118 # S T #

8565

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Vorschlag des Kantons Basel-Stadt betreffend Massnahmen zur Bekämpfung der Teuerung.

(Vom 20. September 1937.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Der Grosse Bat des Kantons Basel-Stadt hat am 24. März dieses Jahres beschlossen, in Anwendung des Initia tivrechts nach Art. 93, Abs. 2, der Bundesverfassung und § 39, lit. a, der Kantonsverfassung den eidgenössischen Bäten den Erlass eines Bundesbeschlusses zu beantragen, der 1. die Preise des Vollbrotes, des Mehls und der Teigwaren durch Zuschüsse des Bundes auf dem Niveau vom 31. Dezember 1936 erhält und die Konsumenten von dem am 1. Februar 1937 erfolgten Preisaufschlag auf Milch und Milchprodukten ganz entlastet; 2. Teuerungszulagen zur Arbeitslosenversicherung und zur eidgenössischen Krisenhilfe für Arbeitslose, die gemäss ihrem Einkommen zum Bezüge der Krisenhilfe berechtigt sind oder berechtigt wären, vorsieht; 3. Minimallöhne festlegt und die Möglichkeit schafft, Kollektivverträge und Lohnabraachungen von einer gewissen wirtschaftlichen Bedeutung für die ganze Schweiz oder einen Teil davon allgemein verbindlich zu erklären.

Mit Schreiben vom 3. April dieses Jahres leitete der Begierungsrat des Kantons Basel-Stadt diesen Beschluss an den Bundesrat zuhanden der Bundesversammlung. Er fügte ein Begleitschreiben des Grossen Bates vom nämlichen Tage sowie seinen Bericht Nr. 3620 über die Anzüge P. Schneider und Dr.

0. Peter und Konsorten betreffend Massnahmen zur Bekämpfung der Teuerung bei. Die Kantonsregierung hat übrigens jedem Mitglied der eidgenössischen Bäte die beiden Schreiben vom 3. April und den erwähnten Bericht ebenfalls zugestellt.

119 Im Schreiben des Grossen Eates wird der Bundesrat ersucht, die Einfuhrbeschränkungen in beschleunigtem Tempo weiter abzubauen und dort ganz aufzuheben, wo die Inlandproduktion dadurch nicht mehr wesentlich beeinträchtigt wird. Ferner wird der Bundesrat gebeten zu prüfen, ob nicht während einer gewissen Übergangszeit ähnliche Hilfsaktionen für das Kleingewerbe geschaffen werden könnten, wie sie für die Landwirtschaft ins Leben gerufen wurden. Endlich regt der Grosse Bat an, im Zusammenhang mit der Nationalbank alles vorzukehren, was geeignet ist, den Zinsfuss zu senken und einem erneuten Kapitalexport zu wehren.

Diese Anregungen richten sich nur an die Adresse des Bundesrates ; es sind nicht Vorschläge im Sinne von Art. 93 der Bundesverfassung zu gesetzgeberischen Massnahmen. Wir nehmen daher davon Umgang, uns im vorliegenden Bericht zu diesen Anregungen zu äussern, und beschränken uns auf die eingangs erwähnten drei Anträge. Überdies beehren wir uns, Ihnen folgenden Bericht zu erstatten.

I.

Die Initiative geht darauf hin, alle drei Fragenkomplexe in einem Bundesbeschluss zu ordnen, wobei offenbar an einen dringlichen Bundesbeschluss, d.h. an einen durch die derzeitige Wirtschaftslage bedingten ausserordentlichen Erlass gedacht wird. Wie sich aus nachfolgendem ergibt, ist die Stellungnahme zu den einzelnen Teilen des Vorschlages eine durchaus verschiedene. Wir lassen daher die Frage der Zusammenfassung in einem einheitlichen Erlass bei den nachstehenden Darlegungen beiseite und betrachten die einzelnen Punkte losgelöst voneinander.

II.

Preise des Vollbrotes, des Mehls, der Teigwaren, der Milch und Milchprodukte.

1. Die Brotversorgung unseres Landes ist zu zwei Dritteln auf die Einfuhr des Getreides aus dem Ausland angewiesen. Der Mehl- und Brotpreis wird daher stark von den Preisverhältnissen auf dem Weltgetreidemarkt beeinflusst. Seit Ende Mai 1936 sind die Preise für das Brotgetreide auf dem Weltmarkt stark gestiegen. Während sich der Einstandspreis für Manitoba II am 27. Mai 1936 noch auf Fr. 9.57 je q cif Antwerpen/Botterdam belief, betrug er am 26. September 1936, also unmittelbar vor der Abwertung, bereits Fr. 14.11 je q. Am 28. September 1936 stellte sich der Preis für Manitoba II cif Antwerpen/Botterdam zufolge der Abwertung auf Fr. 19.97 je q.

Mit Bücksicht auf die Marktlage des Brotgetreides hatte die schweizerische Mullerei schon vor der Abwertung in Aussicht genommen, den Preis für das Backmehl um Fr. 3 je q auf Ende September 1936 zu erhöhen, was eine Verteuerung des Brotpreises um 2 Bp. je kg zur Folge gehabt hätte. Mit der Abwertungsdifferenz hätte ein Brotpreisaufschlag von 6 Bp. je kg begründet werden können.

