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89. Jahrgang.

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Beni, don 2. Juni 1937.

Band II.

Erscheint wöchentlich. Preis 2» Franken im Jahr, Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme; 50 Rappen die Pctitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an Stämpfli & de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Anerkennung des Rätoromanischen als Nationalsprache.

(Vom 1. Juni 1987.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen nachstehend Botschaft und Antrag zu unterbreiten über eine Abänderung des Art. 116 der Bundesverfassung. Die vorgeschlagene Partialrevision der Verfassung bezweckt die Aufnahme dc'S Rätoromanischen in den Kreis der vom Bund anerkannten Nationalsprachen.

Der heute geltende Art. 116 der Bundesverfassung hat folgenden Wortlaut: Die drei Hauptsprachen der Schweiz, die deutsche, französische nnd italienische, sind Nationalsprachen des Bundes.

Nach unserem Antrag soll der neue Art. 116 folgende Fassung erhalten: Das Deutsche, Französische, Italienische und Rätoromanische sind die Nationalsprachen der Schweiz. Als Amtssprachen des Bundes werden das Deutsche, Französische und Italienische erklärt.

Zur Begründung unseres Antrages gestatten wir uns folgende Darlegungen.

I.

Die Eingabe des Kleinen Rates des Kantons Graubünden.

Durch Eingabe vom 21. September/21. Oktober 1935 stellt der Kleine Eat des Kantons Graubünden in Ausübung des den Kantonen nach Art. 98, Abs. 2 BV zustehenden Vorschlagsrechtes an den Bundesrat zuhanden der Schweizerischen Bundesversammlung das Begehren, dass durch Verfassungsänderung das Rätoromanische als vierte Nationalsprache anerkannt werden Bundesblatt.

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Bd. II.

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soll. Diesem Hauptbegehren folgen verschiedene weitere Begehren, auf dio wir im Vorlauf unserer Ausführungen zurückkommen werden.

Die Tragweite des Begehrens rechtfertigt es, Ihnen die Eingabe des Kleinen Eates vuii Graubünden zur Kenntnis zu bringen. Wir beschränken uns jedoch auf die Wiedergabe jener Darlegungen des Kleinen Eates, die für die Begründung des Begehrens und namentlich für dessen Sinn und Begrenzung von wesentlicher Bedeutung sind.

Chur, den 21. September 1935.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident; !

Sehr geehrte Herren Bundesräte!

Der Kleine Rat des Kantons Graubünden gestattet sich, in der folgenden bedeutsamen Angelegenheit an Ihre hohe Behörde zu gelangen: In der Frühjahrssession 1934 des Grossen Rates des Kantons Graubünden haben die Herren Grossräte Modest Nay, Camisoholas, und weitere 38 Mitunterzeichner aus allen Talschaften und Sprachgruppen unseres Kantons eine Motion folgenden Inhalts in allen drei bündnerischen Landessprachen eingereicht: «Der Grosse Rat, als Vertreter des Volkes von Graubünden, beauftragt die Regierung, den Bundesbehörden mit allem Nachdruck das Verlangen und den Wunsch des romanischen Volkes vorzulegen, dass neben der deutschen, französischen und italienischen Sprache auch das Romanische als Nationalsprache erklärt und anerkannt werde.» In der Herbstsession 1934 des Grossen Rates von Graubünden hat sodann der Motionär seine Motion eingehend begründet. Nach erfolgter Diskussion, die von Rednern in allen Landessprachen benützt wurde und die sich geradezu zu einer erhebenden patriotischen Kundgebung gestaltete, wurde die Motion im Einverständnis mit dem Kleinen Rate durch Erheben von den Sitzen mit Einstimmigkeit seitens des fast vollzählig anwesenden Grossen Rates erheblich erklärt.

Indem der Kleine Rat des Kantons Graubünden seinerseits heute im Sinne der erwähnten Motion und in Ausführung des bezüglichen Beschlusses des Grossen Rates Graubündens an Ihre hohe Behörde gelangt, erachtet er es als seine Pflicht, den ganzen Fragenkomplex einer eingehenden Prüfung und Erörterung zu unterziehen und Ihnen die Gründe darzulegen, gestützt auf welche er Ihnen das Begehren des romanischen Volkes und des Standes Graubünden unterbreitet, es möchte neben der deutschen, französischen und italienischen Sprache auch die romanische Sprache als eine der schweizerischen
Nationalsprachen im Sinne der nachfolgenden Ausführungen erklärt und anerkannt werden.

Die Motion Nay und Konsorten ist nicht von ungefähr gestellt worden, sie entspricht vielmehr Wünschen, Anregungen und Begehren des romanischen Volkes, die schon vielfach innerhalb rätoromanischen Kreisen zur Sprache gebracht worden sind. In der Presse hat unseres Wissens erstmals Herr Dr. 0. Giere, Redaktor des «Sain Pitschen», also eines Organes romanischer akademischer Jugend, die vierte Landessprache verfochten. Derselbe hat in der Jahresversammlung 1933 der Ligia Romontscha, in der sich alle romanischen Sprachvereine zu einem umfassenden romanischen Bunde vereinigen, den von andern Diskussionsrednern unterstützten, einstimmig und mit Akklamation angenommenen Antrag gestellt, die erforderlichen Schritte einzuleiten, damit das Postulat der vierten Landessprache an die Behörden weitergeleitet werde.

Als direkte Auswirkung dieser Beschlüsse dürfen wir auch die Kundgebung der zu einer Volksversammlung ausgewachsenen Jahresversammlung der romanischen

3 Studentenvereinigungen «Komania», «Ladinia» und «Sesana» in Rhäznns, vom 2. September 1934, und die dort gefasste Kesolution betrachten, von der weiter unten noch die Bede sein wird.

Wenn wir dem hohen Bundesrat, zuhanden der hohen Bundesversammlung, im folgenden das Begehren um Anerkennung des Rätoromanischen als schweizerische Landessprache unterbreiten, so kommt dies einem Begehren auf Abänderung des bestehenden Artikels 116 der Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft gleich, also der Vornahme einer Partialrevision dieser Verfassung nach Art. 121 derselben.

Die Kompetenz zu diesem Vorgehen gibt uns der Art. 93, Absatz 2 BV, wonach jeder Kanton das Recht besitzt, durch schriftliche Eingabe einen Antrag der Bundesversammlung zu unterbreiten, damit sie denselben in Beratung ziehe und das weitere Vorgehen veranlasse. Auf Grund des Art. 36, Abs. 2, der, Verfassung des Kantons Graubünden steht dem Kleinen Rate die Ausübung der vorerwähnten, den Kantonen in Art. 93 BV eingeräumten Befugnis zu. Der Kleine Rat ist zur Anwendung dieses Initiativrechtes um so eher berechtigt, als er in concreto aus speziellem Auftrag des Grossen Rates des Kantons Graubünden die vorliegende Eingabe zu machen hat.

Wir ersuchen Sie daher, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Herren Bundesräte, in diesem Sinne unsere Eingabe entgegenzunehmen, um dieselbe zu gegebener Zeit der hohen Bundesversammlung zu unterbreiten.

Das Rätoromanische, das in zwei Hauptidiome zerfällt, das der Surselva (Oberland) und das des Engadins und der benachbarten Talschaften, geht in einzelnen seiner sprachlichen Elemente auf die vorrömische Zeit zurück. Nach'der Unterwerfung des alten Rätiens durch die Römer im Jahre 15 v. Chr. erfolgte ähnlich wie in den neolatinischen Staatsgebilden der Gegenwart eine weitgehende Romanisierung in Sprache, Gesetz und Verwaltung. Sodann gelangten in spätem Jahrhunderten Goten, Pranken und Alemannen, also deutsche Volksstämme, zur Herrschaft, später kriegsgewaltige Feudalherren, bis deren Macht sich an der Herrsóhaft des Volkes in den ehemaligen drei Bünden brach. Der Einfluss des vornehmlich deutschen Adels, weltlichen und geistlichen Standes, ebenso der in ihrem Dienst oder Gefolge von Norden herkommenden Vasallen, Angestellten, Bergbauleute, Bodenarbeiter, Handwerker und Bauern wirkte
sieh auch sprachlich gar mächtig aus. Die ehemals bis zum Walensee sich ausbreitenden Romanen wurden in eine beschränkte Anzahl rätischer Bergtäler zurückgedrängt. Und diese Entwicklung wurde noch gefördert durch die Kolonien der freien Waiser. Vom 14. bis 16. Jahrhundert wurde das Romanische dann allmählich bis ungefähr auf seinen jetzigen Bestand zurückgedrängt. Seit jener Zeit ist das Romanische stationär geblieben bis auf die neueste Zeit, in welcher zufolge einer ungeahnten Verkehrsentwicklung seit den achtziger Jahren bis auf unsere Zeit herab wiederum ein scharfer Einbruch von Nord und Süd in ehemals rein romanische Gebiete erfolgt ist, so dass nunmehr geradezu die Existenz des Romanischen auf dem Spiele steht. Heute leben noch ungefähr 44 000 Romanen in Graubünden und in der übrigen Schweiz, wozu noch eine grosse Zahl von Landsleuten in der Fremde kommen, die zäh an ihrer Muttersprache hangen und zu ihr gehören und für sie je und je mit seltener Treue und Anhänglichkeit einstehen und für sie werben.

Das zähe Festhalten an der ererbten ältesten Sprache des Landes und ihr dauernder Fortbestand in einer beschränkten Anzahl von Bündnertälern trotz allen Faktoren, die vom frühesten Mittelalter bis auf die heutige Zeit ihre Existenz in Frage zu stellen geeignet scheinen, ist um so bemerkenswerter, als für die Hauptidiome ja schon seit Jahrhunderten eine Schriftsprache besteht, indessen bis auf den heutigen Tag eine einheitliche Schriftsprache für ganz Graubünden sich nicht herauszubilden vermocht hat. Einerseits sicherlich eine Schwäche, die eine wirksamere Stosskraft versagt und in allen Fällen, z. B. bei der Erstellung der Lehrmittel, Publikationen usw. sich wie ein Schwergewicht der romanischen Sprache anhängt und auch einer künftigen Nationalsprache auf den ersten Blick Schwierigkeiten zu bereiten scheint; anderseits,

vom rein sprachlichen und sprachwissenschaftlichen Standpunkte aus betrachtet, eine ungemein wertvolle Bereicherung des Sprachschatzes. Das rätoromanische Idiotikon (Dicziunari Rumänisch Grischun) wird das sprechend zum Ausdruck bringen !

Die Erhaltung des Rätoromanischen und seiner im Verhältnis zur Grosse des Gebietes und der romanischen Bevölkerung reichen und zum Teil wertvollen Literatur ist ferner um so bemerkenswerter, als der Kanton seinerseits sich eigentlich erst in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts systematisch der romanischen Sprache in den Volksschulen angenommen hat : durch Einführung eines geordneten obligatorischen Unterrichts und in der Folge durch den obligatorischen Romanischunterricht am kantonalen Lehrerseminar und seit 1914 laut Grossratsbeschluss für alle Schüler romanischer Zunge an der Kantonsschule. Es dürfte im übrigen ausserhalb des Bereiches unserer heutigen Eingabe liegen, näher auf diese Verhältnisse einzugehen. Ebenso können wir uns an dieser Stelle in keiner Weise mit der romanischen Literatur, ihren Dichtern und Förderern befassen.

Dagegen obliegt es uns doch, in diesem Zusammenhange darauf hinzuweisen, in wie mächtig anregender und befruchtender Art und Weise es sich gerade auf diesem Gebiet in den letzten 15 Jahren auszuwirken vermocht hat, dass seit dem Jahre 1920 reichlichere Mittel im Dienste einer Förderung der kulturellen Bestrebungen der romanischen Sprachvereine zur Verfügung standen. In seltener Einmütigkeit und erhebender Solidarität gegenüber der Ideinsten Sprachgruppe unseres schweizerischen Vaterlandes haben sowohl die schweizerische Bundesversammlung als auch der Grosse Rat des Kantons Graubünden in jenem Jahre die Zuweisung von jährlich je Fr. 10 000 an die Ligia Romontscha zur Pflege des Romanischen beschlossen. Zwar ist der weitaus grossie Teil dieser Summe dazu verwendet worden, um noch fehlendes wissenschaftliches Rüstzeug zu schaffen: Romanisch-deutsche und deutsch-romanische Grammatiken und Wörterbücher. Aber es ist dennoch, dank der selbstlos aufopfernden, ausdauernden und unermüdlichen Tätigkeit des verdienten Präsidenten der Ligia Romontscha, Giachem Conrad, gelungen, stets noch bescheidene Geldmittel zu erübrigen, um wenigstens anregend auf die Tätigkeit der romanischen Sprachvereine zu wirken und dort auf alle
diejenigen, die auch ihrerseits selbstlos und ohne materielle Entschädigung jahraus, jahrein durch ihre organisatorische Tätigkeit oder ihre literarischen oder wissenschaftlichen Arbeiten und Beiträge tätig sind. Gewiss wären zur Erfüllung der so mannigfachen Aufgaben noch weitere Mittel von Nöten, aber jener, von erhebender Solidarität gegen eine kleine sprachliche Minderheit itragenen Beschlüsse vom Jahre 1920 sei doch stetsfort in Dankbarkeit gedacht, benso des Spracheneuschlages an die Bundessubvention für Primarschulen, der zwar allen drei Sprachgruppen im Kanton zugute kommen soll, anderseits doch in erster Linie dem Romanischen zum unschätzbaren Vorteil gereicht, das bisher in der Schule und im Seminar notwendigerweise zurückstehen musste, weil die Romanen gezwungen sind, daneben noch das Deutsche gründlich zu erlernen.

Leider konnte im Jahre 10933 nicht vermieden werden, dass die Bundessubvention an die Ligia Romontscha reduziert wurde, und zwar um volle Fr. 2000.

