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Bundesblatt 89. Jahrgang.

Bern, den 22. September 1987.

Band III.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren für die Abänderung des fakultativen Referendums (Revision von Art. 89, Abs. 2, der Bundesverfassung).

(Arorn 14. September 1987.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Mit Sehlussnahme vom 25. September/6. Oktober 1936 haben Sie uns das am 26. August 1936 durch das Sekretariat der kommunistischen Partei der Schweiz eingereichte, von 53 416 gültigen Unterschriften unterstützte Volksbegehren für Abänderung von Art. 89, Abs. 2, der Bundesverfassung .zur materiellen Berichterstattung überwiesen. Wir beehren uns, mit nachfolgenden Ausführungen zu diesem Volksbegehren Stellung zu nehmen.

Der jetzt geltende Art. 89, Abs. 2, der Bundesverfassung lautet: «Bundesgesetze, sowie allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse, die nicht dringlicher Natur sind, sollen überdies dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt Werden, wenn es von 30 000 stimmberechtigten Schweizerbürgern oder von ·8 Kantonen verlangt wird.» Durch die vorliegende Initiative wird vorgeschlagen: «Art. 89 der Bundesverfassung, Ziffer 2, erhält folgenden Wortlaut : Sämtliche Bundesgesetze sowie allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse sollen ·dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn es von 30 000 stimmberechtigten Schweizerbürgern oder von 8 Kantonen verlangt wird.

Der Volksabstimmung dürfen nur solche Beschlüsse und Bundesgesetze entzogen werden, die im Interesse des werktätigen Volkes liegen und wenn das von den ·eidgenossischen Bäten mit 3/i der anwesenden Mitglieder beschlossen wird.»

Die Initiative will die Möglichkeit, einen allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss dringlich zu erklären, und damit die Unterscheidung zwischen dringlichen und nicht dringlichen Bundesbeschlüssen beseitigen. Anderseits will sie aber die Möglichkeit einführen, durch eine Klausel des «Interesses des werktätigen Volkes» Bundesgesetze und allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse dem Eeferendum zu entziehen.

Bundesblatt.

89. Jahrg. Bd. III.

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In unserem Bericht vom 11. September 1936 über das Zustandekommen der Initiative wurde sie entsprechend der ihr von den Initianten gegebenen Bezeichnung «Volksbegehren gegen die dringlichen Bundesbeschlüsse und zur Wahrung der demokratischen Volksrechte» betitelt. Die materielle Prüfung hat ergeben, dass diese Bezeichnung irreführend ist und dass es richtiger ist, den Titel «Volksbegehren für die Abänderung des fakultativen Eeferendums (Eevision von Art. 89, Abs. 2, der Bundesverfassung)» zu -wählen.

Zum Wortlaut des Volksbegehrens ist zu bemerken, dass es im Ingress statt « Z i f f e r 2» richtigerweise « A b s a t z 2» des Art. 89 der Bundesverfassung heissen soll (wie dies im italienischen Text schon der Fall ist). Der bisherige Abs. 2 dieses Artikels würde durch die vorgeschlagenen zwei Absätze ersetzt, von denen der eine den bisherigen Text unter Streichung der Worte «die nicht dringlicher Natur sind» wiedergibt (die Beifügung des Wortes «sämtliche» ist rein redaktioneller Natur), während der andere die neue Ausnahme vom Eeferendum einführen will. Die Bestimmung über das Dreiviertelmehr ist offenbar in dem Sinne zu verstehen, dass dieses qualifizierte Mehr erforderlich wäre für die Schlussnahme, die ein Bundesgesetz oder einen allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss als «im Interesse des werktätigen Volkes liegend» erklärt und der Volksabstimmung entzieht.

Die Formel «im Interesse des werktätigen Volkes liegend» ist jedenfalls der Gedankenwelt eines fremden Staates entlehnt, der sich für unser Verfassungsrecht nicht als Vorbild eignet, weil die dort herrschenden staatsrechtlichen Anschauungen von den schweizerischen grundverschieden sind.

Daher könnte wohl auch die dortige Auslegung des Ausdrucks «Interesse des werktätigen Volkes» für die Schweiz nicht massgebend sein. Namentlich könnte eine dort übliche Gegenüberstellung von zwei Klassen ·-- «werktätiges Volk» und übrige Staatsangehörige -- für die Schweiz nicht in Frage kommen, da bei uns der Grundsatz der Rechtsgleichheit gilt. Gibt man aber dem Begriff des Interesses des werktätigen Volkes eine weitere Auslegung, so hegt alles, was dem in Art. 2 der Bundesverfassung umschriebenen Zweck des Bundes dient, unmittelbar oder mittelbar im Interesse des werktätigen Volkes, so dass alle Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse darunter fallen würden. Dann
würde aber die Formel des Interesses des werktätigen Volkes keine inhaltliche Schranke aufstellen, sondern sie könnte auf jeglichen Erlass angewendet werden, und es würde somit ganz im Belieben der Bundesversammlung stehen, ein Gesetz oder einen allgemeinverbindlichen Beschluss der Volksabstimmung zu entziehen.