120 Von jeher spielte der Brotpreis bei der Beurteilung der Lebenskosten eine wesentliche Eolle. Der Bundesrat beschloss deshalb unmittelbar nach der Abwertung, vorderhand jedes Ansteigen des Brotpreises zu verhindern. Auch der von den Müllern vor der Abwertung beschlossene Mehlpreisaufschlag musste unterbleiben. Am 5. Oktober 1936 eröffnete der Bundesrat dem Volkswirtschaftsdepartement einen Kredit von 8 Millionen Pranken zum Zwecke, durch Zuschüsse an die Müller eine Verteuerung von Brot, Mehl und Erzeugnissen aus Mehl vorerst bis Ende Dezember 1936 zu verhüten. Im weitern wurde bei der Festsetzung des Verkaufspreises für das Inlandgetreide der Ernte 1936 die Abwertung nicht berücksichtigt ; deshalb betrug dieser Preis für den Inlandweizen nur Er. 16.50 je q statt rund Fr. 21. Damit verzichtete der Bundesrat zugunsten einer weitern Tiefhaltung der Brotpreise auf eine Einnahme von ca. 4 Millionen Franken.

Die Abwertung des Schweizerfrankens fiel in eine Zeit fortwährender starker Erhöhungen der Getreidepreise am Weltmarkt. Während man nach den Marktpreisen im Monat Oktober 1936 noch mit einem jährlichen Subventionsbedarf von 30--35 Millionen Franken rechnen durfte, um eine Brotpreissteigerung zu vermeiden, mussten diese Aufwendungen nach den Getreidepreisen des Monats Dezember schon auf rund 50 Millionen Franken veranschlagt werden. Auf Grund der heutigen Preise wären noch grössere Zuschüsse nötig. Derart hohe Aufwendungen konnten für den Bund nicht in Betracht fallen. Der Bundesrat beschloss deshalb, in das bisher übliche Mahlverfahren einzugreifen und versuchsweise ein Vollbrot einzuführen.

Dieses Vollbrot sollte nicht verteuert und der ungedeckte Aufwand auf das Halbweiss- und Weissbrot überwälzt werden. Nach den Marktpreisen des Brotgetreides im Zeitpunkte der Einführung des Vollbrotes wäre diese Regelung möglich gewesen unter der Voraussetzung, dass der Verbrauch an Vollbrot einen Drittel des gesamten Brotverbrauches nicht erheblich überschritten hätte.

Wider Erwarten fand das Vollbrot im Volke anfänglich eine so gute Aufnahme, dass der Verbrauch von Vollmehl im Januar 1937 auf über 70 Prozent des gesamten Mehlausstosses in den Mühlen stieg, also auf mehr als das Doppelte der Menge, welche von den Fachleuten als Grundlage für die Umlageberechnung angenommen worden war. Überdies waren die
Preise für das Brotgetreide auf dem Weltmarkte seit Mitte Dezember 1936 nicht unerheblich weiter gestiegen. Dadurch wurde die Umlage der Kosten der Tiefhaltung des Vollbrotpreises auf das Halbweiss- und Weissbrot nurmehr in stark beschränktem Masse durchführbar. Die Müller erlitten schon für die ersten drei Wochen des Monats Januar 1937 erhebliche Verluste auf ihrer Mahlrechnung. Eine Fortdauer dieses Zustandes war für das Müllergewerbe nicht tragbar.

Eine Übernahme des Ausfalles durch den Bund hätte die Bundesfinanzen in einem Ausmasse beansprucht, das der Bundesrat nicht glaubte verantworten zu können. Anderseits kam ein Verzicht auf die Fortsetzung der Vollbrotaktion bei der guten Aufnahme, die diese neue Brotart gefunden hatte, trotz

121

der Schwierigkeiten der Finanzierung nielli in Frage. Der Bundesrat hielt daher seinen Beschluss vom 14. Dezember 1936 grundsätzlich aufrecht. Dagegen war er unter dem Zwang der Verhältnisse genötigt, den Höchstpreis für das Vollmehl von Fr. 23 auf Fr. 29.50 je q hinaufzusetzen. Diese Preiserhöhung wirkte sich in einem Aufschlag des Vollbrotpreises von 5 Ep, je kg aus. Damit stellte sich der Preis des Vollbrotes für Basel-Stadt auf 38 Bp., für den weitaus grössten Teil der Schweiz auf 40 Ep. das kg. Er stand damit immer noch um etwa 5 Ep. unter dem Preis entsprechender Brotqualitäten der meisten uns umgebenden Staaten. Ohne die Einführung des Vollbrotes und ohne den hiefür erforderlichen Eingriff des Bundes in das bisher übliche Mahlverfahren wäre eine Brotverteuerung um etwa 12 Ep. pro kg eingetreten.

Vom 22. Januar bis Ende April 1937 sind die Weizenpreise je nach Provenienz um 50 Bp. bis Fr. 3.90 je q weiter gestiegen. Anfang Mai setzte eine rückläufige Preisbewegung ein. Die Preise gingen im Monatsdurchschnitt gegenüber dem April um etwa 45 Ep. bis Fr. 1.70 je q zurück. Im Juni fielen sie gegenüber dem Mai um weitere Fr. 1.50 bis Fr. 1.85. Anfang Juli 1937 stiegen die Weizenpreise aber wiederum an, und zwar um Fr. 2.20 bis Fr. 3.50.

Im August setzte neuerdings eine rückläufige Bewegung ein, die sich beispielsweise bei Manitoba mit durchschnittlich Fr. 2.40 je q, bei Bahia Bianca nur mit 50 Ep. auswirkte.

Der Bundesrat hielt trotz der bis Ende April stark gestiegenen Getreidepreise am bisherigen Vollmehl- und Vollbrotpreis fest. Die Müller wurden veranlasst, da sie nicht mehr auf ihre Eechnung kommen zu können erklärten, zum Umlageverfahren zurückzukehren und den Preisaufschlag auf Halbweissund Weissmehl zu verlegen. Anfang Juni 1937 trat denn auch eine Erhöhung der Weissmehl- und Halbweissmehlpreise um Fr. 4.50 bzw. Fr. 4 je q ein.

