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Bundesblatt 89. Jahrgang.

Bern, den 15. Dezember 1987.

Band III.

Erscheint wöchentlich. Preis SO Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebnhr.

EinräcJtnngsgetühr : 50 Eappen die Petitzeile oder deren Kaum. -- Inserate franko an Stcimpfli & de. in Bern

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Yertrag mit Polen über die Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen.

(Vom 10. Dezember 1937.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiemit einen Beschlussesentwurf betreffend den Vertrag mit Polen über die Auslieferung und die Bechtshilfe in Strafsachen zu unterbreiten.

Im Jahre 1934 legte die polnische Gesandtschaft in Bern namens ihrer Begierung den Entwurf zu einem Vertrag über die Auslieferung und die Bechtshilfe in Strafsachen vor und wiederholte den schon früher geäusserten Wunsch, wir möchten in Verhandlungen über den Abschluss eines solchen Vertrages eintreten. Obschon praktisch beide Staaten sich bisher die Auslieferung in den einzelnen Fällen auf Grund von Gegenseitigkeitserklärungen zugestanden hatten, wenn nicht gesetzliche Hinderungsgründe vorlagen, glaubten wir doch, auf den Antrag der polnischen Begierung eintreten zu sollen, da die Verbrechensverfolgung beim Bestehen eines Vertrages auf sicherer Grundlage beruht und die Ausgestaltung und Handhabung des Strafrechts in Polen keine Bedenken hervorrief. Die auf schriftlichem und mündlichem Weg gepflogenen Verhandlungen führten verhältnismässig rasch zu einer Einigung, Der Vertrag wurde am 19. November 1987 in Bern von den beidseitig Bevollmächtigten unterzeichnet.

Die Artikel l bis 14 behandeln die Personenauslieferung, Artikel 15 regelt die Durchlieferung eines Verfolgten durch das Gebiet eines der Vertragstaaten, Artikel 16 die Herausgabe von Geld und Gegenständen, Artikel 17 die Strafverfolgung der nicht auszuliefernden eigenen Angehörigen des ersuchten Staates. Die Artikel 18 bis 21 beziehen sich auf die sonstige Bechtshilfe in Bundesblatt. 89. Jahrg. Bd, III.

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Strafsachen, einschliesslich des Austausches von Strafregisterauszügen. Artikel 22 behandelt die Kostenfrage und Artikel 23 die Sprachenfrage.

Was die Einzelheiten des Vertrages anbelangt, nehmen wir nur zu einigen ·wichtigeren Bestimmungen besonders Stellung.

In der Schweiz unterliegt der Auslieferungspflicht jede Person, die nicht das schweizerische Bürgerrecht besitzt. Polen liefert nicht aus seine eigenen Staatsangehörigen und diejenigen der Freien Stadt Danzig. Die Auslieferung findet statt für diejenigen Delikte, die nach dem Eecht beider Staaten strafbar sind und für welche die Auslieferung gesetzlich zulässig ist. Diese Formel 'machte die bisher übliche namentliche Aufzählung der Auslieferungsdelikte überflüssig, da sie für uns einfach zum Ausdruck bringt, dass der Deliktskatalog des Bundesgesetzes über die Auslieferung gegenüber dem Ausland vom 22. Januar 1892 auch als Katalog des Vertrages zu gelten habe. Um die Auslieferung wegen geringfügiger Straftaten auszuschliessen, wurde vereinbart, dass sie nur erfolgen solle, wenn die strafbare Handlung mit einer einjährigen oder einer schwereren Freiheitsstrafe bedroht ist oder, bei Verurteilten, wenn die Dauer der zu verbüssenden Strafe oder eines Strafrestes wenigstens sechs Monate beträgt. Die politischen Delikte und die mit solchen konnexen Straftaten sind von der Auslieferung ausgeschlossen. Da die Beurteilung der Frage, ob derartige Delikte vorliegen, einzig dem ersuchten Staate zukommt, ist es uns möglich, den Einzelfall im Sinne der bisherigen Praxis frei zu würdigen.

Von der Auslieferung ausgeschlossen sind auch, die rein militärischen und fiskalischen Delikte, ferner die Pressdelikte. Die Auslieferung findet auch dann nicht statt, wenn Verjährung nach dem Eecht des ersuchten oder des ersuchenden Staates vorliegt, oder wenn die strafbare Handlung im Gebiet des ersuchten Landes begangen wurde oder, obschon im Ausland verübt, der Gerichtsbarkeit dieses Staates vorbehalten ist.