Und das gerade in dem Augenblick, wo man darangehen sollte, die Wörterbücher, die zum Teil schon fertig sind, dem Druck zu übergeben. Für diesen Aufgabenkreis der Ligia Romontscha wie auch für eine vermehrte Pflege des Romanischen in bezug auf literarische Erzeugnisse und wissenschaftliche Arbeiten wäre im Gegenteil eine Erhöhung der Bundesunterstützung gerechtfertigt und am Platze. Die Ligia Romontscha hatte denn auch im Jahre 1930 eine bezügliche, eingehend begründete Eingabe an den hohen Bundesrat gerichtet, ist aber leider damals mit ihrem Begehren um Verdoppelung des Ansatzes abgewiesen worden. Die seitherige Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse im Bund lässt uns nur eine geringe Hoffnung, zurzeit etwas mehr in dieser Beziehung zu erreichen. Immerhin hielten wir darauf, das in diesem Zusammenhange zu erwähnen und hervorzuheben, weil die Ligia Romontscha

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gezwungen sein wird, über kurz oder lang zur systematischen Verwirklichung ihrer Postulate, insbesondere wissenschaftlicher Natur, neuerdings an den Bund zu gelangen. Und sie wird das um so eher tun dürfen, als im übrigen ja auch gemäss den folgenden Ausführungen die Erklärung des Romanischen als Nationalsprache für den Bund keine wesentlichen Auslagen bringen wird. In die gleiche Kerbe will auch die obenerwähnte Rhäzünser Resolution der Romanen schlagen, wenn sie verlangt: Inzwischen (bis das Romanische als vierte Landessprache anerkannt sein wird) solle der Bund durch förmlichen Bundesbeschluss die Verpflichtung anerkennen, die romanische Sprache und Kultur zu fördern und zu unterstützen und dem Romanischen auch in der Gesetzgebung und in offiziellen Akten wenigstens insoweit Rechnung tragen, als es notwendig und im Interesse der romanischen Bevölkerung angezeigt erscheint.

Diese Stellungnahme dürfte um so verständlicher sein, als seinerzeit der Bundes rat einen ausserordentlichen jährlichen Beitrag an den Kanton Tessiti beschlossen hat, u. a. mit folgender Begründung : «Dagegen weisen wir mit allem Nachdruck auf die besondere Struktur unseres eidgenössischen Staatswesens hin. Diese erschöpft sich nicht in der bundesstaatlichen Gliederung der Eidgenossenschaft in 25 Kantone. Über dem Verband der Einzelrepubliken steht der Zusammenschluss dreier sprachlich und kulturell verschiedener Völkerschaften zu einem organischen Volksganzen.

Durch die Koordination der drei Hauptsprachen der Schweiz hat die Bundesverfassung in Art. 116 dem. Grundsatz der vollen kulturellen Gleichberechtigung der drei entsprechenden Stämme des Landes Ausdruck verliehen. In dieser Bindung dreier Nationalitäten auf paritätischer Basis liegt das spezifische Wesensmerkmal und zugleich der tiefere Sinn unserer Demokratie, der durch jene Gemeinschaft recht eigentlich ihre Mission bestimmt wird. Der Kanton Tessin vertritt nun als alleiniger Träger der italienischen Kultur innerhalb der Eidgenossenschaft eine der drei gleichberechtigten Völkerschaften unserer politischen Nation. Hiermit ist zunächst für ihn nicht bloss das Recht, sondern auch die Pflicht gegeben, dafür zu sorgen, dass seine Eigenkultur dem Gesamtstaat ungeschwächt und unverfälscht erhalten bleibe und sein Bildungswesen in der Entwicklung nicht hinter demjenigen
der beiden andern Kulturstämme zurückbleibe. Als Korrelat zu dieser kantonalen Schuldigkeit besteht aber auf selten des 'Bundes die staatsrechtliche Notwendigkeit, dem Tessin die E r f ü l l u n g jener umfassenden Aufgabe, soweit sie zufolge besonderer -Voraussetzungen die Mittel und K r ä f t e des Kantons übersteigen, zu ermöglichen.» Sollten, könnten solche Überlegungen nicht in vermehrtem Masse gegenüber dem Romanischen Geltung beanspruchen angesichts der ganz besondem Schwierigkeiten, denen diese kleinste Sprachgruppe unseres Landes gegenübersteht? Wenn zurzeit die Aussichten für eine vermehrte Unterstützung auch gering sein dürften, so vielleicht doch für die Zukunft. Denkbarerweise aber doch auch heute schon, falls nicht in Gestalt einer Erhöhung der jährlichen Beiträge, so doch in der Gewährung eines grössern ein- oder mehrmaligen Zuschusses, um die Drucklegung der verschiedenen Wörterbücher und des Idiotikons sukzessive zu ermöglichen.

Heute handelt es sich indessen in erster Linie nicht um diese Fragen materiellen Charakters, vielmehr um das ideelle bzw. kulturelle Postulat, es möchte das Rätoromanische als vierte Landessprache, als Nationalsprache auch im Bund anerkannt werden.

Um uns ein Bild über die Tragweite dieses Postulates zu machen, sei zunächst der Verhältnisse in Graubünden gedacht.

6 Ausgangspunkt ist in dieser Beziehung Art. 46 der Kantonsverfassung von 3892, wo der von altersher eigentlich als selbstverständlich angesehene, altbewährte Grundsatz formuliert ist, wonach die drei Sprachen des Kantons als Landessprachen gewährleistet sind. An diese knappen Worte knüpfen sich nicht etwa detaillierte Anwendungs- oder Ausführungsbestimmungen in der kleinrätlichen oder grossrätlichen Geschäftsordnung, in der ZPO oder andern wesentlichen Gesetzeserlassen.

Das einzige, was wir finden können, sind einige unwesentliche Beschlüsse des Kleinen und des Grossen Bates. Im übrigen aber hat es der Gesetzgeber wohlweislich der gesunden Vernunft unseres Volkes überlassen, die gegenseitigen sprachlichen Verhältnisse und Beziehungen auf das praktische Leben in Schule und Gericht und Öffentlichkeit einzustellen, je nach Vorwalten dieser oder jener Sprache, je nach dem praktischen Bedürfnis. Leitender Grundsatz ist es, immer und überall, dass eben die drei Sprachen des Landes Landessprachen sind, und man handelt auch als etwas Selbstverständliches von altersher danach. Wir dürfen in diesem Zusammenhange auch betonen, dass Deutsch- und Italienisch-Bündner Stetsfort jegliches Verständnis für die berechtigten Wünsche und Begehren der Bomanen zwecks Erhaltung der ältesten rätischen Sprache bewiesen haben und es heute noch tun. Nie sind die guten, auf gegenseitiges Verständnis' beruhenden Beziehungen zwischen den drei bündnerischen Sprachgruppen irgendwie getrübt worden. Wie sehr der ganze Kanton Graubünden die romanische Sprache schätzt und ehrt, geht gerade auch aus dem erwähnten einstimmigen Beschluss des bündnerischen Grossen Bates hervor. Jedem Bündner ist die romanische Sprache ein unveräusserliches Erbgut der rätischen Heimat, und wir geben uns der Hoffnung hin, dass auch unsere Miteidgenossen die romanische Kultur und Tradition als einen wertvollen geistigen Faktor im Leben des Schweizervolkes schätzen und würdigen werden.

Und nun zu den Verhältnissen auf eidgenössischem Boden, denen ja die heutige Motion gilt. Auch da müssen wir etwas weiter ausholen und zunächst in gedrängter Skizze die hauptsächlichen Grundlagen rechtlicher Natur und ihre Auswirkungen auf die verschiedenen faktisch vorkommenden Sprachgruppen unseres Landes darlegen.

Bekanntlich kommt auf eidgenössischem Boden zu unsern
drei bündnerischen Landessprachen noch das Französische hinzu. Aber die Bundesverfassung stellt den Grundsatz a u f , dass nur die drei Hauptsprachen der Schweiz, die deutsche, französische und italienische, Nationalsprachen des Bundes seien. Das Bätoromanische gilt somit nicht als solche, trotz der 44000 und mehr Bomanen, die es sprechen, und trotzdem diese Bomanen nicht nur vereinzelt in andern Sprachgruppen vorkommen, vielmehr zum grössten Teil in zusammenhängendem Sprachgebiet.

Diese verfassungsrechtliche Behandlung kommt in bezug auf das Bomanische auch sonst überall rechtlich und sprachlich zum Ausdruck. Wir wollen das in kurzen Zügen verfolgen, um uns alsdann die Frage vorzulegen, wie weit wir, ohne unvernünftig und unbillig zu sein, für die Zukunft für das Bätoromanische eine andere Behandlung wohl postulieren können in Gutheissung des in de» Motion Nay und Konsorten liegenden Postulates, dass auch das Bätoromanische als Nationalsprache erklärt werde.

Die Vorschrift der Bundesverfassung, Art. 116, bedeutet, dass für den Kompetenzbereich des Bundes das Deutsche, Französische und das Italienische im leichen Bange stehen, dass somit alle Bundesbeschlüsse und Verordnungen von en gesetzgebenden Behörden der Eidgenossenschaft in den drei Nationalsprachen beschlossen und amtlich veröffentlicht werden.

Alle drei Texte sind, anders als zurzeit in Graubünden, als Urtexte aufzufassen.

Bei Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Texten ist unter Zuhilfenahme aller Mittel der Interpretation festzustellen, welcher der drei Texte den richtigen Sinn wiedergibt und dem Willen des Gesetzgebers entspricht.

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Sowohl die amtliche Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen wie auch das Bundesblatt, d.h. die wöchentliche Veröffentlichung von Berichten und Botschaften des Bundesrates an die Bundesversammlung, von Kreisschreiben des Bundesrates, von Bekanntmachungen der Departemente usw. werden dementsprechend in allen drei Landessprachen veröffentlicht. Man kann sich somit ungefähr vorstellen, was für Kosten daraus dem Bunde erwachsen. Die Gesamtauslagen für Drucksachen im Jahr 1933 belaufen sich laut einer uns vorliegenden Zusammenstellung auf Fr. 2 682 000. Berechnet man als Beispiel für die Drucksachen in italienischer Sprache auch nur den sechsten Teil, so käme man für die letztere allein auf einen Ausgabeposten von zirka Fr. 447 000 im Jahr. Man stelle sich vor, wie weit in dieser Beziehung eine Gleichstellung des Romanischen führen und welche finanzielle Belastung für den Bund sich daraus ergeben würde.

Im übrigen sind auch im Bund die gesetzlichen Vorschriften in bezug auf die Stellung und Anwendung der Nationalsprachen nicht zahlreich. Ernstliche Schwierigkeiten haben sich dabei unseres Wissens nie ergeben. Das Leben des Alltags, Rechtsprechung, Verwaltung und parlamentarisches Leben haben im grossen und ganzen sich immer noch auf eine Lösung zu finden vermocht, die der Billigkeit und der praktischen Erfahrung entspricht.

In der Bundesversammlung ist jedes Mitglied berechtigt, in seiner Nationalsprache zu reden. Eine Übersetzung in andere Landessprachen erfolgt im allgemeinen nicht. Einzig die formulierten Anträge werden, bevor über sie abgestimmt wird, von Übersetzern in deutsch und französisch wiederholt. Vergleiche die besondern Vorschriften im Geschäftsreglement von Nationalrat und Ständerat. Die Romanen stellen in dieser Beziehung keine Ansprüche.

In gleicher Weise gelten Deutsch, Französisch und Italienisch auch beim Bundesgericht als Nationalsprachen, ebenso beim eidgenössischen Versicherungsgericht.

Im Verkehr mit den Gerichtsbehörden dürfen sich die Parteien einer der drei Hauptsprachen bedienen. Jedes Urteil wird in der Nationalsprache verschrieben, in der die Instruktion des Prozesses erfolgt ist bzw. die angefochtene Entscheidung verfasst ist. In Streitigkeiten, die das Bundesgericht als einzige Instanz zu beurteilen hat, wird das Urteil in derjenigen Sprache verfasst, der die
Parteien angehören.

Gehören sie verschiedenen Sprachen an, so wird das Urteil in der Regel in der Sprache des Beklagten und bei mehreren Beklagten in sämtlichen Sprachen verfasst. Vergleiche in bezug auf diese Vorschriften den Bundesbeschluss betreffend Organisation und Verfahren des eidgenössischen Versicherungsgerichtes vom. 28. März 1917; Bundesgesetz über Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893; Bundesgesetz über das Verfahren beim Bundesgericht in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 22. November 1850, Art. 80; Reglement für das schweizerische Bundesgericht vom 26. November 1928, Art. 20. Es ist klar, dass entsprechend dem verfassungsmässigen Grundsatz für das Romanische auch in dieser Beziehung kein Platz bleibt.

Dagegen hat sich das Bundesgericht früher und auch in letzter Zeit wieder de facto trotzdem ausserordentlich entgegenkommend gezeigt, indem es eingehende romanische Akten auf eigene Kosten übersetzen liess. Etwas anderes werden in dieser Beziehung die Romanen auch in Zukunft nicht verlangen.

Hinsichtlich der Wahlen in den Bundesrat bestehen keine Vorschriften, wonach die Nationalsprachen vertreten sein müssen. Doch hat man von jeher mit Recht Wert darauf gelegt, dass mindestens 'deutsch und welsch einigermassen im Verhältnis zur numerischen Stärke ihrer Bevölkerung im Bundesrat vertreten seien. Man hat auch die Romanen von einer Wahl in den Bundesrat nicht ausgeschlossen (Calonder), wenn wir auch nicht wissen, ob dabei die Sprache in Frage gestanden und welcher Sprachgruppe der Romane bei dieser Wahl zugerechnet wurde. Übrigens wird weder postuliert noch besteht eine innere Berechtigung dafür, dass stets auch ein Romane dem Bundesrat angehöre.

Im Gegensatz zu dieser Regelung ist bei den Wahlen in das Bundesgericht vorschriftsgemäss darauf Bedacht au nehmen, dass die drei Nationalsprachen ver-

treten sind (BV Art. 107). Bei den Strafgerichtsbehörden ist die Kriminalkammer so zu bestellen, dass jedes ihrer drei Mitglieder einer andern Landessprache angehört; ebenso sind die Assisenbezirke der Schweiz zur Bestellung der eidgenössischen Geschwornen nach drei Sprachgebieten ausgeschieden, wobei unseres Wissens das rätoromanische Sprachgebiet dem deutschen zugeteilt ist. Auch in dieser Beziehung werden die Romanen für die Zukunft keine weiter als bisher gehende Forderungen stellen. Man könnte noch diese oder jene praktische Auswirkung des in der Bundesverfassung verankerten Grundsatzes dreier Landessprachen des Bundes anführen, um daran abzuwägen, welche Auswirkung das wohl hinsichtlich einer voll anerkannten nationalen und offiziellen vierten Landessprache hätte. So auch die Frage, ob es einen praktischen Wert hätte, und überhaupt, ob es angesichts der Rekrutierungskreise für die einzelnen militärischen Einheiten denkbar wäre, die Bestimmung auch auf die Romanen auszudehnen, wonach die Mannschaften in ihrer nationalen Sprache ausgebildet und kommandiert werden sollen. Wir wollen es bei diesen Beispielen bewenden lassen.