Dies hatte eine Preiserhöhung auf Weissbrot und Halbweissbrot von je 3 Ep.

für den Einkilolaib Eundbrot zur Folge. Der Bundesrat beschloss ferner, im Bestreben, den Preis für das Vollmehl und das Vollbrot möglichst tief zu halten, einen Teil der Futtermittelzuschläge auf Mahlgetreide für die Verbilligung des Vollbrotes zu reservieren und daraus den Müllern angemessene Vergütungen auf dem Mahllohnausfall bei den Vollmehlvermahlungen auszurichten.

Als Ende Juli
auf dem Weltgetreidemarkt eine neue rückläufige Preisbewegung einsetzte, bekundeten die Müller die Absicht, auf dem Weissmehlpreis eine Eeduktion eintreten zu lassen. Auf Weisung des Bundesrates, der schon aus volksgesundheitlichen Gründen am Vollbrot festzuhalten gewillt ist, wurden die Müller darauf aufmerksam gemacht, dass es in weiten Kreisen der Bevölkerung nicht verstanden würde, wenn auf dem Weissmehl, das füglich als Luxusprodukt bezeichnet werden darf, ein Preisabschlag durchgeführt werden sollte, während der Vollmehlpreis auf gleicher Höhe belassen würde.

Wenn schon eine Preisherabsetzung auf dem Mehl sich als möglich erwies, sollte sie vor allem auf dem Vollmehl und dem Vollbrot eintreten. Der Verband schweizerischer Müller empfahl dann den regionalen Müllerverbänden, zwecks Verbilligung des Vollbrotes um 2 Ep. das kg, den Preis des Vollmehlos mit Bimdesblutt. 89. JaLrg. Bd. III.

9

122 sofortiger Wirksamkeit von Fr. 29.50 auf Fr. 26.50 zu reduzieren. Die regionalen Müllerverbände der deutschen Schweiz haben dieser Empfehlung sofort nachgelebt. In Basel ist der Vollbrotpreis in der Folge von 38 Ep. auf 86 Ep. je kg Eundbrot herabgesetzt worden. Durch Verfügung des Volkswirtschaftsdepartements vom 2. September 1937 wurde die Preisherabsetzung von Fr. 3 je q auf dem Vollrnehl und 2 Ep. je kg auf dem Vollbrot für die ganze Schweiz verbindlich erklärt.

Der Verbrauch an Vollmehl ist seit Ende Januar 1937 von rund 60 auf rund 22 % zurückgegangen. Dazu hat neben dem Wegfall des Eeizes der Neuheit auch die zeitweise Verkleinerung der Preisspanne zwischen Vollbrot und Halbweissbrot beigetragen. Diese Preisspanne ist infolge des Brotpreisaufschlages vom 22. Januar 1937 von ursprünglich 10 Ep. auf 5 Ep. zurückgegangen. Die Anfang Juni 1937 erfolgte Erweiterung der Preisspanne auf 8 Eappen vermochte den Vollmehl- und Vollbrotabsatz nicht zu erhöhen.

Der starke Fremdenzustrom mag die Nachfrage nach Weissmehl und Halbweissmehl auf Kosten der Nachfrage nach Vollmehl gefördert haben. Sodann ist die heisse Jahreszeit dem Absatz von Vollmehl und dem Genuss von Vollbrot nicht besonders günstig. Eine weitere Ursache für den Eückgang des Vollmehlabsatzes und des Vollbrotverbrauches liegt sodann im Wiederaufkommen von Spezialbroten, wie Bauernbrot, pain de ménage und dergleichen, welche zu fast gleichen Preisen wie das Vollbrot abgesetzt werden. Diese Spezialbrote kommen hinsichtlich des Nährwertes nicht an das Vollbrot heran, da zu ihrer Herstellung Mehle verwendet werden, denen einerseits Weissmehl entzogen ist und die andererseits die vitaminreichen Nachmehle nicht mehr enthalten.

Diese Spezialbrote sind aber etwas weisser als das Vollbrot, was einen Teil der Brotverbraucher veranlasst haben mag, sich vom dunkleren aber vollwertigeren Vollbrot weg dem helleren Spezialbrot zuzuwenden. Von einem Verbot dieser Spezialbrote wurde Umgang genommen, um nicht den Schein einer übertriebenen Eeglementierung der Ernährung zu erwecken. Die nun vorgenommene Verbilligung des Volhnehles xim Fr. 3 je q und des Vollbrotes um 2 Ep. je kg wird dazu beitragen, den Vollbrotverbrauch wieder zu steigern, wenn auch sein Absatz bei weitem nicht mehr den Umfang annehmen wird, den er in den ersten Wochen dieses Jahres
hatte. Wir rechnen mit einem Vollbrotverbrauch von ungefähr einem Drittel des Gesamtverbrauches, wie er von Anfang an vorgesehen war.

Bei der Beurteilung der ganzen Brotfrage muss man sich darüber Eechenschaft geben, dass die Preiserhöhungen bei Mehl, Brot und Teigwaren nicht einseitig der Abwertung des Schweizerfrankens zuzuschreiben sind. Auch wenn unsere Währung nicht abgewertet worden wäre, hätten wir heute einen Weizenpreisaufschlag gegenüber dem Tiefstand im Mai 1936 von rund 2 Dollars, was zum unabgewerteten Frankenkurs umgerechnet etwa Fr. 6.15 je q entspricht. Diese Weizenproissteigerung würde einem Mehlpreisaufschlag von rund Fr. 9 je q und einem Brotpreisaufschlag von rund 7 Ep. das kg entsprechen. Heute steht der Vollmehlpreis mit Fr. 26.50 je q nur um Fr. 3.50

123 höher als der Preis des gewöhnlichen Backniehle» vor der Abwertung (September 1936). Der heutige Vollbrotpreis in Basel mit 36 Ep. das kg ist um 3 Ep. teurer als das übliche Normalbrot vor der Abwertung. Die Einführung des Vollbrotes hat sich als Massnahme zur preislichen Entlastung des Konsums bewährt und günstig ausgewirkt.

