533

# S T #

Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Niklaus Bücher, in Werthenstein, gegen den Regierungsrat des Kantons Luzern, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit.

(Vom 30. Juni 1900.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t hat über die Beschwerde des Nikiaus Bucher, in Werthenstein, gegen den Regierungsrat des Kantons Luzern, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 27. Januar 1899 beschwerte sieh Nikiaus Bucher, Mehlhändler, in Werthenstein, gegen eine Schlußnahme des dortigen Gemeinderates, vom 15. Dezember 1898, beim Regierungsrate des Kantons Luzern. Durch dieselbe war ein Gesuch des ßekurrenten um Bewilligung der Erstellung eines Backofens in der an seinem Wohnhause erstellten Anbaute abgewiesen worden ; Bucher verlangte Aufhebung dieses Beschlusses und Erteilung der nachgesuchten Bauerlaubnis.

Bundesblatt. 52. Jahrg. Bd. III.

36

534 Aus den Akten ergab sich über die thatsächlichen Verhältnisse: Im Jahre 1886 und dann wieder im Jahre 1888 stellte Bucher an den Gemeinderat von Werthonstein das Gesuch, es möchte ihm gestattet werden, in den Zwischenraum zwischen seinem Hause und demjenigen der Frau Teiler-Lötscher eine Anbaute von 9 Meter Länge, 4 Meter Breite und 3 Meter Höhe zu erstellen.

Beidemal wurde das Gesuch sowohl vom Gemeinderatc, als auch, im Rekurswege, vom Regierungsrate abgewiesen mit der Begründung : die Belassung des Zwischenraumes, dessen Überbauung hegehrt werde, sei, ähnlich demjenigen anderer Zwischonräurne in der nämlichen Häuserreihe, anläßlich des Neubaues des Dorfes nach dem Brande vom 6,/7. März 1876 wesentlich aus feuerpolizeilichen Gründen angeordnet worden; es sei daher die Überbauun» eines derartigen Schutzraumos nicht zu gestatten. Ungeachtet dieser zweimaligen Abweisung stellte Bucher das nämliche Gesuch zum drittenmal im Jahre 1894 und bezeichnete als Zweckbestimmung der Anbaute die Aufbewahrung von Frucht und Mehl. Diesmal willfahrte der Gemeinderat ; dagegen wies er das den l. November 1898 gestellte Begehren urn Erteilung der Bewilligung, im fraglichen Anbau einen Backofen zu erstellen, mit der Motivierung ab, daß er es als unstatthaft erachte, derartige feuergefährliche Objekte zwischen die Häuser hineinbauen zu lassen, und daß die Bewilligung für die Anbaute unter der ausdrücklichen Voraussetzung erteilt worden sei, der Neubau dürfe nur als Frucht- und Mehlmagazin benutzt werden. Der Beschwerdeführer behauptete aber, daß für die Erteilung der nachgesuchten Bewilligung alle Voraussetzungen in weitgehendstem Maße gegeben seien ; es handle sich um Erstellung eines Backofens in einer bereits bestehenden und durchaus feuersicher konstruierten Baute; die eingeholten Gutachten von Sachverständigen sprächen sich für die Zulässigkeit der projektierten Anlage aus.

Nach Kenntnisnahme einer Vernehmlassung des Gemeinderatcs von Werthenstein wies der Regierungsrat die Beschwerde gemäß dem Antrage seines Baudepartements ab, unter der Begründung: Der Regierungsrat hat in seinen Rekursentscheiden vom 17. Dezember 1886 und 17. Juli 1888 die Verbauung der im Jahre 187H aus feuerpolizeilichen Gründen angeordneten Abstände zwischen den Häusern im Markt Werthenstein als unstatthaft erklärt. Die Verhältnisse
sind seitdem sich gleich geblieben, und es hätte demnach eine Bewilligung, in diese Abstände hinein Bauten zu erstellen, nicht erteilt werden sollen. Wenn nun der Gemeinderat

535 von Wertbenstein, dem wiederholten Drängen des Rekurrenten nachgebend, diesem im November 1894 gleichwohl eine bezügliche Bewilligung gab, so muß die Verantwortlichkeit hierfür dem Cremeinderat überlassen werden. Für den Regierungsrat kann sie keinen Grund bilden, von dem in seinen Rekursentscheiden eingenommenen grundsätzlichen Standpunkte abzugehen und die ohne seine Bewilligung erstellte Baute nachträglich gutzuheißen. Nachdem dieselbe aber mit gemeinderätlicher Bewilligung erstellt ist, muß dafür gesorgt werden, daß sie dem Zwecke, für welchen sie von Anfang an bestimmt war, erhalten bleibt, d. h. daß die Zweckbestimmung des Baues nicht- in einer Weise verändert wird, daß die Feuersicherheit dadurch gefährdet würde. Ihre Bestimmung war nun aber die, als Frucht- und Mehlmagazin zu dienen und es würde die Erstellung und der Betrieb eines Backofens in derselben eine ganz erhebliche Verschlimmerung der feuerpolizeilichen Verhältnisse bedeuten.

II.

Gegen diese Schlußnahme reichte Bucher innert gesetzlicher Frist sowohl beim Bundesgerichte als beim Bundesrate dieselbe Beschwerde ein. Über die Frage der Zuständigkeit sprach sich das Bundesgericht in seiner Korrespondenz mit dem Bundesrate dabin aus, daß dieselbe nur erhoben werden könne mit Bezug auf die Behauptung einer Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung. ,,Würde der Rekurrent lediglich geltend machen, daß er mit Rücksicht auf die Ausübung seines Gewerbes ungleich behandelt, oder daß die bestehenden Vorschriften über G-ewerbsausübung in willkürlicher Weise angewendet worden seien, so würden wir nicht anstehen11, betont das Bundesgericht, ,,frühern Vorgängen gemäß zu erklären, daß diese Beschwerden von den zum Schutze der Handels- und Gewerbefreiheit eingesetzten Behörden zu entscheiden seien. Hier scheint uns aber die Sache anders zu liegen, indem die Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung sich darauf stützt, daß der Rekurrent in baurechtlicher und feuerpolizeilicher Beziehung ungleich, bezw.

willkürlich behandelt worden sei. Diese Beschwerde ist selbständiger Natur und untersteht deshalb unseres Erachtons der Kompetenz des Bundesgerichtes."