Aus diesen Ausführungen ergibt sich doch zur Evidenz, dass es zu praktisch ganz unnötigen Schwierigkeiten und verhältnismässig übertriebenen Kosten f ü h r e n müsste, wollte man das Romanische verfassungsmässig ohne weiteres den übrigen drei grossen Sprachgebieten in allem und jedem gleichstellen. Es wäre eine'unvernünftige Überspannung eines prinzipiell noch so berechtigten Grundsatzes, wenn man letzteren bis dahin verwirklichen möchte, dass alle Bundesgesetze und Botschaften ins Romanische zu übersetzen seien ; der praktische Wert wäre angesichts der Vielsprachigkeit der Romanen minirn, die Kosten unverhältnismässig hoch und heute unerschwinglich. In dieser Beziehung wird es wohl genügen, wenn der Bund, wie bisher auch bereits, wichtige Gesetzeserlasse ins Romanische übersetzen lässt, so z. B. die Bundesverfassung, das ZGB und OR. Es wurden diese wichtigen gesetzgeberischen Werke freiwillig der rätoromanischen Bevölkerung zugänglich gemacht, und so ist in echt eidgenössischer Solidarität dokumentiert worden, dass die Bundesbehörden bis anhin schon dem Rätoromanischen Rücksichten zu tragen gewillt waren.

Dass ein romanischer Stände- oder Nationalrat in der Bundesversammlung
in seinem heimatlichen Idiom rede, wird ihm des Wunders und des Wohlklanges wegen gelegentlich wohl niemand verweigern wollen. Aber praktisch wird die Sache sich von selbst regeln. Denn niemand wird in der Regel in einer Sprache reden wollen, welche die überwältigende Mehrheit des Rates nicht versteht, es sei denn, es liege ein besonderer gelegentlicher Grund vor oder er rede zum Fenster hinaus.

In bezug auf das Bundesgericht werden solche Überlegungen erst recht gelten und zu ähnlichen Folgerungen gelangen wie in bezug auf die Sprachvorschriften bei der Ausbildung und hinsichtlich des Kommandos unserer Truppen usw. Von solchen Erwägungen haben sich denn auch die romanischen Kreise von vorneherein leiten lassen, als sie das an sich berechtigte Begehren gestellt haben, es möchte dem Rätoromanischen im Kreise der schweizerischen Schwestern der ihm gebührende Platz eingeräumt werden. Denn sie haben sofort beigefügt, dass sie deshalb noch nicht verlangen werden, dass das Romanische auch als offizielle Sprache erklärt werde mit allen Folgen, die sich daraus von selbst bzw. entsprechend der heutigen Bundesgesetzgebung ergeben würden oder könnten. In dieser Beziehung werden sie wie im Kanton so auch im Bund keine übertriebenen oder unvernünftigen Forderungen und Begehren stellen. Sie postulieren aus solchen Erwägungen heraus eine Fassung des Art. 116 in folgendem Wortlaut: Die vier Landessprachen der Schweiz, das Deutsche, Französische, Italienische und Romanische, werden als Nationalspraohen erklärt. Offizielle Sprachen sind das Deutsche, Französische und Italienische.

9 Es fragt sieh nun freilich, was für eine praktische Bedeutung sich dann noch mit dem Begehren der Romanen verbinde? und es ist ohne weiteres zuzugeben, d a n s es sich mehr um ideelle Beweggründe im Sinne der prinzipiellen Gleichstellung mit den übrigen Sprachen unseres Landes handelt und um die Anerkennung des Romanischen als selbständige ..neol a t i n i s c h e Sprache. D a n e b e n a b e r i s t f ü r d i e R o m a n e n d i e Überzeugung ausschlaggebend gewesen, dass ihnen durch eine solche prinzipielle Anerkennung der Kampf um die Erhaltung ihrer gef ä h r d e t e n Muttersprache erleichtert w e r d e . . .

Sodann ist es selbstverständlich auch sonst für die Bestrebungen der Romanen zur Erhaltung ihrer Muttersprache schon rein äusserlich von grossem Vorteil, ·wenn letztere auch auf dem Boden des Bundes als Nationalsprache anerkannt und erklärt wird. Und wenn es auch eine blosse Frage des Prestiges sein sollte, so wäre auch das nicht zu verachten, wenn man bedenkt, wie deprimierend es romanische Kreise angesichts der sich auftürmenden Schwierigkeiten empfinden, schliesslich für eine Sache zu kämpfen, über welche die besten und schlagendsten Argumente im Einzelfall nicht verschlagen, indem der erste beste Paragraphenreiter einem erklären kann : «-Ihr habt kein Recht, auf das ihr pochen könnt. Eure Sprache ist nicht anerkannt, folglich brauchen wir auf eure Wünsche auch nicht zu hören! Innere Berechtigung hin oder her !» In dieser Beziehung ein einziger Hinweis. Es sind im Laufe der Jahre, wohl während der Zeit, da die Waadt und das Tessin Untertanenländer waren, für die bedeutenderen Orte in der Waadt und im Tessin deutsche Namen geprägt worden, die auch heute noch im deutschen Sprachgebiet üblich sind. Aber wem wäre es im schweizerischen Bundesstaate in den Sinn gekommen, diese deutsche Namengebung in der Waadt oder im Tessin einzuführen, oder gar als offiziell zu erklären, sei es allein oder auch nur neben dem französischen, dem italienischen Ortsnamen? Schon die Tatsache, dass das Französische und das Italienische zu den Nationalsprachen gehören, hätte ein solches Ansinnen, das übrigens nie versucht wurde, von vorneherein ausgeschlossen.

Für das romanische Sprachgebiet hingegen hat man diese Folgerung nicht gezogen, offenbar doch, weil das Romanische damals nicht als Nationalsprache
anerkannt wurde. Und so kommt es, dass Ortsnamen des romanischen Sprachgebietes da, wo das Deutsche eine eigene Bezeichnung hat, heute noch in den allermeisten Fällen offiziell nur in deutscher Sprache in allen Kundgebungen des Bundes geschrieben werden ; dass ferner die schweizerische Postverwaltung sich auch heute noch weigert, wenigstens neben dem deutschen auch dem romanischen Namen ein bescheidenes Plätzchen einzuräumen. Und doch handelt es sich dabei um einen für die Romanen und ihre Sprache -- wir möchten fast sagen -- entmutigenden Zustand, der sich auch für die Erhaltung des Romanischen ausserordentlich nachteilig auswirkt. Falls in dieser Beziehung die zurzeit in Bern anhängig gemachten Schritte nicht von Erfolg gekrönt sein sollten, wird erst die vierte Landessprache den Romanen zu ihrem guten Recht verhelfen müssen.

Und schliesslich noch eine andere, eigentlich grundlegende und unseres Erachtens wohl ausschlaggebende Erwägung: Es gibt Staaten, in welchen man bei der Fragestellung nach den Faktoren, die ein Volk zu einer Nation zusammenschweissen, die Abstammung oder das Blut oder die gemeinsame Sprache in den Vordergrund rückt. Gerade in den heutigen staatsrechtlichen Auffassungen einzelner unserer Nachbarn spielen diese Faktoren eine hervorragende Rolle.. .

Es wird demgegenüber nur Bekanntes wiederholt, wenn wir hervorheben, dass die schweizerische Eidgenossenschaft ihren Charakter als Nation ganz andern Faktoren verdankt. Die in der Begriffsbestimmung einer Nation zum Ausdruck gelangende Zusammengehörigkeit ist bei uns vielmehr verankert in dem Zweck der Gemeinschaft,

10 für den diese gebildet wurde: dem Kampf für die Beichsunmittelbarkeit gegenüber übermächtigen Feudalherren und dem Streben nach einer völligen Unabhängigkeit und Freiheit nach aussen. Darin ist das Grundelement bzw. der "Ausgangspunkt einer schweizerischen Eidgenossenschaft und damit einer schweizerischen Nation zu erblicken. Und nachdem diese Gemeinschaft derart entstanden ist und sich über die Generationen und Jahrhunderte hinweg zu erhalten vermocht hat, nachdem diese Bande sich durch eine gemeinsame Verfassung und durch die übrige Gesetzgebung zu einem unlösbaren Bunde verstärkt haben, da erscheinen doch die anderorts als übermächtig angesehenen Bande der Abstammung und des Blutes oder namentlich auch der Sprache für die Bildung einer schweizerischen Nation als nebensächlicher Faktor. Ja, wir Schweizer setzen geradezu unsern Stolz darin, hervorzuheben, dass eben trotz dieser tatsächlich gegebenen Verschiedenheit des Blutes, der Konfession und der Sprache auf unserem schweizerischen Staatsgebiet andere, höhere Faktoren und Elemente da sind und ausschlaggebend waren und noch sind, die für immer die schweizerische Eidgenossenschaft zu einer Nation verbinden. Wir bilden uns darauf etwas ein und pflegen das gar oft den Bässen- und sprachlichen Minderheitsfragen und Streitigkeiten des Auslandes gegenüber zu betonen und hervorzuheben.

Die Schweizer betrachten eben die Vielgestaltigkeit ihres Vaterlandes und namentlich die Mannigfaltigkeit ihrer sprachlichen Kulturen nicht als eine unerwünschte Komplikation, sondern als einen segensreichen Quell idealer Werte. Es ist eine der edelsten Traditionen der schweizerischen Eidgenossenschaft, den sprachlichen Minderheiten soweit als nur möglich entgegenzukommen und sie in ihren speziellen Aufgaben zu fördern und zu unterstützen.

Ist es aber in Wirklichkeit bei uns so, bis zu den letzten Konsequenzen?

Auch hinsichtlich der rätoromanischen Minderheit? Sicherlich in Graubünden.

Und sicherlich auch im Bund, soweit die Abstammung und das Blut und vielfach persönliche Sympathien für das Komanische in Frage stehen. Aber auf schweizerischem Boden können wir das nicht ohne weiteres sagen, soweit die Sprache rechtlich in Frage steht. Denn die Bundesverfassung spricht, wie wir gesehen haben, zwar von nationalen Sprachen, aber anerkennt als solche mit allen sich
damit verknüpfenden Konsequenzen nur das Deutsche, Französische und Italienische, nicht aber das Bätoromanische. Und doch handelt es sich um die älteste lebende Landessprache, um eine Sprache, die in Bätien seit Jahrhunderten und auch in der gegenwärtigen bündnerischen Staatsverfassung als dritte bündnerische Landessprache anerkannt wird. Es handelt sich um eine Sprache, die bei der letzten schweizerischen Volkszählung von 44000 Volksgenossen als Muttersprache erklärt wird, von 44000 und mehr Volksgenossen gesprochen und hochgehalten wird. Und doch ist sie nicht als schweizerische Landessprache anerkannt, doch nicht als nationale Sprache in der Schweizerischen Bundesverfassung verankert, wodurch sie alle Nachteile erleidet, die sich damit für ihre Erhaltung verknüpfen. Auch aus solchen Erwägungen heraus, die gleichsam an die Grundelemente unserer schweizerischen Staatsauffassung heranreichen, glauben wir nahelegen zu dürfen, dass dem Begehren der Bomanen entsprochen werde.

Und nun noch ein letzter Einwand, der auf den ersten Blick von wesentlicher Bedeutung zu sein scheint: die Frage, welchen von den verschiedenen romanischen Idiomen bzw. bezüglichen Schriftsprachen allenfalls die Ehre zuerkannt werden soll, als Nationalsprache erklärt zu werden. Analysiert man indessen diesen Fragenkomplex, so ist es unseres Erachtens gar nicht erforderlich, eine bestimmte Schriftsprache als Nationalsprache zu erklären, wie das auch in Graubünden nicht geschehen ist. Und das dürfte im Bund um so eher zutreffen, als nach dem Gesagten das Bätoromanische ja wohl als Nationalspraohe, aber nicht als offizielle Sprache erklärt werden soll. Die Verwendung des Bomanischen im Bund wh'd sicli somit auch inskünftig auf eine relativ sehr beschränkte Zahl von Fällen beschränken, und wo es geschieht -- bei Publikationen von Gesetzen und dergleichen, bei In-

11 und Aufschriften, Mitteilungen und Namengebungen, da wird man sich stets unschwer den Bedürfnissen und Notwendigkeiten lokalen Charakters anpassen können; in konkreten Zweifelsfällen wird man die Entscheidung dem Kleinen Bäte von Graubünden anheim stellen dürfen, der sich in dieser Beziehung mit der Ligia Bomontscha ins Benehmen setzen wird.

Im übrigen aber erscheint es auch vom sprachlichen Standpunkte aus durchaus als gerechtfertigt, diesem Umstände keine allzugrosse Bedeutung beizulegen, indem es sich trotz der dialektalen Abweichungen mit ihren Besonderheiten und Verschiedenheiten doch um eine Sprache, eben um das Rätoromanische, handelt, das in verschiedenen Ausdrucksformen doch als Einheit sich darstellt.

Wir kommen zum Schlüsse, haben wir Sie doch schon lange über.das Problem des Bätoromanischen als vierte Landessprache aufgehalten ; über ein Problem, das auf den ersten Blick so einfach und selbstverständlich erscheint, das sich indessen kompliziert und einen ganzen Komplex von Fragen auslöst, sobald man ins einzelne geht. Und doch erscheint dessen Lösung im Sinne das aufgeworfenen Postulates und in Anerkennung des Rätoromanischen als selbständige Sprache mit eigenem Sprachgebiet als gerechtfertigt und ebenso geeignet, zur Erhaltung der romanischen Sprache beizutragen. Werden doch in der Lösung dieses Problems grundlegende Fragen unserer Staatsauffassung und sogar das Verhältnis unseres Landes zu nationalistischen Strömungen im Auslande berührt.

Angesichts der obigen Ausführungen ersuchen wir Ihren hohen Bat, die nötigen Vorkehren zu treffen, damit dem Begehren entsprochen werden könne; wir'möchten das Postulat der Romanen wie folgt formulieren: 1. Durch Verfassungsänderung soll das Bätoromanische als vierte Nationals p r a c h e anerkannt werden.