2. Gestützt auf den oben erwähnten Kredit von 8 Millionen Franken hat das Volkswirtschaftsdepartement im IV. Quartal 1936 auch eine Sonderaktion zur Tiefhaltung der Teigwarenpreise durchgeführt. Die Teigwarenpreise, die zufolge des Preisauftriebs auf den Weltweizenmärkten schon im Herbst 1936 auch ohne die Währungsabwertung eine Erhöhung hätten erfahren müssen, konnten bis Mitte Januar 1937 gehalten werden, indem den Teigwarenfabriken die fortgesetzte Versorgung mit Dunst und Griess zu Vorabwertungspreisen ermöglicht wurde. Die Differenz zwischen dem Erlös, den die Hartweizenmüllerei nach Massgabe der für das IV. Quartal gültigen Mahlrechnung für ihre Produkte hätte haben sollen, und dem Preis, den sie tatsächlich erzielte, wurde durch den Bund zu Lasten des erwähnten Kredites übernommen. Andere Umstände erforderten ausserdem eine zusätzliche Beitragsleistung an die Teigwarenindustrie. Die ganze Zuschussaktion umfasste die Zeit vom 28. September 1936 bis zum 15. Januar 1937. Den Mühlen und Fabriken wurde die Ausgleichszahlung nur für diejenigen Ausstossmengen in Ausgicht gestellt, welche der Deckung des normalen laufenden Bedarfes entsprachen.

Nachdem die Leistung von Zuschüssen an die Mühlen und Teigwarenabriken über den 15. Januar 1937 hinaus aus finanziellen und grundsätzlichen Erwägungen nicht fortgeführt werden konnte, wurde beiden Gruppen auf den 16. Januar die Anpassung ihrer Produktenpreise an die effektiven Kostenverhältnisse, d. h. an die mittlerweile stark gestiegenen Preise für Hartweizen und Hartweizenmahlprodukte zugebilligt. Dunst und Griess verteuerten sich um Fr. 19 pro 100 kg, also um rund 70 %. Die Teigwarenpreise stiegen gleichzeitig um 26 Ep. pro kg oder um ca. 35 % gegenüber den Vorabwertungspreisen.

Auf den 5. Juli dieses Jahres ist sowohl für Dunst und Griess wie für Teigwaren ein Abschlag um 2 Ep. per kg eingetreten.

Die Wiederherstellung der vor dem 16. Januar 1937 gültigen Teigwarenpreise wäre nur möglich, wenn den beteiligten Industrien
(Hartweizenmüllerei und Teigwarenfabriken) neuerdings die Deckung des Verlustes zugesichert würde, der diesen aus der Abgabe ihrer Produkte zu Preisen erwachsen müsste, die den Gestehungskosten nicht entsprechen. Die heutige Preislage für Hartweizen und Hartweizenprodukte würde unter Berücksichtigung der äussersten Berechnung seitens der Teigwarenfabriken einen Bundesbeitrag von Fr. 20 bis Fr. 24 pro 100 kg Teigwaren erfordern. Da der Teigwarenverbrauch unseres Landes jährlich 33--35 000 Tonnen beträgt, hätte der Bund -- vorausgesetzt, dass wesentliche Weizenpreisänderungen nicht eintreten -- für eine neue Zuschussaktion rund 7,5 Millionen Franken aufzubringen.

124 Die Erfahrungen, welche das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement ina IV. Quartal des letzten Jahres machte, sprechen gegen die Durchführung einer erneuten Preistiefhaltungsaktion mit Hilfe von Bundesmitteln. Künstlich tiefgehaltene Preise führen zu unerwünschten Konsumverschiebungen und, hinsichtlich der bevorzugten Produkte, zu Konsumausweitungen, die nicht als gesund betrachtet werden könneri. Es darf überdies nicht ausser acht gelassen werden, dass die Bückkehr zum System der Ausgleichsleistungen an einzelne Industrien und Gewerbe für den Bund unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen müsste, indem unzweifelhaft sowohl seitens der Produktion, die von der künstlichen Tiefhaltung der Preise eine Belebung des Umsatzes erwarten könnte, wie auch von der Komsumentenschaft recht bald weitere solche Begehren an die Adresse des Bundes gerichtet würden.

Von diesen grundsätzlichen Erwägungen abgesehen ist darauf hinzuweisen, dass die Übernahme neuer finanzieller Verpflichtungen im oben angedeuteten Ausmass für den Bund angesichts seiner derzeitigen Finanzlage nicht in Betracht kommen kann.

3. Was schliesslich den Vorschlag anbetrifft, die Konsumenten von dem im Februar dieses Jahres erfolgten Preisaufschlag auf Milch und Milchp r o d u k t e n gänzlich zu entlasten, gestatten wir uns, auf unsere Botschaft vom 9. Februar 1937 über eine weitere Fortsetzung der Bundeshilfe für die schweizerischen Milchproduzenten und für die Linderung der landwirtschaftlichen Notlage hinzuweisen. Wir haben darin eingehend über die Neuordnung des Milchpreises Bericht erstattet und Ihnen dargelegt, dass die Anpassung des Milchpreises an die erhöhten Gestehungskosten nicht wohl umgangen werden konnte. Wir glauben, uns mit diesem Hinweis begnügen zu dürfen, und möchten lediglich noch einmal betonen, dass sich die Behörden bemüht haben, eine Regelung zu treffen, welche die Interessen der Konsumenten weitestgehend berücksichtigt. Der Bundesrat hat dem Milchpreisaufschlag bis zu 2 Ep. zugunsten der Produzenten nur zugestimmt unter der Bedingung a. dass die Belastung des Milchkonsumenten l Ep. nicht übersteige, 6. dass die Milchprodukte nicht um den vollen Betrag des Milchpreisaufschlages verteuert werden, c. dass der Betrag der Milehpreisstützung aus allgemeinen Bundesmitteln für die Jahre 1937 und 1938 auf höchstens 5
Millionen zurückgesetzt werde.

