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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren für ein Verbot von Atomwaffen (Vom7.JuH1961)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren !

Wir beehren uns, Ihnen nachstehend unseren Bericht über das Volksbegehren für ein Verbot der Atomwaffen vorzulegen.

Diese Initiative ist am 29. April 1959 vom Initiativkomitee der Schweizerischen Bewegung gegen atomare Aufrüstung mit 72 795 gültigen Unterschriften der Bundeskanzlei in den drei Amtssprachen mit gleichlautendem Text eingereicht worden. Die im Volksbegehren beantragte Verfassungsbestimmung hat folgenden Wortlaut : Art. 2QWs «Herstellung, Einfuhr, Durchfuhr, Lagerung und Anwendung von Atomwaffen aller Art, wie ihrer integrierender Bestandteile, - sind im Gebiet der Eidgenossenschaft verboten.» Das Volksbegehren ist mit keiner Eückzugsklausel versehen.

Der Nationalrat und der Ständerat haben am 19. Juni 1959 bzw. 5. Juni 1959 von unserem Bericht vom 19. Mai 1959 (BB1 1959, I, 1403) vom Zustandekommen des Volksbegehrens Kenntnis genommen und uns eingeladen, in der Sache selbst Bericht zu erstatten und Antrag zu stellen.

L Einleitung Die Antwort auf die Frage der Ausrüstung unserer Armee mit Atomwaffen muss ausgehen vom Auftrag, welchen Verfassung und Gesetz der Armee überbinden. Als Hilfsmittel des Staates hat die Armee die den Bundesbehörden nach Artikel 85, Ziffer 6 und Artikel 102, Ziffer 9 der Bundesverfassung übertragene Aufgabe der Behauptung der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz zu übernehmen. Die Erfüllung dieses Auftrages kann sowohl eine indirekte, wie auch eine direkte sein, indem die Armee als militärischer Wertfaktor einen all-

203 fälligen Gegner abhält, überhaupt die Feindseligkeiten mit uns aufzunehmen, oder, bei Ausbruch solcher,.aktiv kämpft.

, , In .unserer Botschaft vom 30. Juni 1960 betreffend die Organisation, des Heeres (Truppenordnung), haben wir grundsätzliche Überlegungen über die Ausgestaltung unserer Landesverteidigung; angestellt sowie die: Notwendigkeit ' der Anpassung unserer Armee an die moderne Kriegführung dargelegt. Dabei kamen wir u.a. zum Schluss, dass mit der Einführung von Atomwaffen in, unser Waffenarsenal unsere Landesverteidigung eine Verstärkung erfahren würde, wie sie noch; in keiner Etappe unserer Wehranstrengungen zu verzeichnen war.

Diese Frage von grosser Tragweite hat uns indessen schon früher beschäftigt. Die erste offizielle Stellungnahme erfolgte in der Grundsatzerklärung vom 11. Juli 1958, welche der Presse übergeben wurde. Darin brachten wir zum Ausdruck, dass Atomwaffen nicht nur einem Angreifer dienen, sondern - was für unsere Verhältnisse zutrifft - in hohem Masse die Abwehrkraft eines Verteidigers stärken und dass, in Übereinstimmung mit unserer jahrhundertealten Tradition der Wehrhaftigkeit, der Armee zur Bewahrung unserer Unabhängigkeit und zum Schütze der Neutralität die, wirksamsten Waffen, wozu die Atomwaffen gehören, gegeben werden müssen.

Die Frage der Ausrüstung der Streitkräfte mit Atomwaffen, die in anderen Staaten zu lebhaften Meinungsverschiedenheiten geführt hat, wurde nach der Stellungnahme des Bundesrates auch in unserem Lande Gegenstand von Auseinandersetzungen. Die Wellen kontradiktorischer Diskussionen schlugen Kreise bis ins Ausland und veranlassten dort gewisse offiziell und halbamtliche Stellen zur Kommentierung unserer Grundsatzerklärung.

; Dabei wurde diese Erklärung vielfach missverstanden. Vor allem wurde der unzutreffende Schluss gezogen, der Bundesrat habe bereits einen endgültigen Entscheid getroffen und die Beschaffung von Atomwaffen werde unverzüglich an die Hand genommen. Der Bundesrat sah sich deshalb am 9. August 1958iveranlasst, diesen Irrtum richtigzustellen und erneut zu erklären, dass er zwar die Verstärkung unserer Landesverteidigung mit Atomwaffen grundsätzlich befürworte, jedoch in dieser schwerwiegenden Frage noch keinerlei Beschlüsse gefasst, sondern das Eidgenössische Militärdepartement beauftragt, habe, das ganze Problem mit aller
Gründlichkeit weiter zu prüfen und dem Bundesrat zu gegebener Zeit zuhanden; der eidgenössischen Bäte Bericht zu erstatten., An diesem Sachverhalt hat sich bis zum heutigen Zeitpunkt nichts geändert.

Mit der Beantwortung der Interpellation von Nationalrat Gitermann über die Ausrüstung der Armee mit Atomwaffen durch den Chef des Eidgenössischen Militärdepartementes am I.Oktober 195,8 fand die offizielle Atomdiskussion ihren vorläufigen Abschluss.

' , , Neben dem hier zu behandelnden Volksbegehren dès Initiativkomitees der Schweizerischen Bewegung gegen atomare Aufrüstung, hat die Sozialdemokratische Partei der Schweiz in Zürich am 24. Juli 1959 ein Volksbegehren für das Entscheidungsrecht des Volkes über die Ausrüstung der schweizerischen Armee mit Atomwaffen eingereicht. Dieses Volksbegehren lautet wie folgt :

204

Art. 20«s Der Besohluss über die Ausrüstung der schweizerischen Armee mit Atomwaffen irgendwelcher Art ist obligatorisch dem Volke zur Entscheidung vorzulegen.

Auf Grund des Artikels 15 des Bundesgesetzes über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung vom 27. Januar 1892, kann auf dieses zweite Volksbegehren in der nämlichen Verfassungsmaterie erst eingetreten werden, sobald das zuerst eingereichte erledigt ist.

Unser Bericht enthält in Kapitel II einen generellen Überblick über das Wesen der Kernwaffen, deren Einsatzmöglichkeiten und Entwicklungstendenzen.

Diese mehr technischen Ausführungen sollen das Verständnis für die Überlegungen in den weitern Kapiteln des Berichtes erleichtern. In der Folge beehren wir uns, Ihnen unsere Auffassung über die verschiedenen Aspekte des umfangreichen Problemkreises zur Darstellung zu bringen, wobei wir uns im Interesse der Übersichtlichkeit auf das Wesentliche beschränken.

H. Die Atomwaffen 1. Das Kaliber Die Wirkung der Atom- oder Kernwaffen beruht auf der Ausnützung der bei der Spaltung von schweren Atomen (Uranium, Plutonium) oder der Verschmelzung von leichten Atomkernen (Wasserstoff und seine Isotopen wie Deuterium und Tritium) freiwerdenden Energie. Im ersten Fall spricht man von Spalt- oder Fissions-Sprengkörpern, im zweiten von Wasserstoff- oder Fusions-Sprengkörpern. Die bei einer Kernexplosion auftretende Energie wird verglichen mit derjenigen Menge des Sprengstoffes Trotyl (TNT), die, zur Explosion gebracht, die gleiche Energie entfalten würde; diese wird das Kaliber oder Energieäquivalent genannt.

Bei den Spaltbomben liegt die freiwerdende Energie in der Grössenordnung von einigen 100 bis 100 000 Tonnen TNT, bei den Wasserstoffbomben in derjenigen von Millionen von Tonnen TNT. Eine Kernwaffe von l Kilotonne (l KT) oder l Megatonne (l MT) ist energiemässig äquivalent der Detonationsleistung von 1000 resp. l 000 000 Tonnen TNT. Heute muss damit gerechnet werden, dass die Armeen der Grossmächte über Sprengkörper '· mit Energieäquivalenten von 0,5 KT bis zu 30 MT verfügen.

