922

# S T #

Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Jakob Rupp in Heiligenschwendi (Kanton Bern) wegen Verweigerung eines "Wirtschaftspatentes.

(Vom 10. Dezember 1900.)

Der s c h w e i z e r i s c h e Bun d esr at hat über die Beschwerde des Jakob R u p p in Heiligenschwendi [Kanton Bern) wegen Verweigerung eines Wirtschaftspatentes; auf den Antrag des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Jakob Rupp hat bei der Direktion des Innern des Kantons Bern zu wiederholten Malen, am 29. Oktober 1898, 28. Dezember 1899, zuletzt am 3. Februar 1900, um die Erteilung eines Wirtschaftspatentes für seinen Neubau in Heiligenschwendi, ob Sigriswil, nachgesucht ; diese Behörde verweigerte ihm das Patent jedesmal, zuletzt mit Verfügung vom 24. März 1900. Diese letzte Abweisungsverfügung war folgendermaßen begründet: ,,Da nach dem neuern

923 Bericht des Gemeinderates von Heiligenschwendi für die weitläufige Gemeinde mit zerstreuten Besitzungen und meist kleinbäuerlicher Bevölkerung mit wenig Verkehr kein Bedürfnis nach einer Wirtschaft vorhanden ist, gegenteils eine solche der Ortschaft kein Glück bringen würde, so habe ich auch dem erneuten Gesuch des Jakob Rupp nicht entsprechen können, und zwar um so weniger, als nach Erteilung eines beschränkten Wirtschaftspatentes an den Verein der bernischen Heilstätte für Tuberkulose hauptsächlich zur Bewirtung und allfälligen Beherbergung .der die Pfleglinge und Angestellten der Anstalt besuchenden Personen, unter Vorschriften über Ordnung und Ruhe der Pfleglinge, dem geringen Bedürfnis vollständig Genüge geleistet wird."

Gegen dio Verfügung vom 24. März 1900 rekurrierte der Patentbewerber an den Regierungsrat des Kantons Bern. Mit Schlußnahme vom 4. Juli 1900 wies aber auch dieser den Bewerber ab. · Der Abweisungsbeschluß wurde dem letzter am 8. Juli 1900 zugestellt. Der Regierungsrat machte folgende Abweisungsmoli ve geltend: Alle drei Gesuche des Rekurrenten sind jeweils von den begutachtenden Behörden, dem Gemeinderat von Heiligenschwendi und dem Regierungsstatthalter von Thun, mit dein Antrug auf Abweisung begleitet worden, weil, wie diese Behörden erklärten, die Gemeinde Heiligenschwendi arm und kein Bedürfnis zur Errichtung einer Wirtschaft für die sehr zerstreut wohnende .Bevölkerung mit wenig Verkehr vorhanden sei. Der Empfehlung des Wirtschaftspatentgesuches durch eine Anzahl Bewohner dortiger (legend kann kein großes Gewicht beigelegt werden, da solche Empfehlungen erfahrungsgemäß leicht erhältlich sind. - - Noch bevor die Direktion des Innern über das letzte Gesuch des Rekurrenten Beschluß gefaßt hatte, langte vom Verein der bernischen Heilstätte für Tuberkulöse in Heiligenschwendi selbst ein Gesuch um Erteilung eines beschränkten Wirtschaftspatentes mir Bewirtung und allfälligen Beherbergung der die Pfleglinge und Angestellten der Anstalt besuchenden Personen ein, das in einem ungefähr 400 Meter von der Anstalt entfernt liegenden, einer Witwe Maria Zürcher und deren Schwester Magdalena Bützer gehörigen Hause ausgeübt werden sollte, unter beschränkenden Bestimmungen be hufs Kontrolle der Pfleglinge und zu ihrem Schutze gegen allfällige Beunruhigung. Mit Rücksicht auf diesen
Umstand erteilte die Direktion des Innern, nach dem Antrage des Regierungsstatthalters.

