisch wird jedoch im Verkehr zwischen dem Bundesrath und der italienischen Regierung, sobald es sich um Angehörige des Zufluchtstaates handelt, niemals die Auslieferung, sondern stets die Uebernahme der strafrechtlichen Verfolgung am Gerichtstand der Heimat beantragt. In allen übrigen Auslieferungsverträgen der Schweiz ist die Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen gegenseitig ausdrücklich ausgeschlossen.

7. Das Gesuch der Z ü r c h e r R e g i e r u n g , bei F r a n k r e i c h die Auslieferung einer B e r t h a H o l d zu verlangen, die in Zürich ihren Vater bestohlen hatte und nach Paris geflohen war, mußten wir ablehnen, weil gemäß Schlußsatz von Art. 1 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich vom 9. Juli 1869 die Handlung, wofür die Auslieferung verlangt wird, auch im Zufluchtstaate mit Strafe bedroht sein muß, der Diebstahl eines Kindes zum Nachtheil seines Vaters aber nach dem Code pénal, Art. 380, nicht eine Strafklage, sondern nur einen Civilanspruch begründet.

8. Der vom letzten Jahr pendent gebliebene Fall, in dem wir die strafrechtliche V e r f o l g u n g eines I t a l i e n e r s in seiner Heimat wegen eines in der Schweiz von ihm begangenen Delikts bei der italienischen Regierung nachgesucht hatten, ist durch Verurtheilung des Angeschuldigten erledigt worden. Von den beiden neuen Gesuchen dieser Art (4 Personen betreffend), die wir im Jahr 1891 an die italienische Regierung gerichtet haben, ist noch keines erledigt.

Dagegen wurden in Frankreich auf unser Gesuch 3 Personen wegen Verbrechen bestraft, die sie in der Schweiz begangen hatten ; ein vierter Fall ist noch hängig.

Auch die b e l g i s c h e Regierung ordnete auf unser Begehren hin die strafrechtliche Verfolgung eines Belgiers an, der in der Schweiz wegen Betrügereien angeklagt war; das Verfahren führte jedoch zu einer Sistirungsverfügung.

Ein D e u t s e h e r wurde vom Gerichte seines letzten Wohnorts in Deutschland auf unser Gesuch hin verurtheilt.

9. Unter den uns eingereichten G e s u c h e n um s t r a f r e c h t l i c h e V e r f o l g u n g v o n S c h w e i z e r n a m Gerichtstand ihrer

571

Heimat befanden sich zwei aus Italien und je eines aus Deutschland und Frankreich.

Bines der Gesuche der italienischen Regierung führte zur Verurtheilung des Angeschuldigten ; im andern Falle konnten die beiden Verfolgten nicht zur Haft gebracht werden. Die von Deutschland her veranlaßte Untersuchung wurde wegen mangelnder Schuldindizien dahingestellt.

Das Gesuch der französischen Regierung betraf einen Genfer.

Namens D u f a y e t , der mit zwei Spießgesellen, Jean und Bouvrot, vom erstinstanzlichen Gericht in Pontarlier wegen mehrerer Diebstahlsverbrechen verurtheilt und im Kanton Waadt zur Haft gebracht worden war. Jean und Bouvrot wurden als französische Staatsangehörige ausgeliefert, Dufayet dagegen den Behörden seines Heimatkantons zugeführt, um dort auf Grund der französischen Untersuchungsakten beurtheilt zu werden. Die Regierung des Kantons Genf erklärte jedoch, nach Art. 8 des Genfer Strafverfahrens könne ein Kautonsangehöriger wegen einer strafbaren Handlung, die er außerhalb des Kantonsgebiets begangen habe, im Kanton nur verfolgt und bestraft werden, wenn eine Verfolgung oder Bestrafung wegen derselben Handlung nicht schon ira Ausland stattgefunden habe; gegen Dufayet liege nun ein Kontuniazurtheil des Gerichts in Pontarlier vor und es sei deßhalb den Genfer Gerichten unmöglich, wegen der eingeklagten Verbrechen nochmals gegen ihn einzuschreiten. Wir beschränkten uns darauf, diese Antwort an die französische Botschaft mitzutheilen, da der Auslieferungsvertrag mit Frankreich die Vertragstaaten zur Uebernahme der strafrechtlichen Verfolgung nicht vorpflichtet und sich daher die Voraussetzungen für die Einleitung eines derartigen Strafverfahrens nach dem kantonalen Straf- und Strafprozeßrecht regeln.

II. Bandesstrafrecht.

10. Der Bundesanwaitschaft wurden im Berichtjahre 78 Fälle betreffend G e f ä h r d u n g des E i s e n b a h n b e t r i e b e s zur Prüfung vorgelegt. 63 derselben wurden nach Maßgabe des Art. 74 B. St. R.

zur Untersuchung und Beurtheilung an die kantonalen Gerichte verwiesen. Wir sahen uns nur in einem Falle veranlaßt, gegen das erstinstanzliche Urtheil die Appellation zu erklären. Eine zweite Appellation betraf einen Fall, der schon im vorigen Jahr an die Gerichte überwiesen worden war. In 7 Fällen nahmen wir von einer strafrechtlichen Verfolgung Umgang. 8 Fälle wurden an die kantonalen Behörden zurückgewiesen mit der Einladung, dieselben nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die

572

Bahnpolizei vom 18. Körnung 1878 Polizeivorschriften zu erledigen.

oder nach den kantonalen

11. Am 25. April 1891 verurtheilte das Bezirksgericht von Schwyz den J. C. F., Dampfschiffverwalter in Zug, wegen Nichterfüllung einer ihm obliegenden Dienstpflicht, wodurch er den Einsturz der mangelhaft besorgten L a n d u n g s b r ü c k e in A r t h verschuldet habe (vergi, den letztjährigen Geschäftsbericht, Bundesbl. 1891, II, 625, Ziff. 20), zu einer Geldstrafe von Fr. 200.

