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Bundesgesetz betreffend

die Auslieferung gegenüber dem Auslande.

(Vom 22. Januar 1892.)

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestutzt auf Art. 102, Ziff. 8, der Bundesverfassung; nach Einsieht einer Botschaft vom 9. Juni 1890, beschließt: Erster Titel.

Bedingungen der Auslieferung.

Art. 1. Der Bundesrath kann, mit oder ausnahmsweise ohne Vorbehalt des Gegenrechts, unter den in diesem Gesetze aufgestellten Voraussetzungen jeden Fremden ausliefern, der durch die zuständigen Gerichtsbehörden des ersuchenden Staates verfolgt, in Untersuchung gezogen oder in Anklagezustand versetzt oder verurtheilt ist und auf dem Gebiete der Eidgenossenschaft betroffen wird.

Wenn der Bundesrath bei einem auswärtigen Staate die Auslieferung einer Person nachsucht, die strafrechtlich verfolgt, in Untersuchung gezogen oder in Anklagezustand versetzt oder durch ein zuständiges schweizerisches Gericht verurtheilt ist, so kann er innerhalb der Grenzen dieses Gesetzes das Gegenrecht zusichern.

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Ablieferungsverträge mit fremden Staaten können innerhalb der Grenzen dieses Gesetzes abgeschlossen werden.

Wenu zwischen der Schweiz und dem ersuchenden Staate ein Auslieferungsvertrag besteht, so kann der Bundesrath mit oder ohne Vorbehalt des Gegenrechls auch wegen einer im Vertrag nicht vorgesehenen strafbaren Handlung die Auslieferung bewilligen, sofern diese nach dem gegenwärtigen Gesetze statthaft ist. Ist die Schweiz der ersuchende Staat, so kann er unter den nämlichen Voraussetzungen das Gegenrecht zusichern.

Der Bundesrath hat die Bundesversammlung von der Annahme oder der Ertheilung solcher Gegenrechtserklärungen in Kenntniß zu setzen.

Art. 2. Kein ISchweizerbiirger darf an einen fremden Staat ausgeliefert werden.

Wird ein in der Schweiz befindlicher Schweizerbürger von einem auswärtigen Staate wegen einer im Staatsvertrage oder in einer Gegenrechtserklärung vorgesehenen strafbaren Handlung verfolgt, so ertheilt der Bundesrath dem'verfolgenden Staate auf dessen Ersuchen oder bei der Ablehnung des Auslieferungsbegehrens die Zusicherung, daß der Verfolgte in der Schweiz nach dem im Gebiete des zuständigen Gerichtes geltenden Rechte beurtheilt und gegebenen Falles bestraft werden wird. Diese Zusicherung wird jedoch nur gegeben, sofern der ersuchende Staat erklärt, daß der Schweizerbürger nach Verbüßung der in der Schweiz gegen ihn verhängten Strafe auf seinem Gebiete nicht nochmals wegen desselben Verbrechens verfolgt und auch ein von seinen Gerichten gegen ihn ansgefällles Strafurtheil nicht vollzogen werden wird.

Wird diese Zusicherung ertheilt, so ist der Niederlassungskanton und, wenn der Verfolgte in der Schweiz keine Niederlassung hat, der Heimatkanton verpflichtet, gegen denselben vorzugehen, wie wenn die strafbare Handlung im Gebiete des Kantons begangen worden wäre.

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Art. 3. Die Auslieferung kann für folgende Handlungen und Unterlassungen bewilligt werden, wenn sie sowohl nach dem Rechte des Zufluchtsortes, als nach dem des ersuchenden Staates strafbar sind und den Thatbestand eines der folgenden gemeinen Verbrechen oder Vergehen enthalten : L D e l i k t e gegen Leib und Leben.

