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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde der schweizerischen Centralbahngesellschaf gegen die Regierung des Kantons Solothurn betreffend Vollziehung des Bundesgesetzes vom 1. Mai 1850 über die Verbindlichkeit zur Abtretung. von Privatrechten.

(Vom 13. Februar 1900.)

Der s c h w e i z e r i s c h e Bundes rat hat

über die Beschwerde der schweizerischen Centralbahngesell schaft gegen die Regierung des Kantons Solothurn betreffend Vollziehung des Bundesgesetzes vom 1. Mai 1850 über die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und des Post- und Eisenbahndepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Durch Kaufvertrag vom 13. Juli 1897 erwarb die schweizerische Centralbahngesellschaft von Joseph Nußbaumer, Besitzer dos Hausmatthofes in Ölten, einen Teil der Liegenschaft Hypothek

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Nr. 136 bei der Station Olten-Hammer, links der Bahn gelegen.

Das Kaufobjekt wurde von der Amtsschreiberei Olten-Gösgen im Hypothekenprotokoll unter Nr. 1448, der dem Verkäufer bleibende Teil unter Nr. 1449 eingetragen. Die auf Nr. 136 haftende Verpfändung wurde abgelost; eine durch Vertrag vom 15. Oktober 1895 begründete Servitut aber von Nr. 136 auf Nr. 1448 und 1449 gemäß § 488 des solothurnischen Civilgesetzbuches übertragen. In Ziffer l des letztgenannten Servitutvertrages wird bestimmt: ,,Joseph Nußbaumer überläßt dem Constantin von Arx das Quellwasser, welches im Grundstück Hypothek Nr. 136 der Grenze des Kesselgrabens entlang gefaßt werden kann." Dieser Vertrag ist am 7. März 1896 im Hypothekenbuch Olten bei Nr. 136 (Joseph Nußbaumer) und Nr. 1.169 (Constantin von Arx) unter ,,Dienstbarkeiten" vorgemerkt worden.

Der Kauf vom 13. Juli 1897 kam zu stände auf Grund eines den 9. Juli vom Verkäufer und vom Vertreter der Käuferin unterzeichneten, den 13.-Juli vom Direktorium der schweizerischen Centralbahn genehmigten schriftlichen Vertrages, der den Titel trägt: ,,Schweizerische Centralbahn. · - Gemarkung Ölten.

Nr.

des Planes: 136 des Gemeindeplanes. -- Kaufvertrag: ,,Zwischen Herrn J. Nußbaumer in Kleinholz (Ölten), .Besitzer des Hausmatthofes in Ölten, als Verkäufer, -- und der schweizerischen Centralbahn, als Käuferin, ist heute nachfolgender Kaufvertrag nach Maßgabe des Bundesgesetzes vorn 1. Mai 1850 über Abtretung von Privatrechten abgeschlossen worden etc.

In Ziffer 2 der "Allgemeinen Bestimmungen" wird vereinbart: ,,Der Kaufvertrag wird nach Vorschrift der Art. 43 und 44 des genannten Gesetzes der Regierung des Kantons Solothurn oder einer von ihr bezeichneten Zahlungsstelle zugestellt, damit sie dafür sorge, dal.» der Kaufgegenstand ohne weitere Belästigung der Käuferin aller darauf lastenden dinglichen Rechte entledigt werde."

Auf dem Akte bescheinigt der Amtsschreiber von Olten-Gösgen den 15. September 1897 dessen Eintragung im Hypothekenbuch Ölten bei Nr. 1448. Der Kaufpreis wurde dieser Amtsstelle in zwei Raten übermittelt, mit dem Ersuchen, für Entlastung der Liegenschaft von den darauf haftenden dinglichen Rechten zu sorgen und dann den Rest des Kaufbetrages dem Verkäufer zuzustellen.

II.