2. Wir sind im Einverständnis mit den romanischen Kreisen und im Sinne obiger Ausführungen einverstanden, dass als offizielle Sprachen des Landes, mit sämtlichen Konsequenzen, die sich damit verknüpfen, nur das Deutsche, Französische und Italienische bezeichnet werden.

3. Dagegen soll die Eidgenossenschaft sich damit einverstanden erklären, dass einzelne grundlegende Gesetze auch in Zukunft ins Romanische übersetzt werden und dass dieses auch entsprechend berücksichtigt werde in bezug auf die Nomenklatur, bei In- und Aufschriften usw. Die
bezüglichen Richtlinien sollen in einer besondern Verordnung fixiert werden.

4. Wenn in den vor Verwaltungs- oder Gerichtsinstanzen des Bundes schwebenden Verfahren romanische Akten eingelegt werden, die übersetzt werden müssen, sollen die bezüglichen Kosten die Partei nicht besonders belasten.

5. Es ist nicht nötig, dass ein besonderes Idiom bzw. dessen Schriftsprache als Nationalsprache erklärt werde. In zweifelhaften Fällen hinsichtlich der Anwendung soll der Bundesrat nach Einholung der Ansicht des Kleinen Rates von Graubünden entscheiden, in welchem der Hauptdialekte eine Publikation, Übersetzung, Inschrift usw. im konkreten Falle erfolgen soll.

6. Die schweizerische Eidgenossenschaft wolle beitragen, die nötigen Mittel flüssig zu machen, um die verschiedenen Wörterbücher und das Idiotikon sukzessive nach Massgabe ihrer Druckreife drucken lassen zu können. Sie wird weiterhin die Bestrebungen der Ligia Romontscha zur Erhaltung und Förderung der romanischen Sprache wirksam unterstützen.

Die Ligia Romontscha hat durch eine eigens zu diesem Zwecke gebildete Kommission das Problem der vierten Landessprache prüfen lassen und dann gestützt darauf am 23. Juni 1935 in einer besondern Eingabe ihre Stellung präzisiert und ihre Anträge formuliert. Diese decken sich mit den von uns im vorstehenden aufgeführten Begehren.

12 Wir sind uns dessen völlig bewusst, dass es sich bei unserer heutigen Eingabe um einen Schritt von prinzipieller und in seinen Auswirkungen weittragender Bedeutung für Teile unseres Volkes handelt. Und so werden Sie es uns wohl zugute halten, wenn wir dabei auf Grund einer auch unsererseits erfolgten gründlichen Prüfung und Abwägung des ganzen Fragenkomplexes zu dessen Begründung etwas weiter ausholten. Denn es handelt sich dabei nicht um eine bloss temporäre propagandistische Welle im Interesse des Rätoromanischen, vielmehr um einen wesentlichen Faktor im Kampfe um die Erhaltung und Förderung der rätoromanischen Sprache, ganz abgesehen davon, dass durch dieses Postulat auch grundlegende Probleme in unserem schweizerischen Staatswesen und unserer Staatsauffassung berührt werden.

In der angenehmen Hoffnung, dass Sie diesem Begehren der Rätoromanen Graubündens, mit welchem sowohl der Grosse Rat als auch der Kleine Rat einstimmig einverstanden sind und mit welchem sich das gesamte Bündnervolk identifiziert, entsprechen können, zeichnen wir "mit dem Ausdrucke unserer vorzüglichen Hochachtung.

Namens des Kleinen Rates des Kantons Graubünden: Der Präsident: Der Kanzleidirektor: (gez.) Lardelli.

(gez.) Dr. J. Desax.

In der Sitzung vom 8. Oktober 1936 des Nationalrates stellte und begründete Nationalrat C o n d r a u folgende, von weitern 54 Mitgliedern des Bates mitunterzeichnete Interpellation: «Der Grosse Rat von Graubünden stellte seinerzeit durch Vermittlung der Regierung das Begehren, es möchte die romanische Sprache als vierte Landessprache anerkannt werden, wobei die andern drei Sprachen (Deutsch, Französisch und Italienisch) auch fernerhin die einzigen amtlichen Sprachen des Landes bleiben sollten.

Die Erfüllung dieses Wunsches bedingt wohl eine Änderung des Art. 116 unserer Bundesverfassung. In welcher Weise glaubt nun der Bundesrat, dem Wunsche des romanischen Volkes entsprechen zu können?» Der Bundesrat beantwortete die Interpellation dahin, dass er dem von Graubünden gestellten Begehren grundsätzlich zustimme und beabsichtige, den eidgenössischen Bäten eine Vorlage betreffend Revision des Art. 116 BV zu unterbreiten. Doch müssten einzelne Fragen noch eingehend geprüft werden.

Der Interpellant erklärte sich als befriedigt.

II.

Das geltende Recht und seine geschichtliche Entwicklung.

Einer der fundamentalen Bechtsgrundsätze, die den eidgenössischen Staatsgedanken begründen, liegt im Prinzip der Gleichberechtigung unserer nationalen Sprachen. Die schweizerische Nation ist nicht das Produkt der Gemeinschaft der Sprache. Sie ist vielmehr eine Gemeinschaft des Geistes, getragen vom Willen vorschiedensprachiger Völkerschaften, als eine Nation zusammenzuleben und die in geschichtlicher Schicksalsgemeinschaft erworbene Freiheit und Zusammengehörigkeit gemeinsam zu bewahren und zu verteidigen.

Das friedliche Zusammenleben dieser verschiedensprachigen Völkerschaften

13 in einer Nation wird im Bundesstaat gewährleistet durch den Grundsatz, dass jede unserer nationalen Sprachen in voller Freiheit ihre Eeinheit und Eigenart entfalten soll. Die drei Hauptsprachen des Landes,' das Deutsche, Französische und Italienische, sind in der Bundesverfassung ausdrücklich als Nationalsprachen anerkannt. Das eidgenössische Staatsrecht kennt den Begriff des sprachlichen Minderheitsschutzes nicht. Es kennt nur den Eechtsbegriff der Gleichberechtigung der Sprachen. Diese freiheitliche Ordnung entspricht nicht nur der natürlichen Zusammensetzung unseres Volkskörpers und der föderalistischen Struktur unseres Bundesstaates. -Sie besitzt noch eine tiefere Wurzel in einem jener Wesenszüge, die das geistige Antlitz der schweizerischen Demokratie bestimmen: in der Ehrfurcht vor dem Eecht und der Freiheit der menschlichen Persönlichkeit und damit in der Ehrfurcht vor dem Eecht der Muttersprache. Ohne Freiheit der Muttersprache ist eine wirkliche Freiheit des Geistes undenkbar. In diesem ungeschriebenen, aber desto mächtigeren Gesetz der Achtung vor dem Menschen und seiner Muttersprache erblicken wir den Schlüssel zu jenem Geheimnis, dass wir in einem Lande, in dem Völkerschaften von vier verschiedenen Sprachen in enger Gemeinschaft zusammenleben, unsere gegenseitigen Beziehungen nie von einem Sprachenstreit getrübt sehen mussten.

Es bildet schon ein Euhmesblatt für die Geschichte der alten dreizehnörtigen Eidgenossenschaft, dass die herrschenden Orte nie den Versuch unternahmen, die Freiheit der Sprache anderssprachiger Untertanen anzutasten oder gar mit Gewalt zu unterdrücken. Wo, übrigens meistens nur vorübergehend, die Grenzen der Sprachgebiete sich verschoben, war dies fast durchwegs mehr das Ergebnis organischer Entwicklung als die Frucht staatlicher Massnahmen.

Die eine und unteilbare helvetische Eepublik suchte das Problem der Mehrsprachigkeit des Landes in der Weise zu lösen, dass nach einem Dekret vom 20. September 1798 die Gesetze der Kepublik in allen drei Landessprachen herausgegeben werden sollten. Der Vorschlag, einer Staatssprache gegenüber den beiden andern eine rechtliche Vorzugsstellung einzuräumen, wurde vom Direktorium abgelehnt. Am 12. November 1798 beschloss der helvetische Grosse Eat, das Protokoll deutsch und französisch führen und die wichtigeren Urkunden und
Berichte ins Italienische übersetzen zu lassen. Überdies wurde ein Übersetzer damit beauftragt, italienische Voten im Grossen Eat ins Deutsche oder Französische zu übersetzen. Der Senat schloss sich diesen Beschlüssen an. Vom Eätoromanischen war in jenem Zeitpunkt noch nicht die Eede, da Graubünden sich der helvetischen Eepublik noch nicht angeschlossen hatte.

Dieser Anschluss vollzog sich erst im Jahre 1799. Am 26. Juni 1799 gaben die helvetischen Begierungskommissäre der provisorischen Eegierung des Kantons Eätien die Weisung, ihre Proklamation ins Italienische und Eomanische zu übersetzen und allen Gemeinden zuzustellen.

Von Interesse ist auch die Begründung, mit der das helvetische Direktorium den Eäten im Jahre 1798 Minister Stapfers Vorschlag auf Gründung

14 einer Landesuniversität vorlegte: «Dieses Institut wird der Brennpunkt der intellektuellen Kräfte unserer Nation, das Verschmelzungsmittol ihrer noch immerfort bestehenden Völkerschaften und der Stapelort der Kultur der drei gebildeten Nationen sein, deren Mittelpunkt Helvetien ausmacht. Es ist vielleicht bestimmt, deutschen Tiefsinn mit fränkischer Gewandtheit und italienischem Geschmack zu vermählen.» In den Verfassungsentwürfen von 1832 und 1888 finden wir keine Bestimmung über die Staatssprachen des Bundes. Auch die im August 1847 mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes beauftragte Kommission hatte es nicht für nötig erachtet, einen Sprachonartikel auszuarbeiten. Sie huldigte wohl der Auffassung, dass auf diesem Gebiete das ungeschriebene Eecht stärker sei als das geschriebene. In der Tagsatzung, die den Entwurf behandelte, stellte jedoch die Gesandtschaft des Kantons Waadt den Antrag, folgende Bestimmung in die Verfassung aufzunehmen: «Les trois langues parlées en Suisse, l'allemand, le français et l'italien, sont langues nationales.» Die Eidgenossen seien, so bemerkte der Sprecher der waadtländischen Abordnung, aus drei nationalen Elementen zusammengesetzt, aus deutschen, französischen und italienischen Völkerschaften. Diese Bestandteile des Volkes seien zwar nicht Deutsche, Franzosen oder Italiener.

Sie fänden ihre Einheit im realen Begriff der schweizerischen Nation. Allein alle diese Sprachen seien gleichberechtigt, und es dürfe daher nicht ein Idiom auf Kosten der beiden andern eine ausschliessliche Geltung beanspruchen.

Dieser Antrag wurde vom Vertreter des Kantons Tessin lebhaft unterstützt und fand die Zustimmung sämtlicher 22 Kantone. Immerhin war man ebenso allgemein damit einverstanden, «dass, wenn in Beziehung auf Verfassung, oder Gesetze, oder Beschlüsse abweichende Ansichten entstehen sollten, alsdann der deutsche Text zur Entscheidung der Differenz massgebend sein müsste» (eine Auffassung, die bekanntlich später aufgegeben worden ist). Der neue Artikel wurde von der Tagsatzung in folgender Passung angenommen: «Die drei in der Eidgenossenschaft lebenden Hauptsprachen werden für amtlich erklärt, und es hat die Bundeskanzlei dafür zu sorgen, dass die Abschiede, die Gesetze und Beschlüsse der Bundesbehörden auf Kosten der Eidgenossenschaft in deutscher und französischer
Sprache abgefasst werden.» Die Redaktionskommission ging dann aber auf den einfacheren und grössern Spielraum lassenden Wortlaut des ursprünglichen Antrages zurück, und so wurde denn am 27. Juli 1848 ohne weitere Aussprache mit sämtlichen Stimmen die Aufnahme des folgenden Artikels 109 in die Bundesverfassung beschlossen: «Die drei Hauptsprachen der Schweiz, die deutsche, französische und italienische, sind Nationalsprachen des Bundes.» Von einer Mitberücksichtigung des Rätoromanischen wurde bei diesen Verhandlungen nicht gesprochen, auch 25 Jahre später nicht, als der Sprachenartikel unverändert als Artikel 116 in dia revidierte Verfassung von 1874 herübergenommen wurde. Aber während der ursprüngliche Antrag der Waadt-

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länder Gesandtschaft einfach «les trois langues parlées en Suisse» ins Auge fasste, ist in der endgültigen Fassung des Artikels von den drei H au p t sprachen der Schweiz die Rede. Legt diese Lösung nicht den Schluss nahe, dass der Gesetzgeher sich des Bestehens einer vierten schweizerischen Sprache, eben des Rätoromanischen, durchaus bewusst war? Wenn der Gesetzgeber darauf verzichtete, auch diese vierte Sprache des Landes als Nationalsprache zu bezeichnen, so geschah dies offensichtlich aus Überlegungen praktischer Natur.

Denn mit dem Begriffner «Nationalsprache» verband der Gesetzgeber ohne Zweifel damals schon die Vorstellung der «Amtssprache» oder der «Staatssprache», und diesen Begriff wollte er, um den Staatsverkehr und den bescheidenen Haushalt des Bundes nicht übermässig zu belasten, aus praktischen Gründen nur auf die Hauptsprachen des Landes beschränken. Dadurch aber, dass der Begriff der Nationalsprachen, d. h. der Staatssprachen des Bundes nicht auf alle, sondern nur auf die H au p t sprachen des Landes ausgedehnt wurde, war das Bestehen einer weitern schweizerischen Sprache eigentlich ausdrücklich festgestellt. Uns scheint deshalb, es sei die Lösung, für die der Gesetzgeber im Jahre 1848 sich ausgesprochen, gar nicht so weit entfernt von den Wünschen, die seitens der Rätoromanen heute geltend gemacht werden.

Die Auslegung des Art. 109 bzw. 116 der Bundesverfassung hat in der Folge nie zu ernsten Schwierigkeiten geführt. Der Schritt zur einfacheren und freieren Fassung, den die Redaktionskommission von 1848 wagte, hat sich bewährt.