1) Mord, Todschlag und fahrläßige Tödtung; 2) Kindsmord und Abtreibung; 3) Aussetzung und bösliches Verlassen von Kindern und hülflosen Personen; 4) Körperverletzung, welche den Tod, einen bleibenden Nachtheil oder eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als 20 Tagen zur Folge hatte, Theilnahme an einem Raufhandel mit solchem Ausgange; 5) Mißhandlung der Eltern durch ihre Kinder und fortgesetzte Mißhandlung der Kinder durch die Eltern oder diejenigen Personen, deren Obhut sie unterstellt sind.

II. D e l i k t e gegen F r e i h e i t und gegen F am i l i e n r e c h t e .

6) 7) 8) 9) 10)

Menschenraub und Kinderraub ; widerrechtliches Gefangenhalten ; Entführung von Minderjährigen; Hausfriedensbruch unter erschwerenden Umständen; Androhung gewaltsamer Handlungen gegen die Person oder gegen das Eigenthum ; 11) Veränderung oder Unterdrückung des Civilstandes.

III. D e l i k t e g e g e n d i e S i t t l i c h k e i t , , 12) Nothzucht und gewaltsamer Angriff auf die Schamhaftigkeit, Schändung einer wehrlosen oder geistesgestörten Person ; 13) Unsittlichkeiten mit Kindern oder Pflegebefohlenen;

405 14) Verleitung von Minderjährigen zur Unzucht durch die Eltern, den Vormund oder durch eine Person, unter deren Aufsicht sie stehen; 15) gewerbsmäßige Kuppelei; 16) unzüchtige Handlungen, welche öffentliches Aergerniß erregen ; 17) Blutschande; 18) Bigamie.

IV. D e l i k t e g e g e n d a s V e r m ö g e n .

19) 20) 21) 22)

Raub (Seeraub), Erpressung, Diebstahl, Hehlerei; Unterschlagung und Vertrauensmißbrauch ; vorsätzliche Eigenthumsbeschädigung; Betrug, betrüglicher Bankerott und betrügerische Handlungen im Schuld betreibungs- und Konkursverfahren.

V. Delikte gegen Treue und Glauben.

23) Fälschung und Verfälschung von Münzen, Papiergeld oder Werthzeichen (Postmarken u. s. w.), von Banknoten, Obligationen, Aktien und anderen vom Staate, durch Korporationen, Gesellschaften oder Private ausgegebenen Werthtiteln; Einführen, Ausgeben und Inverkehrbringen der gefälschten oder verfälschten Gegenstände in betrügerischer Absicht; 24) Fälschung und Verfälschung von Siegeln, Stempeln, Marken oder Clichés, betrügerischer Gebrauch gefälschter oder verfälschter und Mißbrauch ächter Siegel, Stempel, Marken, Clichés; 25) Fälschung und Verfälschung von Urkunden, betrügerischer Gebrauch gefälschter und verfälschter Urkunden, Beseitigung von Urkunden, Mißbrauch eines Blankettes ; 26) Grenzverrückung.

VI. G e m e i n g e f ä h r l i c h e D e l i k t e .

27) Brandstiftung, Mißbrauch von Sprengstoffen, Verursachung einer Ueberschwemmung, mit Vorsatz oder aus Fahrläßigkeit ;

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28) vorsätzliche oder fahrläßige Zerstörung oder Beschädigung von Eisenbahnen, Dampfschiffen, Posten, von elektrischen Apparaten und Leitungen (Telegraph, Telephon! und Gefährdung ihres Betriebes; 29) vorsätzliche oder fahrläßige Handlungen, welche die Zerstörung, die Strandung oder den Untergang eines Schiffes bewirken ; 30) vorsätzliche oder fahrläßige Verbreitung von Krankheiten bei Menschen und Thieren, gemeingefährliche Verunreinigung von Quellen, Brunnen und Gewässern; 31) vorsätzliche Fälschung und Verfälschung von Lebensmitteln in einer für die Gesundheit von Menschen oder Thieren gefährlichen Weise; Feilhalten und Inverkehrbringen von solchen gefälschten, oder verfälschten oder von gesundheitswidrigen oder verdorbenen Lebensmitteln unter Verschweigung ihrer schädlichen Beschaffenheit.

