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Zweiter Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über die Frage der rechtlichen Natur der schweizerischen Eisenbahnrente.

(Vom 5. Dezember 1892.)

Tit.

Auf unsern Wunsch hat der Ständerath unterm 15. Juni 1892 das Traktandum betreffend die Frage der rechtlichen Natur der Eisenbahnrente an den Bundesrath zur weitern Prüfung zurückgewiesen. Unser Begehren war durch den Antrag der ständeräthlichen Kommission vom 4. Juni d. J. veranlaßt worden, welcher folgenden Wortlaut hat : ,,Die Angelegenheit wird an den Bundesrath zurückgewiesen mit der Einladung, darüber Bericht zu erstalten, ob die auf den Namen des Gläubigers eingetragenen Rententitel nicht einfach als Rektapapiere zu behandeln seien, oder ob es sich nicht zum mindesten empfehle, daß die eidgenössische Finanzverwaltung in künftigen Fällen durch Vormerk im Titel selbst oder durch einen vom Gläubiger zu unterzeichnenden Revers jede Garantie für die Wirksamkeit der Namenseintragung und jede Pflicht zur Prüfung der Gültigkeit späterer Uebertragungen ihrerseits ausdrücklich ablehne."

Der Wortlaut des Antrages der ständeräthlichen Kommission läßt einigen Zweifel aufkommen, ob man bloß neue, künftige Emissionen oder auch bereits emittirte Titel im Auge habe; nach erhaltenem Aufschlüsse sind aber in der That auch die bereit» emittirten Titel gemeint.

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Schon durch diese Erläuterung tritt die Unannehmbarkeit des Antrages der ständeräthliehen Kommission klar zu Tage.

Für die Beurtheilung der rechtlichen Bedeutung der bereits emittirten Titel ist e i n z i g m a ß g e b e n d der I n h a l t der Urkunde, wie er lautete im Zeitpunkt der Herausgabe derselben, eventuell auch noch der Prospektus, gestützt auf welchen die Zeichnungen erfolgten; im S t r e i t f a l l entscheidet a u s s c h l i e ß l i c h der R i c h t e r , und der Bund kann nicht durch einseitige Vorbehalte oder legislatorische Akte der Schuldurkunde nachträglich eine a n d e r e r e c h t l i c h e B e d e u t u n g beilegen, a l s die, w e l c h e s i e n a c h M a ß g a b e ihres u r s p r ü n g l i c h e n I n h a l t e s hat.

Die Kommission wird vielleicht entgegnen, das Finanzdepartement selber müsse das Gefühl gehabt haben, daß hier eine Lücke vorhanden sei, sonst hätte es nicht durch Cirkular an anfragende Bankfirmen, oder durch Anheften des bekannten rothen Aviszeddels an die zum Namenseintrag eingesandten Titel'jede Verantwortlichkeit für die Rechtsgültigkeit dieses Eintrages abgelehnt.

Es liegt etwas Richtiges in diesem Vorhalte; wir erwidern jedoch darauf, daß dieser Avis schon den eidgenössischen Obligationen, welche zum Namenseiutrage eingesandt wurden, jeweilen angeheftet wurde; er entstund nicht erst mit dem Erscheinen der eidgenössischen Eisenbahnrente, und es kann nicht zweifelhaft sein, daß diese Benachrichtigung mittelst eines angehefteten Zeddels, den der Empfänger sofort wieder beseitigen kann, im Streitfalle als eine ganz .wirkungslose Maßregel betrachtet werden muß.

Unter keinen Umständen aber .ist der von der Kommission vorgeschlagene Vormerk auf dem alten Titel selbst zuläßig. Gans abgesehen davon, daß ein solcher handschiiftlicher Eintrag auf dem Titel sofort die Möglichkeit des Negozireos an der Pariser Börse ausschlösse (vide unten), könnte jeder Betroffene mit vollem Rechte gegen irgendwelche textliche Abänderung oder Ergänzung seines Titels Protest erheben und die Ausfolgung eines neuen Titels ohne diesen Eintrag verlangen; ebensowenig könnte ein Titelinhaber zu dem vorgeschlagenen Revers veranlaßt werden, da dieser weder im Prospektus noch im Texte des Titels vorgesehen ist.

