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Bundesgesetz über

das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung.

(Vom 27. Januar 1892.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Ausführung des Art. 122 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 22. Juli 1891, beschließt: Art. 1. Auf dem Wege des Volksbegehrens (Initiative) kann jeder Zeit die Revision der Bundesverfassung in ihrer Gesammtheit oder einzelner Theile derselben verlangt werden (Art. 118, 120, 121 der Bundesverfassung).

Art. 2. Will von diesem Rechte Gebrauch gemacht werden, so ist an den Bundesrath zu Händen der Bundesversammlung eine schriftliche von mindestens fünfzigtausend stimmberechtigten Schweizerbürgern unterzeichnete Eingabe zu richten, in welcher der Gegenstand des Begehrens bestimmt bezeichnet wird.

Art. 3. Der Bürger, welcher das Begehren stellen will, hat dasselbe eigenhändig zu unterzeichnen.

Wer unter eine Eingabe eine andere Unterschrift als die seinige setzt, unterliegt strafrechtlicher Ahndung. (Art. 49 des Bundesgesetzes vom 4. Hornung 1853 über das Bundesstrafrecht, A. S. III, 404.)

649 Art. 4. Jeder Unterschriftenbogen soll den Namen des Kantons und der politischen Gemeinde angeben, wo die Unterschriften beigesetzt wurden.

Er muß, um gültig zu sein, enthalten : 1. den Wortlaut des Revisionsbegehrens; 2. den Wortlaut von Art. 3 dieses Gesetzes; 3. am Schlüsse die mit Datum versehene Bescheinigung des Gemeindevorstandes oder seines Stellvertreters, daß die Unterzeichner in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt sind und ihre politischen Rechte in der betreffenden Gemeinde ausüben. -- Für diese Amtsverrichtung dürfen keinerlei Taxen bezogen werden.

Art. 5. Ist ein Revisionsbegehren eingelangt, so ermittelt der Bundesrath die £>ahl der gültigen Unterschriften.

Außer Betracht fallen: 1. diejenigen Unterschriften, welche nicht innerhalb der Frist von 6 Monaten, vom Tage des Einganges des Revisionsbegehrens zurückgerechnet, durch die zuständige Amtsstelle (Art. 4, Ziff. 3) beseheinigt worden sind; 2. die auf einem ungültigen Bogen (Art. 4, Ziff. l, 2 und 3) befindlichen Unterschriften; 3. diejenigen Unterschriften, bezüglich welcher die in Art. 4, Ziff. 3, geforderte Bescheinigung fehlt oder unvollständig oder unrichtig ist.

Finden sich Unterschriften, welche offenbar von einer und derselben Hand gezeichnet sind, so werden sie als ungültig betrachtet und nicht gerechnet.

Der Bundesrath veröffentlicht über das Ergebniß seiner Ermittlung im Bundesblatt einen Bericht und legt ihn mit sämmtlichen Akten der Bundesversammlung bei ihrem nächsten Zusammentritt vor.

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Art. 6. Lautet das als gültig anerkannte Volksbegehren auf Totalrevision der Bundesverfassung, so ist ohne Weiteres die Frage, ob eine solche stattfinden soll, von der Bundesversammlung dem Schweizervolke zur Abstimmung vorzulegen.

Spricht sich die Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger über die Frage bejahend aus, so sind beide Käthe neu zu wählen, um die Totalrevision an die Hand zu nehmen (Art. 120 der Bundesverfassung).

Art. 7. Verlangt das Revisionsbegehren Erlaß, Aufhebung oder Abänderung bestimmter Artikel der Bundesverfassung und ist dasselbe in der Form der allgemeinen Anregung gestellt, so haben sich die eidgenössischen Räthe spätestens binnen Jahresfrist darüber schlüssig zu machen, ob sie mit dem Begehren einverstanden sind oder nicht.

Stimmen die eidgenössischen Räthe demselben bei, so geben sie der Anregung in Gemäßheit von Art. 121, AI. 5, der Bundesverfassung weitere Folge.

Lehnen sie dasselbe ab oder kommt ein Beschluß binnen obiger Frist darüber nicht zu Stande, so ordnet der Bundesrath über das gestellte Begehren die Vornahme der allgemeinen Volksabstimmung an.

Spricht sich die Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger bejahend aus, so ist die Revision von der Bundesversammlung im Sinne des Volksbeschlusses unverzüglich an die Hand zu nehmen und sodann das Ergebniß ihrer Berathung in der gewöhnlichen Form der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten (Art. 121, AI. 5, der Bundesverfassung).