VII. D e l i k t e g e g e n d i e R e c h t s p f l e g e .

32) falsche Anschuldigung; 33) Meineid und wissentlich falsche Versicherung an Eidesstatt ; 34) falsches Zeugniß, falsches Gutachten eines Sachverständigen, falsche Erklärung eines Dolmetschers und die Verleitung zu diesen Handlungen.

Vili. A m t s d e l i k t e .

35) Bestechung von öffentlichen Beamten, von Geschwornen, Schiedsrichtern und Sachverständigen; 36) Amtsunterschlagung, Erpressung und Uebervortheilung in amtlicher Stellung, Amtsmißbrauch in Folge Bestechung oder zu betrügerischen Zwecken ; 37) Unterschlagung von Briefen und Telegrammen, Verletzung des Brief- und Telegraphengeheimnisses durch Post- oder Telegraphenbeamte.

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Unter die Bestimmungen dieses Artikels fallen auch der Versuch, die Theilnahme (Anstiftung und Gehülfenschaft), die Begünstigung und die Aufforderung oder das Erbieten zur Begehung eines Verbrechens oder zur Theilnahme an einem Verbrechen.

Für leichtere Vergehen kann die Auslieferung verweigert und auf die Stellung eines Auslieferungsbegehrens verzichtet werden; so namentlich dann, wenn die bereits erfolgte Verurtheilung eine Freiheitsstrafe von drei Monaten nicht übersteigt.

Art. 4. Die Auslieferung wegen einer in Artikel 3 erwähnten Handlung kann auch dann bewilligt werden, wenn die Handlung zwar nach den Gesetzen des ersuchenden Staates strafbar, in dem Strafgesetze des Zufluchtskantons jedoch nicht besonders erwähnt ist, sofern diese Nichterwähnung lediglich die Folge äußerer Verhältnisse ist, wie z. B. der Verschiedenheit der geographischen Lage beider Länder.

Art. 5. Wenn das Strafgesetz des ersuchenden Staates für die strafbare Handlung, um deren willen die Auslieferung begehrt wird, eine körperliche Strafe androht, so wird die Auslieferung nur unter der Bedingung bewilligt, daß die Strafe gegebenen Falles in eine Preiheits- oder Geldstrafe umgewandelt werde.

Art. 6. Die Auslieferung wird verweigert, wenn nach der Gesetzgebung des Zufluchtskantons oder nach der des ersuchenden Staates die Strafklage oder die Strafe verjährt ist.

Art. 7. Die Auslieferung igt stets an die Bedingung geknüpft, daß der Ausgelieferte für keine andere, vor der Stellung des Auslieferungsbegehrens begangene Handlung verfolgt oder bestraft werden darf, als für die, um deren willen die Auslieferung erfolgt ist, und für damit zusammenhängende Handlungen, es sei ]denn, daß der Ausgelieferte

408 und sein allfälliger Vertheidiger oder Rechtsbeistand ausdrücklich einwilligen, oder daß der Ausgelieferte während eines Monats nach seiner endgültigen Freilassung von der Möglichkeit, das Gebiet des ersuchenden Staates zu verlassen, keinen Gebrauch gemacht hat.

Der Bundesrath kann auf erneutes Begehren des ersuchenden Staates gestatten, daß der Ausgelieferte wegen einer früher begangenen, im ersten Auslieferungsbegehren nicht angeführten strafbaren Handlung verfolgt oder bestraft werde.

Der Bundesrath kann seinerseits auf die in Absatz l erwähnte Bedingung eingehen, wenn im entsprechenden Fall das Auslieferungsbegehren von der Schweiz gestellt wird.

Art. 8. Dem Staate, an den die Auslieferung stattgefunden hat, steht das Recht nicht zu, von sich aus den Ausgelieferten an einen dritten Staat weiter auszuliefern, es sei denn, daß die in Art. 7, Absatz l, erwähnten Voraussetzungen zutreffen.