Das Auslieferungsbegehren muss auf diplomatischem Weg gestellt werden.

Zur Begründung muss ein Haftbefehl oder ein Urteil beigebraoht werden, woraus sich die charakteristischen Merkmale der Tat, sowie der Ort und die Zeit ihrer Begehung und allenfalls die Höhe des verursachten oder beabsichtigten Schadens ergeben. Ohne den subjektiven oder objektiven Tatbestand
zu prüfen, untersucht der angesprochene Staat, ob die dem Verfolgten vorgeworfene Handlung nach seinem und dem Eecht des begehrenden Staates strafbar ist und den Tatbestand eines Auslieferungsdeliktes erfüllt. In der Eegel soll der Verfolgte in Haft genommen werden und bis zur Erledigung des Auslieferungsverfahrens verhaftet bleiben.

Der Ausgelieferte darf nur wegen der Handlungen, für welche die Auslieferung bewilligt wurde, verfolgt und bestraft werden. Wird nachträglich beabsichtigt, ihn wegen anderer, vor der Auslieferung begangener Handlungen zu verfolgen und zu bestrafen, so muss ein neues Auslieferungsbegehren gestellt werden. Der Schutz des Ausgelieferten fällt dahin, wenn er innert Monatsfrist nach Wiedererlangen seiner Freiheit das Land, an das er ausgeliefert wurde, nicht verlassen hat oder v/ieder dorthin zurückgekehrt ist. Es gereicht

439 uns zu besonderer Genugtuung, dass Polen unserem Vorschlag zugestimmt hat, eine verstärkte Sicherheitsbestimmung in den Vertrag aufzunehmen, dahinlautend, dass man sich gegenseitig auf Verlangen eine Ausfertigung des verurteilenden Erkenntnisses übergibt. Dies ermöglicht, wenigstens einigermassen zu prüfen, ob der ersuchende Staat sich an die Spezialitätsbestimmungen des Vertrages gehalten hat. Eine ähnliche Bestimmung hat, ebenfalls auf unsern Antrag hin, bereits im schweizerisch-türkischen Auslieferungsvertrag vom 1. Juni 1933 Eingang gefunden (Art. 7).

An Stelle der Nichtauslieferung der eigenen Angehörigen des ersuchten Staates soll der Täter in diesem Land, also in seinem Heimatland, strafrechtlich verfolgt werden, wenn die geltende Gesetzgebung dieses Staates eine Verfolgung zulässt. Eine verpflichtende ne bis in idem-Erklärung im Sinne von Art. 2, Abs. 2, des Bundesgesetzes über die Auslieferung von 1892 konnte Polen angesichts seiner Strafgesetzgebung leider nicht erteilen.

Die sonstige Rechtshilfe (Vornahme von Beweiserhebungen und Zustellung von Aktenstücken) ist zu gewähren, wenn die den Gegenstand eines Strafverfahrens bildenden Delikte nach dem Eecht des ersuchten Staates als gemeinrechtliche Verbrechen oder Vergehen strafbar sind. Gesuche um Vornahme von Haussuchungen und Beschlagnahmen, um Erstattung von Sachverständigenberichten und um Herausgabe von Beweisstücken brauchen nur berücksichtigt zu werden, wenn eine strafbare Handlung in Frage kommt, für die die Auslieferung bewilligt werden müsste. Für die Bechtshilfe nach den Artikeln 18 bis 21 entfällt der diplomatische Weg. Es ist vereinbart, dass in diesen Fällen das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, Polizeiabteilung, und das polnische Justizministerium unmittelbar miteinander verkehren werden.

Die Kosten der Eechtshilfe trägt grundsätzlich der Staat, auf dessen Gebiet sie entstehen. Jedoch sind die Auslagen, die aus einer Durchlieferung oder infolge einer vorübergehenden Auslieferung entstehen, vom ersuchenden Staat zu ersetzen. Auch die Entschädigungen an Sachverstandige müssen vergütet werden.

Hinsichtlich der Sprache ist vereinbart, dass die Auslieferungsbegehren, sowie die Anträge auf Vornahme von Beweiserhebungen oder auf Zustellung von Akten samt allen Beilagen von französischen Übersetzungen begleitet
sein müssen, wenn sie nicht in dieser Sprache abgefasst sind. Die Lösung ist für uns vorteilhaft, da nur diejenigen, für Polen bestimmten Begehren übersetzt werden müssen, die aus der deutschen oder italienischen Schweiz kommen.

