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Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 8. Dezember 1900 zur ordentlichen Wintersession zusammengetreten.

Neugewählte Mitglieder : Nationalrat :

Herr S u l z e r, Eduard, von und in Winterthur.

,, von D i e s b a c h , Louis, von Freiburg, in La Schurra bei Freiburg.

,, W a g n e r , Ernst, von Wattwil, in Ebnat.

R u b a t t e l - C h u a r d , Ernest, von und in Villarzel.

" Ständerat : Herr A u b o r t, Alfred, von und in St. Georges.

Im N a t i o n a l rat eröffnete Herr Präsident F. Bühlmann die Session mit folgenden Worten : Meine Herren Nationalräte!

Seif seiner letzten Session hat der Rat zwei seiner Mitglieder durch den Tod verloren : Am 29. August erlag Herr Nationalrat Oberst Berling in seinem Heimatorte Ganterswil der tückischen Krankheit, die während mehreren Jahren seine Kräfte unaufhaltsam aufgezehrt hatte.

Die Nachricht von seinem Tode hat in der ganzen Eidgenossenschaft tiefe Trauer veranlaßt; war er doch der Tüchtigsten einer, auf den das Land für die Tage der Gefahr gezählt hat.

Geboren am 10. Dezember 1841, widmete er sich nach einem gründlichen kaufmännischen und technischen Bildungsgange dem von seinem Vater gegründeten Buntwebereigeschäft, dem er

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bis zu seinem Tode, selbst der fleißigste Arbeiter, vorgestanden ist. Schon in jungen Jahren liefen ihn seine Mitbürger in Würdigung seiner Trefflichkeit zu allen Ehrenämtern der Gemeinde, des Kantons. Von 1873---1891 vertrat er seine Gemeinde im Großen Kate. Nachdem er sich schon während der drei Nationalratswahlcampagnen der 80er Jahre seiner Partei als Kampf kandidat zur Verfügung gestellt hatte, ging er 1890 im neuen 33. Wahlkreis Werdenberg-Toggenburg als Erstgewählter aus der [Irne hervor und hat solchen seither in ehrenvollster Weise, trotz seiner langen, schweren Krankheit, mit soldatischer Gewissenhaftigkeit vertreten.

Zwar kein hervorragender Parlamentarier, der viel von sich hätte reden machen, allein ein ganzer Mann. In den vielen Kommissionen, namentlich militärischer Natur, in die er berufen wurde, genoß Berlinger eine einflußreiche, in vielen Fragen geradezu maßgebende Stellung im Rate.

Die Bedeutung des Mannes lag aber in erster Linie auf militärischem Gebiet. In außerordentlich raschem Avancement stieg er von Stufe zu Stufe; 1870 schon Major im Generalstal), übernahm er 1879 das Kommando des 25. Infanterieregiments, rückte 1880 zum Oberstbrigadier vor, ersetzte 1888 den zurücktretenden Oberst Vögeli im Kommando der VII. Division.

In welch ungewöhnlich genialer Weise er diese hei den Herbstübungen des Jahres 1891 geführt hat, ist noch in unser aller Erinnerung, und mit Genugthuung sah das ganze Schweiaer. land ihn 1895 /um Kommandanten des II. Armeeeoi'ps, damit zur höchsten militärischen Stellung vorrücken. Leider erlaubte es ihm seine Krankheit nicht, sein Armeecorps wirklich zu fuhren.

Rasche; klare und einfache Auffassung der Verhältnisse, frischer, fröhlicher Wagemut, verbunden mit klug berechnender Besonnenheit, gründlichstem militärischem Wissen und einer ganz außerordentlichen Detailkenntnis unseres Geländes, strengste Pflichterfüllung und eine gewaltige Willenskraft, alles das ließ ihn als einen Taktiker von Gottesgnaden erscheinen, dem seine Truppen wärmste Liebe und unbedingtes Vertrauen entgegenbrachten.

lTnd rechnen wir dazu größtmögliche republikanische Schlichtheit und Einfachheit, der alles windige, geckenhafte Wesen ein Greuel war, so bleibt uns Berlinger stets als das typische Bild des Führers einer Milizarmee in der Erinnerung und wir können nur einstimmen in den bei seinem Tode laut gewordenen Wunsch : Mögen uns noch viele solcher Eidgenossen geschenkt werden !