Unsere Väter überliessen die Auslegung und praktische Ausgestaltung des Sprachenartikels dem gesunden Sinn der Eidgenossen und vertrauten darauf, dass diese den Blick für die realen Möglichkeiten nie verlieren würden. Diese Hoffnung hat sich erfüllt. Der verfassungsrechtliche Begriff der «Nationalsprachen» entwickelte sich, wie das offenbar den Schöpfern der Verfassung von 1848 schon vorgeschwebt hatte, im Laufe der Zeit immer klarer zum Begriff der Staats- und Amtssprachen, im Sinne grundsätzlicher Gleichberechtigung, ohne dass daraus Forderungen abgeleitet worden wären, deren Erfüllung zum Einsatz der erforderlichen Mittel in einem Missverhältnis gestanden hätte. Alle Bundesgesetze, Bundesbeschlüsse und Verordnungen werden in den drei Nationalsprachen
veröffentlicht. Alle drei Gesetzestexte stehen im gleichen Recht; keiner besitzt vor dem andern einen Vorrang; jeder gilt rechtlich als Urtext. Ergeben sich aus allfälliger sprachlicher Nichtübereinstimmung der Texte Schwierigkeiten für die Auslegung, so ist unter Zuhilfenahme aller Mittel der juristischen Interpretation festzustellen, welcher der drei Texte den richtigen Sinn wiedergibt und dem Willen des Gesetzgebers entspricht. In den Verhandlungen des Bundesrates, der Bundesversammlung und des Bundesgerichtes ist jedes Mitglied berechtigt, sich in seiner angestammten Nationalsprache auszusprechen. lin Nationalund Ständerat werden alle Anträge ins Französische bzw. ins Deutsche übersetzt. Die Schweizerbürger und die kantonalen Behörden sind berechtigt, in ihrer Nationalsprache mit den Behörden des Bundes zu verkehren, und die

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letztern sind verpflichtet, in der gleichen Sprache zu antworten. In den Verhandlungen vor Bundesgericht kann jede Partei sich ihrer Nationalspraeho bedienen; das Urteil wird in der Sprache der angefochtenou Entscheidung ausgefertigt, in Streitfällen, die das Bundesgericht als einzige Instanz zu.beurteilen hat, in der Sprache der Parteien. Nach Art. 107 der Bundesverfassung muss bei der Wahl des Bundesgerichtes darauf Bedacht genommen werden, dass alle drei Nationalsprachen vertreten seien. Für die Wahl des Bundesrates besteht keine ähnliche Vorschrift. Doch hat die Bundesversammlung seit der Gründung des Bundesstaates immer darauf gehalten, deutsche und romanische Schweiz angemessen im Bundesrat vertreten zu sehen. Für die Armee gilt der Grundsatz, dass die Mannschaften in ihren nationalen Sprachen, ausgebildet und kommandiert werden sollen. Gehören grössern Verbänden verschiedensprachige Mannschaften an, so werden die Kommandos übersetzt.

Zur Abnahme der Medizinalprüfungen bestehen für die deutsche und "für die französische Schweiz gleichgeordnete Prüfungsbehörden. Aus all dem geht hervor, dass der verfassungsrechtliche Begriff der Nationalsprache sich zum Begriff der Staats- und Amtssprache verdichtet hat. Die verfassungsmässige Gewährleistung der Nationalsprachen erstreckt sich jedoch nur auf das Eecht des Bundes und seine Beziehungen zu den Kantonen. Das innere Eecht der Kantone wird dadurch nicht berührt (vgl. Meiner, Bundesstaatsrecht ; Burkhardt, Kommentar zur Bundesverfassung; Salis, Schweizerisches Bundesrecht).

Wir haben oben der Auffassung Ausdruck verliehen, dass der Gesetzgeber schon 1848 mit dem Begriff der Nationalsprache die Vorstellung der Amtssprache verband und dass die Beschränkung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung auf die Hauptsprachen des Landes schon beim Erlass der ersten Bundesverfassung keineswegs den Sinn haben konnte, dem Eätoromanischen den Charakter einer eigenen Sprache oder gar die Lebensberechtigung abzusprechen. Die Entwicklung seit 1848 bestätigt diese Auffassung. Denn wenn auch das Eätoromanische in der Bundesverfassung nicht als Nationalsprache (= Amtssprache) anerkannt war, so haben doch die Bundesbehörden bisher schon berechtigten Begehren der Eätoromanen und der Eegierung von Graubünden auf Berücksichtigung und Förderung der rätoromanischen Sprache
Eechnung getragen. Sowohl 1872 wie 1874 wurden, in Gutheissung der Gesuche des Graubündner Kleinen Eates, die der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreiteten Vorlagen betreffend Eevision der Bundesverfassung auf Kosten des Bundes (freilich unter Ablehnung einer Eechtspflicht) in die beiden rätoromanischen Hauptdialekte übersetzt. Dagegen sah sich der Bundesrat gestützt auf Art. 116 der Bundesverfassung veranlasst, einen ablehnenden Standpunkt einzunehmen, als der Kleine Eat von Graubünden am 27. Oktober 1876 das Gesuch stellte, es möchten sämtliche Bundesgesetze, die zur Volksabstimmung gelangen, ins Oberländer-Bomanische übersetzt werden. Immerhin hat der Bund aus freien Stücken durch die Bewilligung von Beiträgen die Herausgabe rätoromanischer Übersetzungen des Bundes-

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gesetzes über das Obligationenrecht, des Betreibungs- und Konkursgesetzes und des schweizerischen Zivilgesetzbuches ermöglicht. In den Jahren 1892 bis 1919 förderte der Bund die Herausgabe der Bätoromanischcn Chrestomathie von Decurtins mit Bundesbeiträgen von insgesamt Fr. 32 000. Seit 1905 erhält die Eätoromanische Gesellschaft für die Bearbeitung ihres Idiotikons jährliche Beiträge des Bundes, die ersten drei Jahre in der Höhe von je Fr. 2500, von 1908 bis 1985 im Betrag von je Fr. 4500. Für 1936 und die folgenden Jahre hatten wir eine Erhöhung dieses Beitrages auf Fr. 6500 in Aussicht genommen, um die Drucklegung des Idiotikons zu ermöglichen.

Doch geriet die beantragte Erhöhung in die unerbittliche Schere des zweiten Finanzprogramms ; der erhöhte Beitrag musste um 25 % auf Fr. 4875 herabgesetzt werden. Das gleiche Schicksal widerfuhr dem Bundesbeitrag an die Ligia Eomontscha, der in den Jahren 1921 bis 1933 sich auf je Fr. 10 000 belief, 1934 und 1935 jedoch auf je Fr. 8000 und für die Jahre 1936 und 1937 auf je Fr. 7500 reduziert werden musste. Seit dem Inkrafttreten des Bundesbeschlusses vom 15. März 1930 bezieht der Kanton Graubiinden, im Hinblick auf die Dreisprachigkeit seines Schulgebietes, zur ordentlichen Primarschulsubvention einen besondern Zuschlag von 60 Ep. für 56 712 Einwohner rätoromanischer und italienischer Sprache. Aus diesen Feststellungen erhellt, dass der Bund das Eätoromanische, obwohl es nicht verfassungsrechtlich als Nationalsprache anerkannt war, doch auch bisher nicht als Stiefkind behandelt hat. Die Bundesbehörden haben das ungeschriebene natürliche Eecht der Eätoromanen auf die Erhaltung und Förderung ihrer Muttersprache über das geschriebene Hecht gestellt und damit der Erfüllung jener Wünsche, die unsere rätoromanischen Miteidgenossen heute beseelen, wesentlich vorgearbeitet.

Bevor wir nun zum Begehren des Kleinen Eates von Graubünden Stellung beziehen, möchten wir die Geschichte und Eigenart der rätoromanischen Sprache und Kultur näher beleuchten.

III.

Eigenart und Bedeutung der rätoromanischen Sprache.

Gleich wie in Frankreich das Latein durch die Gallier, in Eumänien durch die Dazier, eine ganz eigenartige Sonderentwicklung durchmacht, die zum modernen Französischen und Eumänischen führt, so beruht das E ä t o r o m a nische auf einer Varietät des Lateins, das den Stempel trägt der vorrömischen Bevölkerung Graubündens, der E ä t e r , und ihrer Nachkommen, die auf dem Boden Bündens ansässig waren. Ein einfacher Satz wie: teidla tat, ins t u c c a ils z e n n s - b a s e l g i a per t s c h u n c h e i s m a s (hör, Grossvater, man läutet die Glocken der Kirche für das Pfingstfest; écoute, grand-père, on sonne les cloches de l'église pour la Pentecôte; senti, nonno, suonano le campane della chiesa per la pentecoste), zeigt besser als lange historische Exkurse die Eigenart des Eätoromanischen. Keiner andern romanischen Schriftsprache sind heute bekannt das Verbum t e d i a r «zuhören», die SubBundesblatt.

89. Jahrg.

Bd. II.

2

18 stantive zonn «Glocke», t s c h u n c h e i s m a s «Pfingsten»; keine andere romanische Schriftsprache besitzt heute das Verbum t u e c a r mit dem Sinn «läuten» und tat mit dem Sinn «Grossvater»; einzig das Rumänische kennt noch, wie das Rätoromanische, basilica als Bezeichnung für jede Kirche.

Lautlich erinnern die reichhaltigen Diphtonge teidla, tschuncheismas an ähnliche Verhältnisse der westschweizerischen Patois; das gesprochene Pluralzeichen -s von zenn-s, tschuncheisma-s findet seine Entsprechung im Altfranzösischen und Spanischen, während die Erhaltung des Auslautvokals -a von baselgia nicht in Frankreich, sondern in Italien und Spanien wiederkehrt.

Mit grösster Eindringlichkeit beweist die romanische Sprachwissenschaft, wie oft die rätoromanischen Mundarten und Schriftsprache in Laut, Form, Satz und Wortwahl typische Merkmale besitzen, die in der französischen und italienischen Schriftsprache fehlen. Dagegen bestehen mehr innere Übereinstimmungen zwischen dem Rätoromanischen Bündens und den ladinischen Mundarten der Dolomiten, den tessinischen des Sopraceneri und den westschweizerischen Mundarten des Wallis und der Waadt. Die ausgeprägte Selbständigkeit des R ä t o r o m a n i s c h e n Graubündeus findet ihre Erklärung und Begründung in zwei denkwürdigen Ereignissen des frühen Mittelalters: 537 wird Churrätien, die alte selbständige Alpenprovinz Raetia prima, vom italischen Gotenreich an das Frankenreich abgetreten, und 843 wird das Bistum Chur vom Metropolitanverband Mailand abgelöst und Mainz angeschlossen. Seit 1400 Jahren ist also Churrätien politisch nach Norden orientiert und bleibt das ganze Mittelalter hindurch aufs engste verknüpft mit der politischen und geistigen Geschichte der Ost- und Zentralschweiz und des Tirols. Um das Jahr 1000 war Churrätien -- mit Ausnahme des Misox und des Puschlavs -- ein rein rätoromanisches Land: ein Teil der heute deutschsprachigen Bündner (mittleres und unteres Prätigau, Schanfigg und die Herrschaft) sind frühere Romanen, die im Laufe des 13. bis 16. Jahrhunderts die alemannische Mundart angenommen haben. Der andere Teil der deutschsprachigen Bündner, die Waiser, die in letzter Linie aus dem Oberwallis stammen, haben sich im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts in einigen Hochtälern des Landes angesiedelt, so dass das ehemals ausschliesslich
«lateinische» Graubünden ein dreisprachiges Land geworden ist, gleich wie aus der rein alemannischen achtörtigen Eidgenossenschaft, dank der zugewandten Orte und der gemeinen Herrschaften, ein dreisprachiges Staatsgebilde sich entwickelt hat.

Der hartnäckige Kampf um die Befreiung vom landesfremden Adel wie der mit seltener Energie durchgeführte Unabhängigkeitskrieg gegen Österreich und Mailand kettet Romanen und Deutschbündner aufs engste zusammen in den drei Bünden, in denen die R ä t o r o m a n e n oft genug die f ü h r e n d e n Köpfe stellten. Auf Schritt und Tritt trifft man in der Geschichte Alt Fry Rätiens als Richter, Gesandte, Heerführer, welche die Interessen ihrer Heimat mit Zähigkeit und Umsicht wahrnehmen, die Juvalta, die Tscharner aus dem Domleschg; die Castelberg, Demont, Capaul, Vieli aus der Surselva; die Cham-

19 pell, Travers, Planta, Sain z, Stupaun aus dem Engadin. Der Sieger au der Calvcn, Bouedikt Fontana, war im Oberhalbstoin beheimatet, der noch berühmtere Jürg Jeriatsch iu Samaden.

Eine entscheidende Wendung vollzieht sich im 16. Jahrhundert. Im Vollbewusstsein ihrer mit zäher Energie auf dem Schlachtfeld und durch diplomatische Verhandlungen errungenen Unabhängigkeit vom Ausland fanden Bätoromanen den Mut, ihr bisher nur in mündlicher Eede verwendetes Idiom von nun an als Schrift- und Urkundensprache an Stelle des Lateins und Deutschen zu verwenden. Im Jahre 1527 schildert in einem historischen Gedicht der Humanist und Staatsmann Gian Travers, der in mehr als einer Hinsicht als Persönlichkeit an den Berner Zeitgenossen Nildaus Manuel erinnert, den Verlauf des Müsserkrieges in seiner angestammten oberengadinischen Mundart. Dreiundzwanzig Jahre später wagt Giachen B i f r u n aus Samaden eine meisterhafte Übersetzung des Neuen Testaments; 1562 überträgt der Unterengadiner Durich Champell die Psalmen in kraftvolle unterengadinische Verse. Anfangs des 17. Jahrhunderts erscheint auch das Eheinische Bünden, die Sur- und Sutselva auf dem Plan mit einer bedeutenden Übersetzung des Neuen Testaments und mit religiösen Unterweisungsschriften.

Dass im 16. Jahrhundert nicht eine romanische Schriftsprache zum Durchbruch gekommen. ist, sondern deren zwei, das Engadinische und das Surselvische, hängt wohl in letzter Linie mit der Glaubensspaltung zusammen.