Andererseits wird meist eine Übersetzung polnischer Begehren in die deutsche oder italienische Sprache vermieden werden können, da die französische Sprache fast allen schweizerischen Behörden verständlich ist.

In einem Schlussprotokoll wurde, um den Vorschriften unseres Auslieferungsgesetzes gerecht zu werden, festgestellt, dass kein Ausgelieferter vor ein Ausnahmegericht gestellt werden darf und dass körperliche Strafen der schweizerischen und polnischen Gesetzgebung fremd sind. Dem ausliefernden Staat wurde ausserdem das Eecht eingeräumt, den Wunsch zu äussern, dass

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die Todesstrafe im ersuchenden Land nicht angewendet oder vollzogen werde.

Natürlich wird dieser Wunsch nur ausgedrückt werden, wenn dem massgebenden Eecht des ausliefernden Staates die Todesstrafe unbekannt ist, das Eecht des ersuchenden Staates sie jedoch vorsieht.

Der Vertrag muss ratifiziert werden. Er ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit auf sechs Monate gekündigt werden.

Wir möchten Ihnen empfehlen, dem Vertrag, der mit dem Bundesgesetz über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 in Übereinstimmung steht, durch Annahme des mitfolgenden Bundesbeschlussentwurfs die Genehmigung zu erteilen.

Wir benützen diesen Anlass, um Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 10. Dezember 1937.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler: G. Bovet.

441 (Entwurf.)

Bundesbeschluss betreifend

den Vertrag zwischen der Schweiz und Polen über die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bandesrates vom 10. Dezember 1937, beschliesst : Art. 1.

Der am 19. November 1937 abgeschlossene Vertrag über die Auslieferung und die Bechtshilfe in Strafsachen zwischen der Schweiz und Polen wird genehmigt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

442 Übersetzung.

Yertrag zwischen

der Schweiz und Polen über die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen.

Der Schweizerische Bundesrat

und Der Präsident der Polnischen Republik, in der Absicht, die Verfolgung der Verbrecher zu sichern, sind übereingekommen, ihre gegenseitigen Verpflichtungen zur Leistung von Eechtshilfe in Strafsachen durch einen Vertrag zu regem, und haben zu diesem Zweck als ihre Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat Herrn Bundespräsident Giuseppe Motta, Vorsteher des Politischen Departements, Der Präsident der Polnischen Republik Herrn Jan Modzelewsld, Dr. phil., ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister von Polen in Bern, und Herrn Lucjan Bekerman, Dr. jur., Staatsanwalt am Kassationshof, welche, nach Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten nachstehende Bestimmungen vereinbart haben: Artikel 1.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten bich, sich gegenseitig, auf Verlangen, entsprechend den durch diesen Vertrag aufgestellten Vorschriften die Personen auszuliefern, welche sich auf dem Gebiet eines der beiden Teile aufhalten und von den Gerichtsbehörden des andern Teils wegen Handlungen, die nach der Gesetzgebung der beiden Teile strafbar sind und zur Auslieferung führen können, verfolgt oder verurteilt sind.

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Die Auslieferung wird auch wegen Versuchs der Begehung der genannten Straftaten und wegen jeder Art von Teilnahme bewilligt, sofern der Versuch oder die Teilnahme nach der Gesetzgebung der beiden vertragschliessenden Teile strafbar ist.

Verurteilte werden ausgeliefert, wenn die ausgesprochene Strafe oder der Eest der zu verbüssenden Strafe in Freiheitsentzug von wenigstens 6 Monaten oder in einer schwereren Strafe besteht, und Verfolgte, wenn nach der Gesetzgebung beider Teile das Höchstrnass der auf die eingeklagte Handlung anwendbaren Strafe in Freiheitsentzug von wenigstens einem Jahr oder in einer schwereren Strafe besteht.

Artikel 2.

Die Schweiz liefert ihre eigenen Staatsangehörigen nicht aus, und Polen liefert die polnischen Staatsangehörigen und diejenigen der Freien Stadt Danzig nicht aus.

Artikel 3.