793 Am 6. November sodann starb in Schaffhausen, nachdem er unmittelbar vorher noch der Sitzung einer nationalrätlicheri Kommission beigewohnt hatte, Herr Nationalrat Dr. W i l h e l m J o o s den Tod der Altersschwäche in seinem 80. Lebensjahr.

Mit ihm scheidet ein Mann aus unserer Mitte, voller Originalität, ein Mann von außerordentlich zäher Willenskraft, eia Leben voll der mannigfaltigsten Erlebnisse, wie sie in unserer alles nivellierenden Zeit so selten geworden sind. Wir verlieren in ihm auch den Alterspräsidenten des Rates.

Am 1. April 1821 in Schaffhausen geboren, erhielt er eine gründliche humanistische Bildung und besuchte dann als Student der Medizin mit gutem Erfolg die Hochschulen von Erlangen, Göttingen, Prag, Wien, Berlin, London. Der weite Blick in die große Welt, die sich ihm eröffnete, ließ ihn nicht lange in den engen Verhältnissen seiner Vaterstadt verbleiben. Schon 1848 bethätigte er sich als Arzt an der Februarrevolution in Paris; er ging dann nach Algier und schiffte sich im Jahre 1852 nach Südamerika ein. Längere Zeit hat er dort in abenteuerlichen Fahrten als Arzt gewirkt und dabei wohl die Überzeugung von der Notwendigkeit der Organisation unserer schweizerischen Auswanderung in sich aufgenommen, in deren Lösung er seither seine ideale Lebensaufgabe erblickt hat. Nicht weniger als vier Mal hat ihn das Studium dieser Frage wieder über den Océan geführt. Dazwischen fielen Reisen nach Ägypten, Jerusalem, Konstantinopel, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland, und zahllos sind die Wanderungen, die der rastlose Idealist zu Agitationszwecken für seine Ideen im Schweizerland herum unternommen hat.

Bezeichnend ist die Art und Weise, wie er sich in dus öffentliche Leben seines Heimatkantons einführte. Als er im Jahre 1857 zum erstenmale als Nationalist kandidierte, vorbreitete er in bisher unerhörter Zahl einen Aufruf an das Schaffhauservolk, den er mit den Worten begann : ,,Ich, Dr. Wilhelm Joos, empfehle mich meinen Mitbürgern zur Wahl als Nationalist.a Unermüdlich reiste er im Lande herum und setzte auf der Plattform seinen Mitbürgern sein politisches Programm auseinander.

Das gute Schaff hauser volk schüttelte freilich erstmals das Haupt ob solch ungewohntem Gebaren, und erst 1863 gelang es ihm, seine Wahl durchzusetzen. Volle 37 Jahre hindurch, mehr als ein halbes
Menschenleben, hat er seither seinen Heimatkanton in diesem Rate vertreten, mit unermüdlicher Zähigkeit und seltener Ausdauer, ob seiner originellen Eigenheiten vielfach verlacht und Biindosblatt. 52. Jahrg. Bd. IV.

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794 verspottet, seine philanthropischen Ideen verfochten. In Feder und Wort führte er eine scharfe Klinge : was er sich einmal zur Aufgabe gemacht, ließ er nicht mehr fahren. Er hatte auch die Genugthuung, zwei seiner Schoßkinder, den Arbeiterschutz durch die Fabrik- und Haftpflichtgesetzgebung und das Verbot der Phosphorzündhölzchcn, sowie das Banknotenmonopol unter Dach gebracht zu sehen. Und wenn auch seine Bestrebungen für die Organisation der Auswanderung zu einem praktischen Resultili, nicht geführt haben so haben seine diesbezüglichen Arbeiten und Anregungen doch bleibenden Wert.

Ein vielfach unverstandener, aber aufrichtiger Patriot und Menschenfreund, ein Mann von seltenem Wissen, außerordentlicher Energie und mannigfaltigster Erfahrung ist mit ihm dahingegangen.