Wesentlich aber bleibt, dass seit 400 Jahren .der D o r f a m m a n n zu seinen M i t b ü r g e r n , der P f a r r e r zu seiner Gemeinde, der Lehrer zu seinen Schülern, der Dichter und Sänger zu seinem Volke in der Schriftsprache redet. Im 19. Jahrhundert ragen empor in der Surselva der weitblickende Naturforscher Placidus a Spescha, der hervorragende Epiker seiner Heimat, Giachen Chasper Muoth, die begabten Erzähler Giachen Michel Nay und Gian Fontana, die Lyriker Gion Antoni Huonder, Alfons Tuor und P. Maurus Carnot, im Engadin stehen in vorderster Eeihe der mit seinem Tal aufs engste verwachsene Simon Caratsch, der weltoffene Gian Fadri Caderas und der seiner Kunst und seines Könnens am stärksten bewusste Peider Lansel.

Aber die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, in dem Bünden dem Fremdenverkehr die Tore weit öffnet, verschärft zugleich die Gefahren
für den Bestand des Eätoromanentums, dessen einstige dominierende Stellung im selbständigen Alt Fry Eätien durch den Anschluss des Landes an die grossräumige Eidgenossenschaft 1803 bereits eine sehr empfindliche Einbusse erfahren hatte.

Wenn im Jahre 1900 das Bomanentum -- trotz der starken Zuwanderung aus dem Unterland in Chur, Davos, Arosa, Thusis, St. Moritz ·--· immer noch mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachte, so repräsentierte es im Eahmen der Eidgenossenschaft wenig mehr als ein Prozent. Vor der immer ' mehr anschwellenden fremdsprachigen Einwanderung, welche die jahrhundertealten Überlieferungen, die einheimische Sprache und Kultur, die charakteristischen Hausbauten und die Dorfbräuche aufs schwerste gefährdet, erwacht

20 nun unter der Leitung einsichtiger Männer das alte Selbstbewusstsein der Bomanen. Mit tiefer Ergriffenheit verfolgt der anderssprachige Eidgenosse diesen mit vornehmen Mitteln geführten Kampf von jung und alt um das Becht auf Bewahrung jahrhundertealten Eigenlebens im Bahmen der schweizerischen Demokratie. Die Fäden dieser rätoromanischen Benaissancebewegung laufen zusammen in der von Giachen Conrad umsichtig geleiteten Lia Bumantscha, die unermüdlich für Erhaltung und Ausbau der Heimatsprache in der Volksschule, in der religiösen Unterweisung und im innerdörflichen Verkehr eintritt. Für einen gründlichen Unterricht in der Schriftsprache werden Grammatiken und Wörterbücher bereitgestellt, die den Bedürfnissen des modernen Lebens entsprechen und die Werke der bedeutenden Dichter und Erzähler durch billige Ausgaben jeder romanischen Familie zugänglich gemacht; den Lehrern erteilt der Kanton Graubünden besondere Ferienkurse, um die ihnen auferlegte schwere Aufgabe zu erleichtern, in der doppelsprachigen Primarschule die Schüler mit ihrer Muttersprache vertraut zu machen, aber sie auch ins Deutsche einzuführen.

Die Verfassung des Kantons Graubünden von 1892/94 enthält in ihrem Art. 46 folgende Bestimmung: «Die drei Sprachen des Kantons sind als Landessprachen gewährleistet.» Die gleiche Bestimmung fand sich als Art. 50 schon in der Verfassung vom 23. Mai 1880, während die frühern Kantonsverfassungen von 1820 und 1854 sich über die Sprachen des Landes ausschweigen. Nach der geltenden Praxis werden die sogenannten Grossratsabschiede und die Gesetzesvorlagen regelmässig ins Oberländer-Bomanische übersetzt und gedruckt. Die Übersetzungen haben amtlichen Charakter. Doch wird vom Grossen Bat nur der deutsche Text beraten und festgestellt, weshalb nur diesem allein authentische Bedeutung zukommt. In rätoromanischer Sprache verfasste Zuschriften und Eingaben werden von den kantonalen Behörden ohne weiteres entgegengenommen, in der Begel aber in deutscher Sprache beantwortet, sofern nicht angenommen werden muss, dass der Empfänger des Deutschen nicht mächtig sei. Über die Stellung des Bätoromanischen im Gerichtsverfahren bestehen keine gesetzlichen Vorschriften. Die Gerichte in den romanischen Landesteilen, das Kantonsgericht und das Kantonsverhöramt nehmen ro' manische Akten und Eingaben entgegen. Beim
Kantonsgericht werden in romanischen Appellationsfällen die Urteile ins Deutsche übersetzt und die Kosten den Parteien belastet, was jedoch geändert werden soll. Die Anwälte halten vor Gericht ihre Vorträge in der Begel deutsch, auch vor den romanischen Gerichten, wo es ihnen freistehen würde, in romanischer Sprache zu plädieren.

An den Schulen wird der Unterricht während der ersten vier Jahre romanisch erteilt. Mit dem fünften Schuljahr beginnt der Deutschunterricht. Doch steht es den gemeindlichen Schulbehörden frei, mit dem letztem schon im vierten Schuljahr einzusetzen. Wir können leider die Feststellung nicht unterdrücken, dass während längerer Zeit die Schule selbst in den rätoromanischen Landesteilen sich an der Pflege der Muttersprache schwer versündigt hat. Machten sich doch Ende des letzten und noch im Anfang dieses Jahrhunderts mit

21 Erfolg Bestrebungen geltend, das Bätoromar ische ganz aus der Schulstube zu verdrängen. Das erfrischende Lenzeserwachen, das im zweiten und dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts die Rätoromanen erfasste und sie zu neuer kraftvoller Besinnung auf ihre Muttersprache und zu deren Verteidigung aufrief, hat die rätoromanische Sprache auf allen Stufen des Unterrichts, von der Primär- bis zur Kantonsschule, wieder in. ihre Eechte eingesetzt. Wir zweifeln nicht daran, dass diese erfreulichen Bestrebungen durch die bundesrechtliche Anerkennung des Rätoromanischen noch einen weitern Auftrieb erfahren werden, was wir lebhaft begrüssen. Denn die Sorge für die Erhaltung und Kräftigung der bodenständigen Kultur in den rätoromanischen wie auch in den italienischen Talschaften Bündens liegt nicht in erster Linie beim Bund, sondern beim Kanton, dem einzigen, der ähnli;h wie die grössere Eidgenossenschaft den Beichtum dreier verschiedener Sprachen und Kulturen in seinen Grenzen umhegt.

IV.

Revision des Art. 116 der Bundesverfassung.

Nachdem feststeht, dass das Bätoromanische eine selbständige Sprache eigener Prägung darstellt, erscheint es nicht rr.ehr schwer, aus dieser Tatsache die folgerichtigen Schlüsse zu ziehen. Der Umstand, dass nur 44 000 Schweizer, also kaum ein Hundertstel unserer GesamtbeTÖlkerung, der rätoromanischen Sprache angehören, darf uns nicht daran hindern, dieser Sprache das von ihr geförderte Becht der verfassungsmässigen Anerkennung zu gewähren. Für uns kann nur die Tatsache massgebend sein, dass ein eidgenössischer Volksstamm das Kätoromanische als seine Muttersprache spricht und dass diese seine Muttersprache mit einem Stück schweizerischer Erde wurzelstark verbunden ist. Die Erscheinung, dass ein kleines Volk in den Bündner Bergen durch lange Jahrhunderte die Kraft aufbrachte, ohne Anschluss an eine grosse Kultur- und Weltsprache sein eigenes Idiom zu behaupten und erfolgreich zu verteidigen, ja sogar zu hochentwickelte]: Schriftsprache und Literatur auszubauen, fordert zur Bewunderung herauü. Diese Sprache rechtlich anzuerkennen und ihre Erhaltung zu fördern, entspricht einer Forderung vornehmsten geistigen Heimatschutzes. Gerade die Tatsache, dass es sich um die Erhaltung einer Sprache handelt, die nur von einem kleinen Teil unseres Volkes gesprochen wird, erscheint uns als Grund
besonderer Verpflichtung des Landes. Wenn andere Staaten aus der Gemeinschaft der Sprache sich bildeten und in der Einheit der Sprache eine Säule ihrer Kraft erblicken, so entspricht es der Eigenart unseres eidgenössischen Staatsgedankens, seine Grosse in der Zusammenfassung, im Zusammer leben und im Zusammenklingen all jener Sprachen zu finden, die mit der schweizerischen Erde verwachsen sind und zum sprachlichen Erbgut unserer Nation gehören. Der Beichtum unseres nationalen Lebens wurzelt in der Vi älgestaltigkeit unseres geistigen Besitzes und in der freien Entfaltung der veischiedenartigên Kräfte, die das Geistesleben unseres Landes befruchten. Deshalb liegt es in der geraden Linie

22 des eidgenössischen Staatsgedankens, auch dem kleinsten schweizerischen Sprachgebiet die gleiche Freiheit und das gleiche Eecht einzuräumen wie don andern Sprachen des Landes.

Freilich sind der tatsächlichen und juristischen Auswirkung des gleichen Eechtes durch die realen Verhältnisse gewisse Grenzen gezogen. Wollten wir das Eätoromanische als Amtssprache des Bundes mit den drei andern Landessprachen in gleiche Linie stellen, so müsste dies eine personelle und finanzielle Mehrbelastung der Bundesverwaltung und des Bundeshaushaltes nach sich ziehen, die zu dem angestrebten Ziel in keinem angemessenen Verhältnis stehen könnte. Eine solche Lösung würde sogar über das hinausgehen, was der Kanton Graubünden selbst seinen Bürgern rätoromanischer Sprache einräumt. Eine Anerkennung des Eätoromanischen als Amtssprache des Bundes mit allen daraus fliessenden Folgerungen müsste auch über den Eahmen der Billigkeit und Notwendigkeit hinausschiessen. Denn es gibt wohl keine Bätoromanen, die nicht auch einer andern Nationalsprache mächtig und deshalb z. B. in der Lage sind, mit den Bundesbehörden in einer der andern drei Nationalsprachen zu verkehren. Erst recht trifft das zu für jene Männer, die dazu berufen werden, das rätoromanische Volk in eidgenössischen Behörden zu vertreten. Darin liegt ja gerade etwas Grosses und Bewunderungswürdiges, dass die rätoromanischen Völkerschaften es verstanden haben, auf ihrer Scholle wie in fremden Landen ihre einzigartige Muttersprache zu bewahren und doch mit den grossen Weltsprachen in lebendiger Verbindung zu bleiben. Es hätte daher gar keinen Zweck und würde ein vernünftiges Mass überschreiten, wenn wir den Kreis der für den Bund geltenden Amtssprachen auf das Eätoromanische ausdehnen wollten.

Die Eätoromanen selbst wie der Grosse und Kleine Eat von Graubünden sind sich denn auch der Macht dieser realen Verhältnisse durchaus bewusst.

Ihr Begehren hält sich in massvollen Grenzen. Der Kleine Eat von Graubünden selbst weist in seiner Eingabe nachdrücklich darauf hin, zu welchen Unzukömmlichkeiten es führen müsste, wenn das Eätoromanische in die Eechte einer vom Staatsrecht des Bundes anerkannten Amtssprache treten sollte.

Er verlangt deshalb nur die Anerkennung des Eätoromanischen als Nationalspraehe, während der Kreis der Amtssprachen wie bisher ausdrücklich auf
das Deutsche, Französische und Italienische beschränkt bleiben soll.

Aber damit stellt sich zugleich auch das erste Bedenken, das im Hinblick auf eine friedliche Zukunftsentwicklung gewissenhafte Prüfung fordert. Unser Bundesrecht kannte bisher für die Ordnung der sprachlichen Verhältnisse nur einen einzigen Begriff: den Begriff der Nationalsprache. Die Auslegung dieses Begriffes erstreckte sich ohne weiteres auf sämtliche als Nationalsprachen anerkannten Sprachen. Diese Ordnung bildete wohl, neben tieferliegenden mächtigeren Motiven, einen Grund dafür, dass unsere Geschichte seit Bestehen des Buudesstaates nie einen Sprachenstreit oder auch nur wesentliche Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Sprachenartikels gesehen hat. Steht nicht zu befürchten, dass nach der vorgesehenen verfassungs-

23 rechtlichen Unterscheidung von National- und Amtssprachen, deren Kreise sich nur teilweise decken, die Gefahr von Auseinandersetzungen über die Auslegung der beiden Begriffe sich auf tut? Und trägt nicht ein Staat von der Eigenart unseres Landes, dessen Volk in verschiedenen Zungen spricht, mehr als ein anderer die verantwortungsvolle Verpflichtung, irgendwelchen Sprachstreitigkeiten von allem Anfang an Vorzubeugen? Von dieser Sorge bewegt, kommt Prof. Fleiner in einem Artikel der «Neuen Zürcher Zeitung», den der Kleine Eat von Graubünden seiner Eingabe als Beilage mitgegeben hat (NZZ 1931, Nrn. 589 und 590), zum Schluss, es sei von einer Revision des Art. 116 der Bundesverfassung Umgang zu nehmen uni dafür ein Bundesbeschluss betreffend Förderung und Unterstützung der rätoromanischen Sprache und Kultur zu erlassen. Diesem Vorschlag muss jedoch entgegengehalten werden, dass die seit seinem Erscheinen erfolgte Kundgebung des Bündner Grossen Eates und die auf dieser Kundgebung fassende Eingabe des Kleinen Eates von Graubünden nicht auf den Erlass eines solchen Bundesbeschlusses, sondern ausdrücklich auf die verfassungsrechtliche Anerkennung des Eätoromanischen als Nationalsprache hinzielen. In einem Bundesbeschluss könnte das Rätoromanische weder als eine National- noch als eine Hauptsprache der Schweiz bezeichnet werden, da der Bundesbeschluss an. die Feststellung in Art. 116 der Bundesverfassung gebunden wäre und sich nicht zur Verfassung in einen Widerspruch stellen dürfte. Damit würde aber die verfassungsrechtliche Zurücksetzung ihrer Sprache, über die unsere Eätoromanen sich beklagen, nicht beseitigt, vielleicht eher noch unterstrichen. Die Bündner legen das Hauptgewicht ihrer Begehren heute nicht auf die materielle direkte und indirekte Förderung, sondern auf eine ideelle, möglichst feierliche Anerkennung ihrer Sprache. Wir teilen deshalb die vom frühern Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, Herrn a. Bundesrat Dr. H. Häberlin, dem unser Departement des Innern diese Fragen zur Begutachtung vorlegte, vertretene Auffassung, dass der blosse Erlass eines Bundesbeschlusses den berechtigten Wünschen der rätoromanischen Bündner nicht zu genügen vermöchte. «Die aus der Ehäzünser Versammlung hervorgegangene Anrufung der Eidgenossenschaft will», so schreibt a. Bandesrat Häberlin
in seinem Gutachten, «die rätoromanische Sprache in der Bundesverfassung als schweizerische Sprache genannt sehen. Und während früher die Pflege der romanischen Schriftsprache eine Angelegenheit der Gelehrten oder doch der gebildeten Stände war, müssen wir uns klar sein, dass wir beute nicht eine gelehrte Liebhaberei, nicht eine Subventionsspekulation, nicht eine regionale Überheblichkeit vor uns haben, sondern ein gemeinbündnerisches Volksbegehren, welches durch die staatsrechtlichen Instanzen hindurch den Weg zum Volk der Eidgenossen sucht.» Uns scheint, die Eätoromanen haben mit ihrem Begehren den Weg zur Seele der Eidgenossen auch schon gefunden. Wohl noch selten hat eine Forderung auf Verfassungsrevision im ganzen Schweizervolk und in allen Teilen des Landes einen derart unmittelbaren und warmen Wiederhall ausgelöst wie der Aufruf der bündnerischen Rätoromanen auf Anerkennung

24

ihrer Sprache. Unser Volk spürte den frischen Hauch einer Bewegung, die für die Erhaltung köstlichen eidgenössischen Geistesgutes aufruft : für das Recht, dio Freiheit und den Bestand einer Sprache, die ein wackerer eidgenössischer Volksstamm seine Muttersprache nennt und die er als heiliges Vermächtnis einer langen Kette von Geschlechtern ehrt und liebt!