Eine Pflicht zur Auslieferung besteht nicht: 1. für politische Straftaten oder für diesen konnexe Handlungen; Der ersuchte Staat ist allein zur Prüfung befugt, ob es sich um eine Straftat dieser Art handelt; 2. für rein militärische oder fiskalische Straftaten; 3. für eigentliche Pressevergehen; 4. wenn die Verfolgung oder die Strafe nach den Gesetzen des ersuchten oder des ersuchenden Staates verjährt ist; 5. wenn die strafbare Handlung auf dem Gebiet des ersuchten Staates begangen wurde, oder wenn sie im Ausland begangen wurde, ihre Verfolgung jedoch nach dem Kecht des ersuchten Staates dessen Gerichtsbarkeit vorbehalten ist; 6. wenn für die gleiche Handlung gegen die beanspruchte Person im ersuchten Staate ein Strafverfahren anhängig ist oder durch ein Urteil oder sonstwie endgültig erledigt wurde. Jedoch hindert ein freisprechendes Urteil oder eine das Verfahren einstellende Verfügung die Auslieferung nicht, wenn sie nur auf die Tatsache gestützt sind, dass die Straftat im Ausland begangen wurde.

Artikel 4.

Das Auslieferungsbegehren ist auf diplomatischem Wege zu stellen.

Dem Begehren sind beizufügen: a. ein rechtskräftiges Urteil oder ein Haftbefehl oder ein anderes gleichwertiges Schriftstück, erlassen von der zuständigen Gerichtsbehörde des ersuchenden Staates;

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6. eine einlässliche, die gesetzlichen Merkmale der Straftat schildernde Sachdarstellung mit Angaben über Ort und Zeit der Begehung und, wenn es sich um eine Straftat gegen das Eigentum handelt, soweit möglich über die Höhe des Schadens, den der Täter verursacht hat oder zu verursachen beabsichtigte ; c. eine Abschrift der im ersuchenden Staat auf die verfolgte Handlung anwendbaren Strafbestimmungen ; d. Angaben über die Staatsangehörigkeit und den Zivilstand der beanspruchten Person, sowie, wenn immer möglich, alle zu ihrer Identifizierung nötigen Aktenstucke und Auskünfte, wie Personalbeschreibung, Lichtbild, Fingerabdruckkarte.

Das Auslieferungsbegehren gegen einen Verurteilten, der bereits einen Teil seiner Strafe erstanden hat, soll ausserdem von einem Schriftstück begleitet sein, das die Dauer des noch zu verbüssenden Strafrestes angibt.

Die Schriftstücke sind in Urschrift oder in authentischer Ausfertigung vorzulegen.

Artikel 5.

Wenn der ersuchte Staat bezweifelt, ob die Straftat unter die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages falle, so wird er vom ersuchenden Staat Aufklärungen verlangen und die Auslieferung nur bewilligen, wenn diese die Zweifel zu beheben vermögen. Der ersuchte Staat kann im Einzelfall für die ergänzenden Auskünfte eine Frist bestimmen. Auf begründetes Begehren kann diese verlängert werden.

Artikel 6.

Nach Empfang des Auslieferungsbegehrens mit den in Art. 4 vorgesehenen Schriftstücken trifft der ersuchte Staat entsprechend seiner Gesetzgebung alle erforderlichen Massnahmen, um der beanspruchten Person habhaft zu werden und ihre Flucht zu verhindern, sofern nicht die Auslieferung von vornherein als unzulässig erscheint.

Bestehen keine ernsthaften Gründe für die Annahme, das Begehren sei ungerechtfertigt, dann soll, in der Eegel, die beanspruchte Person festgenommen und bis zum Abschluss des Auslieferungsverfahrens in Haft behalten werden.

Artikel 7.

Die im vorhergehenden Artikel für die Sicherung der beanspruchten Person vorgesehenen Massnahmen werden schon vor der Stellung des Auslieferungsbegehrens getroffen : a. wenn eine Polizei- oder Gerichtsbehörde des ersuchenden Staates der Polizei- oder Gerichtsbehörde des andern Staates dies beantragt und dabei auf das Vorhandensein eines der in Art. 4 Buchstabe a vorgesehenen

445 Schriftstücke hinweist, die strafbare Handlung bezeichnet und die Stellung des Auslieferungsbegehrens zusichert; b. wenn die beanspruchte Person in einem Fahndungsblatt gültig ausgeschrieben ist mit dem Hinweis darauf, dass sie im andern Staat wegen eines Auslieferungsvergehens verfolgt und ihre Auslieferung im Falle der Ermittlung verlangt wird.