Durch den am 18. Juli erfolgten Tod des Herrn Douât Golaz, Abgeordneter de« Kantons Waadt, hat auch der Ständern! eines seiner Mitglieder verloren. Geboren tun 7. Juli 1852, hat Herr Golaz schon von seinem 24. Lebensjahre an in den mannigfaltigsten Stellungen dein Wohle seiner Mitbürger in Gemeinde, Bezirk und Staat in gewissenhaftester Weise gedient. Seit 1882 Mitglied des Großen Rates des Kantons Waadt, den er im Jahre 1895 präsidierte, von 1883 bis 1885 Mitglied des Nationalrates, von 1885 bis 1892 Staatsrat und seit 1892 Abgeordneter im Ständerat, das bilden die Marksteine seiner glänzenden politischen Laufbahn und seiner erfolgreichen Thätigkeit. Ein treuer Freund seines Landes und seiner Gesinnungsgenossen, ein unermüdlicher Arbeiter, ein offener, lauterer Charakter, ein treuer, einsichtiger Diener seines Volkes steht auch er in unser aller Erinnerung.

Und endlich hat auch das B u n d e s g e r i c h t einen schweren Verlust erlitten. Mitten in erfolgreichster Arbeit ist der unerbittliche Tod am 16. November an Herrn Bundesrichter Charles S o l d a n in der Blüte und Vollkraft seiner Jahre herangetreten und hat damit unser Land eines seiner besten Magistraten beraubt.

Sohn eines deutschen Emigranten der 30er Jahre, aber eingebürgert und eingewurzelt in der demokratischen romanischen Schweiz, vereinigten sich in Soldan in glücklichster Weise die Kultur, die Wissenschaft und das Geistesleben der zwei großen Volksstämme, aus denen in der Hauptsache das Schweizervolk zusammengesetzt ist. Und diese glückliche Vereinigung fand
sich in einem Manne, ausgerüstet mit gewaltiger Arbeitskraft und seltener Arbeitsfreudigkeit, klarem, durchdringendem Verstand, reichem Wissen, offenem und geradem Charakter und machte ihn so zu einem der hervorragendsten Juristen und obersten Richter des Landes.

795 Ich bitte Sie, meine Herren, sich zu Ehren dieser verstorbenen Mitglieder unserer obersten Behörden von Ihren Sitzen zu erheben.

Meine Herren Nationalräte !

Gestatten Sie mir, noch kurz einiger Ereignisse Erwähnung zu thun, die unser Land in hohem Maße berührt haben.

Unmittelbar nach Schluß unserer letzten Tagung vereinigten sich in diesem Saale auf die Einladung des Bundesrates hin die Vertreter aller civilisierten Staaten der Welt, um die Thulsache des 25jährigen Bestandes des W e l t p o s t v e r e i n s in solenner Weise zu feiern. Sie haben dabei unsere Bundesstadt, die Wiege dieser großen, von so beispiellosem Erfolge gekrönten internationalen Errungenschaft, dadurch geehrt, daß sie dieselbe als Stätte für die Errichtung eines Denkmals zu bleibender Erinnerung an die Gründung dieses Werkes bezeichneten.

Indem ich auch von dieser Stelle aus im Namen des schweizerischen Nationalrates für diese Ehrung den Dank ausspreche, möchte ich damit den Wunsch verbinden, os möge dieses Denkmal aller Wolt vor Augen halten, daß die Werke des Friedens und
Unser kleines Land hat an der großen Konkurrenz menschlicher Thätigkeit und menschlicher Intelligenz auf der nun zu Ende gegangenen Weltausstellung in Paris seine bisherige ehrenvolle Stellung neuerdings behauptet. Dabei dürfen wir uns aber nicht verhehlen, daß es außerordentlicher Arbeit und der Anstrengungaller Kräfte unseres Volkes bedarf, um bei dem stets schwieriger werdenden Wettkampfe diese Stellung auch in Zukunft zu wahren.

Am 29. Juli ist das S t a a t s o b e r h a u p t des uns befreundeten Nachbarstaates, des K ö n i g r e i c h s I t a l i e n , von Mörder, band gefallen ; wir schließen uns der Versicherung der Trauer und der Teilnahme an diesem erschütternden Ereignisse au-

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welcher der Bundesrat schon Ausdruck gegeben hat. Die von der italienischen Gesandtschaft an die Präsidien der beiden Räte gerichtete Einladung zur Teilnahme an der Trauerfeierlichkeit in der Dreifaltigkeitskirche in Bern wurde von denselben angemessen verdankt.