Art. 9. Die Auslieferung erfolgt nur unter der Bedingung, daß der Auszuliefernde nicht vor ein Ausnahmegericht gestellt werden darf.

Art. 10. Wegen politischer Verbrechen und Vergehen wird die Auslieferung nicht bewilligt.

Die Auslieferung wird indessen bewilligt, obgleich der Thäter einen politischen Beweggrund oder Zweck vorschützt, wenn die Handlung, um deren willen die Auslieferung verlangt wird, vorwiegend den Charakter eines gemeinen Verbrechens oder Vergehens hat. Das Bundesgericht entscheidet im einzelnen Falle nach freiem Ermessen über die Natur der strafbaren Handlung auf Grund des Thatbestandes.

Wenn die Auslieferung bewilligt wird, so stellt der Bundesrath die Bedingung, daß der Auszuliefernde weder wegen eines politischen Verbrechens, noch wegen seines politischen Beweggrundes oder Zweckes verfolgt oder be-.

straft werden dürfe.

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Art. 11. Wegen Uebertretung fiskalischer Gesetze und wegen reiner Militärvergehen wird die Auslieferung nicht bewilligt.

Hat eine Person, die wegen einer die Auslieferung begründenden Handlung verfolgt wird, außerdem ein fiskalisches oder ein militärisches Gesetz übertreten, so erfolgt die Auslieferung nur unter der Bedingung, daß diese Uebertretung weder bestraft werden, noch einen Strafversehärfungsgrund bilden darf.

Art. 12. Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die strafbare Handlung, wegen deren sie verlangt wird, auf dem Gebiete der Eidgenossenschaft begangen, oder zwar im Auslande begangen, aber in der Schweiz endgültig beurtheilt worden ist oder daselbst strafrechtlich verfolgt wird.

Art. 13. Wenn die Person, deren Auslieferung aubegehrt wird, in der Schweiz wegen einer andern strafbaren Handlung strafrechtlich verfolgt wird oder verurtheilt worden ist, so wird sie erst nach Beendigung des Strafverfahrens und Verbüßung der Strafe ausgeliefert.

Der Bundesrath kann indessen gestatten, daß der Verfolgte zur gerichtlichen Aburtheilung vorübergehend an den ersuchenden Staat ausgeliefert werde, unter der Bedingung, daß sofort nach beendigtem Prozesse die Zurücklieferung an die Schweiz stattfinde.

Art. 14. Wird die Auslieferung von mehreren Staaten wegen derselben Handlung verlangt, so ist sie vorzugsweise an den Staat zu bewilligen, auf dessen Gebiet die That, oder, wenn das Verbrechen in mehreren Staaten verübt wurde, an den Staat, in dem die Haupthandlung begangen worden ist.

Wird die Auslieferung von mehreren Staaten wegen verschiedener strafbarer Handlungen begehrt, so erhält derjenige Staat den Vorzug, dessen Begehren das schwerste Verbrechen anfuhrt. Sind die Verbrechen gleich schwer

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oder erscheint es zweifelhaft, welches das schwerere sei, so hat der Bundesrath in der Regel zunächst das zuerst gestellte Begehren zu berücksichtigen ; er kann aber auch die geographische Lage der ersuchenden Staaten, sowie die Staatsangehörigkeit des Auszuliefernden in Betracht ziehen. Bei der Bewilligung der Auslieferung kann der Bundesrath dea Vorbehalt machen, daß der Ausgelieferte nach seiner Beurtheilung und Bestrafung dem oder den andern Staaten übergeben werde, die ebenfalls seine Auslieferung begehrt hatten.

Besondere Vereinbarungen bleiben vorbehalten.

Zweiter Titel.

Auslieferungsverfahren.

Art. 15. Die Auslieferuagsbegehren sind in der Regel auf diplomatischem Wege an den Bundesrath zu richten. Ist die Schweiz der ersuchende Theil, so wendet sich der Bundesrath ebenfalls auf diplomatischem Wege an den auswärtigen Staat.