Überdies wurde der Zentralverband schweizerischer Milchproduzenten beauftragt, in Verbindung mit den Organisationen des Milchhandels die Frage der Rationalisierung des Milchverschleisses und die Möglichkeit der Verringerung der Gross- und Kleinhandelsspanne abzuklären.

Der Bundesrat hat das möglichste getan, die Konsumenteninteressen zu wahren. Er hat den Verbänden und den Produzenten selbst die Tragung gewisser Auswirkungen der Milchpreiserhöhung zugemutet. Weitere Entlastungen zugunsten des Verbrauchers hätten entweder die Produzentenpreis-

125 erhöhung verhindert oder dann die Einsetzung vermehrter öffentlicher Mittel zur Voraussetzung gehabt.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass l Ep. Milchpreis 12 Ep.

Käsepreis und 25 Ep. Butterpreis entspricht. Eine Milchpreiserhöhung von 2 Ep. wirkt sich demnach bei der Butter mit 50 und beim Käse mit 24 Ep.

aus. Vor dem 1. Februar 1937 hat der Zentralverband schweizerischer Milchproduzenten auf das Kilogramm Käse 39 Ep. und auf das Kilogramm Butter 51 Ep. zugelegt, indem er diese Milchprodukte den Konsumenten seit Jahren schon unter dem Gestehungspreise abgibt. Diese Verbilligungsmassnahmen, welche im Interesse des Verbrauchs und des Verbrauchers während der Dauer der Milchpreisstützung durch den Bund zur Durchführung gelangt sind, verursachten zur Hauptsache die grossen Verluste des Zentralverbandes schweizerischer Milchproduzenten. Selbst bei dem durch den Bundesrat bewilligten Preisaufschlag werden diese Verluste auf Butter und Käse bei weitem noch nicht gedeckt, so dass nach wie vor die Preiszuschläge auf Futtermitteln, die Krisengebühr auf Konsummilch, Zoll und Gewinn auf Einfuhrbutter, sowie für die Jahre 1937 und 1938 nötigenfalls ein Betrag bis zu 5 Millionen Franken aus öffentlichen Mitteln herangezogen werden müssen.

Der Bundesrat könnte bei dieser Sachlage nicht verantworten, und es würde auch mit den Bestimmungen d«s Finanzprogramms nicht in Einklang zu bringen sein, weitere Beträge aus öffentlichen Mitteln zur allgemeinen Verbilligungsaktion für Milch und Milchprodukte einzusetzen. Er bedauert deshalb, die Vorschläge des Kantons Basel-Stadt betreffend die Milch- und Milchproduktenpreise ebenfalls ablehnen zu müssen.

III.

Teuerungszulagen zur Arbeitslosenversicherung und Krisenhilfe.

1. Was die vorgeschlagene Ergänzung der Taggelder der Arbeitslosenversicherung und der Krisenunterstützung durch Teuerungszulagen anbelangt, ist vorab festzustellen, dass es dem Bund nicht möglich wäre, ausschliesslich aus eigenen Mitteln entsprechende Zuschüsse zu bestreiten. Seine eigene Finanzlage würde dies nicht gestatten. Übrigens haben sich Bund, Kantone und Gemeinden von jeher in derartige Aufgaben geteilt, wodurch am ehesten eine sozial und arbeitsmarktpolitisch gerechtfertigte Lösung gewährleistet wird. Zudem würden die Organe fehlen, welche die Auszahlung von Teuerungszulagen aus einseitig eidgenössischen Mitteln besorgen könnten. Deshalb müssten allfällige Unterstützungszuschüsse auf dem ordentlichen Weg durch die Arbeitslosenkassen vorgenommen und gleichermassen wie die ordentlichen Versicherungsleistungen finanziert werden, obschon hiefür in der Arbeitslosenversicherung rechtliche und administrative Schwierigkeiten auftreten würden.

Es ist zu berücksichtigen, dass in den geltenden Bundesvorschriften keine ausdrückliche Bestimmung enthalten ist, nach der die normalen bundes-

126 gesetzlichen Höchstgrenzen des Taggeldes überschritten werden können.

Immerhin würde die Möglichkeit bestehen, durch eine entsprechende Interpretation von Art. 11, Abs. 4, des Bundesgesetzes vom 17. Oktober 1924 über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung vorübergehend die normalen Grenzen zu erweitern. Auch in verschiedenen kantonalen Gesetzen sind die Taggelder maximal begrenzt; andere Kantone haben auf dem Verordnungswege die Höchstleistungen festgesetzt. Deshalb muss auch auf kantonalem Boden geprüft werden, wie die rechtlichen Grundlagen für Subventionsleistungen an Teuerungszuschüsse gefunden werden können. -- Schliesslich ist in Betracht zu ziehen, dass die bestehenden Arbeitslosenkassen die Taggeldhöhe ausserordentlieh verschiedenartig bemessen haben und dass die Einführung von Teuerungszulagen vorerst für manche Kassen eine Anpassung der statutarischen Vorschriften voraussetzt.

Infolge dieser Schwierigkeiten benötigt die Lösung der Frage eine einlässliche Vorbereitung.