Die unmittelbar ersuchte Polizei- oder Gerichtsbehörde oder die Zentralbehörde des ersuchten Staates (in der Schweiz: das eidgenössische Justizund Polizeidepartement, in Polen: das Justizministerium) gibt der ersuchenden Behörde sofort von den gegen die beanspruchte Person getroffenen Vorkehren Kenntnis. Diese können rückgängig gemacht werden, wenn das Auslieferungsbegehren im Sinne von Art. 4 nicht innert 80 Tagen nach dieser Kenntnisgabe gestellt wird.

Im Falle von Buchstabe fc oben muss auf die durch die Zentralbehörde des ersuchten Staates (in der Schweiz: das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, in Polen: das Justizministerium) an die Zentralbehörde des ersuchenden Staates erstattete Meldung hin innert 15 Tagen die Zusicherung des Auslieferungsbegehrens bestätigt werden.

Artikel 8.

Wird die beanspruchte Person im ersuchten Staat wegen einer andern, mit dem Auslieferungsbegehren nicht in Zusammenhang stehenden Straftat verfolgt, hat sie dort eine Strafe zu verbüssen oder befindet sie sich daselbst aus andern Gründen in Haft, so kann die Auslieferung aufgeschoben werden, bis die beanspruchte Person der Strafrechtspflege in diesem Staat genügt hat.

Immerhin soll wegen dieses Aufschubes der Entscheid über das Auslieferungsbegehren nicht verzögert werden.

Artikel 9.

Unbeachtet der Bestimmung des vorhergehenden Artikels kann die beanspruchte Person vorübergehend dem ersuchenden Staat übergeben werden, damit sie vor dessen Gerichtsbehörden erscheine, unter der ausdrücklichen Bedingung, dass sie dem ersuchten Staate zurückgeliefert wird, sobald diese Gerichtsbehörden die Straftat beurteilt haben, die dem Auslieferungsbegehren zugrunde lag, oder sobald die Untersuchungshandlungen beendigt sind, die zur vorübergehenden Auslieferung der beanspruchten Person geführt haben.

Artikel 10.

Falls eine Person nicht nur von einem der vertragschliessenden Teile, sondern auch von einem dritten Staat beansprucht wird, entscheidet der ersuchte Staat nach freiem Ermessen, immerhin unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bechtspflege, an welchen Staat ausgeliefert werden soll.

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Artikel 11.

Die ausgelieferte Person darf im Staat, an den sie ausgeliefert wurde, nur wegen derjenigen Straftaten verfolgt oder bestraft werden, für welche die Auslieferung ausdrücklich bewilligt worden ist.

Jedoch kann die ausgelieferte Person wegen einer andern, vor der Auslieferung begangenen Straftat verfolgt oder bestraft oder an einen dritten Staat weitergeliefert werden: a. wenn der Staat, der die Auslieferung bewilligt hat, nachträglich sein Einverständnis dazu gegeben hat ; dieses Einverständnis darf nicht verweigert werden, wenn die Bedingungen für die Gewährung der Auslieferung nach den Vorschriften des gegenwärtigen Vertrages erfüllt sind, oder b. wenn der Ausgelieferte das Gebiet des Staates, an den er ausgeliefert wurde, nicht von sich aus innert Monatsfrist nach seiner endgültigen Freilassung verlassen hat, obschon er die Möglichkeit dazu gehabt hätte, oder wenn er später dahin zurückkehrt.

Der Staat, der die Auslieferung erwirkt oder das Einverständnis im Sinne von Buchstabe a erhalten hat, wird den ersuchten Staat auf Verlangen vom Endergebnis der Verfolgung benachrichtigen und ihm im Falle der Verurteilung eine Ausfertigung des Erkenntnisses übermitteln.

Artikel 12.

Die beanspruchte Person kann freigelassen werden, wenn der ersuchende Staat sie sich nicht zuführen liess vor Ablauf eines Monats, seit ihm mitgeteilt wurde, die Übergabe könne sofort erfolgen.

Artikel 13.

Die von der beanspruchten Person im ersuchten Staat allenfalls eingegangenen privatrechtlichen Verbindlichkeiten können die Auslieferung nicht hindern.

Artikel 14.

