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Bundesblatt 89. Jahrgang.

Bern, den 15. September 1937.

Band II.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr: 60 Rappen die Pctitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stämpfli & de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über eine Partialrevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung.

(Vom 10. September 1937.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiemit Bericht und Antrag über die Vornahme einer Partialrevision der Bundesverfassung zu unterbreiten, welche die verfassungsmässige Grundlage für die künftige Wirtschaftsgesetzgebung ergeben soll.

A. Einleitung.

Eine Abänderung der bisher geltenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Wirtschaftsgesetzgebung kann sachlicherweise nur gerechtfertigt werden, wenn nachgewiesen wird, dass einerseits die bestehende Ordnung Mängel aufweist und dass anderseits die vorgeschlagene Änderung imstande ist, diese Mängel zu beheben.

Eine Begründung der Neuordnung muss daher mit dem Nachweis der Unvollkommenheiten der gegenwärtigen Ordnung beginnen, da diese zugleich richtungweisend für die Art der Umgestaltung sein müssen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass keineswegs alle Störungen der Wirtschaft oder des Soziallebens auf Mängel der Wirtschaftsverfassung zurückz u f ü h r e n sind. Die Schwierigkeiten können auf Einflüsse zurückgehen, denen keine Wirtschaftsverfassung und kein Land gewachsen ist; sie können ferner in einer ungenügenden Anwendung der bisherigen Ordnung begründet sein, und sie können endlich aus unvermeidlichen Unvollkommenheiten aller menschlichen Organisation hervorgehen.

Es ist allerdings in den letzten Jahren üblich geworden, alle Störungen und Unvollkommenheiten der Wirtschaft dem herrschenden «System» zur Last zu legen. Diese Auffassung übersieht, dass die Grundzüge der heutigen Wirtschaftsorganisation schon vor dem Kriege bestanden haben, ohne dass Krisen, Bundesblatt. 89. Jahrg. Bd. II.

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Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen aufgetreten wären, die mit den heutigen auch nur annähernd verglichen werden könnten. Vielmehr war ein rascher technischer Fortschritt mit einer starken Wohlfahrtsteigerung, raschen sozialen Fortschritten und einer relativ grossen Stabilität der wirtschaftlichen Grundlagen verbunden, so dass man einen Bückgang der Konjunkturschwankungen feststellen konnte.

Ehe man die gegenwärtigen Störungen zum Ausgangspunkt für Änderungen der Wirtschaftsverfassung macht, wird man Klarheit darüber schaffen müssen, welcher. Teil der heutigen Unvollkommenheiten der Wirtschaft auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber äusseren Einflüssen einmaliger oder vorübergehender Natur z u r ü c k z u f ü h r e n sind und welcher Teil aus eigentlichen Schwächen der Wirtschaftsorganisation zu erklären ist.

a. Störungen einmaliger und vorübergehender Art.

In erster Linie ist hervorzuheben, dass der Krieg und die politischen Spannungen der Nachkriegszeit in hohem Masse zu den gegenwärtigen Schwierigkeiten beigetragen haben und zum Teil auch weiterhin beitragen werden, ohne dass es angängig wäre, diese Störungen aus der heutigen Wirtschaftsverfassung abzuleiten.

Ganz abgesehen von der Vernichtung von Mensehen und Kapitalien, von den Verschiebungen in der geographischen Verteilung der Produktivkräfte und des Absatzes und von der dauernden Schuldenbelastung, bedeutete der Krieg eine zweimalige Umstellung der Wirtschaft von riesenhaftem Ausmass: die Umstellung von der Friedens- zur Kriegswirtschaft und von der Kriegszur Friedenswirtschaft, die jedesmal organisatorische Aufgaben grössten Stiles stellten und die für jede Wirtschafts Verfassung eine schwerste Belastungsprobe bedeuten mussten. Im Anschluss daran hat sich bekanntlich eine politische Neuorientierung der Staaten angebahnt, die die Wirtschaft aufs stärkste beeinflusste, nämlich die Verstärkung des Nationalismus, die eine weitgehende Umstellung von der Produktion für den Weltmarkt zur Produktion für den Inlandsmarkt nach sich zog, mit der Wirkung, dass nicht nur beträchtliche Kapitalien eine vorzeitige Entwertung erfuhren, sondern auch zum Ausbau der Inlandsproduktion grosse Mehrinvestitionen erforderlich waren. Überdies konnte diese Umstellung nur durch Einschaltung eines komplizierten Netzes staatlicher Eingriffe erreicht werden, wodurch in der ganzen Weltwirtschaft ein neues Moment der Unstabilität geschaffen wurde.

Als greifbares Erbe der Gleichgewichtsstörungen durch den Krieg entwickelte sich sodann eine fortgesetzte Unstabilität der Währungen, die in einzelnen Ländern nur vorübergehend durch eine rechtliche Stabilisierung überdeckt wurde. Für eine haltbare Gesundung aller wichtigen Währungen des Weltmarktes fehlten aber die tatsächlichen Voraussetzungen, weil die starken internationalen Kostenunterschiede, die Schuldverpflichtungen, das

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fluktuierende Spekulationskapital und die Einschränkung des internationalen Warenverkehrs die Zahlungsbilanzen, zu leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen vermochten.

Von ebenso grosser Bedeutung war die Eückbildung der Kriegsinflation in der Form einer fortgesetzten Preissenkung, die zur Folge hatte, dass die private und öffentliche Schuldenlast immer schwerer wurde und die Produktenpreise rascher fielen als Löhne und Gehälter. Dadurch trat eine relative Verteuerung des Produktionsfaktors Arbeit gegenüber dem Produktionsfaktor Kapital ein, welche die technische Entwicklung vorwiegend in die Eichtung der Mechanisierung drängte und zur Entstehung des Begriffs der «technologischen Arbeitslosigkeit» Anlass gab. In der Krise kam überdies eine zunehmende Aufzehrung der Gewinnmarge der Unternehmer hinzu. Gleichzeitig förderten die Geldflüssigkeit und die relativ niedrigen Zinssätze die Konkurrenz, so dass überall eine «Übersetzung» der verschiedenen Erwerbszweige in Erscheinung trat.

Diese Entwicklung wurde noch verschärft durch einen f e h l e r h a f t e n Kreditaufbau auf internationaler Basis. Durch den Krieg und die Friedensverträge entstanden Kapital- und Zinsbewegungen, die dem natürlichen Gefalle der Wirtschaft widersprachen. Der Mangel an langfristigem Kapital wurde ersetzt durch die Ausweitung kurzfristiger Kredite von inflationsähnlichem Charakter. An Stelle langfristiger Kapitalanlagen im Ausland traten kurzfristige Kredite, für welche die sichere Basis fehlte, und die mangelnden privaten Kapitalanlagen wurden ersetzt durch Bankkredite, die in der Krise nicht liquidiert werden konnten. Diese künstliche Kreditstruktur hätte auch bei einer stabileren Wirtschaftsentwicklung früher oder später zu grossen Schwierigkeiten führen müssen.

Gleichzeitig mit diesen Anpassungsschwierigkeiten vollzogen sich grosse Veränderungen im Gefüge der Wirtschaft. Wenn es auch unwahrscheinlich ist, dass im ganzen der technische Fortschritt in der Nachkriegszeit wesentlich rascher vor sich gegangen ist als in der Vorkriegszeit, so haben doch Teilentwicklungen die Unstabilität erhöht. Die verstärkte Mechanisierung als Folge der Verteuerung des Produktionsfaktors Arbeit ist schon erwähnt worden. Dazu kam die Steigerung der überseeischen Erzeugung von Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Eohstoffen, die teils der
vorangehenden Kriegsnachfrage, teils der Mechanisierung der Landwirtschaft und teils der künstlichen Preisstützung zuzuschreiben ist. Da hingegen die Nachfrage infolge der europäischen Autarkiebestrebungen abnahm, ergab sich ein Preissturz, der eine Schrumpfung der Industrieproduktion nach sich ziehen musste.

Einen weiteren Herd der Unstabilität bildete das Verkehrswesen als Folge der g e w a l t i g e n Entwicklung des Automobils. Ähnlich wie die ersten Krisen des 19. Jahrhunderts eine Folge des stossweisen Ausbaus der Eisenbahnen waren, sind die Nachkriegskrisen offenbar verstärkt worden durch das plötzliche Vordringen des Automobils, das eine grundlegende Veränderung

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der lokalen Konkurrenzverhältnisse in der Wirtschaft und damit eine Umschichtung der Produktivkräfte und der Kaufkraft mit sich brachte.

Dazu kommen endlich die Störungen von der Nachfrageseite her, in der Form einer wachsenden Veränderlichkeit der Nachfrage; denn die allgemeine Hebung des Lebensstandards führte zu einer Vergrösserung des Anteils des sogenannten Wahlbedarfes, der grösseren Veränderungen unterliegt als der Existenzbedarf. Infolgedessen sind die Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit des Produktionsapparates und das Kapitalrisiko grösser geworden als in der Vorkriegszeit.

Aus dem vorangehenden ergibt sich, dass ein erheblicher Teil der Schwierigkeiten und Störungen der letzten Jahre einmaliger Natur sind und dass sie mit den Störungsursachen wegfallen werden. Das gilt besonders von den eigentlichen Kriegsfolgen. Es gilt aber auch von der Preissenkung der Nachkriegszeit, die vermutlich im Anschluss an die Abwertungen von einer Periode steigender Preise abgelöst werden dürfte, wenn nicht neue gegensätzliche Wirkungen eintreten. Dadurch dürften zahlreiche Probleme einen ganz andern Anblick erhalten, und der Druck der Schuldenlast, die übermässige Tendenz zur Mechanisierung und die Verschärfung der Konkurrenz in mittelständischen Kreisen dürften geringer werden.

Dagegen darf offenbar leider nicht mit einer baldigen Änderung der Tendenz zum Nationalismus, zur internationalen Abschliessung und zur staatlichen Kontrolle der Wirtschaft gerechnet werden, so dass auch für die Schweiz gewisse Änderungen der grundsätzlichen Einstellung erforderlich sind. Denn die grössere Geschlossenheit der Willensbildung im Ausland macht auch eine Intensivierung der Willensbildung im eigenen Lande nötig, wenn die Schweiz ihren Anteil am Weltmarkt behaupten will.

b. Unwllkommeriheiten der gegenwärtigen

Wirtschaftsnerfassung.

Wenn man aus den heutigen Schwierigkeiten der schweizerischen Wirtschaft die Störungen aussondert, die auf die oben genannten einmaligen Einflüsse vorwiegend äusserer Art zurückzuführen sind, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass das Mass der «Unordnung», das auf die geltende Wirtschaftsverfassung zurückgeführt werden kann, sehr viel kleiner ist, als dies von manchen Seiten behauptet wird, insbesondere dann, wenn man berücksichtigt, dass jede andere Wirtschaftsverfassung ebenfalls ein gewisses Mass von Unvollkommenheiten aufzuweisen hat. Wer also ein gerechtes Urteil fällen will, darf nicht die tatsächliche, jetzt geltende Wirtschaftsordnung mit einer idealen vergleichen, sondern er muss eine andere wirklich angewandte und anwendbare Verfassung zum Vergleich heranziehen.

Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass eine Eeihe von wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten bestehen, die mit der geltenden Wirtschaftsverfassung oder ihrer Anwendung zusammenhängen und die daher durch organisatorische Änderungen, wenn nicht beseitigt, so doch gemildert werden

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können. Um sie verständlich zu machen, sind die Grundprinzipien der geltenden Wirtschaftsorganisation und die Voraussetzungen ihrer Verwirklichung darzustellen.

Die heutige sogenannte liberale Wirtschaftsverfassung beruht auf dem Grundsatze der wirtschaftlichen Freiheit oder der freien Konkurrenz, d. h. die Wirtschaft wird grundsätzlich nach dem Prinzip der individuellen Selbstverantwortlichkeit auf Grund freier Verträge, geführt. Von diesem Organisationsprinzip versprach man sich bei seiner Einführung folgende Vorteile : 1. Eine sachliche Auslese der tüchtigsten Wirtschafter und der besten Methoden durch einen Leistungskampf im Dienste der Konsumenten.

2. Eine Steigerung der Leistung durch die Entfaltung der Initiative und der schöpferischen Kräfte der Einzelnen.

8. Eine wechselseitige automatische Kontrolle der Produzenten zur Vermeidung monopolistischer Übermacht einzelner.

4. Eine elastische Anpassung an den wechselnden Bedarf mit Hilfe der freien Preisbildung.

Diese Vorteile sind zum Teil weit über Erwarten erfüllt worden. Zum Teil sind sie jedoch mit der Zeit ausgeblieben oder haben unerwartete Nebenwirkungen hervorgerufen, weil ihr Auftreten von bestimmten Bedingungen abhängig war, die sich im Laufe der Jahre wesentlich verschoben haben. Die oben genannten Erwartungen sind daher im einzelnen einer Prüfung zu unterziehen.

Dass die Wirtschaftsfreiheit im grossen und ganzen zu einer sachlichen Auslese der wirtschaftlich Tüchtigsten, zur Durchsetzung der rationellsten Methoden und damit zu einer gewaltigen Eeichtumsteigerung und Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards geführt hat, ist grundsätzlich unbestritten.

Das auf der Konkurrenz beruhende Ertragsprinzip widerspricht auch in keiner Weise dem gemeinen Nutzen. Je reiner nämlich die Erwerbswirtschaft die Leistung fördert, desto mehr Güter stehen sowohl der Staatswirtschaft als auch der freien Liebestätigkeit zur Verfügung.

Da sich aber die Wirtschaft nicht im luftleeren Kaum, sondern im sozialen Verband abspielt, kann das Leistungs- und Ertragsprinzip keine absolute Geltung beanspruchen, sondern es muss mit der Erhaltung des sozialen Gleichgewichts, der Wahrung der n a t i o nalen Interessen und den übrigen ethischen Normen ü b e r h a u p t in Einklang stehen. Als seinerzeit der Liberalismus die veralteten Ordnungen beseitigte,
konnte dies ohne Gefährdung dieser ausserwirtschaftlichen Interessen geschehen, weil die ethischen, religiösen und nationalen Bindungen stark genug waren, um zu verhindern, dass das Leistungs- und Ertragsprinzip sich auf Kosten anderer, ausserwirtschaftlicher Rücksichten durchsetze. Seit jener Zeit haben sich aber die ethischen Bindungen in der Form der Sitte und Geschäftsmoral gelockert. Ebenso sind allgemein unter dem Einfluss der Verkehrsentwicklung und geistiger Wandlungen die nationalen Beziehungen der

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Menschen loser und unverbindlicher geworden. Gleichzeitig haben die sozialen Verhältnisse einen unpersönlicheren Charakter erhalten, während der gestaltende und schützende Einfluss der Familie abgenommen hat.

Die Folge davon war, dass der ordnende Einfluss der ethischen Bindungen sich weniger stark auswirkte und die «Spielregeln» der freien Konkurrenz vernachlässigt wurden. An Stelle eines Kampfes um die bessere Leistung im Dienste des Konsumenten ist teilweise ein Kampf mit volkswirtschaftlich unerwünschten Kampfmitteln getreten; als solche sind zu nennen: Täuschung des Publikums, Verbreitung unwahrer Behauptungen, Umgehung gesetzlicher Vorschriften, leichtfertige Kreditaufnahme, Bezahlung unternormaler Löhne, monopolistische Zwangsmittel. In einzelnen Fällen sind auch an sich legitime Kampfmittel so masslos eingesetzt worden, dass sich Störungen der Gesamtwirtschaft ergeben mussten.

Da nun aber ein ungeregelter Kampf, in dem alle Mittel ohne Eücksicht auf ihre sozialen Auswirkungen ergriffen werden, erfahrungsgemäss auf die Dauer nicht bestehen kann, ohne die ganze Wirtschaftsgemeinschaft zu untergraben, so ist es A u f g a b e des Staates, für die Einhaltung der Bindungen oder Kampfregeln zu sorgen, die früher durch Sitte und nationales Gemeinschaftsgefühl weitgehend gesichert waren.

Dieses Ziel ist allerdings nur in begrenztem Umfang durch staatliche Vorschriften zu erreichen, weil der äussere Zwang erfahrungsgemäss oft umgangen werden kann und die Materie an sich sehr kompliziert ist. Hier werden ergänzungsweise die Wirtschaftsverbände nützliche Dienste leisten können, indem sie das Problem teilweise durch Verbandsbeschlüsse, teilweise durch eine unablässige Erziehungsarbeit zu bewältigen suchen. Darüber hinaus liegt hier nicht nur ein Problem der Gesetzgebung vor, sondern ein solches der Staatsführung, für die es von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass die nationalen und ethischen Ideale lebendig erhalten und erneuert werden.

Neben der Auslese nach der Leistung und der damit verbundenen Leistungsteigerung lag die Eechtfertigung der geltenden Wirtschaftsverfassung von jeher in der Verhinderung des Monopols, d.h. der Übermacht einzelner Gruppen durch den Gegendruck der übrigen Konkurrenten. Man nannte daher die freie Erwerbswirtschaft eine Organisationsform, in der die Herrschaft des
Konsumenten und die Ohnmacht des Produzenten verwirklicht sei.

Diese monopolhemmende Wirkung der freien Konkurrenz besteht jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen, dass nämlich 1. eine relativ grosse Anzahl kleinerer Unternehmungen besteht, 2. der staatliche Schutz die ausländische Konkurrenz nicht ganz unterbindet und 3. der Markt einigermassen übersichtlich ist.

Diese Voraussetzungen sind heute nur noch in beschränktem Masse erfüllt.

An Stelle einer grossen Anzahl kleinerer Unternehmungen ist in verschiedenen Erwerbszweigen eine kleine Anzahl grosser Unternehmungen entstanden, die einen relativ grossen Einfluss auf den Markt haben und sich ungefähr die Waage halten. Dadurch steigt im Falle

839 eines Preiskampfes die Gefahr der dauernden Marktzerrüttung ohne Aussicht auf eine Marktbereinigung. Infolgedessen entsteht eine Tendenz der stillschweigenden oder ausdrücklichen Verständigung zur Hochhaltung und Stabilisierung von Preisen, wodurch die wechselseitige Kontrolle und der Zwang zur Weitergabe der Produktionsverbesserungen an die Konsumenten geringer wird.

Diese Tendenz ist verschärft worden durch die steigenden Schutzzölle und Einfuhrbeschränkungen, die eine wirksame Kontrolle durch die ausländische Konkurrenz verhindern -und den geschützten Produzenten die Möglichkeit geben, die gegenseitige Selbstkontrolle durch formelle Vereinbarungen kartellähnlicher Art weitgehend zu eliminieren.

Durch den wachsenden Eingriff dieser Organisationen ist der bisherige Mechanismus des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage mit Hilfe der Preisbildung umgestaltet worden. An Stelle der freien Beweglichkeit der Preise, Löhne und Zinssätze zum Zwecke der Eegulierung von Angebot und Nachfrage ist auf einzelnen Gebieten eine Starrheit getreten, was eine stärkere Schwankung von Angebot und Nachfrage und der Betriebsbeschäftigung zur Folge hatte. Ein Teil der Ansammlung unverkäuflicher Eohstoffe, der längerdauernden Arbeitslosigkeit und der mangelnden Ausnutzung der Betriebe scheint mit diesen Veränderungen im Zusammenhang zu stehen.

Andererseits steht diese Entwicklung aber auch im Zusammenhang mit legitimen Koordinationsversuchen, die an späterer Stelle zu behandeln sind.

Wie nun aber auch diese Entwicklung bewertet wird, in jedem Fall ist es Pflicht des Staates, in dem Masse, als die automatische Kontrolle zurückgeht, die Übermacht einzelner Gruppen zu verhindern, zumal, wenn es sich um Erwerbszweige handelt, die für die Gesamtwirtschaft von entscheidender Bedeutung sind. Die Normen für solche Eingriffe können sich allerdings erst im Laufe der Jahre entwickeln. Auf jeden Fall ist zu vermeiden, dass der berechtigte Fortschritt unterbunden wird und dass eine Monopolisierung durch Untüchtige entsteht, die für das Ganze noch schlimmere Wirkungen zeitigen würde als das Monopol der Tüchtigen.

Der Planungsmechanismus der geltenden Wirtschaftsverfassung hat, im ganzen betrachtet, befriedigend funktioniert, wenn man bedenkt, dass vor dem Kriege ein fast reibungsloses Zusammenarbeiten in weltwirtschaftlichem
Ausmass erreicht worden ist. Solange diese Planung nicht durch staatliche Planungsmassnahmen, wie Schutzzölle, oder durch äussere Einflüsse, wie Kriege, gestört wurde, hat sie jedenfalls einer ständig wachsenden Bevölkerung ohne längerdauernde Arbeitslosigkeit und ohne schwerere Krisen eine regelmässige und steigende Versorgung geschaffen. Auf alle Fälle beweisen die bisherigen Versuche einer zentralen Planung keine grössere Anpassungsfähigkeit an die wechselnden Bedürfnisse.

Die bisherige Form dezentralistischer Planung kann jedoch reibungslos nur funktionieren, wenn die Grundlagen der Wirtschaft annähernd stabil sind und wenn der Markt für die Beteiligten einigermassen übersichtlich bleibt. Diese Voraussetzungen haben in den letzten

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Jahren weitgehend nicht mehr bestanden. Zunächst haben sich durch den Krieg und die nationalistischen Tendenzen die Absatzbedingungen in der Nachkriegszeit wesentlich verändert. Vor allem aber ist die wichtigste Grundlage individueller Tätigkeit, nämlich die Währung, im Innern wie im Äussern, sehr grossen Störungen unterworfen gewesen. In Zeiten von Währungsänderungen im Ausland oder von plötzlichen allgemeinen Preissteigerungen und Preissenkungen kann die individuelle Anpassung an den Markt nicht richtig funktionieren, weil sich der Masstab ändert oder das Gleichgewicht der Kostenniveaux gestört ist. Hier hat der Staat die Grundlagen zu überwachen, um Schädigungen der Gesamtwirtschaft zu verhindern und den Einzelnen die Anpassung zu erleichtern.

Auch die staatliche Wirtschaftstätigkeit, seine Auftrags-, Finanz- und Steuerpolitik haben einen wichtigen Einfluss auf den Wirtschaftsverlauf. Der Staat besitzt die Möglichkeit, innerhalb gewisser Grenzen der K o n j u n k t u r t e n d e n z der Privatwirtschaft entgegenzuwirken, weil er nicht so streng an ertragswirtschaftliche Erwägungen gebunden ist.

Endlich ist in den letzten Jahrzehnten eine wachsende Komplizier u ng der volkswirtschaftlichen Organisation und des volkswirtschaftlichen Prozesses eingetreten. Diese Entwicklung droht zu wachsenden Schwierigkeiten zu führen, wenn nicht eine entsprechen de. Zusammenfassung und Gliederung der Aufgaben erfolgt. Ansätze einer solchen Zusammenfassung sind in verschiedenster Form festzustellen : in der Bildung von Grossunternehmungen und Konzernen, in genossenschaftlichen Gruppen, in Kartellen und Gewerkschaften und in den übrigen Wirtschaftsverbänden.

In allen diesen Entwicklungen liegen grundsätzlich berechtigte Ansätze zu einer Zusammenarbeit. Man wird vielleicht sagen, dass darin eine höhere · Form der Wirtschaftsführung im Werden sei und dass diese nicht etwa erst zu schaffen, sondern nur auszubauen wäre. Aber die Rechtsordnung und die Wirtschaftspolitik haben bisher die Konsequenzen aus dieser neuen Situation nicht gezogen, sondern gelegentlich zwischen Bekämpfung und Unterstützung der neuen Organisationsformen geschwankt. Daher ist es an der Zeit, sie bewusst in die Wirtschaftsordnung einzubauen, damit sie ihre Aufgaben erfüllen, zugleich aber in ihren monopolistischen Tendenzen überwacht werden können.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass heute dem Staat eine Eeihe von Aufgaben der Wirtschaftsregelung zufallen, für die bei der Einführung der Wirtschaftsfreiheit die Voraussetzungen noch nicht gegeben waren und die gelöst werden müssen, wenn grössere Störungen der Wirtschaft vermieden werden sollen. Damit ist aber zugleich ein wichtiges staatspolitisches Problem entstanden, dessen eine Seite die Politisierung der Wirtschaft, dessen andere Seite die Verwirtschaftlichung der Politik ist. Seitdem nämlich der Staat einen grösseren Einfluss auf die Wirtschaftsgestaltung erlangt hat, erhielten die einzelnen Wirtschaftsgruppen ein wachsendes Interesse, Einfluss auf die Willensbildung des Staates zu er-

841 langen, was der Verbandsbildung einen starken Anstoss gab. Diese Politisierung äussert sich einerseits in einer politischen Lösung wirtschaftlicher Fragen, andererseits in einem Auseinanderklaffen von Verfügungsgewalt und Verantwortlichkeit: die politischen Organe treffen Entscheidungen über den Wirtschaftsverlauf, während die Privatwirtschaft die Konsequenzen zu tragen hat.

Die notwendige Folge der Politisierung der Wirtschaft war eine V e r w i r t s c h a f t l i c h u n g der Politik, denn das Streben nach Einflussgewinnung auf den Staatswillen hatte zur Folge, dass die einzelnen Parteien sich immer mehr wirtschaftlich orientierten, während die politischen Ideen als parteibildende Kraft an Wirksamkeit verloren. Die Folge davon war eine wachsende Zersplitterung der Parteien.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Neuordnung der W i r t s c h a f t , die zur Beseitigung der bestehenden Mängel erforderlich ist, nicht eine grundsätzliche Umgestaltung der jetzigen Wirtschaftsverfassung e r f o r d e r t , sondern einerseits eine.Wiederherstellung der ursprünglichen Grundgedanken einer freiheitlichen und demokratischen Wirtschaftsgestaltung, die unter dem Einfluss veränderter Bedingungen eine gewisse Verzerrung erfahren haben, andererseits eine Anerkennung der Weiterentwicklung des Wirtschafts^ebens, ohne dass das Grundprinzip der geltenden Verfassung, nämlich die Selbstverantwortlichkeit, aufgegeben zu werden braucht. Der Staat hat, im Eahmen seiner Kräfte, die Selbstregulierung der Wirtschaft zu überwachen und, soweit nötig, wiederherzustellen. Dabei wird er sich immer bewusst bleiben müssen, dass kein Staat eine völlig autonome Politik betreiben kann, sondern dem Schicksal der Weltwirtschaft und der Weltpolitik verbunden bleibt, und dass die staatlichen Massnahmen nur dann Erfolg versprechen, wenn sie den natürlichen Gesetzmässigkeiten der Wirtschaft Eechnung tragen.

B. Das Wirtschaftsprogramm.

I. Die Einsetzung der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung.

Wiederholt und von verschiedenen Seiten ist vom Bundesrat während der Krisenjahre die Vorlegung eines Wirtschaftsprogrammes gefordert worden.

Es wurde dem Bundesrat entgegengehalten, die von ihm vorgeschlagenen oder getroffenen Massnahmen seien unzusammenhängend, weil ein wirtschaftliches Programm fehle. Demgegenüber
ist festzuhalten, dass der Bund eine Eeihe von nicht etwa improvisierten, sondern wohlüberlegten und in logischem Zusammenhang stehenden Massnahmen getroffen hat mit dem Endzweck, die schweizerische Wirtschaft mit möglichst geringen Verlusten durch die Krisenzeit hindurchzubringen. Die ständig wechselnden Verhältnisse, die fast täglich neue Entschlüsse und Massnahmen erforderten, Hessen sich nicht nach einem schematischen Eezept oder nach starren Doktrinen zum voraus bestimmen.