2. Da die von krisenhafter Arbeitslosigkeit betroffenen Kassenmitglieder im Falle ununterbrochener gänzlicher Arbeitslosigkeit im allgemeinen um Mitte April ausgesteuert sind, ist das Problem zunächst auf dem Boden der Krisenunterstützung akut geworden. Dort ist den Wünschen des Kantons Basel-Stadt, soweit sie berechtigt sind, durch den Bundesrat bereits Eechnung getragen worden. Im Hinblick auf die Erhöhung der Kosten der Lebenshaltung hat der Bundesrat mit Beschluss vom 28. Mai dieses Jahres (Bundesratsbeschluss betreffend Ergänzung der Verordnung G vom 23. Oktober 1938 über die Krisenunterstützung für Arbeitslose) die Kantone ermächtigt, die Unterstützungsansätze der Krisenunterstützung wie folgt zu erhöhen: Für Arbeitslose, die keine Unterstützungspflicht erfüllen, von 50 auf 55 % und für Unterstützungspflichtige Arbeitslose von 60 auf 70 % des ausfallenden normalen Verdienstes.

Gleichzeitig sind die Kantone ermächtigt worden, die in Art. 8 und 9 der Verordnung C über die Krisenunterstützung für Arbeitslose vom 23. Oktober 1933 enthaltenen festen, zahlenmässig umschriebenen Höchstansätze der Krisenunterstützung um durchschnittlich etwa 5 % heraufzusetzen. Zu diesem Zwecke hat der Bundesrat die nachfolgende abgeänderte Skala dieser Höchstansätze aufgestellt : , ,, . . .

In Gememden der

Für den alleinstehenden Arbeitslosen

Für den Unterstützungspflichtigen Arbeitslosen, der im gleichen Haushalt lebt mit , 2 3 Angehörigen

I. Kategorie . .

3.80 II.

» . .

3.30 III.

» . .

2.85 IV.

)> . .

2.30 Für weitere, im gleichen Haushalt und II Fr.--.45, in Kategorie III und

5.65 6.60 7.10 4.70 5.65 6.15 4.20 5.05 5.50 3.65 4.40 4.85 lebende Angehörige in Kategorie I IV je Fr ---.40 mehr.

127

Für Arbeitslose, die keine gesetzliche Unterstützungspflicht erfüllen und die das 22. Altersjahr nicht zurückgelegt haben, a. sofern sie allein leben: in Gemeinden der I. Kategorie . . Fr. 3.15 II.

» . . » 2.80 III.

» . . » 2.40 IV.

» . . » 2.-- 6. sofern sie in Familiengemeinschaft leben oder zu leben Gelegenheit haben: I. Kategorie . . Fr. 1.90 II.

» . . » 1.70 III.

» . . » 1.45 IV.

» . . » 1.15

IV.

Festlegung von Minimallöhnen.

1. Der Vorschlag, durch den Bund Minimallöhne festzulegen, ist nicht neu.

Vereinzelt hat er bereits in der Vergangenheit eine gewisse Verwirklichung gefunden. So erliess der Bundesrat auf Grund der ausserordentlichen Vollmachten am 2. März 1917 einen Beschluss betreffend die Festsetzung von Mindeststichpreisen und von Mindeststundenlöhnen in der Stickereiindustrie.

Die Mindestansätze, die dieser Beschluss enthielt, wurden später durch Departementsverfügungen ergänzt oder angepasst.

Später hat der Bundesrat für die Stickereiindustrie die Befugnis erhalten, Verträge, die zwischen wirtschaftlichen Verbänden über Stichpreise oder Löhne abgeschlossen werden, für die betreffenden Erwerbsgruppen allgemeinverbindlich zu erklären (Bundesbeschluss vom 13. Oktober 1922 betreffend staatliche Hilfeleistung für die schweizerische Stickereiindustrie, Art. 3, Abs. 1).

Als erster Anfang einer Intervention des Bundes in bezug auf die Lohnhöhe ist auch das Kreisschreiben des Industriedepartements an die Kantonsregierungen vom 16. November 1914 betreffend die Herabsetzung des Lohnes von Angestellten und Arbeitern in verschiedenen Erwerbsarten zu erwähnen.

Das Departement legte hier den Kantonen unter anderem die sofortige Einsetzung von Kommissionen nahe, denen die Untersuchung und Vermittlung von Anständen über Lohnreduktionen in den verschiedenen Berufsarten zukam.

Handelte es sich bei den oben erwähnten behördlichen Eingriffen in die Frage der Lohnfestsetzungen um vorübergehende Kriegs- oder Krisenmassnahmen, so wollte das Bundesgesetz vom 27. Juni 1919 betreffend die Ordnung des Arbeitsverhältnisses dem Bunde dauernd die Befugnis zur Normierung von Löhnen geben. Gegen das Gesetz wurde das Referendum ergriffen, und es ist

128

in der Volksabstimmung vom 21. März 1920 verworfen worden. Das Gesetz sah die Schaffung einer eidgenössischen Lohnkommission als Eekursbehörde und die Einsetzung eidgenössischer Lohnausschüsse als Behörden für die erstinstanzliche Pestsetzung von Löhnen vor. Diese Befugnis war durch das Gesetz auf die Festsetzung von Mindestlöhnen in der Heimarbeit beschränkt, doch war vorgesehen, dass die Bundesversammlung jenen Ausschüssen die Kompetenz zur Lohnfestsetzung auch in andern Berufszweigen und zur Festsetzung nicht nur von Mindestlöhnen, sondern von Löhnen überhaupt hätte geben können.

Ansätze zu behördlich vorgeschriebenen Mindestlöhnen sind im weitern im Submissionswesen der öffentlichen Verwaltungen zu finden.

2. Die Forderung von Mindestlöhnen war auch schon Gegenstand von Postulaten in den eidgenössischen Eäten, allerdings in einem andern Zusammenhang. So bezieht sich das Postulat des Herrn Nationalrat Perret vom 6. Dezember 1934 auf die Regelung der Heimarbeit in den notleidenden Industrien, insbesondere in der Uhrenindustrie, während das Postulat des Herrn Nationalrat Moser (1. Oktober 1936) die Herbeiführung von Vereinbarungen zwischen den Verbänden über die Festsetzung von Mindestlöhnen in der Textilindustrie anregt.