der einen der Hauseigentümerinnen, der Maria Zürcher, als Geschäftsführerin des Voreins der bernischen Heilstätte das Gast-

924 wirtschaftspatent, hauptsächlich f'lr die Besucher der Pfleglinge und Angestellten der Heilstätte, UB.d mit Beschränkung der Wirtschaftsstunde im Sommer auf 10 Uhr, im Winter auf 9 Uhr abends, und mit der ferneren Beschränkuag, daß ein Ausschank von gewöhnlichem Branntwein nicht stattfinden solle. Hierdurch glaubte die Direktion des Innern dem Bedürfnis nach einer beschränkten Wirtschaft Genüge geleistet zu haben und wies demnach das Gesuch des Jakob Rupp um Erteilung eines unbeschränkten Wirtschaftspatentes ab. Nach Prüfung der Verhältnisse findet der Regierungsrat die Verfügung der Direktion des Innern begründet.

IU Gegen diesen Regierungsrat&boschluß ergreift Jakob Rupp, mit Eingabe vom o. September 1900, die staatsrechtliche Beschwerde an den Bundesrat und verlangt die Aufhebung desselben, eventuell, es sei der genannte Beschluß in dem Sinne y,u modifizieren, daß der Regierungsrat des Kantons Bern angewiesen werde, dem Rekurrenten mindestens ein gleiches Patent zu orteilen, wie dein Verein der bernischen Heilstätte für Tuberkulöse zu teil geworden sei. Zur Begründung seiner Beschwerde bringt er folgendes vor : Die Lokalitäten des dem Rekurrenten gehörigen, für die Wirtschaft bestimmten Neubaues entsprechen in jeder Beziehung den Vorschriften des bernischen Wirtschaftsgesetzes vom 19. April 1894.

Gegen die Person des Patentbevrerbers ist keine Einwendung erhoben worden.

Die Verfügung der bernischen Direktion des Innern vom 24. März 1900, gegen die Jakob Kupp an den Regierungsrat rekurriert hat, begründet die Abweisung Rupps damit, daß dem Verein der bernischen Heilstätte für Tuberkulöse nur ein ,,beschränktes Wirtschaftspatenta ertoi.t worden sei.

In der Einteilung der Wirtschaften in Art. 9 des bernischeu Wirtschaftsgesetzes findet sich aber nirgends die Erwähnung eines ,,beschränkten Wirtschaftspatentesa. Nach dem Wirtschaftsgesetz kann also die Frage nicht gestellt werden, ob eine Wirtschaft mit vollem oder beschränktem Betrieb zu bewilligen sei, sondern es ist von den zuständigen Behörden die Frage zu entscheiden, ob ein Bedürfnis für eine Wirtschaft überhaupt vorhanden sei oder nicht. Im vorliegenden Fall hat die Direktion des Innern erklärt, daß eine Wirtschaft ein Bedürfnis sei ; sie redet allerdings von