Die bereits ausgelieferte Person, die sich der Verfolgung entziehen konnte und sich wiederum auf dem Gebiet des Staates befindet, der die Auslieferung ausführte, soll auf Begehren der zuständigen Behörde des andern Landes verhaftet werden.

Die Eücklieferung erfolgt ohne neue Förmlichkeiten durch Vermittlung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes seitens der Schweiz, und des Justizministeriums von Seite Polens.

Wenn infolge einer neuen, im ersuchten Staat begangenen strafbaren Handlung die beanspruchte Person dort strafrechtlich verfolgt wird, wenn sie dort eine Strafe zu verbüssen hat oder sich aus andern Gründen in Haft befindet, so kann ihre Übergabe verschoben werden, bis sie der Strafrechtspflege in diesem Staat genügt hat.

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Artikel 15.

Die Durchlieferung einer dem andern Teil von einem dritten Staat ausgelieferten Person durch das Gebiet eines der beiden vertragschliessenden Teile wird auf die in Urschrift oder authentischer Ausfertigung erfolgte Vorlage der in Art. 4 bezeichneten Aktenstücke bewilligt, wenn die das Durchlieferungsbegehren begründende Handlung unter die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages fällt.

Die Vorschriften betreffend die Auslieferung sind auch auf die Durchlieferung anwendbar.

Die Durchlieferang wird von den Beamten des ersuchten Staates ausgeführt, der auch über Art und Weg der Durchlieferung bestimmt.

Artikel 16.

Die Behörden der beiden vertragschliessenden Teile übergeben sich gegenseitig, auf Verlangen, diejenigen Gegenstände, welche die beanspruchte Person sich durch die Straftat verschafft hat, die als Beweisstücke dienen können oder der Beschlagnahme unterliegen.

Sofern diese Gegenstande sich im Besitz des Beschuldigten befinden, werden sie wenn möglich gleichzeitig mit der Auslieferung oder Durchlieferung übergeben. Zu übergeben sind auch alle nachträglich gefundenen Gegenstände der oben bezeichneten Art, welche der Beschuldigte im ausliefernden Staat verborgen oder hinterlegt hatte. Die Herausgabe findet selbst dann statt, wenn die Auslieferung infolge des Todes oder der Flucht des Verfolgten nicht vollzogen werden konnte.

Jedoch bleiben die Eechte vorbehalten, die der ersuchte Staat oder Dritte an diesen Gegenständen erworben haben.

Der ersuchte Staat kann die beschlagnahmten Gegenstande einstweilen Zurückhalten, wenn er sie für eine auf seinem Gebiet anhängige Strafunterstachung benötigt. Er kann auch, wenn er sie herausgibt, ihre Eücksendung für den gleichen Zweck vorbehalten, sofern er sich verpflichtet, sie seinerseits so bald als möglich wieder zurückzugeben.

Die aus der strafbaren Handlung herrührenden Gelder und Wertsachen dürfen nicht zur Deckung der Kosten dienen, für die der ersuchte Staat nach Art. 22 aufzukommen hat.

Artikel 17.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, soweit ihre Gesetzgebung es zulässt, ihre eigenen Staatsangehörigen, die beschuldigt sind, im andern Staat ein Auslieferungsdelikt begangen zu haben, strafrechtlich zu verfolgen, als wäre die strafbare Handlung im Lande selbst begangen worden.

Der Staat, der die Anwendung des
vorstehenden Absatzes wünscht, stellt auf dem in Art. 4 vorgesehenen Weg ein von den erforderlichen Gegenständen, Akten, Schriftstucken und allen Auskünften begleitetes Ersuchen.

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Der Heimatstaat der verfolgten Person unterrichtet den andern Staat über den Ausgang des- Verfahrens und übermittelt ihm gegebenenfalls eine Ausfertigung des Urteils.

Artikel 18.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich zur Leistung von Eechtshilfe in Strafsachen: a. durch die Zustellung von Akten, wie Vorladungen, Mitteilungen, Urteile ; 6. durch die Erledigung von Brsuchsschreiben um Abhörung von Angeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen, sowie um Vornahme anderer Untersuchungshandlungen, sofern sie nicht der Gesetzgebung des ersuchten Staates zuwiderlaufen; c. durch die Übermittlung von Auskünften aus dem Strafregister.

