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Bundesrathsbeschluss über

den Rekurs des Herrn Gr. H., Schriftsetzer in F., betreffend die Anwendung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs.

(Vom 1. Juli 1892.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath hat

in Sachen des Rekurses des Herrn G. H., Schriftsetzer in F., betreffend die Anwendung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs; auf das Gutachten des eidgenössischen Rathes für Schuldbetreibung und Konkurs und den gleichlautenden Antrag des Justizund Polizeidepartements; nach Feststellung folgender aktenmäßigen Thatsachen : Unterm 20. März 1892 reichte G. H., Schriftsetzer in F., eine Beschwerde gegen das dortige Betreibungsamt beim Bundesrathe ein. Es wurde der Beschwerdeführer auf den regelmäßigen Instanzenzug verwiesen und ihm bedeutet, der Bundesrath nehme keine Beschwerden gegen Betreibungsämter entgegen, sondern nur solche, die sich gegen kantonale Aufsichtsbehörden richten. Nachdem Beschwerdeführer sich inzwischen an die kantonale Rekurskommission gewendet hatte, gelangte er unterm 5. Mai neuerdings an den Bundesrath.

Rekurrent wurde für eine Forderung von Fr. 225 von der Schuldentilgungskassa betrieben. Das Betreibungsamt in F. pfändete nach Art. 93 B.-G. den Lohn des Schuldners und setzte am 14. März den vom Prinzipal des Schuldners monatlich einzubehaltenden Betrag auf Fr. 20 fest. Der wöchentlich mit Fr. 28 ausbezahlte Lohn

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beträgt per Monat Fr. 112. Am 15. März erklärte die Gläubigerin, eine Staatskassa, sich mit einem monatlichen Abzug von Fr. 15 begnügen zu wollen. Am 20. April beschwerte sich der Schuldner über den Entscheid des Betreibungsamtes bei der kantonalen Aufsichtsbehörde, indem er geltend machte, daß der ganze Betrag seines Monatsgehaltes von Fr. 112 für den Unterhalt seiner aus n e u n Köpfen bestehenden Familie unentbehrlich sei, und daß überdies der von ihm faktisch bezogene Lohn nicht immer den Betrag von Fr. 112 erreiche, sondern infolge von Arbeitsmangel sich durchschnittlich auf monatlich Fr. 60 reduzire.

Die Aufsichtsbehörde, nachdem sie zu konstatiren im Falle war, daß der Schuldner von seinem Prinzipal regelmäßig, auch bei Arbeitsmangel, ein Salär von Fr. 112 per Monat erhalte; daß demselben nur selten, infolge von Wegbleiben vom Geschäfte, ein Taglohn abgezogen werde, und daß der Betrag von Fv. 112 ^mehr als genügend"1 sei für die Haushaltungsbedürfnisse des Schuldners, beschloß unterm 23. April, den Rekurs als theilweise begründet zu erklären, die angefochtene Handlung des Betreibungsamtes aufzuheben und zu verfügen, daß, für die Dauer der gegenwärtigen ökonomischen Verhältnisse des Rekurrenten, von dessen Gehalte von Fr. 112 ein Betrag von Fr. 97 als für den Unterhalt der Familie unumgänglich nothwendig und deßhalb unpfändbar zu erachten sei.

In seiner Beschwerdeschrift an den Bundesrath macht der Schuldner geltend, daß seine sehr geringe Besoldung nur zur Hälfte ausreiche zum Unterhalte seiner aus neun Köpfen bestehenden Familie, und ersucht um gänzliche Aufhebung der Pfändung oder eventuell um eine Reduktion des monatlichen Abzugs; in Erwägung: Die Verfügung des Betreibungsamtes F. und der Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde -- wogegen die vorliegende Beschwerde sich richtet -- hat eine T h a t f r a g e , nichteine Rechtsfrage zum Inhalte. Die kantonalen.Behörden haben in rein faktischer Würdigung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse in F. und der besonderen des Besehwerdeführers nach freiem Ermessen festgestellt : mit diesem bestimmten monatlichen Einkommen kann ein Familienvater in diesen bestimmten Verhältnissen in seinem Wohnorte leben.

Diese Festsetzung einer gewissen Lebenshaltung für eine bestimmte Klasse von Mitbürgern mag von den Betroffenen selbst als zu niedrig erfunden und empfunden werden; sie mag einer irrthümlichen oder unrichtigen Auffassung der sozialen Verhältnisse

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entspringen ; sie kann im einzelnen Falle zu Härten und Ungerechtigkeiten führen; oder aber sie mag auf humaner und richtiger Beurtheilung der einschlägigen Faktoren basiren -- immerhin stellt sie sich unbestreitbar als die Würdigung einer T h a t s a c h e dar, als eine Schätzung, mit deren Beurtheilung, sei sie gerechtfertigt oder nicht, der Bundesrath sich gesetzlich nicht zu befassen hat.

Art. 19 B.-G. beschränkt die Kompetenz des Bundesrathes auf die Beurtheilung solcher Entscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden, gegen die wegen unrichtiger Auslegung des Gesetzes, wegen Rechtaverweigerung, Rechtsverzögerung u. s. w., also wegen G e s e t z w i d r i g k e i t , Beschwerde erhoben wird.

Es steht demnach dem Bundesrathe nicht zu, zu untersuchen, ob die angefochtene Verfügung den Verhältnissen a n g e m e s s e n sei oder nicht, das heißt, ob der dem Betriebenen belassene Betrag für ihn thatsächlich hinreichend sei.

Es liegt also im vorliegenden Falle eine reine Thatfrage vor, über die die kantonalen Aufsichtsbehörden frei und uneingeschränkt und in letzter Instanz befinden können,

beschlossen: Es wird auf den Rekurs w e g e n U n z u s t ä n d i g k e i t nicht eingetreten.

B e r n , den 1. Juli 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Häuser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier

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06.07.1892

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