925 einem geringen Bedürfnis; sie konstatiert aber damit doch, daß ein Bedürfnis da sei. Dies wird bestätigt durch eine Empfehlung des vorliegenden Wirtschaftsgesuches, die von einer Anzahl von Bürgern von Heiligenschwendi am 20. Juli 1900 ausgestellt worden ist. Angesichts dieser Feststellung hatte der Regierungsrat des Kautons Bern, als am 7. März 1900 der Verein der heroischen Heilstätte für Tuberkulöse für ein unbeschränktes, und nicht, wie der Regierungsrat behauptet, ein beschränktes Wirtschaftspatent nachsuchte, sich zu gunsten eines der beiden Gesuche zu entscheiden. Im übrigen gleich, hatte Jakob Kupp die Priorität bezüglich der Stellung seines Gesuches für sich, nach dein Grundsatz "prior iure potior iure" wie der Bundesrat in Sachen Christian Luginbühl am 27. Mai 1898 (Bundesbl. 1898 III, S. «73 ; V, 8.120) i'estgestellt hat. Wenn also der Regierungsrat dem Rekurrenten trotz des bestehenden Bedürfnisses ein Wirtschaftspatent verweigerte, verletzte or den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 3l Bundesverfassung), und indem er selbst die Bedürfnisfrage dem einen Patentbewerber, dem genannten bernischen Verein gegenüber, bejahte, dem andern, dem heutigen Rekurrenten gegenüber, verneinte, hat er einen Akt der Rechtsungleichheit geschälten und damit auch Art. 4 der Bundesverfassung und Art. 71 der bernischen Staatsverfassung verletzt. Diese Rechtsungleicheit ist um so auffallender, als die Räumlichkeiten der vom Regierungsrat bewilligten Wirtschaft den Vorschriften des bernischen Wirtschaftsgesetzes nicht genügen. Da der Regierungsrat nun aber dem Verein ein Patent erteilt hat, so kann er sich nicht darauf berufen, es habe nun ein Patentberechtigter ein Patent, sondern er muß dem besser .Berechtigten nachträglich ebenfalls ein Patent bewilligen. Eventuel} hätte der Regierungsrat, beziehungsweise die Direktion des Innern.

d e m besser berechtigten Jakob Rupp vorerst e i n sogenanntes ein solches annehme oder nicht.

Jakob Rupp einfach abzuweisen.

Keineswegs aber ging es an.

HJ.

Zur Vernehmlassung auf die Beschwerde eingeladen, beantragt der Regierungsrat des Kantons Bern untor dem 27./29. September 1900 die Abweisung beider Rechtsbegehren des Rekurrenten. Indem er sich in erster Linie auf die in seinem Abweisungsbeschluß vom 4. Juli 1900 genannten Motive als integrierenden Bestandteil seiner Antwort beruft, führt er des weitern noch aus :

926 ( Bino ungleiche Behandlung der Bürger hat durch die Abweisung des Jakob Rupp und durch die Erteilung eines beschränkten Wirtschaftspatentes an den Verein der bernischen Heilstätte Heiligenschwendi deshalb nicht stattgefunden, weil es sich in diesen Fällen um zwei total verschiedene Dinge gehandelt hat, Rupp hat seit 1898 stets eine durch keine andern Vorschriften als diejenigen dos Wirtschaftsgesetzes beschränkte öffentliche Wirtschaft anbegehrt, und eine solche ausdrücklich als Bedürfnis der Bevölkerung von Heiligenschwenid bezeichnet. Letzterer Behauptung gegenüber haben sowohl der dortige Gemeinderat als der Regierungsstatthalter von Thun konsequent sich dahin ausgesprochen, daß die Errichtung einer Wirtsduft geradezu ein Schaden wäre.

Außerdem ist bekannt, daß in nicht all/u großer Entfernung von Heiligenschwendi nämlich auf eine Seite in der Gemeinde Goldiwil und auf der andern Seite in der Gemeinde Sigriswil, sich bereits Wirtschaften befinden. Gemäß S 6 des bornischen Wirtschaftegesetzes, welcher lautet: ,,Das Patent für die Errichtung einer neuen, sowie die Erneuerung oder Übertragung eines Patentes für eine bestehende Wirtschaft soll verweigert werden, wenn das Entstehen oder die Weiterführung einer Wirtschaft am beireffenden Orte dem lokalen Bedürfnis und dem öffentlichen Wohle zuwider ist mußte daher das Begehreu des Jakob Rupp als dein öffentlichen Wohle widersprechend abgewiesen worden. Dieser Beschluß war um so gerechtfertigter, als die Direktion der Anstalt Heiligenschwendi mit aller Entschiedenheit gegen die Errichtung einer Wirtschaft im Hause des Jakob Rupp Einsprache erhob; wäre doch diese auf eine halbe Stunde Entfernung gerade nahe genug gewesen, um von den Patienten in ihrem Freistunden zu ihrem eigenen Schaden besucht zu werden, und wieder zu weit entfernt, als dass von der Anstalt aus eine Kontrolle über sie hätte ausgeübt werden können ; eine solche wäre, beiläufig bemerkt, auch unmöglich, weil sich in Heiligenschwendi kein Polizeipostenbefindet. Ganz andern verhält es sich mit dem Patent, welches dem Verein der Heilanstalt für Tuberkulöse in Heiligenschwendi unter der Bezeichnung der Witwe Marianne Zürcher als Geschäftsführerin gemäß § 2 des Wirtschaftsgesetzes für eine im Haus der letztern zu eröffnende Wirtschaft erteilt worden ist. Die Ausdehnung dieser Anstalt --
sie zählt zur Zeit über 100 Patienten -- brachte es mit sich, daß für die Hin- und Rückreise, sowie für den Besuch der Patienten häufig auswärtige Personen kommen, die irgendwo sich müssen verköstigen können, da man der Anstalt nicht zumuten kann, sie.