Der Staat musste während der Krise entsprechend den Bedürfnissen und Er-

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fordernissen der jeweiligen Lage handeln und konnte sich nicht an ein zum voraus bekanntgegebenes, förmliches Programm binden, das durch die sich überstürzenden Ereignisse wieder überholt worden wäre.

Der Wunsch nach einem Wirtschaftsprogramm fand seinen Ausdruck in verschiedenen Postulaten und Motionen. Am 8. April 1985 begründete Herr Nationalrat Walter, Ölten, folgende Motion: «Der Bundesrat wird beauftragt, die bisher getroffenen Krisenmassnahmen in ihrer Auswirkung zu überprüfen und sie in Verbindung mit weiter zu ergreifenden Massnahmen in einen einheitlichen Gesamtplan zur Krisenabwehr einzuordnen.

Leitgedanke dieses Gesamtplanes soll sein die tatkräftige Hilfeleistung für die wirklichen Bedürftigen im Rahmen der verfügbaren Mittel und die wirksame Zusammenfassung der in den beruflichen und berufsständischen Selbsthilfeorganisationen ruhenden Kräfte.»

Herr Nationalrat Wüthrich reichte am 7. Januar 1986 ein Postulat ein, das den Bundesrat einlud, «bis zur Frühjahrssession ein Bahmenprogramm für den wirtschaftlichen Wiederaufbau namentlich des Exportes und des Fremdenverkehrs vorzulegen».

Am 81. Januar 1986 begründete Herr Musy im Nationalrat folgendes Postulat : «Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob es nicht dringend sei, ein umfassendes Programm des nationalen Wiederaufbaues vorzulegen, das koordinierte Lösungen der wirtschaftlichen und der finanziellen Probleme zu enthalten hätte.»

Dieses Postulat wurde vom Vertreter des Bundesrates entgegengenommen und vom Eate am 22. September 1986, wenige Tage vor der Abwertung, erheblich erklärt.

Die Abwertung schuf eine vollständig neue Lage, die eine Neuorientierung unserer Wirtschaft und unserer Finanzpolitik notwendig machte. Einmal trat mit der Befreiung der Wirtschaft von dem auf ihr lastenden Druck eine gewisse Klärung der Verhältnisse ein, die es erlaubte, über die unmittelbaren Krisennöte hinaus das weiter gesteckte Ziel einer dauernden Neuordnung unserer Wirtschaft ins Auge zu fassen; anderseits lockerten sich die starren Fronten der sieh gegensätzlich gegenüberstehenden Auffassungen über den richtigen Weg zur Bekämpfung der Krise und machten einer Verständigungsbereitschaft Platz. Die Abwertung war geeignet, weitesten Kreisen die Augen zu öffnen über die Schicksalsverbundenheit aller Wirtschaftszweige und Berufsgruppen und das Bewusstseirt zu wecken, dass nur eine Verständigung über die Hauptziele der einzuschlagenden Wirtschaftspolitik und gemeinsames Handeln imstande sein werden, unsere Wirtschaft einer Aufbauperiode entgegenzuführen.

Damit waren die Voraussetzungen für ein erspriessliches Arbeiten einer Wirtschaftsexpertenkommission gegeben. Das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement rief deshalb, im Einverständnis mit dem Bundesrat, durch Verfügung vom 21. Oktober 1986 die begutachtende Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung ein mit dem Auftrag, insbesondere zu prüfen:

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a. welche Massnahmen geeignet und tragbar erscheinen, unsere Wirtschaft nach der erfolgten Abwertung wieder aus der jahrelangen Stockung und Unabträglichkeit hinauszuführen ; b. welchen Gefahren dieser erhoffte Ausweg aus der Krise ausgesetzt erscheint und welche vorsorglichen Massnahmen dagegen zu treffen sind; c. ob und wie weit es heute schon möglich erscheint, die Zukunft unserer Wirtschaft zu beurteilen, und wie ein entsprechendes, richtunggebendes Zukunftsprogramm gestaltet werden soll; d. welche Änderungen und Ergänzungen an den wirtschaftspolitischen Verfassungsbestimmungen, Gesetzen und Bundesbeschlüssen an die Hand zu nehmen sind.

Die Kommission nahm ihre Tätigkeit unverzüglich auf. Für die weitern Arbeiten wurden vier Unterkommissionen gebildet: 1. eine Unterkommission für Aussenwirtschaft (Handelspolitik, Exportförderung und Fremdenverke.hr) unter dem Vorsitz von Minister Stucki; 2. eine Unterkommission für die innere Wirtschaftspolitik unter dem Vorsitz von Direktor Eenggli vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit; 8. eine Unterkommission für Fragen des Geld- und Kapitalmarktes, welche ausserdem die Frage der Eücksichtnahme der öffentlichen Finanzgebarung auf die Bedürfnisse der Wirtschaft studieren sollte, unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Bachmann, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank ; 4. eine juristisch-politische Unterkommission, welche vom Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes selbst präsidiert wurde mit der Aufgabe, den Weg aufzuzeigen, auf dem die Postulate der Unterkommissionen I--III einer gesetzgeberischen Lösung entgegengeführt werden können.

Die Kommissionen waren derart zusammengesetzt, dass die Auffassungen des Wirtschafts- und Finanzmannes, des Politikers, des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers zum Ausdruck kamen. Es handelte sich darum, den Versuch zu machen, die verschiedenen Meinungen über die Überwindung der Krise und über die künftige Gestaltung unserer Wirtschaft auf einer mittleren Linie zu vereinigen. Die Beratungen waren von einem erfreulichen Geiste der gegenseitigen Verständigung aller Wirtschaftsgruppen getragen. Über eine Eeihe von wichtigen Fragen konnte Einigkeit erzielt werden, und auf keinem Gebiet traten unüberbrückbare Gegensätze zutage. Wo die Auffassungen auseinandergingen, handelte es sich mehr um Fragen des
Masses und des Tempos als um grundsätzliche Differenzen. Namentlich wurde von keiner Seite die Eückkehr zur uneingeschränkten Wirtschaftsfreiheit verlangt, während anderseits auch niemand für die nächste Zukunft die Einführung der Planwirtschaft oder des korporativen Systems postulierte.

Die Unterkommissionen legten die Ergebnisse ihrer Beratungen in vier Berichten nieder, die vom Plenum durchberaten und in einem umfangreichen

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Schlussbericht zuhanden des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes zusammengefasst wurden. Dieser Bericht ist im Anhang zu dieser Botschaft wiedergegeben; wir beehren uns, darauf zu verweisen und möchten auch unsererseits nicht unterlassen, allen Mitarbeitern dieses sehr wertvollen, richtunggebenden Vorberichts die verdiente Anerkennung und den gebührenden Dank auszusprechen.

u. Die Stellungnahme des Bundesrates zu den Vorschlägen der Wirtschaftskommission.

Die begutachtende Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung hat gemäss der ihr gestellten Aufgabe den ganzen Bereich der innern und äussern Wirtschaftspolitik in den Kreis ihrer Beratungen gezogen und auch einzelne damit im Zusammenhang stehende Gebiete der Sozialpolitik behandelt. Der Bundesrat hat die Vorschläge der Kommission geprüft und kann ihnen im allgemeinen zustimmen. Die Kommission hat von der Aufstellung revolutionärer Zielsetzungen Umgang genommen und sich auf Postulate beschränkt, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen durchführbar scheinen und zum Teil schon seit Jahren diskutiert wurden. Die Kommission will mit ihren Vorschlägen, wie sie im Schlussbericht selbst hervorhebt, nicht einem neuen Wirtschaftssystem Eingang verschaffen, sondern der Wirtschaftspolitik einen gangbaren Weg weisen, auf dem sie unter Berücksichtigung der natürlichen Gegebenheiten und der freiheitlichen Tradition unseres Volkes ihr Ziel: die Versorgung der Nation mit allen lebenswichtigen Gütern auf die Dauer zu gewährleisten und der schweizerischen Bevölkerung Arbeit und Verdienst zu v e r s c h a f f e n , erreichen kann. Das Programm, das reiflich abgewogen und vorsichtig formuliert ist, hält sich, nach der Auffassung des Bundesrates, im Rahmen des praktisch Erreichbaren und kann als Grundlage für die künftige Gestaltung unserer Wirtschaftspolitik dienen. Seine Bedeutung wird durch den Umstand erhöht, dass es ein Verständigungswerk darstellt, das die Zustimmung der Vertreter der verschiedensten wirtschaftlichen und politischen Gruppen gefunden hat, so dass die Hoffnung berechtigt ist, dass auch das Parlament und die Mehrheit des Volkes sich mit den grossen Linien dieses Programmes einverstanden erklären können.

Die Vorschläge der Kommission, welche nach Sachgebieten geordnet sind, lassen sich in zwei grosse Kategorien scheiden: die eine Kategorie von Vorschlägen befasst sich mit den Problemen der Übergangszeit nach der Abwertung und weist Wege zur endgültigen Überwindung der Krise, während die andere Kategorie die dauernde Neugestaltung unserer Wirtschaft zum Gegenstand hat.

Im Zusammenhang mit dieser Botschaft kommt vor allem die zweite Kategorie von Vorschlägen in Betracht, die auf eine für die Dauer berechnete Ordnung unserer Wirtschaft abzielen. Auch hier kann es sich nicht darum handeln, Postulate des Kommissionsberichtes, so wichtig sie sein mögen, im

845 einzelnen zu behandeln und die Art und Weise ihrer Verwirklichung zu prüfen.

Hiezu wird Anlass sein, wenn wir der Bundesversammlung die in Betracht kommenden Ausführungsgesetze unterbreiten. Soweit gegen derartige Gesetze das Eeferendum ergriffen werden sollte, wird auch eine weitere Öffentlichkeit Gelegenheit haben, sich ausführlich mit den einschlägigen Fragen auseinanderzusetzen. Wir können deshalb davon absehen, schon in der heutigen Botschaft zu den einzelnen wenigen Fragen Stellung zu beziehen, in denen sich die Kommission nicht auf einstimmige Anträge hat einigen können.

Hier möchten wir uns vielmehr darauf beschränken, auf zwei grundsätzliche Fragen näher einzutreten, nämlich auf das Verhältnis des Staates zur Wirtschaft und auf die Bedeutung der Berufsverbände. Wir möchten so eine grundsätzliche Eichtlinie festlegen, in der sich die künftige schweizerische Wirtschaftspolitik bewegen soll.

Im Widerstreit der wirtschaftspolitischen Auffassungen besteht in erster Linie ein Bedürfnis nach Klärung der Stellungnahme zu der Frage des Verhältnisses zwischen Staat und W i r t s c h a f t ; eine solche Auseinandersetzung ist um so notwendiger, als nach der Abwertung mit Nachdruck der Euf nach Eückkehr zur freien Wirtschaft und nach Abbau aller Staatseingriffe erhoben wurde.

Der Bundesrat hat seine Auffassung über das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft bereits einmal in seiner Ergänzungsbotschaft vom 7. April 1936 über die wirtschaftlichen Notmassnahmen niedergelegt1). Wir verweisen in erster Linie auf unsere damaligen Ausführungen, die wir auch heute noch grundsätzlich für richtig halten. Dabei ist festzustellen, dass auch die Vorschläge der Wirtschaftsexpertenkommission mit diesen Eichtlinien sich decken.

Das bestehende Verhältnis von Staat und Wirtschaft ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung. Schon bald nachdem der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit in die Verfassung aufgenommen worden war, sah sich der Staat genötigt, Schutzrnassnabmen zugunsten der unselbständig Erwerbenden und der wirtschaftlich Schwachen zu erlassen und durch seine soziale Gesetzgebung für das Wohl dieser Volkskreise zu sorgen. Wenn der Staat sich anfänglich auf sozialpolitische Eingriffe beschränkte, so hat er im Laufe der Entwicklung immer mehr in das Gebiet der eigentlichen Wirtschaft,
d. h.

der Unternehmertätigkeit eingreifen müssen. Kriegs- und Krisenzeit haben dieser Entwicklung mächtig Vorschub geleistet und ein vielgestaltiges System von Interventionen entstehen lassen. Die Einmischung des Staates in die ehemals wesentlich freiere Wirtschaft ist nicht aus einer Änderung der grundsätzlichen Einstellung herausgewachsen, sondern aus den Notwendigkeiten des Tages. Nicht aus Machtstreben hat sich der Staat der Wirtschaft angenommen, sondern weil es unumgänglich notwendig wurde, einzelnen Wirtschaftszweigen, die eine Hilfe dringend verlangten und die ohne Schutz unterzugehen drohten, beizustehen. So entstand eine Wirtschaft, deren grundsätzlich freie, unter!) Bundesbl. 1986, Bd. I, S. 617.

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nehmungsweise Gestaltung durch Elemente staatlicher Wirtschaftsleitung durchsetzt ist.

Von verschiedenen Seiten wird heute eine grundlegende Änderung des gegenwärtigen Zustandes und eine Neugestaltung des Verhältnisses des Staates zur Wirtschaft verlangt.

Eine Gruppe verlangt die Verwirklichung.der freien Wirtschaft durch die rücksichtslose Durchsetzung einer doktrinär aufgefassten Handels- und Gewerbefreiheit, was für den Staat im wesentlichen die Befolgung der Maxime «laissez faire» gegenüber der Wirtschaft bedeuten müsste. Eine andere Gruppe fordert die Neugestaltung der Beziehungen von Staat und Wirtschaft nach den Grundsätzen der berufsständischen Ordnung, sei es nach der katholischen Gesellschaftsauffassung (Enzyklika Quadragesimo anno), sei es nach den Auffassungen weiter Gewerbekreise. Eine dritte Gruppe will durch die Sozialisierung wichtiger Wirtschaftszweige (Banken, Versicherungswesen, Elektrizitätswirtschaf t) die staatliche Wirtschaftsführung verstärken (Plan der Arbeit).* Um zu einer grundsätzlichen Klärung zu gelangen, ist davon auszugehen, dass es im Grunde nur zwei Wirtschaftssysteme gibt, die sich gedanklich folgerichtig durchführen lassen: Das System der freien Privatwirtschaft und das System der gebundenen Staatswirtschaft. Im einen Falle wird die wirtschaftliche Tätigkeit als rein private Angelegenheit betrachtet, in die sich der Staat nicht einmischt und die deshalb ausschliesslich den Normen des Privatrechts untersteht ; im andern Falle gilt sie als öffentliche Angelegenheit und wird deshalb durch zwingendes öffentliches Eecht geregelt. Privatwirtschaft und Staatswirtschaft, freie und gebundene Wirtschaft, oder wie man dieses Gegensatzpaar immer bezeichnen mag, sind jedoch keine praktisch zu erstrebenden Ideale, sondern gedankliche Abstraktionen, die in Wirklichkeit nicht existieren. Noch nie hat eine Eegierung das eine oder das andere dieser beiden Systeme in seiner reinen Form verwirklichen können. In jeder wirklich existierenden Wirtschaftsordnung sind Elemente beider Wirtschaftssysteme miteinander verbunden.

Die berufsständische Ordnung ist im Grunde genommen eine Abart der gebundenen Wirtschaft mit der Besonderheit, dass die Bindung nicht direkt vom Staate, sondern von staatlich anerkannten Verbänden ausgeht, denen entweder eine bestimmte Autonomie zu selbständiger
Eegelung der Verhältnisse in ihrem Bereich eingeräumt wird oder deren Beschlüssen und Vereinbarungen durch die Autorität des Staates verbindliche Kraft verliehen wird.

Freiheit und Ordnung sind gleichgeordnete Ziele, die an sich weder gut noch schlecht sind. Jede Überspannung der Freiheit ruft nach einer Beschränkung durch eine Ordnung; umgekehrt erzeugt jede allzu straffe Ordnung als Gegengewicht das Verlangen nach grösserer Freiheit. Die Spannung zwischen diesen gegensätzlichen Tendenzen, die das ganze gesellschaftliche, nicht nur das wirtschaftliche Leben beherrschen, lässt sich nicht endgültig ausgleichen.

Es handelt sich weniger um eine Prinzipienfrage als um eine Frage des richtigen Masses, die je nach den Umständen verschieden beurteilt werden muss.

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Man hat mit Eecht darauf hingewiesen, dass Freiheit und Bindung in der Wirtschaft eine verschiedene Funktion besitzen und auch verschieden beurteilt werden, je nachdem sich die Wirtschaft im Aufschwung oder in der Depression befindet. Wenn die Wirtschaft im Zeichen der aufsteigenden Entwicklung steht, führt die freie Wirtschaft, die jeden einzelnen zu Höchstleistungen anspornt, zu einer Steigerung der gesamten Güterversorgung, da jeder Fortschritt und jede Verbilligung dank der Konkurrenz letztlich der Gesamtheit zugute kommt. In solchen Aufschwungszeiten werden alle Bindungen der freien Erwerbstätigkeit als lästige Hemmungen und überflüssige Einmischungen des Staates empfunden. Gerade umgekehrt verhält es sich bei absteigender Konjunktur. In Zeiten starker Wirtschaftschrumpfung, wenn sich der Wirtschaftsraum und die Verdienstmöglichkeiten verringern, wird der freie Konkurrenzkampf als ruinös empfunden. Die Bindung durch Staat oder Verband erscheint als Kettung, und die meisten sind bereit, einen Teil ihrer Freiheit zu opfern, um dafür ein grösseres Mass von Existenzsicherung einzutauschen.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass das richtige Mass von Freiheit und Bindung nicht dasselbe für alle Wirtschaftszweige sein kann. Der bäuerliche Grundbesitz als Träger eines gesunden Bauernstandes darf nicht zur Kapitalanlage und zum Spekulationsobjekt werden; er verlangt deshalb, wenn er seinem Zwecke nicht entfremdet werden soll, ein anderes Mass an Bindung als das mobile Kapitalvermögen. Ebensowenig kann der Kleinhandwerker auf eine Linie mit dem Grossunternehmen gestellt werden.

Der Ausgleich zwischen Freiheit und Bindung kann nicht stattfinden, wenn man sich einseitig auf den Boden des einen oder des andern Grundsatzes stellt. Er setzt einen übergeordneten Grundsatz voraus, nach dem im Einzelfall zu entscheiden ist, ob und in welchem Masse Freiheit oder Ordnung am Platze ist. Dieses Prinzip kann nur das wohlverstandene Gesamtinteresse des Volkes sein, worunter nicht nur die wirtschaftlichen, sondern die gesamten Lebensinteressen zu verstehen sind, also neben den wirtschaftlichen beispielsweise auch bevölkerungs-politische und militärische Interessen sowie Eücksichten auf das soziale Gleichgewicht.

Bereits im ersten Kapitel wurde auf die vermehrten Aufgaben hingewiesen, die dem Staat auf wirtschaftlichem
Gebiete erwachsen sind. Kein Land kommt unter den gegenwärtigen Verhältnissen um eine stärkere Bindung der individuellen Freiheit herum, da angesichts der Nationalisierung und Politisierung des Wirtschaftslebens in aller Welt ein rein privates Wirtsehaftshandeln unzureichend wäre. Die Kückwirkungen aus jenen Ländern, welche die Wirtschaft dem Staat völlig unterordnen, sind dergestalt, dass sie auch in andern Ländern entsprechenden Gegenmassnahmen rufen. Viele wirtschaftliche Beziehungen über die Landesgrenzen hinaus sind heute nicht mehr privater Entschliessung anheimgestellt; sie sind zu zwischenstaatlichen Beziehungen geworden, die sich in Handelsverträgen, Verrechnungsabkommen, Kompensationsabreden und Spezialverträgen verschiedenen Inhalts verkörpern. An

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Stelle des freien Einzelhandelns sind zwischenstaatliche Abmachungen getreten. Unter diesen Verhältnissen ist für die zwischenstaatliche Wirtschaft ein tatkräftiges Eingreifen des Staates unerlässlich.

Diese staatliche Ordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen verlangt auch besondere Massnahmen im Innern ; denn nur in der organisatorischen Zusammenfassung gewisser Wirtschaftszweige und in der Auflage bestimmter Verhaltungsmassregeln auf die private Wirtschaftsführung können die Voraussetzungen für ein wirksames Auftreten der Wirtschaft nach aussen geschaffen werden.

Abgesehen von diesen, uns durch die Entwicklung der Verhältnisse im Ausland aufgezwungenen Massnahmen, haben die Erfahrungen der letzten Jahre bewiesen, dass der Staat auch sonst die Wirtschaft nicht auf allen Gebieten sich selbst überlassen darf, wenn nicht erhebliche Nachteile entstehen sollen. Diese Einsieht schliesst keineswegs aus, dass zahlreiche Beschränkungen, die der Wirtschaft während der Krise auferlegt werden mussten, mit dem wieder einsetzenden Konjunkturaufschwung gemildert oder abgebaut werden können.

Der Bundesrat wird nicht zögern, die staatlichen Zwangsmassnahmen weiterhin überall da zu lockern, wo dies durch die Verhältnisse ermöglicht wird. Die Annahme aber, dass es genüge, zur freieren Wirtschaft der Vorkriegszeit zurückzukehren, um aller Schwierigkeiten der Gegenwart Herr zu werden, verkennt den Grundzug der Entwicklung, den wir in Kapitel A dargelegt haben, und übersieht, dass gewisse Wandlungen tatsächlich eingetreten sind und nicht übergangen werden können.

Die k ü n f t i g e Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Wirtschaft muss deshalb einerseits die Kontinuität der bisherigen Entwicklung wahren und anderseits den aus den veränderten Verhältnissen sich ergebenden Notwendigkeiten Eechnung tragen.

Das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft wird nach der Meinung des Bundesrates so zu gestalten sein, dass die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen an erster Stelle steht und der Staat nur dort und nur insoweit eingreift, als es unter gegebenen Verhältnissen im Interesse der Gesamtheit unerlässlich notwendig ist. Die Privatwirtschaft, die sich auf die freie Initiative des Einzelnen und seine persönliche Verantwortung aufbaut, wird nach wie vor die Grundlage unserer Wirtschaft bilden.
Dem Staat fällt aber die Aufgabe zu, gegenüber den privatwirtschaftlichen Sonderinteressen des Augenblicks die volkswirtschaftlichen Dauerinteressen und darüber hinaus die ausserökonomischen Interessen der Nation zu wahren.

Ob der Staat dieses Ziel durch direkte Eingriffe erreicht oder ob er zu diesem Zwecke die Verbände heranzieht, ist eine Frage, auf die wir sogleich zurückkommen werden. Grundsätzlich wird man sagen können, dass der Staat in die Wirtschaft nur eingreifen soll, wenn ihre Selbstregulierung versagt oder wenn die wirtschaftliche Freiheit missbraucht wird oder wenn ein besonderes

849 Schutzbedürfnis einzelner Wirtschaftszweige oder Berufsgruppen vorliegt. Dabei denken wir nicht in erster Linie an finanzielle Beihilfen, sondern an organisatorische Massnahmen, welche die Voraussetzungen schaffen, dass sich die Wirtschaft mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln selbst helfen kann.

Bei der Durchführung seiner wirtschaftlichen Ordnungsaufgaben wird sich der Staat in einem Masse, das durch die Gesetzgebung näher zu bestimmen sein wird, auf die Verbände, die sich unter dem System der Wirtschaftsfreiheit gebildet haben, stützen können. Der wirtschaftliche Liberalismus hatte die Fesseln der alten Wirtschaftsverfassung gesprengt und die überkommenen Verbände aufgehoben, weil sie in ihrer Verknöcherung zu Hemmschuhen des wirtschaftlichen Fortschritts geworden waren. Er vermochte aber nicht zu verhindern, dass unter dem Druck des Konkurrenzkampfes zahllose neue Verbände entstunden, die es unternahmen, selbst die Markt- und Konkurrenzverhältnisse zu ordnen und der Freiheit des Einzelnen Schranken aufzuerlegen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, sei nur daran erinnert, dass es in der Schweiz -- die zahllosen regionalen und kantonalen Verbände nicht mitgerechnet -- über 700 schweizerische Berufsverbände gibt, so dass sozusagen für jeden Beruf und jede Wirtschaftsgruppe ein Verband besteht. Dieser Prozess der Verbandsbildung, dessen Anfänge beinahe 100 Jahre zurückreichen, hat die Struktur unserer Wirtschaftsorganisation grundlegend verändert. Die Verbandsbildung hat eine der Grundvoraussetzungen des wirtschaftlichen Liberalismus -- dass das Wirtschaftsleben ein freies Zusammenspiel von ungefähr gleich starken Einzelkräften darstellt, deren Interessen am Markt sich gegenseitig ausgleichen -- weitgehend aufgehoben. Heute stehen sich nicht mehr Einzelne gegenüber, sondern in immer höherem Masse Organisationen und Verbände, Genossenschaften als Selbsthilfeorganisationen von Produzenten und Konsumenten, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Kartelle und kartellähnliche Zusammenschlüsse. Man mag diese Entwicklung bedauern oder begrüssen -- Tatsache ist jedenfalls, dass sie sich durchgesetzt hat und dass die Gesetzgebung sie nicht übergehen kann.

Unser ganzes Wirtschaftsleben ist von privatrechtlich organisierten Gebilden durchsetzt, die mit den Mitteln des Privatrechts versuchen, die
wirtschaftlichen Verhältnisse in ihrem Bereich zu ordnen. Unter dem Druck der Verhältnisse haben diese Verbände und Organisationen begonnen, die Wirtschaft mit einem Netz von Bindungen und Beschränkungen zu überziehen, die, wenn nicht die Ausschaltung, so doch eine Korrektur der Konkurrenz bezwecken. Diese Bindungen haben mit der Zeit einen Umfang angenommen, der über das Mass der staatlichen Intervention in die Wirtschaft hinausgehen dürfte.

Durch diese privaten Abmachungen ist die Handels- und Gewerbefreiheit faktisch weitgehend ausser Kraft gesetzt worden. Gegenüber einer im Volke noch weit verbreiteten Meinung, dass Art. 81 der Bundesverfassung einen absoluten Schutz gegen Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit biete, muss Bundesblatt. 69. Jahrg. Bd. II.

61

850 mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass diese Vorschrift den Bürger nur vor unzulässigen Eingriffen des Staates schützt, nicht aber vor tatsächlichen Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit durch Mitbürger und Verbände. Das Bundesgericht hat im Gegenteil festgestellt, dass Kartelle und Abmachungen von Verbänden gerade auf Grund dieses Art. 81 rechtlich zulässig sind.

Der Staat kann an dieser Entwicklung nicht vorbeigehen und zusehen, wie neben der staatlichen Wirtschaftsordnung eine private Wirtschaftsordnung entsteht, die den Einzelnen oft viel einschneidender bindet als es staatliche Massnahmen zu tun vermöchten. Dem Staate erwächst daraus eine doppelte Aufgabe: einerseits muss er den Einzelnen schützen gegen Willkür und Übergriffe der Verbände in seine Eechtssphäre, und andererseits muss er die Verbände in der Erfüllung ihrer selbstgewählten Ordnungsaufgaben, soweit er diese billigt, unterstützen und ihnen unter bestimmten Voraussetzungen auch die ^Rechtsmittel an die Hand geben, um die von der Mehrheit der Verbandsangehörigen gewünschte Ordnung durchsetzen zu können.