2. Die Wirkung Die Kernwaffen wirken durch Lichtblitz, Hitzestrahlung, Druckwelle und Eadioaktivität. Umfang und Art dieser Schadenwirkungen sind vor allem abhängig von : - «Kaliber» oder Energieäquivalent; - der Lage des Sprengpunktes: in der Luft (hoch oder tief), auf der Erdoberfläche,

205 unter der Erdoberfläche, unter Wasser; - der Art des Explosionsvorganges, nämlich Kernspaltung (Fission) oder Kernverschmelzung (Fusion).

, · . · .!

Der Lichtblitz Im Moment der Explosion tritt ein greller, die Helligkeit der Sonne um ein Mehrfaches übertreffender Lichtblitz auf. Dieser bewirkt eine starke Blendung des Auges, die, abgesehen von Dauerschaden in Extremfällen, einige Minuten bis Stunden dauert, was bei schlecht geschützter und mangelhaft instruierter Zivilbevölkerung und Truppe zu einer Panik führen kann.

: Die Hitzestrahlung

,'

:

Diese entspricht im Prinzip einer konzentrierten und kurzfristigen Sonnenstrahlung. Sie dauert, in Abhängigkeit vom Energieäquivalent, Bruchteile von Sekunden bis Sekunden. Auf der ungeschützten menschlichen Haut können Verbrennungen entstehen und leicht brennbares Material kann entzündet werden.

Die theoretische Eeichweite ihrer Wirkung geht aus der folgenden Tabelle hervor.

· · · ' ·· Wirkungsbereich der thermischen Strahlung, die Verbrennungen 2. Grades auf der blossen Haut erzeugt, bei einer Explosion mit hohem Sprengpunkt : Bnergieäquivalent in Eilotonnen

1

Wirkungsbereich inx km (Distanz vom Nullpunkt) )

0,7

| 10

20

1,9

2,9

100

6

1000

16

10000

45

1

) Nullpunkt = Punkt auf der Erdoberfläche, senkrecht, unter dem Explo; sionszentrum.

: · ··

Der Schutz gegen die thermische Strahlung ist technisch insofern einfach, als alles, was Schatten wirft, schützt.

, ,

Die

Druckwirkung

Die, Druckwelle ist die Hauptursache der Zerstörungen, wobei ihre Auswirkungen in starkem Masse von der Explosionshöhe ; abhängig sind. Schwerwiegend sind die indirekten Auswirkungen rasant durch die Luft fliegender Trümmer, umstürzender Fahrzeuge, entwurzelter Bäume, einstürzender Bauten !

usw.

, , ... · ,. Nachstehende Tabelle gibt Aufschluss über Zerstörungen durch die Druckwelle im Kilometer-Abstand vom Explosionspunkt. Es wird dabei mit «mittleren» Zerstörungen gerechnet, bei denen Backsteinbauten und Lastwagen noch repariert werden, Wälder aber von motorisierten Truppen1 nur nach umfangreichen Räumungsarbeiten passiert werden können.

.

, Bundesblatt. 118. Jahrg. Bd. II.

15

206 Energieäquivalent in Kilotonnen

l

Zerstörung von Backsteinbauten . 0,7 Zerstörung von Lastwagen . . . 0,3 Zerstörung v o n Wäldern . . . . 0,7

10

20

100

1000

10000

1,5 0,7 1,6

1,9 0,9 2

3,2 1,8 3,6

7 4,2 9

15 10 20

Dem Menschen bieten im Wirkungsbereich der Druckwelle nur Unterstände und Luftschutzkeller einen Schutz.

Die E a d i o a k t i v i t ä t Die radioaktive Strahlung, die während und nach der Explosion auftritt, besteht zur Hauptsache aus einer Strahlenart, die der Eöntgenstrahlung entspricht. Ihre Wirkung beruht auf der Schädigung der lebenden Zelle. Sie ist für den Menschen zunächst nicht wahrnehmbar und es braucht Messinstrumente, um sie festzustellen.

Bei den Wirkungen der Eadioaktivität unterscheidet man : Primäre Strahlung: kurzfristig (l Min.) und intensiv bei der Explosion.

Sekundäre Strahlung : langfristig und mit der Zeit abklingend. Sie spielt direkt nur eine Eolle bei Explosionen auf oder unter dem Boden (Wasser), indirekt aber mit dem sogenannten weltweiten radioaktiven Ausfall.

Der Wirkungsbereich der primären Strahlung ist geringer als derjenige der Hitze oder der Druckwelle, auch ist er ebenfalls abhängig von der Explosionshöhe.

Wirkungsbereich der primären Eadioaktivität auf den ungeschützten Menschen (50 % tödlich geschädigt) : Energieäguivalent in Kilotonnen

l

Wirkungsbereich in km (Spreng0,5 punkt hoch) (Sprengpunkt Erdoberfläche) . . 0,8

10

0,9 1,2

j

20

100

1000

1,1 1,3

1,3 1,7

1,3 2,5

10000

o1) 3,5

*·) Damit der bei diesem Energieäquivalent auftretende sehr grosse Peuerball nicht mit der Erdoberfläche in Berührung kommt und dadurch eine bei dieser Einsatzart unerwünschte, nicht mehr kontrollierbare starke sekundäre radioaktive Strahlung verursacht, nyiss eine Sprenghöhe so hoch angesetzt werden, dass der Wirkungsbereich der primären Strahlung gleich null wird.

Wird eine Kernwaffe auf oder unter der Erdoberfläche zum Einsatz gebracht, so tritt durch die, in Abhängigkeit von Windrichtung und Windstärke fortgetragenen Erdmassen, eine radioaktive Verseuchung des Geländes auf, deren Ausdehnung beträchtlich sein kann. Es handelt sich dabei um die sekundäre Strahlung.

Je nach der Intensität der radioaktiven Strahlung (sowohl primär wie sekundär), die im Explosionszentrum am grössten ist und dann gegen aussen

207 abnimmt, müssen die Massnahmen für die Zivilbevölkerung und die Truppe festgelegt werden. Es handelt sich um folgende hauptsächlichste Möglichkeiten : - Infolge der starken Abnahme der Eadioaktivität mit der Zeit kann die Wirkung sehr stark reduziert werden, wenn man sich in den ersten Stunden bis Tagen in Häusern, Kellern und Unterständen aufhält und anschliessend während einiger Zeit nur kurzfristig die Schutzräume verlässt.

- Der radioaktive Staub kann durch die Atemorgane oder durch den Mund in das Körperinnere gelangen. Da manche dieser radioaktiven Elemente chemisch gleich oder ähnlich wie diejenigen der Aufbausubstanzen des menschlichen Organismus sind, !werden sie in diesen eingebaut. Es sei hier nur an das radioaktive Jod (Schilddrüse), das radioaktive:Strontium (Knochen) und das radioaktive Caesium (Muskeln) erinnert. Gasmasken und Staubfilter sind die geeigneten Schutztnassnahmen.

' '; , - Der radioaktive .Staub gelangt in den Boden, wird dort teilweise von den Pflanzen aufgenommen und nachher mit den Nahrungsmitteln entweder direkt oder über das Tier wieder dem Menschen zugeführt. Hier muss als Gegenmassnahme'die Sperrung eines ganzen Gebietes während längerer Zeit angeordnet werden.

, , - Der radioaktive Staub kann in das Trinkwasser gelangen, so dass es, unter Umständen nötig wird, Trinkwasserversorgungen zu sperren und das Wasser aus unverseuchten Quellen zu entnehmen, oder das verseuchte Wasser durch besondere Wasseraufbereitungsanlagen zu entgiften. Obschon die Verseuchung des Trinkwassers ein schwierig zu bewältigendes Problem darstellt, ist diese Gefahr weniger gross, als man allgemein annimmt. Das Wasser wird durch den Boden filtriert, so dass es unter Umständen Wochen und Monate geht, ,bis eine Verseuchung auftritt. Bei einer guten Quell- oder. Grundwasserfassung ist eine solche kaum zu erwarten.

Die Wirkung der radioaktiven Strahlung beruht, auf .einer Schädigung bzw.