Da der Gerichtshof diesem Urtheil kantonales statt eidgenössisches Recht zu Grunde gelegt hatte, beauftragten wir den Regierungsrath des Kantons Schwyz, gegen dasselbe in unserem Namen die Appellation durchführen zu lassen. Die Angelegenheit ist zur Zeit noch pendent.

12. Am 21. Mai 1891 wurde Frau Dr. G. F. im B a h n h o f W i n t e r t h u r auf dem Wege vom Bahnzuge nach dem Perron von einem Rangirzug überfahren. Da sich aus den Akten der Voruntersuchung ergab, daß eine Maschine zu heftig an die betreffende Wagenreihe angefahren war, überwiesen wir die Angelegenheit zur Erledigung nach den Bestimmungen des Bundesstrafrechtes an die Gerichte des Kantons Zürich.

Wir gingen hiebei von folgender Erwägung aus : Nach Art. 67 B. St. R. wird bestraft derjenige, welcher dolos oder culpos Personen, die sich auf einer Eisenbahn befinden, einer erheblichen Gefahr aussetzt. Als zur Eisenbahn gehörig muß auch der Weg betrachtet werden, den der Reisende benutzen muß, um vom Bahnwagen auf den Perron zu gelangen.

Die Gerichte des Kantons Zürich erblickten die Hauptursache des Unfalls in den mißlichen Verhältnissen des Winterthurer Bahnhofs, ein strafrechtliches Verschulden des angeschuldigten Lokomotivpersonals nahmen sie dagegen nicht an. Dasselbe wurde in Folge dessen in erster und zweiter Instanz freigesprochen.

13. Im Berichtjahre haben sich in der Schweiz zwei große Eisenbahnkatastrophen ereignet: Arn 14. Juni stürzte die Birsbrücke bei M ö n c h e n s t e i n (Baselland) unter dem J. S. Zuge Nr. 174 ein, wobei 74 Personen getödtet und über 130 verletzt wurden.

Die Akten der Voruntersuchung gelangten erst Anfangs 1892 an unser Justiz- und Polizeidepartement. Die Angelegenheit wurde zur Beurtheilung an die Gerichte des Kantons Baselland überwiesen.

573

Montag den 17. August 1891, Vormittags, fuhr der zwischen Biel und Bern kursirende Zug 2166/240 in den in der nämlichen Richtung verkehrenden Zug 2246 hinein, welcher vor der Signalscheibe bei der S t a t i o n Z o l l i k o f e n stand. In Folge des Zusammenstoßes verloren 18 Personen das Leben und eine große Anzahl von Reisenden wurde verletzt.

Die Angelegenheit wurde ebenfalls zur weitem Untersuchung und Beurtheilung an die kantonalen Gerichte überwiesen.

14. Zur Behandlung gelangten ferner drei Fälle betreffend S t ö r u n g des T é l é g r a p h e n b e t r i e b e s.

Einen dieser Fälle (es handelte sich um das Zerschlagen von Isolatoren und das Zerreißen eines Telegraphendrahtes durch halbwüchsige Jungen") übertrugen wir zur Beurtheilung auf Grund des Bundesstrafrechtes den Gerichten des Kantons Wallis. Von Seite eines Beamten der Telegraphenverwaltung wurde in der Folge die Klage zurückgezogen, worauf das Gericht, offenbar in der Meinung, derselbe sei hiezu kompetent, der Angelegenheit keine weitere Folge gab. Mit Rücksicht auf die Geringfügigkeit der Sache ließen wir dieselbe auf sieh beruhen. Der Regierung des Kantons Wallis theilten wir indeß mit, der Bundesrath könne das Vorgehen des Gerichtshofes nicht als ein korrektes betrachten, indem zum Rückzug einer derartigen Ueberweisung Niemand als der Bundesrath selbst kompetent sei.

15. 14 Fälle von F ä l s c h u n g e n von M i l i t ä r d i e n s t b ü c h i ein (Entfernen von amtlichen Eintragungen und fälschliches Eintragen, bezw. Verändern von solchen), wobei die Fehlbaren E r s a t z p f l i c h t i g e waren, wurden zur Behandlung und Beurtheilung an die kantonalen Gerichte delegirt.

In einem den Gerichten des Kantons Baselstadt überwiesenen derartigen Falle erklärte das dortige erstinstanzliche Gericht, die M i l i t a r dienstbüchlein seien keine B u n d e s a k t e n ; Fälschungen derselben seien daher nicht nach Art. 6l des Bundesstrafrechtes, sondern nach kantonalem Recht (Fälschung öffentlicher Urkunden) zu bestrafen.

Wenn man auch über den rechtlichen Charakter der Dienstbüchlein verschiedener Ansicht sein kann, so wurden dieselben doch nach bisheriger Praxis immer als Bundesakten behandelt und Fälschungen von solchen als Fälschungen von Bundesakten angesehen.