Dem Auslieferungsbegehren muß in Urschrift oder beglaubigter Abschrift ein Urtheil oder ein Haftbefehl, erlassen von der zuständigen Behörde und nach den gesetzlichen Formen des ersuchenden Staates, oder eine andere Urkunde beigegeben sein, die in dem ersuchenden Staate gebräuchlich ist und wenigstens die gleiche Kraft hat, wie ein Verhaftsbefehl ; in dieser Urkunde muß das eingeklagte Verbrechen, sowie Ort und Zeit seiner Begehung angegeben sein. Beizufügen sind stets die Bezeichnung und, wenn nöthig, eine Abschrift der auf die eingeklagte Handlung anwendbaren Gesetzesbestimmungen, soweit möglich das Signalement des Auszuliefernden und möglichst genaue Angaben über seine Identität, Persönlichkeit und Staatsangehörigkeit.

Art. 16. Der Bundesrath entscheidet, ob und unter welchen Bedingungen auf das Auslieferungsbegehren einzutreten sei.

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Tritt der Bundesrath auf das Begehren nicht ein. so macht er dem ersuchenden Staate hievon Mittheilung.

Tritt der Bundesrath auf das Begehren ein, so trifft er die in Art. 18 vorgesehenen Maßnahmen, am die Person, deren Auslieferung begehrt wii'd, aufsuchen und verhaften · zu lassen.

Entspricht das Begehren nicht den Anforderungen des Art. 15, so kann der Bundesrath den ersuchenden Staat einladen, es vorschriftsgemäß einzureichen oder zu vervollständigen; er kann inzwischen gleichwohl die in Art. 18 vorgesehenen Maßnahmen treffen.

Art. 17. Wird auf diplomatischem Wege beim Bundesrath eine provisorische Verhaftung begehrt, so ordnet er ebenfalls die in Art. 18 vorgesehenen Maßnahmen an, sofern in dein Begehren das Bestehen eines Haftbefehls oder einer andern gleichwerthigen Urkunde angezeigt und ein Auslieferungsbegehren angekündigt und überdies die in Art. 15 erwähnten notwendigen Angaben enthalten sind.

In einem solchen Falle wird jedoch die verhaftete Person, sie wäre denn aus einem andern Grunde in Haft zu behalten, auf freien Fuß gesetzt, wenn der von der zuständigen Behörde erlassene Verhaftsbefehl oder eine andere gleichwerthige Urkunde und das Auslieferungsbegehren nicht innerhalb einer bestimmten Frist vorschriftsgemäß vorgelegt werden. Diese Frist beträgt, von der Verhaftung an gerechnet, 20 Tage, wenn der ersuchende Staat an die Schweiz, grenzt, 30 Tage, wenn er ein nicht angrenzender europäischer Staat ist; wird die Auslieferung' von einem außereuropäischen Staate verlangt, so kann die Frist bis auf 3 Monate ausgedehnt werden.

Art. 18. Wenn aus dem Auslieferungsbegehren ersichtlich oder sonstwie bekannt ist, in welchem Kanton die verfolgte Person Zuflucht genommen hat, so fordert der Bundesrath die Regierung dieses Kantons auf, mit möglichster Beförderung

412 der gesuchten Person nachforschen und sie verhaften zu lassen.

Die zuständige Behörde verfügt und vollzieht die Verhaftung in der von der kantonalen Gesetzgebung vorgeschriebenen Weise; sie nimmt zugleich jede Durchsuchung oder Beschlagnahme vor, die von der kantonalen Gesetzgebung vorgeschrieben oder im Haftbefehl nachgesucht und nach kantonalein Gesetze statthaft ist.

Ist der Zufluchtskanton unbekannt, so ordnet das eidgen.

Justiz- und Polizeidepartement die zur Auffindung des Verfolgten erforderlichen Schritte an und läßt, wenn nöthig, dessen Signalement veröffentlichen, mit der Aufforderung an die kantonalen Polizeibehörden, ihn aufzusuchen und zu verhaften.