Bezüglich des Verfahrens beanspruchte das Bundesgericht aus Zweckmäßigkeitsgriinden die Priorität, von der Erwägung geleitet : ,,Wenn der Rekurs vom Bundesgericht abgewiesen wird, so wäre damit ausgesprochen, daß bau-, bezw. feuerpolizeiliche Gründe das

536

Verbot der Errichtung eines Backofens rechtfertigen, und es hätte dann keinen Zweck mehr, zu untersuchen, wie sich das Verbot zum Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit stellt, so daß in diesem Falle der Rekurs an den Bundesrat gegenstandslos würde.

Die Sache ist aber auch, für einmal wenigstens, erledigt, wenn das Bundesgericht die Beschwerde gutheißt. Letzteres träte freilich auch ein, wenn der Bundesrat -- gesetzt, daß ihm die Priorität zuerkannt würde -- die Beschwerde für begründet erklärte. Würde er sie aber abweisen, so hätte das Bundesgericht doch noch über den nach dein Gesagten in seine Kompetenz fallenden Rekurs wegen Verletzung von Art. 4 der Bundesverfassung zu entscheiden."'

Der Bundesrat erklärte seine Zustimmung zu diesen Ausführungen des Bundesgerichtes und sistierte das Verfahren vor seiner Instanz.

m.

Mit Zuschrift vom 11. Mai 1900 übermittelt das schweizerische Bundesgericht dem Bundesrate sein in Sachen ergangenes Urteil vom 28. März d. J., durch welches die Beschwerde des N. Bucher unter Kostenfolge abgewiesen wurde. Die rechtlichen Erwägungen dieses Entscheides lauten : ,,1. Der Regierungsrat ging bei der Entscheidung des Rekurses, den Bucher gegen den ablehnenden Beschluß des Genieinderates, den Backofen erstellen zu lassen, bei ihm eingereicht hatte, davon aus, daß für ihn nicht maßgebend sein könne, ob diese Verweigerung sich nach dem einschlagenden § 38 des Brandassekuranzgesetzes rechtfertige oder nicht. Es komme vielmehr für ihn in Betracht, daß die Errichtung des Anbaues, in welchem sich der Backofen befindet, gegen die beiden regierungsrätlichen Entscheide von 1886 und 1888 verstoße, laut welchen dieser Anbau aus feuerpolizeilichen Gründen, gestützt auf § 34 des genannten Gesetzes, untersagt worden sei.

,,Der Standpunkt des Regierungsrates erscheint jedenfalls grundsätzlich als berechtigt. Wenn das Bestehen des Anbaues sich wirklich als ein dem Gesetze widersprechender, gegen die Anordnungen des Regierungsrates verstoßender Zustand darstellt, so kann Rekurrent unmöglich gestützt auf diese Sachlage die Befugnis in Anspruch nehmen, in dem Anbaue eine Feuerstätte im Sinne des § 38 des Gesetzes zu errichten und damit die Feuergefährlichkeit der Anlage noch zu vermehren. Und sodann konnte auch keineswegs die nachträgliche Bewilligung des Gemeinderates

537 zur Erstellung des Anbaues dem bestehenden Zustande, entgegen dem wiederholten ausdrücklichen Verbote der obern Verwaltungsbehörde, rechtliche Anerkennung verschaffen. Fraglich kann vielmehr einzig sein, ob die Argumentation des Regierungsrates von einer richtigen Voraussetzung ausgeht, d. h. ob seine Entscheide von 1886 und 1888 für den vorliegenden Fall ohne weiteres anzuerkennen seien, oder ob sie nicht, weil gegen verfassungsmäßige Rechte des Rekurrenten verstoßend, mit Grund von diesem als für ihn unverbindlich betrachtet werden können.

,,2. In dieser Beziehung läßt sich aber zunächst geltend machen, daß die beiden Entscheide, speciell derjenige von 1886, innert der sechzigtägigen Frist seit ihrer Mitteilung von Bucher vor Bundesgericht nicht angefochten wurden, und daß es nicht angeht, sie nachträglich in Frage zu ziehen anläßlich einer andern Rekurssache, bei welcher sie der Regierungsrat seiner Schlußnahme zu Grunde legt. Aber auch abgesehen von der Verspätung des Rekursrechtes kann bei diesen Verfügungen jedenfalls auch materiell nicht von Rechts Verweigerung oder ungleicher Behandlung des Rekurrenten die Rede sein. Der Regierungsrat stützt sie auf den Art. 34 des Brandassekuranzgesetzes, laut welchem ,,ganz in Stockmauern aufgeführte Gebäude noch näher (als 50 '), selbst an andere ebenfalls bis zur Dachfirst aus Stockmauern bestehende Gebäude angebaut werden dürfen." Im Gegensatze zum Rekurrenten hält nun der Regierungsrat dafür, daß diese Stelle den Grundeigentümern kein Recht einräume, schlechthin in der angegebenen Weise zu bauen, sondern daß damit immerhin noch die Bewilligung des Regierungsrates vorbehalten werden wolle, welche Bewilligung aus anderweitigen gesetzlichen Gründen versagt werden könne. Diese Auffassung ist mit dem Wortlaute und einer ernsthaften Auslegung der genannten Bestimmung nicht unverträglich.