Am 4. November endlich hat das Schweizervolk mit unerwartet großer Mehrheit die beiden Volksbegehren betreffend Proportionalwahl des Nationalrates und Volkswahl des Bundesrates verworfen. Es hat damit mit aller Bestimmtheit an unseru bisherigen konstitutionellen Grundsätzen festgehalten und seinem Vertrauen zu den obersten Behörden des Landes Ausdruck gegeben und mit seinem Entscheide wohl auch bekundet, daß ihm die Lösung der großen wirtschaftlichen Fragen näher liegt, als diejenige von Problemen, von deren Berechtigung es sich nicht überzeugen konnte und deren Annahme zu den schwersten Verfassungskämpfen geführt hätte.

Mag uns aber diese Abstimmung auch Veranlassung geben, berechtigten Begehren aller Parteien wie bisdahin Rechnung zu tragen.

Damit erkläre ich die Wintersession des Nationalistes für eröffnet.

Im S t a n d e rat hielt Herr Präsident G. Leumann bei der Eröffnung der Session folgende Ansprache : Hoclujeelirte Herren Ständeräte !

Wie beim Beginn der Sommersession der Bundesversammlung, der die Volksabstimmung über die Versicherungsgeset/o unmittelbar vorausgegangen war, stehen wir auch heutu wieder unter dem Eindruck eines ähnlichen Ereignisses der jüngsten Vergangenheit. Die beiden Initiativbcgehren betreffend die Proportionalwahl des Nationalstes und die Wahl des Bundesrates durch das Volk haben eine lebhafte Bewegung, einen langen und teilweise leidenschaftlich geführten Kampf in miserai Lande hervorgerufen.

Der 4. November hat demselben und damit einerseits weitgehenden Hoffnungen -- anderseits ernsten Befürchtungen ein Ende gemacht. Das Schweizervolk hat sein Urteil gefällt, klar und deutlich, daran ist nicht zu rütteln und nicht zu markten und man darf wohl hoffen, daß schließlich alle Parteien, auch

797 die, deren Erwartungen nicht in Erfüllung gingen, das rückhaltslos anerkennen werden. Wenn auch von letzterer Seite im Anfang, unter dem frischen Bindruck einer herben Enttäuschung, Stimmen gehört wurden, die von dauerndem Haß und rachsüchtiger Obstruktion sprachen, so kann es doch kaum ausbleiben, daß bei ruhiger Überlegung eine andere Ansicht sich Bahn brechen muß. Die Überzeugung nämlich, daß es nicht republikanisch und noch weniger demokratisch wäre, eines mißfälligen Volksentscheides halber in blindem Trotz gegen alles Kommende anzukämpfen und damit das Wohl des Landes zu gefährden. Anderseits darf man gewiß auch der Mehrheit des 4. November zutrauen, daß sie diesen Sieg in keiner Weise mißbrauchen werde.

Auch sie wird sich der Überzeugung nicht verschließen können, daß in einem republikanischen Staatswesen niemals Macht vor Recht gehen darf, sondern daß Gerechtigkeit und billige Berücksichtigung b e r e c h t i g t e r Ansprüche Andersdenkender für die gedeihliche Entwicklung eines Landes unerläßlich sind.

Und wenn wir, meine Herren, das von unserem Volke erwarten, um wie viel mehr darf man es von uns fordern, den Mitgliedern der Räte, die wir beim Eintritt und bei jeder Wiederwahl schwören, die Kraft und Einheit der schweizerischen Nation zu wahren. Mannigfaltig sind ja auch in unsern Kreisen die politischen und materiellen Interessen und unnatürlich wäre es wohl, zu verlangen, daß sie flicht zum Ausdruck gelangen sollen.

Aber wir dürfen dabei nie vergessen, daß wir unsere Pflicht nur dann erfüllen, wenn wir uns dadurch den Blick nicht trüben lassen für das, was der Gesamtheit frommt. Allen Partei- und Sonderinteressen soll und muß vorangehen die Rücksicht au t das Woh] und das Gedeihen des g a n z e n Vaterlandes!