Bleiben die Nachforschungen erfolglos, so gibt der Bundesrath dem ersuchenden Staate hievon Kenntniß.

Art. 19. In dringlichen Fällen können die kantonalen Regierungen und Gerichtsbehörden auch einem Begehren um provisorische Verhaftung Folge geben, das auf telegraphischem Wege oder durch die Post von den zuständigen ausländischen Behörden direkt an sie gerichtet wird. Sie haben in einem solchen Falle den Bundesrath unverzüglich zu benachrichtigen und ihm gegebenen Falls mitzutheilen, weßhalb sie die verlangte Verhaftung vorläufig nicht vollziehen.

Von c einem derartigen Begehren muß dem Bundesrathe unverzüglich auf diplomatischem Wege Kenntniß gegeben werden.

Der Verhaftete wird in Freiheit gesetzt, wenn die Voraussetzungen des Art. 17, Abs. 2, zutreffen.

Art. 20. In schwereren Fällen und falls Gefahr im Verzüge ist, sind die kantonalen Polizeiorgane berechtigt, auf einen zu ihrer Kenntniß gelangten ausländischen Steckbrief hin die Verhaftung des Ausgeschriebenen vorzunehmen. Der Bundesrath ist hievon sofort zu benachrichtigen.

413 Die Vorschrift in Art. 17, Abs. 2, findet entsprechende Anwendung.

Art. 21. Der Verhaftete ist sofort nach seiner Festnahme durch die zuständige Behörde einzuvernehmen.

Demselben werden nach Prüfung der Identitätsfrage die Auslieferungsbedingungen eröffnet. Er kann einen Rechtsbeistaud zuziehen. Er wird ferner aufgefordert, sich zu erklären, ob er in seine unverzügliche Auslieferung einwillige oder ob und warum er sich seiner Auslieferung widersetze.

Das Einvernahmeprotokoll ist mit allen Belegen und Nachweisen dem Bundesrathe einzusenden.

Art. 22. Hat der Verhaftete in seine unverzügliche Auslieferung eingewilligt und steht ihr kein gesetzliches Hinderniß entgegen oder hat er gegen die Auslieferung nur solche Einwendungen erhoben, die sich nicht auf das gegenwärtige Gesetz, auf den Staatsvertrag oder auf eine Gegenrechtserklärung stützen, so bewilligt der Bundesrath die Auslieferung und theilt diesen Beschluß dem ersuchenden Staate, sowie der Kantonsregierung mit; er beauftragt die letztere, den Beschluß /AI vollziehen und ihm darüber Bericht zu erstatten.

Art. 23. Wenn dagegen der Verhaftete eine Einsprache erhebt, die sich auf das gegenwärtige Gesetz, auf den Staatsvertrag oder auf eine Gegenrechtserklärung stützt, so übersendet der Bundesrath die Akten an das Bundesgericht und gibt der betheiligten Kantonsregierung hievon Kenntniß.

Das Bundesgericht kann eine Vervollständigung der Akten anordnen.

Das Bundesgericht kann das persönliche Erscheinen des Verhafteten anordnen. Die Verhandlung ist öffentlich, sofern nicht das Gericht aus wichtigen Gründen, die im Protokoll anzugeben sind, den Ausschluß der Oeffentlichkeit verfügt.

Der eidgenössische Generalanwalt kann sich an der Voruntersuchung und an der Hauptverhandlung betheiligen.

414 Der Verhaftete kann einen Rechtsbeistand zuziehen; nötigenfalls wird dieser von Amtes wegen ernannt.

Art. 24. Das Bundesgericht entscheidet, oh die Auslieferung stattzufinden hat oder nicht.

Art. 25. Die provisorische Freilassung des Verhafteten kann gestattet werden, wenn diese Maßregel den Umständen nach geboten erscheint.

Die Erlaubniß dazu wird vom Bundesgerichte ertheilt, wenn der Fall bei ihm anhängig ist ; andernfalls vom Bundesrathe.