Der § 35 des Gesetzes sieht für alle Bauten eine behördliche Bewilligung vor, die allerdings zunächst nur durch den Genieinderat zu erfolgen hat. Im sechsten Absatz dieses Paragraphen werden aber Fälle erwähnt, bezüglich deren die Entscheidung allein beim Kegierungsrate steht, und nach Absatz 7 eod. ist dieser, für alle Baubewilligungen Rekursinstanz. Er hat nun eben kraft der ihm dadurch eingeräumten Kompetenz den in Frage stehenden Anbau als unzulässig erklärt. Ob
er dabei die Feuergefährlichkeit desselben auf Grund der obliegenden Verhältnisse richtig gewürdigt habe oder nicht, ist eine Frage, die sich der Prüfung des Bundesgerichtes entzieht. Endlich braucht auch nicht untersucht zu werden, ob eine Bauordnung oder ein Bauplan für die Gemeinde Werthenstein

538

zu Recht bestehe, da die regierungsrätlichen Entscheide schon unter Berufung auf Art. 34 cit. sich nicht als verfassungswidrig darstell en.tt IV.

Der Beschwerdeführer begründet sein Gesuch auf Aufhebung des Regierungsratsentscheides vom 2. November 1899 des fernem mit der vom Bundesrate auf ihre Richtigkeit hin zu prüfenden Behauptung, es liege in der angefochtenen Schlußnahme eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit; er macht in dieser Richtung hauptsächlich geltend: Nachdem die vom Gemeinderat von Werthenstein ernannten Experten einen Augenschein vorgenommen, gaben sie am 15. November 1898 ihr Gutachten dahin ab, daß die Erstellung des Backofens im oftgenannten Anbau gestattet werden könne, unter folgenden Bedingungen : a. daß das Plafond im Backlokal mit Gips- oder hydraulischem Kalkverputz versehen ; 6. daß das bezügliche Kamin, an der Außenseite des Hauses anschließend, regelrecht über das Dach geführt, und c. daß der Ofen selber nach feuerpolizeilicher Vorschrift aufgeführt werde.

Das alles war nun vom Rekurrenten von Anfang an vorgesehen ; er wäre noch zu weiterem bereit gewesen. Dieses Gutachten wurde vom Gemeinderate einfach nicht berücksichtigt.

Durch Art. 31 der Bundesverfassung ist die Freiheit des Handels und Gewerbes im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet, unter Vorbehalt allerdings einzelner Zweige, unter die aber das vom Beschwerdeführer in Aussicht genommene Bäckereigewerbe nicht fällt. Unter litt, e sind allgemeine Verfügungen über die Ausübung von Handel und Gewerbe vorbehalten, die aber den Grundsatz der Handels- und Gewerbcfreiheit selbst nicht beeinträchtigen dürfen. In der Kantonsverfassung von 1875 ist diese Bundesgarantie aufgenommen und beigefügt: ,,Das Gesetz wird, innert den Schranken der Bundesverfassung, diejenigen beschränkenden Bestimmungen festsetzen, welche das allgemeine Wohl erfordert."1 Dieses verfassungsmäßig garantierte Grundrecht der Gewerbefreiheit ist gegenüber dem Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid des Regierungsrates, resp. des Gcmeinderates, in mehrfacher Richtung verletzt worden.

539 Der § 38 des Gesetzes über die Brandversicherungsanstalt bestimmt: ,,Wer in einem neu zu erbauenden oder einem alten Gebäude Feuerstätten, als Back-, Dörr- und Hafnerofen und andere dergleichen Feuerwerkeinrichtungen zu errichten wünscht, hat sich an den Gemeinderat zu wenden.

,,Der Gemeinderat läßt solche ßaugesuche durch Sachverständige prüfen und erteilt die Bewilligung nur in dem Falle, wenn diese nach vorgenommenem Augenschein den Bau als feuersicher erklären."

Man könnte sich nun vorerst fragen, ob nicht durch § 10 der Kantonsverfassung von 1875 diese Gesetzesbestimmung aus dem Jahre 1869 aufgehoben worden sei. Der Wortlaut des Verfassungsartikels stellt sich offenbar auf den Standpunkt, daß alle Gesetzesbestimmungen, welche die Handels- und Gewerbefreiheit beschränken, aufgehoben seien und daß durch künftige Gesetze alle diejenigen Bestimmungen neu zu erlassen seien, welche das allgemeine Wohl nach dieser Richtung erfordere.

Aber abgesehen von dieser prinzipiellen Frage, ist nach dem Wortlaut des § 10 jedenfalls so viel sicher, daß alle Verfügungen, welche diese Handels- und Gewerbefreiheit beschränken, auch diejenigen, welche bloß die Ausübung betreffen, nur gültig sind, wenn und soweit sie sich auf ein Gesetz gründen. Der § 38 des Brandassekuranzgesetzes macht nun die Bewilligung zum Betrieb einer Bäckerei einzig davon abhängig, daß der betreffende Bau feuer-^ sicher sei. Das ist die einzige gesetzliche Beschränkung betreffend Erstellung von Backöfen und den Betrieb von Bäckereien. Eine andere gesetzliche Bestimmung existiert nicht.

Es war also die Frage zu prüfen, ob der Bau, beziehungsweise Anbau, in welchem die Bäckerei betrieben werden will, feuersicher sei oder nicht. War die Frage zu verneinen, d. h.

wurde sie von den Experten verneint, so brauchte allerdings die Bewilligung zum Betrieb der Bäckerei, trotz der Garantie der Handels- und Gewerbefreiheit, nicht erteilt zu werden; war sie dagegen zu bejahen, so existierte der einzige Grund, gegenüber welchem diese Gewährleistung cessiert, nicht, und es griff' daher die Gewerbefreiheit in vollem Umfange Platz ; die Bewilligung zum Betrieb der Bäckerei durfte nicht verweigert werden.