alle gratis zu bewirten. Aus diesem Grunde wünschte die Direktion

927 dieser Anstalt mit Gesuch vom 7. März 1900, daß ihr auf das in einer Entfernung von cirka 5 Minuten von der Anstalt gelegene Haus der Marianne Zürcher ein "Wirtschaftspatent erteilt und daß Marianne Zürcher als Geschäftsführerin bezeichnet werde. Die Direktion der Anstalt wünschte aber selbst, daß ini Interesse der Patienten, die etwa in der Wirtschaft eine Erquickung suchen, und im Interesse der Ruhe der Anstalt gewisse Beschränkungen aufgestellt werden. Diese wurden von der Direktion des Innern des Kantons Bern bestimmt, wie sie in der Rekursschrift angegeben.

Die heute bestehende Einrichtung ermöglicht eine Kontrolle der Anstalt über die Wirtschaft, und eine Anstalt vom Charakter und der Bedeutung derjenigen von Heiligenschwendi verdiente es wohl, von den Behörden in ihrem Interesse geschützt zu werden. Es ist damit weder Art. 4 noch Art. 71 der Staats Verfassung verletzt worden.

Ebensowenig hat durch den Beschluß vom 4. Juli 1900 eine Verletzung des bernischen Wirtschaftsgesetzes stattgefunden. Rekurrent erblickt eine solche einmal in angeblich dem Gesetze nicht entsprechenden Verhältnissen der Wirschaftslokalitäten der Marianne Zürcher, sodann in den im Patente derselben aufgestellten .Beschränkungen. Gegenüber dem ersten Vorwurf ist auf Art. 15 der Vollziehungsverordnung zum Wirtsohaftsgesetz vom 10. August 1894 zu verweisen, wonach für Berggegenden, und eine solche ist Heiligenschwendi unstreitig, eine Ausnahme von der Vorschrift einer Minimalhöhe von 2,ö Meter für Wirtschaftslokale gestattet werden kann. Was die im genannten Patente aufgenommenen Beschränkungen betrifft, so ist vorerst dem Rekurrentcn die Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde wegen Aufnahme von besonderen Vorschriften in ein Wirtschaftspatent zu bestroiteu ; einzig der Patentträger könnte sicli beschweren, wenn ihm wider seinen Willen Beschränkungen, die er für ungesetzlich hält, auferlegt würden ; dieser, nämlich die Direktion der Anstalt Heiligenschwendi, hat sich aber mit den Einschränkungen im Interesse dei' Patienten einverstanden erklärt.

Erweist sich nach dem Gesagten das erste Rekursbegohren als unbegründet, so muß auch das zweite abgewiesen werden, weil die Gründe, welche die Bewilligung einer Wirtschaft mit beschränktem Betrieb in der Nähe der Anstalt rechtfertigen, beim Hause Rupp nicht vorliegen und
es unmöglich wäre, zu kontrollieren, ob den aufgestellten Beschränkungen nachgelebt werde.

