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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde der Lea M. Brasey in Rueyres-les-Prés, Kanton Freiburg, wegen Verletzung der Vorschriften von Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung betreffend schickliche Beerdigung.

(Vom 6. April 1900.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t hat über die Beschwerde der Lea M. B r a s e y in Rueyres-lesPrés, Kanton Freiburg, wegen Verletzung der Vorschriften von Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung betreffend schickliche Beerdigung auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

In einer Eingabe, eingelangt den 12. Dezember 1899, beschwerte sich Lea M. Brasey in Rueyres-les-Prés beim Bundesrat darüber, daß ihrer in Rueyres-les-Prés, verstorbenen Mutter, Frau Brasey-Haldimann, das Grabgeläute verweigert worden sei. Die Beerdigung der Frau Brasey-Haldimann, die, selbst Protestantin, mit einem Katholiken verheiratet gewesen war, habe am 29. November 1899, um l Uhr mittags, stattgefunden ; als man aber die

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Kirchenglocken habe läuten wollen, sei die Kirche verschlossen gefunden worden ; der Schlüssel sei vom katholischen Dorfpfarrer, im Einverständnis mit dem Kirchgemeinderat von Rueyres-les-Prés weggenommen worden, um das Läuten zu verhindern.

II.

Diese Beschwerde wurde durch das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartrment am 18. Dezember 1899 dem Staatsrat, des Kantons Freiburg zur Vernehmlassung zugestellt. Nachdem derselbe mit Schreiben vom 5. Januar 1900 die Beantwortung der Beschwerde hinausgeschoben hatte ,,wegen zahlreicher Feste und dringender in dieser Periode zu erledigender Geschäfte"1, entschuldigte er am 23. Februar 1900, auf eine Recharge des Departements hin, das Ausbleiben einer Antwort mit dem Hinweis darauf, daß der dem Justizdepartement des Kantons Freiburg vorstehende Staatsrat schwer erkrankt sei, wodurch mehrere Geschäfte in Rückstand gekommen seien. Auf eine neue Recharge des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes, in welcher der Staatsrat ersucht wurde, falls er die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten thatsächlichen Beschwerden nicht anerkenne, seine Gegenbemerkungen bis zum 24. März 1900 anzubringen, antwortete der Staatsrat nicht.

m.

Mit Zuschrift vom 27. März reichte Lea M. Brasey ein AktenStück ein. Dasselbe stellte sich als eine Ladung dar, ausgehend von der Kirchgemeinde Rueyres-les-Prés, gerichtet gegen : 1. die politische Gemeinde Rueyres, 2. Lea M. Brasey.

Diese Ladung enthält folgende Begehren : 1. Es möge das Gericht aussprechen, daß die Kirchgemeinde von Rueyres-les-Prés alleinige Eigentümerin der Kirche, des Turmes und der drei in demselben sich befindlichen Glocken sei ; 2. daß die Kirchgemeinde daher allein das Recht habe, über diese Lokalitäten zu verfügen und die fraglichen Glocken für ihren Gottesdienst zu benützen; 3. daß weder Lea Brasey noch die Gemeinde Rueyres-lesPrés irgend ein Gebrauchsrecht oder eine Servitut an den Glocken oder der Kirche haben;

485 4. daß sich Lea Brasey jeglicher Besitzesstörung und jeglichen Eingriffes in das Eigentumsrecht an der Kirche wie an den Kirchenglocken zu enthalten habe.

In der Begründung dieser Begehren ist aufgeführt, daß die Kirchgemeinde seit ihrer Gründung im Jahre 1663 Eigentümerin der Glocken der Kirche sei und daß ihr das ausschließliche Verfügungsrecht über die Kirchenglocken zustehe. Es wird dabei auf verschiedene Stellen des freiburgischen Civilgesetzbuches verwiesen.

In der Begründung kommt unter anderem folgende Ausführung vor: Wenn heute die Kirchgemeinde sich gezwungen sieht, das ausschließliche Eigentum und Gebrauchsrecht, das ihr an der Kirche und den Glocken seit unvordenklichen Zeiten zusteht, geltend zu machen, so geschieht dies wegen der Thatsache, daß neulich Lea Brasey bei der Beerdigung der Frau Brasey, geb. Haldimann, einer Protestantin, den Anspruch auf den Gebrauch der Glocken erhoben, zur Geltendmachung dieses Anspruches sich an den Syndic und die Gemeinde von Rueyres-les-Prés gewendet hat, und daß der Gemeinderat Schritte im Sinne dieses Begehrens gethan hat.

Diesem Vorgehen hielt die Kirchgemeinde ihr Recht entgegen. Da aber die Kirchgemeinde von Rueyres-les-Prés erfuhr, daß Lea Brasey mit ihrer Klage bis vor die Bundesbehörde gegangen ist, hat sie darin eine Besitzesstörung und eine Bestreitung ihres alleinigen Eigentums und Nutzungsrechts erblickt.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung bestimmt: ,,Die Verfügung über die Begräbnisplätze steht den bürgerlichen Behörden zu. Sie haben dafür zu sorgen, daß jeder Verstorbene schicklich bserdigt werden kann." Mit der Vollziehung dieser Verfassungsbestimmung betraut, hat der Bundesrat in konstanter Praxis angenommen, es gehöre zu den Erfordernissen einer schicklichen Beerdigung, daß die Beerdigung überall da unter Glockengeläute geschehe, wo das · Grabgeläute lokale oder kantonale Sitte ist.