Was zunächst die Bundesgesetze anbelangt, ist daran zu erinnern, dass nach geltendem Eecht jedes Bundesgesetz ausnahmslos dem fakultativen Eeferendum unterliegt. Die gegenwärtige Initiative will dieses Volksrecht einschränken, indem sie die Bundesversammlung ermächtigt, sogar bei Erlassen der ordentlichen Gesetzgebung das fakultative Eeferendum auszuschliessen. Eine derartige Einschränkung der Volksrechte kann ernsthaft gar nicht in Erwägung gezogen werden.

Allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse unterliegen nach geltendem Eecht dem fakultativen Referendum, ausgenommen im Palle der Dringlicherklärung. Die Initiative will zwar die Dringlichkeitsklausel abschaffen, aber eine andere Ausnahmeklausel einführen. Sachlich reicht die neue Klausel viel weiter als die Dringlicherklärung, die ja die Bejahung der Dringlichkeit voraussetzt, während die neue Klausel die Ausschaltung des Eeferendums ganz in das Belieben der Bundesversammlung stellt. Im Verfahren will die Initiative allerdings eine gewisse Erschwerung einführen, insofern als jetzt für die Dringlichkeitsklausel die einfache Mehrheit der stimmenden Mitglieder in jedem von beiden Bäten genügt, während nach der Initiative die das Beferendum ausschaltende Klausel nur je mit %-Mehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden könnte. Die Möglichkeit, einen allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss der Volksabstimmung zu entziehen, auch wenn Dringlichkeit nicht vorliegt, ist abzulehnen. Es hat einen guten Sinn, das Referendum dann auszuschliessen, wenn Gefahr im Verzüge besteht, so dass ein Aufschub der Inkraftsetzung nicht zu verantworten ist. Wo aber diese Dringlichkeit fehlt, lässt sich ein Ausschluss des Eeferendums nicht rechtfertigen. Im übrigen verweisen wir auf unsere Ausführungen über Dringlichkeit und Notrecht in unserm Bericht über die Initiative für die Erweiterung der Verfassungsgerichtsbarkeit.

Aus diesen Gründen ist die Initiative abzulehnen. Wir sehen auch von einem Gegenvorschlag ab. Denn auch die Frage, ob es sich etwa empfehle, für die Dringlicherklärung von Bundesbeschlüssen das Erfordernis eines qualifizierten Mehrs einzuführen, wird eher im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Notstandsartikel einzuführen sei, geprüft werden müssen. Deshalb ist auch jene Frage nicht anlässlich der vorliegenden Initiative zu lösen.

Wir beantragen Ihnen daher, das Volksbegehren für die Abänderung des fakultativen Eeferendums sei mit dem Antrag auf Verwerfung der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 14. September 1987.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der|fVizepräsident : Baumann.

Der Bundeskanzler:

Gr. Boyet.

(Entwurf.)

Bimdesbeschluss über

das Volksbegehren für die Abänderung des fakultativen Referendums (Revision von Art. 89, Abs. 2, der Bundesverfassung).

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht des Volksbegehrens für die Abänderung des fakultativen Eeferendums (Eevision von Art. 89, Abs. 2, der Bundesverfassung) und eines Berichtes des Bundesrates vom 14. September 1937, gestützt auf Art. 121 ff. der Bundesverfassung und Art. 8 ff. des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend die Eevision der Bundesverfassung, beschliesst :

Art. 1.

Das Volksbegehren für die Abänderung des fakultativen Eeferendums (Eevision von Art. 89, Abs. 2, der Bundesverfassung) wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet. Dieses Volksbegehren lautet wie folgt : «Die Unterzeichneten, in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigten Schweizerbürger, verlangen gestützt auf Art. 121 der Bundesverfassung und auf die Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung vom 27. Januar 1892 eine Änderung der jetzt geltenden Verfassungsbestimmungen über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse: Art. 89 der Bundesverfassung, Ziff. 2, erhält folgenden Wortlaut: Sämtliche Bundesgesetze sowie allgemein verbindliche Bundesbeschlüsse sollen dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn es von 30,000 stimmberechtigten Schweizerbürgern oder von acht Kantonen verlangt wird.

Der Volksabstimmung dürfen nur solche Beschlüsse und Bundesgesetze entzogen werden, die im Interesse des werktätigen Volkes liegen und wenn das von den eidgenössischen Eäten mit Dreiviertel der anwesenden Mitglieder beschlossen wird.» Art. 2.

Dem Volke und den Ständen wird die Verwerfung des Volksbegehrens beantragt.

Art. 3.

Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Bundesbeschlusses beauftragt.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren für die Abänderung des fakultativen Referendums (Revision von Art. 89, Abs. 2, der Bundesverfassung). (Vom 14. September 1937.)

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1937

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