Zerstörung der lebenden Zelle. Sie wirkt sich um so mehr aus, je grösser die dem Körper verabreichte bzw. von ihm aufgenommene Strahlungsdosis ist. Man hat festgestellt, dass bei Gesamtkörperbestrahlung, folgende Wirkungen auftreten (Dosis in Eöntgen = r, Milliröntgen = 1/1000 r = mr) : 25 r Gefährdungsdosis maximale zulässige Dosis, wenn klinische Schäden sicher vermieden werden sollen.

100 r Kritische
Dosis Auftreten der Strahlungskrankheit und erste Todes, fälle.

400 r Mittlere Letaldosis Schwere Strahlungskrankheit, , 50 Prozent Todes, fälle.

, 700 r Letale Dosis Fast sicher tödliche Dosis.

Abgesehen von den innert kurzer Zeit auftretenden akuten Schädigungen können nach Jahren noch Spatschäden wie Leukämie, Kataraktbildung u. a.

auftreten.

' 208 Neben den Schäden, welche das der Strahlung - sei es die der A-Bombe oder die der Seuchsubstanzen - ausgesetzte Individuum selbst betreffen (somatische Schäden), können auch genetische Schäden auftreten, d.h. Schäden, welche erst bei den dem Geschädigten folgenden Generationen manifest werden.

Die Explosion von Kernwaffen kann auch durch den weltweiten radioaktiven Ausfall wirksam werden. Bei jeder Spaltexplosion, also auch bei Versuchsexplosioiien, werden grosse Mengen an radioaktiven Spaltprodukten in die Luft geschleudert. Bei Explosionen auf der Erdoberfläche beträgt dieser Anteil noch rund 50 Prozent der gesamten radioaktiven Masse. Bei Kernexplosionen unter 100 KT gelangt die radioaktive Masse in die Troposphäre, bei Explosionen grösseren Kalibers in die Stratosphäre. Die riesigen Mengen an radioaktivem Material sinken langsam auf den Erdboden zurück, oder werden durch den Regen auf den Boden geschwemmt. Man rechnet damit, dass Teilchen, die sich in der Troposphäre befinden, im Mittel rund 30 Tage in dieser verweilen, und solche, die sich in der Stratosphäre befinden, haben eine berechnete mittlere Verweilzeit von einigen Jahren. In dieser Zeit wird die radioaktive Masse über die ganze Erdoberfläche verfrachtet, so dass der pro Quadratkilometer anfallende Teil sehr gering und infolge der Abnahme der Strahlenintensität die Verseuchung des Bodens klein ist.

Diese Radioaktivität bedeutet unbestreitbar eine erhöhte Belastung des Menschen. Ihre Auswirkungen, namentlich im Hinblick auf die genetischen Schädigungen, müssen aber im allgemeinen Eahmen der natürlich vorhandenen Eadioaktivität- betrachtet werden. Jeder Mensch ist und war schon lange bevor eine Kernwaffe existierte, der Radioaktivität ausgesetzt. Diese stammt aus drei natürlichen Quellen : der kosmischen Strahlung, der Strahlung des Bodens und der Strahlung der natürlicherweise im Körper vorhandenen radioaktiven Substanzen sowie aus zusätzlichen Belastungen, wie Leuchtzifferblättern, Menschenansammlungen, röntgendiagiiostischen Anwendungen.

Von dieser Strahlungsbelastung, der der Mensch normalerweise ausgesetzt ist, wirkt nur ein Teil auf die Gonaden (Geschlechtszellen). Die genetische Belastung beträgt (nach Prof. Joyet, Zürich) : Natürliche Strahlung . . 110 rnr/Jahr (auf Meereshöhe) Medizinische Belastung. . 25 mr/Jahr
Leuchtzifferblätter. . . .

7 , 5 mr/Jahr.

Demgegenüber beträgt z.B. die durch die rund 180 Versuchsexplosionen bis Ende 1960 verursachte genetische Strahlungsbelastung rund 1-5 mr/Jahr, tritt also weit hinter den anderen Strahlungsbelastungen zurück.

Man kann indessen diese Verhältnisse, die durch die Versuchsexplosionen bewirkt werden, nicht mit denjenigen vergleichen, die in einem Atomkrieg auftreten. Es ist zu befürchten, dass die Strahlungsbelastung im letzteren Falle einen Umfang annähme, welcher zu genetischen Schädigungen führen müsste.

Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Erhöhung der Strahlenbelastung unabhängig davon eintritt, ob sich der Krieg in der Nähe unseres

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Landes oder auf einem anderen Eontinent abspielt, und unabhangig davon, ob wir selbst A-Waffenhaben oder nicht.

, , Earner wird man bedenken muss.en, dasS die Entwicklung der Waff entechnik in Eichtung auf Kernwaffen geht, die ein relativ, kleines Energieaquivalent und nur geringe bleibende Eadioaktivitat auijweisen.

: ·' Aus all diesen Tatsachen ergibt sich eindeutig: Die mogliche zusatzliche Gef ahrdung, die der Einsatz eigener Atomwaffen fur unsere Bevolkerung bedeuten wilrde, ,konnte gegeniiber dem, was wir in einem Kernwaffenkriege - selbst wenn wir nicht im Kriege stehen - ohnehin in Kauf nehmen milssten, kaum massgeblich ing Gewicht fallen. Das Eisiko, das dieses Kampfmittel mit sich bringt, kann in keiner Weise mit dem Eisiko eines Verzichtes auf angemessene Bewaffnung v'erglichen werden.

, 3. Evnsatzmdgliclikeiten und Veywendung von Kernwaffen , , , a. Die Einsatzraoglichkeiten ., Bei der Verwendung von Atomwaffen ist zwischen einem strategischen,und einem taktischen Einsatz zu unterscheiden. Dieser Unterschied liegt in der Art der beschossenen Ziele, indem der strategische Einsatz sich gegen das Kriegspotential des Gegners richtet, wahrend der taktisch-operative Einsatz unmittelbar das Kampfgeschehen beeinflusst. Mit anderen Worten heisst dies, dass der strategische Einsatz der Nuklearwaffen gegen in grosser Entfernung liegende Ziele, wie Ladustrieanlagen, Ehigbasen, Lenkwaffenstellungen, Energiequelleh usw. erfolgt oder den Charakter von Terror- und !Ausrottungsangriffen gegen GroBsiedlungen hat. Der taktische Einsatz dage'geh ist fiir das Kampf f eld: bestimmt. Er richtet sich gegen rein militarische Ziele, wie Truppenkonzentrationen, Flugplätze, Waffenstellungen, Verkehrsknotenpunkte:, · Nachschubbasenusw.

Je nach der Art des Atornwaffentragers oder des Abschussgerates ergeben sich die Einsatzmoglichkeiten Boden-Boden, Luft-Boden, Boden-Luft und der stationare Einsatz.

, · '" ; - · ' · · ' Der Einsatz 13oden-Boden :Zu den strategischen Einsatzmittehi gehoren die Mitteldistanz-Lenkwaffen (300-4000 km Eeichweite) und die interkontinentalen Lenkwaffen,(iiber 4000 km Eeichweite). Ftir den taktischen Einsats wird eine moderne, mittlere bis weittragende Artillerie (bis 300 km) in der Form von Geschiitzen oder Abschussstellen fur Artillerieraketen oder Lenkwiffeii verwendet.

D e r
Einsatz L u f t - B o d e n . . .

Bei dieser Einsatzmoglichkeit handalt es sich um den Beschuss von Bodenzielen mit Atombomben und Lenkwaffen durch Flugzeuge! Grosse Eeichweite, Beweglichkeit und'gute Wirkungsgenauigkeit zeichnen diesen Atomw'affentrager aus. Nachteilig ist die Verletzlichkeit der Flugzeuge am Boden und in der Luft.

' · .

:

210 Der Einsatz B o d e n - L u f t Diese Einsatzmöglichkeit dient der Fliegerabwehr, unter welcher j edoch nicht nur der Beschuss feindlicher Flugzeuge, sondern ebenso die Bekämpfung von Lenkwaffen jeder Art zu verstehen ist. Überall wird die Lösung dieses Problems auf dem Gebiet der ferngelenkten oder selbstgesteuerten Eakete gesucht. Solche, mit Atomsprengköpfen versehene Flugkörper, die bis in die höchsten Höhen steigen, ihre Ziele selbst suchen, haben, verglichen mit den bisherigen Mitteln, einen viel ausgedehnteren Wirkungskreis.