Nun sprechen sich sowohl das vom Rekurrenten eingeholte Privatgutachten des Herrn Baumeler-Wespi in Schüpfheim, als das amtliehe der Herren Baumeister und Feuerschauexperten Galliker und Muggli dahin aus, daß keine Feuergefahr existiere ; das letztere

540 unter gewissen Bedingungen, welchen Bücher aufs pünktlichste nachgekommen ist. Durch den Ausfall dieser Gutachten ist der einzige gesetzliche Verweigerungsgrund weggefallen. Weder Gemeinderat noch Regierungsrat wagen denn auch, ernsthaft zu behaupten, daß durch Erstellung des Ofens und Betrieb der Bäckerei die Feuersicherheit des Baues oder etwa eines Nachbargebäudes gefährdet sei. Beiden Behörden würde das auch schlecht anstehen, da sie beide selber von der Lokalität Einsicht genommen haben und anderseits die Autorität der Experten, speciell vom Regicgierungsrate, mehrfach anerkannt worden ist. Wenn aber der Regierungsrat in seinen Erwägungen anbringt, durch die Veränderung der Zweckbestimmung der Anbaute würde die Peuersichorheit gefährdet, so werden hier zwei Sachen durcheinander gemischt, die nichts miteinander zu thun haben. Vorliegendenfalles handelt es sich nicht um Bewilligung einer Baute, wo auf die Nachbarschaft Rücksicht genommen werden muß und kann, sondern es handelt sich um die Frage, ob in einem bestehenden Bau ein Backofen errichtet und eine Bäckerei betrieben werden dürfe ; dies darf verfassungsmäßig geschehen, wenn der Bau selber feuersicher ist. Es ergiebt sich übrigens bei Prüfung der Sachlage auch, daß die regierungsrätliche Behauptung irgend welcher Gefährdung in feuerpolizeilicher Hinsicht vollständig aus der Luft gegriffen, also willkürlich ist. Zu der Begründung des Entscheides vom 2. November 1899 ist in dieser Richtung folgendes zu bemerken : Es ist nicht richtig, daß eine allgemeine Anordnung betreffend Belassung von Zwischenrämnen zwischen den Neubauten anläßlich des Wiederaufbaues des Marktes Werthenstein getroffen worden ist. Weder auf dem Staatsarchiv noch auf der Gemeindekanzlei findet sich eine solche Schlußnahme. Was vorhanden ist, ist einfach ein Plan über den Wiederaufbau des Dorfes, worin allerdings zwischen den einzelnen Häusern Zwischenräume vorgesehen sind, aber ohne ausdrückliche Feststellung derselben. Thatsächlich hielt man sich auch durchaus nicht allgemein an diesen Plan, spocioll nicht bezüglich der Zwischenräume. Wie es sich übrigens mit der Provenienz der letztern verhalten mag: so viel ist sicher, daß bezüglich deren Benutzung keine andern g e s e t z l i c h e n Schranken existieren, als die allgemeinen des Brandassekuranzgesetzes von 1868. Diese
Zwischenräume sind unbelastetes Privateigentum und ·wo nicht das genannte Gesetz abweichende Bestimmungen enthält, können die Eigentümer über dieselben nach Gutdünken verfügen.

(Bürgerliches Gesetzbuch, § 240.) Das Brandassekuranzgesetz sagt nun in § 34, Abs. 3, daß ganz in Stockmauern aufgeführte Ge-

541 bäude sogar an andere ebenfalls in Stockmauern erbaute Gebäude angebaut werden dürfen. So wird es allgemein gehalten in den Städten, so ist es teilweise auch gehalten worden in Werthenstein selber, wo solche Aneinanderbauten mehrfach bewilligt worden sind, so z. B. das Kreuz und sein Nachbargebäude, die Häuser Obertilfer und Theiler (jetzt Lüthy), das Haus des Rekurrenten selber und dasjenige der Frau Wermelinger. Sobald im Markt Werthenstein zwei Nachbarn sich einigen, ihre Häuser aneinander zu bauen, selbstverständlich mit undurchbrochenen Stockmauern von unten bis oben, existiert kein gesetzliches Mittel, sie daran zu hindern. Als Eigentümer haben sie sich, da der Eigentumsinhalt ein g e s e t z l i c h normierter ist, nur gesetzliche Beschränkungen gefallen zu lassen und solche existieren außer dem Brandassekuranzgesetz keine. Insbesondere giebt es für den Markt Wolhusen, beziehungsweise Werthenstein, kein specielles Baugesetz, das aus öffentlich-rechtlichen Gründen Zwischenräume vorschreiben könnte.

Daraus folgt, daß die Regierungsentscheide von 1886 und 1888 vor dem Gesetze unhaltbar sind, einen unberechtigten Eingriff in das Privatrecht des Rekurrenten darstellen. Dieselben waren aber auch willkürlich und enthielten eine ungleiche Behandlung der Bürger vor dem Gesetze, da andern Eigentümern die Überbauung ihrer Areale in weit ausgedehntem! Maße gestattet worden war, als dem Rekurrenten. In der Häuserreihe nämlich, in der sein Haus steht, finden sich vom Hause Treyer hinweg bis hinauf zum Hause Haab im ganzen vier Zwischenräume. (Vgl. Situationsplänchen zu Seite 17 der Beschwerdeschrift.) Der Zwischenraum zwischen Haus Banz-Duß (ebenfalls eine Bäckerei) und dem Hause Obertüfer beträgt gegen die Kantonsstraße zu cirka 4 m., hinten dagegen cirka 2,s m. ; der Zwischenraum zwischen Haus Wermelinger und Haab durchgängig cirka 8,20 m. Dagegen mißt der jetzt noch vorhandene Zwischenraum zwischen dem Hause Bucher mit Anbau und dem Hause Theiler (nun Lüthy) durchgängig 8,00 m.

Der Regierungsrat wird nicht in der Lage sein, die Frage zu beantworten, warum allen Nachbarn des Bucher die Baubewilligung anstandslos erteilt worden, ihm aber verweigert worden ist.

Völlig willkürlich ist die fernere Behauptung des Regierungsrates, die Verhältnisse wären seit 1886, beziehungsweise 1888, die gleichen
geblieben.