Wäre es angesichts solch erfreulicher Aufwallung der Seele unseres Volkes nicht eine Sünde, wenn wir uns im Hinblick auf allfällige zukünftige Interpretationsschwierigkeiten einer kleinlichen Ängstlichkeit hingeben und der Versuchung erliegen wollten, solche Möglichkeiten zum voraus sorgfältig zu sezieren? Wir haben im zweiten Abschnitt dieser Botschaft dargelegt, wie in der Tagsatzung von 1848 für den Artikel 109 zuerst eine präzisere Fassung beschlossen worden war, wie dann aber die Redaktionskommission den Schritt zu einer einfachem und weit elastischeren Lösung wagte. Das Vorgehen der Schöpfer unserer ersten Bundesverfassung und die seitherigen Erfahrungen berechtigen uns, auch an die Erfüllung des vorliegenden Begehrens der Regierung von Graubünden mit ruhigem Vertrauen heranzutreten. Übrigens dürfte es bei gutem Willen nicht schwer sein, in der Praxis für die Auslegung des neuen Artikels einen guten und vernünftigen Weg zu gehen, dies um so leichter, als die Bündner Regierung in der Begründung ihres Begehrens selbst weitgehend die Grenzen abgesteckt hat.

Wir haben uns mit dem Kleinen Rat von Graubünden auf folgende Fassung des neuen Artikels 116 geeinigt: Das Deutsche, Französische, Italienische und Rätoromanische sind die Nationalsprachen der Schweiz.

Als Amtssprachen des Bundes werden das Deutsche, Französische und Italienische erklärt.

Dem ersten Absatz des neuen Art. 116 kommt unseres Erachtens lediglich der Charakter einer Feststellung zu. Das Rätoromanische wird, auf gleicher Linie mit dem Deutschen, Französischen und Italienischen, feierlich als eine der schweizerischen Sprachen anerkannt, als eigene, selbständige Sprache, als Sprache eigener Prägung und eigenen Rechtes. Unter Nationalsprache verstehen wir eine jener Sprachen, die von der schweizerischen Nation gesprochen und geschrieben und als solche von der Bundesverfassung anerkannt werden.

Dagegen wird im zweiten Absatz der Kreis der A m t s s p r a c h e wie bisher auf das
Deutsche, Französische und Italienische beschränkt. Es wird somit im Bereich der Amtssprachen am bisherigen rechtlichen und tatsächlichen Zustand nichts geändert. Wo in bestehenden Gesetzen, Verordnungen und Reglementen von den Nationalsprachen die Rede ist, sind die bezüglichen Bestimmungen inskünftig dem neuen Begriff der Amtssprachen zu unterstellen und in diesem Sinne auszulegen und anzuwenden. Wir geben mit unserer Fassung, in Anlehnung an den Wortlaut des bestehenden Art. 116, in Abweichung vom ursprünglichen Vorschlag der Bündner Regierung, einer Lösung den Vorzug, die wie bisher das Deutsche, Französische und Italienische

25 als Amtssprachen des B u n d e s erklärt. Nach dem Bündner Vorschlag würde der zweite Satz lauten: «Offizielle Sprachen sind das Deutsche, Französische und Italienische.» Wir möchten uns in enger Anlehnung an die bisherige Ordnung darauf beschränken, die Sprachenfrage für den Bund zu regeln.

Die innerkantonale Regelung in mehrsprachigen Kantonen soll wie bisher dem kantonalen Recht überlassen bleiben.

Da das Rätoromanische -wohl als National-, nicht aber als Amtssprache des Bundes erklärt wird, verliert die zweite Schwierigkeit, die bei Behandlung des bündnerischen Begehrens zu prüfen war, erheblich an Bedeutung. Diese Schwierigkeit ergibt sich aus dem Umstand, dass wir nicht einer einheitlichen rätoromanischen Sprache, sondern verschiedenen Dialekten und selbst verschiedenen romanischen Schriftsprachen gegenüberstehen. Die Vielgestalt der rätoromanischen Idiome wäre in der Tai von wesentlicher Bedeutung, wenn es sich darum handeln würde, das Rätoromanische irgendwie mit den Rechten einer eidgenössischen Amtssprache auszurüsten. Da wir hievon Umgang nehmen, können wir auch darauf verzichten, näher darauf einzutreten, welche der rätoromanischen Schriftsprachen zu berücksichtigen wären. Die Anerkennung des Rätoromanischen als Nationalsprache bezieht sich auf die rätoromanische Sprache als Sammelbegriff dei: verschiedenen in Graubünden gesprochenen und geschriebenen romanischen Idiome. Wenn, wie das bisher schon wiederholt vorgekommen ist, wichtige eidgenössische Gesetzeserlasse ins Rätoromanische übertragen werden sollen, werden wir es der Verständigung mit der Regierung von Graubünden überlassen dürfen, von Fall zu Fall festzustellen, in welche der rätoromanischen Schriftsprachen die Übersetzung erfolgen soll. Und sollte schliesslich, nach dies.er oder einer andern Richtung, die Auslegung und Anwendung des neuen Art. 116 auf merkliche Schwierigkeiten stossen, so stände immer noch der Weg offen, durch das Mittel der Gesetzgebung in ihren verschiedenen Formen die erforderliche Klarheit zu schaffen.

V.

Die weitern Begehren des Kleinen Rates von Graubünden.

Wir stellen Ihnen somit den Antrag, dem Hauptbegehren des Kleinen Rates von Graubünden auf Revision des Art. 116 der Bundesverfassung im Sinne der vorstehenden Ausführungen zu entsprechen. Dieses Hauptbegehren ist in der Eingabe des Kleinen
Rates von einer Reihe weiterer Begehren begleitet, zu denen wir uns noch kurz äussern möchten. Die Begehren der Bündner Regierung lassen sich, soweit sie nicht bereits behandelt sind, in folgende drei Punkte zusammenfassen: 1. Die Eidgenossenschaft soll sich damit einverstanden erklären, dass einzelne grundlegende Gesetze auch in Zukunft ins Romanische übersetzt werden und dass dieses auch entsprechend berücksichtigt werde in bezug auf die Nomenklatur, bei In- und Aufschriften usw. Die bezüglichen Richtlinien sollen in einer besondern Verordnung festgelegt werden.

26 2. Wenn in den vor Verwaltungs- und Gerichtsinstanzen des Bundes schwebenden Verfahren romanische Akten eingelegt werden, die übersetzt werden müssen, sollen die bezüglichen Kosten die Partei nicht besonders belasten.

3. Die Eidgenossenschaft wolle beitragen,. die nötigen Mittel flüssig zu machen, um die verschiedenen Wörterbücher und das Idiotikon sukzessive nach Massgabe ihrer Druckreife drucken lassen zu können. Sie wird weiterhin die Bestrebungen der Ligia Eomontscha zur Erhaltung und Förderung der romanischen Sprache wirksam unterstützen.

Diese weitern Begehren können rechtlich nicht im Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Verfassungsrevision behandelt werden. Ihre Erfüllung liegt übrigens zum grössten Teil im Eahmen von Verwaltungsakten und in der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden oder der Bundesversammlung.

Wir können uns deshalb an dieser Stelle auf einige kurze Bemerkungen beschränken, die Ihnen dartun sollen, wie wir uns das weitere Vorgehen vorstellen.

Wie wir oben mitgeteilt, wurden schon bisher mit Unterstützung des Bundes einzelne der bedeutendsten Bundesgesetze in eine der rätoromanischen Schriftsprachen übersetzt. Wir halten selbstverständlich dafür, dass der Bund in Zukunft nicht hinter die bisherige Praxis zurückgehen darf. Der Kleine Bat von Graubünden hat auf eine Anfrage unseres Departements des Innern vorn 7. November 1985 in einer Mitteilung vom 3. Januar 1936 seine Auffassung über Gesetzesübersetzungen folgendermassen näher umschrieben: «Zur Frage der Präzisierung unseres Begehrens, wonach wichtige Gesetzeserlasse, wie z. B. die Bundesverfassung, das Zivilgesetzbuch u. a., bzw. einzelne grundlegende Gesetze auch in Zukunft ins Eomanische übersetzt werden sollen, so geht aus unserer Eingabe schon hervor, dass die Eomanen und auch der Kleine Eat nicht mehr auf dem Boden der Eingabe von 1877 stehen, wonach der Bund für alle Bundesgesetze, die der eidgenössischen Volksabstimmung unterstellt werden, auf seine Kosten eine Übersetzung ins Eomanische veranlassen soll. Wir sind aus Gründen praktischer, d. h. finanzieller Natur einverstanden, wenn sich diese Übersetzungen bei der Volksabstimmung bzw.

später auf die, wie oben erwähnt, grundlegenden Gesetze beschränken. Wir denken dabei vor allem an die Bundesverfassung und deren Änderungen, aber auch an das Schweizerische
Zivilgesetzbuch, Obligationenrecht, an das künftige Strafgesetzbuch, das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs oder ähnliche Gesetzwerke, welche von Bundes wegen die öffentlichen, privatrechtlichen oder strafrechtlichen Verhältnisse unseres Volkes in seiner Gesamtheit enge und grundlegend berühren. Hinsichtlich der Bundesverfassung, des Zivilgesetzbuches, des Obligationenrechtes und des0 Bundesgesetzes betreffend Schuldbetreibung und Konkurs bestehen ja bereits Übersetzungen, und in dieser Beziehung würde es sich heute lediglich noch um die Nachführung der seitherigen Änderungen auch in der romanischen Übersetzung handeln. Im

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übrigen wird es nicht gut sein, die zu übersetzenden Gesetzeserlasse endgültig und für alle Zeiten festzusetzen, indem wir ja nicht wissen, welchen Weg die Bundesgesetzgebung gehen wird. Wenn es z. B. jemals zu einer eidgenössischen Zivilprozess- oder Strafprozessordnung kommen sollte, so wären möglicherweise die Voraussetzungen ebenfalls gegeben, damit auch diese beiden Gesetze ins Bomanische übersetzt werden sollen. Aus solchen Erwägungen heraus hatten wir beantragt, es möchten in einem besondern Gesetz oder in einer Verordnung, die parallel zur Verfassungsänderung vorgelegt werden könnte, die nähern Bichtlinien fixiert werden.» Wir sind der Ansicht, dass dem Begehren des Kleinen Kates, wichtigste Bundesgesetze in eine rätoromanische Schriftsprache zu übersetzen, grundsätzlich entsprochen werden sollte. Doch sollten sich diese Übersetzungen in der Tat auf Gesetze beschränken, die das Bechtsleben des Volkes aufs engste berühren und deshalb geistiger Besitz der Allgemeinheit werden müssen. Ob diese Voraussetzungen gerade z. B. auf eine allfällige eidgenössische Ordnung des Zivil- oder Strafprozesses zutreffen würden, möchten wir doch bezweifeln.

Um unnötige Kosten zu vermeiden, sollte unseres Erachtens eine Übersetzung ins Bätoromanische in der Begel erst dann angeordnet werden, wenn das betreffende Gesetz in Bechtskraft erwachsen ist. Da darüber, dass das Bätoromanische nicht Amtssprache des Bundes werden soll, Übereinstimmung herrscht, erscheint es selbstverständlich, dass die Übersetzung wohl amtlich herausgegeben würde, dass ihr aber nicht der Charakter eines authentischen Urtextes zugebilligt werden kann. Damit finden wir uns in Übereinstimmung mit der Praxis, die der Kanton Graubünden für seine eigene Gesetzgebung zur Anwendung bringt. In bezug auf die Kosten der Übersetzungen vertreten wir die Auffassung, dass diese wenigstens vorläufig, d. h. solange die finanzielle Lage des Bundes sich nicht wesentlich gebessert hat, nicht dem Bund allein belastet werden können. Wir denken z. B. an eine Lösung, wonach der Bund in der Begel zwei, der Kanton Graubünden einen Drittel der Kosten übernehmen würde. Dagegen halten wir den Erlass eines Gesetzes oder einer Verordnung über die Bichtlinien, die für die Anordnung und Durchführung von Gesetzesübersetzungen gelten sollten, als unzweckmässig oder zum
mindesten im gegenwärtigen Zeitpunkt als verfrüht. Es würde z. B., wie die Bündner Begierung selbst zugibt, ausserordentlich schwer halten, den Kreis der zu übersetzenden Gesetze zum voraus abschliessend zu umschreiben. Uns scheint, es sei zweckmässiger, die Erfüllung der gestellten Nebenbegehren in ihrer Gesamtheit zunächst einmal vertrauensvoll der Praxis anheimzugeben und abzuwarten, ob sich in der Folge der Erlass eines Gesetzes oder einer Verordnung doch noch als notwendig erweisen sollte. Gerade auf diesem Gebiete ist es wohl besser, sich nicht zum voraus in die engen Maschen gesetzlicher Vorschriften verstricken zu lassen, um dem freien Spiel des Lebens und seiner wirklichen Bedürfnisse grössern Wirkungsraum zu geben.