Der stationäre Einsatz Der Einsatz von Atomminen mit kleinstem Energieäquivalent kann ein Abwehrdispositiv ausserordentlich verstärken. In relativ kleinen, von der Zivilbevölkerung geräumten Gebieten, ist der Einbau von Atomminen zur Errichtung von radioaktiven Sperren in Engnissen (passages obligés) und zur Unbenützbarmachung von Geländeteilen möglich, wobei allerdings der mit dieser Einsatzart verbundene radioaktive Ausfall auch vom Einsetzenden berücksichtigt werden muss.

b. Die Verwendung von K e r n w a f f e n Die nachstehende Tabelle vermag am übersichtlichsten die KernwaffenVerwendung darzustellen.

Die Wahl der Sprengpunkthöhe richtet sich nach dem Charakter des Zieles und der gewünschten Wirkung. So werden Kernwaffen mit folgenden Sprengpunkten eingesetzt : Sprengpunkt hoch gegen: ungedeckte Truppen, Ziele in Wäldern; Sprengpunkt tief gegen: gedeckte Truppen, Panzer, Artillerie, Unterstände ; Sprengpunkt Boden und Unterirdisch gegen: Hindernisse, Festungen, Pisten.

Infolge der weiträumigen Verseuchungen, die bei unterirdischen und Bodensprengpunkten auftreten und deren Abhängigkeit von den meteorologischen Einflüssen, werden solche Sprengpunkte selten gewählt und nur dann, wenn die Zivilbevölkerung und die eigene Truppe nicht gefährdet sind.

4. Die Entwicklungstendenzen Im Kernwaffenbau sind u. a. zwei Entwicklungstendenzen deutlich erkennbar : die Herstellung kleinerer Waffen und solcher, die möglichst wenig radioaktive Wirkung ergeben.

So ist es gelungen, Atomwaffen mit Energieäquivalenzen bis zu einer Kilotonne zu entwickeln und zur Explosion zu bringen, bei denen auch die entstehende Radioaktivität entsprechend geringer ist. Obschon für die Zündung

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strategisch

Verwendung

·Sr» ·3 t

Ziele

Einsatzmittel

i

A.- u. H.Waffen

Energieäquivalent

Sprengpunkt

politischpsychologisoh

Siedlungen

Flugzeuge, Fernwaffen grosser Reichweite

Wasserstoff, 5-30 MT hoch, Atom , , tief, null

militärisch

, Kriegspro duktion, Versorgung, Häfen, Abschussrampen;, Plugplätze, Truppenansammlungen, Verkehrsnetz

Flugzeuge, Fernwaffen grosser und mittlerer Reichweite

Wasserstoff, Atom

Angriff (Gegenangriff)

Vorbereitung von Luftlandungen, Verteidigungsstellungen, Reserven, Atomwaffenträger kurzer Reichweite

Flugzeuge, Wasserstoff, Lenkwaffen, Atom Ballistische Raketen, Geschütze

Verteidigung Atomwaffenträger, kurzer Reichweite, Geländeziele, Angriffskolonnen, Unterstützungswaffen, Reserven, Nachschub

Minen

Atom

;50

KT bis 5MT

hoch, tief, null

0,5 KT bis 5MT

hoch, tief, null

0,5-2 KT null

einer explosiven Kettenreaktion eine bestimmte Minimalmenge - die sogenannte kritische Masse - des spaltbaren Stoffes unerlässlich ist, gelingt es1 doch, Bomben zu entwickeln, bei denen nur ein Bruchteil der kritischen Masse zur Kettenreaktion kommt, während der Hauptteil im Augenblick der Explosion ungespalten verdampft. Das ungespalteiie Bombenmaterial (Uran 235 oder Plutonium 239) ist zwar selbst auch radioaktiv, aber in unvergleichlich geringerem Grade als die, Spaltprodukte.

, , ;, , Kleinere Kernwaffen werden gebaut, um kleinere militärische Ziele angreifen .zu können, die auch näher bei der zu schonenden eigenen Truppe oder Zivilbevölkerung liegen. Es sollen Geschosse von 0,07 Kilotonnen und auch solche von 0,001 Kilotonnen, also mit einem Energieäquivalent von 1000 kg TNT in Entwicklung stehen.

.

; Bei Bomben im Megatonnenbereich ist es möglich, durch Verzicht auf einen Mantel aus Uran 238 oder Kobalt die entstehende Eadioaktivität auf diejenige der als Initialzünder verwendeten Spaltbombe zu beschränken.1

212 Es besteht begründete Aussicht darauf, dass die wissenschaftliche Forschung eine noch weitergehende Herabsetzung der radioaktiven Eückstände .hervorbringen wird. Auch solche Kernwaffen sind allerdings bezüglich Radioaktivität nicht grundsätzlich ungefährlich, da bei einer Explosion in Bodennähe die starke Neutronenstrahlung die Erde radio.aktiv induziert (sog. Neu: troneninduzierte Eadioaktivität). Wird sie aber mit hohem Sprengpunkt zur Explosion gebracht, können die Neutronenstrahlen nicht bis auf den Boden vordringen, und somit wird die radioaktive Gefahr gering. Da die Hitze- und Druckwirkung dennoch vorhanden ist, könnten solche Kernwaffen als Massenvemichtungsniittel Verwendung finden, ohne indessen wesentliche radioaktive Nebenerscheinungen zu verursachen.

Durch die Schaffung von Kernwaffen mit relativ kleinem Energieäquivalent und ohne nennenswerte radioaktive Eückstände wird auch die Feuerkraft kleinerer taktischer Kampfverbände (Bataillon, Kompagnie) gewaltig gesteigert, da solche Kernwaffen mit herkömmlichen Geschützen, Minenwerfern, Eaketenrohren usw. verschossen werden können, mit ändern Worten, es wird zwischen der Wirkung konventioneller Feuermittel und derjenigen der Kernwaffen ein gering abgestufter Übergang bestehen. Dem immerwährenden Streben nach maximaler Feuerkraft wird mit. diesen neuen Waffen, unter Beschränkung auf den taktischen Bereich, auf rationellste Weise Genüge geleistet.

III. Völkerrechtliche Aspekte einer atomaren Rüstung Die Frage einer allfälligen Ausrüstung der schweizerischen Armee mit Atomwaffen, deren direkter Wirkungskreis sich berechnen und damit auf das Ziel beschränken lässt, wirft auch völkerrechtliche Probleme auf. Dabei muss vorerst zwischen der Herstellung und Lagerung von Atomwaffen einerseits und dem Einsatz andererseits unterschieden werden. Auch dann nämlich, wenn die Verwendung einer bestimmten Waffe im Kriege verboten ist, kann deren Herstellung und Lagerung erlaubt sein und ihren Sinn haben. Das im allgemeinen auf dem Prinzip der Selbsthilfe beruhende Völkerrecht kennt als Sanktion vor allem die Eepressalie. Die Möglichkeit von Eepressalien hindert einen Gegner daran, verbotene Kriegsmittel einzusetzen und stellt damit unter Umständen eine Verstärkung der Eechtsnormen dar, indem die Verwendung eines verbotenen Kriegsmittels durch eine
Partei als Vergeltungsmassnahme den Einsatz des gleichen Mittels durch die andere Partei nach sich ziehen kann. Die Verletzung geltenden Eechtes und damit die Verwendung verbotener Kriegsmittel als Eepressalie bei einem Eechtsbruch ist völkerrechtlich zulässig und kann angesichts der dezentralisierten und anarchischen Völkerrechtsordnung ein Gebot der Selbsterhaltung sein. So haben auch diejenigen Staaten, welche das Genfer Protokoll vom 17. Juni 1925 über das Verbot von Giftgasen ratifiziert haben, weiterhin .solche Gase hergestellt sowie gelagert und sogar Vorbereitungen für die bakteriologische Kriegführung getroffen. Grund hiefür war vor allem die Möglichkeit der Verwendung unter dem Titel der Eepressalie. Abgesehen davon

213 verbietet -aber das Kriegsrecht jedenfalls heute noch die Herstellung'oder Lagerung von Nuklearwaffen nicht.