Die Bechtshilfebegehren haben anzugeben namentlich die Staatsangehörigkeit des Verfolgten, die dem Verfahren zugrunde liegende Straftat, den Zweck des Begehrens, die Namen und Adressen der Zeugen, Sachverständigen oder Aktenempfänger. Sie sollen, wenn erforderlich, eine kurze Sachdarstellung enthalten. Die Zustellungsbegehren sollen ausserdem die Natur des zuzustellenden Schriftstückes angeben.

Die Begehren der schweizerischen Behörden werden unmittelbar durch das eidgenossische Justiz- und Polizeidepartement dem polnischen Justizministerium und diejenigen der polnischen Behörden unmittelbar durch dieses Ministerium dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement übermittelt.

Sie werden nach den Gesetzen des ersuchten Staates behandelt, doch wird, auf Verlangen der ersuchenden Behörde, eine besondere Form angewendet, sofern diese der Gesetzgebung des ersuchten Staates nicht zuwiderläuft. Die Behörden des ersuchten Staates wenden die nämlichen Zwangsmassregeln an wie bei gleichartigen Begehren der Behörden dieses Staates.

Kann dem Begehren nicht entsprochen werden, dann wird der ersuchende Staat unter Angabe der Gründe verständigt.

Nach der Zustellung übermittelt der ersuchte Staat dem ersuchenden Staat eine vom Empfänger datierte und unterzeichnete Empfangsbescheinigung oder aber eine Bestätigung der ersuchten Behörde über die Tatsache, die Form und den Zeitpunkt der Zustellung. Wurde das zuzustellende Aktenstück in doppelter Ausfertigung übermittelt, so wird der Empfangschein oder die Bestätigung auf einem der Doppel eingetragen oder diesem beigegeben.

Artikel 19.

Die vertragschliessenden Teile sind zur Eechtshilfe im Sinne des Vorstehenden Artikels nicht verpflichtet: a. wenn der ersuchte Staat die Ausführung des Bechtshilfebegehrens für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden;

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b. wenn die Handlung nach dem Rechte des ersuchten Staates nicht als Verbrechen oder Vergehen strafbar ist; c. wenn das Begehren sich auf eine politische, militärische, fiskalische oder eine Presseangelegenheit bezieht; d. wenn das Verfahren gegen einen Angehörigen des ersuchten Staates gerichtet ist, der sich auf dem Gebiet dieses Staates befindet; e. wenn der vorgeladenen Person für den Fall des Ausbleibens Zwangsmassnahmen oder sonstige Nachteile angedroht werden.

Der ersuchte Staat ist auch nicht verpflichtet, einem Begehren um Haussuchung, Beschlagnahme, Gutachten Sachverständiger oder Übermittlung von Beweisstücken zu entsprechen, wenn seine Gesetzgebung dies nicht zulässt oder wenn die Bedingungen für eine Auslieferung nach dem gegenwärtigen Vertrag nicht erfüllt sind.

Besteht die Rechtshilfe in der Beschlagnahme oder Übersendung von Beweisstücken, so finden die Bestimmungen von Art. 16, Absatz 8, 4 und 5, Anwendung.

Artikel 20.

Wenn in einer vor einem Gericht eines der beiden vertragschliessenden Teile anhängigen Strafsache das persönliche Erscheinen eines im Gebiet des andern Teils sich aufhaltenden Zeugen oder Sachverständigen als notwendig oder wünschenswert erscheint, übermittelt das Gericht zu diesem Zwecke auf dem in Art. 18, Abs. 3, vorgesehenen Weg eine Vorladung.

Die Kosten des persönlichen Erscheinens eines Zeugen oder Sachverständigen werden vom ersuchenden Staat getragen; die Vorladung bezeichnet den dem Zeugen oder Sachverständigen als Reise- oder Aufenthaltsentschädigung zu gewährenden Betrag. Der ersuchte Staat kann den Zeugen oder Sachverständigen, sobald die geladene Person erklärt hat, der Vorladung Folge zu leisten, einen vom ersuchenden Staat zu ersetzenden Vorschuss aushändigen.

Kein Zeuge oder Sachverständiger, welche Staatsangehörigkeit er auch besitzt, der nach dem ersten Absatz dieses Artikels vorgeladen wurde, freiwillig vor den Gerichten des andern Teils zu erscheinen, darf auf dem Gebiet des letztern weder wegen früherer Handlungen oder Verurteilungen, noch aus Gründen der Teilnahme an den den Gegenstand des Prozesses, in welchem er vorgeladen ist, bildenden Handlungen verfolgt oder verhaftet werden. Die im ersten Absatz dieses Artikels vorgesehene Ladung hat die Bestimmungen dieses Absatzes ausdrücklich zu erwähnen.