In erster Linie ist im Entscheide von 1888 ausdrücklich festgestellt, daß allerdings eine Einengung des Zwischenbaues beim Hause Bucher angängig wäre, welche aber nicht weiter als auf

542 4 m. gehen sollte. Wie willkürlich diese damals genannte Limite war, ergiebt sich sofort aus einer Vergleichung der Nachbarverhältnisse. Durch den nun erstellten Anbau ist der Zwischenraum auf 3,öo m. eingeengt und damit immer noch breiter als der zunächst oberhalb und zunächst unterhalb sich befindliche Schutzraum.

Aber abgesehen hiervon, ist darauf hinzuweisen, daß sich die Verhältnisse seit 1886/1888 so gewaltig geändert haben, daß die gegenteilige Behauptung des Regierungsrates einfach unverständlich ist. In keiner einzigen Ortschaft des Kantons haben sich die Garantien gegen Feuerschaden seit 20 Jahren so gebessert, als in den beiden Dörfern Wolhusen-Wiggern und Werthenstein-Markt, die bekanntlich unmittelbar aneinander liegen und bloß durch die Emme getrennt werden. Im Jahre 1876, wo die Bauart ungewöhnlich größere Feuersgefahr mit sich brachte, war in beiden Dörfern zusammen eine alte Schöpfspritze vorhanden ; eine Feuerwehr bestand keine. Gegenwärtig befinden sich in beiden Dörfern zusammen drei gute Spritzen und zwei vollständige organisierte Feuerwehrcorps. Seit zwei Jahren besteht in beiden Dörfern eine Hvdrantenanlage ; zwei Doppelhydranten befinden sich in nächster Nähe des Bucherschen Hauses. Das Niederbrennen eines Gebäudes ist damit zur Unmöglichkeit geworden, wie sich beim Brand des sogenannten Blauhüsli in Wolhusen-Wiggern vor zwei Jahren erwiesen hat. Der Beschwerdeführer beantragt Prüfung dieser Verhältnisse durch eine Expertise und einen Augenschein.

Aus diesen Ausführungen ergiebt sich, daß gegenüber dem Rekurrenten nicht nur der Grundsatz der Handels- und Geworbefreiheit verletzt worden ist, sondern auch, daß der Regierungsratsentscheid ihm gegenüber nach mehrfacher Richtung eine willkürliche und ungleiche Behandlung vor dem Gesetze involviert.

Durch die bundesrätliche Praxis ist aber in wiederholten Entscheiden der Grundsatz anerkannt worden, daß die Gleich behandlung der Bürger vor dem Gesetze ein wesentliches Element der Handels- und Gewerbefreiheit bilde. -/jEin Bürger, der unter gleichen Umständen ungünstiger als ein anderer behandelt wird, der trotz Gleichheit der thatsächlichen Voraussetzungen seinem Konkurrenten geopfert wird, kann sich mit Recht beschweren, daß die Handels- und Gewerbefreiheit zu seinen Ungunsten verletzt sei. (Bundesbl. 1890, I, 376.) Bucher
soll nun aber gerade seinem Konkurrenten J. Portmann, Gemeindepräsident, Großrat, Gemeindeammann, Betreibungsbeamter, Kirchenrat und Bäcker, einer politischen Größe des Regierungssystems auf dem Platze

543 Wolhusen, geopfert werden. Bei Herrn Portmann, der in seinem Wohnhause im Erdgeschoß eine Spezereihandlung, eine Käserei, eine Bäckerei betreibt, im zweiten Boden desselben Hauses seine Mehl Vorräte ablagert, bestehen keine feuerpolizeilichen Bedenken.

Dagegen ist die Bäckerei des Beschwerdeführers, die in einem durch vier Stockmauern umgebenen Raum, der vollständig mit hydraulischem Kalk verputzt ist und dessen zunächst liegende Nachbarschaft wiederum aus einer Stockmauer von unten bis oben besteht, betrieben werden will, feuerpolizeilich bedenklich und kann nicht gestattet werden !

V.

Der Regierungsrat des Kantons Luzern beantragt in seiner Beschwerdebeantwortung vom 27. Januar 1900, es wolle der Bundesrat auf die Beschwerde nicht eintreten, eventuell dieselbe abweisen.

Er führt mit Bezug auf die Behauptung einer Verletzung der Handelsund Gewerbefreiheit aus : In der Nacht vom 6./l. März 1876 brannte der Flecken Werthenstein-Markt bis auf wenige Gebäude nieder; der gesamte Gebäude- und Mobilienschaden belief sich auf mehr als Fr. 400,000.

Die rasche Ausdehnung des Brandes und die Unmöglichkeit, ihm Einhalt zu thun, war wesentlich durch die bauliche Anlage der Ortschaft verschuldet worden. Um solche Zustände beim Wiederaufbau zu verhindern, wurde vom kantonalen Baudepartemente, gestützt auf § 34 des Gesetzes über die Brandversicherungsanstalt, vom 1. Dezember 1869, das heute noch in Kraft besteht, und im Einverständnis mit dem Gemeinderat dieses Fleckens, ein Bauplan aufgestellt und öffentlich aufgelegt. Der Bauplan schloß es aus, daß zusammengebaut werden dürfe; es war vorgeschrieben, daß zwischen den neuen Häusern aus feuerpolizeilichen Gründen Zwischenräume freigehalten werden müssen. Dies wurde beobachtet, wenn auch nicht alle Räume gleich breit gehalten worden sind.

Seit Jahren war es das Bestreben des Rekurrenten, dieser Bauordnung entgegenzubauen. Im Jahre 1886 rekurrierte er gegen einen Entscheid des Gemeinderates, wodurch sein Gesuch um Erstellung einer Anbaute an sein, in mehrgenannter Baulinie gelegenes Haus abschlägig beschieden wurde; die haltlosen Verdächtigungen des Gemeinderates und der Rekursbehörden figurierten schon in jener Eingabe. Der Regierungsrat hat in seinem Entscheide vom 17. Dezember 1886 die Verfügung des Gemeinderates geschützt, in Anwendung der genannten Gesetzesbestimmung.