Wir ließen deßhalb gegen das Urtheil des erstinstanzlichen Basier Gerichts die Appellation durchführen, und die obere Instanz hat hierauf bei der Beurtheilung des Falles das Bundesstrafrecht zur Anwendung gebracht.

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In einem Falle war der Angeschuldigte zeitweise im Militärdienst z u r ü c k g e s t e l l t worden. Da solche Personen nicht in die Kategorie der gänzlich Befreiten gehören, überwiesen wir die Angelegenheit zur weiteren Behandlung an die Militärgerichtsbarkeit.

(Vergi. Bundesbl. 1891, II, 627, Ziff. 22.)

16. Wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz betreffend die W e r b u n g und den E i n t r i t t in f r e m d e n Kriegsd i e n s t vom 30. Heumonat 1859 wurden im Berichtjahre verurtheilt: 1. der bekannte Werber J o h a n n J a k o b Co t ti er von Arni bei Biglen (Bern), wohnhaft in Biel, und der Landarbeiter G o t t f r i e d L i e c h t i in Port bei Nidau, vom Amtsgericht zu Biel, der erstere zu 6 Monaten Gefängniß und Fr. 60 Buße.

der letztere zu 2 Monaten Gefängniß und Fr. 20 Buße; 2. vom Strafgerichte zu Basel, B e r n h a r d S c h m i d von Rehtobel (Appenzell A.-Rh.), zu einer Gefängnißstrafe von einem Monat und einer Geldbuße von Fr. 10.

17. Mit Bezug auf die strafgerichtliche Erledigung der bekannten V o r g ä n g e i m T e s s i n (März 1889 und 11. September 1890) ist Folgendes zu erwähnen : Mit Schlußnahme vom G. April 1891 hat die Anklagekammer des Bundesgerichts auf Antrag des Generalanwalts 21 Personen wegen Theilnahme an einem Unternehmen (11. September 1890), welches die gewaltsame Vertreibung oder Auflösung der Regierung des Kantons Tessin zum Zwecke hatte, in den Anklagezustand versetzt und den eidgenössischen Assisen überwiesen.

Im Fernern wurden laut Schlußnahme der Anklagekammer vom 23. und 30. April 1891 41 Personen wegen Wahlvergehen (März 1889) ebenfalls den eidgenössischen Assisen Überwiesen.

Durch eine im Nationalrath eingebrachte und erheblich erklärte Motion wurde der Bundesrath eingeladen, über die Frage Bericht und Antrag zu bringen, ob und in welcher Ausdehnung eine Amnestie auszusprechen sei, wegen der den eidgenössischen Assisen überwiesenen Vorfälle im Kanton Tessin vom September 1890 und Februar und März 1889.

Mit Botschaft vom 15. Juni 1891 (Bundesbl. III, 586) stellten wir folgenden- Antrag : 1. Die an die eidgenössischen Assisen nach den Beschlüssen der Anklagekammer des Bundesgerichts vom 6. April 1891, betreffend den Aufstand im Kanton Tessin vom 11. September

575 1890 und vom 23. und 30. April 1891 betreffend die Wahlen vom 3. März 1889 für die Ernennung der Mitglieder des Großen Rathes im Kanton Tessin, überwiesenen Prozesse sind niedergeschlagen.

2. Der Prozeß betreffend die Tödtung von Staatsrath Rossi wird seinen Fortgang nehmen.

Da die Räthe sich nicht einigen konnten, fiel die angeregte Amnestie dahin.

Die gerichtlichen Verhandlungen betreffend den Aufstand vom 11. September 1890 begannen am 29. Juni 1891 vor den Assisen des III. eidgenössischen Assisenbezirks in Zürich. Nach 14tägigen Verhandlungen verneinten die Geschwornen am 14. Juli die Schuldfrage, und es wurden infolge dessen die sämmtlichen Angeklagten, mit Ausnahme von Angelo Castioni, von Schuld und Strafe freigesprochen.

Ein von der Civilpartei beim Bundesgericht eingereichtes Kassationsbegehren gegen das Urtheil des eidgenössischen Assisenhofes vom 14. Juli 1891 wurde laut Urtheil des eidgenössischen Kassationsgerichts vom 17. September 1891 als unbegründet abgewiesen.

Der landesflüchtige A n g e l o C a s t i o n i von Stabio, dessen Auslieferung von England verweigert worden (vide Botschaft des Bundesraths vom 3. Dezember 1890, Bundesbl. 1890, V, 309 und Geschäftsbericht pro 1890, Bundesbl. 1891, II, 620), wurde laut Urtheil der eidgenössischen Kriminalkammer am 15. Juli 1891 in contumaciam schuldig erklärt: a. der am 11. September 1890 mit rechtswidrigem Vorsatz erfolgten Theilnahme an einem Unternehmen, welches die gewaltsame Vertreibung oder Auflösung der Regierung des Kantons Tessin zum Zwecke hatte; b. der absichtlichen Tödtung des Staatsraths Luigi Rossi, verübt bei dem Aufstand in Bellinzona vom 11. September 1890 durch einen nach Erbrechung des eisernen Thores des Palazzo governativo abgegebenen Revolverschuß, und zu einer Zuchthausstrafe von 8 Jahren, sowie zum Verlust des Aktivbürgerrechts für die Dauer von 12 Jahren verurtheilt.