Der Staat hat die Bedeutung der Verbände bereits vor Jahrzehnten de facto anerkannt, indem er die wichtigsten Spitzenverbände subventionierte, um ihnen die Aufrechterhaltung ständiger Sekretariate zu ermöglichen. Die Gesetzgebung hat in steigendem Masse die Verbände auch zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben herangezogen. Dies kann grundsätzlich auf zweierlei Weise geschehen: Einmal, indem der Staat den Verbänden die Erfüllung gewisser Aufgaben direkt überträgt, oder aber, indem er die von den Verbänden getroffenen Vereinbarungen nach erfolgter Überprüfung zur allgemeinverbindlichen Norm erklärt.

Nach beiden Eichtungen weist die geltende Gesetzgebung Ansätze auf.

Wir verweisen auf die von den Verbänden gegründeten Kranken- und Arbeitslosenversicherungskassen, die unter bestimmten Voraussetzungen vom Staate anerkannt und subventioniert werden, sowie auf das Gesetz über die berufliche Ausbildung, das den Berufsverbänden bedeutsame Funktionen überträgt und sie z. B. ermächtigt, Lehrabschlussprüfungen und höhere Fachprüfungen für alle Berufsgenossen, auch wenn diese ausserhalb des Verbandes stehen, durchzuführen.

Auch für die Allgemeinverbindlicherklärung lassen sich Beispiele aus der schweizerischen Gesetzgebung
anfuhren. Besonders anlässlich von Hufs- und Sanierungsaktionen für einzelne Wirtschaftszweige (Stickerei, Uhrenindustrie, Hôtellerie, Landwirtschaft) wurde der Bundesrat ermächtigt, die Allgemeinverbindlichkeit auszusprechen 1). Ferner ist auf die Vollziehungsverordnung 1 ) Ala Beispiele können angeführt werden: a. Der Bundesbeschluss vom 13. Oktober 1922 betreffend die staatliche Hilfeleistung für die schweizerische Stickereiindustrie (A.S. 38, 538), der den Bundesrat ermächtigt, Verträge, die zwischen den wirtschaftlichen Verbänden über Stichpreise und Löhne abgeschlossen wurden, für die betreffenden Erwerbsgruppen all-

851 vom 11. Juni 1984 zum Bundesgesetz über die wöchentliche Buhezeit vom 26. September 1931 *) zu verweisen, welche die zuständigen Behörden (die Kantonsregierungen und bei einer sich über mehrere Kantone erstreckenden Eegelung das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement) ermächtigt, Verbandsabmachungen über die wöchentliche Ruhezeit für den betreffenden Wirtschaftszweig zur allgemeinverbindlichen Eegelung zu erklären, sofern sie den allgemeinen Interessen entsprechen. Auch die künftige Gesetzgebung wird auf die Allgemeinverbindlicherklärun'g nicht verzichten können, wenn die freiwillige Verständigung nicht zum Ziele führt. So sieht z. B. der Entwurf für gemeinverbindlich zu erklären und nötigenfalls den Abschluss solcher Verträge durch vermittelndes Eingreifen zu erleichtern. Ebenso ermächtigt der Bundesbeschluss über die Hilfeleistung für die schweizerische Schifflilohnstickerei vom 23. Dezember 1932 (A.S. 48, 833) den BundesratUnter gewissen Voraussetzungen, die Statuten und Réglemente der «Genossenschaft Krisenfonds der schweizerischen Schifflilohnstickerei» auch für die der Genossenschaft nicht beigetretenen Lohnsticker als verbindlich zu erklären.

6. Der Bundesratsbeschluss vom 13. März 1936 zur Ergänzung des Bundesratsbeschlusses vom 30. Dezember 1935 zum Schütze der schweizerischen Uhrenindustrie (A.S.52,143) verbietet den Unternehmungen der Uhrenindustrie, welche den auf die Konventionen verpflichteten Organisationen nicht angehören, ihre Produkte zu Preisen zu verkaufen, die unter den von diesen Organisationen aufgestellten und durch das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement genehmigten Ansätzen liegen. Dieser Bundesratsbeschluss macht ferner den Verkauf zu Exportzwecken und die Ausfuhr von Rohwerken und fertigen Uhren von einer Bewilligung der schweizerischen Uhrenkammer oder der «Fiduciaire horlogère suisse» abhängig. Derartige Bewilligungen werden auch an Personen, die den Organisationen der Uhrenindustrie nicht angehören, erteilt, sofern der Gesuchsteller eine schriftliche Erklärung vorlegt, dass er die genannten Produkte zu Preisen kauft und verkauft, die nicht unter den von diesen Organisationen aufgestellten und vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement genehmigten Ansätzen liegen.

c. Nach dem Bundesbeschluss vom 5. April 1935 über die Fortsetzung der Hilfsmassnahmen
für das schweizerischeHotelgewerbe (A.S.51,234) kann der Bundesrat einen zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern des Hotelgewerbes abgeschlossenen Vertrag über die Bedienungsgelder zur allgemeinverbindlichen Regelung er·klären und die nötigen Massnahmen zu seiner Durchführung treffen. Ein solcher Vertrag («Trinkgeldordnung») wurde inzwischen abgeschlossen und durch Bundesratsbeschluss vom 12. Juni 1936 (A.S.52,465) allgemeinverbindlich erklärt. Dieser Trinkgeldordnung, die am 1. Juli 1936 in Kraft trat und vorläufig bis zum 30. September 1937 gilt, sind sämtliche Beherbergungsbetriebe, in denen in irgendeiner Form Trinkgelder abgelöst werden, unterstellt, gleichgültig, ob sie dem Schweizer Hotelier-Verein angehören oder nicht.

d. Der Bundesbeschluss über eine weitere Fortsetzung der Bundeshilfe für die schweizerischen Milchproduzenten und für die Linderung der landwirtschaftlichen Notlage vom 28. März 1934, Art. 6, ermächtigt den Bundesrat, Milchproduzenten, die Milch in den Verkehr bringen, die Pflicht aufzuerlegen, sich bestehenden Milchverwertungsgenossenschaften anzuschliessen oder ihre Milchproduktion in gleichen Rechten und Pflichten wie deren Mitglieder an die Sammelstellen abzuliefern. Auf Grund der gleichen Bestimmung können einzelstehende Milchgenossenschaften verhalten werden, sich einer Sektion des Zentralverbandes schweizerischer Milchproduzenten anzuschliessen.

!) A.S. 50, 460.

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ein Bundesgesetz über den Schutz der Heimarbeit vor, dass die Lohnregelung unter anderem auf dem Weg der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und einseitig aufgestellten Lohntarifen erfolgen kann, wenn dies dem Bundesrat durch die zuständige Fachkommission vorgeschlagen wird.

Nach der Auffassung der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung soll die Bekämpfung von Missbräuchen der wirtschaftlichen Freiheit in erster Linie durch eine freie Verständigung zwischen den beteiligten Kreisen, gegebenenfalls unter Mitwirkung des Staates, erreicht werden. Für den Fall, dass dieser Weg der freien Verständigung nicht zum Ziele führt, empfiehlt die Kommission die S c h a f f u n g der rechtlichen Möglichkeit, Vereinbarungen und Beschlüsse von Verbänden für die b e t r e f f e n d e B e r u f s g r u p p e allgemeinverbindlich zu erklären, sofern die Existenzgrundlagen von Berufsgruppen, die unter wirtschaftlich normalen Verhältnissen lebensfähig und für die Allgemeinheit von Bedeutung sind, offensichtlich gefährdet erscheinen (Feststellungen und Eichtlinien zur innern Wirtschaftspolitik, I. Allgemeine Grundsätze, Ziff. 5).

Wenn der Bundesrat dem Vorschlag der Expertenkommission grundsätzlich zustimmt, so sind dafür vor allem folgende Erwägungen massgebend: Der heutige Kechtszustand erlaubt den Organisationen ziemlich alles, wenn sie aus eigener Kraft ihre Ziele durchsetzen können, während auf der andern Seite ein Verband die bestgemeinten Absichten, die im wohlverstandenen Interesse aller Branchenangehörigen liegen würden, nicht verwirklichen kann, wenn ihm die Geschlossenheit oder die Machtmittel fehlen. Die Bemühungen der Verbände, zu einer Eegelung auf freiwilliger Grundlage zu gelangen, scheitern oft am Verhalten einzelner Mitglieder oder am Widerstand der Aussenseiter, denen ohne bindende Vorschriften nicht beizukommen ist. Wenn es sich darum handelt, den Verbandsmitgliedern Opfer und Pflichten im Interesse des ganzen Wirtschaftszweiges aufzuerlegen, gehen häufig auch bestehende Abmachungen in die Brüche, weil die Aussenseiter nicht daran gebunden sind.

Verschiedene Verbände haben sich deshalb an die Bundesbehörden gewandt mit dem Begehren, Verbandsbeschlüsse und Verträge zwischen Verbänden allgemeinverbindlich zu erklären, um auf diesem Wege die von einer qualifizierten
Mehrheit gewünschte Ordnung herbeizuführen. Mangels gesetzlicher Grundlagen waren die Behörden -- von wenigen Ausnahmen abgesehen -- nicht in der Lage, diesen Begehren zu entsprechen.

Insbesondere auf dem Gebiete der Lieferungsbedingungen und des Beklamewesens sind Missbräuche vorhanden, denen die Verbände aus eigener Kraft nicht zu Leibe rücken können. Zweifelsohne hätten sich auch auf sozialem Gebiete (z. B. durch Gewährung bezahlter Ferien, Lohnzahlung während des Militärdienstes) auf diesem Wege weitere Fortschritte erzielen lassen, da die Interessenten vielfach zu einem gemeinsamen Vorgehen bereit wären, wenn sie die Gewähr hätten, dass sich auch ihre Konkurrenten an die Ab-

853 machungen halten müssen. Die Erfahrung hat jedoch zur Genüge gezeigt, dass alle Bestrebungen der einsichtigen Elemente zur Sanierung der Verhältnisse in einer Branche vergeblich sind, wenn es nicht möglich ist, sowohl die eigenen Verbandsmitglieder wie die Aussenseiter, die oft dem Verbände nur deshalb nicht beitreten, um ungestört ihre Sonderinteressen verfechten zu können, zur Einhaltung der getroffenen Vereinbarung zu zwingen.

Bereits in der Einleitung wurde darauf hingewiesen, dass dem Staat auf dem Gebiete der Wirtschaft vermehrte A u f g a b e n erwachsen sind und dass auch in Zukunft die Wirtschaft seiner fördernden und regelnden Hand nicht entbehren kann. Die wachsende Einflussnahme des Staates auf die Wirtschaft hat zu einer Überlastung des Parlaments mit wirtschaftlichen Aufgaben geführt. Der Weg der Gesetzgebung hat sich besonders während der Krisenjahre als zu umständlich und zu schwerfällig erwiesen. Um den stets neuen und wachsenden Anforderungen der Wirtschaft gerecht zu werden, fand man den Ausweg im Erlass von Eahmen- und Ermächtigungsgesetzen, die den Bundesrat in die Lage versetzten, von sich aus die nötigen Massnahmen zu treffen. Diese Entwicklung, die die Exekutive auf dem Wege der Gesetzesdelegationen zum Erlass von gesetzesvertretenden Verordnungen ermächtigte, ist keineswegs auf die Schweiz beschränkt, sondern lässt sich auch in andern demokratischen Staaten verfolgen; sie hat ihren tiefern Grund in der Ausdehnung des staatlichen Aufgabenbereichs, wie er infolge des Krieges und namentlich in den letzten Krisenjahren notwendig wurde.

Bisher hat der Bundesrat von diesen Gesetzesdelegationen in der Eegel in der Weise Gebrauch gemacht, dass er oder das in Frage kommende Departement die entsprechenden Verordnungen bzw. Verfügungen erliess, wobei er vorher die beteiligten Wirtschaftskreise anhörte und nach Möglichkeit ihren Vorschlägen und Wünschen Eechnung trug. Wenn die Beteiligten selbst zu einer Ordnung gelangt sind, die sie aber nicht in der Lage sind durchzusetzen, liegt es nahe, statt durch den Erlass staatlicher Vorschriften einzugreifen, die freiwillig geschaffene Ordnung für den ganzen Berufszweig verbindlich zu erklären. Wir halten es deshalb für angebracht, diesen Weg, der in einzelnen Fällen -- wir erinnern an die Uhrenindustrie -- bereits beschritten wurde,
auszubauen und für den Bundesrat die Kompetenz in Aussicht zu nehmen, Vereinbarungen und Beschlüsse von Berufsverbänden unter gewissen Voraussetzungen allgemeinverbindlich zu erklären. Es würden damit in Zukunft zwei Wege staatlicher Intervention offenstehen: der direkte Weg durch Erlass gesetzlicher Vorschriften und der indirekte Weg der Allgemeinverbindlicherklärung durch die Exekutivbehörden.

Gegenüber dem direkten Staatseingriff weist die Allgemeinverbindlicherklärung mannigfache Vorzüge auf. Sie wird nur auf Antrag eines oder mehrerer Verbände ausgesprochen und setzt deshalb eine vorausgegangene freiwillige Verständigung unter den Beteiligten voraus. Die Wirtschaft wird dadurch in die Lage versetzt, unter Aufsicht und Kontrolle des Staates ihre Verhältnisse in gewissem Umfange selbst zu ordnen. Eine solche, aus der Initiative

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der Beteiligten selbst entsprungene Ordnung ist geschmeidiger und anpassungs · fähiger als die staatliche Gesetzgebung. Das Wirtschaftsleben hat sich dermassen kompliziert und die Verhältnisse liegen nach Wirtschaftszweigen und Landesgegenden so verschieden, dass es für den Gesetzgeher fast zur Unmöglichkeit wird, durch den Erlass allgemeiner Vorschriften allen verschiedenartigen Verhältnissen gerecht zu werden.

Bei wichtigen Fragen hat sich gezeigt, dass die Verhältnisse ausserordentlich verschieden liegen und dass Handelsbräuche und Wirtschaftssitten, die in einer Berufsgruppe als durchaus zulässig gelten, in einer andern als Auswuchs empfunden werden. Eine Begelung dieser Fragen wird am besten durch eine elastische, aus den beteiligten Kreisen hervorgehende Ordnung erfolgen. Ähnlich verhält es sich mit den sozialen Fragen, der Begelung der Arbeitsbedingungen, der Feriengewährung usw., die sich nur sehr schwer in allgemeiner Weise ordnen lassen. Dies gilt besonders für das Gewerbe, wo die Verhältnisse von Berufszweig zu Berufszweig und von Stadt und Land so vielgestaltig sind, dass eine einheitliche, für alle Berufe verbindliche Begelung auf die grössten Schwierigkeiten stossen müsste. Auch das Berufsbildungsgesetz hat sich deshalb zum Teil auf allgemeine Bahmenbestimmungen beschränkt, während Einzelheiten für jeden Berufszweig entweder durch behördliche Verordnungen auf Vorschlag des betreffenden Berufsverbandes oder aber durch Beglemente, die von den Berufsverbänden selbst aufgestellt und von den Behörden genehmigt werden, geregelt worden sind.

Gerade das Beispiel des Berufsbildungsgesetzes zeigt, dass die Frage, ob eine bestimmte Begelung direkt durch den Staat auf Vorschlag der Verbände oder indirekt über die Allgemeinverbindlicherklärung getroffen wird, nicht von so ausschlaggebender Bedeutung ist, wie vielfach angenommen wird. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Wirkung kommt es auf dasselbe hinaus, ob der Staat eine bestimmte Begelung in Form gesetzlicher Vorschriften erlässt oder ob ein Verbandsbeschluss gleichen Inhalts allgemeinverbindlich erklärt wird, da in beiden Fällen die wirtschaftliche Freiheit aller Berufsgenossen, gleichgültig, ob sie dem Verbände angehören oder nicht, eine Beschränkung erfährt!

Dagegen besteht ein wesentlicher Unterschied im Verfahren : während im einen Fall
der Apparat der Gesetzgebung in Bewegung gesetzt werden muss, bedarf es im andern Fall, sobald eine grundsätzliche gesetzliche Begelung vorliegt, nur eines Verwaltungsaktes, der die Allgemeinverbindlichkeit ausspricht. Dies hat den Vorteil, dass die einmal getroffene Begelung leichter abgeändert oder wieder aufgehoben werden kann, so dass die notwendigen Massnahmen von Fall zu Fall den Bedürfnissen der betreffenden Wirtschaftsgruppe angepasst werden können und eine starre, die Gesamtwirtschaft in Fesseln legende Ordnung vermieden wird.

Nun ist es aber selbstverständlich, dass den Verbänden das Instrument der Allgemeinverbindlichkeit nicht ohne bestimmte Kautelen in die Hand gegeben werden darf. Die Wirtschaftsverbände, die meist bestimmte Interessen einseitig gruppieren, sind in erster Linie als Abwehr- und Selbsthilfeorgani-

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sationen entstanden, die vor allem die Interessen ihrer Angehörigen im Auge haben. Es wird daher Sache der Ausführungsgesetzgebung sein, ausreichende Sicherheiten zur Verhinderung eines Missbrauches dieser Einrichtung zu schaffen. Ohne uns an dieser Stelle schon über Einzelheiten der künftigen Gesetzgebung aussprechen zu wollen, erscheinen uns immerhin folgende Garantien derart wichtig und unerlässlich zu sein, dass sie schon in der Verfassung verankert werden müssen: 1. Das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung ist auf bestimmte, in der Verfassung zu nennende Anwendungsgebiete zu beschränken. Wir nehmen in Aussicht die Eegelung der Berufsbildung, der Arbeitsbedingungen mit Einschluss der sozialen Nebenleistungen und die Bekämpfung des unlautern Wettbewerbs.

2. Damit alle durch eine Verbindlicherklärung berührten privaten und öffentlichen Interessen zur Geltung kommen, ist nach dem Vorschlag der Wirtschaftsexpertenkommission ein von den wirtschaftlichen und politischen Interessengruppen unabhängiges, durch den Staat zu bestellendes Kollegium von Sachverständigen zu schaffen zur materiellen Prüfung der von den Verbänden eingereichten Anträge. Ausserdem ist dafür zu sorgen, dass die Spitzenverbände der Wirtschaft und alle betroffenen Kreise Gelegenheit erhalten, sich zu den Anträgen zu äussern.

3. Die Verbände, welche ein Gesuch um Verbindlicherklärung einreichen, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllen. Um exklusive Tendenzen zu verhindern, muss der Zutritt jedem Berufsangehörigen offenstehen, der die Aufnahmebedingungen erfüllt. Die Ausführungsgesetzgebung hat durch zweckentsprechende Umschreibung der Voraussetzungen, welche die Berufsverbände zur Gültigkeit ihrer Anträge zu erfüllen haben, dafür zu sorgen, dass die Minderheiten innerhalb und ausserhalb des Verbandes zur Geltung kommen und die Verbandsfreiheit gewahrt bleibt.

Wir möchten ferner betonen, dass am Prinzip der freien Verbandsbildung nicht gerüttelt werden soll. Ausgangspunkt der Neuordnung werden die bestehenden Berufs- und Wirtschaftsverbände sein. Auch auf dem Gebiete des Verbandswesens soll nach wie vor das grösstmögliche Mass an Freiheit gesichert bleiben.

Sowie die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen an erster Stelle steht, soll auch der freiwilligen Verständigung unter den Verbänden der Vorrang vor dem staatlichen
Eingriff zukommen.

Soweit als irgend möglich, sollen die Beteiligten versuchen, auf freiwilligen Wegen die ihren Bedürfnissen entsprechende Ordnung aufzurichten, wobei ihnen der Staat seine Vermittlerdienste zur Verfügung stellen wird. Wilhelm von Humboldt hat diesem Gedanken des Vorranges der Freiwilligkeit vor dem staatlichen Eingriff mit folgenden Worten Ausdruck verliehen : «Das wahre Bestreben des Staates muss aber dahin gerichtet sein, die Menschen durch Freiheit dahin

856 zu führen, dass leichter Gemeinschaften entstehen, deren Wirksamkeit an die Stelle des Staates treten kann.» Nur wenn der Weg der freiwilligen Verständigung nicht zum Ziele führt, soll dem Staat unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt werden, solche Vereinbarungen allgemeinverbindlich zu erklären. Ein Zwang zum Vertragsschluss soll dabei nicht ausgeübt werden; dies würde nicht nur dem Begriff des Vertrages, sondern auch dem Wesen der Privatwirtschaft widersprechen. Dort aber, wo die Verbände von sich aus zu einer Ordnung auf dem Gebiete der Berufsbildung oder des unlautern Wettbewerbs gelangt sind, soll dieser Ordnung Bestand und Wirksamkeit verliehen werden können, sofern sie einem schutzwürdigen Interesse dient und den Interessen der Gesamtwirtschaft nicht zuwiderläuft.

Kommt eine Verständigung unter den Beteiligten aus irgendwelchen Gründen nicht zustande, erweist sich aber eine Eegelung im allgemeinen Interesse gleichwohl als notwendig, so bleibt dem Staate immer noch die Möglichkeit des direkten Eingriffes durch Erlass von Vorschriften auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung.

Die künftige Wirtschaftsgesetzgebung wird an die bestehen; den Zustände a n k n ü p f e n und das Bestehende organisch weiter zu entwickeln suchen. Die Wirtschaftsordnung bildet einen Bestandteil der Ordnung der gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse überhaupt und muss mit diesen in Einklang stehen. Freiheit und Selbstverantwortung des Staatsbürgers sind das entscheidende Merkmal unserer politischen Verfassung; sie müssen auch den Grundzug unserer Wirtschaftsordnung bilden. «So wenig wie der Schweizer in politischen Dingen eine autoritäre Herrschaft erträgt, .. würde er sich einer autoritären Wirtschaftsordnung unterwerfen. Die Wirtschaft empfängt ihre Ordnung letztlich vom Ziele der Wirtschaftspolitik und der Politik überhaupt : die konkrete Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse ist nichts anderes als ein Mittel zu seiner Verwirklichung. Dieses Ziel aber kann für die Schweiz nur sein, die Versorgung der Nation mit allen lebenswichtigen Gütern auf die Dauer zu gewährleisten und der schweizerischen Bevölkerung ! Arbeit und Verdienst zu verschaffen.

Die vorzunehmende Verfassungsrevision will nicht einem neuen Wirtr Schaftssystem Eingang verschaffen. Auf der einen Seite bleiben
Privateigentum an den Produktionsmitteln, wirtschaftliche Freiheit und freie Initiative bestehen; auf der andern Seite greift der Staat im Interesse der Gesamtheit f ö r d e r n d und regelnd ein, aber nur in einem Masse, dass das Grundprinzip der freien Wirtschaft, der M a r k t m e c h a n i s m u s als Eegulator, nicht in Frage gestellt w i r d . Ein solches System unterscheidet sich von der freien Wirtschaft, wie sie dem wirtschaftlichen Liberalismus vorschwebte, durch das grössere Mass an Bindungen, welches dem Staate eine Ordnungsfunktion in der Wirtschaft zubilligt. Es unterscheidet sich aber grundsätzlich von andern Wirtschaftstheorien durch die Beibehaltung des Privateigentums

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am Produktionsapparat und durch den Verzicht auf eine inhaltliche Bestimmung des Wirtschaftsablaufes.

Welche Eingriffe im einzelnen notwendig sind und ob die Durchführung der einzelnen Ordnungsaufgaben direkt durch den Staat oder durch Vermittlung der Verbände erfolgen soll, kann nur im Einzelfall bei Anlass der Ausführungsgesetzgebung entschieden werden. Dabei möchten wir heute schon betonen, f dass wir die Aufgabe des Staates weniger im Erlass zahlloser Einzelmassnahmen !

sehen als vielmehr in grundlegenden Erlassen, welche die Voraussetzungen für '!

eine geordnete und gedeihliche Entwicklung schaffen. Eine solche Wirtschaftsordnung, die einen vernünftigen Ausgleich zwischen Freiheit und Bindung, zwischen Einzelinteresse und Gesamtinteresse anstrebt und die neben den wirtschaftlichen auch die überwirtschaftlichen Ziele zur Geltung kommen lässt, scheint" uns die~ angemessene zu sein, da sie mit unseren gesellschaftlichen und politischen Institutionen in Einklang steht, an das Bestehende anknüpft und gleichwohl den Erfordernissen der Gegenwart und der Zukunft Eechnung trägt.

C. Die wirtschaftlichen Bestimmungen der geltenden Bundesverfassung.

I. Historisches ; die Wirtschaftsbestimmungen der Bundesverfassung seit 1848.

Die wirtschaftliche Bedeutung der B u n d e s v e r f a s s u n g von 1848 liegt in erster Linie darin, dass sie die Grundlagen für die Aufhebung der bisherigen mannigfaltigen kantonalen Zölle und zollähnlichen Gebühren der alten Eidgenossenschaft und damit ein einheitliches schweizerisches Zollgebiet schuf.

Art. 23 der Verfassung erklärte das Zollwesen als Sache des Bundes, und Art. 24 gab diesem die Befugnis, die Land- und Wasserzölle, Weg- und Brückengelder, Kaufhaus- und andere Gebühren dieser Art gegen Entschädigung aufzuheben, wobei der Bund tatsächlich in der Folge von diesem Ablösungsrecht in weitem Umfange Gebrauch gemacht hat. In ähnlicher Weise wurden gestützt auf Art. 30 alle bedeutenderen Transportvorrechte aufgehoben. Ferner wurden durch Art. 29 für Lebensmittel, Vieh und Kaufmannswaren, Landesund Gewerbserzeugnisse jeder Art unter gewissen Einschränkungen der freie Kauf und Verkauf und die freie Ein-, Aus- und Durchfuhr von einem Kanton in den andern gewährleistet.

Als weitere wichtige Wirtschaftsbestimmung sei erwähnt Art. 41, Ziff. 4, der die interkantonale Freizügigkeit der Gewerbetreibenden als Bestandteil der Niederlassungsfreiheit garantierte. Im übrigen jedoch erteilte die Verfassung von 1848 dem Bund auf dem Gebiete der innern Wirtschafts- und Sozialpolitik keine Kompetenzen.

Die Bundesverfassung vom Jahre 1874 hat von derjenigen des Jahres 1848 die Bestimmungen über die Zölle, Art. 28 und 29 (welche den Art. 28 und 25 der Verfassung von 1848 entsprechen), und die Vorschrift über die Erhebung von Eingangsgebühren für Wein und andere geistige Getränke,

858 Art. 82 (welcher dem Art. 82 der Verfassung von 1848 entspricht), übernommen.

Die Befugnisse, die mit Art. 28 und 29 dem Bund eingeräumt wurden, sind die Grundlage für die schweizerische Handelspolitik geworden, die sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelt und eine steigende Bedeutung erlangt hat. Auf der andern Seite ist Art. 82 gegenstandslos geworden, da gemäss dessen Absatz 2 mit dem Jahre 1890 alle Eingangsgebühren dahingefallen sind. Neu sind in die Verfassung von 1874 aufgenommen worden: Art. 81, der als wirtschaftlichen Grundsatz die Handels- und Gewerbefreiheit proklamiert, und als einzige in diesem Zusammenhang in Betracht kommende Kompetenzbestimmung auf dem Gebiete der Wirtschaft Art. 34. Bei den Beratungen der Verfassungsrevision in den Jahren 1870/71 wurde der Versuch unternommen, dem Bund die uneingeschränkte Gesetzgebungshoheit auf dem Gebiete des Gewerbewesens im weitesten Sinne des Wortes zu übertragen. Dieser Versuch scheiterte, und es wurde dann dem Bund im genannten Verfassungsartikel nur die Gesetzgebungsbefugnis für den Arbeiterschutz in der Industrie, sowie für den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen und von privaten Versicherungsunternehmungen eingeräumt. Diese Verfassungsbestimmung wurde zum Ausgangspunkt der sozialpolitischen Tätigkeit des Bundes; zugleich baute sich auf ihr zum Teil die Spezialgesetzgebung über das Versicherungswesen auf, welche in hohem Masse zur Entwicklung der Versicherungsunternehmungen, die für unser Land von grosser wirtschaftlicher und finanzieller Bedeutung sind, beigetragen hat.