Übrigens hat Rupp um ein derartiges Patent niemals nachgesucht, und behauptet er in der Rekursschrift ja selbst, die Wirtschaft

928 sei nicht für die Insassen der Anstalt, sondern für die Bevölkerung von Heiligenschwéndi berechnet ; für diese ist aber das Vorhandensein eines berechtigten Bedürfnisses nach Errichtung einer Wirtschaft konsequent verneint worden.

IV In der Replik vom 20. Oktober 1900 bemerkt der Beschwerdeführer noch, indem er einen Augenschein beantragt: Der Regierungsrat des Kautons Hern hat die vorwürfige Angelegenheit weder in seinem Beschluß vom 4. Juli 1900 noch in der Antwort auf dies Beschwerde an den Bundesrat erörtert. Seine Ausführungen in der Beschwerdebeantwortung gipfeln in der Behauptung, Rekurrent habe ein volles Wirtschaftspatent verlangt, während die Direktion der Anstalt Heiligenschwendi selbst gewünscht hätte, daß im Interesse der Patienten, die in der Wirtschaft eine Erquickung suchen, und im Interesse der Ruhe der Anstalt gewisse Beschränkungen aufgestellt würden. Diese Behauptung der Regierung ist nun aber durchaus unrichtig. Man vermißt im Patentgesuch der Anstalt jede derartige Andeutung; vielmehr wird ausdrücklich gesagt : ,,Der ganze Wirtschaftsbetrieb soll sich nach den jeweilen geltenden Vorschriften richten; die Direktion des sich bewerbenden Vereins behält sieh einzig einschränkende Vorschriften in Bezug- auf Bewirtung und Behandlung der Patienten der nahe gelegenen Anstalt für Tuberkulöse vor." Also nicht von der Direktion des Innern wurden derartige Vorschriften verlangt, sondern die Direktion der Anstalt behielt sich selbst vor, solche zu erlassen. Wenn daher die bernische Direktion des Innern sie erließ, so that sie dies nicht in Entsprechung eines Gesuches der Anstaltsdirektion, sondern aus eigener Machtvollkommenheit, nun für ihr Bedürfnis eine Verschiedenheit in den zwei Wirtschaftspatentgesuchen zu schaffen, die in den Gesuchen selbst nicht begründet war.

Ganz unerheblich ist der Einwand des Regierungsrates es befinde sich in Heiligenschwéndi kein Polizeiposten, und daher schon habe das Patentgesuch des Jakob Kupp nicht angenommen werden können. Denn einerseits ist der Gemeinderat Orstspolizei und hat.

wohl Gewalt genug, um dafür zu sorgen, daß die Gesetze beobachtet werden; andrerseits hätte, wenn der Einwand des Regierungsrates begründet wäre, überhaupt keine Wirtschaft geduldet, werden dürfen, weil j a auch niemand kontrollieren kann, o b

929

Wirtschaft Zürcher thatsächlich befolgt werden ; auch dafür wäre ein Polizeiposten sehr nötig.

Die Verweisung der bernischen Behörde auf die Wirtschaften in Goldiwil und Sigriswil scheint kaum aus Rechtsgründen angeführt worden zu sein, denn zweifellos kann es dem Bürger, der einen Ausflug macht, nicht gleichgültig sein, ob er, um eine Erquickung zu linden, eine Stunde weiter marschieren muß oder nicht.