Diese Personen verlieren jedoch diesen
Schutz, wenn sie das Gebiet des ersuchenden Staates nicht von sich aus innert 3 Tagen, nachdem das Gericht ihre Anwesenheit als nicht mehr notwendig erklärt hat, verlassen haben.

Das Gericht muss sie im Augenblick der Ladung von dieser zeitlichen Begrenzung des Schutzes in Kenntnis setzen.

450 Artikel 21.

Die vertragschliessenden Teile benachrichtigen sich gegenseitig am Ende jedes Vierteljahres von den rechtskräftigen Verurteilungen, die von den Gerichten des einen Teils gegen die Angehörigen des andern Teils ergangen sind und die nach den Vorschriften des verurteilenden Staates im Strafregister vorgemerkt werden müssen.

Für die in diesem Artikel vorgesehenen Mitteilungen gilt der in Art. 18, Abs. 8, bezeichnete Weg.

Artikel 22.

Die durch das Auslieferungsbegehren oder jede andere Bechtshilfe in Strafsachen verursachten Kosten trägt der Staat, auf dessen Gebiet sie entstanden sind.

Zu Lasten des ersuchenden Staates bleiben die für jede Untersuchung durch Sachverständige bezahlten Entschädigungen und die Kosten der Durchlieferung durch das Gebiet des ersuchten Staates. Ferner sind die Kosten, die durch alle nach Massgabe von Art. 9 oder von Art. 20, Abs. 2, des gegenwärtigen Vertrages getroffenen Vorkehren entstanden sind, vom ersuchenden Staate zu tragen.

Artikel 23.

Die Auslieferungsbegehren und ihre Beilagen, die Ersuchsschreiben und ihre Beilagen, die Begehren um Zustellung von Akten und ihre Beilagen, sowie der gesamte Schriftwechsel im Eechtshilfeverkehr werden, wenn sie nicht in französischer Sprache abgefasst sind, von Übersetzungen in diese Sprache begleitet ; diese müssen von der Behörde des ersuchten Staates oder von einem beeidigten Übersetzer beglaubigt sein.

Die in Ausführung der Eechtshilfebegehren ergangenen Schriftstücke, sowie die Mitteilungen nach Art. 21 werden ohne Übersetzung übersandt.

Artikel 24.

Der gegenwärtige Vertrag wird entsprechend der Verfassung und den Gesetzen jedes der beiden vertragschliessenden Teile ratifiziert und tritt am 30. Tage nach Austausch der Eatifikationsurkunden, der sobald als möglich in Warschau stattfinden soll, in Kraft.

Die Dauer des Vertrages ist unbegrenzt. Jeder der vertragschliessenden Teile ist berechtigt, ihn jederzeit zu kündigen. Die Kündigung wird sechs Monate nach ihrer Mitteilung wirksam.

Zu Urkund dessen haben die obenbezeichneten Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet und ihn mit ihren Siegeln versehen.

Also geschehen in Bern, in doppelter Ausfertigung, den 19. November 1937.

(L. S.) gez. Motta.

(L. S.) gez. Modzelewski.

(L. S.) gez. Bekerman.

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Schlussprotokoll.

Bei der Unterzeichnung des gegenwärtigen Vertrages wird von den Unterzeichneten, die dazu gehörig bevollmächtigt sind, anerkannt: 1. dass die Auslieferung immer unter dem Vorbehalt erfolgt, dass der Ausgelieferte nicht vor ehi Ausnahmegericht gestellt wird; 2. dass die Gesetzgebungen der beiden vertragschliessenden Teile keine körperlichen Strafen kennen; 3. dass die Eegierungen der beiden Staaten dem Wunsche Ausdruck geben können, die Todesstrafe, sofern sie im ersuchenden Staate vorgesehen ist, möchte nicht verhängt werden oder möchte, sofern sie bereits verhängt ist, in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden. Der ersuchende Staat wird den ersuchten Staat von der diesem Wunsche gegebenen Folge benachrichtigen.

Also geschehen in Bern, in doppelter Ausfertigung, den 19. November 1937.

gez. Motta.

gez. Modzelewski.

gez. Bekennan.

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