Im Uebrigen halten wir an den Ausführungen des bundesräthlichen Berichtes
vom 23. Oktober 1891 (Bundesbl. 1891, IV, 62CT), welche durch das Exposé des Herrn Ständeräth Odier in trefflicher Weise unterstützt worden ist, fest. Wir brauchen keine Novelle zum Obligationenrecht und halten dessen Bestimmungen für die Beherrschung der besondern Rechtsverhältnisse der schweizerischen Eisenbahnrente für ausreichend.

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Nach dem Texte des Rententitels im Eingang ist unzweifelhaft, daß derselbe ein In h a b e r p a p i e r ist und daß der Titel von 30 Fr.

Rente unter allen Umständen Inhaberpapier bleibt. Es fragt sich nur, ob durch den Nachsatz : ,,die Titel B und C können auf den Namen gestellt und als solche in die Register der Finanzkoutrole eingetragen werden", der rechtliche Charakter des Rententitels geändert wird, d. h. daß die auf den Namen gestellten Titel nicht mehr Inhaberpapiere sind, sondern sog. Rektapapiere werden.

Bei Entscheidung dieser Frage ist zu untersuchen, was man mit der Namenseintragung w o l l t e , ob eine übereinstimmende, gegenseitige,0 ausdruckliche oder stillschweigende Willenserklärung der Parteien bei Ausgabe und Annahme der Rententitel vorliege, welche darauf schließen läßt, daß die auf den Namen gestellten Rententitel die rechtliche Bedeutung eines Inhaberpapiers verlieren sollen.

Eine solche Willensäußerung ist unseres Erachtens nicht vorhanden : 1. Der Text des Rententitels stellt ganz allgemein den Grundsatz auf. daß die Rententitel Inhaberpapiere seien -- der Inhaber hat die jährliche Rente zu fordern -- und im Nachsatz ist nicht gesagt, daß dieser Grundsatz modifizirt werden solle; auch kann nicht etwa aus dem Umstand, daß auf den Rententitel der Name des zeitweiligen Inhabers gesetzt wird, der zwingende Schluß gezogen werden, daß damit der rechtliche Charakter des Titels an sich geändert werden wolle.

2. Es spricht Alles gegen die Annahme, daß der Bund bei Ausgabe der Rententitel beabsichtigt habe, zwei Arten von Schuldverbindlichkeiten zu schaffen mit verschiedenen rechtlichen Konsequenzen: Inhaberpapiere und ein persönliches Schuldverhältniß, das ganz andern rechtliehen Vorschriften unterworfen ist mit Bezug auf Cession, Vindikation, Amortisation, Kompensation, Verpfändung etc.

3..Die Art und Weise, wie die Namenseintragung vorgenommen wird, ohne irgend welche Kontrole betreffend Aechtheit der Unterschrift oder redlichen Erwerb des Titels etc., spricht dafür, daß n i c h t d i e A b s i c h t v o r h a - n d e n ist, d e n r e c h t l i c h e n Charakter der Schuldurkunde zu ändern und ein neues Rechtsverhältuiß zwischen Schuldner und Gläubiger zu schaffen. Man will durch die Namenseintragung gewissen Rentengläubigern eine Facilitât gewähren, die sie aus Gründen,
die hier nicht näher zu untersuchen sind, zu erhalten wünschen; das Finauzdepartement erklärt bei der Eintragung in das Register ausdrücklich, sich jeglicher Verantwort-

546 lichkeit zu entschlagen mit Bezug auf die Namenseinschreibung und Uebertragung der Titel. (Vide auch die diesbezüglichen Ausfuhrungen im Exposé des Herrn Ständerath Odiev.)

Mit dieser Auffassung ist nun allerdings das bei den Akten liegende Urtheil des Obertribunals von Stuttgart vom 19. Mai 1870 im Widerspruch ; nach Inhalt dieses Urtheils würde der Rententitel durch Eintragung des Namens in Verbindung mit der Vormerkung der Eintragung in den Büchern des Rentenschuldners den rechtlichen Charakter als Inhaberpapier verlieren und den des Rektapapiers erlangen.