Die schweizerische Centralbahngesellschaf will nun von dem genannten Servitutvertrage erst gelegentlich erfahren haben. Auf

327 eine bezügliche Anfrage bestätigte ihr die Amtsschreiberei Ölten mit Brief vom 20. September 1899, daß die Servitut noch auf dem Grundstück laste. Sie führt aus: ,,Daß dio Servitut damals, bei Eintragung des Kaufvertrages, nicht zur Sprache kam, ist dadurch veranlaßt worden, daß sie in dem von Ihnen abgefaßten Kaufakt als abzulösende Belastung des Kaufobjektes nicht benannt ist. In unsern Kaufakten werden die Liegenschaften jeweilen genau so beschrieben, wie sie im Hypothekenbuch eingetragen .sind . . . .

Herr Constantin von Arx, mit dem wir Rücksprache genommen haben, äußerte sich dahin, daß er den Vertrag nur in dem Sinne geltend mache, daß das von ihm vor dem Kaufe vom 13. Juli 1897 auf Hypothek Nr. 136 gefaßte und abgeleitete Wasser nicht abgegraben werden dürfe;> weitere Nachgrabungen zu machon.7 O begehre er nicht."

In einem weiteren Schreiben vom 21. Oktober 1891) antwortet die Amtsschreiberei Olten-Gösgen der S.-C.-B. in rechtlicher Beziehung: «Wir können Ihre Autfassung, daß es sich bei Ihrem Kauf vom 13. Juli 1897 um einen Erwerb nach dem Bundesgesetz vom 1. Mai 1850 betreffend Abtretung von Privatrechten handle, nicht als richtig anerkennen. Es war dabei weder von einer Abtretungspflicht, noch von einem Streit über den Wert des abgetretenen Gegenstandes, noch von dem bezüglichen Verfahren die Rede. Es handelt sich vielmehr urn einen gewöhnlichen Kaufakt, um einen Vertrag, der auf Grund einer gegenseitigen übereinstimmenden Willensäußerung zu Stande gekommen ist und auf diesen ist nicht das allegierte Specialgesetz, sondern das allgemeine Recht anzuwenden. Deshalb ist unsere Berufung auf das solothurnische Civilgesetzbuch wohl gerechtfertigt und können wir Ihrem Begehren, die bei Hypothek Nr. 1448, Ölten, zu gunsten des Herrn Constantin von Arx eingetragene Servitut zu löschen, nicht entsprechen.

Die nähere Untersuchung des Falles hat auch klargestellt, daß an der Kaufsumme von Fr. (59,620 die Handänderungsgebühr, 1/2 % = Fr. 348. 10, noch zu bezahlen ist und wir müssen Sie um deren nachträgliche Entrichtung ersuchen etc."

III.

Mit Zuschrift vom 30. Oktober 1899 ersuchte die S. C. li.

den Regierungsrat des Kantons Solothurn, den Amtsschreiber von Olten-Gösgen zu richtiger Amtshandlung anzuhalten. Mit Beschluß vom 14. November 1899 wies derselbe die Gesuchstellerin an das kantonale Obergericht, mit der Motivierung : Nach Art. 42 der

328 solothurnischen Verfassung ist nicht der Regierungsrat, sondera das Obergericht diejenige Behörde, welcher über die gesamte Rechtspflege und die Amtsschreibereien die Oberaufsicht zusteht.

Es sind daher Beschwerden gegen Amtshandlungen in Frage stehender Natur -- unrichtige Eintragung eines Liegenschaftskaufes in das Grundbuch -- an das Obergericht zu lichten.

IV.

Durch Beschluß vom 16. Dezember 1899 erklärte das Obergericht des Kantons Solothurn den Beschwerdeweg als zur Erledigung der aufgeworfenen Frage ungeeignet, von der Erwägung ausgehend, es liegen Privatrechte im Streite, bezüglich deren der einzig kompetenten Behandlung auf dorn Prozeßwoge nicht vorgegriffen werden könne.

V.

Mit Eingabe vom 8. Januar 1900 ersuchte die S.-C.-B. um die ,,Intervention" des Bundesrates; sie beantragt: Der Regierungsrat des Kantons Solothurn sei anzuweisen, die Amtsschreiberei Olten-Gösgen zu verhalten, die grundbuchliche Eintragung des Kaufvertrages vom 9./13. Juli 1897 zwischen J. Nußbaumer in Ölten, als Verkäufer, und der S.-C.-B.-Gesellschaft, als Käuferin, nach Maßgabe des Bundesgesetzes vom 1. Mai 1850 zu berichtigen und das betreffende Grundstück gemäß Art. 45 des genannten Gesetzes frei von allen Lasten einzutragen.