Meine Herren! Von den Ereignissen, die in die Zeit seit unserer letzten Tagung fielen, und die unser Land nicht allein, oder nicht direkt betrafen, will ich nur zwei erwähnen, die beide zu offiziellen Feiern in unserer Bundesstadt Veranlassung galxm.

Das eine war ein solches freudiger Art, das 25jährige Jubiläum des Weltpostvereins. Auf Einladung des schweizerischen Hundesrates versammelten sich Montag den 2. Juli die Delegierten lasi sämtlicher Vertragsstaaten zu einer Erinnerungsfeier in Born.

Das Fest nahm einen hocherfreulichen Verlauf. In allen den verschiedenen
Reden kam ein Gedanke hauptsächlich zum Ausdruck. Bs war die Äußerung der Freude darüber, daß die Völker trotz aller sonstigen Verschiedenheit der Interessen, trotz Kampf und Streit, doch eine Institution gegründet und erhalten

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haben, die für den internationalen Verkehr von unermeßlicher Bedeutung ist, den W e l t p o s t v e r e i n , der aus kleineren Anfängen in diesen 25 Jahren zu einem mächtigen Bunde herangewachsen ist, dem beinahe alle Staaten der civilisierten Welt angehören. Mit großer Genugthung mußte uns Schweizer auch der in der Schlußsitzung der Delegierten gefaßte Beschluß erfüllen, in der Stadt Bern ein Denkmal zu errichten und l'indie Ausführung desselben, innert des beschlosseneu Kredites, dein schweizerischen Hundesrat unbedingte Vollmacht zu erteilen.

Wir dürfen wohl, ohne unbescheiden zu sein, dies als einen Beweis des Vertrauens, ansehen den die Delegiertenversammlasung den Leitern desjenigen Staates entgegenbringen wollte, der die Ehre hat, Sitz dos internationalen Bureaus zu sein.

Die andere Feier war leider die Folge eines beklagenswerten Ereignisses.

Kurze Zeit nach den festlichen Tagen des Weltpost-Jubiläums wurde unser südliches Nachbarland durch eine ruchlose That in tiefste Trauer versetzt. Der König von Italien, S. M. Umberto L, fiel von Mörderhand in seiner Sommer-Residenz Monza. Er wurde ein Opfer jener wahnwitzigen Idee, daß durch solche vorabscheuungswürdig Gewalttaten der Sache der Freiheit ein Dienst geleistet und das Los der Annen und Elenden verbessert werden könne. Die königl. ital. Gesandtschaft in der Schweiz veranstaltete zu Ehren ihres verstorbenen Souverains eine Trauerl'eier in der Dreifaltigkeitskirche in Bern, zu der auch der hohe Bundesrat und die Bundesversammlung eingeladen wurden. Die Präsidenten der Räte verdankten, in Ihrem Namen, die Einladung und drückten in einem Schreiben ihr Beileid aus.

Meine Herren Ständeräte!

Es liegt mir noch ob, eine schmerzliche Pflicht zu erfüllen.

In der kurzen Spanne Zeit seit dem Schluß unserer SommerSession hat der Tod auch unter den Mitgliedern der Räte reiche lernte gehalten.

Kurz nach Schluß der Session, der er bereits wegen Krankheit nicht mehr beiwohnen konnte, starb am 14. Juli in Orbe unser Kollege Herr Ständerat Golaz. Sohn einer waadtländischen Familie, die in Buttes niedergelassen war, wurde er dort im Jahr 1852 geboren und verbrachte die ersten Jugendjahre im Kanton Neuenburg, kehrte aber später in seinen Heimatkanton zurück und errichtete in Orbe ein Notariatsbureau. im Jahr

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1882 wurde er als Vertreter des Kreises Orbe in den Großen Rat gewählt, den er im Jahr 1895 präsidierte. 1883- 188.") war er Mitglied des Nationalrates und trat als solches zurück und in die kantonale Regierung, als letztere infolge der Verfassungsrevision von 1884 neu gewählt wurde. Im Staatsrate bekleidete er die Stelle des Chefs des Militärdepartements. Um Platz für einen Vertreter der Minderheitspartei zu schaffen, demissionierte er als Staatsrat und war von da an bis zu seinem Tode Abgeordneter des Kantons Waadt im Ständerate. Sein Wirken in unserem Rate ist Ihnen bekannt. Er war kein Freund langer Reden und schöner Phrasen, selten ergriff er das Wort und wenn es geschah, so war sein Votum schlicht, einfach, aber (reffend und trug den Stempel der Überzeugung. Von echt waadtländischer Eigenart und ein treuer Sohn seines schönen Heimatkantons, fehlte ihm daneben keineswegs Verständnis und Sympathie für große eidgenössische Fragen. Auch war er ein allezeit liebenswürdiger Kollege, dem wir ein freundliches Andenken bewahren werden.