Art. 8. Ist das Partialrevisionsbegehren in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfes gestellt, so haben die eidgenössischen Räthe spätestens binnen Jahresfrist darüber Beschluß zu fassen, ob sie dem Initiativentwurf, so wie derselbe lautet, zustimmen oder nicht.

651 Art. 9. Kommt ein übereinstimmender Beschluß der beiden Käthe hinsichtlich ihrer Stellungnahme zu dem ausgearbeiteten Initiativentwurfe nicht zu Stande, so wird der letztere ohne Weiteres der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet.

Dasselbe ist der Fall, wenn die Bundesversammlung beschließt, dem Entwurfe zuzustimmen.

Art. 10. Beschließt die Bundesversammlung, dem Entwurfe nicht zuzustimmen, so unterbreitet sie denselben dem Volke und den Ständen zur Abstimmung. Gleichzeitig kann sie einen Verwerfungsantrag stellen oder einen von ihr selbst ausgearbeiteten, die nämliche Verfassungsmaterie beschlagenden Revisionsentwurf ebenfalls der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreiten.

Art. 11. Im Falle der Aufstellung eines besondern Revisionsentwurfes durch die Bundesversammlung werden den Stimmberechtigten die zwei Fragen zur Abstimmung vorgelegt : Wollt Ihr den Revisionsentwurf der Initianten annehmen?, oder Wollt Ihr den Revisionsentwurf der Bundesversammlung annehmen?

: Art. 12. Bei Ermittlung des Abstimmungsergebnisses fallen außer Betracht alle leeren und ungültigen Stimmzeddel.

Stimmzeddel, welche nur eine der beiden Fragen mit Ja oder Nein beantworten, und Stimmzeddel, welche beide Fragen verneinen, sind gültig.

Stimmzeddel, welche beide Fragen bejahen, sind ungültig.

Art. 13. Als angenommen gilt derjenige Entwurf, welcher die Mehrheit der stimmenden Bürger und die Mehrheit der Stände auf sieht vereinigt hat.

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Art. 14. Die über die Abstimmungen aufzunehmenden Protokolle haben anzugeben: die Zahl der Stimmberechtigten der Gemeinde ; die Zahl der eingelangten Stimmzeddel; die Zahl der außer Betracht fallenden Stimmzeddel ; endlich die Zahl der abgegebenen Ja un,d Nein, und zwar im Falle eines eigenen Entwurfes der Bundesversammlung die Zahl der abgegebenen Ja und Nein auf jede der zwei in Art. 11 enthaltenen Fragen.

Art. 15. Sind in Bezug auf die nämliche Verfassungsmaterie eine Mehrzahl von Initiativbegehren bei der Bundeskanzlei eingereicht worden, so ist zunächst das erst eingereichte Begehren durch die Bundesversammlung zu behandeln und zur Volksabstimmung zu bringen.

Die übrigen Begehren werden in der Reihenfolge ihres Einganges je nach Erledigung der früher eingereichten behandelt.

Art. 16. Im Uebrigen gelten bezüglich der Anordnung und Vornahme der Volksabstimmung die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 (A. S. n. F. 1,116) betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse.

Art. 17. Das Bundesgesetz vom 5. Christmonat 1867 (A. S. IX, 205) betreö'end die Begehren für Revision der Bundesverfassung ist aufgehoben ; ebenso die Bundesrathsverordnung vom 2. Mai 1879 (A. S. n. F. IV, 81) betreffend Begehren um Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse und um Revision der Bundesverfassung, soweit dieselbe sich auf die letztere bezieht.

Art. 18. Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betrefiend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Gesetzes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

653 Also beschlossen vom Nationalrathe, B e r n , den 27. Januar 1892.

Der Präsident: Adr. Lachenal.

Der Protokollführer: Billgier.

Also beschlossen vom Ständerathe, B e r n , den 27. Januar 1892.

Der Präsident: GÖttisheim.

Der Protokollführer: Schatzmann.

Der schweizerische Bundesrath beschließt: Das vorstehende Bundesgesetz ist zu veröffentlichen.

B e r n , den 8. Februar 1892. .

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, D e r Bu n d esp r ä si d e n t : Häuser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Note. Datum der Publikation: 10. Februar 1892.

Ablauf der Einspruchsfrist: 10. Mai 1892.

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Bundesgesetz über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung. (Vom 27. Januar 1892.)

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