Schon bald nach Inkrafttreten der Verfassung von 1874 zeigte sich das Bedürfnis, den Kreis der Befugnisse des Bundes zu erweitern. Als seitherige Verfassungsrevisionen, welche für die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Bundes von Bedeutung sind, seien folgende Artikel erwähnt: -- Art. 32bls über gebrannte Wasser und über das Wirtschaftswesen (angenommen 1885 und abgeändert mit gleichzeitiger Aufnahme des neuen Art. 82lTM«« im Jahre 1980) ; -- Art. 84Ws über die Unfall- und Krankenversicherung (vom Jahre 1890) ; -- Art. 24bl8 über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte (vom Jahre 1908); -- Art. 84iuater über die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (vom Jahre 1925) und -- Art. 28bls über die Getreideversorgung (vom Jahre 1929).

Die in wirtschaftlicher
Beziehung wichtigste Verfassungsrevision stellt die Aufnahme des Art. 34ter dar. Die bezüglichen Bestrebungen, deren Träger im wesentlichen die Gewerbetreibenden unter Führung des Schweizerischen Gewerbevereins und die Arbeitnehmer unter Führung des Schweizerischen Arbeiterbundes waren, setzten schon kurz nach 1880 ein und führten zu einer Kevisionsvorlage, welche ein erstes Mal im Jahre 1894 in der Volksabstimmung unterlag. Doch wurde der Gedanke bald wieder aufgegriffen, und in der zweiten Volksabstimmung vom Jahre 1908 wurde Art. 84ter, welcher dem Bunde die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiete des Gewerbewesens einräumt, angenommen. Kurz nach Annahme dieses Verfassungsartikels wurde ein Pro-

859 gramm für seine Ausführung aufgestellt, das als zunächst in Angriff zu nehmende Gegenstände der Gesetzgebung vorsah das berufliche Bildungswesen, die Förderung des Gewerbes, insbesondere dessen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb, und den Arbeiterschutz in Gewerbe und Handel. Die sofortige Durchführung dieses Programms wurde durch verschiedene Umstände, namentlich durch die Kriegs- und Krisenzeit, verhindert. Bis jetzt konnte von den im genannten Programm vorgesehenen Erlassen nur das Gesetz über die berufliche Ausbildung in Kraft gesetzt werden. Über den unlauteren Wettbewerb ist den eidgenössischen Eäten ein Gesetzesentwurf unterbreitet worden, und über den Schutz der Arbeit im Handel und in den Gewerben hegt ein Vorentwurf vor. Daneben wurden verschiedene weitere Gesetze, die Teilfragen ordneten ·-- so das Gesetz über die wöchentliche Euhezeit -- in Ausführung von Art. 84ter erlassen, und ausserdem dient der Artikel als Grundlage für eine Anzahl von Krisenbeschlüssen.

H. Mangelnde wirtschaîts- und sozialpolitische Kompetenzen des Bundes.

Nach der geltenden Verfassung kommt dem Bund auf wirtschaftlichem Gebiete die Gesetzgebungskompetenz zu für die Getreideversorgung (Art. 28bls), die Nutzbarmachung der Wasserkräfte (Art. 24bls), das Zollwesen (Art. 28 und 29), das Alkoholwesen (Art. 82, 821"8 und 82«uater)) den Arbeiterschutz in der Industrie und den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen und privaten Versicherungsunternehmungen (Art. 34), die Kranken-, Unfall-, Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (Art. S4bls und 84auater), sowie für das Gewerbewesen (Art. 84ter).

Für eine Eeihe anderer wirtschaftlicher Probleme, die ihrer Natur nach unter den heutigen Verhältnissen ebenfalls unbedingt eine gesamtschweizerische Eegelung erfordern -- womit allerdings nicht gesagt sein soll, dass nicht erhebliche Teilgebiete nach wie vor den Kantonen überlassen bleiben könnten -- fehlen dagegen nach der geltenden Verfassung dem Bunde die notwendigen Kompetenzen.

Wir denken dabei in erster Linie an die Landwirtschaft. Die heutige Bundesverfassung enthält, abgesehen von Art. 28bls über die Getreide Versorgung, in bezug auf die Landwirtschaft überhaupt keine Vorschriften und insbesondere keine Kompetenzbestimmungen. Aus diesem Grunde konnte sich der Bund beispielsweise mit verschiedenen Beschlüssen der Internationalen Arbeitskonferenz über die Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft nicht befassen.

Wir verweisen auf die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die dritte und vierte Internationale Arbeitskonferenz 1).

!) Bundesbl. 1923, Bd. II, S. 77 ff.

860

Auf der andern Seite haben die Verhältnisse den Bund gezwungen, für die Landwirtschaft nach verschiedenen Eichtungen Vorschriften aufzustellen.

Wir nennen in dieser Beziehung das Bundesgesetz betreffend die Förderung der Landwirtschaft durch den Bund vom 22. Dezember 1898/5. Oktober 1929 1), die zahlreichen Bundesbeschlüsse über die Bundeshilfe für die schweizerischen Milchproduzenten und für die Linderung der landwirtschaftlichen Notlage -- der neueste dieser Bundesbeschlüsse datiert vom 18. März 1987 2) -- und ferner die Bundesbeschlüsse betreffend Kredithilfe für notleidende Bauern vom 28. September 1928, 80. September 1982 und 28. März 19343).

Im Gegensatz zur Landwirtschaft besteht eine ausdrückliche Kompetenzbestimmung für das Gebiet des Gewerbewesens (Art. 34ter). Hier haben sich aber in bezug auf die Interpretation dieses Artikels nach zwei Eichtungen Unklarheiten ergeben. Einmal ist das Verhältnis zwischen Art. 84ter und Art. 81, der den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit enthält, umstritten -- wir werden auf diese Frage im nachstehenden Abschnitt III zurückkommen -- und sodann gingen die Meinungen über den Geltungsbereich des Art. 84ter, mit andern Worten über die Bedeutung des Begriffes «Gewerbewesen» auseinander. Es bestand eine Tendenz zur restriktiven Interpretation, die sich namentlich darauf stützte, dass im französischen Text von «arts et métiers» gesprochen wird, ein Ausdruck, der im Deutschen ungefähr dem Begriff «Handwerk» entspricht. Eingehende Studien anlässlich der Vorbereitung der Ausführungsgesetze und namentlich anlässlich des Erlasses des Berufsbildungsgesetzes führten zu einer extensiveren Auslegung der Verfassungsbestimmung, dahingehend, dass unter «Gewerbewesen» ausser dem Gewerbe auch Handel und Industrie zu verstehen seien. Es bezieht sich denn auch das Berufsbildungsgesetz auf alle diese Zweige unserer nationalen Arbeit, und der Verfassungsartikel ist bei Erlass anderer Gesetze ebenfalls in diesem Sinne ausgelegt worden.

Diese Interpretation ist von der Bundesversammlung mit stillschweigender Zustimmung des Volkes gebilligt worden, so dass die Streitfrage heute praktisch als erledigt betrachtet werden kann.

Trotzdem somit davon auszugehen ist, dass Art. 84ter nicht nur das Gewerbe im eigentlichen Sinne, sondern auch Industrie und Handel umfasst, verbleiben
doch noch gewisse Lücken. So hat sich beispielsweise bei Ausarbeitung des Gesetzes über die wöchentliche Buhezeit gezeigt, dass der Bund wohl befugt ist, über die Arbeit in den Gewerben jeder Art zu legiferieren, dass aber die Möglichkeit zum Erlass von Bundesvorschriften fehlt, sobald eine Tätigkeit, wie zum Beispiel der Betrieb eines Krankenhauses oder eines Spitals, nicht als Gewerbe, sondern von einer wohltätigen Institution ausgeübt wird.

Infolgedessen musste von einer Ausdehnung der Vorschriften über die wöchentliche Euhezeit auf gewisse Institutionen, bei denen die Unterstellung an und !) A.S. 14, 209; 46, 5.

*) A.S. 53, 159.

3 ) A.S. 44, 720; 48, 485; 50, 251.

861

für sich wünschbar gewesen wäre, Umgang genommen werden. Deshalb hat seinerzeit die Mehrheit der nationalrätlichen Kommission für das Bundesgesetz über die wöchentliche Buhezeit und mit ihr der Nationalrat ein Postulat angenommen, das folgendermassen lautet : «Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, ob nicht durch eine entsprechende Revision der Bundesverfassung die Grundlage zu einem Gesetz über den Dienst des Personals in Krankenanstalten jeder Art geschaffen werden sollte.» Abgesehen vom Arbeitsverhältnis in den Pflegeberufen fehlt dem Bunde auch die Gesetzgebungskompetenz für die Eegelung der Ausbildung und des Arbeitsverhältnisses im Hausdienst. Auch hier wird es ohne eine gewisse Vereinheitlichung nicht möglich sein, die gegenwärtigen ungeregelten Verhältnisse zu verbessern. Gleichzeitig mit dem oben erwähnten Postulat hat denn auch die Minderheit der nationalrätlichen Kommission ein zweites, allgemeiner gehaltenes Postulat mit nachstehendem Wortlaut eingereicht, welches vom Eate ebenfalls angenommen worden ist: «Der Bundesrat wird eingeladen, darüber Bericht zu erstatten, ob in die Bundesversammlung eine Bestimmung aufgenommen werden soll, die die Gesetzgebung über den Schutz der Arbeitnehmer, über das Arbeitsverhältnis und über das Arbeitsrecht als Sache des Bundes erklärt.» Weiter besteht eine Lücke in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes in bezug auf das wichtige Gebiet der Arbeitslosenversicherung -- Art.84bls und S4«uater nennen nur die Kranken-, Unfall-, Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, nicht aber auch die Arbeitslosenversicherung -- und schliesslich fehlt eine ausdrückliche Kompetenzbestimmung für die Eegelung des Arbeitsnachweises und der A r b e i t s b e s c h a f f u n g .

Auch auf diesen Gebieten hat sich der Erlass gewisser Bestimmungen durch den Bund als unumgängliche Notwendigkeit erwiesen, wobei man sich zum Teil, wie beispielsweise bei der Arbeitslosenversicherung, in der Weise geholfen hat, dass man von der Aufstellung materieller Vorschriften Umgang nahm und sich mit blossen Subventionsbestimmungen begnügte.

Viele dieser Krisenmassnahmen sind auf Grund des Notrechts eingeführt worden, das aber seiner Natur nach nur vorübergehende Dauer haben kann.

Die Notmassnahmen müssen deshalb entweder in absehbarer Zeit aufgehoben
oder, falls sie weiterhin unerlässlich sind, in die ordentliche Gesetzgebung eingeführt werden. Soweit sich die geltende Verfassung für eine solche Überführung als ungenügend erweist, muss durch eine Partiahrevision die notwendige verfassungsmässige Grundlage hiefür geschaffen werden.

Dazu kommt, dass die künftige Wirtschaftspolitik des Bundes nach verschiedenen Eichtungen hin wird erweitert werden müssen. Wir verweisen auf die von der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung aufgestellten Postulate. Von diesen werden sich allerdings eine ganze Anzahl durch blosse administrative Massnahmen verwirklichen lassen, wie zum Beispiel diejenigen, die sich auf den Ausbau des Wirtschaftsdienstes

862 bei unseren Gesandtschaften und Konsulaten, auf den Ausbau des staatlichen und verbandlichen Informationsdienstes zur Vermittlung von Arbeitsgelegenheiten im Ausland und auf die Unterstützung der Aktion für Schweizer im Ausland beziehen. Eine weitere Gruppe von Postulaten wird den Erlass neuer oder die Abänderung bestehender Gesetze erfordern, wofür aber die verfassungsmässige Grundlage schon vorhanden ist; wir nennen beispielsweise die Postulate betreffend Bekämpfung des unlautern Wettbewerbs und Abänderung des Bürgschaftsrechts. Bei einer letzten Gruppe von Postulaten fehlt dagegen die für ihre Verwirklichung notwendige verfassungsmässige Grundlage oder ihr Vorhandensein ist zum mindesten zweifelhaft, so dass in erster Linie diese geschaffen werden muss, bevor an die Ausführungsgesetzgebung herangetreten werden kann. Hieher gehören namentlich gewisse Postulate der Unterkommission II, nämlich diejenigen, welche die Schaffung der rechtlichen Möglichkeit zur Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen und -Vereinbarungen, den Erlass eines Kartellgesetzes und eine Eeihe von Massnahmen auf dem Gebiete der Landwirtschaft betreffen (staatliche und verbandliche Eegelung der agraren Produktion, staatliche Förderung der Fachbildung in der Landwirtschaft und Massnahmen zur Verhinderung der Neuverschuldung in der Landwirtschaft).

HI. Der Grundsatz der Handels- und Gewerbeîreiheit.

Der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit findet seinen Ursprung einerseits in der englischen klassischen oder liberalen Schule der Nationalökonomie, welche das System der freien Konkurrenz postulierte, und anderseits in der .naturrechtlichen Theorie von der Freiheit des Menschen und des Eigentums, die dazu geführt hat, als Teil des Eigentumsrechtes auch den freien Besitz und den freien Erwerb gegenüber den Beschränkungen der Staatsgewalt zu fordern. In späterer Zeit wurde dies dann ausgedehnt auf die freie Ausübung von Handel und Gewerbe, auf die Freiheit der gewerblichen Berufswahl, der unbeschränkten Zahl der Gewerbetreibenden, die Freiheit in der Herstellungsart und der örtlich unbehinderten Absatzmöglichkeit der Produkte in freier Konkurrenz 1). Verfassungsmässig verankert wurde der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit -- als natürliches Menschenrecht -- erstmals in einigen nordamerikanischen Staaten
und später, nach der französischen Eevolution, in Frankreich.

Von dort fand er dann Eingang in den helvetischen Einheitsstaat, nachdem sich schon längere Zeit vorher auch in der Schweiz unter dem Einfluss liberaler Ideen eine wachsende Opposition gegen das bisherige Zunftsystem geltend gemacht hatte. Zwar war der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit in der helvetischen Verfassung nicht ausdrücklich gewährleistet, aber er wurde nach französischem Vorbild als selbstverständliche Folge aus dem natürlichen Eechte des Menschen auf seine individuelle Freiheit hergeleitet.

Vorerst wurden im Mai 1798 die interkantonalen Handelssperren aufgehoben, *) His, «Geschichte des neuen schweizerischen Staatsrechtes», Bd. I, S. 494ff.

863

wobei allerdings aus fiskalischen Gründen von der gleichzeitigen Beseitigung der Binnenzölle, Weg- und Brückengelder und der übrigen auf dem internen Verkehr lastenden Abgaben Umgang genommen werden musste. Sodann wurde durch ein weiteres Gesetz vom Oktober 1798 für alle Gewerbe und Zweige der Industrie der Zunftzwang aufgehoben und damit ausdrücklich das in der Verfassung fehlende Freiheitsrecht anerkannt, immerhin mit der Einschränkung, dass dem Staate der erforderliche Einfluss gewerbe- und gesundheitspolizeilicher Natur gewahrt blieb, und schliesslich erfolgte im Dezember des gleichen Jahres die Beseitigung der sogenannten «Ehehaften» und deren Ersetzung durch das System der Gewerbebewilligungen. Schon bald nachher zeigten sich indessen als Folge der vollen Freiheit gewisse Missbräuche, welche für das Hausierund Wirtschaftsgewerbe den Erlass von zahlreichen Sondervorschriften notwendig machten.

Nach dem Untergang der Helvetik wurde die Souveränität der Kantone grundsätzlich wieder hergestellt. Sowohl die Mediationsverfassung als auch der Bundesvertrag von 1815 enthielten zwar einige für die ganze Eidgenossenschaft gültige wirtschaftliche Vorschriften; aber diese bezogen sich lediglich auf das interkantonale Verhältnis. So wurden, unter Vorbehalt der bestehenden Binnenzölle und weiteren Abgaben, der freie interkantonale Handelsverkehr für Lebensmittel, Vieh und Kaufmannswaren und ausserdem, als Bestandteil der Niederlassungsfreiheit, dem Schweizerbürger das Kecht, in jedem Kanton «frei sein Gewerbe auszuüben», gewährleistet. Im übrigen war jedoch die Eegelung der wirtschaftlichen Fragen in sachlicher Beziehung völlig dem kantonalen Recht überlassen, und es kam denn auch wieder zu einer ähnlichen Vielgestaltigkeit wie in der vorhelvetischen Epoche, da jeder Kanton seine eigenen Wege ging. Währenddem die ehemaligen Zunftaristokratien im allgemeinen zum Zunft- und Innungszwang zurückkehrten, behielten die Kantone der französischen Schweiz eine weitgehende Freiheit bei, und eine dritte Gruppe von Kantonen schlug einen Mittelweg ein, indem sie zwar die Zünfte und Ehehaften in der Eegel wieder einführten, aber in mehr oder weniger stark modifizierter Form.

Im Laufe der nächsten Jahrzehnte, speziell während der Eegenerationsperiode, gewann der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit auch in der
deutschen Schweiz in fast allen Kantonen, wenn auch vielfach nur langsam und schrittweise, stark an Ausdehnung. Die bestehenden Einschränkungen wurden nach und nach aufgehoben oder doch gemildert, so dass im allgemeinen schon ums Jahr 1848 in den meisten Kantonen -- eine Ausnahme machte namentlich Basel-Stadt -- die Handwerkerzünfte und die Ehehaften ganz oder doch bis auf geringe Überreste abgeschafft und die Handels- und Gewerbefreiheit, allerdings regelmässig unter dem Vorbehalt gesetzlicher Beschränkung, grundsätzlich anerkannt war. In die Bundesverfassung von 1848 wurde dieser Grundsatz allerdings noch nicht aufgenommen 1). In den folgenden Jahren !) In bezug auf die wirtschaftlichen Bestimmungen der Verfassung vom Jahre 1848 verweisen wir auf Abschnitt I oben.

864

gingen die wenigen noch vorhandenen Überreste der ehemaligen Gewerbeverfassung immer rascher ihrer vollständigen Auflösung entgegen; die Entwicklung der Brwerbsfreiheit schritt stetig in der seit der Wende des 18. Jahrhunderts eingeschlagenen Eichtung fort und fand ihren Abschluss in der Annahme der B u n d e s v e r f a s s u n g von 1874, welche die Handels- und Gewerbefreiheit zum wichtigsten wirtschaftlichen Grundsatze erhob. In seiner heutigen Fassung -- lit. fe, c und d sind durch spätere Partialrevisionen hinzugekommen -- lautet Art. 31 der Bundesverfassung wie folgt: «Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet.

Vorbehalten sind: a. Das Salz- und Pulverregal, die eidgenössischen Zölle, die Eingangsgebühren von Wein und andern geistigen Getränken, sowie andere vom Bunde ausdrücklich anerkannte Verbrauchssteuern, nach Massgabe des Art. 32.

b. Die Herstellung, die Einfuhr, die Reinigung, der Verkauf bund die fiskalische Belastung gebrannter Wasser, nach Massgabe der Art. 32 '8 und 82ter.

c. Das Wirtschaftswesen und der Handel mit geistigen Getränken, nach Massgabe des Art. 321"»'".

d. Sanitätspolizeiliche Massregeln zur Bekämpfung übertragbarer oder stark verbreiteter oder bösartiger Krankheiten von Menschen und Tieren.

e. Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben, über Besteuerung des Gewerbebetriebes und über die Benutzung der Strassen. Diese Verfügungen dürfen den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen.»

Mit dieser Verfassungsbestimmung nimmt die Schweiz eine einzigartige Stellung ein. Die Verfassungen einer Eeihe von ausländischen Staaten enthalten überhaupt keine Gewährleistung von Freiheitsrechten, andere garantieren wohl gewisse Individualrechte, nicht aber die Handels- und Gewerbefreiheit, und eine dritte Gruppe schliesslich proklamiert zwar, sei es in der einen oder andern Form, auch die Handels- und Gewerbefreiheit, jedoch nur im Eahmen der Gesetzgebung. Jedenfalls ist uns keine andere Verfassung bekannt, welche in gleicher Weise wie die unsrige die Handels- und Gewerbefreiheit als Individualrecht gewährleistet und schützt. In der Schweiz kann jeder Verstoss der Kantone gegen den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit, auch wenn es sich nur um eine polizeiliche Busse von wenigen Franken handelt, auf dem Wege des staatsrechtlichen Eekurses vor das höchste Gericht des Landes, das Bundesgericht, gebracht werden.

Art. 81 der Bundesverfassung garantiert das wirtschaftliche System der freien Konkurrenz immerhin nicht schrankenlos, sondern -- wie sich das Bundesgericht ausdrückt -- nur innert der Grenzen der allgemeinen Eechtsordnung. «Von dem Gedanken getragen, dass grundsätzlich die freie Entfaltung der individuellen wirtschaftlichen Kräfte und der sich daraus ergebende Wettbewerb aus dem Gesichtspunkte der allgemeinen Volkswohlfahrt die zweckmässigste Ordnung des Wirtschaftswesens darstellt, gewährt er dem Einzelnen als persönliches Freiheitsrecht die Befugnis, seine persönlichen Fähigkeiten und materiellen Mittel auf dem wirtschaftlichen Gebiet ungehindert zur Geltung

865

zu bringen, soweit diese Betätigung nicht gegen die höheren Interessen der Volksgemeinschaft verstösst.» (E.B. G.45, Bd. I, S. 357.)

Der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit betrifft lediglich das Verhältnis zwischen Bürger und Staat 1 ). Was die Beziehungen der Privatpersonen unter sich anbelangt, können nach der" Praxis weder die Gesetze, die sie regeln, noch die in Anwendung dieser Gesetze getroffenen Anordnungen wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit angefochten werden. So kann man sich nicht auf Art. 31 berufen gegenüber der Nichtzulassung eines Gewerbebetriebes durch den Nachbarn auf Grund von nachbarrechtlichen Bestimmungen, gegenüber der vertraglichen Verpflichtung auf Nichtausübung eines bestimmten Berufes, gegenüber Boykottmassnahmen oder gegenüber der Einschränkung der Erwerbsfreiheit durch Kartelle und ähnliche Organisationen.

Daraus, dass der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gegenüber dem Staat das System der freien Konkurrenz gewährleistet, ergeben sich nachstehende Folgerungen: 1. Die Beschränkung der Zahl der Gewerbetreibenden ist unzulässig, d. h.

jedermann muss zu jeder Erwerbstätigkeit, die weder ein öffentliches Amt noch ein Monopol ist, zugelassen werden, sofern er den erlaubterweise an ihn gestellten Anforderungen genügt.

2. Bei allen Eingriffen in das Gewerbewesen hat der Staat alle Betroffenen gleich zu behandeln.

3. Die Gewerbetreibenden dürfen durch die Eingriffe des Staates in der Verwertung ihrer Leistungen nicht mehr gebunden werden, als es die Erfüllung der polizeilichen Aufgaben des Staates unbedingt verlangt.

Der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit bedeutet an sich nicht einen vollständigen Ausschluss jeglichen Staatseingriffes, es darf sich dabei aber lediglich um gewerbepolizeiliche Einschränkungen handeln, d.h.

um Vorschriften, die nicht die volkswirtschaftlichen Wirkungen eines Gewerbes oder einer Betriebsart berichtigen, sondern den nachteiligen Wirkungen vorbeugen wollen, die der technischen oder geschäftlichen Eigenart des Einzelbetriebes anhaften. Hierher gehören Einschränkungen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung, Buhe, Sicherheit, Sittlichkeit und Gesundheit, sowie Vorschriften, die bestimmt sind, Treu und Glauben im Verkehr zu sichern und einerseits das Publikum vor Ausbeutung durch auf Täuschung berechnete
Machenschaften, andererseits die redlichen Gewerbetreibenden vor illoyaler Konkurrenz zu schützen.

Dagegen dürfen die Wirkungen der freien Konkurrenz als solche, auch wenn sie schädlich sind, nicht bekämpft werden; wirtschaftspolitische Einschränkungen jeder Art sind in Zukunft abzulehnen. Es soll unzulässig sein, die Zahl der Gewerbetreibenden oder den Umsatz zu beschränken, den 1

) Vgl. zum nachstehenden Burckhardt, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung, 8. Aufl., S. 225 ff.

Bundesblatt. 89. Jahrg. Bd. II.

62

866

Preis der Ware oder Menge oder Qualität der Produktion vorzuschreiben, gewisse Gewerbeformen wegen ihrer einschneidenden wirtschaftlichen Folgen zu unterdrücken oder einzelne Gewerbetreibende vor andern zu bevorzugen.

Angesichts des Art. 81 BV hat das Bundesgericht beispielsweise als verfassungswidrig erklärt die teilweise oder gänzliche Schliessung von Kinos, die angeordnet worden war, um der Verschwendungssucht zu steuern (E. B. G. 40, Bd. I, S. 482 ; 41, Bd. I, S. 42; 50, Bd. I, S. 178), die Erhebung einer Sondersteuer für Warenhäuser und Zweigverkaufsgeschäfte, welche, abgesehen von fiskalischen Zwecken, in erster Linie die dieser Steuer nicht unterworfenen Kleinverkäufer vor der Konkurrenz der Grossunternehmungen schützen sollte (E. B. G. 45, Bd. I, S. 857), Einschränkungen des Hausierhandels, die den Zweck verfolgten, den ansässigen Klein- und Mittelgewerbebetrieb vor der Konkurrenz der Hausierer zu schützen (E. B. G. 52, Bd. I, S. 298 ff.).

Umstritten ist die Frage, ob auch die Bundesgesetzgebung, d. h. die «einheitlichen Bestimmungen auf dem Gebiete des Gewerbewesens» im Sinne von Art. 84ter der Bundesverfassung, an den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden sei oder ob Art. 31 für die eidgenössische Gewerbegesetzgebung nicht gelte. Die erste Auffassung wird in der schweizerischen Bechtswissenschaft namentlich von Prof. Fleiner und Prof. Giacometti, die zweite von Prof.

Burckhardt vertreten. Aus dem Wortlaut der Verfassungsbestimmung sowie aus der allgemeinen Systematik der Bundesverfassung lassen sich für die Beantwortung dieser Kechtsfrage keine zuverlässigen Schlüsse ziehen, ebensowenig gibt aber auch die Entstehungsgeschichte des Art. 84ter völlige Klarheit : Der Entwurf des Bundesrates hatte neben dem neuen Art. 34ter eine Ergänzung des Art. 81 vorgesehen, wonach unter lit. / «die Gewerbegesetzgebung desBundes nach Massgabe des Art. 84ter» gegenüber dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit vorbehalten werden sollte. Der Ständerat nahm Art. 84ter an, strich jedoch den Zusatz zu Art. 81, wogegen der Nationalrat auch die Ergänzung zu Art. 31 mit knappem Mehr annahm. In der zweiten Lesung hielt der Ständerat an seinem ersten Beschlüsse fest, worauf der Nationalrat der Streichung des Zusatzes ebenfalls beipflichtete. Dabei waren aber die Meinungen über die Frage,
welche Bedeutung dem Art. 84ter einerseits und dem Vorbehalt zu Art. 31 und dessen Streichung andererseits zukomme, geteilt.