Mit Sehreiben vom 11. September 1891 hatte der Staatsrath des Kantons Tessin uns mitgetheilt, daß er einstimmig beschlossen habe, der Bundesversammlung einen A m n e s t i e a n t r a g mit Bezug auf die bei Anlaß der G r o ß r a t h s w ä h l e n vom 3. M ä r z 1889 b e g a n g e n e n W a h l b e s t e c h u n g e n zu unterbreiten. Mit Botschaft vom 7. Dezember 1891 (Bundesbl. 1891,

576 V, 669) stellten wir im Einklang, mit der Anschauung des Staatsraths des Kantons Tessin den Antrag : Es sei der au die eidgenössischen Assisen nach den Beschlüssen der Anklagekammer des Bundesgerichts vom 23. und 30. April 1891 betreffend die Wahlen vorn 3. März 1889 für die Erneuerung der Mitglieder des Großen Rathes im Kanton Tessin überwiesene Prozeß niederzuschlagen. In der Dezember-Januar-Sitzung vom Jahre 1891/92 haben die eidgenössischen Räthe diesen Antrag zum Beschluß erhoben.

18. Zu Händen der Bundesversammlung sind uns im Laufe des Jahres drei B e g n a d i g u n g s g e s u c h e eingereicht worden, das eine von G o t t f r i e d S c h ä r l i , gewesenem Postangestellten in Luzern, das andere von J o h a n n e s K o l p , Stationsvorstand in Lichtensteig, und das dritte von Georg Hösli, gewesenem Stationsvorstand-Stellvertreter in Dätwyl (Aargau). Wir konnten dieselben nicht empfehlen, und sie wurden auch von dei- Bundesversammlung abschlägig beantwortet (Bundesbl. 1891, I, 862, II, 863, IV, 531).

19. In die zur Bezahlung durch die eidgenössische Staatskasse vorgelegte K o s t e n r e c h n u n g über die Untersuchung und den Strafvollzug gegen J o s e p h B o c h s l e r , der sich der fahrlässigen Bisen bahngefährdung schuldig gemacht hatte, war von der Bezirksgerichtskanzlei Affoltern a. A. die ,,Staatsgebühr" von Fr. 15 aufgenommen worden. Wir weigerten uns, diese zu bezahlen, da gemäß Art. 20 des Bundesgesetzes über die Kosten der Bundesrechtspflege vom 25. Juni 1880 nur die Prozeß- und Vollziehungskosten, welche jeweilen von dein Kantonsfiskus zu tragen wären, im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Verurtheilten oder der Freisprechung des Angeschuldigten von der Bundeskasse zu vergüten sind, dagegen nicht allfällige Gebühren, die gemäß den kantonalen Prozeßordnungen den Verurtheilten auferlegt werden können und hernach der Kantonskasse zufallen.

III. Fremdenpolizei: 20. Das erläuternde K r e i s s c h r e i b e n ü b e r d e n N i e d e r lassungsvertrag zwischen der Schweiz und dem D e u t s c h e n R e i c h e vom 31. Mai 1890, das schon in unsertn letztjährigen Geschäftsbericht in Aussicht gestellt war (Bundesbl.

1891, II, 531), haben wir am 8. September 1891 erlassen. Es ist im Bundesblatt 1891, IV, 37ff., abgedruckt und enthält außer dea nöthigen Aufklärungen über die Requisite, die für die Niederlassung von Deutsehen in der Schweiz erforderlich sind, einige Anleitungen über die Ausstellung von Leumundszeugnissen für Schweizer, die sich in Deutschland niederlassen wollen.

577 Auch unter der neuen Ordnung der Dinge bleibt den Kantonen die Befugniß, sich mit der Vorlegung eines Heimatseheins zu begnügen und auf den Nachweis eines unbescholtenen Leumunds durch die kais. deutsche Gesandtschaft zu verzichten. Ebenso können sie, auf ihre Verantwortung hin, Deutsche selbst ohne Papiere auf ihrem Gebiete dulden, da dieses Recht in der kantonalen Autonomie für die Handhabung der gewöhnlichen Fremdenpolizei begründet ist.

Aehnlich verhält es sieh in den Fällen, in denen die'k. deutsche 'Gesandtschaft die Frage aufwirft, ob ein Bedenken dagegen obwalte, daß sie einem Deutschen, der früher strafrechtlich verurtheilt worden ist, aber seither zu keinen besondern Klagen Anlaß gegeben hat, trotz jener Bestrafung das gesandtschaftliche Zeugniß im Sinne von Artikel 2 des Niederlassungsvertrages ausstelle. Die Entscheidung über diese Frage steht der Regierung des Kantons zu, in dem der Deutsche sich niederlassen will. In einem Spezialfalle ( N e e f ) glaubte unser Justiz- und Polizeidepartement sich allgemein dahin aussprechen zu sollen, daß unbedeutende Delikte mit,geringer Strafbarkeit kaum geeignet, seien, den Ruf eines Menschen dauernd zu untergraben und damit die Ausstellung des gesandtschaftlichen Zeugnisse» für immer unmöglich zu machen.

21. In einem Ausnahmsfalle beantragten wir, es möge von der Beibringung des im Niederlassungsvertrage mit Deutschland vorgesehenen Zeugnisses der k. deutschen Gesandtschaft in Bern abgesehen werden und es sollen sich die kantonalen Behörden auf die Forderung der Vorlegung eines Heimatscheines beschränken.