Hingegen ist die Frage nach der Bechtsmässigkeit des Einsatzes - abgesehen von : Repressalien - unterschiedlich zu beantworten, je nachdem ob es sich um eine strategische oder taktische Verwendung handelt. Die Mehrheit der Völkerrechtswissenschafter vertritt die Auffassung, dass der Einsatz von .strategischen Atom- oder Wasserstoffwaffen -- übrigens auch von ändern Massenvernichtungswaffen - insoweit völlig rechtswidrig ist, als sie direkt gegen die Zivilbevölkerung als solche eingesetzt werden oder als ihre Wirkung nicht unter Kontrolle gehalten werden kann. Eine derartige Verwendung-von Atomwaffen wird aber für die Schweiz ohnehin nicht in Frage kommen.

Kein Zweifel besteht in bezug auf die Bechtsmässigkeit des taktischen Einsatzes, d.h. gegen militärische Objekte, und von Waffen, deren Wirkungskreis sich berechnen und damit auf das Ziel beschränken lässt. Es kann 'nicht bestritten werden, dass die Atomwaffe eine Weiterentwicklung auf dem Gebiete ; der Kampfmittel darstellt.

' Es gelten jedoch für deren Einsatz die Einschränkungen der Artikel 25-27 der Haager Landkriegsordnung. Insbesondere ist die Beschiessung unverteidigter Örtlichkeiten untersagt. Zweifelhaft erscheint lediglich, ob dieses Verbot auch 'für'die Beschiessung von in unverteidigten Örtlichkeiten befindlichen militärischen Objekten gilt; die Praxis der Kriegführenden hat diese Frage in Anlehnung an die Regeln des Seekrieges verneint (IX. Haager Abkommen betreffend die Beschiessung durch Seestreitkräfte in Kriegszeiten, Art. 2). : Fern er kann angenommen werden, dass die Verwendung von Nuklearwaffen mit übermässigem ' oder unkoiitrollierbarein radioaktivem Ausfall, gegen das Verbot des Gebrauchs von Giften oder vergifteten Waffen in Artikel 23, Buchstabe a der Haager ;Landkriegsordnung und das Genfer Protokoll über das Verbot von Giftgasen und analogen Mitteln von 1925 sowie gegen Artikel 23, Buchstäbe e der Landkriegsbrdnung verstösst, der den Gebrauch von Waffen, Geschossen oder Stoffen verbietet, die geeignet sind, unnötige Leiden zu verursachen.

IV. Das ethische Problem Eines der Hauptargumente gegen die atomare Rüstung ist der Hinweis, dass sie sich nicht mit der christlichen Ethik bzw. mit den allgemeinen
ethischen Grundsätzen überhaupt vereinbaren lässt und dass es Pflicht der Schweiz sei, aus humanitären Gründen auf Atomwaffen zu verzichten. Damit wird die Frage nach dem Verhältnis von Ethik und Politik gestellt.

, :, In diesem Zusammenhang ist vorerst/darauf hinzuweisen, dass die Revolution i der Kriegführung durch die Atomwaffen, was die ethische Seite anbelangt, auch nicht überschätzt werden darf. Es gab von jeher totale Kriege, die mit der Ausrottung ganzer Völker endeten. Die Hochkulturen des Altertums machten im allgemeinen keinen. Unterschied zwischen Armee und Zivilbevölke-

214 rung. Derartige Kriege waren moralisch so wenig gerechtfertigt wie Flächenbombardierungen oder ein Ätomkrieg.

Der Einzelmensch kann unter Umständen seiner moralischen Überzeugung in einem absoluten Sinne ohne Bücksicht auf die Folgen nachleben. Eine Eegierung hat im Gegensatz hiezu die Auswirkungen und den Erfolg ihrer Massnahmen in Bechnung zu stellen. Sie trägt die Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern für das ganze Volk und für künftige Generationen, nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft. Es gehört zu ihrer Pflicht, das Böse nicht einfach passiv zu erdulden, sondern das Übel zu bekämpfen, im äussersten Falle auch mit Gewalt.

Ein freiheitliches und auf dem Eecht begründetes Staatswesen ist die Voraussetzung dafür, dass der Einzelmensch seiner moralischen Überzeugung überhaupt frei nachleben kann. Das gilt vor allem gegenüber einem Angreifer in der Form des totalen Staates. Wer dem Kampf gegen das Übel ausweicht, die Landesverteidigung in ihrer letzten Konsequenz ablehnt, schiebt im Grunde genommen diese harte Pflicht lediglich auf andere ab, entlastet sein Gewissen auf Kosten anderer. In einer solchen Haltung liegt neben achtenswerten Beweggründen auch eine Flucht aus der Verantwortung. Das, gilt im übrigen nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für das ganze Land. Wenn man heute überhaupt in der Schweiz in der Lage ist, den Verzicht auf Atomwaffen zu postulieren, so nur aus dem Grunde, weil andere Mächte über sie verfügen und damit indirekt ihre Eüstung auch uns schützt. Im gegenwärtigen weltpolitischen Kräftespiel ist die Schweiz wie andere kleinere Staaten Nützniesserin des atomaren Gleichgewichtes. Verzichten wir auf eine bestmögliche Bewaffnung, so überlassen wir damit einfach die Verteidigung anderen. Eine solche selbstgerechte Haltung kann kaum mit ethischen Grundsätzen vereinbart werden. Ganz abgesehen hievon würden wir durch ein solches Vorgehen uns auf die Dauer in die Abhängigkeit anderer Mächte begeben.

Schliesslich ist die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit der Schweiz die Voraussetzung aller ihrer vielfältigen humanitären Bemühungen. Wenn wir dem Gedanken Eaum geben würden, dass das, was unser Land z.B. auf dem Gebiete der Fürsorge für die Opfer von Kriegen und politischen Wirren tut, gewissermassen eine politische Sicherung bilde und unsere
Existenz in Freiheit verbürge, würden, abgesehen von der Fragwürdigkeit solcher Erwägungen, bei den Kriegführenden und Hilfesuchenden diese Überlegungen den moralischen Wert unserer Hilfstätigkeit und unser Ansehen herabsetzen. Es ist auch zweifelhaft, ob die Schweiz ohne die feste Grundlage der wirkungsvoll verteidigten Unabhängigkeit ihr Ansehen als internationaler Verhandlungsort, als Schutzmacht und als Mittlerin aufrechterhalten könnte.

Unsere immerwährende und bewaffnete, von keinen Opportunitätsrücksichten je sich bestimmen lassende Neutralität und die geschichtliche Verknüpfung der Gründung des Boten Kreuzes mit unserem Lande haben dazu geführt, dass der rein schweizerischen Zusammensetzung des Internationalen Komitees vom Boten Kreuz alle Botkreuzgesellschaften beipflichten.

215 :Nioht zuletzt durch,ihre humanitären Bemühungen hat sich die Schweiz eine Sonderstellung geschaffen, die uns ;der Weltöffentlichkeit und uns selbst gegenüber verpflichtet. Max Huber schreibt: «Die letzten Gründe dieser Pflicht unseres Landes, eine aktive Neutralität zu betätigen, liegen nicht, in einer Mystik der Neutralität und des Staates. Das Ethos des Staates ist das Ethos, das im Herzen, in der personenhaften Existenz seiner Bürger wurzelt.» Um dieser ethischen Pflichterfüllung nachkommen zu können, haben wir den Preis zu entrichten. Dieser hegt in einer realistischen Verteidigungspolitik, die uns .die bedingungslose Bewahrung unserer Freiheitsrechte garantiert.