Der Kommentar Burckhardt führt hierüber folgendes aus 1): «Der Grundsatz, dem Bunde die Gesetzgebung über das Gewerbewesen zu übertragen, fand keinen Widerstand. Erörtert wurde beinahe nur, ob bei Art. 31 der vom Bundesrat vorgeschlagene Vorbehalt zu machen sei. Viele bekämpften den Vorbehalt, aber aus verschiedenen Gründen. Die einen fanden ihn überflüssig, da Art. 81 ohne weiteres unter dem Vorbehalt der andern Verfassungsartikel zu verstehen sei ; durch den Vorbehalt würde man nur den irrtümlichen Anschein erwecken, als ob die Gewerbefreiheit durch die zukünftige Gewerbegesetzgebung ganz J

) Burckhardt, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung, 3. Aufl., S. 292 ff.

867 aufgehoben werden solle -1). Die andern wollten im Gegenteil den Grundsatz der Gewerbefreiheit unangetastet lassen in der Meinung, dass man die Auswüchse im Gewerbewesen in diesem Eahmen wirksam bekämpfen könne 2), und einige vermengten beide Gesichtspunkte 3). Die Anhänger des Vorbehaltes meinten, man könnte bei der Ausarbeitung der Gesetze mit dem Grundsatze der Gewerbefreiheit in Widerspruch geraten, z. B. indem man für das Hausiergewerbe die Bedürfnisklausel aufstelle oder die obligatorischen Berufsgenossenschaften einführe, und, um dein Gesetzgeber freie Bahn zu schaffen und den alten Streit über die Verletzung des Art. 31 zu vermeiden, müsse klar und deutlich gesagt sein, dass der Gesetzgeber davon abweichen könne 4). Das wäre gewiss die beste Lösung gewesen, um so mehr, als man über den-Grundsatz selbst, um den man sich stritt, nicht klar war.» Immerhin schien die Ansicht, welche Art. 34ter dem Art. 31 vorgehen lässt, zu überwiegen. «Man war allseitig» -- wird im Kommentar Burckhardt weiter ausgeführt -- «in den Behörden wie ausserhalb einverstanden, dass der Bund mit jenem Verfassungsartikel ermächtigt werden solle, Vorschriften aufzustellen, die tatsächlich von Art. 31 abweichen, z. B. die Anwendung der Bedürfnisklausel auf das Hausiergewerbe.

Aus unzutreffenden Gründen scheute sich ein Teil der Bundesversammlung, diesen Willen durch einen Vorbehalt bei Art. 81 kundzugeben; der Wille aber bestand, den Bund zu ermächtigen, allen ,,Auswüchsen im Gewerbewesen" durch geeignete Mittel entgegenzutreten».

Notgedrungen hat sich der Bundesgesetzgeber in den letzten Jahren bei der Sanierung gewisser Wirtschaftszweige zu wiederholten Malen zu einer Einschränkung der Handels- und G e w e r b e f r e i h e i t entschliessen müssen.

Wir erinnern in erster Linie an das Bundesgesetz betreffend Einschränkung der Erstellung und Erweiterung von Gasthöfen vom 16. Oktober 1924 6), verlängert durch Bundesgesetze vom 26. Juni 1930 6) und 29. September 1933 7) und Bundesbeschluss vom 5. April 1935 8). Die schwere Krisis der schweizerischen Hotelindustrie zwang dazu, dem schon während des Krieges gestützt auf die ausserordentlichen Vollmachten im Zusammenhange mit andern Sanierungsmassnahmen eingeführten H o t e l b a u v e r b o t -- oder richtiger der Bedürfnisklausel für Neu- und Erweiterungsbauten von
Hotels und Fremdenpensionen -- durch ein neues Gesetz wenigstens für eine "bestimmte Dauer weitere Geltung zu verleihen. Das gestützt auf Art. 34ter der Bundesverfassung erlassene Bundesgesetz bedeutet zweifellos einen Einbruch in die Ge*) 2 ) 3 ) 4 ) 6 ) e ) ') o)

Sten. Bull. 16 Sten. Bull. 16 Sten. Bull. 16 Sten. Bull. 17 A.S. 41, 50.

A.S. 46, 527.

A.S. 50, 1.

A.S. 51, 234.

508/509; 17 N. B. 669, St. R. 521.

513; 17 N. B. 645, St. R. 523/524; 18 N. R. 107.

512/513; 17 N. R. 649/650, 651, 662/663.

N. R. 639/640, 644, 651, 661, 664, 669; 18 N. R. 107.

868

werbefreiheit. Der Bundesrat nahm den Standpunkt ein, dass die in Art, 84ter vorgesehene Gewerbegesetzgebung von der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen könne. In der Botschaft vom 24. März 19241) wurde in dieser Beziehung folgendes ausgeführt: «Das vorgeschlagene Bundesgesetz kann nur gestützt auf Art. 34ter der Bundesverfassung erlassen werden, der dem Bund die Befugnis überträgt, auf dem Gebiet des Gewerbewesens einheitliche Bestimmungen aufzustellen. Das Verhältnis dieser Vorschrift zu Art.ter81 BV ist unklar. Es kommt in der Verfassung nicht zum Ausdruck, ob Art. 34 nur unter Vorbehalt des Art. 81 gelten oder aber diesem vorgehen soll, ob also der Bund in seiner Gewerbegesetzgebung wie die Kantone an den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden sein soll oder nicht. Würde ersteres angenommen, so wäre der Bundesgesetzgeber auf den Erlass von gewerbepolizeilichen Vorschriften beschränkt, wie sie in Art. 81, lit. e, den Kantonen vorbehalten sind. Der Bund könnte also wie diese nur durch Bestimmungen über die Ausübung von Gewerben schädlichen Wirkungen des Gewerbebetriebs aus polizeilichen Gründen entgegentreten, dagegen wäre es ihm verwehrt, aus wirtschaftspolitischen Gründen, die freie Konkurrenz in irgendeinem Gewerbe zu beschränken.

Eine so enge Begrenzung der Gesetzgebungskompetenz hätte aber doch wohl im Wortlaut derterVerfassungsbestimmung zum Ausdruck kommen müssen; die Passung des Art. 34 , der im Gegensatz zu Art. 31, lit. e, keinen Vorbehalt macht, spricht jedenfalls eher für die weitere Auslegung.

Wir halten in der Tat dafür, dass die allgemeinere Norm des Art. 31 BV durch die speziellere des Art. 84ter eine Einschränkung erfahren hat, in dem Sinne, dass der Bund in seiner Gesetzgebung nicht unbedingt an den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden ist. Daraus folgt noch nicht, dass diese Schranke für den Bundesgesetzgeber jede Bedeutung verloren habe. Auch der Bund wird den Grundsatz der Gewerbefreiheit nur dann und insoweit antasten, als es zur Lösung der übernommenen Aufgabe unumgänglich notwendig erscheint. Diese Voraussetzung trifft zu. Denn es leuchtet ein, dass die gesetzliche Normierung eines Gewerbes zu dem Zwecke, die aus einer bis zum Missbrauch ausgenutzten Konkurrenzfreiheit erwachsenen Übelstände zu bekämpfen, ihr Ziel nicht ohne Einschränkung
dieser Freiheit erreichen kann.» Die Bundesversammlung hat dieser Auffassung, trotzdem die Meinungen über die Zulässigkeit der Bedürfnisklausel geteilt waren, zugestimmt 2 ).

Als weitere Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit ist zu nennen der Bundesbeschluss über das Verbot der Eröffnung und Erweiterung von Warenhäusern, Kaufhäusern, Einheitspreisgeschäften und Filialgeschäften vom 14. Oktober 1933/27. September 1935 3), wobei der Bundesrat in der bezüglichen Botschaft in bezug auf die Frage, inwieweit Art. 34»er dem Art. 31 BV vorgehe, eher einen etwas zurückhaltenderen Standpunkt eingenommen hat. In der genannten Botschaft wird unter anderem ausgeführt: «Zu der dritten Gruppe, d. h. den Massnahmen, für welche die verfassungsmässige Grundlage mangelt oder zum mindesten bestritten ist, zählen wir insbesondere die Schliessung von bereits bestehenden Betrieben oder die Aufhebung einzelner ihrer Abteilungen. ... Ferner ist das von der Preisbildungskommission vorgeschlagene allgemeine Verbot der Neueröffnung und Erweiterung von Detail-Handelsbetrieben *) Bundesbl. 1924, Bd. I, S. 545.

2 ) Sten. Bull. 1924, St. R. 208 ff., N. R. 545 ff.

3 ) A.S. 49, 825, 51, 659.

869 und die in gleicher Richtung gehende Forderung des Bewilligungszwanges für selbständige Berufsausübung im Widerspruch mit diesem Artikel in seiner heutigen Form» (Bundesbl. 1933, Bd. II, S. 163). «Zwar wird von juristischer Seite zum Teil die Auffassung vertreten, dass die Aufstellung einheitlicher Bestimmungen für das Gewerbe einschliesslich des Handels auf Grund von Art. 34ter auf die Aufrechterhaltung der in Art, 31 BV verbürgten Handels-und Gewerbefreiheit nicht Rücksicht zunehmen brauche. Wir hegen gegenüber dieser extensiven Auslegung, die der Auffassung weiter Kreise nicht entspricht, Bedenken und haben deshalb den Erlass eines neuen Verfassungsartikels in Aussicht genommen» (S. 163). «Dagegen halten wir es für richtig, heute aus der Gesamtheit aller Postulate diejenigen Forderungen herauszunehmen und in einem dringlichen Bundesbeschluss zu regeln, welche dahin gehen, eine weitere Ausdehnung der Grossbetriebe während der nächsten Jahre zu verhindern. ... Eine solche vorübergehende Einschränkung kann als Analogen zum Hotelbauverbot gemäss Bundesgesetz vom 19. Oktober 1924 verfassungsmässig verantwortet werden» (S. 163 f.).

Ein analoges Eröffnungsverbot ist für Schuhreparaturwerkstätten erlassen worden durch den Bundesbeschluss über Massnahmen zum Schütze des Sehuhmachergewerbes vom 28. September 1934/23. Dezember 1936 1).

Ferner sei in diesem Zusammenhang erwähnt der Bundesbeschluss über die Hilfeleistung für die schweizerische Schifflilohnstickerei vom 23. Dezember 1932 2), der in Art. 10 den Bundesrat unter gewissen Voraussetzungen ermächtigt, die Vorschriften der Statuten und Eeglemente der « Genossenschaft Krisenfonds der schweizerischen Schiff lilohnstickerei» auch für die der Genossenschaft nicht beigetretenen Schifflilohnsticker als verbindlich zu erklären. Bis jetzt hat der Bundesrat von dieser Befugnis allerdings noch keinen Gebrauch gemacht.

Sodann gehören hieher verschiedene Massnahmen zur Unterstützung der Landwirtschaft, insbesondere die Bundesbeschlüsse vom 13. April 19333) und 28. März 1934 4) über die Fortsetzung der Bundeshilfe für die schweizerischen Milchproduzenten und für die Linderung der landwirtschaftlichen Notlage, die den Milchproduzenten eine Eeihe von Beschränkungen, unter anderem in bezug auf Preis, Qualität,. Verkauf von Milch, sowie in bezug.auf den
genossenschaftlichen Zusammenschluss auferlegen.

Weiter ist hinzuweisen auf die Massnahmen zur Sanierung der Uhrenindustrie, für welche Industrie die Handels- und Gewerbefreiheit durch verschiedene auf Grund des Bundesbeschlusses über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande vom 14. Oktober 1933/11. Dezember 1935 erlassene Bundesratsbeschlüsse und Verfügungen des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes weitgehend eingeschränkt worden ist. So enthalten die Bundesratsbeschlüsse zum Schütze der schweizerischen Uhrenindustrie vom 30. Dezember 1935 &) und 13. März 1936 8) unter anderem Preisvorschriften für den

*) A.S.

2 ) A.S.

') A.S.

4 ) A.S.

") A.S.

·) A.S.

50, 661, 52, 1034.

48, 833.

49, 243.

50, 247.

51, 821.

52, 143.

870

Verkauf von Uhren und Uhrenbestandteilen, das Verbot, Bohwerke, Schablonen und irgendwelche Taschenuhrbestandteile ohne einen Attest der Schweizerischen Uhrenkammer oder der Fiduciaire horlogère suisse zu exportieren, sowie für die Unternehmungen der Uhrenindustrie ein ähnliches Eröffnungs- und Erweiterungsverbot wie es für die Warenhäuser besteht.

Endlich seien erwähnt der Bundesbeschluss betreffend die Überwachung von Warenpreisen vom 20. Juni 1936 1) und der Bundesratsbeschluss über ausserordentliche Massnahmen betreffend die Kosten der Lebenshaltung vom 27. September 1936 2), welche Erlasse unter anderem die Aufstellung von Preisvorschriften vorsehen.

IV. Das Unbefriedigende des gegenwärtigen Zustandes.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die geltende Verfassung als Grundlage für die bisherige Wirtschaftsgesetzgebung des Bundes nach zwei Eichtungen hin nicht hat genügen können: einmal fehlt dem Bunde die Gesetzgebungskompetenz für eine Beihe wichtiger Wirtschaftsfragen, die unter den heutigen Verhältnissen nur von Bundes wegen gelöst werden können, wie namentlich gewisse landwirtschaftliche Probleme -- auf die Frage des Geltungsbereiches von Art. 34ter BV kommen wir hier nicht mehr zurück, da sie, wie schon erwähnt, heute praktisch als erledigt betrachtet werden kann -- und sodann besteht Unklarheit über das Verhältnis von Art. 84ter zu Art. 31 BV. Man hat sich bis jetzt damit geholfen, dass man einerseits gewisse Erlasse des Bundes, die sich als unbedingt notwendig erwiesen haben, teilweise auf Art. 2 der Verfassung stützte, und anderseits, dass man sich auf den Standpunkt stellte, Art. 34ter gehe dem Art. 31 in dem Sinne vor, dass die Gewerbegesetzgebung des Bundes nicht unbedingt an den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden sei und daher, gestützt auf Art. S4ter, wenigstens vorübergehende Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit zulässig seien.

Es muss in der Tat anerkannt werden, dass die heutige Lösung nicht befriedigen kann. Wenn Parlament und Bundesrat trotzdem diesen Weg beschritten haben, so deshalb, weil die wirtschaftlichen Notwendigkeiten ein Einschreiten des Bundes gebieterisch verlangten. Hätten die verantwortlichen Bundesbehörden die zahlreichen Begehren um Hilfsmassnahmen unter Hinweis auf verfassungsrechtliche Bedenken zurückgewiesen, so wäre die Kritik erst recht nicht unterblieben. Vielmehr hätte man dann den Behörden Mangel an Entschlusskraft und an Verantwortungsbewusstsein vorgeworfen.

Sicher ist aber, dass der gegenwärtige Bechtszustand nicht auf die Dauer aufrechterhalten werden kann. Im Interesse der Bechtssicherheit und der Hochhaltung der Verfassung müssen unbedingt die bisherigen Mängel behoben und eine klare Bechtslage geschaffen werden. Hiezu.bedarf es einerseits einer A.S. 52, 504.

3 A.S. 52, 742.

871 den heutigen Verhältnissen angepassten neuen Umschreibung der wirtschaftlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, die auch die Verwirklichung der von der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung aufgestellten Postulate ermöglicht, und andererseits muss die alte, anlässlich der Aufnahme von Art. 84ter in die Verfassung bedauerlicherweise offen gelassene Streitfrage über das Verhältnis von Art. 34ter zu Art. 31 BV endgültig gelöst werden. Damit soll indessen -- -wir möchten dies mit allem Nachdruck betonen -- der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit keineswegs beseitigt werden.

Er bleibt vielmehr auch nach unserem Eevisionsantrag bestehen. Dem Gesetzgeber soll lediglich die Möglichkeit gewahrt bleiben, ausnahmsweise unter bestimmten, in der Verfassung umschriebenen Voraussetzungen, davon abzuweichen. Dabei sind diese Ausführungserlasse ihrerseits natürlich in verfassungsmässiger Weise zu beschliessen.

D. Die verfassungsrechtliche Neuordnung.

I. Die bisherigen Bemühungen, die Wirtschaftsbestimmungen der Bundesverfassung abzuändern.

1. Motionen und Postulate.

Die Frage einer Eevision der Wirtschaftsbestimmungen der Bundesverfassung ist in den eidgenössischen Bäten im Laufe der Zeit bei Anlass der Beratungen über eine ganze Reihe von Motionen und Postulaten diskutiert worden. Die Zahl dieser Motionen und Postulate ist so gross, dass wir hier auf all diese Auseinandersetzungen nicht zurückkommen können; wir müssen uns auf diejenigen Vorschläge beschränken, die heute noch hängig sind.

Eine erste, auf eine Verfassungsrevision hinzielende Bewegung setzte unmittelbar nach dem Kriege ein und fand ihren Niederschlag in den Motionen Scherrer-Füllemann, Musy und Forrer. Diese Motionen beschränkten sich allerdings nicht auf eine blosse Änderung der Wirtschaftsbestimmungen der Verfassung, sondern hatten umfassendere Neuerungen, zum Teil eine Totalrevision der Bundesverfassung, im Auge. Immerhin spielten, wie aus den Beratungen im Parlament hervorgeht1), dabei die wirtschaftlichen und sozialen Fragen, insbesondere der Schutz der Arbeit im Handel und in den Gewerben und die Arbeitslosenversicherung eine wesentliche Eolle.

Der Wortlaut der drei genannten Motionen ist der folgende: 1. Motion Scherrer-Füllemann, vom Nationalrat erheblich erklärt am 14. Februar 1919.

«Der Bundesrat wird eingeladen, den eidgenössischen Bäten mit aller Beförderung Bericht und Antrag zu unterbreiten, ob eine Totalrevision der Bundesverfassung !) Sten. Bull. N.B. 1918, S. 481 ff., 1919, S. 224 ff.

872 stattzufinden habe, wesentlich im Sinne des Ausbaues der Volksrechte und der Einführung derjenigen sozialen Hauptreformen, welche infolge der dauernd gedrückten Lage grosser Volksteile notwendig erscheinen, sowie im Sinne gleichzeitiger Öffnung der zur Durchführung dieser Hauptreformen erforderlichen Finanzquellen.» 2. Motion Musy, vom Nationalrat erheblich erklärt am 14. Februar 1919.

«Die Unterzeichneten, denen der imperative Charakter der Motion ScherrerFüllemann wie auch eine Eevision der Bundesverfassung im Sinne vermehrter Zentralisation nicht entspricht, ersuchen den Bundesrat, die Frage zu prüfen, ob nicht dem Vorgehen auf dem Wege einer Partialrevision, die an unsern föderalistischen Institutionen festhält, der Vorzug zu geben sei. Auf Grund der politischen und finanziellen Selbständigkeit der Kantone, deren Erhaltung im Hinblick auf die Verschiedenheit unserer Volksstämme als eine Notwendigkeit erscheint, und unter Berücksichtigung der persönlichen Freiheitsrechte wäre die Revision hauptsächlich nach folgenden Gesichtspunkten durchzuführen: 1. Den Kantonen und dem Volke ist Garantie zu bieten gegen eine weitergehende Zentralisation.

2. Das Problem der Sozialreform soll in seiner Gesamtheit ins Auge gefasst und unverzüglich zum Gegenstand gründlicher Prüfung gemacht werden. Die notwendigen Reformen und Institutionen, insbesondere die Alters- und Invalidenversicherung, sind im Sinne der Solidarität und der Klassenversöhnung so rasch als möglich ins Leben zu rufen, mit finanzieller Beihilfe des Bundes, aber unter Vermeidung einer zentralistischen Organisation und, soweit möglich, auch ohne zentralisierte Anstalt.

8. Die Grundsätze der Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit, garantiert durch Art. 49 und 50, Abs. l, der Bundesverfassung, sind tatsächlich und uneingeschränkt zur Anwendung zu bringen. Alle Ausnahmebestimmungen, die dem durch die Verfassung garantierten Grundsatz der Freiheit widersprechen, sind zu beseitigen.» 8. Motion Forrer, vom Nationalrat erheblich erklärt am 14. Februar 1919.

«Der Bundesrat wird eingeladen, den eidgenössischen Räten mit aller Beförderung Bericht und Antrag zu unterbreiten, inwieweit und in welcher Richtung eine Verfassungsrevision vorzunehmen sei, um die Grundlagen der Anpassung unserer Gesetzgebung an die veränderten Verhältnisse und insbesondere
für die Einführung der notwendigen sozialen Reformen und deren Finanzierung zu schaffen.» Weitere Eevisionsbestrebungen setzten unter dem Einfluss der Wirtschaftskrise vom Jahre 1931 an ein. Sie zielten zum Teil auf eine Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit, zum Teil auf einen vermehrten Schutz für den Mittelstand, insbesondere für Kleinhandel und Kleingewerbe, und zum Teil auf die Aufstellung eines Wirtschaftsprogrammes hin. Hieher gehören folgende Motionen und Postulate: 4. Postulat Gelpke, vom Nationalrat angenommen am 19. Juni 1981.

«Um die schweizerische Volkswirtschaft vor wirtschaftlichen Auswüchsen, insbesondere vor den zersetzenden Einflüssen der Überindustrialisierung zu bewahren, wird der Bundesrat eingeladen, zu prüfen und darüber zu berichten, ob und bis zu welchem Grade eine partielle Verfassungsrevision im Sinne einer bedingten Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit angebahnt werden könne.» 5. Postulat Schneider, vom Nationalrat angenommen am 19. Juni 1981.

«Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und zu berichten, ob nicht der Art. 31 der Bundesverfassung wie folgt zu ändern sei:

873

«Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet. Durch die Bundesgesetzgebung kann eine Beschränkung erfolgen, wenn es die Interessen der Allgemeinheit erfordern.»

6. Motion Schirmer, vom Nationalrat in der Form eines Postulates angenommen am 6. Dezember 1984.

«Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob nicht der Bundesversammlung eine Vorlage zu unterbreiten sei, die dem Bundesrat die nötigen Vollmachten gibt, bis zum Erlass der neuen Verfassungsbestimmungen die dringend notwendigen Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit provisorisch vornehmen zu können, und die es ihm insbesondere möglich macht, Vereinbarungen zwischen Berufsverbänden oder Massnahmen solcher Verbände für die betreffenden Berufsgruppen allgemeinverbindlich zu erklären, wenn solche einem Bedürfnis entsprechen und sich nicht gegen das Gesamtwohl des Volkes richten.»

7. Motion Amstalden, vom Ständerat in der Form eines Postulates angenommen am 8. Juni 1933.

«Mit Eingabe vom 24. Februar 1931 an das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, wovon dem eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement Kenntnis gegeben wurde, hat die gewerbHoh-mittelständisohe Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen konservativen Volkspartei eine Reihe von Begehren hinsichtlich der Ausgestaltung der künftigen eidgenössischen Gewerbegesetzgebung im Sinne eines wirksamen Schutzes und einer zweckdienlichen Förderung des selbständigen Mittelstandes, insbesondere des Handwerks, Kleingewerbes und kleinen Detailhandels aufgestellt; am 18. November 1931 erneuerte sie diese Begehren unter Beilage einlässlich begründeter Postulate, und im April 1932 wiederholte sie, unterstützt vom Zentralkomitee der schweizerischen konservativen Volkspartei und der Fraktion der Bundesversammlung, ihre Forderungen.

Da bis dahin den Postulaten keine Folge gegeben wurde, ersuchen die Unterzeichneten den Bundesrat, zu prüfen, ob nicht, in Anwendung und Ausführung des Art. 34ter der Bundesverfassung, zum Schütze und zur Förderung des selbständig erwerbenden Mittelstandes gesetzliche Vorschriften aufzustellen und den eidgenössischen Räten zur Behandlung zuzuleiten seien. Die gewünschten Vorschriften sollen sich insbesondere auf folgende Schutzmassnahmen erstrecken: 1. Schutz der mittelständischen Existenzen im Gewerbe, Handwerk und Handel vor Verdrängung durch gemeinwirtschaftliche Betriebe und Grossunternehmen (Schutz vor Warenhäusern, Einheitspreisgeschäften, Selbstdetaillieferung der Fabriken, Kettenläden usw.).

2. Bekämpfung des widerrechtlichen und unlautern Wettbewerbs in allen seinen Formen zum Schaden der Konkurrenten, sowie die Wahrung der ethischen Güter im Gewerbe und Schutz der berechtigten Interessen der andern Stände, z. B. auch der Kundschaft.

3. Positive Förderung des gewerblichen Mittelstandes durch gesetzliche Bestimmungen und finanzielle Massnahmen zur Verbesserung der Produktions- und Warenverschleissmethoden, Absatzerleichterung, Einführung und Erweiterung der mittelständischen Kredithilfe, Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Selbsthilfeorganisationen usw.

4. Begünstigung des Zusammenschlusses von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Gewerbe auf paritätischer, korporativer Grundlage.

Alle die zur Verwirklichung dieser Postulate notwendigen gesetzlichen oder administrativen Massnahmen können ergriffen werden gestützt auf Art. 34ter der

874 Bundesverfassung, also ohne dass vorher eine Revision oder Aufhebung des Art. 81 über die Gewerbefreiheit notwendig wäre. Angesichts der Dringlichkeit eines sofortigen und weitgehenden Schutzes des in seiner Existenz bedrohten gewerblichen und kaufmännischen Mittelstandes der Schweiz wird der Bundesrat ersucht, zu prüfen, ob nicht ohne Verzögerung ein umfassendes Gewerbeschutz- und Gewerbeförderungsgesetz oder einzelne Teüe desselben in obigem Sinne auszuarbeiten seien.» 8. Motion J o s s, vom Nationalrat in der Form eines Postulates angenommen am 14. Juni 1938.

«Dem Bundesrat ist bekannt, dass der Art. 31 der Bundesverfassung, der die unbeschränkte Handels- und Gewerbefreiheit garantiert, im Wirtschaftsleben ungesunde Auswüchse ermöglicht hat, besonders das Aufkommen von Unternehmen, die in Konzernen und Trusts, Warenhäusern und Einheitspreisgeschäften dem bodenständigen Gewerbe die Existenzmöglichkeiten rauben und zahlreiche mittelständische Betriebe vernichten. Diesem bedenklichen Prozess darf eine bürgerliche Landesregierung nicht länger passiv gegenüberstehen.

Der Bundesrat wird deshalb ersucht, zu prüfen, ob nicht die nötigen Massnahmen zur Erhaltung des gewerblichen Mittelstandes zu treffen seien. Wir denken uns insbesondere : 1. Revision des Art. 31 der Bundesverfassung in dem Sinne, dass der Handelsund Gewerbefreiheit ganz bestimmte Schranken gezogen werden, so dass die Ordnung des Wirtschaftslebens dem Grundsatz der Gerechtigkeit und der Sauberkeit entspricht und dass die ehrliche Arbeit den angemessenen Lohn findet.

2. Erlass eines Gesetzes, das der Errichtung und dem Betrieb von neuen Grosswarenhäusern, Einheitspreisgeschäften und ähnlichen fremdartigen Unternehmungen sowie dem Wanderhandel entgegenwirkt.

3. Förderung der Gesetzgebung über die Arbeit in den Gewerben und gegen den unlautern Wettbewerb.

4. Gesetzliche Verankerung der bestehenden, den angemessenen Preis sichernden S ubmissionsverordnung.

5. Gesetzliche Regelung des Bankwesens.

6. Sofortiger Erlass einer Notverordnung zur Behebung der dem Mittelstand drohenden Gefahren.» 9. Postulat Vallotton, vom Nationalrat angenommen am 26. September 1935.

«Detailhandel und Kleingewerbe in der Schweiz sind durch Krise und Geschäftsrückgang stark mitgenommen. Darüber hinaus haben die angestellten amtlichen Erhebungen gezeigt,
dass der Detailhandel insbesondere unter der Konkurrenz der Einheitspreisgeschäfte und einiger anderer Grossunternehmungen leidet.