544 Bin gleicher Rekurs des N. Bucher wurde durch Eegierungsratsentscheid vom 17. Juli 1888 abgewiesen, mit derselben Motivierung ; daß nämlich eine Baubewilligung, wie sie erzwungen werden wollte, den Zweck, den man mit der Aufstellung der Bauordnung im Auge hatte -- die Herstellung möglichst feuersicherer Zustände -- illusorisch machen würde. Im Jahre 1894 erlangte dann aber Bucher vom Gemeinderate die Bewilligung für eine Anbaute, allerdings mit der ausdrücklichen Zweckbestimmung zur Aufbewahrung von Frucht und Mehl. Diese Bewilligung hätte nie erteilt werden sollen. Die Baute ist auch seitens des Regierungsrates nie, wie das Gesetz es in § 35 vorschreibt, gutgeheißen worden. Die Gründe, aus welchen die früheren Rekurse abschlägig beschieden worden sind, bestehen fort, und die Einwendung, die thatsächlichen Zustände seien aus dem Grunde andere geworden, weil die Verhältnisse im Feuerlöschwesen der Gemeinde heute bessere seien als damals, kann von der Bundesbehörde schon darum nicht gehört werden, weil die Anwendung kantonsgesetzlicher Bestimmungen Sache der Kantonsbehörden ist. Aber es liegt auch auf der Hand, daß der Regierungsrat nachträglich einen Zustand nicht billigen durfte, der in feuerpolizeilicher Beziehung unbestreitbar weit bedenklicher ist als jener, dem er in den Entscheiden der Jahre 1886 und 1888 die Genehmigung verweigert hat.

Was nun die rechtliche Begründung der Beschwerde anbetrifft, so ist vorerst festzustellen, daß die Anwendung kantonal gesetzlicher, hier feuerpolizeilicher, Bestimmungen Sache der Kantone und eine materielle Nachprüfung durch die Bundesbehörden ausgeschlossen ist. Sie werden daher dem Begehren des Beschwerdeführers um Anordnung einer Oberexpertise keine Folge geben.

Ferner hat der Rekurrent die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über die Brandversicherungsanstalt nicht beanstandet. Es kann sich also für den Bundesrat nur darum handeln, ob die Anwendung des Gesetzes, speciell der §§ 34 und 35, auf die vorliegenden thatsächlichen Verliältnisse die verfassungsrechtlich zugesicherte Handels- und Gewerbefreiheit verletze. Nun ist aber offensichtlich, daß der angefochtene Entscheid mit dieser Garantie auch nicht das Geringste zu thun hat. Jn Frage steht keineswegs die Ausübung eines Gewerbes. Es fällt keinem Menschen ein, den Beschwerdeführer an der Ausübung
seines Bäckereigewerbes zu hindern; es ist ihm ganz unbenommmen, in Wertheustein oder anderswo Bückereien zu bauen, wenn er hierfür die bau- und feuerpolizeilichen Bedingungen, und zwar in erster Linie für das Gebäude selbst, einhält. Vom Bundesrate ist zu wiederholten Malen

545ausgesprochen worden, daß Art. 31 der Bundesverfassung den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht in einer vorbehaltlosen und absoluten Weise ausspricht, sondern einen Vorbehalt macht für polizeiliche Verfügungen, worunter bau- und feuerpolizeiliche selbstverständlich in erster Linie zu nennen sind; vorausgesetzt ist immerhin, daß der Grundsatz der Gewerbefreiheit selbst nicht illusorisch gemacht wird. Über die Behauptung, der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit sei auch verletzt unter dem Gesichtspunkte der Gleichbehandlung vor dem Gesetze, hat.

nach Ansicht des Regierungsrates das Bundesgericht und nicht der Bundesrat zu entscheiden. Allein diese Behauptung ist materiell haltlos. Wenn die Bundesbehörden die Gleichbehandlung der Bürger als ein Element der Handels- und Gewerbefreiheit hingestellt haben, so haben sie hiermit nichts anderes ausgesprochen, als daß jeder Bürger unter g l e i c h e n Verhältnissen und unter gleichen Garantien ein Gewerbe ausüben dürfe. Beschwerdeführer hat aber in keiner Weise dargethan, daß eine diesem Satze widersprechende ungleiche Behandlung vorliege. Existiert eine solche, so wurde sie nicht zu seinen Ungunsten, sondern vielmehr zu seinen Gunsten ausgeübt, insofern als der Gemeinderat, in gesetzwidriger Weise und in Mißachtung der Regierungsratsentscheide von 1886 und 1888, die Bewilligung der Anbaute von sich aus erteilt, und der Regierungsrat bishin davon Umgang genommen hat, diesen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Was über das.

Geschäft Portmann behauptet wird, ist schon deshalb ohne Bedeutung, weil der Regierungsrat nie in den Fall gekommen ist, bezüglich desselben eine Bewilligung zu erteilen oder zu verweigern. Abgesehen hiervon sind auch die lokalen Verhältnisse, ganz andere.

In dem dieser Beschwerdebeantwortung beigegebenen Berichte, des Gemeinderates von Werthenstein, vom 5. Jänner 1900, wird noch insbesondere bemerkt : Verschiedene in den letzten 20 Jahren eingereichte Gesuche um die Bewilligung für Erstellung von Anbauten wurden auf Grund des festgestellten Bauplanes und mit, Rücksicht auf die während der ganzen Bauperiode strikte innegehaltene Bauvorschrift jeweilen abgewiesen. Wird dem Rekurrenten bewilligt, den inzwischen ungesetzlich und rechtswidrig erstellten Backofen bestehen zu lassen, so muß konsequentermaßen jedem
andern Hausbesitzer im Markt gestattet werden, derartige feuergefährliche Objekte, wie z. B. Hafnereien, Schmieden, chemische Laboratorien, Petrolmotoren oder Acetjlenbehälter, zwischen die Häuser einzubauen. Der Gemeinderat als Ortsbehörde muß.