Auch gegenüber dem Vorwurf bat sich der Regierungsrat nicht gerechtfertigt, daß er sich mit der Erteilung einer Wirtschaftsbewilligung für das Haus der Marianne Zürcher einer Verletzung des bernischen Wirtschaftsgesetzes schuldig gemacht habe. Erstens sind die Wirtschaftslokalitäten des Vereins der bernischen Heilstätte für Tuberkulöse von der Behörde gar nie auf ihre Gesetzmäßigkeit geprüft worden, und außerdem muß, wenn eine Ausnahme von den Bestimmungen des Wirtschaftsgesetzes über die Höhe der Wirtschaftslokalitäten gemacht werden soll, zweifellos um die Gestattung einer solchen Ausnahme im Patentgesuch nachgesucht werden. Aber abgesehen von dieser Erwägung ist die versuchte Rechtfertigung der Regierung auch materiell falsch.

Zugegeben auch, daß Heiligenschwendi höher liege, als das schweizerische Hochplateau im Allgemeinen, so ist es noch lange keine Berggegend und die dort befindlichen Etablissemente keine Bergwirtschaften ; unter solchen versteht man, wie aus dem Tagblatt des bernisehen Großen Rates vom Jahre 1894 hervorgeht, bloß ganz abgelegene Wirtschaften. Die Legitimation des Rekurrcnten zur Rüge dieses Übelstandes ergiebt sich daraus, daß Eekurrent durch das gesetz- und verordnungswidrige Vorgehen des bernischen Regierungsrates verletzt wird, indem man die Gesetzwidrigkeit dazu benützt, um darzuthun, daß die beiden Patentgesuche grundverschiedene Dinge seien.

Durch die Behauptung der bernischen Regierung, die bewilligte Wirtschaft sei eine Bergwirtschaft und Heiligenschwendi eine Berggegend, sind thatsächliche Streitfragen geschaffen, die wohl um besten durch einen Augenschein gehoben werden können.

V.

In der Duplik vom 2G./27. Oktober 1900 fuhrt der Regierungsrat des Kantons Bern noch aus: Um die thatsächliche Verschiedenheit der Patentgesuche der Anstalt und des Jakob Rupp zu bestreiten, klammert sich Replikant an den Umstand, daß jene dio Bundesblatt. 02. Jahrg.

Bd. IV.

64

930

heroische Direktion des Innern nicht um die Aufstellung beschränkender Bestimmungen für den Betrieb ihrer Wirtschaft ersucht habe.

Es ist doch aber klar, daß, sobald die Direktion der Anstalt solche Beschränkungen wünschte, diese durch Aufnahme in das Patent selbst am besten gesichert wurden. Dies geschah denn auch, nachdem ein Vertreter der Direktion der Anstalt sich in mündlieber Unterredung mit der Direktion des Innern ausdrücklich damit einverstanden erklärt hatte. Bezüglich der Ausführungen des Rekurrenten betreffend eine mangelnde Kontrolle über die den Wirtschaftsbetrieb beschränkenden Bestimmungen ist noch zu bemerken, daß die Anstaltsdirektion, die im Interesse ihrer Patienten die Beschränkungen veranlaßt, und, um die Sache ganz in ihrer Hand zu halten, das Patent auf ihren Namen genommen hat, sieh nachher auch um die Befolgung dieser Bestimmungen bekümmern wird.

Rekurrent stellt ferner die Behauptung auf, die Wirtschaftslokalitäten seien von der bernischen Behörde nie auf ihre Gesetzmäßigkeit geprüft worden. Rekurrent muß aber doch wissen, daß zu jedem Patentgesuch der Gemeinderat einen Bericht nach vorgeschriebenem Formular zu erstatten hat, auf welchem unter ander die Frage steht : ,,Welche Höhe haben die Wirtschaftzimmer?" Diese Frage ist im Bericht vom 17. März 1900 zum Gesuch der Anstalt Heiligenschwendi beantwortet mit: ,,Meter 2,33".