V. Die Möglichkeit eines Atomkrieges In der neueren Kriegslehre pflegt man künftige Kampfhandlungen zu unterteilen in : - Allgemeinen Krieg und : - beschränkten oder lokalen Krieg, wobei unter einem allgemeinen Krieg ein kontinentaler oder weltumfassender Konflikt zu verstehen ist, währenddem in einem beschränkten Krieg der Umfang der Mittel oder die : Zeitdauer und in einem lokalen Krieg der Operationsraum geographisch auf ein kleineres Mass begrenzt sind. Die Grenzlinien zwischen denbeiden Kriegsarten können unter Umständen nicht klar gezogen werden. Auch ist es möglich, oder sogar wahrscheinlich, dass: aus der einen Kriegsform > die andere entstehen kann, insbesondere aus einem lokalen Konflikt ein allgemeiner !

Krieg.

Die Frage nun, ob überhaupt und wenn ja, bei welcher Kriegsform Kernwaffen zum Einsatz gelangen werden, kann nicht beantwortet werden. Tatsache ist, dass die massgebenden Militärmächte nicht nur über Atomwaffen verfügen, sondern dass die Struktur ihrer Streitkräfte, sowohl was die Bewaffnung als auch die Bestände und Organisation anbetrifft, auf eine Kriegführung mit Kernwaffen ausgerichtet ist.

Ein allgemeiner Krieg von weltweitem Ausmasse ist ohne Einbezug von Atomwaffen kaum denkbar, während lokale und beschränkte Kriege nach wie vor ohne aktive Verwendung der Kernwaffen ausgefochten werden können. Je mehr es aber gelingen wird, Atomwaffen mit kleinerem Energieäquivalent herzustellen, desto grösser wird die Möglichkeit ihrer Verwendung auch in beschränkten und lokalen Kriegen.

Solange auf dem Gebiet der konventionellen Kampfkraft zwischen den Weltmächten ein Missverhältnis vorhanden ist, rmiss damit
gerechnet werden, dass die an konventionellen Kampfmitteln schwächere Partei zur Herstellung eines Gleichgewichtes und zur Verteidigung ihrer Positionen veranlagst wird, Atomwaffen einzusetzen, womit aber auch; die wechselseitige Verwendung dieses Kampfmittels ausgelöst wird.

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Bei lokalen oder beschränkten Konflikten auf dem europäischen Kontinent - die uns direkt berührende Interessensphäre - ist es denkbar, dass infolge des atomaren Gleichgewichtes und aiis politischen und psychologischen Gründen auf eine Verwendung von Kernwaffen verzichtet wird. Wird jedoch das atomare Gleichgewicht aus irgendeinem Grunde gestört, wird damit die Gefahr der Kernwaffenverwendung gesteigert. Daraus kann gefolgert werden, dass aus Gründen der Abschreckung und wegen des Strebens nach einem Gleichgewicht der Kräfte, mit einem Verzicht auf Kernwaffen bedauerlicherweise kaum gerechnet werden kann; dies um so mehr, als bis anhin ein internationales Verbot der Kernwaffenverwendung und -herstellung nicht erreicht werden konnte, weil sich die Atommächte über die Durchführung der Kontrolle eines solchen Verbotes nicht zu einigen vermochten.

Was nun die Situation unseres Landes anbetrifft, so haben wir uns bereits in unserer Botschaft vom 30. Juni 1960 (Truppenordnung) geäussert, indem wir schrieben : «Kommt es zum Kampfe, so muss zwar angenommen werden, dass der Angreifer Atomwaffen einsetzt, doch besteht keine Sicherheit hiefür. Wenn wir auch mit dem günstigeren Falle nicht rechnen dürfen, so kann er doch nicht völlig ausser acht gelassen werden. Die Erfahrungen der letzten Jahre -- lokale und durch Stellvertreter geführte Kampfhandlungen - lassen sich auch auf Europa , übertragen, bei einer in Zukunft veränderten Konstellation. Solche Änderungen können nicht von vorneherein ausgeschlossen werden. Werden wir mit Nuklearwaffen angegriffen und stellt man lediglich auf die verfügbaren Mittel des allfälligen Gegners ab, so könnte theoretisch die Möglichkeit der Vernichtung unseres Volkes und der Armee, ohne dass ein fremder Staat unsere Grenzen überschreitet, angenommen werden. Der Abwurf von Wasserstoff- und Atombomben, der Abschuss von Atomraketen in genügender Zahl von Basen ausserhalb unseres Territoriums, vermöchten dieses Ergebnis zu erzielen. Wir können uns aber kaum eine militärpolitische Lage denken, die ein derartiges Handeln für einen Gegner auch nur annähernd als sinnvoll erscheinen Hesse, weder aus der derzeitigen Konstellation noch aus einer vielleicht später anders beschaffenen Mächtegruppierung heraus. Dazu kommt, dass wohl mit grösster Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf,
die Schweiz werde kaum je einmal losgelöst aus einem grösseren Geschehen alleiniges Kriegsobjekt sein. Stets dürfte sie nur im Zusammenhang mit Kriegshandlungen, die sich über eine Mehrzahl europäischer Länder oder über noch ausgedehntere Gebiete erstrecken, angegriffen werden. Unser Gegner wird also mit seinen Mitteln in umfangreichem Masse auch anderswo beansprucht sein. Er wird diese nicht oder nur schwer gegen uns konzentrieren können.

Aber auch wenn wir allein angegriffen würden, werden die gegen uns eingesetzten Mittel einer gegnerischen Grossmacht irgendwie begrenzt sein. Es gibt so etwas wie eine Saturierung des Kriegsschauplatzes; über ein gewisses Ausmass des Einsatzes von Kriegsmitteln kann nicht hinausgegangen werden, wenn der Gegner nicht sich selbst behindern will. Ins Gewicht fällt ferner vor

217 allem,, dass auch durch den Einsatz klassischer Kriegsmittel Zeit gewonnen werden kann, was für den Angreifer sogleich wiederum die Gefahr der Ausweitung des Konfliktes mit sich bringt. Damit erhöhen sich die Bedeutung und die Erfolgsaussichten eines hartnäckigen und länger dauernden Widerstandes auch eines Kleinstaates. Einzelaktionen sind nur gegen wehrlose Staaten, die ohne Zeitverlust überrannt werden können, lohnend. » Eine, eindeutige Voraussage, wie sich ein zukünftiger Krieg gestalten, würde, ist sehr schwer, doch ist es unsere Pflicht, uns auf den schlimmsten Fall - einen Kernwaffenkrieg -- vorzubereiten.

VI. Der Wert von Atomwaffen für die Schweiz · ' '' ' ' 1. Als militärischer Wertfdklor Die Tatsache, dass der mutmassliche Gegner Kernwaffen bereit zum Einsatz hat, kann einen potentiellen Angreifer davon abhalten, den Angriff auszulösen. Die Verteidigungskraft und die Fähigkeit, zurückzuschlagen, lassen1 das geplante Angriffsunternehmen als unrentabel erscheinen. Auf dieser These beruhen die gesamten Wehranstrengungen der Großmächte. Sie gilt aber auch für jeden Kleinstaat ungeachtet, ob er Partner eines militärischen Bündnisses ist, oder allein dasteht.1 Die Stellung .des Neutralen in diesem Kräftespiel wird in : Kapitel VII noch näher zu betrachten sein.

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Die Kernwaffe, steigert die Abwehrkraft eines entschlossenen Verteidigers auf der Erde und in der Luft in einem bisher nicht gekannten Ausmasse. In den Jahrzehnten vor dem letzten Weltkrieg hat sich das Verhältnis zwischen den Möglichkeiten einer Grossmachtarmee und der Leistungsfähigkeit eines kleinen Heeres dauernd .zugunsten der ersteren verschoben. Mit dem, Auf kommen der Nuklearwaffe hat sich diese Entwicklung schlagartig geändert. Auch eine zahlenmässig bescheidene und nicht mit allen modernen Waffen ausgerüstete Armee kann dank der Atomwaffe, auch wenn es sich nur um taktische handeln sollte, in den Überlegungen potentieller Angreifer ein ausschlaggebender, Unrentabilitätsfaktor sein. , , , ; :; .

Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass ein Verzicht,der Schweiz auf Atomwaffen eventuelle Gegner davon abhalten würde, selbst Kernwaffen gegen uns einzusetzen. Auch muss damit gerechnet werden, dass eine kriegführende Partei solche Waffen gegen ihren auf schweizerisches Gebiet eingedrungenen Feind verwendet. Auch in diesem
Fall wäre es unerheblich, wenn die Schweiz selbst keine Atomwaffen zur Verfügung' hätte ; wahrscheinlicher erscheint, dass ' das Ausland dann auf unserem Gebiet sich mit atomaren Mitteln bekämpft. Die Angriffsabsicht und die Wahl der Angriffsmitte] werden allein von der Überlegung diktiert, dem Gegner entscheidende Verluste beizubringen, um das'Ziel des Angriffes raschniöghchst zu erreichen.

Die Geschichte lehrt, dass allein die Kraft und der Wille zur Verteidigung respektiert werden und jedes Nachlassen oder gar. Aufgeben der Wehranstrengungen als Schwäche ausgelegt wird. Unsere militärische und moralische Ab-

218 Wehrkraft waren Mitgründe, die die Schweiz die beiden letzten Weltkriege unangetastet überstehen Hess.

Es sind ferner Lagen denkbar, wo wir nicht allein, sondern im Zusammenhang mit allgemeinen Feindseligkeiten angegriffen werden.iDaraus kann sich eine Zusammenarbeit mit dem Gegner unseres Angreifers - wohl meistens einer Grossmacht - ergeben. Derartige Fälle einer gemeinsamen Kriegführung haben sich nach jeder geschichtlichen Erfahrung bis jetzt immer als nachteilig für den Kleinstaat erwiesen. Als der Schwächere läuft er die Gefahr, in die Abhängigkeit des Grössern zu geraten und seine eigenen Interessen von den Grossmächten aufgeopfert zu sehen. Es kann auch zu Kompromissen zwischen den Kriegführenden zu Lasten der kleineren Staaten kommen. Ziel der Landesverteidigung wird es dann sein, die politische Unabhängigkeit und Bewegungsfreiheit unseres Landes möglichst weitgehend aufrechtzuerhalten.

Das grösste Gewicht, das wir in einer solchen Lage in die Waagschale werfen können, ist die Armee. Je besser bewaffnet, organisiert und ausgebildet diese ist, desto günstiger wird sich unsere Verhandlungsposition gestalten.

Eigene Atomwaffen würden unser militärisches und damit auch unser politisches Gewicht erhöhen. Die Folge wäre eine Verminderung unserer Abhängigkeit von ändern Staaten, eine weitergehende militärische und politische Handlungsfähigkeit der schweizerischen Regierung und somit eine wesentlich stärkere Stellung gegenüber ändern Staaten, als dies bei konventioneller Bewaffnung der Fall ist.

Auch dieser Grund könnte deshalb für die Einführung von Atomwaffen sprechen.

2. Als aktives Kampfmittel Der aktive Einsatz von Kernwaffen - wie auch aller anderen Kampfmittel käme für unser Land nur im Sinne der Verstärkung der Abwehrkraft in Frage.

Es geht im wesentlichen darum, mit grösster Feuerkraft dem Gegner das Eindringen in unser Hoheitsgebiet zu verwehren und im Ealle eines Misslingens dieser Absicht, den eingedrungenen Angreifer zu vernichten.

Für den taktischen Einsatz eigener Atomwaffen (Boden-Boden und LuftBoden) können folgende Ziele und Einsatzmittel in Frage kommen : a. Ziele auf f r e m d e m Territorium Nach Auslösung der Angriffshandlungen eines Gegners gegen unser Land werden sich auf fremdem Territorium gelegene Ziele ergeben. Es handelt sich dabei vor allem um massierte
Bereitstellungen von Angriffstruppen, Stellungen der klassischen Artillerie und von Atomwaffen-Abschussgeräten sowie von Flugplätzen der taktischen Flugwaffe und Verkehrsknotenpunkte.

b. Ziele im Innern des Landes Die moralisch, psychologisch und politisch unbedingt gerechtfertigte Rücksichtnahme auf unsere Zivilbevölkerung, lässt auf den ersten Blick den Anschein

219 aufkommen, dass der Einsatz eigener Atomwaffen innerhalb unseres Landes nicht befürwortet werden kann. Dennoch würden sich nach dem Einbruch feindlicher Truppen auf unser Territorium zahlreiche, Atomwaffenziele im Landesinnern ergeben.; Solche Ziele liegen in den meisten Fällen in Gebieten, die durch einen feindlichen Atomwaffenbeschuss ohnefiin schon betroffen sind oder in denen sich die Zivilbevölkerung als Folge der kriegerischen Handlungen nicht mehr aufhält.

Bei solchen Zielen denken wir in erster Linie an Einbruchstellen in unserem Abwehrdispositiv, welche als Basis zu weiterem Vordringen in das Landesinnere dienen können, an Luftlandetruppen, für die in unserem Lande mehrere Bäume geeignet sind, und an das Verkehrsnetz, auf das ein Gegner zur Erreichung seiner operativen Ziele weitgehend angewiesen ist. Auch zur Unterstützung von Gegehangriffen durch beweglich eingesetzte Teile unserer Armee werden sich lohnende Ziele mannigfaltiger Art bieten.

c. Die möglichen Einsatzmittel Für die Bekämpfung der Ziele auf fremdem Territorium würde uns zurzeit allein unsere Flugwaffe zur Verfügung stehen. Zusätzlich zu den Flugzeugen kämen noch Boden-Boden-Eaketen mittlerer Eeichweite in Betracht, die im Fluge mit den heute bekannten Abwehrmitteln nicht vernichtet werden können.

Da solche Eaketen sehr kostspielig sind und eine relativ grosse Streuung aufweisen, werden sie vorwiegend mit atomaren Sprengköpfen versehen, damit Aufwand und Wirkung in ein tragbares Verhältnis gebracht werden können und die Treffungenauigkeit durch den grossen Wirkungsbereich ausgeglichen wird.

Mit der Einführung eigener Atomwaffen könnte ein einzelnes Flugzeug im einmaligen Einsatz auf ein bestimmtes Ziel eine Wirkung erzielen, zu deren Verwirklichung bis jetztHunderte und Tausende vonEinsätzen durch eine Grosszahl von Maschinen geflogen werden mussten. Das Flugzeug als Atomwaffenträger bringt Luft-Boden-Eaketen oder Bomben ins Ziel.

Gewisse Ziele können neben Flugzeugen und Boden-Boden-Eaketen auch mit Atomgeschützen bekämpft werden. Diese klassischen Artilleriegeschütze verschiessen neben der konventionellen Brisanzmunition solche mit atomaren Sprengköpfen mit einem Energieäquivalent von ca. 0,5-50 KT.

3. Die Einsatzkompetenz Der grundsätzliche Entscheid, ob Kernwaffen zum Einsatz gelangen sollen, kann infolge seiner
Tragweite nur von der höchsten politischen Führung getroffen werden. Ist dieser einmal in bejahendem Sinne gefällt worden, so ist die oberste militärische Führung für weitere Entscheide zuständig. Die Antwort auf die Frage einer Abtretung der Einsatzkompetenz an die Unterführer wird weitgehend vom Kaliber der Waffe sowie der Art und geographischen Lage der Ziele abhängen.

220 Es ist also nicht so, dass Truppenkommandanten, die aus Zweckmä.ssigkeitsgründen Atomwaffen mit sich führen., diese a priori einsetzen könnten. Auch wenn wir einmal in der Lage sein sollten, Atomwaffen zu beschaffen, würde der Einsatz dieses Kampfmittels wegen seines Charakters und seiner Kostspieligkeit grundsätzlich Sache der obersten Führung sein.

VII. Atomwaffen und Neutralität Die immerwährende Neutralität der Schweiz verpflichtet uns zur Verteidigung. Die Neutralität kann nur eine bewaffnete sein und ist nur als solche anerkannt worden. Wenn es auch im freien Ermessen des Neutralen liegt, zu entscheiden, in welchem Umfange und in welcher Art. und Weise er seine Eüstung ausbaut, so muss es sich doch um eine effektive und möglichst wirkungsvolle handeln. Dies deckt sich mit dem politischen Interesse, ein Maximum an Abwehrbereitschaf t zu erreichen, um einen feindlichen Angriff so verlustreich als möglich zu gestalten; die Erfolgsaussichten eines solchen müssen herabgesetzt und damit die Versuchung einer Macht hiezu wenn möglich ausgeschaltet werden. Es ist denkbar, dass dieses Ziel unter Umständen nicht erreicht werden könnte, wenn die Schweiz infolge des Fehlens von Atomwaffen auf die, Dauer in Europa ein militärisches Vakuum darstellen würde.