Zur Begründung wird unter Anführung dos vorgezeichneten Thatbestand geltend gemacht: Gemäß Art. 102, Ziffer 2, der Bundesverfassung hat der Bundesrat für Beachtung der Bundesgesetze zu wachen, und zur Handhabung derselben von sich aus oder auf eingegangene Beschwerde die erforderlichen Verfügungen O O O O O zu treffen. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen den Regierungsrat des Kautons Solothurn, und zwar wegen Nichtbeachtung des Bundesgesetzes vom 1. Mai 1850, betreffend die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten Das Urteil des Bundesgerichtes in Sachen Lienhard gegen die Massenverwaltung der schweizerischen Nationalbahn vom 10. Mai 1879 (A. S. V.

S. 241 ff.) setzt mit aller Klarheit auseinander, daß beim Expropriationskauf die Bestimmungen des Expropriationsgesetzes zur Anwendung kommen. Was specicll die Frage der Ablösung von Servituten betrifft, so ist gemäß Art. 20 des genannton Gesetzes der Eigentümer verpflichtet, alle Rechte, welche durch die mit Beziehung auf sein Grundstück gestellte Abtretungsforderung be-

329 rührt werden, anzumelden; Berechtigte, die durch eventuelle Unterlassung des Eigentümers zu Schaden kommen, haben sich dafür lediglich an diesen zu halten. Diese Bestimmung, für das außerordentliche Verfahren aufgestellt, muß auch für den Expropriationskauf gelten, weil im einen wie im ändern Falle eine öffentliche Bekanntmachung nicht stattfindet, welche es dem dinglich Berechtigten möglich machen würde, sich direkt zu melden. Wenn im vorliegenden Falle Constantin von Arx in Ölten durch den gesetzlichen Untergang der Servitut Schaden erleidet, so hat nicht die S.-C.-B.-Gesellschaft, sondern deren Rechtsvorgänger im Besitze der Liegenschaft für denselben aufzukommen ; die Bahngesellschaft hat das Grundstück unbelastet erworben und bezahlt. Der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Solothurn, nach welchem er zur Erledigung der Angelegenheit in dem von der Beschwerdeführerin gewünschten Sinne nicht kompetent sein soll, kann nicht als richtig anerkannt werden. Denn nach Art. 43 des Bundesgesetzes vom 1. Mai 1850 geschieht die Bezahlung der Entschädigungssumme an die Berechtigten durch Vermittlung der betreffenden Kantonsregierung. Wenn nun auch gemäß Regierungsratsbeschluß vom 21. April 1853 der solothurnische Regierungsrat die Amtsschreibereien mit diesen ihm zufallenden Funktionen betraut hat, so bleibt er für die richtige Handhabung derselben verantwortlich, und hätte auch im vorliegenden Falle die Pflicht gehabt, den Amtsschreiber zur richtigen Amtshandlung anzuhalten.

Auch der Entscheid des Obergerichtes ist durchaus unzutreffend, da keine Privatrechte im Streit liegen. Es fragt sich einfach, ob die Amtsschreiberei Olten-Gösgen berechtigt war, dem unzweideutigen Wortlaut des Expropriationskaufs und dem klaren Auftrage der schweizerischen Centralbahn anläßlich der Auszahlung der Entschädigungssumme, das erworbene Eigentum von allen dinglichen Lasten zu befreien, entgegenzuhandeln und auf diesen Expropriationskauf aus eigener Machtvollkommenheit die Bestimmungen des solothurnischen Sachenrechts anzuwenden. Die Beschwerdeführerin erblickt in diesem Vorgehen der Amtsschreiberei eine Nichtbeachtung des oftgenannten Bundesgesetzes.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Die schweizerische Centralbahngesellschaft stützt sich mit ihrer Anrufung des Bundesrates ausschließlich auf Art. 102, Ziffer 2, Bundesblatt. 52. Jahrg. Bd. I.