Was die Qualifikation einer Gegend als einer Berggegend betrifft, so beansprucht der Regierungsrat in der That, die Interpretation des Ausdruckes ,,Berggegend" in der Vollziehungsverordnung zum bernischen Wirtschaftsgesetz von Fall zu Fall seihst vorzunehmen.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Durch Schlußnahme vom 4./8. Juli 1900 hat der Regierungsrat des Kantons Bern ein Gesuch des Beschwerdeführers um Erteilung der Bewilligung für die Eröffnung einer Wirtschaft in Heiligenschwendi ob Sigriswil wegen mangelnden Bedürfnisses abgewiesen.

In der gegen diesen Beschluß an den Bundesrat gerichteten staatsrechtlichen Beschwerde bestreitet der Récurrent nicht, daß der Regierungsrat neue Wirtschaftsbewilligungen wegen mangelnden Bedürfnisses verweigern könne. In der That hat der Bundesrat zu wiederholten Malen erklärt, daß die Bestimmung des .bernischen

931

Wirtschaftsgesetzes vom 19. April 1894, wonach das Patent für die Errichtung einer neuen Wirtschaft verweigert werden soll, wenn das Entstehen einer neuen Wirtschaft am betreffenden Orte dem lokalen Bedürfnis und dem öffentlichen Wohle zuwider ist (Art. 6 leg. cit.), mit Art. 31, litt, c, der Bundesverfassung nicht in Widerspruch stehe.

.Rekurrent behauptet eine Verletzung von Art. 31 der Bundesverf'assung nur insofern, als die oberste Behörde des Kantons Bern die thatsächliche Frage, ob ein Bedürfnis bestehe oder nicht, in willkürlicher Weise verneint habe. Wenn Rekurrent diese Behauptung begründen wollte, so mußte er nachweisen, daß in der Ortschaft Heiligenschwendi, bei deren Centrum sein Haus liegt und in welcher er seine Wirtschaft hätte ausüben wollen, dus Bedürfnis nach einer neuen Wirtschaft thatsächlich existiere.

Diesen Nachweis ist er aber schuldig geblieben. Er kann .sich zur Begründung seiner Behauptung lediglich auf die Aussage einiger Privatpersonen berufen, von denen ein Teil nicht einmal in Heiligenschwendi wohnt. Der bernische Regierungsrat dagegen stützt seine abweisende Entscheidung auf die Feststellungen der gesetzlich zur Begutachtung des Wirtschaftsgesuches des Beschwerdeführers verpflichteten Behörden, des Gemeinderates von Heiligenschwendi und des Regierungsstatthalters von Thun, welche übereinstimmend die Bedürfnisfrage verneint haben.

Daß in der Nähe der vorn Gesuchsteller projektierten Wirtschaft sich kein Polizeiposten befindet, hätte allerdings nicht als Abweisungsgrund seitens der kantonalen Behörden geltend gemacht werden können (Entscheid des Bundesrates in Sachen Jean Chappuis vom 29. März 1900).

In zweiter Linie ficht der Beschwerdeführer die Entscheidung vom 4./8. Juli 1900 an, weil der Regierungsrat sich bei der Behandlung der ,,Bedürfnisfrage"' einer Verletzung von Art. 4 der Bundesverfassung, des Grundsatzes der Rechtsgleichheit der Bürger schuldig gemacht habe, indem or einem Mitbewerber um ein Wirtschaftspatent in der gleichen Gemeinde, nämlich der Anstalt des Vereins der bernischen Heilstätte! für Tuberkulöse in Heiligenschwendi, ein beschränktes Wirtschaftspatent eingeräumt habe, ohne daß ihm selbst, als dem ersten Wirtschaftsbewerber, vorher ein gleiches Patent angeboten worden wäre. Auch dieser Anfechtungsgrund ist nicht stichhaltig. Denn es ergiebt
sich aus den vom Regierungsrat angeführten Umstanden, daß die tatsächlichen Verhältnisse bei den beiden Wirtschaftsgesuchen durchaus verschiedene waren. Die bewilligte Wirtschaft ist lediglich fit r die

932

Bedürfnisse der in der abseits von der Ortschaft gelegenen Anstalt, Heiligenschwendi behandelten und beschäftigten Personen, sowie der diese besuchenden Fremden geschaffen worden, und die neue Wirtschaft kann diese Aufgabe auch nur erfüllen, weil sie, in» Gegensatz zum Haus des Beschwerdeführers, das wenigstens 20 Minuten weit entfernt liegt, dicht bei der Anstalt gelegen ist, so daß eine Überwachung des Wirtschaftsbetriebes durch die Anstaltabehörden leicht erfolgen kann.