Das Postulat Perret hat bezüglich der Uhrenindustrie, auf die es in erster Linie abzielte, seine Verwirklichung gefunden durch den Bundesratsbeschluss vom 9. Oktober 1936 über die Ordnung der Arbeit in der nicht fabrikmässigen Uhrenindustrie, der seinerseits auf Grund des Bundesbeschlusses vom 14. Oktober 1933/11. Dezember 1935 über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande erlassen wurde. Dieser Bundesratsbeschluss regelt die Uhrenheimarbeit im Sinne einer Beschränkung der Auswüchse, in erster Linie vom Standpunkt des wirtschaftlichen Gesamtinteresses der Uhrenindustrie aus, verwirklicht aber gleichzeitig auch einen gewissen wirtschaftlichen Schutz der Heimarbeiter. Bezüglich ihrer Entlöhnung ist bestimmt, dass der Auftraggeber für die in Heimarbeit vergebene Arbeit den gleichen Lohn zu zahlen hat wie für die entsprechende, in der Fabrik oder im Atelier ausgeführte Arbeit.

Wird eine Arbeit ausschliesslich in Heimarbeit angefertigt, ist der Lohn so zu bemessen, wie wenn die Arbeit mit Arbeitern der Fabrik oder des Ateliers ausgeführt würde (Art. 14). Es folgen ferner
Bestimmungen über die Auszahlung des Lohnes (spätestens alle zwei Wochen in bar und gesetzlicher Währung, unter Beifügung einer Abrechnung).

Im weitern ist das Volkswirtschaftsdepartement gegenwärtig mit der Ausarbeitung eines Botschaftsentwurfes über den gesetzlichen Heimarbeiterschutz beschäftigt. Das in Vorbereitung befindliche Gesetz soll für die Heimarbeiter gewisse Lohnsicherungen bringen und unter Umständen die Festsetzung von Mindestlöhnen ermöglichen.

Weiter zu gehen und im allgemeinen Mindestlöhne festzulegen, vermögen wir nicht zu empfehlen. Abgesehen davon, dass die Ansetzung von Minimal-

129 löhnen in einem Bundesbeschluss praktisch unmöglich wäre, ein solcher Beschluss vielmehr höchstens die Kompetenz und das Verfahren regeln könnte, halten wir dafür, der Staat solle sich auf diesem Gebiete zurückhalten, um die Wirtschaft nicht zu gefährden. Eine Standardisierung der Lohnsätze unter behördlicher Mitwirkung können wir uns, abgesehen vom Spezialfall der Heimarbeit und der öffentlichen Bediensteten, nur im Zusammenhang mit Kollektivabmachungen der Beteiligten selbst und allenfalls durch Schiedsspruch bei Arbeitskonflikten denken. Darüber, ob und wieweit sich eine solche Einwirkung auf die Lohngestaltung durchführen lässt, sei auf die nachstehenden Darlegungen verwiesen.

V.

Allgemeinverlbindlicherklärung von Kollektivverträgen und Lohnabmachungen.

1. Auch das System der AllgemeinverbindlicherklärungvonVereinbarungen hat in der schweizerischen Gesetzgebung, sowohl derjenigen des Bundes als auch derjenigen der Kantone, Eingang gefunden, ist jedoch bis jetzt, abgesehen vom Kanton Genf, nur für bestimmte Sonderfälle, nicht auf breiter Grundlage eingeführt worden.

Die Fälle aus dem Krisenrecht des Bundes, wo die Verbindlicherklärung von Tarifen usw. der Verbände vorgesehen ist, sind in der Botschaft des Bundesrates vom 12. November 1935 über die wirtschaftlichen Notmassnahmen zusammengestellt (Bundesbl. 1935, II, S. 554/555).

In die ordentliche Bundesgesetzgebung sollte das System der Allgemeinverbindlicherklärung durch das bereits erwähnte Bundesgesetz vom 27. Juni 1919 betreffend die Ordnung des Arbeitsverhältnisses eingeführt werden.

Art. 2, Abs. 2, dieses Gesetzes wollte dem Bundesrat, wenn ein unverkennbares Bedürfnis vorhanden ist, die Befugnis erteilen, auf Antrag der Lohnstellen und nach Anhörung der beteiligten Berufsverbände Gesamtarbeitsverträge für alle Angehörigen der betreffenden Erwerbsgruppe verbindlich zu erklären und Normalarbeitsverträge aufzustellen, die nicht wegbedungen werden können. Dass das Gesetz nicht zustande kam, ist bereits mitgeteilt worden. Die ordentliche Bundesgesetzgebung sieht zurzeit nur in Art. 28, Abs. 2, der vom Bundesrat am 11. Juni 1984 erlassenen Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über die wöchentliche Ruhezeit die Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsvereinbarungen vor ; hier handelt es sich um Verständigungen, die sich auf die
von der normalen Ordnung abweichende Begelung der wöchentlichen Euhezeit beziehen. Daneben ist etwa noch zu erwähnen, dass Art. 36 des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1930 über die berufliche Ausbildung es dem Bundesrat ermöglicht, Réglemente von Berufsverbänden, denen die Veranstaltung von Lehrabschlussprufungen übertragen wird, zu genehmigen, wodurch diese Verbandsreglemente ebenfalls allgemeinverbindlich werden.

Den Anfang mit einer besonderen Gesetzgebung über die Materie hat der Kanton Genf gemacht. Dort entstand am 24. Oktober 1936 ein Gesetz, betitelt «Loi donnant force légale obligatoire aux contrats collectifs de travail». Dièses

130

Gesetz gibt dem Genfer Staatsrat die Befugnis, Kollektivverträge, die durch die Mehrheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer angenommen wurden, allgemeinverbindlich zu erklären, und ferner für diejenigen Berufe, in denen solche Verträge nicht bestehen, unabdingbare Normalarbeitsverträge aufzustellen.