(Salis II, Nr. 734, 737, 741 ; Bundesratsbeschluß in Sachen Samuel Bill vom 24. August 1897, Bundesbl. 1897, IV, 98; Bundesratsbeschluß in Sachen Jean Werro vom 20. Juni 1898, Bundesbl.

1898, III, 861). Ebenso hat der Bundesrat in dem erwähnten

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Beschlüsse in Sachen Jean W erro festgesetzt, es ergebe sich für den Kanton Freiburg aus den Erhebungen und Mitteilungen, die anläßlich der Beschwerde Bill vom 24. August 1897 und in Sachen der Beschwerde Jean W erro selbst gemacht worden seien, daß das Glockengeläute bei Beerdigungen im ganzen Kanton Freiburg ortsüblich und gebräuchlich sei, und daß daher das Unterlassen des Grabgeläutes eine Beerdigung zu einer unschicklichen mache. Daraus folge für die bürgerlichen Behörden die Pflicht, dafür zu sorgen, daß bei allen Beerdigungen das Grabgeläute stattfinden könne, und daß namentlich die Konfession des Verstorbenen niemals einen Grund für Unterlassung des Glockengeläutes bei der Beerdigung sein dürfe.

II.

An diesen Verhältnissen wird nichts geändert dadurch, daß, der Kirchgemeinderat von Rueyres-les-Prés behauptet, die Kirchgemeinde sei Eigentümerin der Kirche, des Turmes und der Kirchenglocken. Diese Auffassung ist vom Bundesrat schon mehrfach zurückgewiesen worden, insbesondere im Entscheid über das Gesuch des reformierten Pfarrgemeinderates in Bulle vom 20. Juni 1898, sub B U I (Bundesbl. 1898, IH, 870).

Vollständig unhaltbar erscheint aber die in der Klage des Kirchgemeinderates von Rueyres-les-Prés aufgestellten Behauptung, als enthalte die Beschwerde der Lea M. Brasey an den Bundesrat eine civilrechtliche Besitzesstörung.

Abgesehen davon, daß es schon vom rein civilrechtlichen Standpunkt als zweifelhaft erscheint, ob ohne körperliche Einwirkung bei dem gegebenen Thatbestand eine Besitzesstörung denkbar erscheint, ist die Grundlage jeder Besitzesstörung ein unerlaubtes und rechtswidriges Handeln des Störers. Lea M. Brasey hat aber nichts anderes gethan, als daß sie das ihr verfassungsmäßig eingeräumte Recht der staatsrechtlichen Beschwerde wegen: Verletzung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung geltend gemacht hat. Damit, daß sie für ein ihr durch die Bundesverfassung zugesichertes staatsrechtliches Individualrecht bei der zuständigen Behörde Schutz begehrt, begeht sie weder eine unerlaubte noch eine rechtswidrige Handlung, also auch keine Besitzesstörung.

III.

Im vorliegenden Falle ist dem Begräbnis der Frau BraseyHaldimann unbestrittenermaßen wegen ihrer protestantischen Kon-

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fession durch den Pfarrer und den Kirchgemeinderat von Rueyresles-Prés das Grabgeläute verweigert und damit die Bundesverfassung verletzt worden. Dieser Vorwurf der Verfassungsverletzung trifft in gleichem Maße den fehlbaren Gemeinderat und Pfarrer, wie den Staatsrat des Kantons Freiburg. Denn nachdem in den Jahren 1897 und 1898 im Kanton Freiburg bei nicht weniger als drei Anlässen Art. 53 der Bundesverfassung verletzt, und der Staatsrat wiederholt vom Bundesrat aufgefordert worden ist, dafür zu sorgen, daß der Bundesverfassung im Kanton Freiburg Nachachtung verschafft werde, lag es dem Staatsrat, ob, den Gemeindebehörden des Kantons in bestimmter Weise, sei es durch eine Erklärung an sämtliche Amtsstellen, sei es auf dem Wege des Erlasses einer Verordnung oder eines Gesetzes mit Strafbestimmungen für den Übertretungsfall die Befehle der Bundesverfassung in Erinnerung zu rufen und sie denselben nachzukommen zu zwingen.

Demnach wird erkannt: 1. Die Beschwerde wird als begründet erklärt. Der Staatsrat des Kantons Freiburg wird eingeladen, durch einen den Behörden sämtlicher Gemeinden des Kantons zuzustellenden Erlaß im Sinne der Erwägungen dafür zu sorgen, daß Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung im Kanton Freiburg Nachachtung findet, und das Glockengeläute bei Beerdigungen nicht katholischer Personen in gleicher Weise wie bei Beerdigungen von Katholiken stattfindet.

2. Der Staatsrat des Kantons Freiburg wird eingeladen, dem Bundesrat über die Vollziehung dieses Beschlusses Bericht zu erstatten.

B e r n , den 6. April 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde der Lea M. Brasey in Rueyres-les-Prés, Kanton Freiburg, wegen Verletzung der Vorschriften von Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung betreffend schickliche Beerdigung. (Vom 6. April 1900.)

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