Wenn der Regierungsrat der Anstalt Heiligenschwendi eine Wirtschaft auf Grund besonderer thatsächlicher Verhältnisse bewilligt hat, so hat er diesen Entscheid treffen dürfen, ohne mit seiner Feststellung, daß in der Ortschaft Heiligenschwendi ein Bedürfnis für Eröffnung einer neuen Wirtschaft nicht bestehe, in Widerspruch zu geraten.

Was die behauptete Verletzung des bernischen Wirtschaftsgesetzes anbelangt, welche darin liegen soll, daß die Zimmer der für die Anstalt bewilligten Wirtschaft die gesetzlich vorgeschriebene Höhe nicht hätten und daß das Wirtschaftsgesetz die Erteilung von beschränkten Wirtschaftspatentan, wie ein solches an die Anstalt in Heiligenschwendi erteilt worden sei, nicht kenne, so können diese Einwendungen gegen die regierungsrätliche Schlußnahme für den Bundesrat keinen Gegenstand der Überprüfung bilden, da es sich dabei nur um Auslegung der kantonalen Vollziehungsverordnung zum Wirtschaftsgesetze handelt.

Daß der Regierungsrat sich mit der Annahme, daß die Heilanstalt Heiligenschwendi in einer Berggegend liege, einer willkürlichen Auslegung schuldig gemacht habe, kann unter den obwaltenden Verhältnissen nicht angenommen werden. Es muß in der Befugnis der kantonalen Verwaltungsbehörde liegend erachtet werden, darüber zu befinden, ob in einer in der Höhe liegenden Gegend -- und das ist bei Heiligenschwendi zutreffend, da die Anstalt nach den Angaben des amtlichen Siegfriedatlasses nicht nur auf einer Höhe von cirka 800 m., sondern von 1150 m. gelegen ist -- von den iür verkehrsreiche Gegenden aufgestellten strengen Erfordernissen des Wirtschaftsgesetzes Abstand genommen werden kann. Ein Augenschein erscheint deshalb über diesen Punkt nicht erforderlich.

Was die Zulässigkeit eines beschränkten Patentes angeht, so fehlt dem Rekurrenten die Legitimation, sich darüber zu beschweren, daß einem Andern ein beschränktes, in dem bernischen Gesetz angeblich nicht vorgesehenes Patent erteilt worden ist.

933

Wenn Rekurrent aber trotz der von ihm behaupteten Gesetzwidrigkeit eines solchen Patentes schließlich in seinem Bventualgesuch doch ein solches beschränktes Patent für sich in Anspruch nimmt, so ist dem entgegenzuhalten, daß, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergiebt, für die Ortschaft Heiligenschwendi ein Bedürfnis für Errichtung einer Wirtschaft überhaupt nicht angenommen werden kann. Ist aber die Bedürfnisfrage zu verneinen, so kann der Regierungsrat des Kantons Bern nicht verhalten werden, entgegen dem kantonalen Gesetze ein Patent, und wäre es auch nur ein beschränktes Patent zu erteilen. Daraus ergiebt sich die Unhegründetheit auch des Eventualbegehrens des Beschwerdeführers.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 10, Dezember 1900.

y

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Jakob Rupp in Heiligenschwendi (Kanton Bern) wegen Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 10. Dezember 1900.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1900

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

50

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

12.12.1900

Date Data Seite

922-933

Page Pagina Ref. No

10 019 439

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.