Tatsächlich werden Tausende von Handel- und Gewerbetreibenden trotz ihres Fleisses und trotz der Güte ihrer Erzeugnisse dadurch in den Konkurs getrieben, weil sie gegen das oft verwerfliche Geschäftsgebaren der Einheitspreisgeschäfte und der ,,Migros" nicht aufzukommen vermögen.

Um die Handel- und Gewerbetreibenden aus dieser Notlage zu befreien, ist es dringend erforderlich, dass der Bund wirksamer einschreite, als dies bis heute geschah.

Der Bundesrat wird deshalb eingeladen, den eidgenössischen Räten mit möglichster Beschleunigung einen Bericht darüber vorzulegen, welche Massnahmen er zum Schütze der Existenz von Kleinhandel und Kleingewerbe, insbesondere gegenüber den Einheitspreisgeschäften und der ,,Migros", zu treffen denkt,»

875 10. Postulat Musy, vom Nationalrat angenommen am 23. September 1986.

«Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob es nicht dringlich sei, ein umfassendes Programm des nationalen Wiederaufbaues vorzulegen, das koordinierte Lösungen der wirtschaftlichen und der finanziellen Probleme zu enthalten hätte.» Eine weitere Gruppe von Postulaten befasste sich dann speziell mit der Frage der Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen und -Vereinbarungen : 11. Postulat Grospierre, vom Nationalrat angenommen am 6. Juni 1928.

«Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob nicht zur Vermeidung von Konflikten der Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen begünstigt und ob nicht diese Arbeiteverträge im besondern für alle Industrien, die sie durch Vereinbarung zwischen der Mehrheit der Arbeitnehmer und der Mehrheit der Arbeitgeber eingeführt haben, obligatorisch erklärt werden sollten.» 12. Motion von Arx, vom Nationalrat in der Form eines Postulates angenommen am 6. Juni 1928.

«Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und Bericht zu erstatten, ob nicht ein neuer Entwurf zu einem Gesetz betreffend die Ordnung des Arbeitsverhältnisses vorzulegen sei, das insbesondere den Ausbau des Gesamtarbeitsvertrages und die Einrichtung der verbindlichen Schiedsgerichtsbarkeit vorsieht.» 13. Postulat Schirmer, vom Nationalrat angenommen am 6. Juni 1928.

«Der Bundesrat wird eingeladen, im Zusammenhang mit der Frage der Gesamtarbeitsverträge zu prüfen, ob nicht auch werkvertragsähnliche Verhältnisse, in gleicher Weise wie dies beim Gesamtarbeitsvertrag für das Dienstverhältnis der Fall ist, geregelt werden könnten.» 14. Postulat Berthoud, vom Nationalrat angenommen am 19. Juni 1931.

«Der Bundesrat wird ersucht, Bericht und Antrag einzubringen über die Möglichkeit und Zweokmässigkeit einer gesetzlichen Ordnung, die den Genossenschaften und Verbänden erlauben würde, in den Schranken des Gesetzes und unter Vorbehalt der behördlichen Bewilligung Beschlüsse zu fassen, denen für den Berufskreis verbindliche Kraft zukommt.» 15. Postulat Schirmer, vom Nationalrat angenommen am 6. Dezem-

ber 1934.

«Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob nicht unverzüglich Massnahmen zu treffen sind zur Gesundung der schweizerischen Volkswirtschaft, zur Verhütung der Auswüchse der Konkurrenz, zur Stärkung des Einflusses der beruflichen Organisationen und zur Vermehrung ihrer Kompetenzen, und unter anderm die Frage der Verbindlichkeitserklärung von Beschlüssen oder Verträgen einzelner oder mehrerer Berufsverbände zu prüfen, wenn sie einem schutzwürdigen Bedürfnis entsprechen und lebenswichtige Interessen anderer Volkskreise nicht verletzen.» 16. Postulat der nationalrätlichen Kommission für den Bundesbeschluss "über Massnahmen zum Schütze des Schuhmachergewerbes, vom Nationalrat angenommen am 15. Dezember 1936.

«Der Bundesrat wird eingeladen, die Frage zu prüfen, ob nicht bis zum Ablauf des Beschlusses über die Schuhmacherhilfe eine rechtliche Grundlage zu schaffen sei,

876

nach welcher Vereinbarungen zwischen der Schuhfabrikation und dem Schuhmachergewerbe über die Abgrenzung der gegenseitigen Tätigkeitsgebiete verbindlich gemacht werden könnten.» Ferner sind in diesem Zusammenhange die drei folgenden Postulate zu nennen, welche die Berufsbildung und den Schutz der Arbeit in den Pflegeberufen, sowie ganz allgemein den Schutz der Arbeitnehmer zum Gegenstand haben : o

17. Postulat der ständerätlichen Kommission für das Bundesgesetz über die b e r u f l i c h e Ausbildung, vom Ständerat angenommen am 12. März 1980.

«Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und zu berichten, ob und wie der Bund die Berufsausbildung in der Krankenpflege fördern kann.» 18. Postulat der Mehrheit der nationalrätlichen Kommission für das Bundesgesetz über die wöchentliche Eu he zeit, vom Nationalrat angenommen am 1. Oktober 1930.

«Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, ob nicht durch eine entsprechende Revision der Bundesverfassung die Grundlage zu einem Gesetz über den Dienst des Personals in Krankenanstalten jeder Art geschaffen werden sollte.» 19. Postulat der Minderheit der nationalrätlichen Kommission für das Bundesgesetz über die wöchentliche Buhezeit, vom Nationalrat angenommen am 1. Oktober 1980.

«Der Bundesrat wird eingeladen, darüber Bericht zu erstatten, ob in die Bundesverfassung eine Bestimmung aufgenommen werden soll, die die Gesetzgebung über den Schutz der Arbeitnehmer, über das Arbeitsverhältnis und über das Arbeitsrecht als Sache des Bundes erklärt.» Schliesslich ist hinzuweisen auf drei von den eidgenössischen Eäten allerdings noch nicht behandelte Postulate und Motionen, welche sich unter anderm auf die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft, auf eine verfassungsmässige und gesetzliche Eegelung der Arbeitslosenversicherung und auf die Ordnung des Notrechts beziehen: 20. Postulat Huber-St. Gallen, vom 9. März 1987.

«Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und möglichst bald Bericht und Anträge vorzulegen darüber, ob und wie die zunehmende Rechtsverwirrung und Rechtsverwilderung zu beseitigen und eine eines Rechtsstaates würdige gesetz- und verfassungsmässige Ordnung zu schaffen ist. Dabei sollen insbesondere folgende Forderungen Beachtung finden: 1. Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft.

2. Neue Verteilung der Aufgaben und Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen, mit entsprechendem Finanzausgleich.

8. Sicherung der demokratischen Grundlagen der Staatsorganisation, Schutz der Volksreohte, Garantien gegen Missbrauoh der Dringlichkeitsklausel und der Vollmachtenpraxis.

4. Klare Umschreibung und Abgrenzung der Aufgaben und Kompetenzen der bestehenden und allfällig neu zu schaffenden staatlichen Organe.»

877

21. Motion Saxer, vom 19. Juni 1936.

«Der Bundesrat wird eingeladen, der Bundesversammlung eine Vorlage über die verfassungsmässige und gesetzliche Kegelung der Arbeitslosenversicherung zu unterbreiten im Sinne einer einheitlichen Ordnung der Gesetzesmaterie und im Sinne einer Neuregelung der öffentlichen Beiträge.»

.

22. Postulat H u n z i k e r , vom 22. Juni 1937.

«Der Bundesrat wird eingeladen, die Frage zu prüfen und den eidgenössischen Bäten Bericht und Antrag einzureichen: 1. in welcher Weise das heute noch geltende sogenannte Krisenrecht und das Recht der dringlichen Bundesbeschlüsse, das gegenwärtig in der Bundesverfassung nur zum Teil verankert ist, in Einklang gebracht werden soll mit der gegenwärtigen Bundesverfassung, wohl am richtigsten durch eine letzte Befristung ihrer Geltungsdauer oder durch ihre Überführung in eine verfassungsmässige Form; 2. ob nicht für künftige materiell notwendige Notmassnahmen eine neue Verfassungsgrundlage mit Umschreibung der Voraussetzungen und der Wirkungsdauer geschaffen werden soll.

Diese verfassungsmässige Neuordnung sollte spätestens mit Ablauf der gegenwärtigen Amtsperiode in Kraft treten können.»

Durch die vorgeschlagene Verfassungsrevision werden verschiedene der unter Ziff. l--22 aufgeführten Postulate und Motionen gegenstandslos. Es betrifft dies: Nr. 4. Postulat Gelpke vom 19. Juni 1931.

» 5. Postulat Schneider vom 19. Juni 1931.

» 6. Motion Schirmer vom 6. Dezember 1934.

» 8. Ziffer l der Motion Joss vom 14. Juni 1933.

» 10. Postulat Musy vom 23. September 1936.

» 14. Postulat Berthoud vom 19. Juni 1931.

» 15. Postulat Schirmer vom 6. Dezember 1934.

» 18. Postulat der Mehrheit der nationalrätlichen Kommission für das Bundesgesetz über die wöchentliche Euhezeit vom 1. Oktober 1930.

» 19. Postulat der Minderheit der nationalrätlichen Kommission für das Bundesgesetz über die wöchentliche Euhezeit vom 1. Oktober 1930.

2. Konferenzen von Vevey und Luzern 1933/1934.

Das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement, das sich schon seit Jahren mit dem Problem der Eevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung befasst hatte, sah sich im Jahre 1933 veranlasst, Vertreter der wichtigsten Wirtschaftsverbände sowie Mitglieder der Bundesversammlung zu einer Konferenz einzuberufen. Die Beratungen dieser begutachtenden Expertenkommission fanden statt vom 8.--10. Mai 1933 in Vevey und vom 21.--23. Februar 1934 in Luzern.

Hauptgegenstand dieser Kommissionsberatungen -- neben diesem wurden u. a. auch die Frage eines schweizerischen Wirtschaftsrates sowie Preisfragen und die Preiskontrolle diskutiert -- bildete das Problem der Verfassungs-

878

revision, wobei ein vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement ausgearbeiteter Vorentwurf als Grundlage diente.

Die Beratungen der Kommission ergaben eine weitgehende Übereinstimmung darüber, dass die Übertragung von gesetzgeberischen Kompetenzen an den Bund zur Förderung der Landwirtschaft, der Industrie, des Handels, des Gewerbes und hinsichtlich des Schutzes der Arbeit notwendig sei. Ebenso gingen die Auffassungen zumeist in gleicher Eichtung in bezug auf die Frage einer massvollen Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit zum Kampf gegen Missstände im Wirtschaftsleben. Im weitern wurde die Frage der Mitwirkung der Kantone und der Berufsverbände auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik eingehend besprochen.

Gestützt auf diese-Kommissionsberatungen arbeitete dann das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement folgenden neuen Entwurf für eine Bevision der Wirtschaftsbestimmungen der Bundesverfassung aus:

Art. 84. ' Der Bund ist befugt, Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe und Handel zu fördern, die Arbeit zu schützen und auf dem Wege der Gesetzgebung in den erwähnten Gebieten, namentlich auch über Arbeitsnachweis und Arbeitslosenfürsorge Vorschriften aufzustellen.

Die Gesetzgebung entscheidet über die Mitwirkung der Kantone und bestimmt, welche Gebiete und Eechte diesen vorbehalten bleiben.

Der Bund kann auch berufliche Organisationen zur Mitwirkung heranziehen.

Die Bundesgesetzgebung kann ausnahmsweise, wenn das allgemeine Interesse es dringend erfordert, oder wenn ein wichtiger Wirtschaftszweig in seinem Bestände bedroht ist oder wenn es zur Verhinderung von Missbräuchen notwendig ist, vom Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen. Dauernde Einschränkungen dieses Grundsatzes dürfen nur durch Bundesgesetze oder durch Bundesbeschlüsse, über welche die Volksabstimmung verlangt werden kann, eingeführt werden.

Art. 81 der Bundesverfassung erhält unter den Vorbehalten, die gegenüber der Freiheit des Handels und der Gewerbe gemacht sind, folgenden Zusatz: «lit. /. Die Gesetzgebung nach Art. 34.» Die gegenwärtigen Art. 84 und 34ter werden aufgehoben.

Diese Vorarbeiten wurden durch die Abstimmungskampagne für eine Totalrevision der Bundesverfassung unterbrochen, und in der Folge hatte sich der Bund mit den dringenden Aufgaben der Krisenbekämpfung zu befassen, so dass die Verfassungsrevision vorläufig zurückgestellt werden musste.

879 II. Vorschläge der Unterkommission IV.

Die Unterkommission IV der im vergangenen Jahre eingesetzten begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung, welche die Aufgabe hatte, den Weg aufzuzeigen, auf dem die Postulate der Unterkommissionen I--III einer Lösung entgegengeführt werden könnten, ist in ihrem Bericht zum Ergebnis gekommen, dass verschiedene dieser Postulate eine Änderung der Bundesverfassung voraussetzen. Sie schlägt deshalb die Vornahme einer Partialrevision der W i r t s c h a f t s a r t i k e l der B u n d e s v e r f a s s u n g vor. Der Bundesrat schliesst sich diesem Vorschlage an, und zwar hält er eine Verfassungsrevision nicht nur im Hinblick auf die Verwirklichung der von der Kommission aufgestellten Postulate, mit andern Worten, im Hinblick auf die k ü n f t i g e Wirtschaftspolitik, sondern auch mit Kücksicht auf die bisherige Wirtschaftsgesetzgebung für notwendig.

Die Unterkommission IV hat für die Ausgestaltung der neuen Verfassungsbestimmungen gewisse Eichtlinien aufgestellt, denen der Bundesrat ebenfalls beipflichtet : Zunächst stellt die Kommission fest, dass ein befristeter Krisen- oder Notstandsartikel im Sinne einer Übergangslösung zur Verwirklichung der aufgestellten Postulate nicht geeignet wäre, da namentlich die gewerblichen und landwirtschaftlichen Postulate nicht nur auf den Erlass von Krisenmassnahmen, sondern auf eine dauernde Ordnung abzielen. Insbesondere wird hervorgehoben, dass für die Agrarpolitik, für die bisher eine Verfassungsbestimmung fehlte, eine ausreichende verfassungsmässige Grundlage geschaffen werden müsse.

Aus diesen Gründen empfiehlt die Kommission die Aufnahme eines auf die Dauer berechneten Wirtschaftsartikels.

Sodann ist die Kommission der Auffassung, dass der neue Verfassungsartikel alle für die Verwirklichung der aufgestellten Postulate notwendigen Grundsätze enthalten soll, ohne jedoch auf Einzelheiten einzutreten, die der Ausführungsgesetzgebung überlassen bleiben müssen. Immerhin sollen nicht nur die erforderlichen Kompetenzbestimmungen, sondern ausserdem einige der wichtigsten Grundsätze materieller Natur aufgenommen werden, welche die Eichtung der einzuschlagenden Wirtschaftspolitik verdeutlichen.

Ferner hat die Kommission den Standpunkt vertreten, dass der Staat nur dort in die Wirtschaft eingreifen soll, wo es
unbedingt erforderlich ist, wie zum Beispiel zum Schütze von wichtigen, in ihrer Existenz gefährdeten Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen, und dass im übrigen für alle Wirtschaftszweige, die der staatlichen Hilfe nicht bedürfen, nach wie vor der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gelten soll. Aus diesem Grunde soll die Handels- und Gewerbefreiheit im Sinne von Art. 31 der Bundesverfassung grundsätzlich aufrechterhalten bleiben, vorbehaltlich der in der Verfassung bereits vorgesehenen und der im neuen Wirtschaftsartikel zu umschreibenden Ausnahmen.

880

In formeller Hinsicht schliesslich erachtet es die Kommission für zweckmässig, die neuen Verfassungsbestimmungen in zwei Artikel zu gliedern, wovon sich der eine mit der Wirtschaftspolitik, der andere mit dem Schutz der Arbeitnehmer und mit der Arbeitslosigkeit befasst. Sie empfiehlt, bei dieser Gelegenheit die alte Streitfrage über das Verhältnis zwischen Art. 81 und 34ter der Bundesverfassung abzuklären und gleichzeitig die verschiedenen Verfassungsartikel, welche die Wirtschaft betreffen, zu bereinigen. Es betrifft dies die in Art. 31, Abs. 2, enthaltenen Vorbehalte zur Handels- und Gewerbefreiheit, die zum Teil als überflüssig weggelassen werden können, sowie die Streichung des Art. 32, der seit dem Jahre 1890 gegenstandslos geworden ist.

Ferner empfiehlt die Kommission, den jetzigen Art. 84ter in den neuen Wirtschaftsartikel hineinzuarbeiten, so dass dann die neuen Bestimmungen an die Stelle der bisherigen Art. 82 und 34ter treten würden.

Gestützt auf diese Erwägungen schlägt die Unterkommission IV eine Änderung des Art. 81 und die Aufnahme zweier neuer Artikel 82 und 84ter vor. In der von der Plenarkommission genehmigten Fassung lauten diese Vorschläge : Art. 31.

Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet.

Vorschriften über die Ausübung von Handel und Gewerbe und über die Besteuerung des Gewerbebetriebes sind zulässig; sie dürfen jedoch, wo die Verfassung nichts anderes vorsieht, den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen.

Art. 32.

Der Bund kann im Eahmen der dauernden Literessen einer gesunden Gesamtwirtschaft, unter Vorbehalt der Handels- und Gewerbefreiheit, einheitliche Bestimmungen aufstellen und Massnahmen ergreifen zur Förderung von Gewerbe, Handel, Industrie, Landwirtschaft und Verkehr.

Er ist befugt, ohne an die Schranken der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden zu sein ; unter Wahrung der Gesamtinteressen Vorschriften zu erlassen: a. zur Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft, sowie zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes; b. zum Schütze von wichtigen, in ihrer Existenz gefährdeten Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen; c. über Kartelle und ähnliche Organisationen; d. über die behördliche Allgemeinverbindlicherklärung von Vereinbarungen und Beschlüssen von Berufsverbänden und ähnlichen Wirtschaftsorganisationen auf den Gebieten der Berufsbildung, der Arbeitsbedingungen mit Einschluss sozialer Nebenleistungen sowie der Bekämpfung

881 des unlautern Wettbewerbes, sofern sie begründeten Minderheitsinteressen angemessen Eechnung tragen, die Verbandsfreiheit nicht beeinträchtigen und von unabhängigen Sachverständigen befürwortet werden.

Die Ausführung der Bestimmungen in Abs. l und 2 erfolgt auf dem Wege der Gesetzgebung. Diese berücksichtigt die Mitwirkung der Kantone und behält ihnen Eechtsgebiete vor, die keiner allgemeinen Eegelung bedürfen. Sie ordnet ferner die Mitwirkung von Berufsverbänden und ähnlichen Wirtschaftsorganisationen bei der Durchführung gesetzlicher ErArt. S4ter.

Der Bund ist befugt, zum Schütze der Arbeitnehmer sowie über die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung auf dem Wege der Gesetzgebung einheitliche Bestimmungen aufzustellen.

Er bekämpft die Arbeitslosigkeit und mildert ihre Polgen; für Zeiten der Not kann er über die Arbeitsbeschaffung und ihre Finanzierung gesetzliche Vorschriften erlassen.

Die Mitwirkung der Kantone ist gewährleistet.

m. Inhalt der vorgeschlagenen neuen Verfassungsartikel.

Der Bundesrat schliesst sich dem oben wiedergegebenen Eevisionsvorschlag der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung an, unter Vorbehalt einiger Abänderungen, die sich bei nochmaliger Überprüfung des Textes als notwendig erwiesen haben. Durch diese Verfassungsrevision würden einerseits die Lücken geschlossen, welche die geltende Verfassung in bezug auf die Wirtschaftsgesetzgebung des Bundes aufweist, und anderseits würde auch die erforderliche verfassungsmässige Grundlage für die Verwirklichung der von der genannten Kommission aufgestellten Postulate geschaffen (vgl.

Kapitel C, Abschnitt II a. E.). Von den dort aufgeführten Postulaten würden sich diejenigen betreffend Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen und -Vereinbarungen gestützt auf Art. 82, lit. d, verwirklichen lassen, diejenigen betreffend Erlass eines Kartellgesetzes gestützt auf Art. 82, lit. c, und diejenigen betreffend Durchführung gewisser Massnahmen auf dem Gebiete der Landwirtschaft gestützt auf Art. 82, Abs. l und Abs. 2, lit. a.

Ausserdem würde Art. 82 nach unserer Auffassung auch eine ausreichende Grundlage bilden für die Einführung des obligatorischen Fähigkeitsausweises zur selbständigen Berufsausübung. In bezug auf die Allgemeinverbindlicherklärung lässt sich allerdings der Standpunkt vertreten,
dass der Bund gestützt auf Art. 84ter und 64 der geltenden Verfassung schon jetzt befugt sei, wenigstens auf dem Gebiete des «Gewerbewesens» Verträge zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden allgemeinverbindlich zu erklären. Wir verweisen auf den von beiden Eäten gutgeheissenen, in der Volksabstimmung jedoch mit geringem Mehr verworfenen Entwurf zu einem Bundesgesetz beBuudesblutt. 89. Jahrg. Bd. II.

63

882 treffend die Ordnung des Arbeitsverhältnisses vom 27. Juni 1919 1), der diese Möglichkeit vorsah. Trotzdem halten wir es, um jeden Zweifel zu beheben, für richtiger, die Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen und -Vereinbarungen verfassungsmässig zu verankern und gleichzeitig ihr Anwendungsgebiet und ihre Voraussetzungen in den Grundzügen zu umschreiben.

Die vom Bundesrat beantragte Formulierung der neuen Verfassungsbestimmungen ergibt sich aus dem beiliegenden Entwurf zu einem Bundesbeschluss über eine Partialrevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung, auf den wir hiemit verweisen.

Die neuen Verfassungsbestimmungen geben uns zu den nachstehenden Ausführungen Anlass, die wir der besseren Übersicht halber in drei Abschnitte einteilen, von denen der erste die Erläuterungen zum Verfassungstext enthält, während in den beiden andern die Stellung der Kantone und der Berufsverbände erörtert wird. Sodann schliessen wir einen vierten Abschnitt über die Verlängerung der geltenden Notmassnahmen an.

1. Erläuterungen zu den neuen Verfassungsbestimmungen.

Art. 81.

Der neu vorgeschlagene Art. 81 lautet : «Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet.

Vorschriften über die Ausübung von Handel und Gewerben und über die Besteuerung des Gewerbebetriebes sind zulässig; sie dürfen jedoch, wo die Verfassung nichts anderes vorsieht, den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen.» Der bisherige Art. 81, der den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit proklamiert, erfährt durch die vorgeschlagene Ee vision keine materielle Änderung.

Abs. l entspricht wörtlich dem bisherigen Abs. 1.

Abs. 2 wird wohl erheblich gekürzt, ohne dass aber dadurch materiell etwas geändert würde. In seiner jetzigen Fassung enthält Abs. 2 sehr Verschiedenes. Vorbehalten werden: 1. die eidgenössischen Zölle (lit. o); 2. kantonale und eidgenössische Kegale und Monopole, nämlich das Salzund das Pulverregal (Ut. o) und das sogenannte Alkoholmonopol (lit. 6); 3. die kantonalen «Eingangsgebühren von Wein und andern geistigen Getränken, sowie andere vom Bund ausdrücklich anerkannte Verbrauchssteuern, nach Massgabe des Art. 82» (lit. a); 4. das Absinthverbot (lit. b) ; 5. die Gesetzgebung über das Wirtschaftswesen und den Handel mit geistigen Getränken, nach Massgabe des Art. 82iuater (lit. c) ; !) Bundesbl. 1919, Bd. III, S. 846.

883

6. sanitätspolizeiliche Massregeln des Bundes und der Kantone zur Bekämpfung übertragbarer oder stark verbreiteter oder bösartiger Krankheiten von Menschen und Tieren (lit. à) ; 1. Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben, über Besteuerung des Gewerbebetriebes und über die Benutzung der Strassen, die aber den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen dürfen.

Art. 81, Abs. 2, enthält also wohl vielerlei, aber er enthält nicht alles und ist, was sich aus seiner Entstehungsgeschichte erklärt, nicht planmässig aufgebaut.

Dadurch wird die grundsätzliche Tragweite der Handels- und Gewerbefreiheit verdunkelt. Beispielsweise ist nicht klar, ob Abs. 2 des Art. 31 den Kantonen andere Eegale oder Monopole als das in lit. a genannte Salzregal untersagen will; man weiss auch nicht recht, warum von den eidgenössischen Monopolen nur das Pulverregal erwähnt ist. Es erscheint daher angezeigt, anlässlich der Eevision der übrigen Wirtschaftsbestimmungen gleichzeitig auch Art. 81, Abs. 2, zu bereinigen.

Was zunächst die «eidgenössischen Zölle» betrifft, so erklärt Art. 28 das Zollwesen als Sache des Bundes und gibt diesem das Eecht, Ein- und Ausfuhrzölle zu erheben. Damit ist diese Frage klar entschieden, und es können keine Zweifel mehr über das Verhältnis zu Art. 31 bestehen, so dass der bezügliche Vorbehalt in Art. 81, Abs. 2, lit. a, als überflüssig erscheint.

Ferner ist die Aufzählung der gegenüber der Handels- und Gewerbefreiheit vorbehaltenen Monopole und Eegale unvollständig. Neben dem in lit. agenannten Salzregal haben die Kantone von jeher auch das Fischerei-, das Jagd- und das Bergregal ausgeübt, und an eidgenössischen Monopolen und Eegalen bestehen ausser dem in Art. 31, Abs. 2, genannten Pulverregal (Art. 41) und dem Alkoholmonopol (Art. 32"18) das Postregal (Art. 86), das Telegraphenregal (Art. 36), das Banknotenmonopol (Art. 39), das Münzregal (Art. 88) sowie das Monopol für die Kranken- und Unfallversicherung (Art. 34bls) und für die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Art. 84«uater). Es besteht nun aber kein Grund, die einen Monopole und Eegale unter die Vorbehalte des Art. 81, Abs. 2, aufzunehmen und die andern nicht, da in allen Fällen das Verhältnis zur Handelsund Gewerbefreiheit das gleiche ist. Abgesehen hievon ist darauf hinzuweisen, dass diejenigen
Gebiete der wirtschaftlichen Tätigkeit, die das Gemeinwesen (Bund, Kanton oder Gemeinde) übernommen hat, dem Bereiche der Gewerbefreiheit entzogen sind, weshalb der Grundsatz der Gewerbefreiheit hier gegenstandslos geworden ist. Denn es gibt keine «Verfügungen» mehr aufzustellen über «die Ausübung von Handel und Gewerbe», und es braucht daher auch nicht mehr gefordert zu werden, dass solche Vorschriften den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit einhalten. Fragen kann man sich nur, ob das Gemeinwesen neue wirtschaftliche Funktionen an sich ziehen kann und, wenn ja, welche. Für den Bund ist diese Frage insofern gelöst, als er eine neue Aufgabe ohnehin nur übernehmen kann, wenn ihn die Verfassung dazu er-

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mächtigt, da nach Art. 3 BV die Kantone alle Eechte ausüben, welche nicht der Bundesgewalt übertragen sind.