Es betraf dies den badischen Staatsangehörigen J. K r a u t h e i m e r , welcher als Assistent bei dem badischen Nebenzollamt I in Erzingen angestellt ist, aus Mangel an Wohnungen in diesem Orte sich a.ber veranlaßt gesehen hat, seinen Wohnsitz nach Trasadingen (Kantons Schaffhausen) zu verlegen. Wir nahmen an, es könne im Spezialfalle auf die Forderung eines Leumundszeugnisses von der Gesandtschaft verzichtet werden, da es sich um einen Beamten des andern Staates handelt, der in einer Punktion steht, die einen unbescholtenen Leumund voraussetzt.

22. Die Regierung des Kantons Bern theilte uns mit, daß öfters e r k r a n k t e m i t t e l l o s e I t a l i e n e r a u s anderen Kantonen und aus den angrenzenden Staaten nach Bern kommen,
um die Hülfe der k. italienischen Gesandtschaft anzusprechen. Diese weise sie regelmäßig an das Regierungsstatthalterarnt von Bern, damit es gemäß der Uebereinkunft zwischen der Schweiz und Italien vom 6./15. Oktober 1875 betreffend gegenseitige unentgeltliche Verpflegung armer Erkrankter für deren Aufnahme in einen Spital beBundesblatt. 44. Jahrg. Bd. II.

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sorgt sei. Da hiedurch dem Kanton Bern bedeutende Kosten erwachsen, deren Tragung ihm gemäß der Meinung der Regierung nach dem Sinne der erwähnten Uebereinkunft nicht zugemuthet werden könne, ersuchte uns dieselbe, Abhülfe schaffen zu wollen.

Bei dieser zu allgemein gehaltenen Reklamation konnten wir uns jedoch nicht entschließen, vorbeugende Maßnahmen zu treffen.

Aehnliche Erscheinungen, wie die von der heroischen Regierung mitgetheilte, haben sich auch schon in andern Kantonen gezeigt^ wo Repräsentanten auswärtiger Staaten und gute Spitäler sind. Es kann indessen den Behörden am bisherigen Wohnorte eines Kranken kein Vorwurf gemacht werden, wenn eine solche Person aus eigenem Antriebe nach Bern reist. Wenn sie dagegen thatsächlich dazu angestiftet worden, so würden wir nach Kenntnißnahme der Verhältnisse nicht anstehen, behufs Vermeidung solcher Uebelstände die angemessen scheinenden Anordnungen zu treffen. Uebrigeus ist ein Kanton in Fällen, in denen ihm ohne sein Verschulden durch einen andern Kanton eine erhebliche Belästigung verursacht, werden sollte, nicht rechtlos, sondern er kann vor Bundesgericht hinreichenden Schutz finden, worauf wir schon bei früheren ähulichen Anlässen hingewiesen haben (Bundesbl. 1886, I, 986, Ziff. 35;.

1888, II, 828, Ziff. 25; 1889, II, 780, Ziff. 26, und bundesgerichtl Entseh., Bd. VIII, 441).

23. Im Laufe des Sommers sind zu verschiedenen Malen auf bernischem Gebiete größere Gruppen r u s s i s c h e r A n g e h ö r i g e r , Männer, Frauen und Kinder, angehalten worden, welche vor einiger Zeit nach Brasilien ausgewandert und nun wieder über Marseille durch die Schweiz, und Deutschland nach ihrer Heimat, Russisch-Polen, zurückzureisen im Begriffe waren. Diese Personen waren ohne jegliche Reisemittel. Die k. russische Gesandtschaft in Bern konnte sich ihrer nicht annehmen, da sie keine Auslandspässe besaßen. Sie mußten daher jeweilen in Bern auf Staatskosten verpflegt werden und wurden sodann zur Weiterbeförderung in ihre Heimat nach Basel instradirt. Das Polizeidepartement des Kantons Baselstadt reklamirte aber gegen diesen Zusohub, nicht allein wegen der hiedurch entstehenden Kosten, sondern auch weil die deutschen Behörden Schwierigkeiten für die Uebernahme jener Individuen machten.

Da wir in Erfahrung gebracht hatten, daß noch viele hundertesolcher Russen
nachfolgen sollten, forderten wir die Genfer Behörden auf, im Interesse der Mitkantone sich dahin zu verwenden, daß die fraglichen Emigranten nicht ihren Weg durch die Schweiz nehmen, sondern ihre Reise durch Frankreich fortsetzen. Die Ergreifung einer solchen Maßnahme erscheine gerechtfertigt, weil diese

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Russen nach Eintritt in die Schweiz sofort den Kantonen zur Last fallen, weil sie sich ohne ordentliche Ausweispapiere befinden und weil selbst die russische Gesandtschaft den Wunsch ausgesprochen hat, es möchte jenen rückkehrenden Emigranten der Durchgang durch die Schweiz verwehrt werden.

Der Staatsrath von Genf gab daraufhin den verschiedenen Gendarmerieposten an der Grenze seines Kantons Instruktionen, den fraglichen Individuen den Eintritt auf schweizerisches Gebiet zu verwehren, sofern sie nicht mit regelrechten russischen Auslandspässen versehen seien; den letztern würde im Falle ihrer Mittellosigkeit die k. russische Gesandtschaft Unterstützung zukommen lassen. -- Die getroffenen Maßnahmen hatten den gewünschten Erfolg; es wurden die Kantone daraufhin nicht weiter von diesen russischen Emigranten belästigt.