Bald nachher, Ende August, starb in Ganterschwil (Toggenburg) Herr Nationalrat und Oberstcorpskommandat Berlinger.

Geboren den 10. Dezember 1841 ebendaselbst, widmete er sich, nach Beendigung seiner kaufmännischen Ausbildung;, dein von seinem Vater übernommenen industriellen Geschäfte, interessierte sieh aber frühzeitig auch schon für öffentliche Angelegenheiten.

Im Jahr 1873 wurde er in den Großen Rat gewählt, dein er lange Jahre angehörte, und trat 1887 als Vertreter des 32. Wahlkreises in den Nationalrat. Von ruhiger und nüchterner Natur, war er wenig dazu angelegt, im politischen Getriebe eine hervorragende Rolle zu spielen. Sein Gebiet waren wirtschaftliche Knigen und hauptsächlich alles, was mit unsern militärischen Institutionen im Zusammenhange ist. In diesen militärischen Angelegenheiten galt er als Autorität und sein Wort war von maßgebendem Einfluß. Seine eminente militärische, Begabung fand überall Anerkennung und die Folge derselben war dann audi eine glänzende militärische Laufbahn. Der junge Infantorieoffizier trat schon Mitte der (60er Jahre in den damaligen eidgenössischen Generalstab über und avancierte in demselben bis zum Major und Generalstabsoffizier der VII. Division. Im Jahr 1879 Kommandant des 25. Infanterieregimentes, rückte er schon 1880
zum Oberstbrigadier vor und 1888 zum Kommandanten der VII. Division.

In letzterer Eigenschaft führte er die Division beim Truppenzusammenzug von 1891 in ausgezeichneter Weise und vier Jahre später übertrug ihm der Bundesrat das Kommando des II. Armeecorps. In allen diesen Stellungen bewährte er sich als vorzügO

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licher Offizier und je höher er stieg, desto mehr zeigte es sich, daß er ein hervorragender, ja man darf sagen ein zum Truppenführer geborener Mann war. Einfach und schlicht in Lebensweise und Auftreten, verfügte er doch über eine vorzügliche militärische Bildung. Geradezu erstaunlich war seine Terrain kenntnis ; wo andere mühsam auf der Karte suchten, disponierte er frei aus dem Gedächtnis. Wohl überlegt, klar und bestimmt waren seine Befehle und mit rücksichtsloser Energie sorgte er für deren Ausführung. Streng gegen sich selbst, durfte er es auch gegen andere sein, ohne Unmut zu erregen. Was bei jedem Truppenführer, aber ganz besonders bei einer Milizarmee, die Grundlage allen Erfolges ist, besaß er in seltenem Maße, das unbedingte, schrankenlose Vertrauen seiner Truppen. So wurde denn auch seine Erhebung zu einer der höchsten und veranlwortungsvollsten Stellen in unserer Armee überall freudig begrüßt, und die größten Hoffnungen für die Zukunft knüpften sich an den Namen des Corpskommandanten Berlinger. Es sollte nicht sein. Eine heimtückische Krankheit befiel den früher rüstigen Mann, verhinderte ihn, sein Armeecorps bei den Übungen im Herbst 1897 zu führen und nötigte ihn, im Jahr 1898 seine Entlassung als Corpskommandant einzureichen, wie schwer es ihm auch fiel, diesen Entschluß zu fassen. Vorübergehende Besserung ermöglichte es ihm, in letzter Zeit seinen Sitz im Xationalrate wieder einzunehmen, allein er war ein gebrochener Mann, und es brauchte die ihm eigene zähe Willenskraft, um auszuharren, wie er es gethan. Noch der Junisession dieses Jahres wohnte er in scheinbar ziemlich befriedigendem Gesundheitszustand bei und ganz unerwartet kam deshalb die Nachricht von seinem schnellen Hinschied, die überall mit aufrichtiger Trauer vernommen wurde. Das Schweizervolk und vor allem die Armee wird dem teuern Dahingegangenen ein ehrendes Andenken bewahren; denen, die das Glück hatten, ihn näher zu kennen, wird er unvergeßlich bleiben.