Anders verhält es sich in bezug auf die Kantone. Es fragt sich, ob die Kantone für sich oder ihre Gemeinden andere Wirtschaftszweige, als die in Art. 81 BV vorgesehenen, an sich ziehen können. Unbestritten ist, dass die Aufzählung in Art. 31 BV nicht als vollständig betrachtet werden darf, und dass den Kantonen neben dem dort genannten Salzregal auch das Fischerei-, das Jagd- und das Bergregal zukommen. Dagegen ist bezweifelt worden, ob sie neue Eegale oder Monopolzweige einführen können, die im Jahre 1874 noch nicht bestanden, wie z. B. die Sachversicherung, die Stellenvermittlung, die Gas- und Wasserversorgung, die Elektrizitätsversorgung. In der Doktrin ist dies bestritten, tatsächlich wurde aber die Einführung neuer Monopole zugelassen, sofern nur sachliche Gründe und nicht bloss fiskalische dafür angeführt werden konnten. Jedenfalls ist zu sagen, dass Art. 31, Abs. 2, BV in seiner jetzigen Passung diese Frage nicht löst und die Bechtslage eher verwirrt als abklärt, so dass es besser sein dürfte, die unvollständige und irreführende Aufzählung wegzulassen.

Die kantonalen «Eingangsgebühren von Wein und andern geistigen Getränken, sowie andere vom Bund ausdrücklich anerkannte Verbrauchssteuern, nach Massgabe des Art. 32» sind mit dem Jahre 1890 dahingefallen, so dass diese Bestimmung gegenstandslos geworden ist (vgl. Art. 82, Abs. 2).

Der in lit. b enthaltene Hinweis auf Art. 82ter (Absinthverbot) kann ebenfalls ohne Bedenken gestrichen werden, da Art. 82ter «Fabrikation, Einfuhr, Transport, Verkauf und Aufbewahrung zum Zwecke des Verkaufs des unter dem Namen Absinth bekannten Likörs» ausdrücklich verbietet und somit auch hier über das Verhältnis zu Art. 31 keine Zweifel bestehen können.

Dass die Kantone in ihrer Gesetzgebung nach Art. 82iuater der geltenden Verfassung von der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen und die Zahl der Alkoholwirtschaften und der Kleinhandelsstellen für geistige Getränke nach dem Bedürfnis beschränken können, steht ausser Zweifel. Der in Art. 82iuater, Abs. l, enthaltene Ausdruck «die durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen» ist von Anfang an so verstanden und auch vom Bundesgericht stets in diesem Sinne ausgelegt worden. Es ist selbstverständlich,
dass die Verfassung von dem in einer ihrer Bestimmungen niedergelegten Grundsatz in einer andern Bestimmung eine Ausnahme statuieren kann, ohne dass diese Ausnahme im Artikel, der den Grundsatz aufstellt, vorbehalten zu werden braucht. Ein ausdrücklicher Vorbehalt wäre nur dann notwendig, wenn über das Verhältnis der beiden Verfassungsbestimmungen irgendwelche Unklarheiten entstehen könnten. Da dies im vorliegenden Falle nicht zu befürchten ist, kann lit. c des Art. 31 weggelassen werden.

Was schliesslich lit. d des genannten Artikels betrifft, so bilden, wie schon im Kapitel C, Abschnitt III, ausgeführt worden ist, handels- und gewerbepolizeiliche Vorschriften, sofern sie sachlich begründet, d. h. nicht willkürlich sind, keine Verletzung des Grundsatzes der Handels- und Gewerbe-

885 freiheit. Daher ist lit. à, welche sanitätspolizeiliche Massregeln gegenüber der Handels- und Gewerbefreiheit vorbehält, überflüssig. Es verhält sich hier ähnlich wie in bezug auf die Bégaie und Monopole, da kein Grund besteht, in Art. 31, Abs. 2, nur die sanitätspolizeilichen Massregeln ausdrücklich zu nennen, während andere Massnahmen. wie feuer-, sicherheits-, sittlichkeitsund weitere gewerbepolizeiliche Vorschriften, für die das Gleiche gilt, nicht vorbehalten werden.

Somit bleibt einzig lit. e übrig, welche eigentlich gar keinen Vorbehalt gegenüber der Handels- und Gewerbefreiheit bildet, da nach dem letzten Satz die betreffenden Verfügungen «den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen dürfen». Wir halten es für richtig, diese Bestimmung als Abs. 2 des Art. 81 beizubehalten, wobei jedoch die Worte «und über die Benutzung der Strassen» als überflüssig gestrichen werden können.

Im übrigen erscheinen uns noch einige redaktionelle Änderungen als angezeigt, insbesondere die Ersetzung des Ausdruckes «Verfügungen» durch «Vorschriften», da nicht nur Verfügungen im Einzelfalle, sondern auch allgemeingültige Vorschriften in Frage stehen, und sodann an Stelle der verschiedenen unvollständigen Vorbehalte die Aufnahme eines generellen Vorbehaltes, der klar zum Ausdruck bringt, dass der Grundsatz des Art. 81 überall Geltung haben soll, «wo die Verfassung nichts anderes vorsieht».

Diese Bereinigung des Art. 81, Abs. 2, erfordert eine geringfügige redaktionelle Anpassung von Art. S2«uater, Abs. 2, wo auf Art. 31, lit. e, verwiesen wird. Dieser Hinweis muss nunmehr ersetzt werden durch die Anführung von Art. 31, Abs. 2.

Art. 32.

Der jetzige Art. 32 und der damit zusammenhängende Art. 6 der Übergangsbestimmungen sind, wie bereits erwähnt, auf Ende des Jahres 1890 ausser Kraft getreten und können daher gestrichen werden (vgl. Burckhardt, Kommentar der Schweiz. Bundesverfassung, 3. Auflage, S. 254). An die Stelle des bisherigen Art. 32 würde der von uns vorgeschlagene neue Art. 82 treten, der einerseits eine Umschreibung von bestimmten Kompetenzen des Bundes auf wirtschaftlichem Gebiet enthält und anderseits die alte Streitfrage über das Verhältnis zu Art. 81 ordnet.

Absatz l des Entwurfes hat folgenden Wortlaut: «Der Bund kann im Böhmen der dauernden Interessen einer gesunden Gesamtwirtschaft, unter Vorbehalt der Handels- und Gewerbefreiheit, einheitliche Bestimmungen aufstellen und Massnahmen ergreifen zur Förderung von Gewerbe, Handel, Industrie, Landwirtschaft und Fremdenverkehr.» Diese Bestimmung ersetzt inhaltlich den bisherigen Art. 84ter, der dem Bunde lediglich die Gesetzgebungskompetenz «auf dem Gebiete des Gewerbewesens» einräumte, wobei aber, wie schon dargelegt worden ist, der Begriff

886 « Gewerbewesen» dahin ausgelegt wurde, dass er nicht nur das Gewerbe im engern Sinne, sondern auch Handel und Industrie umfasste. Die Neuerung, die Art. 32, Absatz l, bringt, besteht somit darin, dass neben der blossen Gesetzgebungsbefugnis auch das Prinzip der Förderung niedergelegt wird und dass die Kompetenzen des Bundes ausgedehnt werden auf die L a n d w i r t s c h a f t und den Fremdenverkehr. Über die Frage der Landwirtschaft haben wir uns schon ausgesprochen, so dass wir hier nicht darauf zurückzukommen brauchen. Was den Fremdenverkehr anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass im Auslande die Leitung des .Eeiseverkehrs vielfach nach politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten staatlich beeinflusst wird, so dass beispielsweise die Tarife der Eisenbahnen im Verkehr mit dem Ausland und im Durchgangsverkehr ein Mittel der internationalen Wirtschafts- und Handelspolitik geworden sind. Angesichts der grossen Bedeutung, die der Fremdenverkehr auch für unsere Gesamtwirtschaft längst erhalten hat, halten wir es für notwendig, auch bei uns diesem Problem vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken und die auf die Wahrung unserer Verkehrsinteressen gerichteten Anstrengungen besser zusam. menzufassen, als es bisher der Fall war. Es erscheint daher als angebracht, dem Bund ganz allgemein die Kompetenz zur Förderung des Fremdenverkehrs einzuräumen. Wir denken zum Beispiel an die Verkehrswerbung im Auslande und an die Taxreduktionen zugunsten ausländischer Feriengäste. Dagegen fallen die sogenannte Fremdenindustrie und die damit im Zusammenhang stehenden Wirtschaftszweige, wie die Hôtellerie, das Mineral- und Thermalbäderwesen, die Kursaal-, Strandbad- und übrigen Vergnügungsbetriebe unter den Begriff des Gewerbes.

Als Generallinie für die Ausübung der in Art. 82 dem Bund übertragenen Kompetenzen muss in allen Fällen die Wahrung «der dauernden Interessen einer gesunden Gesamtwirtschaft» gelten. Ausserdem wird in Absatz l ausdrücklich vorgeschrieben, dass der Bund bei den hier vorgesehenen gesetzlichen Erlassen und übrigen Massnahmen an den G r u n d s a t z der Handelsund Gewerbefreiheit gebunden bleibt.

Absatz 2 lautet: «Er ist befugt, ohne an die Schranken der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden zu sein, unter Wahrung der Gesamtinteressen, Vorschriften zu erlassen: a. zur Erhaltung eines gesunden
Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft, sowie zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes; b. zum Schütze von wichtigen, in ihrer Existenz gefährdeten Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen; c. über Kartelle und ähnliche Organisationen; d. zur behördlichen Allgemeinverbindlicherklärung von Vereinbarungen und Beschlüssen von Berufsverbänden und ähnlichen Wirtschaftsorganisationen über die Berufsbildung, die Arbeitsbedingungen mit Einschluss der sozialen Nebenleistungen und die Bekämpfung des unlautern Welt-

887 bewerbes, sofern sie begründeten Minderheitsinteressen angemessen Eeehnung tragen, die Verbandsfreiheit nicht beeinträchtigen und von unabhängigen Sachverständigen befürwortet werden.» Im Gegensatz zu Absatz l kann der Bund, soweit es sich als notwendig erweist, bei Erlass der in Absatz 2 genannten Vorschriften von der Handelsund G e w e r b e f r e i h e i t abweichen, wobei aber diese Ausnahmen vom genannten Grundsatz in lit. o--d erschöpfend aufgezählt sind. Im übrigen gilt auch hier, dass die «dauernden Interessen einer gesunden Gesamtwirtschaft» gewahrt bleiben müssen. Wenn in Absatz 2 nur von der «Wahrung der Gesamtinteressen» gesprochen wird, so ist dies bloss als redaktionelle Kürzung zu betrachten, inhaltlich kommt diesem Ausdruck die gleiche Bedeutung zu wie in Absatz 1.

Lit. a: Ein wirksamer Schutz der Landwirtschaft ist nach verschiedenen Eichtungen hin nur möglich unter gewissen Einschränkungen der Handelsund Gewerbefreiheit; wir weisen als Beispiel auf die Ordnung der Milchwirtschaft hin.

Die beiden Ausdrücke «Erhaltung eines gesunden Bauernstandes» und «Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft» enthalten zum Teil den gleichen Gedanken, doch decken sie sich nicht vollständig, indem es sich beim ersten Ausdruck um die Landwirtschaft als Bevölkerungsgruppe und beim zweiten um die Landwirtschaft als Produktionszweig handelt. Wir halten es für notwendig, den «gesunden Bauernstand» ausdrücklich zu nennen, da sich eine «leistungsfähige Landwirtschaft» auch in der Form des Grossbetriebes denken liesse, während bei uns aus sozialen und politischen Gründen gerade die Erhaltung möglichst zahlreicher, wirtschaftlich lebensfähiger kleinerer und mittlerer Bauernbetriebe von grosser Bedeutung ist. Als Vorschrift «zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes» kommt in erster Linie eine Eegelung des landwirtschaftlichen Liegenschaftshandels, und zwar sowohl des gewerbsmässigen Handels im eigentlichen Sinne als auch des Grundstückverkehrs unter Bauern in Betracht.

Lit. b: Wie bei der Landwirtschaft wird es auch zum Schütze anderer Wirtschaftszweige und Berufsgruppen unter Umständen notwendig sein, in bestimmten Fällen von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen. Voraussetzung für eine Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit ist aber, dass es sich um wichtige und in ihrer
Existenz g e f ä h r d e t e Wirtschaftszweige oder Berufsgruppen handelt. Unter «Wirtschaftszweig» ist ein ganzes Teilgebiet der nationalen Wirtschaft, wie der Fremdenverkehr oder die Textilindustrie, zu verstehen, währenddem die «Berufsgruppen»Unterabteilungen eines Wirtschaftszweiges darstellen, wie zum Beispiel die Stickereiindustrie als Unterabteilung der Textilindustrie.

Von Vertretern der Genossenschaften ist schon in der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung der Antrag gestellt worden, es sei

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in lit. b beizufügen «unter besonderer Berücksicbtigung des Genossenschaftswesens» oder «unter Berücksichtigung der genossenschaftlichen Selbsthilfe».

In der Folge hat der Schweizerische Ausschuss für zwischengenossenschaftliche Beziehungen in einer an das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement zuhanden des Bundesrates gerichteten Eingabe vom 18. August 1987 einen ähnlichen Vorschlag gemacht, dahingehend, es solle Absatz 2 in folgender Weise ergänzt werden: «Er (der Bund) ist befugt, ohne an die Schranken der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden zu sein, unter Wahrung der Gesamtinteressen und u n t e r E ü c k s i c h t auf die f r e i e E n t w i c k l u n g der g e n o s s e n s c h a f t l i c h e n S e l b s t h i l f e Vorschriften zu erlassen.» Ohne die Bedeutung des Genossenschaftswesens, das in unserem Lande eine reiche und vielgestaltige Entwicklung erfahren hat, verkennen zu wollen, halten wir eine derartige Ergänzung nicht für zweckmässig, einmal deshalb, weil eine solche Spezialbestimmung zugunsten der Genossenschaften wieder Sonderwünschen anderer Kreise rufen würde -- es würde dann namentlich die Frage auftauchen, ob nicht auch eine besondere Bestimmung zugunsten der Kleinbetriebe aufzunehmen sei -- vor allem aber deshalb, weil der vorgeschlagene Zusatz in Wirklichkeit gar nicht nötig ist. Denn die gesetzlichen Vorschriften im Sinne von Art. 82, Abs. 2, dürfen gemäss ausdrücklicher Vorschrift nur «unter Wahrung der Gesamtinteressen» erlassen werden, worunter selbstverständlich auch die Interessen der Genossenschaften fallen. Auf der andern Seite wird es auf Grund von lit. b auch möglich sein, den Kleinbetrieben den allenfalls erforderlichen Schutz angedeihen zu lassen, insoweit es sich um wichtige, unerlässliche Gruppen handelt.

Lit. c: Das Problem des Kartellwesens ist schon mehrfach Gegenstand von Eingaben an die Bundesbehörden gewesen und auch im Parlament wiederholt behandelt worden. Wir erinnern an die Motion Grimm vom 6. Juni 1924 betreffend Preise im Apothekergewerbe, an die Interpellationen Grimm, Brügger und Schmid-Zürich betreffend Kartelle, Trusts und Preisbildung, sowie an deren Beantwortung durch den Chef des Volkswirtschaftsdepartements vom 14. Juni 1927. Ferner erwähnen wir den Bericht des Bundesrates über das Volksbegehren zur Bekämpfung der wirtschaftlichen
Krise und Not vom G.März 1985 *) und die Botschaft betreffend die Überwachung der Preise vom 18. März 1935 2). Wir möchten auch auf die in den eidgenössischen Eäten noch nicht behandelte Motion Feldmann vom 23. Dezember 1986 verweisen, welche folgenden Wortlaut hat: «Der Bundesrat wird eingeladen, Bericht und Antrag einzubringen über eine gesetzliche Begelung der Kartelle.

Die Kartellgesetzgebung müsste zum Ziele haben: 1. die Kartellierung in den Dienst einer gesunden Kalkulation und allseits tragbaren Preisbildung zu stellen, ') Bundesbl. 1935, Bd. I, S. 326 f.

2 ) Bundesbl. 1935, Bd. I, S. 549 f.

889 2. die öffentlichen Interessen gegenüber missbräuchlichen kartellmässigen Bindungen zu wahren, 8. die rechtliche Stellung der ,,Preisbildungskornmission" abzuklären und sie mit den erforderlichen Kompetenzen auszustatten.» Die Unterkommission II der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung hat in ihrem Bericht ebenfalls empfohlen, die Frage der Kartellgesetzgebung zu prüfen.

Die Bundesbehörden haben sich schon seit längerer Zeit mit diesen Fragen befasst, ohne dass aber die Prüfung des weitverzweigten und schwierigen Problems bis heute hätte abgeschlossen werden können. Es wäre daher verfrüht, sich schon heute über die nähere Ausgestaltung einer künftigen Kartellgesetzgebung aussprechen zu wollen. Immerhin ist schon jetzt darauf hinzuweisen, dass es sich nicht etwa um eine Verhinderung oder Bekämpfung des Kartellwesens an sich handeln kann, sondern lediglich um eine Kontrolle der Kartelle, insbesondere um die Einführung einer gewissen Publizitätspflicht und um die Bekämpfung vorkommender Missbräuche und Auswüchse. Da es zweifelhaft sein kann, ob die geltende Bundesverfassung für eine derartige Gesetzgebung eine genügende Grundlage bietet, erscheint es nach unserem Dafürhalten als angezeigt, bei Anlass der jetzigen Partialrevision diese Unsicherheit zu beseitigen und dem Bunde gemäss unserem Vorschlage die erforderliche Kompetenz einzuräumen, wodurch der Entscheidung der Frage nicht vorgegriffen werden soll, ob ein besonderes Kartellgesetz notwendig wird und wie es auszugestalten ist.

In bezug auf die Formulierung der lit. o ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff «Kartelle» sehr unbestimmt ist und es daher zweckmässig sein dürfte, von «Kartellen und ähnlichen Organisationen» zu sprechen, damit, wenn nötig, auch andere Gebilde, die ähnliche Zwecke verfolgen, wie zum Beispiel die Trusts, durch die gesetzliche Eegelung erfasst werden können.

Lit. d: Zur Frage der Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen und -Vereinbarungen im allgemeinen haben wir uns schon im Kapitel B, Abschnitt II, geäussert; wir können uns daher hier mit einigen Erläuterungen zum vorgeschlagenen Verfassungstext begnügen.

Zunächst sei festgestellt, dass eine Allgemeinverbindlicherklärung nicht direkt gestützt auf die neue Verfassungsbestimmung erfolgen kann, sondern, dass vorerst ein Ausführungsgesetz
erlassen werden muss, das insbesondere die Voraussetzungen und das Verfahren mit Einschluss des Einsprache- und Beschwerdewesens zu regeln hat. In diesem Gesetz wird auch die Ausserkrafte r k l ä r u n g solcher Vereinbarungen und Beschlüsse geordnet werden müssen, welche den vorgeschriebenen Bedingungen nicht mehr entsprechen. Ferner werden die für die Allgemeinverbindlicherklärung zuständigen Amtsstellen zu bezeichnen sein, wobei geprüft werden muss, ob für gewisse Fälle auch die Allgemeinverbindlicherklärung durch kantonale Behörden vorgesehen werden soll.

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Für die Allgemeinverbindlicherklärung kommen in Betracht «Vereinbarungen und Beschlüsse von Berufsverbänden und ähnlichen Wirtschaftsorganisationen», wobei unter «Beschlüssen» interne Verbandsbeschlüsse und unter «Vereinbarungen» Verträge zwischen zwei oder mehreren Verbänden, wie zum Beispiel zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden, zu verstehen sind. Die Eegel wird die Allgemeinverbindlicherklärung von zweioder mehrseitigen Vereinbarungen bilden, jedoch wird es, wo ein Vertragspartner fehlt oder nur ein einziger Verband an der Frage wesentlich interessiert ist, möglich sein, auch einseitige Verbandsbeschlüsse allgemeinverbindlich zu erklären. Neben den eigentlichen Berufsverbänden werden noch «ähnliche Wirtschaftsorganisationen» genannt, um auch solche Organisationen, welche zwar nicht die Form eines Berufsverbandes angenommen haben, aber ähnliche Zwecke wie diese verfolgen, berücksichtigen zu können.

Voraussetzung für die Allgemeinverbindlicherklärung ist, dass die betreffenden Vereinbarungen und Beschlüsse «begründeten Minderheitsinteressen angemessen Eechnung tragen, die Verbandsfreiheit nicht beeinträchtigen und .von unabhängigen Sachverständigen befürwortet werden». Unter Verbandsfreiheit ist das Eecht zu verstehen, mit andern einen Verband zu gründen, in einen bestehenden Verband einzutreten oder auf den Beitritt zu einem Verband zu verzichten. Die E i n f ü h r u n g von Zwangsverbänden soll ausdrücklich ausgeschlossen sein; die Allgemeinverbindlicherklärung setzt freiwillig entstandene Verbände und freiwillige Vereinbarungen voraus.

Dagegen folgt aus dem Begriff der Allgemeinverbindlicherklärung, dass die betreffenden Verbandsbeschlüsse oder -Vereinbarungen auch für den Aussenseiter Geltung erhalten.

Es ist in Aussicht genommen, ein kleines Kollegium von unabhängigen Wirtschaftssachverständigen zu bilden, das die Anträge der Verbände auf Allgemeinverbindlicherklärung von Beschlüssen und Vereinbarungen zuhanden der zuständigen Behörden prüft und begutachtet. Die Allgemeinverbindlicherklärung soll nur zulässig sein, wenn sie von diesem Kollegium befürwortet wird. Auch in diesem Falle ist die zuständige Behörde noch nicht verpflichtet, den Beschluss oder die Vereinbarung allgemeinverbindlich zu erklären, sondern nur hiezu b e f u g t , sofern sie den Antrag des Verbandes als
begründet erachtet.

Die Allgemeinverbindlicherklärung ist vorgesehen für die Gebiete der Berufsbildung, der Arbeitsbedingungen mit Einschluss der sozialen Nebenleistungen und der Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, wobei diese Aufzählung als abschliessend zu betrachten ist. Die berufliche Ausbildung ist zwar schon durch das Bundesgesetz vom 26. Juni 1980 geregelt, allein es bestehen noch verschiedene, vom Gesetz offen gelassene Fragen, für deren Lösung die Allgemeinverbindlicherklärung von bezüglichen Verbandsbeschlüssen oder -Vereinbarungen der gegebene Weg sein dürfte. Wir denken beispielsweise an die Eegelung des Inhalts der Lehrverträge (Lehrgeld, Lohn

891 des Lehrlings, Versicherung), sowie an die Ordnung der Kostentragung für die von Verbänden durchgeführten Lehrabschlussprüfungen. Unter «Arbeitsbedingungen» ist der Inhalt des Arbeitsvertrages, insbesondere die Eegelitng des Lohnes und der Arbeitszeit zu verstehen. Zu den sozialen Nebenleistungen gehören zum Beispiel Bestimmungen über bezahlte Ferien, Familienlöhne und Lohnzahlung während des Militärdienstes. Über den unlautern Wettbewerb sind schon Vorschriften vorhanden, und zwar sowohl bundes- als auch kantonalrechtliche, und überdies liegt ein Entwurf zu einem neuen Bundesgesetz vor, durch das diese Materie eingehend geregelt werden soll. Trotzdem werden auch hier noch Lücken bestehen bleiben, deren Ausfüllung sehr wohl den Verbänden -- unter Vorbehalt der Überprüfung und Allgemeinverbindlicherklärung ihrer Beschlüsse und Vereinbarungen durch die zuständigen Behörden -- wird überlassen werden können. Als Beispiel seien genannt Vorschriften über die Verwendung von bestimmten Qualitäts- und Herkunftsbezeichnungen, wie «Handarbeit», «Massanzug», «Naturseide», «Schweizerprodukt» usw.

Absatz 8 lautet: «Die in Abs. l und 2 genannten Vorschriften werden auf dem Wege der Gesetzgebung erlassen. Diese berücksichtigt die Mitwirkung der Kantone und behält ihnen jene Gebiete und Aufgaben vor, die keiner allgemeinen Regelung durch den Bund bedürfen. Sie können auch die Mitwirkung von Berufsverbänden und ähnlichen Wirtschaftsorganisationen bei der Durchführung gesetzlicher Erlasse vorsehen.» Insoweit sich diese Bestimmungen auf die Stellung der Kantone und der Berufsverbände beziehen, verweisen wir auf die nachfolgenden Abschnitte 2 und 3. Hier möchten wir lediglich erwähnen, dass im letzten Satz, der die Mitwirkung der Berufsverbände umschreibt, der Ausdruck «gesetzliche Erlasse» im weitern Sinne zu verstehen ist, so dass darunter neben den eigentlichen Gesetzen auch Bundesbeschlüsse und Verordnungen fallen können.

Im übrigen enthält Abs. 3 die ausdrückliche Vorschrift, dass die Ausführungsbestimmungen zu Abs. l und 2 auf dem Wege der Gesetzgebung erlassen werden müssen.

Art. 34ter.

Der bisherige Art. 84 wird inhaltlich im neuen Art. 32 aufgehen und kann daher gestrichen werden.

Der Entwurf zum neuen Art. 34ter lautet : «Der Bund ist befugt, zum Schütze der Arbeitnehmer, über die Arbeitsvermittlung
und die Arbeitslosenversicherung, sowie über die berufliche Ausbildung einheitliche Bestimmungen aufzustellen.

Er bekämpft die Arbeitslosigkeit und mildert ihre Folgen; für Zeiten der Not kann er über die Arbeitsbeschaffung und deren Finanzierung Vorschriften erlassen.

ter

892 Die in Absatz l und 2 genannten Bestimmungen und Vorschriften werden auf dem Wege der Gesetzgebung erlassen.

Die Mitwirkung der Kantone ist gewährleistet.» Abs. l des neuen Art. 34ter räumt dem Bunde die Gesetzgebungskompetenz ein für den Arbeiterschutz, für die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung, sowie für die berufliche Ausbildung.

Was zunächst den Schutz der Arbeitnehmer betrifft, so ist der Bund nach der geltenden Verfassung zuständig, die Verwendung von Kindern in den Fabriken und die Dauer der Arbeit erwachsener Personen in denselben zu regeln, sowie Vorschriften zum Schütze der Arbeiter gegen einen die Gesundheit und Sicherheit gefährdenden Gewerbebetrieb zu erlassen (Art. 84 B V). Ausserdem wurde er durch den im Jahre 1908 aufgenommenen Art. 84ter ermächtigt, unter anderem Massnahmen zum Schütze der Arbeiter in Industrie, Gewerbe und Handel zu ergreifen, da die «einheitlichen Bestimmungen» im Sinne von Art. 34ter auch den Arbeiterschutz auf diesen Gebieten umfassen. Doch besteht zurzeit noch eine Lücke in bezug auf die Landwirtschaft -- die nun allerdings durch den neuen Art. 82 geschlossen wird -- sowie in bezug auf die Arbeit ausserhalb von Industrie-, Gewerbe- und Handelsbetrieben, wie zum Beispiel im Hausdienst und teilweise in den Pflegeberufen. Der letztere Mangel würde nunmehr durch den neuen Art. 34ter behoben, der die Beschränkung auf bestimmte Betriebsarten («Fabriken») und Wirtschaftszweige («Gewerbewesen») fallen lässt und dem Bund allgemein die Gesetzgebungskompetenz für den Arbeiterschutz einräumt.

Die vorliegende Verfassungsänderung, durch die die Kompetenz des Bundes nach dem Geltungsbereich erweitert wird, berührt dagegen den Inhalt der Arbeiterschutzgesetzgebung nicht. Als Gegenstände, über die der Bund bisher legiferiert hat und die er auch in Zukunft wird regeln können, seien beispielsweise erwähnt: Arbeitszeit, Gewerbehygiene, Unfallverhütung, Beschäftigung weiblicher und jugendlicher Personen, freiwilliges Einigungs- und Schiedswesen.