Diese Bemerkung gilt namentlich auch dem Begehren der Begierung von Graubünden in bezug auf die Nomenklatur, In- und Aufschriften. In der oben

28 erwähnten Zuschrift vom 3. Januar 1936 betont der Kleine Eat neuerdings, dass er auf die Berücksichtigung der romanischen bzw. auch der romanischen Namengebung in romanischen oder sprachlich gemischten Gebieten seines Kantons in Grundbüchern, Kartenwerken, Fahrplänen und Kursbüchern der eidgenössischen Post, sowie auf Affichen und Tafeln aller Art grosse Bedeutung lege, ebenso hinsichtlich der Inschriften der eidgenössischen Post, des Zolles und der Militärverwaltung in den genannten Gebieten. Wir zögern nicht, die Erklärung abzugeben, dass wir mit dieser Forderung grundsätzlich einig gehen und ihre Berechtigung grundsätzlich anerkennen. Denn es müsste in der Tat als ein Widerspruch erscheinen, wenn wir das Eätoromanische feierlich als eine der vier schweizerischen Nationalsprachen feststellen, ihm gleichzeitig aber z. B. das Eecht rätoromanischer Ortsbezeichnungen vorenthalten wollten. Aber die an sich berechtigten Forderungen lassen sich nicht von einem Tag auf den andern erfüllen. Es muss hier unter vorsichtiger und allseitiger Würdigung der realen Verhältnisse schrittweise vorgegangen werden, wenn nicht allgemeine und ureigenste Bündner-Interessen Schaden leiden sollen. Wir denken z. B. an die Interessen jener bündnerischen Zentren des Fremdenverkehrs, deren (nicht ohne Mitschuld der zunächst Beteiligten) verdeutschte Ortsnamen weltbekannt und in die internationale Reise- und Verkehrsliteratur eingegangen sind. Die Verdrängung romanischer Ortsnamen durch deutsche oder verdeutschte Bezeichnungen bildete unseres Erachtens weniger die Folge künstlicher oder gar übelgesinnter staatlicher Massnahmen als vielmehr das Ergebnis eines langsamen Prozesses fortschreitender Selbstenteignung in einer Zeit, da die Widerstandskraft des Eätoromanischen vorübergehend zu erlahmen drohte. Wir erklären uns bereit, in steter Fühlung mit den Behörden von Graubünden am schrittweisen Abbau dessen mitzuhelfen, was gemeinsam an dem in Ortsbezeichnungen aufgespeicherten rätoromanischen Sprachgut gesündigt worden ist. Die gleiche Bereitschaft bringen wir auch den andern in Ziff. l vorstehend aufgeführten Wünschen des Kleinen Eates von Graubünden entgegen.

Sodann wünscht die Bündner Eegierung, dass romanische Akten, die bei Verwaltungs- und Gerichtsbehörden des Bundes eingelegt werden, ohne Belastung der Parteien
übersetzt werden sollen, sofern sich eine Übersetzung als notwendig erweist. Das Bundesgericht hat schon in seinem Geschäftsbericht über das Jahr 1885 mitgeteilt, dass in rätoromanischer Sprache eingelegte Akten, soweit sie für die Beurteilung der zu beurteilenden Streitfrage von Bedeutung sind, zu Lasten der Geric'htskasse übersetzt werden (vgl. Salis, Bundesrecht, II S. 109, Nr. 348). Diese Praxis wurde nach unsern Erkundigungen beim Bundesgericht nie geändert. Dagegen werden die Urteile des Bundesgerichtes den romanischen Parteien in deutscher (auch schon in italienischer) Sprache zugestellt. Die der Bundesgerichtskasse aus den Übersetzungen romanischer Akten erwachsenden Kosten sollen unbedeutend sein.

Wir gedenken, die Verwaltungen des Bundes anzuweisen, inskünftig in gleicher Weise vorzugehen, wie das Bundesgericht bisher.schon vorgegangen ist. Dieser

29 Weisung soll jedoch nicht der Sinn einer endgültigen Stellungnahme zukommen.

Sie soll uns vielmehr ermöglichen, Erfahrungen zu sammeln und festzustellen, wie die finanzielle Belastung für die Verwaltungen sich auswirkt, um dann zu gegebener Zeit einen endgültigen Beschluss fassen zu können.

Das dritte Begehren des Kleinen Bâtes von Graubünden bezieht sich auf die finanzielle Unterstützung des Bundes für die Fortsetzung und Drucklegung der rätoromanischen Wörterbücher und des Idiotikons und auf den Bundesbeitrag an die Ligia Bomontscha. Wir haben oben schon dargetan, aus welchen Gründen die verschiedenen Beiträge des Bundes an die Förderung der rätoromanischen Sprache und Kultur in gleicher Weise wie alle andern Beitragsleistungen des Bundes gekürzt werden mussten. Wir halten jedoch, mit der Bündner Eegierung, dafür, dass der Bund sich vermehrten Leistungen nicht entziehen sollte, soweit diese z. B. für die Drucklegung der Wörterbücher und des Idiotikons als nötig erscheinen und ein erträgliches Mass nicht überschreiten. Die Lage der rätoromanischen Sprache und Kultur ist derart einzigartig, dass hier die mechanische Auswirkung der Finanzprogramme an den ausserordentlichen Verhältnissen und an den zu schützenden Werten ihre weise Schranke finden muss. Wir sind bereit, unter Vorbehalt der Zustimmung der eidgenössischen Bäte, die erforderlichen Beträge in den Voranschlag einzustellen. Die daraus sich ergebende Mehrbelastung des Bundeshaushaltes wird nicht von wesentlicher Bedeutung sein, und wir halten auch irgendwelche Auswirkungen auf andere Positionen des Voranschlages für ausgeschlossen.

VI.

Revision des Art. 107 der Bundesverfassung.

Nach Art. 107, Abs. l, der Bundesverfassung soll bei der Wahl der Mitglieder und Ersatzmänner des Bundesgerichtes «darauf Bedacht genommen werden, dass alle drei Nationalsprachen vertreten seien». Diese Bestimmung muss mit dem neuen Art. 116 in Einklang gebracht werden. Denn nach der neuen Fassung von Art. 116 gibt es nicht mehr drei, sondern vier Nationalsprachen. Nachdem wir Ihnen die Bevision des Art. 116 vorschlagen, fühlen wir uns, um jede Unklarheit über die Auslegung des Art. 107 und einen in die Augen springenden Mangel an Übereinstimmung auszuschalten, verpflichtet, Ihnen zugleich auch eine entsprechende Änderung des Art. 107 der Bundesverfassung zu
beantragen. Die Anpassung des Art. 107 an den neuen Art. 116 könnte theoretisch nach zwei verschiedenen Bichtungen erfolgen: Das Becht, im Bundesgericht vertreten zu sein, kann auf «alle vier Nationalsprachen» ausgedehnt oder aber auf «alle drei Amtssprachen des Bundes» klargestellt werden.

Aus der Eingabe des Kleinen Eates von Graubünden geht hervor, dass «die Eomanen auch in dieser Beziehung für die Zukunft keine weiter als bisher gehenden Forderungen stellen werden», was wir dahin auslegen, dass am bisherigen Eechtszustand für die Zusammensetzung des Bundesgerichtes nichts

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geändert werden soll. Wir folgen dieser Auffassung, indem wir beantragen, dio Terminologie des Art. 107 dur neuen Fassung des Art. 116 anzugleichen.

Darnach wird Art. 107, Abs. l, folgende Fassung erhalten müssen: Die Mitglieder des Bundesgerichts und die Ersatzmänner werden von der Bundesversammlung gewählt. Bei der Wahl derselben soll darauf Bedacht genommen werden, dass alle drei Amtssprachen des Bundes vertreten seien.

Diese Eevision ist nicht materieller, sondern bloss redaktioneller Natur.

Sie ist jedoch nötig, wenn nicht inskünftig zwischen zwei Bestimmungen der Bundesverfassung eine Diskrepanz bestehen soll. Die vorgeschlagene neue Fassung deckt sich materiell mit dem bisherigen Sinn und Inhalt der abzuändernden Bestimmung. Die Vorschrift, wonach bei der Wahl des Bundesgerichtes alle drei Nationalsprachen zu berücksichtigen seien, ist auf einen Antrag zurückzuführen, den der Tessiner Ständerat Airoldi anlässlich der Beratung der Verfassungsrevision in der Sitzung des Ständerates vom 19. Februar 1872 einbrachte. Der ursprüngliche Antrag Airoldis verlangte die Bildung dreier Abteilungen des Bundesgerichts, deren erste aus Bürgern der deutschen Schweiz, die zweite aus Bürgern der französischen und die dritte aus Bürgern der italienischen Schweiz zu bestellen wäre. Der Bundesrat widersetzte sich diesem Antrag, worauf Airoldi diesen in der Sitzung vom 21. Februar 1872 zurückzog und durch einen neuen Vorschlag ersetzte: «Le Tribunal fédéral sera composé de manière que les trois langues nationales soient représentées.» Der Ständerat stimmte dem neuen Antrag zu. Der Nationalrat lehnte diesen Zusatz ab, gab dann jedoch in der Sitzung vom 29. Februar seinen Widerstand auf, da der Ständerat wiederholt an seinem Beschluss festgehalten hatte.

Im neuen bundesrätlichen Verfassungsentwurf vom 4. Juli 1873 findet sich der Zusatz Airoldi betreffend die Vertretung der drei Nationalsprachen im Bundesgericht nicht mehr. Er wurde jedoch sowohl von der nationalrätlichen wie von der ständerätlichen Kommission wieder aufgenommen und fand schliesslich in der Sitzung vom 22. Dezember 1873 die Zustimmung des Ständerates und am 24. Januar 1874 auch jene des Nationalrates. Aus den Verhandlungen und namentlich aus den Motiven, mit denen Airoldi selbst seinen Antrag begründete, geht klar hervor, dass dem Antragsteller
wie den eidgenössischen Eäten unter dem Begriff der zu berücksichtigenden Nationalsprachen deren Sinn als Amtssprachen vorschwebte. Man wollte Gewicht darauf legen, dass im Bundesgericht alle jene Sprachen des Landes vertreten seien, in denen eine Streitangelegenheit dem Bundesgericht vorgetragen werden kann. Nun denkt auch heute niemand daran, das Bätoromanische als Verhandlungssprache vor Bundesgericht einzuführen. Soweit es sich übrigens um Berufungsfälle handelt, wäre das vollends zwecklos, da das Kantonsgericht von Graubünden selbst auch in den im Vorverfahren vor romanischen Gerichten geführten Prozessen die Urteile in deutscher Sprache fällt und ausfertigt.

Wir beantragen deshalb, es beim bisherigen Eechtszustand bewenden zu

31 lassen und, entsprechend dem bisherigen Sinn und Inhalt des Art. 107, die Bestimmung betreffend Berücksichtigung der Sprachen bei der Wahl des Bundesgerichtes durch entsprechende formelle Änderung der Fassung des neuen Art. 116 anzupassen.

VII.

Schlussbemerkungen.

Wir sind uns wohl bewusst, dass die Verfassungsrevision, die wir Ihnen zur Beschlussesfassung vorlegen, an sich nicht hinreichend ist, um das Problem der Erhaltung der rätoromanischen Sprache zu lösen. Die Erhaltung, Förderung und Verteidigung seines altehrwürdigen Sprachgutes bleibt nach wie vor in erster Linie eine edle Aufgabe und Pflicht des rätoromanischen Volkes und des eidgenössischen Standes Graubünden. Aber die Verankerung ihrer Sprache in der Verfassung des Bundes, ihre feierliche Anerkennung als schweizerische Nationalsprache wird den Bestrebungen der Eätoromanen eine mächtige Stütze leihen. Wenn das Schweizervolk und die eidgenössischen Stände der feierlichen Anerkennung des Eätoromanischen ilare Zustimmung geben, woran wir keinen Augenblick zweifeln, so wird diese machtvolle Kundgebung den Eätoromanen neuerdings zum Bewusstsein bringen, dass sie in der Verteidigung ihres uralten geistigen Besitzes, ihrer weit über tausendjährigen Sprache und Kultur nicht allein stehen. Dem gesamten schweizerischen Volk aber, das wir zu jener Kundgebung aufrufen möchten, wird das zähe Eingen der wackern Eätoromanen für die Erhaltung ihrer angestammten Muttersprache die Tatsache in Erinnerung rufen, dass über den materiellen Gütern die geistigen Werte stehen und dass sich uns die Pflicht stellt, neben und über dem wirtschaftlichen Wohlstand des Landes auch seinen vielgestaltigen geistigen Eeichtum zu verteidigen.

Wir bitten Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, dem nachstehenden Beschlussesentwurf zuzustimmen und den Ausdruck unserer vollkommenen Hochachtung entgegenzunehmen.

Bern, den 1. Juni 1937.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Motta.

Der Bundeskanzler: 0. Bovet.

32 (Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Revision der Art. 107 und 116 der Bundesverfassung (Anerkennung des Rätoromanischen als Nationalsprache).

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Eingabe des Kleinen Eates des Kantons Graubünden vom 21. September 1935 und der Botschaft des Bundesrates vom 1. Juni 1987, beschliesst:

Art. 1.

Art. 107 der Bundesverfassung wird aufgehoben und durch folgende Bestimmung ersetzt: Art. 107. Die Mitglieder des Bundesgerichts und die Ersatzmänner werden von der Bundesversammlung gewählt. Bei der Wahl derselben soll darauf Bedacht genommen werden, dass alle drei Amtssprachen des Bundes vertreten seien.

Das Gesetz bestimmt die Organisation des Bundesgerichts und seiner Abteilungen, die Zahl der Mitglieder und Ersatzmänner, deren Amtsdauer und Besoldung.

Art. 2.

Art. 116 der Bundesverfassung wird aufgehoben und durch folgende Bestimmung ersetzt: Art. 116. Das Deutsche, Französische, Italienische und Eätoromanische sind die Nationalsprachen der Schweiz.

Als Amtssprachen des Bundes werden das Deutsche, Französische und Italienische erklärt.

Art. 3.

Dieser Beschluss wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet.

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Anerkennung des Rätoromanischen als Nationalsprache. (Vom 1. Juni 1937.)

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