546 gegen Schaffung derartiger feuergefährlicher Zustände energiscli protestieren und verwahrt sich zum voraus gegen alle nachteiligen Folgen einer derartigen Bewilligung. Die Behauptung, es seien den Nachbarn des Kekurrenten den bestehenden Vorschriften widersprechende Baubewilligungen anstandslos erteilt worden, beruht auf Unwahrheit ; die einzige Begünstigung wurde gerade dem Beschwerdeführer zu teil. Unrichtig ist auch die Behauptung des Beschwerdeführers, die benachbarten Gebäude seien auf allen vier Seiten massiv aus Stockmauern aufgebaut. Sowohl am Wohnhause Buchers, als an den zunächst angrenzenden Gebäuden der Witwe Wermelinger, des U. Lüthy und des 0. Obertüfer sind an die Hinterseiten große, bis an das Dach hinaufreichende hölzerne Lauben, Abtritte und Holzbehälter angebaut; ebenso sind dort alle Thüreu- und Fensterpfosten aus Holz erstellt. Unrichtig sind endlich die in dem eingelegten Situationsplänchen eingezeichneten Distanzen. So beträgt z. B. die Entfernung vom Anbau Buchers nicht 3,5i m., sondern nur 3 m.

VI.

Die in Betracht fallenden Bestimmungen des luzeruischeu Gesetzes über die Brandversicherungsanstalt, vom 1. Dezember 1869, lauten : § 34. Häuser, Scheunen und andere dergleichen Gebäude, wenn dieselben von Holz erbaut werden wollen, sollen immer in einer Entfernung von wenigstens 100 Schweizerfuß von andern Gebäuden -- und zwar von Dachrinne zu Dachrinne gemessen -- entfernt aufgeführt werden.

Gebäude in Riegel- oder Wickelmauern können jedoch auch in einer Entfernung von 50 Schweizerfuß erbaut werden, in welchem Falle dieselben bis unter die Dachfirst mit einem Pflasteranwurf zu versehen sind.

Ganz in Stockmauern aufgeführte Gebäude dürfen noch näher, selbst an andere ebenfalls bis zur Dachfirst aus Stockmauern bestehende Gebäude angebaut werden.

Die Dachvorsprünge aller Gebäude in Riegel- oder Stockmauern sollen mit einem Pflasteranwurf versehen sein.

§ 35. Bei außerordentlichen oder minderwichtigen Fällen, wo die Feuersicherheit nicht gefährdet ist, kann auch bewilligt werden, in nicht gesetzlicher Entfernung bauen zu dürfen, wo dann aber möglichste Sicherheitsmaßregeln mittelst Ziegolverklei-

547

düngen, Mauern, Pflasteranwürfen und dergleichen angewendet werden sollen, (sie !)

Zur Erlangung der daherigen Bewilligung hat man sich an den Gemeinderat zu wenden. Handelt es sich darum, neue Holzoder Wagenschuppen, Mosttrotten, Schweineställe, Waschhäuser oder andere dergleichen kleine Gebäude zu erbauen, so kann der Gemeinderat von sich aus die Bewilligung erteilen.

(Abs. 6.) In allen andern als den in Absatz 4 und 5 genannten Ausnahmsfällen fertigt der Gemeinderat ein Gutachten an, welches dem Regierungsrate vorzulegen ist. Derselbe hat, wenn er es notwendig findet, die Sache an Ort und Stelle durch ein Mitglied untersuchen zu lassen, und kann, falls er in Übereinstimmung mit dem Gemeinderate die Bauten in Bezug auf die Feuersicherheit zulässig findet, mit Anordnung der allfällig nötig erachteten Sichcrheitsmaßregeln die nachgesuchte Bewilligung erteilen.

Anstände oder Einsprüche, die sich über einen Entscheid des Gemeinderates von irgend einer Seite erheben, können an den liegierungsrat rekurriert werden.

§ 38. Wer in einem neu aufzubauenden oder in einem alten Gebäude Feuerstätten, als Back-, Dörr- und Hafneröfen, Wasch-, Seifen- und Farbkessel, Luft-, Dampf- oder Wasserheizungen, Schmiedeessen, Bierbrauereien und Branntweinbrennereien und andere dergleichen Feuerwerkseinrichtungen zu errichten wünscht, hat sich an den Gemeinderat zu wenden.

Der Gemeinderat läßt solche Baugesuche durch Sachverständige prüfen und erteilt die Bewilligung nur in dem Falle, wenn diese nach vorgenommenem Augenschein den Bau als feuersicher erklären.

B.

4n rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat in seinen Entscheiden vom 17. Dezember 1886 und 17. Juli 1888 über die Beschwerden des Nikiaus Bucher in Werthenstein gegen zwei Schlußnahmen des dortigen Gemeinderates, die Verbauung der im Jahre 1876 aus feuerpolizeilichen Gründen angeordneten Abstände zwischen den Häusern im Markt Werthenstein als unstatthaft erklärt. Nach dem Brande dieses Fleckens, den 6./7. März 1876,

548

wurde nämlich vom kantonalen Baudepartemente, gestützt auf § 34 des Gesetzes über die Brand Versicherungsanstalt, vom 1. Dezember 1869, und im Einverständnis mit dem Gemeinderate, ein Bauplan aufgestellt und durch öffentliche Auflage genehmigt, wonach es künftighin ausgeschlossen war, die Häuser der Ortschaft aneinander zu bauen; es wurden vielmehr Zwischenräume, die dann allerdings in der Praxis nicht alle gleichgehalten worden sind, vorgeschrieben.