Inwieweit dieses kantonale Gesetz der Bundesverfassung entspricht, soll hier nicht untersucht werden.

2. Die Allgemeinverbindlicherklärung von Verträgen bildet direkt oder indirekt den Gegenstand verschiedener Postulate und Motionen, so des Postulates Grospierre (1928) betreffend Förderung des Abschlusses von Gesamtarbeitsverträgen, des Postulates von Arx (1928) betreffend Ordnung des Arbeitsverhältnisses, des Postulates Berthoud (1981) betreffend Verbindlichkeit berufsständischer Beschlüsse, des Postulates Schirmer (1934) betreffend Obligatorium der Beschlüsse der Berufsverbände, der Motion Malche (1937) betreffend Obligatorium der Kollektivarbeitsverträge. Das Problem weist Berührungspunkte mit der Frage der Einführung der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit auf, die durch den Bundesratsbeschluss vom 27. September 1936 «über ausserordentliche Massnahmen betreffend die Kosten der Lebenshaltung» auf dem Boden des Bundes als Bestandteil der mit der Abwertung zusammenhängenden Massnahmen erstmals eingeführt wurde. Jm oben erwähnten Genfer Gesetz vom 24. Oktober 1936 wird gleichzeitig mit der Allgemeinverbindlichkeit der Kollektivverträge auch die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit eingeführt. Die eben angeführte Kombination der beiden Materien ist auch in einer Beihe ausländischer Gesetze zu finden.

Es dürfte angezeigt sein, der Frage der Schaffung einer Spezialgesetzgebung des Bundes über den Ausbau des Kollektivvertragswesens näherzutreten. Einzelne Kantone haben auf diesem Gebiete Vorarbeit geleistet.

Basel-Stadt hat in seinem Gesetz vom 9. November 1911 betreffend das ständige staatliche Einigungsamt als erster Kanton die Pflicht zur Hinterlegung kollektiver Abmachungen aller Art über das Arbeitsverhältnis im Archiv des staatlichen Einigungsamtes eingeführt (§9). Genf sieht sogar Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen Kollektivverträge vor (Staatsratsbeschluss vom 11. März 1936), und neuestens hat dieser Kanton mit dem mehrfach erwähnten Gesetz vom 24. Oktober 1936 entscheidende Schritte auf
dem Wege des Ausbaus des kollektiven Vertragsrechtes und der Schiedsgerichtsbarkeit unternommen.

Der Bund wird einen gesamtschweizerischen Ausbau des Arbeitsrechtes nach der Seite der Allgemeinverbindlicherklärung kollektiver Abmachungen und der Verwirklichung des Schiedsgedankens bei Arbeitsstreitigkeiten eingehend prüfen müssen. Bei aller Wahrung der kantonalen Zuständigkeiten ist eine einheitliche Ordnung hier schon deshalb angezeigt, weil diese Abmachungen, wie ja auch die Kollektivstreitigkeiten, sich meistens nicht nur auf das Gebiet eines Ortes oder eines Kantons erstrecken.

Auf Grundlage der Beratungen der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung soll die Allgemeinverbindlicherklärung und überhaupt

131 die Zuständigkeit des Bundes zum Ausbau des Arbeitsrechtes ausdrücklich in der Verfassung niedergelegt werden. Es wird zweckmässig sein, vor der Vorlage eines bezüglichen Gesetzes an die Bundesversammlung den Ausgang dieser Verfassungsrevision abzuwarten. Die Dinge sind auch hier im Fluss, aber sie sind derart komplexer und wirtschaftlich weittragender Natur, dass nur mit aller Sorgfalt und Gründlichkeit eine gangbare und tragbare Lösung gefunden werden kann. Dazu braucht es Zeit.

*

Abschliessend stellen wir den

*

*

Antrag, es sei bezüglich Vorschlag l das Begehren auf Erlass eines Bundesbeschlusses betreffend die Herabsetzung der Preise des Vollbrotes, des Mehls, der Teigwaren, sowie der Milch und der Milchprodukte abzulehnen; bezüglich Vorschlag 2 davon Kenntnis zu nehmen, dass die Frage der Ausrichtung von Teuerungszulagen zu den Taggeldern der Arbeitslosenkassen geprüft wird und dass der Bundesrat mit seinem Beschluss vom 28. Mai 1937 die Kantone bereits ermächtigt hat, die Unterstützungsansätze der Krisenhilfe zeitgemäss zu erhöhen; bezüglich Vorschlag 3 davon Kenntnis zu nehmen, dass für die Heimarbeit in der Uhrenindustrie das Minimallohnproblem bereits einer vorläufigen Lösung entgegengeführt ist und dass für die Heimarbeit im allgemeinen eine Gesetzesvorlage bevorsteht ; dass im übrigen der Bundesrat dafür hält, von einer allgemeinen gesetzlichen Festlegung von Minimallöhnen sei Umgang zu nehmen; die priva twirtschaftliche Lohnordnung sei nebst dem individuellen Dienstvertrag den kollektiven Abmachungen der Verbände zu überlassen, und es sei für diese die Möglichkeit der behördlichen Allgemeinverbindlicherklärung im Zusammenhang mit der bevorstehenden Eevision der wirtschaftspolitischen Verfassungsartikel zu prüfen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 20. September 1937.

545

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler:

G. Boret.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Vorschlag des Kantons Basel-Stadt betreffend Massnahmen zur Bekämpfung der Teuerung. (Vom 20. September 1937.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1937

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

39

Cahier Numero Geschäftsnummer

3565

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

29.09.1937

Date Data Seite

118-131

Page Pagina Ref. No

10 033 402

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.