Man könnte sich fragen, ob der Art. 84 BV nicht gestrichen werden sollte, da dessen Abs. l vom neuen Art. 34ter umfasst wird und auch Abs. 2 bereits im bisherigen Art. 84ter und nunmehr im neuen Art. 32 enthalten sein dürfte.

Wir halten es jedoch für besser, wenn wir uns auf die unbedingt notwendigen
Verfassungsänderungen beschränken -- die Ausmerzung von Art. 84 würde auch eine Neunumerierung der Art. 84bls--84«"ater erfordern --, und glauben daher, diese Frage einer allfällig später vorzunehmenden Gesamtbereinigung unserer Verfassung überlassen zu sollen.

Für die A r b e i t s v e r m i t t l u n g und A r b e i t s l o s e n v e r s i c h e r u n g fehlte bis jetzt, soweit diese Massnahmen über das «Gewerbewesen» im Sinne von Art. 84ter hinausgingen, eine verfassungsmässige Grundlage. Der Bund hat sich zwar trotzdem auf diesen Gebieten zu gewissen Vorkehren gezwungen gesehen, aber er hat sich dabei -- zur Hauptsache aus verfassungsrechtlichen Gründen

893 -- auf den Erlass von Subventions- und Bahmenbestimmungen beschränkt.

In der Zukunft dürfte ein weiterer Ausbau dieser Gesetzgebung nicht zu umgehen sein, und es erscheint daher angezeigt, die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in der Verfassung ausdrücklich zu nennen.

In bezug auf die berufliche Ausbildung verhält es sich ähnlich wie in bezug auf den Schutz der Arbeitnehmer : auch hier bildet zurzeit noch Art. 34ter die verfassungsmässige Grundlage, der aber nur das Gebiet des «Gewerbewesens » umf asst, so dass für die andern Wirtschaf tszweige.wie dieLandwirtschaft, und für die nicht unter den Begriff der Industrie, des Gewerbes und des Handels fallenden Berufe, wie den Hausdienst und die Pflegeberufe, eine Lücke besteht, welche nunmehr durch die allgemeine Fassung des neuen Art. 84ter ausgefüllt werden soll.

Abs. 2 des neuen Art. 34ter überträgt dem Bunde die Aufgabe, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und ihre Folgen zu mildern; er ermächtigt ihn, für Zeiten der Not auch über die Arbeitsbeschaffung und ihre Finanzierung gesetzliche Vorschriften zu erlassen. Welche Massnahmen im einzelnen zur Erreichung dieser Zwecke erforderlich sein werden, wird von den Umständen abhängen, so dass es nicht möglich ist, hiefür im voraus ein Programm aufzustellen. Es sei lediglich auf die vom Bund in den letzten Jahren in dieser Bichtung entfaltete Tätigkeit, verwiesen, wie die Hilfsmassnahmen für bestimmte Erwerbsgruppen (Stickereiindustrie, Uh'renindustrie, Hotelindustrie), die Massnahmen zur Förderung des Exportes (produktive Arbeitslosenfürsorge, Bisikogarantie, Exportfinanzierung), die Notstandsarbeiten, den freiwilligen Arbeitsdienst, die Arbeitslager, die Förderung der Innen- und Aussenkolonisation, sowie die Beeinflussung des Arbeitsmarktes, insbesondere durch Einschränkung der Einreise von ausländischen Arbeitskräften und durch Massnahmen, die auf die Ermöglichung eines qualitativ und quantitativ den Bedürfnissen unserer Wirtschaft entsprechenden Angebotes an einheimischen Arbeitskräften gerichtet waren (berufliche Ausbildung, Umschulung, Anlernung, Förderung der Versetzbarkeit von Arbeitskräften). Auch in Zukunft werden ähnliche Massnahmen sich wieder aufdrängen. Es muss aber die Möglichkeit bestehen, sich all., fällig veränderten Verhältnissen anpassen zu können. Insbesondere wird
man sich nicht darauf beschränken dürfen, die bereits vorhandene Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sondern man wird Vorkehren treffen müssen, um dem Eintritt einer künftigen Arbeitslosigkeit nach Möglichkeit vorzubeugen. Soweit administrative Massnahmen nicht ausreichen, werden die erforderlichen Vorschriften auf dem Wege der Gesetzgebung erlassen werden müssen.

2. Stellung der Kantone.

Es liegt in der Natur unseres Bundesstaates, dass die Gesetzgebung des Bundes dem föderativen Staatsaufbau sorgsam Bechnung zu tragen hat.

Dies gilt auch für die Wirtschaftsgesetzgebung. Deshalb wird sie in Zukunft

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wie bisher die Kantone weitgehend zu Trägern der durchzuführenden Massnahmen machen. In manchen Gebieten werden die Kantone handeln; der Bund wird nur unterstützen. Auf jeden Fall werden für den Vollzug der Gesetze die Kantone weitgehend zur Mitwirkung heranzuziehen sein.

Indessen wird man sich vor Augen halten müssen, dass die Schweiz als solche ein einheitliches Wirtschaftsgebiet darstellt -- das bei den heutigen Verhältnissen auch in seiner Gesamtheit im Vergleich zu andern Wirtschaftsgebieten klein ist -- und dass eine Aufteilung in 25 kantonale Wirtschaftsgebiete undenkbar wäre. Infolgedessen wird es Aufgabe des Bundes sein, die Wirtschaftspolitik zu leiten und die grundlegenden Wirtschafts- und Sozialgesetze (wie z. B. das Fabrikgesetz oder das Gesetz über die berufliche Ausbildung) zu erlassen. Auch Hilfsaktionen für bestimmte Erwerbsgruppen sind vielfach nur auf eidgenössischem Boden durchführbar, da die Verbreitung der einzelnen Industriezweige an den Kantonsgrenzen nicht haltmacht. So kann beispielsweise für die Uhrenindustrie nur eine gesamtschweizerische Eegelung in Betracht fallen, und es wäre nicht angängig, sie in Neuenburg, im Berner Jura oder in Solothurn besonderen Bedingungen zu unterwerfen.

Auf der andern Seite weisen aber die wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Kantone grosse Verschiedenheiten auf, denen die Wirtschaftsgesetzgebung des Bundes Eechnung tragen muss. Der Bund wird sich.daher auf vielen Gebieten auf den Erlass von Rahmengesetzen, die den Ausbau durch die kantonale Gesetzgebung erfordern, beschränken; in bezug auf andere Wirtschaftsfragen, deren Bedeutung im grossen und ganzen innerhalb der Interessensphäre der einzelnen Kantone liegt, wird diesen die Regelung noch in weitergehendem Masse überlassen bleiben können.

Das gilt vor allem für die Landwirtschaft. Die Kantone werden nach wie vor Bodenverbesserungen, Güterzusammenlegungen, Weganlagen usw.

durchführen. Aufgabe des Bundes wird es sein, diese Bestrebungen im Rahmen der Bundesgesetzgebung zu unterstützen. Ähnlich liegen die Dinge hinsichtlich der Tierzucht. Auch in Zukunft sollen kantonale Tierzuchtgesetze bestehen und die Kantone auf diesem Gebiete ihrer Initiative nicht beraubt werden. Sie können die Viehprämiierungen wie bisher durchführen und sollen kompetent bleiben,« auch andere Massnahmen im
Interesse der Klein- und Grossviehzucht zu treffen.

Den Kantonen müsste auch das Recht gewahrt bleiben, hinsichtlich der Bekämpfung und der Milderung von Schäden, die die landwirtschaftliche Produktion bedrohen, gesetzgeberische Massnahmen zu ergreifen, so beispielsweise Vorschriften zu erlassen über die Bekämpfung von Schädlingen. Sie könnten ferner die Viehversicherung sowie die Hagelversicherung unterstützen und regehi und Massnahmen zur Erleichterung des Absatzes landwirtschaftlicher Produkte -- wir denken dabei z. B. an den Wein- und Obstbau -- treffen und unterstützen.

In der Praxis wird nach unserem Dafürhalten die Ausscheidung der Befugnisse von Bund und Kantonen keinen irgendwie ins Gewicht fallenden

895

Schwierigkeiten begegnen. Dagegen dürfte es kaum möglich sein, von vornherein in der Verfassung einen in die Einzelheiten gehenden Katalog derjenigen Kompetenzen aufzustellen, die den Kantonen vorbehalten bleiben sollen. Diese Frage wird von Fall zu Fall durch die Gesetzgebung zu regeln sein. Aus diesem Grunde enthalten die neuen Verfassungsartikel über die Mitwirkung der Kantone bloss allgemeine Bichtlinien. In Wirklichkeit soll durch die Verfassungsrevision in bezug auf die Kompetenzen der Kantone gegenüber dem jetzigen tatsächlichen Zustande nichts Wesentliches geändert werden ; in der Hauptsache handelt es sich lediglich um eine Anpassung der Verfassung an die heute schon bestehenden Verhältnisse. Im einzelnen ist in dieser Beziehung auf folgendes hinzuweisen: Die Eevision des Art. 31 bringt für die Kantone keine Änderung. Sie bleiben somit nach wie vor grundsätzlich an die Handels- und Gewerbefreiheit gebunden. Eine andere Lösung könnte unseres Erachtens in bezug auf diese Frage nicht in Betracht fallen. Gerade in den letzten Krisenjahren hat sich gezeigt, dass sich trotz dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit verschiedentlich kantonale Autarkiebestrebungen geltend machten, die an sich wohl verständlich sein mögen, jedoch vom Gesichtspunkte der Gesamtwirtschaft aus betrachtet als unerwünscht betrachtet werden müssen. Wenn die Kantone von der Beobachtung der Handels- und Gewerbefreiheit entbunden würden, wären noch weitergehende kantonale Eingriffe zu befürchten, die für die schweizerische Wirtschaft zu schwerwiegenden Nachteilen führen müssten.

Immerhin besteht nach den neuen Verfassungsbestimmungen die Möglichkeit, dass der Bund da, wo er selbst gemäss Art. 32, Abs. 2, von der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen kann, die Ordnung gewisser Fragen den Kantonen überlässt und sie gleichzeitig ermächtigt, bei der Eegelung dieser Gebiete innerhalb des durch die Bundesgesetzgebung gezogenen Eahmens über die Handels- und Gewerbefreiheit hinauszugehen.

Der von uns beantragte Art. 32 erteilt dem Bund als neue Befugnisse die Kompetenz, über Landwirtschaft und-Fremdenverkehr zu legiferieren und diese Wirtschaftszweige zu fördern ; er ermächtigt ihn ausserdem, in den in Abs. 2 genannten Fällen in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit einheitliche Vorschriften aufzustellen. Wie wir
bereits ausgeführt haben, war der Bund schon bisher öfters gezwungen, auf diesen Gebieten, namentlich auf demjenigen der Landwirtschaft, zu intervenieren, und ausserdem ist -- wir möchten dies nochmals betonen -- keineswegs eine Ausschaltung oder Herabsetzung der Kantone durch den Bund beabsichtigt. Vielmehr wird gerade hier nicht nur der Vollzug der Bundesgesetze, sondern auch die Gesetzgebung selbst in weitgehendem Masse den Kantonen überlassen bleiben müssen, damit diese die ihren besondern Verhältnissen angepassten Massnahmen durchführen können. Dieser Notwendigkeit wird in Art. 32, Abs. 3, Bechnung getragen, der ausdrücklich vorschreibt, dass die Bundesgesetzgebung die Mitwirkung der

896 Kantone zu berücksichtigen und ihnen diejenigen Gebiete und Aufgaben vorzubehalten hat, die keiner allgemeinen schweizerischen Eegelung bedürfen.

Etwas anders verhält es sich in bezug auf die im neuen Art. 34ter geregelten Materien (Arbeiterschutz, Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenversicherung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Arbeitsbeschaffung). Die Massnahmen auf diesen Gebieten bedürfen unseres Erachtens einer weitergehenden Einheitlichkeit, und es werden daher die grundlegenden Gesetze von Bundes wegen erlassen werden müssen. Aber auch hier wird die Mitwirkung der Kantone nicht entbehrt werden können; sie wird in Abs. 8 ausdrücklich gewährleistet.

Nur ein enges Einvernehmen und eine Vereinigung der eidgenössischen und hantonalen Kräfte lassen den guten Erfolg hoffen.

3. Mitwirkung der Berufsverbände und ähnlicher Wirtschaftsorganisationen bei der Durchführung gesetzliclier Erlasse.

Wir besitzen in der Schweiz eine grosse Anzahl gut organisierter Verbände, die zur Mitwirkung bei der Lösung von Wirtschaftsaufgaben herangezogen werden können. Diese Mitwirkung ist in zweifacher Weise möglich: Einmal, indem den Verbänden das Eecht eingeräumt wird, Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung von Beschlüssen und Vereinbarungen zu stellen, und sodann durch ihre Heranziehung bei der Durchführung gesetzlicher Erlasse, worunter nicht nur Gesetze im eigentlichen Sinn, sondern auch Bundesbeschlüsse und Verordnungen zu verstehen sind. In beiden Fällen handelt es sich um ein gewisses Mass von Selbstverwaltung, das den Verbänden vom Staate zugestanden wird.

Über die Allgemeinverbindlicherklärung haben wir uns schon weiter oben ausführlich ausgesprochen, so dass wir uns hier auf die zweite Möglichkeit, auf die Absatz 8 von Art. 82 Bezug nimmt, beschränken können. Der Bundesrat und das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement haben schon bisher die Verbände, soweit dies möglich war, herangezogen, und auch die Gesetzgebung sieht in zahlreichen Fällen ihre Mitwirkung vor. Das Zusammenwirken zwischen Staat und Verbänden spielt sich in verschiedenen Formen ab. So wurden die Verbände seit jeher von Fall zu Fall bei der Vorbereitung gesetzlicher Erlasse angehört. Dies soll auch in Zukunft so gehalten werden, weshalb eine besondere Erwähnung in der Verfassung überflüssig erscheint. Auch bei der Bestellung
von Kommissionen wurden die Spitzenverbände stets berücksichtigt. Zum Vollzug einzelner Gesetze wurden ständige Kommissionen gebildet, die den Behörden begutachtend zur Seite stehen, z. B. die Fabrikkommission, die Zollexpertenkommission und die eidgenössische Fachkommission für das Schuhmachergewerbe, in denen Vertreter der Verbände Sitz und Stimme haben und damit Gelegenheit erhalten, an öffentlichen Aufgaben mitzuwirken. Eine engere Form der Zusammenarbeit findet statt, wenn der Staat die von den Verbänden geschaffenen Einrichtungen unter bestimmten Voraussetzungen an-

897 erkennt -- wir erinnern an die Krankenversicherungs- und Arbeitslosenversicherungskassen -- oder ihnen staatliche Aufgaben direkt überträgt -- wir verweisen auf die Punktion der landwirtschaftlichen Verbände bei der Durchführung der Milchstützungsaktion und auf das Berufsbildungsgesetz, das die Verbände unter bestimmten Voraussetzungen zur Durchführung von Lehrabschluss- und höheren Fachprüfungen ermächtigt.

Die Komplizierung des Wirtschaftslebens und die Vermehrung der wirtschaftspolitischen Aufgaben des Staates machen eine engere Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Organen und den Vertretern der privaten Wirtschaftsführung notwendig. Die Verbände und die von ihnen geschaffenen Institutionen haben sich vielfach als wertvolle Zwischenglieder zwischen dem Einzelnen und dem Staate erwiesen. Wo geeignete Zwischenglieder, die mit der Durchführung gesetzlicher Erlasse hätten betraut werden können, fehlten, sah sich der Bund, insbesondere zur Durchführung von Hilfsaktionen, genötigt, besondere Organisationen zu schaffen. Wir erinnern an die Schweizerische Hotel-TreuhandGesellschaft und an die Stickerei-Treuhand-Gesellschaft, denen die Durchführung der Hilfsaktionen für einzelne Wirtschaftszweige vom Bunde übertragen wurde.

Es darf an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass ein wohlorganisiertes Zusammenspiel von Staat und Verbänden von grosser Bedeutung für die wirtschaftliche Kriegsvorbereitung ist. Die Kriegswirtschaft wird sich in hohem Masse auf die Mitwirkung der Verbände stützen müssen, und es kann deshalb nur von Vorteil sein, wenn dieses Zusammenspiel schon in Friedenszeiten funktioniert und ausgebaut wird.

Zahlreiche Massnahmen, wie z. B. die Hebung der Qualitätsproduktion in der Landwirtschaft, lassen sich ohne tatkräftige und verständnisvolle Mitwirkung der Verbände gar nicht durchführen, da der Staat nicht über die nötigen Mittel verfügt, um eine wirksame Kontrolle auszuüben. Wenn auch zahlreiche Vorschriften einheitlich für die ganze Schweiz erlassen werden müssen, so heisst das nicht, dass auch ihre Durchführung zentralisiert zu erfolgen habe. Schon um den staatlichen Verwaltungsapparat nicht übermässig anschwellen zu lassen und um das notwendige Zusammenwirken zwischen Staat und Privatwirtschaft zu sichern, kann es zweckmässig sein, die Verbände bzw. die von ihnen
geschaffenen Institutionen mit der Durchführung bestimmter Aufgaben zu betrauen. Die künftige Wirtschaftsgesetzgebung wird deshalb unter Wahrung des Prinzips der Verbandsfreiheit in vermehrtem Masse der Bedeutung der Wirtschaftsverbände Eechnung tragen und sie zur Mitarbeit, aber auch zur Verantwortlichkeit heranziehen.

Eine solche ständige Mitarbeit zwischen Staat und Verbänden setzt einen organisatorischen Eahmen voraus. Es ist klar, dass Verbände, welche Anspruch auf Mitwirkung machen, bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen. Die Wirtschaftsexpertenkommission schlägt deshalb den Erlass eines Gesetzes über das Verbandswesen vor. Ob man ein solches allgemeines Gesetz über das Bundesblatt.

89. Jahrg.

Bd. II.

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Verbandswesen erlassen soll oder ob man die Mitwirkung der Verbände und die Voraussetzungen, die sie erfüllen müssen, um zur Durchführung gesetzlicher Erlasse herangezogen zu werden, in den einzelnen Spezialgesetzen regeln will, braucht an dieser Stelle nicht erörtert zu werden, da die Voraussetzungen möglicherweise je nach der Materie verschieden sein werden 1).

So wäre beispielsweise zu verlangen, dass Verbände, welche regelmässig zur Mitarbeit herangezogen werden wollen, über eine Organisation verfügen müssen, das für eine geordnete Geschäftsführung Gewähr bietet. Ferner wären ausreichende Kontrollmöglichkeiten vorzusehen (Pflicht zur Auskunftserteilung über die Geschäftsführung, soweit sie die Mitwirkung bei der Durchführung gesetzlicher Erlasse betrifft, und Pflicht zur Eechnungsablage über die Verwendung öffentlicher Gelder). Wo den Verbänden ein Kekursrecht gegen kantonale Erlasse eingeräumt wird (wie in den Bundesbeschlüssen über das Warenhausverbot und das Schuhmachergewerbe), sind Kautelen gegen den Missbrauch dieses Eechts vorzusehen.

Neben den Berufsverbänden ist die Mitwirkung «ähnlicher Wirtschaftsorganisationen» vorgesehen. Wir denken dabei an Organisationen wie die Zentralstelle des Verbandes gewerblicher Bürgschaftsgenossenschaften, die Zentralstelle für Heimarbeit, die Zentralstelle für Handelsförderung und andere aus privater Initiative entstandene Selbsthilfeorganisationen, die in den Dienst wirtschaftspolitischer Aufgaben gestellt werden können.

4. Verlängerung der geltenden Notmassnahmen.

Sofern die vorgelegte Verfassungsrevision von Bäten und Volk angenommen wird, erhält der Bund eine solide verfassungsmässige Grundlage für alle notwendigen Massnahmen auf dem Gebiete der Wirtschaft. Soweit es im Eahmen der dauernden Interessen einer gesunden Gesamtwirtschaft vertretbar erscheint, gestattet Art. 82, Abs. 2b, der Vorlage auch die Einführung von Hilfsmassnahmen, wie für das Hotelgewerbe, die Stickereiindustrie, die Uhrenindustrie, den Detailhandel und andere, die bisher, soweit sie vom Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit abwichen, sich meist auf Art. 34ter oder auf Art. 2 BV stützten. Im Parlament und bei einzelnen der mehrfach zur Vernehmlassung aufgeforderten Kantonsregierungen fanden die Bundesbeschlüsse über wirtschaftliche Notmassnahmen häufig nur unter der
Voraussetzung >) Die Verordnung I vom 23. September 1932 zum Bundesgesetz über die berufliche Ausbildung bestimmt beispielsweise, dass Verbände, welche Anspruch auf Einladung zur Meinungsäusserung erheben, sich in ein Eegister der Berufsverbände eintragen lassen und die Verbandsstatuten und ein Verzeichnis der zur Vertretung des Verbandes befugten Vorstandsmitglieder einreichen müssen. Wo sich Unterverbände zu einem Ober- oder Spitzenverband zusammengeschlossen haben und dieser für den betreffenden Beruf im Register eingetragen ist, hat nur der Oberverband Anspruch auf Einladung zur Meinungsäusserung.

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Zustimmung, dass alles daran gesetzt werde, um ihnen durch eine baldige Verfassungsrevision eine unbestrittene Basis zu schaffen.

Wenn somit die Grundlage für derartige Erlasse verbessert wird, soll damit nicht gesagt werden, dass nach Annahme des Verfassungsartikels die bisherigen Massnahmen unverändert in Gesetzesform aufrechterhalten bleiben sollen. Es wird möglich sein, auf manche Erlasse zu verzichten, weil die Wirtschaftslage sich besserte oder weil es einzelnen Wirtschaftszweigen möglich wurde, unter dem Schutz der Noterlasse des Bundes, durch Selbsthilfemassnahmen ihre Festigung und Gesundung von innen heraus herbeizuführen.

Auch zu Ende dieses Jahres laufen wiederum einige dringliche Bundesbeschlüsse ab. Es sind dies: 1. Der Bundesbeschluss über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande vom 14. Oktober 1933, verlängert durch Bundesbeschluss vom 11. Dezember 19351); 2. Der Bundesbeschluss betreffend die Überwachung von Warenpreisen vom 20. Juni 1936 2); 3. Der Bundesbeschluss über wirtschaftliche Notmassnahmen vom 29. September 1936 3); 4. Der Bundesbeschluss über das Verbot der Eröffnung und Erweiterung von Warenhäusern, Kaufhäusern, Einheitspreisgeschäften und Filialgeschäften vom 27. September 1935 4).

Da es zeitlich ausgeschlossen war, die gewünschten verfassungsmässigen Grundlagen schon im Laufe dieses Jahres zu schaffen, sahen wir uns veranlasst, Ihnen über diese Bundesbeschlüsse gesonderte Vorlagen zu unterbreiten, die Ihnen schon vorgängig mit der vorliegenden Botschaft zugegangen sind und in denen wir, soweit notwendig, die nochmalige Verlängerung der bestehenden Notmassnahmen in Vorschlag bringen.

In diesem Vorschlag gehen wir ebenfalls einig mit der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung, welche die Auffassung vertritt, dass bis zur Durchführung der Verfassungsrevision die Bekämpfung der-Notstände wie bis anhin durch Krisenmassnahmen, unter Fühlungnahme mit den Interessenten und den wirtschaftlichen Spitzenverbänden erfolgen müsse.

Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen empfehlen wir Ihnen die Annahme des beiliegenden Bundesbeschlusses. Ferner beantragen wir Ihnen, es seien die in Kapitel D, Abschnitt I, l a. E. (S. 877) aufgeführten Motionen *) 2 ) ") 4 )

A.

A.

A.

A.

S.

S.

S.

S.

49, 52, 52, 51,

811; 51, 792.

504.

749.

659.

900

und Postulate, welche durch die vorgeschlagene Verfassungsrevision gegenstandslos geworden sind, als erledigt abzuschreiben.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 10. September 1937.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Motta.

Der Bundeskanzler: G. Bovet.

Beilage: Entwurf zu einem Bundesbeschluss über eine Partialrevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung.

Anhang: Bericht der begutachtenden Kommission für Wirtschaf tsgesetzgebung.

901 (Entwurf.)

Bundesfoeschluss über

eine Partialrevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung.

Die Bundesversammlung der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , in Anwendung der Art. 84, 85, Ziff. 14, 118 und 121 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 10. September 1937; beschliesst : Art. 1.

1. Die Artikel 31, 82 und 34 der Bundesverfassung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Art. 31. Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet.

Vorschriften über die Ausübung von Handel und Gewerben und über die Besteuerung des Gewerbebetriebes sind zulässig; sie dürfen jedoch, wo die Verfassung nichts anderes vorsieht, den Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen.

Art. 32. Der Bund kann im Bahmen der dauernden Interessen einer gesunden Gesamtwirtschaft, unter Vorbehalt der Handels- und Gewerbefreiheit, einheitliche Bestimmungen aufstellen und Massnahmen ergreifen zur Förderung von Gewerbe, Handel, Industrie, Landwirtschaft und Fremdenverkehr.

Er ist befugt, ohne an die Schranken der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden zu sein, unter Wahrung der Gesamtinteressen, Vorschriften zu erlassen : a. zur Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft, sowie zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes; b. zum Schütze von wichtigen, in ihrer Existenz gefährdeten Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen; ter

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c. über Kartelle und ähnliche Organisationen; d. zur behördlichen Allgemeinverbindlicherklärung von Vereinbarungen und Beschlüssen von Berufsverbänden und ähnlichen Wirtschaftsorganisationen über die Berufsbildung, die Arbeitsbedingungen mit Einschluss der sozialen Nebenleistungen und die Bekämpfung des unlautern Wettbewerbes, sofern sie begründeten Minderheitsinteressen angemessen Eechnung tragen, die Verbandsfreiheit nicht beeinträchtigen und von unabhängigen Sachverständigen befürwortet werden.

Die in Abs. l und 2 genannten Vorschriften werden auf dem Wege der Gesetzgebung erlassen. Diese berücksichtigt die Mitwirkung der Kantone und behält ihnen jene Gebiete und Aufgaben vor, die keiner allgemeinen Eegelung durch den Bund bedürfen. Sie kann auch die Mitwirkung von Berufsverbänden und ähnlichen Wirtschaftsorganisationen bei der Durchführung gesetzlicher Erlasse vorsehen.

Art. 34teT. Der Bund ist befugt, zum Schütze der Arbeitnehmer, über die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung, sowie über die berufliche Ausbildung einheitliche Bestimmungen aufzustellen.

Er bekämpft die Arbeitslosigkeit und mildert ihre Folgen; für Zeiten der Not kann er über die Arbeitsbeschaffung und deren Finanzierung Vorschriften erlassen.

Die in Abs. l und 2 genannten Bestimmungen und Vorschriften werden auf dem Wege der Gesetzgebung erlassen.

Die Mitwirkung der Kantone ist gewährleistet.

2. In Art. 82quater, Abs. 2, der Bundesverfassung wird der Ausdruck « . . .

innerhalb der Grenzen von Art. 81, lit. e . . . » ersetzt durch « . . . innerhalb der Grenzen von Art. 31, Abs. 2 . . . ».

3. Art. 6 der Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung wird aufgehoben.

Art. 2.

Dieser Beschluss wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet.

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über eine Partialrevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung. (Vom 10. September 1937.)

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15.09.1937

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