24. Die großbritannische Gesandtschaft theilte uns mit, daß von ihrer Regierung sämrntliche Gouverneure der englischen Kolonien ermächtigt worden seien, von sich aus P ä s s e f ü r die b r i t i s c h e n U n t e r t h a n e n auszustellen. W i r haben d e n Polizeidirektionen der Kantone hievon Kenutuiß gegeben und sie eingeladen, solche Ausweispapiere als gültig anzuerkennen.

25. Durch die r u m ä n i s c h e Regierung wurde ihren Behörden an den Grenzorten die bestimmte Weisung gegeben, daß sie allen Reisenden, welche nicht mit gehörigen und von den diplomatischen oder Konsularagenten Rumäniens im Auslande vi s i r t e n P ä s s e n versehen sind, den Uebertritt über die Grenzen verwehreu.

Nach einer Verfügung der g r i e c h i s c h e n Regierung vom 17. Dezember 1891 müssen gleichfalls alle Ausländer, welche sich nach Griechenland begeben, im Besitze eines von einem griechischen Konsul v i s i r t e n P a s s e s sich befinden. -- Bekanntlich ist das Visum auf Reisepässen auch für R u ß l a n d erforderlich.

Es sind die Kantone hierauf durch Kreisschreiben der Bundeskanzlei aufmerksam gemacht worden (Bundesbl. 1891, III, 1230, und 1892, I, 608).

IV» Politische Polizei.

26. Am 4. und S.Januar 1891 fand in C a p öl ago (Tessiti!

ein Kongreß italienischer Sozialisten und Anarchisten statt. Die Verhandlungen wurden in geheimer Sitzung geführt. Ruhestörungen, die ein Einschreiten der Polizei zur Folge gehabt haben würden, kamen keine vor (s. Bundesbl. 1891, II, 634, Ziff. 35).

580 Wie vorauszusehen war, hatte die anarchistische Partei an dem Koogreß das Uebergewicht, was sich auch aus den in die Oeffentlichkeit gedrungenen Berichten über die gefaßten Beschlüsse ergibt.

Nach denselben wurde jede Gemeinschaft mit der irredentistischen Partei abgelehnt, weil dieselbe den Zweck verfolge, den Umfang des staatlichen Gebietes im Interesse der italienischen Bourgeoisie auf Kosten der Bourgeoisie anderer Länder zu erweitern, während die ,,anarchistisch-sozialistisch-revolutionäre Partei" die auf richtigste Freundschaft unter allen Völkern proklamire.

Ebenso wurde jedes Einiggehen mit der republikanischen Partei verworfen, weil diese nur die Umwandlung der monarchischparlamentarischen Staatsform in die republikanisch-parlamentarische wolle, wodurch die soziale Frage ebenfalls nicht gelöst werde.

Der Kongreß erklärte ferner seine Zustimmung zu der Feier des 1. Mai, indem er hoffte, daß bei diesem AnTasse am besten für die Idee der sozialen Revolution agitili werden könne.

27. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1891 wurde in Lugano wegen Uebertretung des gegen ihn am 29. April 1879 vom Bundesrath verfügten Ausweisungsbeschlusses der italienische Anarchist E n r i c o M a l a t e s t a verhaftet. Wir überwiesen den Fall zur Beurtheilung nach Maßgabe des Bundesstrafrechts an die Gerichte des Kantons Tessiti.

Am 22. Juli wurde Malatesta vom Bezirksgericht von Lugano wegen Bannbruchs zu 45 Tagen Gefangenschaft und Fr. 50 Buße verurtheilt. Nach Verbüßung der Strafe wurde er nach Basel verbracht, von wo er nach London verreist sein soll.

28. Ein italienischer Anarchist, Namens P a o l o S c h i c c h i , gab in Genf ein anarchistisches Blatt unter dem Titel ,,La Croce di Savoia" heraus. In demselben forderte er zum Umsturz der bestehenden Ordnung durch Mord, Plünderung und Diebstahl auf.

Auf den Antrag der Bundesanwaltschaft wurde Schicchi aus der Schweiz ausgewiesen (Bundesbl. 1891, IV, 369).

V. Heimatrecht.

29. Außer den zahlreichen Heimschaffungen (vgl. unter ,,spezielle Fälle internationaler Natur tt , Nr. 16), bei deren Behandlung die Staatsangehörigkeit vor Allem stets genau geprüft werden muß, hat unser Justiz- und Polizeidepartement in 20 Fällen Untersuchungen

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über das Heimatrecht von 38 Personen führen müssen, deren bürgerliche Angehörigkeit in der Schweiz oder im Ausland zweifelhaft geworden war und daher festgestellt werden mußte.

Von diesen Angelegenheiten sind 6 Fälle (10 Personen) durch ausländische Behörden bei uns anhängig gemacht worden, und zwar von Oesterreich 3 (7 Personen"), von Deutschland, Italien und Spanien je l (je l Person). In zwei von diesen Fällen haben wir die Anerkennung je einer Person abgelehnt, die übrigen 8 Personen sind als Schweizerbürger anerkannt worden.