Auch Herr Ständerath Isler nimmt in seinem Gutachten vom 21. Juli 1892 den gleichen Standpunkt ein.

Wir wollen die rechtliche Möglichkeit nicht bestreiten, daß in gegenseitigem Einverständnis ein Inhaberpapier gesperrt, gebunden und so vom Inhaberpapier in ein Rektapapier umgewandelt werden kann; zum Beweise einer solchen Umwandlung genügt aber nach unserer Ansicht die formlose Eintragung des Namens nicht, sondern es bedarf hiezu einer Beurkundung auf dem Titel selbst, aus welcher unzweifelhaft die Willensäußerung der Parteien hervorgeht, daß wirklich eine Aenderung des ursprünglichen rechtlichen Charakters des Schuldverhältnisses stattfinden soll.

Es bleibt nun noch zu erwägen, in wie weit den von der ständeräthlichen Kommission gemachten Anregungen bei zukünftigen Emissionen Rechnung zu tragen sei. Wir verneinen vor Allem aus die Wünschbarkeit der Schaffung von Rektapapieren überhaupt. Die bisherigen Erfahrungen haben zur Evidenz gezeigt, daß es hauptsächlich Frankreich ist, welches unsere Schuldtitel -- Obligationen und Renten -- aufnimmt. Nun haben wir schon in unserm Geschäftsbericht pro 1891 (Bundesbl. 1892, II, 146) darauf aufmerksam gemacht, dalS kraft eines Réglementes .der französischen Syndikatskammer alle Titel, welche irgend eine geschriebene Erwähnung enthalten, von den offiziellen Abschlüssen ausgeschlossen seien. Es folgt hieraus, daß eine auf den Namen lautende Werthschrift, welche nachher in regelrechter Weise auf den Inhaber umgeschrieben sei, auf alle Zeiten von der Realisirbarkeit an den französischen Börsen ausgeschlossen wäre.

Durch die Errichtung von Rektapapieren würde somit die Marktund Aufnahmefähigkeit unserer Obligationen und Rententitel und damit auch ein günstiges Placement unserer Titel in Frankreich schwer beeinträchtigt werden.

Wir konstatiren auch die sprechende Thatsache, daß heute unsere Titel von 30 Fr. Rente, bei welchen die Namenseiutragung

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ausgeschlossen ist, an der Pariser Börse bedeutend höher cotirt sind, als die Serien B und C, bei welchen die Namenseintragung zuläßig ist. Wir verweisen ferner darauf, daß bei dem gegenwärtigen Charakter unserer Obligationen und Rententitel als Inhaberpapiere, mit nachfolgender eventueller Namenseintragung, noch nie ein einziger Anstand sich erhoben hat.

Viel lieber wollten wir, wenn künftig geändert werden sollte, zum reinen, nicht auf den Namen übertragbaren Inhaberpapier übergehen, wobei jedoch jedem Inhaber gestattet würde, seine Inhabertitel (ohne Couponsbogen) gegen ein auf seinen Namen ausgestelltes Certifikat beim schweizerischen Finanzdepartement zu deponiren.

Gegen Rückgabe dieses Certifikats können die Titel selber jederzeit wieder bezogen und als reine Inhaberpapiere auf den Markt gebracht werden.

Wir haben diese Fakultät, um insbesondere den französischen Inhabern Rechnung zu tragen, für die Rententitel bereits eingeräumt, und es wird hie von ganz ergiebiger Gebrauch gemacht.

Wir resümiren also dahin, daß die Anträge der ständeräthlichen Kommission zurückzuweisen seien.

Demnach beantragen wir, es mögen die Räthe besehließen, ·daß die Angelegenheit als durch die Berichterstattung des Bundesrathes erledigt zu betrachten sei. Will man absolut irgend eine Einladung an den Bundesrath damit verbinden, so würden wir vorsehlagen, es sei die Einladung an den Bundesrath zu richten, er möge prüfen, ob nicht bei künftigen Emissionen von Schuldtiteln des Bundes, für welche die Fakultät der Namenseintragung gestattet wird, die rechtliche Bedeutung dieses Eintrages im Texte des Titels selbst zum Ausdrucke gebracht werden solle.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 5. Dezember 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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