Art. 26. Wird die Auslieferung bewilligt, so ist nach Art. 22 zu verfahren.

Wird sie verweigert, so theilt der Bundesrath dies dem ersuchenden Staate mit; der Verhaftete wird sofort in Freiheit gesetzt, sofern er nicht aus einem andern Grunde in Haft zu behalten ist.

Art. 27. Der nach Art. 22 oder 26, Absatz l, Auszuliefernde wird an die Grenze geführt und von den zuständigen Polizeibeamten den Behörden oder Beamten des ersuchenden Staates mit den Papieren, Werthsachen und andern in Beschlag genommenen Gegenständen übergeben, die sieh auf das Vergehen beziehen, wegen dessen die Auslieferung stattfindet.

Kann die Auslieferung nicht vollzogen werden, so werden gleichwohl die Papiere, Werthsachen und andern in Beschlag genommenen Gegenstände dem ersuchenden Staate zugestellt.

Nachträglich aufgefundene Gegenstände der genannten Art werden ebenfalls ausgeliefert.

Allfällige Rechte Dritter auf die genannten Gegenstände werden vorbehalten.

Art. 28. Wenn binnen zwanzig Tagen, von der Mittheilung des Auslieferungsbeschlusses an gerechnet, der er-

415 suchende Staat für die Uebernahme des Auszuliefernden nicht sorgt, so wird dieser in Freiheit gesetzt. Der Bundesrath kann eine Verlängerung dieser Frist bewilligen.

Art. 29. Wenn ein nach Art. 19 und 20 Verhafteter in seine Auslieferung einwilligt, so kann die Kantonsregierung, sobald sie den Haftbefehl in Händen hat, die Auslieferung ohne Weiteres anordnen und unverzüglich vollziehen.

Die Kantonsregierung hat in diesem Falle dem eidg.

Justiz;- uud Polizeidepartement von der getroffenen Verfügung sofort Kenntniß zu geben, unter Einsendung des Haftbefehls und eines Protokollauszuges, wodurch die unterschriftliche Einwilligung des Ausgelieferten bescheinigt wird.

Art. 30. Der Bundesrath kann im Einverständniß aller Betheiligten gestatten, daß eine im Ausland verhängte Gefängnißstrafe in einer inländischen Verhaftsanstalt erstanden werde; er wird in einem solchen Falle die nöthigen Anordnungen treffen.

Art. 31. Der Bund trägt die Kosten der von seinen Behörden angeordneten Auslieferungen au auswärtige Staaten.

Dritter Titel.

Durchlieferung.

Art. 32. Auf das diplomatische Begehren eines auswärtigen Staates kann der Bundesrath die Durchlieferung (Transit) der von einem fremden Staate au einen andern fremden Staat ausgelieferten Personen über das Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft gestatten, wenn dem Begehren eine den Vorschriften des Art. 15 genügende Urkunde beiliegt. Die Durchlieferung wird indessen verweigert, wenn auch eine Auslieferung nach Art. 2, 3, 10 oder 11 dieses Gesetzes verweigert werden müßte.

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Vierter Titel.

Verschiedene Bestimmungen.

Art. 33. Der Artikel 58 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 (A. S. n. F. I, 136) ist aufgehoben.

Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, die Veröffentlichung dieses Gesetzes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

Also beschlossen vom Nationalrathe, B e r n , den 21. Januar 1892.

Der Präsident: Adr. Lachenal.

Der Protokollführer: Ringier.

Also beschlossen vom Ständerathe, B e r n , den 22. Januar 1892.

Der Präsident: GÖttisheim.

Der Protokollführer: Schatzmann.

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h b e s c h l i e ß t : Das vorstehende ßundesgesetz ist zu veröffentlichen.

B e r n , den 23. Januar 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Hanser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

N o t e . Datum der Publikation: 27. Januar 1092.

Ablauf der Einspruchsfrist: 26. April 1892.

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Bundesgesetz betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande. (Vom 22. Januar 1892.)

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1892

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27.01.1892

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