Von uns sind 14 Fälle, die 28 Personen betrafen, im Ausland anhängig gemacht worden, und zwar bei Italien 7 Fälle (13 Personen), bei Oesterreich 3 Fallu (9 Personen), bei Frankreich 2 Fälle (2 Personen), bei Deutschland und bei Rußland je l Fall (mit je 2 Personen). Davon haben wir in 8 Fällen die Anerkennung von 15 Personen bewirken können; eine Person ist nicht anerkannt worden; 5 Fälle (12 Personen betreffend) sind noch hängig.

30. Ein gewisser Joh. Gg. G r e t h e r , von Badenweiler, Großherzogthum Baden,- hatte mit Lvdia Marie G o l a y , von Chénit ( Waadt), zu Montezillon (Neuenburg) vorehelich das Kind Amedine Louise Clara gezeugt. Die Eltern gaben einige Zeit vor ihrer Verehelichung voi1 dem Civilstaodsamte Colombier die Erklärung ab, daß sie dieses Kind anerkennen. Es wurde jedoch hierüber kein Protokoll aufgenommen, auch wurde versäumt, bei der Trauung von der Anerkennung amtlich Vormerk zu nehmen. Erst mehrere Monate nachher beurkundete der Civilstandsbeamte von Colombier die Thatsache, daß das fragliche Kind durch seine Eltern vor ihrer Verheirathung anerkannt worden sei und daß nur aus Versehen bei dem Eheabschlusse eine bezügliche Eintragung in den Registern unterblieben sei.

Von der Ansicht ausgehend, daß durch eine solche amtliche Erklärung den Vorschriften der badischen Gesetzgebung Genüge geleistet sein dürfte, ersuchten wir die großherzoglich badische Regierung um Anerkennung des fraglichen Kindes und um Anordnung der Aufnahme desselben in die Ausweisschriften seiner Eltern. Die großherzogliche Regierung entsprach jedoch diesem Ansuchen nicht und zwar aus folgenden Erwägungen: Nach den Bestimmungen des Landrechtssatzes 331 werde ein uneheliches Kind durch die nachgefolgte Ehe der Eltern ehelich gemacht, wenn beide zusammen es v o r der Verheivathung oder i n der Heirathsurkunde anerkannt haben. Außerdem schreibe Säte 334 vor, daß, sofern die Anerkennung nicht in der Geburtsurkunde

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geschehen sei, sie durch eine öffentliche Urkunde vollzogen werden soll. Die Aufnahme einer solchen Urkunde bilde einen wesent liehen Bestandtheil des Anerkennungsaktes und könne deßhalh die Anerkennung erst von dem Zeitpunkte an als gesetzmäßig vollzogen und perfekt erachtet werden, in welchem die Aufnahme der bezüglichen öffentlichen Urkunde stattgefunden habe. Die Beurkundung der Erklärung der Eltern Grether sei aber erst nach stattgehabter Eheschließung geschehen, die Anerkennung selbst daher a,ueh erst nach der Eheschließung perfekt geworden, weßhalb sie nach badischem Rechte nicht mehr geeignet sei, die Legitimation des nachträglich anerkannten Kindes zu bewirken.

31. Die irn Kanton St. Gallen heimatberechtigte P a . u l i n e B i s e n r i n g verehelichte sich im Jahre 1874 in St. Galleu mit E n g e l b e r t S o n t h e i m e r von Dirlewang, Bayern. Dieser verließ jedoch bald seine Frau und begab sich nach Amerika, wo er gestorben ist. Die Frau blieb in der Schweiz, während das in der Ehe erzeugte Mädchen von dem in Lindau wohnhaften Vater des Engelbert Sontheimer zur Erziehung übernommen wurde. Als in der Folge bei den bayrischen Behörden ein Heimatschein findie Frau Sontheimer verlangt wurde, weigerte sich das zuständige Bezirksamt zu Mindelheim, einen solchen auszustellen und die Genannte anzuerkennen, da bei Abschluß der Ehe das nach bayrischer Gesetzgebung erforderliche distriktspolizeiliche Verehelichungszeugniß nicht verabfolgt worden sei, somit die fragliche Ehe nicht anerkannt werden könne.

Auf die Einwendung unsererseits, daß bei der Verehelichung die Erklärung des bayrischen Pfarramtes Dirlewang vorgelegen habe, es bestehe kein Ehehinderniß, und daß der Pauline Sontheimer und ihrem Manne nach der Verlieirathung von der Gemeindeverwaltung Dirlewang ein Heimatschein ausgestellt worden sei, der aber verloren gegangen, wurde von den bayrischen Behörden geantwortet, es könne sich die Bescheinigung des Pfarramtes lediglich auf kirchliche Ehehindernisse beziehen, während sie auf die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ohne jeden Einfluß sei, und was den Heimatschein betreffe, so sei dieser von einer nicht kompetenten Behörde ausgestellt worden, denn die Gemeindebehörden seien hiezu nur dann berechtigt, wenn die Beurkundung zum Gebrauche innerhalb Bayerns bestimmt sei, ein Heimatschein
für das Ausland könne aber einzig von den Distriktspolizeibehörden ausgefertigt werden.

Die irrthümliche Ausstellung eines Heimatscheioes bewirke auch nie, daß damit das Heimatrecht einer Person in der betreffenden Gemeinde anerkannt werde.