Nach einem längeren Zeitraum, erst im vergangenen Monat, wurde noch das älteste und wohl eines der bekanntesten Mitglieder des Nationalrates abberufen, Herr Dr. Wilhelm Joos in Schaffhausen. Geboren am 1. April 1821, besuchte er Primarschule und Gymnasium in Schaff hausen und widmete sich hierauf dem Studium der Medizin auf den Universitäten Erlangen, Gotti ngen und
Frag. Nachdem er zur weiteren Ausbildung auch noch Wien, Berlin und London besucht, kehrte er in die Heimat zurttck. Allein dem jungen unternehmenden Mann sagte das Leben in den engen Kreisen seiner Vaterstadt nicht zu. Im

801 Jahre 1848 ging er nach Paris um dort bei Anlaß der Julirevolution seine medizinischen Kenntnisse zu verwerten und verband damit eine Reise nach Algier. Noch im gleichen Jahre reiste er nach Brasilien, wo er sich als Arzt niederließ und mehrere Jahre praktizierte. Im Jahre 1852 für kurze Zeit heimgekehrt, ging er bald in Begleitung seines Bruders, der inzwischen ebenfalls Medizin studiert hatte, nach Amerika zurück, wo die beiden bald zusammen, bald getrennt, eine abwechslungsreiche Reisepraxis betrieben. Im Jahr 1855 zurückgekehrt, unternahm er noch weitere Reisen nach der Türkei, Palästina und Egypten.

Endlich suchte der Vielgereiste doch einen Wirkungskreis in der Heimat nnd er diente denn auch lange Jahre und in verschiedenen Stellungen seinem Heimatkanton als Kantonsrat und Kirchenrat, seiner Vaterstadt als Mitglied des Stadtrates und großen Stadtrates. Sein lebhaftester Wunsch war jedoch, ein Mandat für den Nationalrat zu erlangen, und schon im Jahre 1857 suchte er dieses Ziel zu erreichen. Es war vergeblich, obschon er keine Mühe scheute und zur Verwunderung seiner Mitbürger, nach echt amerikanischer Manier, in Wort und Schrift seine Kandidatur selbst empfahl. Erst im Jahre 1863 wurde sein Wunsch erfüllt. Seither liât er 37 Jahre ununterbrochen dem Nationalrate angehört, dessen erste Sitzung nach den letzten Wahlen er noch als Alterspräsident eröffnete, und man müßte Bände schreiben, wenn man seine Wirksamkeit während dieses langen Zeitraumes erschöpfend schildern wollte. Hauptsächlich zwei Gebiete nahmen sein Interesse lebhaft und dauernd in Anspruch, die Auswanderung und Kolonisation und die Münz- und Währungsfrage. Hervorragenden Anteil nahm er auch an den Bestrebungen für Einführung der Fabrikgesetzgebung, dem Kampf gegen die Phosphorzündhölzer et«;.

Seine Ideen verfocht er im Kate nicht nur gelegentlich, bei der Behandlung einschlägiger Traktanden, sondern er liebte es, sehn' oft sehr originellen Anregungen auf dem Wege der Motion vor den Hat zu bringen. Unzählige reichte er ein und es ist wohl nicht unwesentlich diesem ..embarras de richesse''* zuzuschreiben, wenn sie nicht diejenige Aufmerksamkeit fanden, die sie manchmal verdient hättten. Selten und eigentlich bewundernswert war die Energie und Beharrlichkeit mit der er seine /iele verfolgte und sich ·weder durch Nichtbeachtung
noch Spott davon abbringen ließ. Seine Bildung und hohe Intelligenz, sowie die auf seinen Reisen gesammelten reichen Erfahrungen, befähigten ihn zu einer hervorragenden Stellung im öffentlichen Leben. Wenn dessenungeachtet sein Einfluß und seine Erfolge dem nicht entsprachen, so lag der Grund hierfür in andern, besondern Zügen seines