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der Bundesverfassung. Dieser Artikel verweist für die Kompetenz zur Beurteilung von Beschwerden über Anwendung von Bundesgesotzen auf Art. 113, welcher die sachliche Zuständigkeit des Bundesgerichtes regelt. Der Bundesrat ist zur Beurteilung dieser sogen. Administrativstreitigkeiten nur soweit kompetent, als deren Beurteilung nicht dem Bundesgerichtc übertragen ist.

Durch das Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 ist nun eine neue Ausscheidung mit Bezug auf die Kompetenzverteilung zwischen Bundesrat und Bundesgericht getroffen worden. Artikel 189 dieses Gesetzes zählt ausdrücklich diejenigen Materien der Bundesverfassung auf, in welchen der Bundesrat auf dem Wege des staatsrechtlichen Rekurses angegangen werden kann. Unter diesen befindet sich Art. 23 der Bundesverfassung, welcher die Kompetenz des Bundes zum Erlaß eines Expropriationsgesetzes enthält, nicht.

'Absatz 2 des Art. 189 des Organisationsgesetzes, lautend: ,,Vorn Bundesrate oder von der Bundesversammlung sind überdies zu erledigen Beschwerden betreffend die Anwendung der auf Grund der Bundesverfassung erlassenen Bundesgesotze, So-weit nicht diese Gesetze selbst oder gegenwärtiges Organisationsgesetz (Art. 182) abweichende Bestimmungen enthalten,'' kann zur Kompetenzbegründung ebenfalls nicht angerufen werden.

Die Bedeutung dieses Absatzes ist in einer zwischen Bundesrat und Bundesgericht gewechselten Korrespondenz (vergi. Rundesbl.

1895, III, 186 ff.) dahin festgestellt worden: ,,Die Art. 175, Ziffer 3, 178 und 189, Absatz 2, dos Gesetzes stehen unter sich in genauer Übereinstimmung und die gegenwärtige Fassung derselben ist vom Bundesrate und den gesetzgebenden Räten mit dem vollen Bewußtsein ihrer Tragweite beantragt, beziehungsweise angenommen worden.

,,Wo ein verfassungsmäßiges Recht des Bürgers in Frage kommt, da soll, mit Ausnahme der in Art. 189, Ziffer l--6, angegebenen Materien und mit Ausnahme des politischen Stimmrechts die Kompetenz des Bundesgerichtes begründet sein, und zwar auch dann, wenn das Individualrecht nicht in der Bundesverfassung selbst, sondern in einem Bundesgesetze festgestellt und entwickelt ist."

Es besteht für den Bundesrat kein Grund, von dieser grundsätzlichen Feststellung abzuweichen.

Danach ergiebt sich aber ganz deutlich, daß, soweit überhaupt eine auf das Expropriationsgesetz vom 1. Mai 1850 gestützte Staats-

331 rechtliche Beschwerde denkbar ist, dieselbe nicht in die Kompetenz des Bundesrates, sondern in diejenige des Bundesgerichtes gehört.

Bei dieser Sachlage braucht nicht untersucht zu werden, ob ·die Handlungsweise der solothurnischen Behörden eine Verletzung des Expropriationsgesetzes vom 1. Mai 1850 enthält, d. h. ob der Kaufvertrag vom 13. Juli 1897 als freihändiger Kaufvertrag nach kantonalem Recht oder als Expropriationskauf nach Bundesrecht zu behandeln ist.

II.

Da nach den obstehenden Ausführungen der Mangel der Kompetenz des Bundesrates zur Entscheidung der vorliegenden Beschwerde außer Zweifel steht, sich somit die Beschwerde ,,sofort als unzulässig" herausstellt, kann gemäß Art. 190, Absatz 2, und 184 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege von einer Vernehmlassung der Regierung des Kantons Soloihurn Abstand genommen werden.

Demnach wird erkannt: Auf die Beschwerde wird wegen Inkompetenz des Bundesrates nicht eingetreten.

B e r n , den 13. Februar 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Rangier.

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