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Die Pauline Sontheimer war infolge dessen, da die nachträgliche Einholung des vorgeschriebenen Verehelichungszeugnisses wegen des Todes ihres Mannes nicht mehr möglich war, ohne jegliches Bürgerrecht. Sie hatte nach der schweizerischen Gesetzgebung durch die Verehelichung mit einem Ausländer ihr Schweizerbürgerrecht verloren, während sie auf der andern Seite wegen eines Formfehlers dasjenige ihres Ehemannes nicht erworhen hatte. Die Behörden des Kantons St. Gallen verliehen ihr nun, als einer Heimatlosen und frühern Angehörigen des Kantons, das Kantons-, sowie ein Gemeindebürgerrecht. Dagegen weigerten sie sich, das Kind derselben anzuerkennen, da dieses sich seit Jahren im Ausland (Lindau) aufhält und somit die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Heimatlosigkeit von 1850 nicht auf dasselbe Anwendung finden konnten. Die bayrische Regierung glaubte allerdings, daß auf Grund von Art. 8 des schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrages der Schweiz die Pflicht obliege, das Kind als das einer ursprünglichen Schweizerin zu übernehmen. Wir vermochten indessen diese Ansicht nicht zu theilen, indem von einer Anwendung des erwähnten Vertrages auf den vorliegenden Fall nicht die Rede sein kann, da die Mutter des Kindes zur Zeit der Geburt des letztern nach hierseitiger Gesetzgebung nicht schweizerische Angehörige gewesen ist, das Kind also auch nicht unter den Begriff ,,vormalige ^Angehörige"' jenes Art. 8 fallen kann.

Wir bemerken noch, daß infolge der vielen Unzukömmlichkeiten ,. welche die oben erwähnten gesetzlichen Bestimmungen betreffend das Verehelichungszeugniß in Bayern schon mit sich gebracht haben, sich das Bedürfoiß nach Abänderung derselben fühlbar gemacht hat. Es liegt zur Zeit ein Gesetzesentwurf vor, welcher den Begriff der bürgerliehen Ungültigkeit der Ehe, die von einem bayrischen Staatsangehörigen ohne das Verehelichuagszeugniß eingegangen worden, aus dem Gesetze beseitigen will und dagegen bestimmt, daß der Mangel des Verehelichungszeugnisses auf die Rechtsgültigkeit der geschlossenen Ehe ohne Einfluß sein soll, daß aber die Ehe, so lange dieser Mangel nicht beseitigt ist, für die Frau und die Kinder in Bezug auf die Heimat nicht die Wirkung einer gültigen Ehe haben soll.

32. Das Hei m a t l o s e n w e s e n im engern Sinn hat im Jahr 1891 den Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit
gebildet. Es ist dem Untersuehungsbeatnten in Heimatlosensachen gelungen, sieben von früher her hängige Fälle zu erledigen und dadurch 10 Personen ein schweizerisches Kantons- und Gerneindebürgerrecht zu verschaffen.

In sechs dieser Fälle sind die Personen auf Grund des gesammelten Beweismaterials von den Kantonen, denen wir sie zugesprochen

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hatten, ohne Berufung an das Bundesgericht anerkannt worden ; eia Fall (Bongni) ist durch das Bundesgericht im Sinne unseres Antrages entschieden worden.

Außerdem sind die beiden sehr weitläufigen Untersuchungen über die Familien L o r e t z und F u r g e r im Kanton Uri, die schon im Jahre 1826 die schweizerische Tagsatzung beschäftigt haben und seither auch in der Presse wiederholt erörtert wurden, im Belichtjahre so weit durchgeführt worden, daß wir im Januar 1892.

das Einbürgerungsdekret für 26 Personen haben erlassen können.

Eine Anzahl von Personen dieser Familien sind im Kanton Uri schon früher freiwillig eingebürgert worden.

Der Stand der übrigen Untersuchungen läßt voraussehen, daß im Jahre 1892 noch eine Anzahl von Fällen wird erledigt werden könoen.

33. Bei einem besondern Anlasse hat es sich wiederum gezeigt, wie nothwendig es ist, daß die kantonalen Behörden jedem Fall, ia dem die bürgerliche Zugehörigkeit einer Person zweifelhaft erscheint, ihre Aufmerksamkeit zuwenden und nicht eher ruhen, als bis die Angelegenheit aufgeklärt ist. Es wurde nämlich im Kanton Aargau eia Vagant aufgegriffen, der den Namen J o h a n n D ü r l e r führte und sieh als heimatlos ausgab. Die Untersuchung, die hierauf durch unsern Untersuchungsbeamten in Heimatlosensachen durchgeführt wurde, ergab, daß es diesem Vaganten gelungen war, sich während beinahe 10 Jahren unter verschiedenen Namen in den Kantonen der Centralschweiz herumzutreiben ; sehr häufig wegen kleiner Diebstähle vor Gericht gestellt und bestraft, behauptete er stets, heimatlos zu sein, und wurde überall ohne genauere Prüfung des Sachverhalts wieder freigelassen. Die gleiche Angabe hielt er auch unserm Untersuchungsbeamten gegenüber mehr als ein Jahr lang aufrecht, bis er, in ein Netz von Lügen verwickelt, sich endlich genöthigt sah, zu bekennen, er heiße J o h a n n B i e r i , sei von Schangnau, Kanton Bern, und habe dort Frau und Kinder. Diese Angaben erwiesen sich denn auch als richtig, und er wurde im Kanton Bern ohne Schwierigkeit anerkannt.

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Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1891.

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1892

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2

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17

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27.04.1892

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481-584

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