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Wesens und in seiner ganz eigenartigen Weltanschauung, Wie wohl selten auf eine Persönlichkeit war auf ihn das Dichterwort, anwendbar: "Anders, als sonst in Menschenköpfen, malt sich in d i e s e m Kopf die Welt!" Nun hat der ruhelose Wanderer seinen Lauf beendigt. Manches, was er erstrebt, wird fortleben, manches wird mit ihm begraben sein. Das Zeugnis wird man ihm nicht vorenthalten können, daß er oftmals, beharrlich und uneigennützig, das Gute -- wenigstens gewollt hat.

Meine Herren Ständeräte ! Nicht nur in den Reihen der Mitglieder der Bundesversammlung hat der Tod manche Lücke gerissen, in letzter Stunde und ganz unerwartet ist ihm nun auch ncoh ein Mitglied des Bundesgerichtes zum Opfer gefallen. Ani l (5. November verschied plötzlich an einem Schlaganfall Herr Bundesrichter Dr. Soldan. Geboren am 20. März 1855, studierte er die Rechte an der Akademie in Lausanne und der Universität Leipzig, und nachdem er 1877 in Lausanne das Examen als en droit" mit Auszeichnung bestanden, trat er vorübergehend in das Kroße Bureau Ruchonnet ein. Von 1879--1881 praktizierte er als Advokat und wurde sodann in das Kantonsgericht gewählt.

Neben seinem Richteramte entwickelte er eine rege literarische Thätigkeit, und wurde von seinem frühem Chef, dem nachmaligen Herrn Bundesrat Ruchonnet oft zu Gutachten und Expertenkomissionen zugezogen. Als deshalb im Jahre 1890 Herr Jules Roguin aus dem Bundesgerichte austrat, und man sich nach einem Nachfolger aus der Westschweiz umsah, konnte es kaum fehlen, daß die Aufmerksamkeit auf den ausgezeichneten jungen Waaadtländer Juristen gelenkt wurde, der damals -- seit l S8 ausgezeichneten Leistungen, strenge Gewissenhaftigkeit und unantastbare Rechtlichkeit der Gesinnung. Seine Mitarbeiter worden ihn schmerzlich vermissen, und wir, meine Herren, wollen in dankbarer Anerkennung seiner Verdienste gedenken.

893 Meine Herren Ständeräte! Um das Andenken aller unserer Dahingeschiedenen zu ehren, lade ich Sie ein, sich zu erheben.

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Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrates, (Vom 20. November 1900.)

Der Bundesrat ist auf die Beschwerde der Firma Emil B r a n d i i zum Rothaus, Wädenswil, und des A. W a l i n , jgr., in Scanfs (Graubünden), wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit (Auferlegung einer Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen das Bundesgesetz betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden), aus folgenden Erwägungen nicht eingetreten : Nach Art. 189, Ziffer 3, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom "22. März 1893 sind der Beurteilung des Bundesrates (Art. 102, Ziffer 2, und Art. 113 Absatz 2 der Bundesverfassung) oder der Bundesversammlung (Art. 85, Ziffer 12, der Bundes Verfassung) unterstellt die Beschwerden, die sich auf Art. 31 der Bundesverfassung betreffend die Handelsund Gewerbefreiheit beziehen. Unter Verweisung auf diese Bestimmung stellen die Beschwerdeführer beim Bundesrat das Begehren um Aufhebung des Bußdekretes des Kleinen Rates des Kantons Graubünden, weil dasselbe sie in ihrer Handels- und Gewerbefreiheit verletze.

Nun erklärt aber Art. 190 des Organisationsgesetzes den Art. 182 desselben Gesetzes auch für die staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesrat anwendbar, woraus sich ergiebt, daß dieses Rechtsmittel wegen Verletzung privatrechtlicher oder strafrechtlicher Vorschriften d e s eidgenössischen Rechtes durch Entscheide v o n Beschwerdeführer verlangen aber auf dem Woge des staatsrechtlichen Rekurses die Aufhebung eines auf Grund der strafrechtlichen Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden gefällten Dekretes einer kantonalen Behörde, des

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