Wie wir in Kapitel VI ausführen, würden Atomwaffen eine ausserordentliche Verstärkung der Verteidigung unseres gesamten Territoriums mit sich bringen.

Dies liegt ebenfalls im Sinne der Neutralität, die dem Neutralen untersagt, irgendeinen Teil seines Gebietes einem Kriegführenden zu überlassen. Die Unversehrtheit unseres Territoriums wäre besser gewährleistet, sei es durch die Abschreckungswirkung der Atomwaffen, sei es durch den aktiven Einsatz.

Eine Ausrüstung unserer Armee mit Nuklearwaffen erscheint heute praktisch nur unter der Voraussetzung einer Durchbrechung des gegenwärtigen Atommonopols der Grossmächte denkbar. Man befürchtet mit Becht, dass eine Ausweitung des Kreises der Atommächte zu einer Erhöhung der Unsicherheit und der Gefahren führt. Man spricht von einem atomaren Chaos. Es ist wahrscheinlich, dass die Weltmächte ein starkes gemeinsames Interesse an der Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes haben, um nicht von unkontrollierbaren Eeaktionen kleinerer Staaten abhängig und gegen ihren Willen in einen Atomkrieg hineingerissen zu werden. "Atomwaffen in den Händen unstabiler, expansionslüsterner Eegierungen wären politischer Zündstoff. Es stellt sich damit die Frage, ob die Schweiz mit einer atomar gerüsteten Armee zu dieser Unsicherheit beitragen und die internationalen Spannungen vergrössern würde. Dazu ist zu sagen, dass eine Ausrüstung mit Atomwaffen längere Zeit erfordern
würde. Man wird dann Klarheit darüber haben, ob es den Weltmächten gelungen ist, ihr Atommonopol aufrechtzuerhalten, sei es rein tatsächlich, sei es auf Grund einer Vereinbarung. Die Wahrscheinlichkeit spricht eher dagegen. Wir müssen mit dem Verschwinden des Monopols rechnen und auf diesen Fall vorbereitet sein.

221 ,Es ist auch kaum denkbar, dass die Bestrebungen unseres Landes zu einer zusätzlichen Spannung führen könnten, da es wohl überall bekannt ist, dass wir keine Expansionspolitik verfolgen. Durch das völkerrechtliche Neutralitätsstatut und die Neutralitätspolitik! unterscheidet sich die 'politische1 Lage> der Schweiz grundsätzlich von derjenigen anderer Staaten. Unser strikter und unverrückbarer Neutralitätsstandpunkt dürfte, so betrachtet, eine Ergänzung unserer 'Landesverteidigung durch atomare Mittel als verständlich erscheinen lassen.

' · · · . . . : , VIII. Schlussbemerkungen und Antrag In unserem Bericht sind wir absichtlich auf die Beschaffung von Nuklearwaffen, sei es durch Ankauf, durch Eigenentwicklung oder durch Lizenzproduktion, nicht eingetreten. Diese Frage bleibt offen, bis sich eine Beschaffungsmöglichkeit zeigt, und zwar unter Bedingungen, die weder unsere Souveränität noch unsere Neutralität in irgendeiner Weise berühren. Dies ist gegenwärtig nicht der Fall. Entscheide in bezug auf die Beschaffung, die ohnehin Sache der eidgenössischen Bäte wären, sind deshalb weder getroffen noch unmittelbar bevorstehend.

Es ist aber denkbar, 'dass sich die Verhältnisse in dieser Hinsicht ändern und dass in bezug auf die Beschaffungsmöglichkeiten eine neue, Lage eintritt.

Ein generelles Verbot der Atomwaffen, wie es die Volksinitiative vorsieht, hätte dann die schwerwiegende Folge, dass eine allfällige Beschaffung dieser Waffen praktisch verunrnöglicht wäre. Dies könnte um so verhängnisvoller sein, als die Entwicklung im Kernwaffenbau heute noch keineswegs abgeschlossen ist. Sie geht u. a. in Bichtung kleinkalibriger Atomwaffen mit unbedeutenden radioaktiven Nebenwirkungen. Solche Waffen würden dann zum unentbehrlichen Bestandteil im Arsenal jeder kampfkräftigen Armee werden. Wir dürfen ihre Einführung zur Verstärkung unserer Abwehrkraft und zur Erhaltung unserer relativen Stärke daher nicht zum vornherein ausschliessen.

Im weitern kann ein Atomwaffenverbot in dem Sinne präjudizierend wirken, als in Zukunft auch der Erwerb anderer heute noch nicht bekannter Kampfmittel unserer Armee unmöglich gemacht würde. Eine solche Verfassungsbestimmung stände daher im Widerspruch zum Prinzip einer wirksamen Landesverteidigung und der Neutralität, indem sie verhindert, die wirkungsvollsten Kampfmittel
anzuschaffen. Es geht deshalb darum, für die Zukunft den Weg für eine atomare Rüstung der Armee offenzulassen, sofern sich die Möglichkeiten dazu ergeben und sie sich als notwendig erweist.

Mit Nachdruck möchten wir aber darauf hinweisen, dass, wir die Einführung von Atomwaffen an sich nicht wünschen. Wir sind uns der Gefahr, die der Menschheit bei Ausbruch eines unbeschränkten Atomkrieges drohen würde, voll bewusst. Der Besitz eigener Atomwaffen, namentlich wenn solche zur Ausrüstung der meisten Armeen gehören sollten, kann aber diese Gefahr weder vergrössern noch vermindern. Hingegen würden sie den Wert unserer Bundesblatt. 113. Jahrg. Bd. II.

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222

Armee als Machtfaktor erhöhen und - wenn es zum Äussersten kommen sollte die Möglichkeiten unserer Selbstbehauptung entscheidend verbessern.

Wir empfehlen Ihnen daher, das Volksbegehren für ein Verbot der Atomwaffen abzulehnen und dem Entwurf zu einem entsprechenden Bundesbeschluss, den wir beilegen, zuzustimmen.

Dies hindert uns nicht, die Bestrebungen auf Abrüstung, internationale Kontrolle der Rüstungen und Abschaffung der Atomwaffen zu unterstützen und uns unter Umständen an einer entsprechenden Vereinbarung zu beteiligen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 7. Juli 1961.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Wahlen Der Bundeskanzler: Ch. Oser

228 (Entwurf)

Bundesbeschluss über das Volksbegehren für ein Verbot von Atomwaffen

Die Bundesversammlung der SchWieizerischen Eidgenossenschaft, nach Prüfung des Volksbegehrens für ein Verbot von Atomwaffen vom 29. April 1959 und nach Einsicht in einen Bericht des Bundesrates vom 7. Juli 1961, gestützt auf Artikel 121 ff. der Bundesverfassung und Artikel 8 ff. des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892/5. Oktober 1950 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung, beschliesst :

Art. l 1

,Das Volksbegehren vom 29.April 1959 für ein Verbot von Atomwaffen wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet.

2 Die im Volksbegehren beantragte Verfassungsbestimmung lautet wie folgt: Art. 2QWS Herstellung, Einfuhr, Durchfuhr, Lagerung und Anwendung von Atomwaffen, wie ihrer integrierender Bestandteile, sind im Gebiete der Eidgenossenschaft verboten.

, , Art. 2 Volk und Ständen wird die Verwerfung des Volksbegehrens beantragt.

Art. 3 Der Bundesrat ist mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

5770

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren für ein Verbot von Atomwaffen (Vom 7.Juli 1961)

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Bundesblatt

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Foglio federale

Jahr

1961

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

30

Cahier Numero Geschäftsnummer

8273

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

27.07.1961

Date Data Seite

202-223

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