Trotz des Verbotes der obersten Verwaltungsbehörde baute aber Bucher dennoch seinem Hause die geplante Neubaute an, nachdem es ihm gelungen war, vom Gemeinderate im Jahre 1894 eine Baubewilligung zu erhalten, die allerdings unter dem Vorbehalte ausgestellt wurde, daß der Anbau nur als Frucht- und Mehlmagazin zu benutzen sei. Der Regierungsrat des Kantons Luzern sah in dieser, seinen Entscheiden von 1886 und 1888 und den gesetzlichen Bestimmungen über die Brandversicherungsanstalt widersprechenden Bewilligung der Ortsbehörde kein Präjudiz zu Gunsten eines im Jahre 1898 eingereichten, vom Gemeinderate von Werthenstein den 15. Dezember jenes Jahres abschlägig beschiedeuen Gesuches Buchers, in dieser Anbaute einen Backofen errichten zu dürfen; er wies vielmehr die gegen diese Schlußnahme erhobene Beschwerde den 2. November 1899 als unbegründet ab.

In ihrem Urteile vom 28. März 1900 hat die staatsrechtliche Abteilung des schweizerischen Bundesgerichtes ausgeführt, daß Eekurrent unmöglich die Befugnis in Anspruch nehmen könne, in dem Anbaue eine Feuerstätte im Sinne des § 38 des Brandversicherungsgesetzes zu errichten, sofern das Bestehen des Anbaues sich wirklich als ein dem Gesetze widersprechender, gegen die Anordnungen des Regierungsrates verstoßender Zustand darstelle; damit würde offensichtlich die von Anfang an bestehende Feuergefährlichkeit der ungesetzlichen Anlage vermehrt. Auch habe keineswegs die nachträgliche Bewilligung des Gemeinderates im Jahre 1894 dem nun bestehenden Zustande rechtliche Anerkennungverschaffen können. Die Argumentation des Regierungsratcs aber, dalJ seine Entscheide von 1886 und 1888 für den vorliegenden Fall ohne weiteres anzuerkennen und keineswegs als gegen verfassungsmäßige Rechte des Beschwerdeführers verstoßend erachtet werden können, wurde als mit dem Wortlaute und einer ernsthaften Auslegung der in Betracht fallenden
Bestimmungen des oftgenannten Gesetzes vereinbar erklärt.

Es braucht also auf alle in dieser Richtung beim Bundesrate ebenfalls erhobenen Vorstellungen des N. Bucher nicht weiter eingetreten zu werden.

549

Weiterhin ist in prozessualer Richtung schon vom Bundesgerichte darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Regierungsentscheide von 1886 und 1888, welche demjenigen vom 2. November 1899 zu Grunde liegen, innert der gesetzlichen Frist von Bucher nicht an die Bundesbehörden gezogen worden sind; sie müssen also ohne weiteres von diesen als in Rechtskraft bestehend anerkannt werden ; insbesondere hat sich der Bundesrat auf eine materielle Nachprüfung der Frage nicht einzulassen, ob wirklich, trotz des gegenteiligen Gutachtens der amtlich ernannten Experten, feuerpolizeiliche Gründe der Errichtung einer Anbaute, wie sie vom Beschwerdeführer trotz des Verbotes ist durchgeführt worden, entgegenstanden. Es ist deshalb dem Rechtsbegehren der kantonalen Regierung, auf die Beschwerde nicht einzutreten, da sie sich grundsätzlich gegen die Entscheide von 1886 und 1888 richte, die prozessuale Berechtigung nicht abzusprechen.

Die Beschwerde kann aber auch materiell vom Bundesrate nicht geschützt werden. Es ist vom Beschwerdeführer selbst zugestanden worden, daß die Bewilligung zum Betriebe einer Bäckerei in dem Anbaue seines Wohnhauses trotz der Garantie der Handelsund Gewerbefreiheit nicht erteilt zu werden braucht, sofern dieser Anbau als feuergefahrlich erklärt werden müßte ; dies ist nun aber von der zuständigen kantonalen Behörde in bundesrechtlich unanfechtbarer Weise geschehen. Und es steht in der That, wie der Bundesrat in konstanter Praxis anerkannt hat, den Kantonen zu, den Gewerbebetrieb bestimmten, im Interesse der öffentlichen Sicherheit liegenden Bedingungen und Beschränkungen zu unterwerfen ; zu solchen Beschränkungen gehören unzweifelhaft auch diejenigen feuerpolizeilicher Natur (vgl. von Salis, Bundesrecht, II, Nr. 550, 554 bis 558, 560; Bundesbl. 1895, II, 148; Entscheide des Bundesrates vom 3. Juli 1899 in Sachen Gosch-Nehlsen, Bundesbl. 1899, IV, 112 ff. und 1900, I, 819/820, und in Sachen des Verbandes schweizerischer Kochfettfabrikanten, vom 27. Oktober 1899, Bundesbl. 1899, V, 96/97, u. a. m.). Daß von einer Willkür bei Fällung der kantonalen Entscheide nicht gesprochen werden könne, ist vom schweizerischen Bundesgerichte in für den Bundesrat verbindlicher Weise festgestellt worden.

Die Behauptung des Beschwerdeführers, es verletzen die Verfügungen des Gemeinderates von Werthenstein und
des Regierungsrates des Kantons Luzern ihm durch das kantonale bürgerliche Gresetzbuch garantierte Privatrechte an dem in Frage stehenden Schutzraume, untersteht nicht der Prüfung der staatsrechtlichen Rekursinstanzen.

Bundesblatt. 52. Jahrg. Bd. III.

37

550

Demnach wird erkannt: Die Besehwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 30. Juni 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hanser.

Der Kauzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Niklaus Bücher, in Werthenstein, gegen den Regierungsrat des Kantons Luzern, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit. (Vom 30. Juni 1900.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1900

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

27

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.07.1900

Date Data Seite

533-550

Page Pagina Ref. No

10 019 270

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.